Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Julian Götz, derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln, veröffentlichen zu können.
Der sogenannte Dieselskandal schlägt derzeit hohe Wellen und hat sich nahezu auf die gesamte Automobilbranche ausgeweitet.
Im Kern geht es darum, dass die betroffenen Fahrzeuge mit einer Software zur Optimierung / Manipulation der Abgaswerte ausgestattet sind. Die Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Straßenverkehr befindet. Stellt die Software fest, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, manipuliert bzw. optimiert die Software die Stickoxid-Emissionswerte, sodass die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm eingehalten werden. Im normalen Straßenverkehr greift die Software nicht ein. Das bedeutet, dass die Grenzwerte im Alltag auf der Straße nicht eingehalten werden und der Stickoxid Grenzwert teilweise bis zum 30-fachen überschritten wird.
Viele der betroffenen Kfz Eigentümer fühlen sich von den Automobilherstellern hintergangen und möchten ihre Fahrzeuge zurückgeben. Dies hat zu unzähligen Verfahren vor deutschen Gerichten geführt. In diesem Zusammenhang sollen nachfolgend insbesondere die Probleme bei einem erklärten Rücktritt näher beleuchtet werden (zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung siehe LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15).
I. Gegenseitiger Vertrag
Für einen etwaigen Rücktritt muss natürlich zunächst ein wirksamer Kaufvertrag über das Auto zustande gekommen sein.
II. (Nicht-) oder Schlechtleistung
Der Schuldner, in diesem Fall der Verkäufer, müsste seine Leistung nicht vertragsgemäß erbracht haben (§§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 Var. 2 BGB). Das ist der Fall, wenn das Fahrzeug mangelhaft ist, also die Ist- von der Sollbeschaffenheit negativ abweicht.
Dass Käufer und Verkäufer die Erfüllung einer bestimmten Abgasnorm vereinbart haben, dürfte in den wenigsten Fällen vorkommen (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Die Fahrzeuge mit der sogenannten „Schummelsoftware“ eignen sich zudem für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB). Sie lassen sich ganz normal, ohne Einschränkungen im Straßenverkehr bewegen.
Die Gerichte gehen aber weit überwiegend davon aus, dass ein Mangel gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vorliegt (hierzu ausführlich LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16). Danach ist eine Sache frei von Mängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Der Ausstoß von Emissionen und die damit verbundene Einstufung in eine Abgasnorm zählen zur Beschaffenheit eines Fahrzeugs (LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16). Die Mangelhaftigkeit liegt darin, dass die betroffenen Fahrzeuge die Abgasnorm nur auf dem Prüfstand und nur mit Hilfe der Schummelsoftware einhalten. Das LG Münster stellte hierzu in einem Urteil vom 14. März 2016 (Az. 11 O 341/15) fest:
Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
Die Tatsache, dass die Emissionswerte im Straßenverkehr regelmäßig über denen auf dem Prüfstand liegen, steht dem nicht entgegen, denn „die Abweichungen beruhen im Falle der Umschaltlogik der Software gerade nicht auf den dem Kunden bekannten Unterschieden zwischen synthetischem Prüfstandsbetrieb und realem Alltagsbetrieb“ (LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16). Sollten tatsächlich punktuelle Fahrverbote für entsprechende Dieselfahrzeuge, etwa wie diskutiert in einigen Innenstädten, erlassen werden, könnte allein dieser Umstand zur Mangelhaftigkeit des PKW führen – dann wohl schon als Mangel mit Blick auf die vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB).
III. Erfolgloser Fristablauf
Grundsätzlich muss der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Leistung bzw. Nacherfüllung setzen (§ 323 Abs. 1 BGB). In Betracht kommt jedoch eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, wegen Vorliegens besonderer Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Verschweigt der Verkäufer einen Mangel der gekauften Sache arglistig, so ist er nicht schutzwürdig und eine Fristsetzung für den Käufer entbehrlich. Dass die Hersteller die Software vorsätzlich und nicht nur aus Versehen eingebaut haben, dürfte außer Frage stehen. Unklar ist jedoch, wer etwas davon wusste, insbesondere bei den Automobilhändlern. Denn diese sind meist die Vertragspartner der Käufer und diesen müsste das Wissen der Hersteller zugerechnet werden. Die Frage der Wissenszurechnung wird von den Gerichten bislang unterschiedlich beurteilt (Zurechnung ja: LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15; LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017, Az. 3 O 139/16; Zurechnung nein: LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16; LG Frankenthal, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 8 O 208/15; LG Dortmund, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 25 O 6/16; LG Ellwangen, Urteil vom 19. Oktober 2016, Az. 3 O 55/16).
Manche Gerichte gehen auch von einer Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB aus, welche eine Fristsetzung ebenso entbehrlich macht (hierzu ausführlich LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16). Hier spielen Dinge eine Rolle, wie beispielsweise der Vertrauensbruch zwischen Käufer und Automobilhersteller und die Frage, wie sich eine etwaige Nachbesserung auf Spritverbrauch, Abgasemission, Fahrverhalten, Haltbarkeit und Wert des Fahrzeugs auswirkt. All diese Fragen sind weder gerichtlich noch wissenschaftlich endgültig geklärt, sodass hier mit entsprechender Begründung wohl noch alles vertreten werden kann. Es kommt in der Klausur auf den Einzelfall an.
IV. Kein Ausschluss
Der Rücktritt dürfte nicht ausgeschlossen sein. Im Kontext der Schummelsoftware kommt hier § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB besondere Bedeutung zu. Demnach kann der Käufer bei einer Schlechtleistung des Verkäufers nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. Bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist auch jeder noch so kleine Mangel erheblich. Der Bundesgerichtshof unterscheidet regelmäßig zwischen behebbaren und unbehebbaren Mängeln (BGH, Urteil vom 29. Juni 2011, Az. VIII ZR 202/10).
Bei behebbaren Mängeln kommt es für die Erheblichkeit auf das Verhältnis zwischen den Kosten der Mängelbeseitigung und dem Kaufpreis an. Liegen die Kosten der Mängelbeseitigung unter fünf Prozent des Kaufpreises, so ist der Mangel geringfügig und damit unerheblich.
Ist der Mangel nicht behebbar, kommt es für die Frage der Erheblichkeit im Wesentlichen auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an.
Die Gerichte gehen größtenteils davon aus, dass der Mangel behebbar ist. Zu lesen ist von einem Aufwand von ca. einer Stunde und Kosten in Höhe von ca. 100 Euro. Dies dürfte in allen Fällen unter fünf Prozent des Kaufpreises eines Neuwagens liegen, sodass gemessen an der „fünf Prozent Hürde“ des Bundesgerichtshofs der Mangel unerheblich und der Rücktritt ausgeschlossen ist (so im Ergebnis LG Münster, Urteil vom 14. März 2016, Az. 11 O 341/15; LG Bochum, Urteil vom 16. März 2016, Az. I-2 O 425/15; LG Dortmund, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 25 O 6/16). Die fünf Prozent Marke stellt jedoch keine starre Grenze dar, sondern dient lediglich als eine „in eine Interessenabwägung und eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls eingebettete Erheblichkeitsschwelle“, durch welche „die Interessen der Kaufvertragsparteien zu einem sachgerechten Ausgleich gebracht“ werden sollen (BGH, Urteil vom 28. Mai 2014, Az. VIII ZR 94/13). Das heißt, dass auch bei Geringfügigkeit des Mangels im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu erörtern ist, ob die Pflichtverletzung unerheblich ist.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung lassen sich unter anderem wieder die o.g. Argumente zur Unzumutbarkeit der Nacherfüllung aufführen. Hier sind insbesondere die momentan noch unklaren Folgen einer Mangelbeseitigung zu berücksichtigen. Niemand weiß oder kann voraus sagen, welche Auswirkungen eine Mangelbeseitigung auf die betroffenen Fahrzeuge hat. Steigender Spritverbrauch, verändertes Fahrverhalten, sinkende Haltbarkeit und ein merkantiler Minderwert könnten die Folge sein. Auch der Vertrauensverlust bezüglich der Automobilhersteller findet immer wieder Erwähnung in der Rechtsprechung (Erheblichkeit bejahend LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16; LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16; LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15; LG Dortmund, Urteil vom 29. September 2016, Az. 25 O 49/16).
V. Fazit
Der Dieselskandal weitet sich aus und wird Politik, Justiz, Wirtschaft und viele Autofahrer wohl noch lange in Atem halten. Die Problematiken des Dieselskandals lassen sich mühelos in Klausuren wie auch in mündliche Prüfungen einbauen, sodass diesbezüglich eine Wiederholung und Vertiefung der ohnehin examensrelevanten Themen Rücktritt, Anfechtung und Wissenszurechnung empfohlen wird.