Anm. zu OLG Celle, Urteil vom 25. 4. 2012 – 31 Ss 7/12 = NZV 2012, 345 ff.
1. Um was geht es?
Autofahrer A war mit seinem Wagen auf der Bundesstraße 442 nach B. unterwegs. Hinter einer Ortschaft versuchte er, vor einer nahenden, sich nach hinten verjüngenden Linkskurve mit seinem Pkw das Fahrzeug des Nebenklägers N zu überholen, in welchem sich neben diesen noch drei weitere Insassen befanden. Der N bemerkte die Absicht des A durch einen Blick in seinen Rückspiegel. Er wollte es sich aber nicht bieten lassen, von A überholt zu werden und beschleunigte seinen Wagen ebenfalls. A erkannte das Fahrmanöver des N, wollte aber seinen Überholvorgang unbedingt noch vor der Kurve zu Ende bringen. So beschleunigte auch er weiter, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch zwei Sekunden Zeit gehabt hätte, sein Fahrmanöver abzubrechen und gefahrlos hinter dem N einzuscheren. Dies wäre auch geboten gewesen, da sich von vorne die Zeugin Z mit ihrem Fahrzeug näherte. Die Erhöhung der Geschwindigkeit durch N reichte schlussendlich nicht aus, um dem A seinen Überholvorgang endgültig zu verwehren, der mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 20 km/h das rechts neben ihm fahrende Fahrzeug passierte. Die Zeugin Z wich mit ihrem Wagen auf den Seitenstreifen aus, um eine Kollision mit A zu vermeiden. Als sich der A etwa zwei Fahrzeuglängen noch auf der Gegenfahrbahn fahrend vor dem N befand, lenkte dieser zu spät sein Fahrzeug nach links in die Kurve ein, um diese gefahrlos durchfahren zu können. Er geriet mit seinen rechten Rädern auf das Bankett, kam in eine Dreh-Schleuderbewegung und stieß mit seiner rechten Fahrzeughälfte und einer Geschwindigkeit von 100-110 km/h gegen einen am Fahrbahnrand stehenden Baum. Die neben dem N im Fahrzeug sitzenden Insassen waren sofort tot. Während das AG den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt hatte, sprach ihn das LG von diesem Vorwurf frei.
2. Was sagt das OLG?
Das OLG hat die Entscheidung des LG aufgehoben und den A neben Straßenverkehrsdelikten auch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Dabei hat es sich auf eine vergleichbare Entscheidung des BGH vom November 2008 gestützt (BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 = BGHSt 53, 55 ff. – Aufbereitung hier) und ist andererseits einer abweichenden Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 19.04.2011 – 2 Ss 14/11) nicht gefolgt. Aber der Reihe nach:
a) Vorliegen eines fahrlässigen Verhaltens des A durch den Überholvorgang:
Das OLG Celle definiert zunächst geradezu schulmäßig die Voraussetzungen einer fahrlässigen Tathandlung gem. § 222 StGB:
Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (…).
Sodann bejaht das OLG Celle zunächst die objektive Pflichtverletzung des A. Hierbei rekurriert es auf diverse Normen der StVO, die der A bei seinem Überholvorgang nicht beachtet hat:
Seine Pflichten als Fahrzeugführer hat der Angeklagte verletzt, indem er den Überholvorgang vorschriftswidrig durchgeführt hat. Er hat nämlich zum einen überholt, obwohl er nicht übersehen konnte, ob während des ganzen Überholvorganges jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO). Zum anderen war das Überholen für ihn auch deshalb unzulässig, weil aufgrund des Beschleunigens des Nebenklägers und der Annäherung an die sich nach hinten verjüngende Kurve für den Angeklagten eine unklare Verkehrslage bestand (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Des Weiteren hat er seine Pflichten als Fahrzeugführer verletzt, indem er entgegen § 1 Abs. 2 StVO nicht alles unternommen hat, um die mit dem Überholvorgang verbundene Gefährdung zu vermeiden, und schließlich die im Bereich des Unfallorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erheblich überschritten hat.
Im Folgenden bejaht das Gericht sowohl die objektive und subjektive Vermeidbarkeit als auch eine entsprechende Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs für A. Dabei stellt es fest, dass der A, als er den Beschleunigungsvorgang des N bemerkte, das Überholmanöver noch hätte abbrechen können. Eine (generelle) Vorhersehbarkeit dergestalt, dass ein Beharren auf einen Überholvorgang unter den im Sachverhalt genannten Umständen (überhöhte Geschwindigkeit, nahender Kurvenbereich) zu einem Unfall, ggf. mit tödlichen Ausgang, führen kann, sieht das OLG ebenfalls als gegeben.
b) Zurechenbarkeit des Todes der Beifahrer des N:
Sodann stellt sich das Gericht allerdings die Frage, ob der fahrlässig herbeigeführte Erfolg dem A auch (objektiv) zurechenbar ist. Unter dem Begriff der „objektiven Zurechnung“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgruppen behandelt, welche die Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Erfolg ausschließen können. Dazu zählt auch der Fall, dass sich der Erfolg als Resultat einer Selbstgefährdung des Opfers oder einem, dieser gleichzustellenden, Einverständnis in eine Fremdgefährdung durch den Täter darstellt. Insofern sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden:
aa) Konstellation 1: Selbstgefährdung des Opfers.
Unstrittig keine Zurechnung des Erfolgs an eine fahrlässig handelnde Person ist nach der Rspr. dann möglich, wenn diese nur an einer Selbstgefährdung des Opfers teilnimmt. „Teilnahme“ ist dabei durchaus i.S.d. Begrifflichkeit der §§ 26 f. StGB zu verstehen, da eine von der Rpsr. anerkannte Selbstgefährdung des Opfers erst dann vorliegt, wenn nicht der potentielle Fahrlässigkeitstäter, sondern allein das spätere Opfer das unmittelbar zum Erfolg führende Geschehen i.S.d. Tatherrschaftslehre „beherrscht“ hat. Die Begründung für einen solchen Ausschluss der Verantwortung des „Teilnehmers“ ist freilich problematisch. Teilweise wird darauf verwiesen, dass bei vorsätzlicher Selbstverletzung des Opfers unstrittig keine teilnahmefähige Haupttat vorhanden ist, so dass eine Anstiftung bzw. Beihilfe ausscheidet. Dies müsse aber erst recht dann gelten, wenn eine Beteiligung nicht an einer vorsätzlichen Verletzung, sondern nur Gefährdung erfolgt (vgl. auch MK-Hardtung, 1. Aufl. 2003, § 222 Rn. 21 m.w.N.). Fraglich ist diese Argumentation indes insofern, als nicht die Strafbarkeit der Beteiligung an einer vorsätzlichen Gefährdung, sondern an einer fahrlässigen (Selbst-)Verletzung in Rede steht. Da der Begriff des Fahrlässigkeitstäters aber weit verstanden wird („Einheitstäterbegriff“), also grds. auch die Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe erfasst (dazu Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 25 Rn. 82), ist der Vergleich mit der Straflosigkeit bei vorsätzlicher Deliktsbegehung zumindest zweifelhaft. Eine variierende Argumentationslinie stützt sich daher vornehmlich auf die autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers, die es zu respektieren gelte: Selbstschädigendes Verhalten ist danach Ausdruck einer unantastbaren Autonomie des Schädigers, die nicht nur seine eigene Strafbarkeit nach dem einschlägigen Delikt sperrt, sondern auch die Strafbarkeit eines hieran nicht täterschaftlich Beteiligten hindert (MK-Duttge, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 151).
bb) Konstellation 2: Gefährdung durch den Täter.
Der vorliegende Fall war indes anders gelagert, da es nicht um Gütereinbußen des Fahrers des letztendlich verunfallten Pkw (also des Nebenklägers N) ging, der sich mit seinem Fahrmanöver ebenfalls pflichtwidrig verhalten hatte und jedenfalls eine dem A entsprechende Tatherrschaft über das Geschehen aufwies. Vielmehr bildete der Tod seiner Mitinsassen den Anknüpfungspunkt für ein strafrechtliches Unwerturteil gegen A. Das OLG führt insofern überzeugend aus, dass diese gerade keine Tatherrschaft über das Geschehen gehabt hätten, und zwar weder im Hinblick auf die Steuerung des zu überholenden Fahrzeugs, welches allein der N führte, noch (erst Recht) im Hinblick auf den überholenden Pkw des A. Das OLG verweist dabei auf die bereits oben benannte Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., in der es um die Strafbarkeit für ein illegales Autorennen ging, bei dem ebenfalls ein Beifahrer eines der beiden Rennteilnehmer zu Schaden kam. Das OLG nimmt an, dass der vorliegende Fall mit dem Fall des illegalen Autorennens durchaus vergleichbar ist:
Dass es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um ein zwischen den Fahrzeugführern vorher vereinbartes Rennen gehandelt hat, steht der Übertragung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn die Zurechnung beruhte dort nicht allein auf der Absprache des illegalen Rennens, sondern auch auf den während der Fahrt konkret begangenen Pflichtverletzungen beider Fahrer. Abgesehen davon handelte es sich im vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt, als der Nebenkläger beschleunigte, um den Angeklagten am Überholen zu hindern, und der Angeklagte dieses erkennend sein Fahrzeug umso mehr beschleunigte, um den Nebenkläger unbedingt zu überholen, faktisch um ein spontanes Rennen bzw. eine diesem gleichzustellende „Kraftprobe“.
cc) Konstellation 3: Gefährdung durch den Täter, aber mit Einwilligung des Opfers („einverständliche Fremdgefährdung“).
Eine der Selbstgefährdung der Opfer gleichzustellende Einwilligung in eine Fremdgefährdung sieht das OLG im vorliegenden Fall ebenfalls (anders als offenbar die Vorinstanz, Rn. 40 des Urteils) als nicht gegeben an. Eine solche wird im Rahmen des Straßenverkehrs insbesondere in Fällen angenommen, in denen ein Beifahrer trotz erkannter Alkoholisierung des Pkw-Führers bei diesem einsteigt und mitfährt. Diese Konstellation führt dann nach der h.L. dazu, dass es zu einem Zurechnungsausschluss kommt, wenn der Mitinsasse bei einem durch den Fahrer aufgrund des Alkohols verschuldeten Unfalls verletzt oder getötet wird, da eine solche Einwilligung in die Gefährdung durch den Fahrzeugführer einer Selbstgefährdung des Opfers gleichstehe (vgl. nur – mit Unterschieden in der Konstruktion – Wessels/Beulke, AT, 32. Aufl. 2002, Rn. 191; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11/121). Zu einer solchen Einwilligung in eine Fremdgefährdung durch die getöteten Mitinsassen des überholten Wagens bot der Sachverhalt des OLG indes keine Anhaltspunkte: Dass die Mitfahrer in das sorgfaltswidrige Verhalten des N noch gar des A eingewilligt hätten, ist nicht ersichtlich. Daran wäre etwa dann zu denken, wenn sie den N angefeuert hätten, sich den Überholvorgang des A nicht „bieten“ zu lassen und mittels Beschleunigung des Pkw zu zeigen, wer „Herr der Straße“ ist. Näher lag eine einverständliche Fremdgefährdung hingegen in der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., da der tödlich verunglückte Beifahrer hier vorsätzlich an dem illegalen Autorennen teilgenommen und dieses sogar gefilmt hatte. Indes hat der BGH in diesem Fall einer Einwilligung in die Gefährdung unter Hinweis auf § 216 StGB eine Abfuhr erteilt: Jedenfalls dann, wenn sich eine konkrete Todesgefahr abzeichne, sperre die vorgenannte Norm eine solche Zustimmung des Opfers. Fraglich erscheint, ob dann, wenn man mit Stimmen in der Literatur annimmt, dass auf die einverständliche Fremdgefährdung die Einwilligungssperren der §§ 216, 228 StGB, die vornehmlich auf die Zustimmung zu Rechtsgutsverletzungen zugeschnitten sind, nicht angewendet werden können (dazu Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar StGB, 5. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 224), zu einer Straflosigkeit des mittelbaren Unfallverursachers kommt. Indes dürfte die „einverständliche Fremdgefährdung“ auch dann nur den Tatbeitrag des Fahrers neutralisieren, in dessen Wagen die zustimmenden Mitfahrer sitzen; auf die Verantwortung für das pflichtwidrige Verhalten des „Gegners“, in das die Mitfahrer ja gerade nicht eingewilligt haben, sollte eine solche Zustimmung hingegen keine Auswirkungen haben.
dd) Konstellation 4: Beendete Gefährdung des Täters
Bleibt zuletzt im Hinblick auf den vorliegenden Fall noch die gegenteilige Ansicht des OLG Stuttgart aufzuarbeiten, die sich die Vorinstanz des OLG Celle, das LG Bückeburg, zur Begründung einer Straflosigkeit des A nach § 222 StGB ausdrücklich zu eigen gemacht hatte: Nach Meinung des OLG Stuttgart kann die Zurechnung eines Unfallerfolges an den mittelbaren Verursacher dann ausgeschlossen sein, wenn der unmittelbare Verursacher eigenverantwortlich handelt. Der Sachverhalt des Gerichts scheint dabei auf den ersten Blick durchaus Parallelen zu dem vom OLG Celle verhandelten Geschehen aufzuweisen: Auch dort ging es um ein pflichtwidriges Fahrverhalten des Angeklagten, der den späteren unmittelbaren Unfallverursacher zunächst beim Überholen behinderte. In der Folge fuhr dieser, nachdem er den Angeklagten überholt hatte, mit beschleunigter Geschwindigkeit in eine Kurve und erfasste einen Passanten, der am Wegesrand ging, tödlich. Indes war die dortige Entscheidung etwas anders gelagert, so dass nach Ansicht des OLG Celle eine Vorlage an den BGH wegen Divergenz nicht angezeigt ist:
Einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG bedarf es nicht. Denn der vorliegende Einzelfall liegt anders als der, welchen das Oberlandesgericht Stuttgart durch seinen Beschluss vom 19. April 2011 – 2 Ss 14/11 – entschieden hat. Dort war der Tod eines Passanten deshalb nicht dem Angeklagten zugerechnet worden, weil der unmittelbar den Unfall verursachende Fahrzeugführer, der sich durch den Angeklagten bei einem vorangegangenen Überholvorgang provoziert gefühlt hatte, erst „über einen Kilometer nach Abschluss des Überholvorgangs und damit 36 Sekunden später aus einem autonomen Entschluss heraus“ mit nicht angepasster Geschwindigkeit in eine scharfe Kurve gefahren war, dadurch die Beherrschung über sein Fahrzeug verloren und einen tödlichen Unfall verursacht hatte. Der andere Fahrzeugführer befand sich währenddessen hinter ihm und war zu diesem Zeitpunkt bereits zur verkehrsgerechten Fahrweise zurückgekehrt. Hier war indes der Überholvorgang des Angeklagten noch nicht beendet, als der Nebenkläger den zum Unfall mit tödlichem Ausgang führenden Fahrfehler machte; das Fahrzeug des Angeklagten befand sich vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch auf der Gegenfahrbahn und hatte lediglich einen Abstand von zwei Fahrzeuglängen zum Fahrzeug des Nebenklägers. Das Fahrverhalten des Angeklagten war auch nicht ohne Auswirkungen auf den Nebenkläger. So hat das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt: „Während seiner Beschleunigung wusste der Nebenkläger den Angeklagten neben sich und fuhr auf die ihm bekannte sich nach hinten verjüngende Kurve zu. Unter diesen Bedingungen brauchte der Nebenkläger seine volle Konzentration, um sein Fahrzeug weiter zu beherrschen und zu überblicken, welche Fahrmanöver der Angeklagte neben ihm vollziehen würde.“
Da in der Entscheidung des OLG Stuttgart das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten beim Unfall seines „Gegners“ bereits seinen Abschluss gefunden hatte und selbiger auf einem gänzlich neuen Tatentschluss des unmittelbaren Unfallverursachers (erneutes Beschleunigen des Fahrzeugs nach Abschluss des Überholvorgangs) beruhte, ist es gut vertretbar, hier einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang mit dem Tod des Passanten zu verneinen. Denn das vorangegangene „Sperren“ des Überholvorgangs des unmittelbaren Unfallverursachers durch den Angeklagten stellt zwar einen Pflichtverstoß dar; eine „Herrschaft“ bezüglich des dann neu ansetzenden Geschehens, welches unmittelbar zum Zusammenstoß mit dem Passanten führte, kann ihm aber kaum unterstellt werden.
3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
a) Die Entscheidung des OLG Celle setzt die Rspr. des BGH, die durch die mehrmals erwähnte Leitentscheidung begründet wurde, fort und bietet insofern nichts „bahnbrechend Neues“. Unabhängig davon wird mit dem Urteil allerdings die wichtige Frage der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen beim Fahrlässigkeitsdelikt erneut auf die Tagesordnung gesetzt, was die Prüfungsämter durchaus zu einem erneuten Abprüfen dieser Konstellation in einer Examensklausur animieren, aber auch zu entsprechenden Fallgestaltungen in der mündlichen Prüfung führen kann. Dies gilt gerade im Hinblick auf die zumindest im Leitsatz abweichende Entscheidung des OLG Stuttgart, auch wenn diese bzgl. des zu beurteilenden Sachverhalts etwas anders gelagert war.
b) Bzgl. der Bearbeitung eines entsprechenden Falles in der Klausur ist anzumerken, dass die vom OLG Celle in „einem Rutsch“ durchgeführte Fahrlässigkeitsprüfung in der Klausur selbstverständlich aufzuteilen ist, sofern man dem herrschenden zweiaktigen Fahrlässigkeitsaufbau folgt. Demgemäß sind allein der objektive Sorgfaltspflichtverstoß des Täters sowie die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit im Tatbestand zu prüfen, während die subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit Elemente der Schuld darstellen, also erst nach Bejahung einer objektiven Zurechenbarkeit des Taterfolgs anzusprechen sind.
c) Zuletzt sei im Hinblick auf die Terminologie ausdrücklich angemerkt, dass die Rechtsfigur der „einverständlichen Fremdgefährdung“ nichts mit dem Begriff des Einverständnisses zu tun hat, welches bekanntermaßen nur bei Tatbestandsmerkmalen, die explizit ein Handeln gegen bzw. ohne den Willen des Opfers voraussetzen, eingreifen kann. Vielmehr steht sie im Hinblick auf ihren dogmatischen Ursprung der Einwilligung nahe, nur dass sie nicht auf die Verletzung, sondern lediglich Gefährdung des tatbestandlichen Rechtsguts abzielt, der das spätere Opfer zustimmt. Dabei ist freilich zu beachten, dass die Einordnung der „einverständlichen Fremdgefährdung“ in den Straftataufbau umstritten ist, so dass sie teils bei der objektiven Zurechnung, teils aber auch als „echte“ Einwilligung erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft wird (vgl. dazu Roxin a.a.O. einer-, Wessels/Beulke a.a.O. andererseits). Diese Unsicherheiten hinsichtlich der dogmatischen Verortung werden i.Ü. auch bei der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff. sichtbar, die zunächst eine „einverständliche Fremdgefährdung“ bzgl. des Beifahrers des verunfallten Rennwagens im Rahmen der objektiven Zurechnung ablehnt, bevor sie sich im Anschluss noch mit der „Einwilligung“ desselben in den „Tod oder in das Risiko seines Todes“ beschäftigt. Wo der Unterschied zwischen dem Einverständnis in eine Fremdgefährdung und der Einwilligung in das Risiko des Todes liegen soll, erschließt sich dabei nicht recht. In der Klausurbearbeitung erscheint es m.E. vorzugswürdig, die „einverständliche Fremdgefährdung“ im Rahmen der objektiven Zurechnung zu verorten, da eine Rechtfertigung qua Einwilligung sich stets auf das Rechtsgut des Delikts beziehen muss. Dieses ist bei den §§ 222, 229 StGB aber nun einmal die Verletzung des Körpers bzw. Lebens, nicht allein die Gefährdung derselben. Demgegenüber enthält die Kategorie der objektiven Zurechnung keine vergleichbar trennscharfe Funktionsbeschreibung, so dass hier die mit der Einwilligung in eine Gefährdung verbundenen Fragen leichter untergebracht werden können.