Gestern hat das LG Frankfurt dem verurteilten Mörder Magnus Gäfgen eine Entschädigung i.H.v. 3000 Euro zugesprochen. Anspruchgegner ist das Land Hessen. Dessen Polizeibehörden hatten den Kläger im Jahre 2002 unter Androhung von Gewalt und Folter dazu bringen wollen, den Aufenthaltsort seines Entführungsopfers preiszugeben. Zur Zeit der Folterandrohung war das Opfer jedoch schon nicht mehr am Leben, was der Polizei nicht bekannt war.
Gäfgen, der sich auf Grund der Vernehmungsmethoden durch alle Instanzen bis zum EGMR „hochgeklagt“ hatte, konnte nun vor dem LG Frankfurt einen Teilerfolg für sich verbuchen. Der EGMR hatte im Juni 2010 entschieden (Az. 22978/05) , dass Gäfgen in seinen Rechten aus Art. 3 EMRK verletzt sei und dass die Strafen gegen die damals ermittelnden Beamten zu niedrig ausgefallen seien. Das Folterverbot gilt nach dem EGMR uneingeschränkt (Leitsatz 1)und ist daher keine Abwägung zugänglich (vgl. dazu auch NJW-Spezial 2010, 472). Ob vorliegend ein Verwertungsverbot zum Tragen kommt, erörtert der EGMR nicht abschließend. Allerdings sei festzuhalten, dass dem damaligen Beschwerdeführer eine Kompensation im innerstaatlichen Recht zukommen müsse (Rn. 126 f.). Der Zivilprozess vor dem LG Frankfurt gegen das Land Hessen war ausgerichtet auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in unbekannter Höhe und ist also als Folgeprozess zu sehen. Der Kläger brachte hier vor, er habe von der Vernehmung psychische Schäden davongetragen. Das ließ sich aber während des Verfahrens nicht beweisen, sodass dem Kläger lediglich eine Entschädigung in Höhe von 3000 Euro zugesprochen wurde.
Welches Verfahren? Eine Entschädigung kann auch vom EGMR direkt zugesprochen werden, vgl. Art. 41 EMRK, allerdings nur subsidiär. Vorliegend hat der EGMR Kritik geübt an der Handhabe der Schadensersatzklage der deutschen Gerichte und besonders festgehalten, dass das Foltervebrot absolut gilt. Die Entscheidung des LG Frankfurt ist also in diesem Zusammenhang als Reaktion zu sehen. Das LG Frankfurt entscheidet daher auf Grundlage des klassichen Anspruchsgrundlage der Amtshaftung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.
Rechtsfolge? Die von Seiten des Klägers vorgebrachten psychischen Folgeerscheinungen ließen sich im Laufe des Verfahrens wohl nicht beweisen. Damit ist diesbezüglich ein Schadensersatz nicht möglich. Allerdings liegt das Urteil noch nicht vor. Die Nachrichtenmeldungen sprechen von Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld und /oder Entschädigungen. BECK spricht jedenfalls von Schmerzensgeld. Details bleiben abzuwarten.
Aufrechnung und Privatinsolvenz? Im Jahr 2006 hat Gäfgen Privatinsolvenz angemeldet. Fraglich könnte daher sein, ob er die 3000 Euro überhaupt jemals zu Gesicht bekommen wird. Als Anhaltspunkt könnte eine Entschiedung des BGH vom März 2011 dienen (Az. IX ZR 180/10). Hier hat der BGH entschieden, dass eine Entschädigung, die seitens des EGMR zugesprochen wird, weder pfändbar, noch abtretbar ist (Rn. 8).
Der zuerkannte Entschädigungsbetrag sei nicht gemäß § 399 BGB übertragbar und gemäß § 851 Abs. 1 ZPO pfändbar.
Diese fällt ebenso nicht in die Insolvenzmasse (Leitsatz 1).
Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einem Individualbeschwerdeführer zugesprochene Entschädigung wegen der durch eine Menschenrechtsverletzung infolge überlanger Verfahrensdauer erlittenen immateriellen Schäden ist nicht abtretbar und pfändbar; sie fällt bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beschwerdeführers nicht in die Insolvenzmasse.
In diesem Verfahren ging es allerdings um eine Entschädigung des EGMR selbst nach Art. 41 EMRK. Die Rechtsprechung kann also nicht unbedingt überragen werden, hat doch der BGH doch festgehalten, dass es sich bei der Entschädigung des Art. 41 EMRK gerade um eine solche handelt, die das nationale Recht nicht zusprechen kann (Rn. 9). Dies ist vorliegend nicht der Fall, allerdings hat der EGMR explizit auf die Beschleunigung des Verfahrens hingewiesen. Dies nur als Denkanstoß…
Eigene Ansicht: An dieser Stelle möchte ich mir auch eine eigene Ansicht erlauben. Vorwegnehmen möchte ich, dass solch ein Urteil die Volksseele zum Kochen bringt und das kann sicher nachvollzogen werden. In den nächsten Tagen ist mit Juristenschelte und Kollektivbestrafung zu rechnen. Nach außen hin mag das verständlich sein. Blickt man allerdings auf die Hintergründe und insbesondere auf das Urteil des EGMR aus dem Juni diesen Jahres, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Bundesrepublik und ihre Gerichte gut daran tun, das Verfahren jetzt verhandelt und zu einem Schluss gebracht zu haben. Denn Folge wäre ansonsten ein weiterer Gang Gäfgens zum EGMR gewesen, womöglich noch mit der Folge, dass dieser höchstselbst eine Entschädigung ausgesprochen hätte. Nach den Entscheidungen zu überlanger Verfahrensdauer und der Sicherheitsverwahrung wäre so etwas sicher zu vermeiden gewesen. So viel aus rechtspolitischer Sicht. Aber auch ansonsten sollte man mit überschäumender Kritik in meinen Augen vorsichtig sein; ein Folterverbot, die Entlassung aus der Sicherheitsverwahrung oder der Zuspruch einer Entschädigung sind Ausflüsse aus dem Rechtsstaatsprinzip, das eines unserer höchsten Güter und Errungenschaften darstellt. Dabei geht darum, dass wir als freie und rechtsstaatliche Gesellschaft es auch und gerade in solchen extremen Situationen schaffen, unsere Werte zu erhalten. Versteht mich bitte nicht falsch…das mag vom Schreibtisch alles klug und richtig klingen, aber in er konkreten Situation hätte wohl fast jeder genauso gehandelt (?!). Umso wichtiger ist es aber aus meiner Sicht, dass es Instanzen gibt, die ein solches Verhalten aus der Ferne und mit Abstand betrachten können.