I. Sachverhalt
BGH, Urt. v. 23. 9. 1999 – III ZR 322/98, NJW 2000, 72 (leicht abgewandelt)
E ist als gewerblicher Erbensucher tätig. Bei Todesfällen, in denen das Nachlassgericht die Erben nicht ermitteln kann, werden im Bundesanzeiger Aufforderungen an die Erben zur Anmeldung ihres Erbrechts veröffentlicht. Daraufhin wird E aktiv und versucht, die Erben zu ermitteln. So auch im Falle des verstorbenen Erblassers X, wobei E die beiden Halbgeschwister des X, namentlich Bruder B und Schwester S als die gesetzlichen Erben ausfindig macht.
E teilte B und S das Bestehen eines Erbrechts mit, wollte die gesamte Nachlassangelegenheit allerdings nur gegen Abschluss einer Honorarvereinbarung in Höhe von 20 % des Nachlasses vollständig preisgeben. B und S lehnten jedoch den Vertragsschluss nicht nur entschieden ab, sondern ermittelten aufgrund der bereits von E erhaltenen Informationen den Nachlass auch selbst. Dadurch fiel den beiden Geschwistern ein Nachlass in Höhe von 100.000 € zu. E verlangt nun die Zahlung des Honorars. Er ist der Ansicht, dass – soweit kein Vertrag zu Stande gekommen sein sollte – sich jedenfalls aus der Führung der Geschäfte der beiden Geschwister oder aber zumindest aus ungerechtfertigter Bereicherung Ansprüche ergäben, wobei die Höhe mit 20 % des ermittelten Nachlasses für die Tätigkeit eines Erbensuchers angemessen sei.
Fallfrage: Kann E von B und S die Zahlung eines Honorars in Höhe von 20.000 € verlangen?
II. Gutachterliche Überlegungen
1. Ein Anspruch des E gegen B und S auf Zahlung von 20.000 € könnte sich zunächst aus einer vertraglichen Abrede ergeben. Soweit sich B und S gemeinschaftlich verpflichtet hätten, wäre eine gesamtschuldnerische Haftung anzunehmen, §§ 421, 427 BGB. Die für einen wirksamen Vertragsschluss erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärungen zur Bestimmung der essentiala negotii nach den §§ 145 ff. BGB liegen indes nicht vor, haben doch weder B noch S den Vertragsentwurf, den E ihnen vorgelegt hat, unterzeichnet.
Allerdings könnte sich aus dem Umstand, dass B und S die durch E gewonnenen Informationen gleichwohl verwertet haben, etwas anderes ergeben, wenn darin ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 242 BGB zu sehen wäre. Dazu führt der BGH aus (Rn. 9):
„Eine Treuwidrigkeit gegenüber dem Kläger lag hierin nicht, da die vom Kläger gewählte Art der Kontaktaufnahme keinen Vertrauenstatbestand zwischen den Parteien geschaffen hat. Es kann deswegen offenbleiben, inwieweit aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) überhaupt eine vertragliche Forderung auf Zahlung eines Entgelts hergeleitet werden könnte […].“
Diese Wertung ist mit Blick auf die durch die negative Privatautonomie letztlich vorgegebene gesetzliche Risikoverteilung zwingend, so dass ein vertraglicher Anspruch scheitert.
2. Vertragsähnliche Ansprüche aus c.i.c. nach §§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 2 BGB kommen ebenfalls nicht in Betracht – anders als z. T. in anderen Besprechungen dieses Falles angesprochen kann in dem einseitigen Tätigwerden im Hinblick auf einen Vertragsschluss keine Vertragsanbahnung gesehen werden (vgl. dazu etwa MüKo-BGB/Emmerich, 7. Aufl. 2016, § 311 Rn. 45 ff.).
3. Gleichwohl könnte sich ein Anspruch aus § 354 I HGB ergeben. Danach kann derjenige, der in Ausübung seines Handelsgewerbes einem anderen ein Geschäft besorgt, hierfür auch ohne die sonst erforderliche vertragliche Abrede eine Provision verlangen. Auch wenn E gemäß § 1 I, II HGB gewerblich als Erbensucher tätig wird, ist bereits unklar, ob § 354 I HGB als Anspruchsgrundlage zu qualifizieren ist. Dafür spricht ein flüchtiger Blick auf die Gestaltung der Vorschrift, die sowohl Voraussetzungen als auch Rechtsfolge zu regeln scheint. Dagegen streitet indes, dass dies eine unbillige Privilegierung von Kaufleuten gegenüber Nichtkaufleuten wäre – für nahezu jede Tätigkeit im Rahmen des Handelsgewerbes bestünde dann ein gesetzlicher Vergütungsanspruch, selbst wenn ein Vertrag zuvor explizit abgelehnt wurde. Deshalb ist richtigerweise davon auszugehen, dass § 354 I HGB allein eine die §§ 612, 632, 653 BGB ergänzende Funktion zukommt.
4. Ein Anspruch des E gegen B und S auf Zahlung der 20.000 € könnte aber aus den §§ 670, 677, 683 S. 1 BGB folgen. Im Rahmen des Aufwendungsersatzes der Geschäftsführung ohne Auftrag kann sich die Höhe des Anspruchs nämlich auf eine übliche Vergütung für ein im Bereich des eigenen Gewerbes liegendes Geschäft verdichten, § 1835 III BGB. Dann müsste E jedoch ein fremdes Geschäft für E und S in deren Willen geführt haben (vgl. zu den Grundzügen der GoA die vorzügliche Darstellung von Lorenz, Jus 2016, 12; eine instruktive Auseinandersetzung mit dem Erbensucherfall findet sich bei Falk, Jus 2003, 883).
Unabhängig vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen müsste ein derartiger Anspruch jedoch zunächst überhaupt anwendbar sein. Bedenken könnten sich aus dem Umstand ergeben, dass sich das Risiko des Scheiterns des Vertrages, das jede Partei grundsätzlich selbst zu tragen hat, auf diese Weise verlagern könnte. Die negative Privatautonomie, die zu einem Scheitern des Vertragsschlusses führt, würde anderenfalls ausgehebelt. Diese Gefahr sieht auch der BGH (Rn. 13):
„Es geht hier […] um die Vorbereitung und Anbahnung von Vertragsverhandlungen. Der Erbensucher verschafft sich durch seine Ermittlungstätigkeit das Material, das er den Erben gegen Entgelt überlassen, mit den Worten des Klägers „verkaufen“ will. Eigene Aufwendungen im Vorfeld eines Vertragsschlusses bleiben aber, sofern es nicht zu einem Abschluß kommt, nach den Regeln des Privatrechts unvergütet; jede Seite trägt das Risiko eines Scheiterns der Vertragsverhandlungen selbst. Diese im Gefüge der Vertragsrechtsordnung angelegte und letztlich auf die Privatautonomie zurückzuführende Risikoverteilung würde durch Zulassung von Aufwendungsersatzansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag unterlaufen.“
Insoweit zieht der BGH einen Vergleich mit unerkannt nichtigen Verträgen (Rn. 13):
„Insofern liegt es anders als bei der Erfüllung unerkannt nichtiger Verträge, auf die die Revision hinweist und bei der in der Tat eine Geschäftsführung ohne Auftrag regelmäßig zu bejahen ist […]. Hier entspricht der Leistungsaustausch dem geäußerten tatsächlichen Willen der Vertragschließenden.“
Mit dieser Argumentation ist in Klausuren allerdings Vorsicht geboten: Denn auch bei nichtigen Verträgen muss nach Ansicht der vorzugswürdigen herrschenden Lehre die Anwendbarkeit der GoA verneint werden (s. nur Jauernig/Mansel/Mansel, BGB, 16. Aufl. 2015, § 677, Rn. 6). Anderenfalls liefen die besonderen Rückabwicklungsregeln des Kondiktionsrechts für nichtige Verträge leer (etwa §§ 814, 817 S.2, 818 III BGB). Zwar gelangt auch der BGH in solchen Fällen in aller Regel zu demselben Ergebnis, indem er die GoA mit dem Argument ablehnt, der Geschäftsführer habe im Rahmen des nichtigen Vertrages seine Aufwendungen für nicht erforderlich halten dürfen, und prüft anschließend ebenso die §§ 812 ff. BGB. Diese Vorgehensweise ist für Prüfungssituationen aber weniger empfehlenswert, stellt eine echte berechtigte GoA doch einen Rechtsgrund im Sinne der §§ 812 ff. BGB dar.
Dennoch ist dieser konzeptionelle Unterschied zwischen nichtigen Verträgen einerseits und der negativen Privatautonomie andererseits im Hinblick auf den tatsächlichen Willen zum Vertragsschluss, der allein aus einem Nichtigkeitsgrund scheitert, nachvollziehbar und kann für die vorliegende Fallkonstellation durchaus fruchtbar gemacht werden – nur eben nicht mit dem Verweis des BGH, dass bei nichtigen Verträgen die GoA anwendbar sei.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich der Erbe in anderen Fallkonstellationen auch Aufwendungsersatzansprüchen mehrerer Erbensuchern gegenübersehen könnte, obwohl er nie vertraglich gebunden sein wollte – dies wäre ebenfalls alles andere als interessengerecht. So führt der BGH aus (Rn. 14):
„Die Annahme einer (berechtigten) Geschäftsführung ohne Auftrag in derartigen Fällen wäre schließlich auch deswegen nicht interessengerecht, weil sich der Erbe bei Bemühungen mehrerer Erbensucher unabhängig voneinander Ansprüchen aller dieser Erbenermittler auf Aufwendungsersatz ausgesetzt sähe, ohne daß er sich ihnen gegenüber – wie bei mehreren Maklern – aufgrund der ersten Information über sein Erbrecht etwa auf Vorkenntnis berufen könnte.“
Wegen der vorgenannten Erwägungen scheitert ein Anspruch aus den §§ 670, 677, 683 S. 1 BGB iVm § 1835 III BGB. Oder, um es mit den Worten des BGH zu sagen (Rn. 13):
„Aus den genannten Gründen kennt die Privatrechtsordnung grundsätzlich auch keine Pflicht zur Vergütung ungefragt überlassener, nicht durch Ausschließlichkeitsrechte (z. B. Patentrecht) geschützter Informationen; ein Entgelt dafür ist vielmehr lediglich auf vertraglicher Grundlage zu zahlen“.
5. Nichts anderes kann sich wertungsmäßig aus weiteren gesetzlichen Anspruchsgrundlagen wie § 687 II BGBV iVm §§ 684 S. 1, 812 BGB oder § 812 I 1 BGB ergeben.
III. Schlussbemerkung
Zuletzt bleibt der Vollständigkeit halber noch – neben den oben erwähnten Wertungen der Privatrechtordnung und der streitigen Behandlung nichtiger Verträge – auf eine weitere – freilich in § 241a I BGB kodifizierte – Fallkonstellation hinzuweisen, in der die Anwendbarkeit der GoA verneint wird: Die Zusendung unbestellter Waren durch einen Unternehmer an einen Verbraucher.
Der Erbensucherfall reiht sich in Kette von BGH-Entscheidungen ein, die den Anwendungsbereich der GoA nach vorheriger, deutlich extensiverer Auslegung wieder begrenzen. Grund dessen ist nicht zuletzt die Tatsache, dass der Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten begrüßenswerter Weise einige Gesetzeslücken geschlossen hat, und damit eine ausufernde Auslegung der GoA durch die Gerichte hat überflüssig werden lassen. Und auch wenn die besprochene Entscheidung aus dem Jahre 1999 stammt, ist das Verstehen der dort getroffenen Erwägungen für die Lösung ähnlicher Konstellationen noch immer elementar.
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