Äußert sich der Bundesgerichtshof zu grundlegenden Fragen des Strafrechts, so sollte das Studenten und Examenskandidaten gleichermaßen aufhorchen lassen. So verdient auch die Entscheidung vom 17. März 2020 (Az. 3 StR 574/19) besondere Aufmerksamkeit. Sie beantwortet entscheidende Fragen zum spezifischen Gefahrzusammenhang beim Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) und gibt so Anlass, die objektive Zurechnung allgemein sowie die Voraussetzungen erfolgsqualifizierter Delikte zu wiederholen.
I. Was ist passiert?
Eine 84 Jahre alte Frau, die nicht mehr bei guter Gesundheit war, hatte bei ihrer Bank 600 Euro abgehoben und diese in ihrer Handtasche verstaut. Die Handtasche legte sie wiederum in den Korb ihres Rollators und wickelte den Gurt um den Rollatorgriff. So machte sie sich zu Fuß auf den Heimweg, als der Täter von hinten mit dem Fahrrad an ihr vorbeifuhr und die Handtasche ergriff. Dies tat er, obwohl er sah, dass die Tasche am Rollator befestigt war und sich so aufdrängen musste, dass die Gefahr bestand, dass das Opfer den Halt verlieren und schwer stürzen würde. So kam es auch: Der Frau entglitt der Rollator, sie stürzte und schlug mit dem Kopf auf dem Gehweg auf. Sie erlitt schwerste Schäden. Nach einer Operation erlangte sie aufgrund des während dieser erlittenen Blutverlustes das Bewusstsein nicht wieder. In Übereinstimmung mit der bestehenden Patientenverfügung der Frau stellten die Ärzte die Behandlung ein, sodass die Frau schließlich verstarb.
II. Hat der Täter sich wegen Raubes mit Todesfolge nach § 251 StGB strafbar gemacht?
Mit dieser Frage setzte sich der BGH auseinander. Bevor man sich in einer vergleichbaren Klausur mit den im Mittelpunkt stehenden Fragen des Zurechnungszusammenhangs auseinandersetzen kann, sind die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen dieses erfolgsqualifizierten Delikts zu prüfen.
- Verwirklichung des Grunddelikts
Der Anfang ist schnell gefunden: Zunächst muss das Grunddelikt des § 249 StGB verwirklicht sein. Hierzu muss der Täter ein qualifiziertes Nötigungsmittel eingesetzt haben. In Betracht kommt hier allein die Anwendung von Gewalt gegen eine Person, d.h. die Zufügung eines gegenwärtigen, auf den Körper bezogenen Übels von einiger Erheblichkeit.
Anmerkung: In einer Klausur kann an dieser Stelle durchaus diskutiert werden, ob das Wegreißen der Tasche ausreicht, um das Merkmal der Gewalt gegen eine Person zu erfüllen. Bloße Sachgewalt reicht nicht aus, ebenso darf der eingesetzte Kraftaufwand nicht allein der Ergreifung der Sache dienen. Der Täter muss in zur Überwindung eines zumindest erwarteten Widerstandes handeln.
Der BGH ging vorliegend davon aus, dass das Wegreißen der Tasche als Gewalt gegen eine Person eingeordnet werden kann. Bei der Tasche als Raubobjekt handelt es sich auch um eine fremde bewegliche Sache. Diese muss der Täter weggenommen, d.h. fremden Gewahrsam gebrochen und neuen, nicht notwendigerweise eigenen Gewahrsam begründet haben. Zwar kann man das Bestehen fremden Gewahrsams aufgrund der Platzierung der Tasche in dem offenen Korb des Rollators kurz problematisieren, im Ergebnis ist dies jedoch eindeutig zu bejahen, zumal das Opfer den Gurt der Tasche zusätzlich am Rollator befestigt hatte. Die übrigen Merkmale der Wegnahme sind ebenfalls zu bejahen – insbesondere bedarf es hier keiner breiten Auseinandersetzung mit der typischen Problematik der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung. Nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat liegt eindeutig ein „Nehmen“ vor und auch eine Mitwirkung des Opfers ist zur Erlangung des Gewahrsams nicht erforderlich, sodass die Ansichten der Literatur und Rechtsprechung zu demselben Ergebnis kommen. Auch der notwendige räumlich-zeitliche Zusammenhang sowie der subjektive Finalzusammenhang zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme liegen vor. Der Täter handelte vorsätzlich hinsichtlich des Einsatzes des Nötigungsmittels sowie der Wegnahme und auch in der Absicht rechtswidriger Bereicherung.
- Erfolgsqualifikation
Neben den Merkmalen des Raubes muss auch der qualifizierte Erfolg des § 251 StGB eingetreten sein. Mit dem Tod des Opfers ist das der Fall. Ohne die Gewaltausübung zur Wegnahme der Tasche wäre die Frau auch nicht gestürzt und schließlich nicht verstorben, sodass der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolg nach der Äquivalenztheorie vorliegt.
Der Tod muss nach § 251 StGB „wenigstens leichtfertig“ herbeigeführt worden sein. Da sich dem Täter der Geschehensablauf ebenso aufdrängen musste, dass ein solch schwerer Sturz einer älteren Person gravierende Gesundheitsschäden oder den Tod zur Folge haben könnte, kann die Leichtfertigkeit bejaht werden (zu den Anforderungen der Leichtfertigkeit siehe MüKoStGB/Sander, 3. Aufl. 2017, § 251 Rn. 12).
Dies allein reicht jedoch nicht aus, um die Voraussetzungen des gegenüber dem bloßen Raub wesentlich höher bestraften Tatbestands des § 251 StGB zu erfüllen. Erforderlich ist – wie bei jedem erfolgsqualifizierten Delikt – das Vorliegen eines spezifischen Gefahrzusammenhangs. Der BGH führt hierzu aus:
„Die deutlich erhöhte Strafdrohung für den Raub mit Todesfolge gebietet eine einschränkende Auslegung des § 251 StGB. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat ist danach nur dann anzunehmen, wenn nicht nur der Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Dem speziellen Unrechtsgehalt des § 251 StGB ist nur genügt, wenn sich die dem Raub innewohnende Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter in einer über den bloßen Ursachenzusammenhang hinausgehenden Weise in der Todesfolge niedergeschlagen hat. Dieser qualifikationsspezifische Zusammenhang ist allerdings auch dann gegeben, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung zwar nicht mehr in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme steht, sie mit dem Raubgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der konkreten Raubtat eigene besondere Gefährlichkeit verwirklicht.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 7)
Es bietet sich an, in zwei Schritten vorzugehen: Zunächst ist zu prüfen, ob der Todeserfolg nach allgemeinen Kriterien objektiv zurechenbar ist. In einem zweiten Schritt ist zu hinterfragen, ob sich die dem Raub typischerweise anhaftende Gefahr, d.h. die Gefahr der qualifizierten Nötigung, verwirklicht hat. Vorliegend liegt das Problem bereits auf der Stufe der objektiven Zurechnung: Der Zusammenhang kann unterbrochen sein, wenn der Todeserfolg erst durch Handeln eines Dritten oder des Opfers selbst eintritt. Allerdings genügt nicht jedes Dazwischentreten des Opfers oder eines Dritten: Nach dem BGH sind „das Gewicht und die Bedeutung des Eingriffs für den weiteren Geschehensablauf in Betracht zu ziehen. Insoweit ist etwa von Belang, ob die Realisierung der spezifischen Todesgefahr durch das Eingreifen des Opfers nur beschleunigt oder durch diese erst geschaffen wurde.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 8)
a. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die Operation
Als den Zurechnungszusammenhang unterbrechende Umstände kommen die Operation des Opfers sowie der Behandlungsabbruch aufgrund der Patientenverfügung in Betracht.
Die Operation stellte einen Versuch dar, das Leben des Opfers zu retten. Als solcher unterbricht sie den Zurechnungszusammenhang nicht:
„Der im Krankenhaus unternommene Behandlungsversuch wurde mit dem Ziel durchgeführt, der mit der Tat in Gang gesetzten Risikoverwirklichung Einhalt zu gebieten. Dass diese Bemühungen fehlschlugen, beruhte nicht auf einem eigenständigen, von den behandelnden Ärzten verantworteten neuen Risiko für das Leben der dann Verstorbenen. Vielmehr war ein möglicher tödlicher Ausgang der medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Operation bereits zum Zeitpunkt der Tat in der Konstitution des Raubopfers angelegt.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 13)
b. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch den Behandlungsabbruch
Und auch die Patientenverfügung als solche bzw. der ihr nachfolgende Behandlungsabbruch kann nicht dazu führen, dass die objektive Zurechenbarkeit des Todeserfolgs verneint wird. Anerkannt ist, dass ein bloßes Unterlassen des Opfers oder eines Dritten nicht geeignet ist, den Zurechnungszusammenhang zwischen einer aktiven Handlung des Täters und dem Erfolg zu unterbrechen – vielmehr verwirklicht sich allein das vom Täter gesetzte Risiko. Nimmt das Opfer also keine ärztliche Hilfe in Anspruch, obwohl ihm dies möglich wäre, und verstirbt in der Folge, bleibt dies dem Täter zurechenbar. Nichts anderes kann gelten, wenn das Opfer sich nicht erst nach der Tat, sondern bereits zuvor im Rahmen einer Patientenverfügung gegen die Inanspruchnahme bestimmter ärztlicher Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere lebensverlängernder Maßnahmen entschieden hat. Dies muss umso mehr gelten, als dass das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders geschützt ist (siehe hierzu auch unsere Besprechung der wichtigen BVerfG-Entscheidung zum Grundrecht auf Suizid). Der BGH führt hierzu aus:
„Zudem vermag die in der Patientenverfügung der Verstorbenen zum Ausdruck kommende eigenverantwortliche Entscheidung, auf eine „Maximaltherapie“ im Sinne einer apparategestützten Lebensverlängerung verzichten zu wollen, bei wertender Betrachtung auch aus rechtlichen Gründen eine zurechnungsunterbrechende Wirkung nicht zu entfalten. Der eigenverantwortlich in der Patientenverfügung niedergelegte Wille der Verstorbenen ist als Ausdruck ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts zu werten, wonach ein Patient in jeder Lebensphase, auch am Lebensende, das Recht hat, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 15)
An dieser Wertung ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass die Ärzte die Behandlung einstellten:
„Der Arzt, der in Umsetzung einer Patientenverfügung einen moribunden Zustand nicht durch intensivmedizinische Maßnahmen verlängert, beugt sich damit in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben lediglich dem Patientenwillen. Eine Zurechnungsunterbrechung folgt hieraus nicht.“ (BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 17)
Es handelt sich auch nicht um einen inadäquaten Geschehensverlauf: Sowohl die Schwere der Verletzung, als auch die Möglichkeit des Bestehens einer Patientenverfügung waren vorhersehbar (so auch BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – 3 StR 574/19, Rn. 18). Mithin verwirklicht sich in dem Tod des Opfers das vom Täter durch die gewaltsame Wegnahme der Tasche gesetzte Risiko, der Erfolg ist ihm objektiv zurechenbar.
Die übrigen Prüfungspunkte sind schnell abgehandelt: Neben der objektiven Zurechnung verwirklicht sich auch die spezifische Gefahr der Gewaltanwendung, sodass der gefahrspezifische Zusammenhang gegeben ist. Der Täter handelte auch rechtswidrig und schuldhaft – wobei im Rahmen der Schuldprüfung auf die subjektive Leichtfertigkeit des Täters einzugehen ist – und hat sich somit gemäß § 251 StGB strafbar gemacht.
III. Ausblick
Der vom BGH zu beurteilende Sachverhalt könnte ohne große Veränderung als Klausur gestellt werden. Trotz der Einkleidung in eine Prüfung des § 251 StGB liegt der Schwerpunkt der Problematik vielmehr im Allgemeinen Teil des Strafrechts. Die aufgeworfenen Fragen können nicht nur im Zusammenhang mit erfolgsqualifizierten Delikten relevant werden, sondern betreffen grundlegend die objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs. Durch das Spezialproblem der Patientenverfügung erfordert die Prüfung ein gewisses Argumentationsgeschick. Wer sich indes die Grundlagen der objektiven Zurechnung vergegenwärtigt und die grundrechtliche Wertung hinsichtlich des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben berücksichtigt, wird diesen und ähnliche Fälle ohne Probleme bewältigen können.