Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag in Form einer (ausformulierten) Klausurlösung eines realistischen Falles von Kamil Ugur veröffentlichen zu können. Der Autor hat in Köln Jura studiert und absolviert aktuell sein Rechtsreferendariat am LG Mönchengladbach.
Einleitung
Die Entschärfung von Fliegerbomben aus dem zweiten Weltkrieg ist ein hochaktuelles Thema. So erfolgte vor kurzem in Köln die größte Evakuierung in der Kölner Nachkriegsgeschichte. Auch in der kleinen Stadt Hückelhoven (Kreis Heinsberg) wurde im April zwei Fliegerbomben entschärft.
Zu klären ist, wer die Kosten für eine Evakuierung aus Anlass der Bombenentschärfung trägt. Vorab muss beantwortet werden, was unter „Kosten“ zu verstehen sind. Dazu gehören neben den Kosten für den Einsatz des Kampfmittelräumdienstes, auch die Kosten für die Arbeit von Schlüsseldiensten, Busunternehmen und für die Verpflegung der Einsatzkräfte. Unter vorbereitende Maßnahmen fallen vor allem Sicherungsmaßnahmen, wie die Durchführung von Absperr- Evakuierungsmaßnahmen bei Entschärfungen, Aufstellung von Warnschildern, Sicherung von Baugruben etc.
Weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur wurde die Frage der Kostenertragungspflicht für die vorbereitenden Maßnahmen einheitlich beantwortet. Zwar gibt es vereinzelte Entscheidungen, die auf die Kostenertragungspflicht im Rahmen der Evakuierungsmaßnahmen eingehen. Zu erwähnen sind hier die Entscheidungen des VG Hannover vom 11.10.2012 (Aktz. 10 A 423/11) und die des OVG Münster vom 03.06.1997. Jedoch handelt es sich hier um einzelne Fälle, die generell die Frage der Kostenertragungspflicht nicht beantworten.
Häufig wird versucht, den Bauherren/Eigentümer die Kosten für die vorbereitenden Maßnahmen aufzuerlegen. Zu prüfen wäre, ob dies ohne Weiteres möglich ist. Denkbar wäre der folgende Sachverhalt im Examen
Sachverhalt
A kauf sich ein Grundstück in der Stadt X. Bei Abschluss des Kaufvertrags wird ihm offengelegt, dass auf dem Grundstück während des zweiten Weltkriegs Waffen und Munitionen gelagert worden sind. Nach einem Jahr findet er mehrere Kampfmittel auf seinem Grundstück und setzt die Ordnungsbehörde der Stadt X unverzüglich in Kenntnis. Die Kampfmittel befinden sich in einer Tiefe von mehr als 1 m im Erdreich. Die Ordnungsbehörde der Stadt X weist den A per Ordnungsverfügung an, das Grundstück zur Vorbereitung der Entschärfung zu sichern und die Geländeoberfläche des Grundstücks durch eine von der Bezirksregierung autorisierte Fachfirma bis zur Geländeoberkante abzutragen. Er wird verpflichtet, auf eigene Kosten die Vorbereitungsmaßnahmen für eine Kampfmittelräumung durchzuführen. Zugleich wird die sofortige Vollziehung angeordnet. Die sofortige Vollziehung wird ordnungsgemäß begründet. Eine Anhörung vor Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte nicht. A möchte im einstweiligen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehungsanordnung vorgehen. Ob er Anfechtungsklage gegen die Verfügung erhebt, möchte er sich noch überlegen.
(Dieser Sachverhalt ist einer Entscheidung des NdsOVG, NVwZ-RR 2006, 397 f. nachgebildet.)’
Hat der Antrag des A auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht?
Hinweise: Die Verfügung ist formell ordnungsgemäß ergangen
Der Verkehrswert des Grundstücks liegt bei 50.000 €
Die Kosten für die vorbereitende Maßnahmen werden auf 100.000 € geschätzt.
Hinzuweisen ist zudem auf folgende gesetzliche Regelung:
Gesetz zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden (Allgemeines Kriegsfolgengesetz)
§ 19 Ansprüche aus dinglichen Rechten und aus der Beeinträchtigung dieser Rechte
(1) Ansprüche (§ 1) aus dem Eigentum oder anderen Rechten an einer Sache auf Herausgabe der Sache sind zu erfüllen. Bei einem Anspruch auf Herausgabe eines Grundstücks finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Ansprüche aus dem Eigentum mit der Maßgabe Anwendung, daß bis zum Ablauf der in § 20 Abs. 1 bezeichneten Fristen die in §§ 987 bis 992 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Voraussetzungen als nicht vorliegend zu erachten sind. Ansprüche auf Nutzungsentschädigung nach § 11 bleiben unberührt.
(2) Ansprüche (§ 1), die auf einer sonstigen Beeinträchtigung oder Verletzung des Eigentums oder anderer Rechte an einer Sache oder an einem Recht beruhen, sind nur dann zu erfüllen,
1. wenn die Erfüllung des Anspruchs zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit erforderlich ist oder
2. wenn der Beeinträchtigung oder Verletzung eine nach dem 31. Juli 1945 begangene Handlung zugrunde liegt, es sei denn, daß die Beeinträchtigung oder Verletzung auf Veranlassung der Besatzungsmächte erfolgt ist. Bei einem Beseitigungsanspruch kann der Anspruchsschuldner (§ 25) den Anspruchsberechtigten in Geld entschädigen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 vorliegen. Die Entschädigung soll den gemeinen Wert der Sache oder des Rechts nicht übersteigen, den diese ohne Beeinträchtigung haben würden.
Lösung
A) Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
1.) Zuständig für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist das Gericht der Hauptsache. Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich.
2.) Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs richtet sich nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Es müsste sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Eine solche liegt vor, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist (Kopp/ Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 40 Rn. 6). Mangels spezialgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage kommt hier § 14 Abs. 1 OBG NRW als streitentscheidende Norm in Betracht. Diese Norm berechtigt ausschließlich die Ordnungsbehörde als Träger der hoheitlichen Gewalt zu Gefahrenabwehrmaßnahmen. Mangels Vorliegens einer doppelten Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art.
3) Abdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich, so dass der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I 1 VwGO eröffnet ist.
II. Statthafte Antragsart
Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem Antragsbegehren (vgl. §§ 122 Abs.1, 88 VwGO analog). Gem. § 123 Abs.5 VwGO sind Anträge nach den §§ 80, 80 a VwGO vorrangig gegenüber dem Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.1 VwGO. Der Antrag nach §§ 80, 80 a ist statthat, wenn ein Verwaltungsakt vorliegt, gegen den ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. A möchte die Vollziehung der Ordnungsverfügung verhindern.
Bei der Verfügung der Behörde handelt es sich um eine Einzelfallregelung der Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Außenwirkung. Demnach liegt ein VA im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG vor. Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO entfallen. Statthaft ist somit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1, 2. Alt. VwGO.
III. Antragsbefugnis
A muss auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO antragsbefugt sein, § 42 Abs. 2 VwGO analog. Es reicht dabei aus, wenn nach dem Sachvortrag des A die Möglichkeit besteht, dass er in eigenen Rechten verletzt ist. Vorliegend ist A als Adressat der Verfügung möglicherweise in seinen Rechten aus Art. 14 verletzt worden.
IV. Antragsgegner
Der Antrag ist gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog gegen die Stadt X als Rechtsträger der Ordnungsbehörde zu richten. Diese wird im Verfahren nach § 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW durch den Bürgermeister vertreten.
V. Rechtsschutzbedürfnis
Schließlich muss ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1, Alt. 2 VwGO bestehen. Daran fehlt es, wenn ein einfacherer, schneller oder kostengünstigerer Weg offensteht, um das erstrebte Ziel zu erreichen.
1. Einlegung eines Hauptsacherechtsbehelfs
Umstritten ist, ob die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO voraussetzt, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der Hauptsacherechtsbehelf eingelegt ist. Vorliegend hat der A noch keine Anfechtungsklage erhoben. Sein Rechtsschutzbedürfnis könnte daher aufgrund des Fehlens eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache entfallen.
Teilweise wird vertreten, der Antragssteller müsse den Rechtsbehelf bereits erhoben haben. Dabei wird insbesondere darauf verwiesen, dass die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs denklogisch zumindest kurzzeitig einmal bestanden haben muss, damit sie nach dem Wortlaut des § 80 Abs.5 S.1, 2. Hs. VwGO widerhergestellt werden kann (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 407 f.; OVG NRW NVwZ –RR 2001, 54f.)) Dagegen hält die überwiegende Ansicht einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits vor Einlegung des Rechtsbehelfs für zulässig (VGH Mannheim NVwZ (1995 ,292)) Denn ansonsten entstehe eine mit dem Zweck der Frist nach § 74 Abs. 1 VwGO als Überlegungs- und Vorbereitungszeit unvereinbare faktische Verkürzung der für die Hauptsache geltenden Rechtsbehelfsfristen. Zudem sei der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 2 ebenfalls schon vor Einlegung eines Rechtsbehelfs, die Anfechtungsklage, zulässig. Mit der herrschenden Meinung führt die nicht vorherige Erhebung der Anfechtungsklage nicht zum Entfall des Rechtsschutzbedürfnisses.
2. Erfordernis eines vorherigen Antrags bei der Behörde gem. § 80 Abs. 4 VwGO
Fraglich ist weiter, ob A sich vor Stellung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht zunächst an die Ordnungsbehörde wenden müsste. § 80 Abs. 6 VwGO ordnet dies aber ausdrücklich nur für die Fälle des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in allen anderen Fällen ein behördliches Vorverfahren gerade nicht gewollt ist.
B) Begründetheit
Der Antrag des A auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist und/oder eine Interessenabwägung des Gerichts ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des A das öffentliche Vollziehungsinteresse der Behörde überwiegt.
I. Formelle Rechtmäßigkeit
1.) Zuständigkeit
Zuständig zur Anordnung der sofortigen Vollziehung ist gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat. Die Ordnungsbehörde der Stadt X ist folglich als Ausgangsbehörde zuständig.
2.) Ordnungsgemäßes Verfahren
Fraglich ist, ob eine Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG NW zur Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgen müsste. Eine Anhörung erfolgte nicht. Nach § 28 Abs.1 VwVfG NW muss die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift. Einer direkten Anwendung des § 28 Abs. 1 VwVfG NW steht die fehlende Verwaltungsaktqualität der Vollziehungsanordnung entgegen. Anders als ein VA kann die Vollziehungsanordnung weder in Bestandskraft erwachsen noch mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden ( Kopp/Schenke, § 80 Rdn. 82)
Zu prüfen bleibt, ob eine Anhörungspflicht in analoger Anwendung des § 28 Abs. 1 VwVfG NW besteht. Voraussetzungen einer analogen Anwendung sind planwidriger Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage. Hier fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Denn § 80 Abs. 3 VwGO regelt die formellen Anforderungen an eine Anordnung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO abschließend in dem Sinne, dass lediglich eine schriftliche Begründung erforderlich ist.
Eine Anhörung war somit nicht erforderlich
3.) Form
Die Ordnungsbehörde müsste die Anordnung der sofortigen Vollziehung entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO begründet haben. Die Begründung muss schriftlich erfolgen und erfordert einzelfallbezogene Erwägung, die deutlich machen, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehbarkeit bewusst ist. Laut Sachverhalt wurde die sofortige Vollziehung ordnungsgemäß begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erging folglich formell rechtmäßig.
II. Interessenabwägung
Der Antrag ist jedoch auch dann begründet, wenn eine vom Gericht selbstvorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des A an der Aussetzung der Vollziehung (Aussetzungsinteresse) das Interesse der Allgemeinheit an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Vollziehungsinteresse) überwiegt (vgl. Kopp/Schenke, § 80 Rn. 83)
Die Interessenabwägung richtet sich nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache (vgl. BVerwG, DVBl. 1974, 566; NJW 1995, 715 (716)).
Von einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses ist auszugehen, wenn der VA offenschlich rechtswidrig ist. Denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen VA kann ein öffentliches Interesse nicht bestehen (vgl. Kopp/Schenke, § 80 Rn.158). Umgekehrt ergibt sich aus der Rechtmäßigkeit des VA nicht ohne Weiteres ein besonderes Vollziehungsinteresse, da die Rechtmäßigkeit der Normalfall sein soll. Das Vollziehungsinteresse müsste in diesem Fall besonders nachgewiesen werden (vgl. Kopp/Schenke, § 80, Rdn. 158)
1. Rechtmäßigkeit des VA
Zunächst ist also die Rechtmäßigkeit des VA zu prüfen.
a) Ermächtigungsgrundlage
Die Ordnungsverfügung bedarf als belastender Verwaltungsakt nach dem Grundsatz vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes gem. Art. 20 Abs. 3 GG einer Rechtsgrundlage. Mangels spezieller Ermächtigungsnormen kommt als Ermächtigungsgrundlage nur § 14 Abs. 1 OBG NW in Betracht.
b) Formelle Rechtmäßigkeit
Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit bestehen keine Bedenken.
c) Materielle Rechtmäßigkeit
Die Verfügung ist auch materiell rechtmäßig, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 OBG NRW vorliegen sowie A richtiger Adressat des verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei erlassenen Verwaltungsaktes ist.
aa) Tatbestandsvoraussetzungen
Es müsste eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 OBG NRW vorliegen, d.h. es müsste im konkreten Fall in absehbarer Zeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens für eines der geschützten Güter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestanden haben. Je größer der zu erwartenden Schaden und je höherwertiger die beeinträchtigten Rechtsgüter sind, desto niedrigere Anforderungen sind an die zeitliche Nähe und die Wahrscheinlichkeit sind zu stellen.
Die öffentliche Sicherheit umfasst drei Schutzgüter: Rechtsgüter Einzelner, die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung sowie die Veranstaltung des Staates und seiner Einrichtung (vgl. Dietlein, Burgi, Hellermann, Öffentliches Recht in NW, 4. Aufl. 2011, § 3 Rn. 50 ff.) Durch eine mögliche Explosion von Kampfmitteln könnte das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Anwohner verletzt werden. Aufgrund der höherrangige Rechtsgüter und des drohenden Schadensausmaßes sind an die zeitliche Nähe keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der Eintritt des Schadens ist jederzeit möglich.
Somit liegt eine Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit vor.
bb) Verantwortlichkeit des A
A könnte Verhaltensstörer i.S. d § 17 Abs.1 OBG NRW sein. Dann müsste er die Gefahr selbst verursacht haben. Jedoch hat A weder die Kampfmittel selbst produziert noch in irgendeiner Weise genutzt.
A könnte jedoch Zustandsstörer nach § 18 Abs.1, 2 OBG NRW sein. Er könnte sowohl als Inhaber der tatsächlichen Gewalt (Abs.2) Zustandsverantwortlicher sein als auch aus seiner Eigentümerstellung (Abs.1).
Die Kampfmittel befinden sich auf dem Grundstück des A. A hat die Möglichkeit andere vom Zugriff auf die Kampfmittel auszuschließen. Er hat somit die Sachherrschaft inne.
A ist Zustandsverantwortlicher nach § 18 Abs. 2 OBG NRW.
Zudem kann angenommen werden, dass die Kampfmittel wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden sind, §§ 946, 94 BGB (vgl. Folz, JuS 1965, 41 ff; Gebhardt, DÖV 1986, 545 ff.) Dafür spricht, dass die Kampfmittel in einer Tiefe von mehr als 1 m im Erdreich befinden. Zudem ist die Beseitigung der Kampfmittel mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden.
A ist somit aufgrund seiner Eigentümerstellung hinsichtlich der Kampfmittel zustandsverantwortlich nach § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW (eine andere Ansicht mit guter Begründung vertretbar).
cc) Ermessen
Weiterhin müsste die Ordnungsverfügung hinsichtlich der Inanspruchnahme des A wie auch der Störerauswahl ermessensfehlerfrei sein. § 14 Abs. 1 OBG NRW räumt der Ordnungsbehörde Ermessen ein.
Vorliegend könnte die Behörde hinsichtlich der Störerauswahl ermessensfehlerhaft gehandelt haben. Es ist zu berücksichtigen, dass das Deutsche Reich unmittelbarer Verursacher der Gefahr war, indem es die Kampfmittel unsachgemäß auf dem Grundstück verwahrte. Daraus könnte sich die Verantwortlichkeit der BRD ergeben. Die Bundesrepublik ist mit dem Deutschen Reich teilidentisch, da es nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs zu keinem Ende deutscher Gewalt gekommen ist (vgl. BVerfGE 36,1). Hier ist wiederum zu berücksichtigen, dass nach den durch Art. 134 Abs.4 und Art. 135a Abs. 1 GG gedeckten Regelungen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) Ansprüche gegen das Reich grundsätzlich erloschen sind. Ansprüche gegen den Bund bestehen lediglich im Hinblick auf § 19 AKG * (siehe unten). Nach § 19 Abs. 2 AKG ist eine Verantwortlichkeit beim Bund lediglich für die unmittelbare Kampfmittelbeseitigung geblieben. Auf die vorbereitenden Maßnahmen ist diese Vorschrift nicht anwendbar. Demnach kann eine Verantwortlichkeit des Bundes für Handlungen des Reiches nicht angenommen werden.
Da die Kampfmittel als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks einzuordnen sind, ist eine originäre Zustandsverantwortlichkeit des Bundes ebenfalls abzulehnen.
Die Störerauswahl erfolgte somit ermessensfehlerfrei. Fraglich ist, ob eine Ermessensüberschreitung in Form des Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegt. Die Anordnung der Vorbereitungsmaßnahme ist geeignet, erforderlich und angemessen, da die Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger stehen. Dies dürfte insoweit unproblematisch zu sein.
Problematisch ist jedoch, ob die Auferlegung der gesamten Kosten verhältnismäßig ist. Die Verpflichtung zu den erforderlichen Erdarbeiten auf eigene Kosten berührt den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und stellt eine Inhalts-und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs.1 Satz 2 dar (vgl. BVerfGE 102,1 (15 f.); Papier, NWVBl. 1989, 322 (326)). Die Belastung mit den Kosten könnte insbesondere dann unzumutbar sein, wenn die Gefährdungslage der Allgemeinheit zuzurechnen wäre. In diesem Fall wäre dem Eigentümer im Übermaß Risiken aufgebürdet, die auf Umständen beruhen, die von der Sachherrschaft über das Grundstück losgelöst jenseits seiner Verantwortlichkeit liegen (BVerfGE 102, 1 (21)). Die Kontaminierung mit Kampfmitteln ist hier der Allgemeinheit zuzurechnen, sodass man die Pflicht zur alleinigen Kostenertragung für unzumutbar halten kann.
Hier stellt sich die Frage, weshalb der einzelne Bürger für Gefahren haften soll, auf deren Entstehen er keinerlei Einfluss und von denen er auch keine Kenntnis hatte, sondern die das Ergebnis gesamtgesellschaftlicher Ereignisse und Prozesse sind. Teilweise wird hier auf das Kriterium des Verkehrswerts abgestellt. Auch wenn das Kriterium des Verkehrswerts nicht unproblematisch ist, kann es, solange keine gesetzliche Regelung existiert als Orientierung dienen. Hier liegt der Verkehrswert des Grundstücks bei 50.000 € und die Kosten für die vorbereitende Maßnahme bei 100.000 €. Demnach ist die kostenrechtliche Inanspruchnahme des A unverhältnismäßig.
Eine Unzumutbarkeit muss allerdings dann verneint werden, wenn A Kenntnis hinsichtlich der Kontaminierung gehabt hat Dann kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von einer bewussten Inkaufnahme der Risiken ausgegangen werden und eine verminderte Schutzwürdigkeit angenommen werden (vgl. BVerfGE 102, 1 (21 f.)). A hatte zwar von den in der Vergangenheit aufgefundenen Munitionsrückständen Kenntnis. Ihm fehlte jedoch jegliche Vorstellung über das konkrete Ausmaß und den tatsächlichen Gefährdungsgrad der Kontaminierung. Deshalb erscheint ein Ausschluss der Unzumutbarkeit zweifelhaft. ( vgl. Entscheidung des NdsOVG, NVwZ-RR 2006, 397 f.)
Nach summarischer Prüfung ist die Verfügung materiell rechtswidrig. Somit überwiegt das Aussetzungsinteresse.
Der Antrag nach 80 Abs.5 S.1, 2. Alt VwGO auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet.