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Charlotte Schippers

Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2020 (und Ende 2019) als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Zu folgendem Fall urteilte der BGH Ende letzten Jahres: T, Häftling in einer JVA, beging während eines Freigangs mehrere Straftaten, u.a. tötete er bei einer Flucht vor der Polizei, indem er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. Wegen dieser Tat wurde er wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Relevant war hier nun die Strafbarkeit der zuständigen JVA-Beamten.
Die Vorinstanz hatte eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB angenommen, der BGH sprach die Beamten nun frei: In ihrer Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, liege keine Sorgfaltspflichtverletzung; den Beamten stehen Beurteilungsspielraum und Ermessen zu, sodass

„die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen [ist]. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als ,falsch‘ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist.“ (Rn. 25)

Der BGH erläutert in der Folge, die Angeklagten hätten sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht den Anforderungen entsprechend verhalten.
Diese examensrelevante Entscheidung hat Tobias Vogt besprochen.
 

BGH, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 StR 364/18: Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Auskunft eines Rechtsanwalts und einer unzuständigen Behörde?

Mit Betäubungsmitteldelikten beschäftigte der BGH sich Ende letzten Jahres und erhielt hierbei auch die Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu äußern. Kurz gefasst ging es um den Apotheker A, der mit anderen zusammen einen Versandhandel mit über das Internet bestellten verschreibungspflichtigen Medikamenten, die Abhängigkeitserkrankungen verursachen können, führte. Diese wurden an Kunden aus dem Ausland, überwiegend in die USA, geliefert. Über die für die Ausfuhr nach dem BtMG erforderliche Erlaubnis verfügte keiner der Beteiligten. Rechtsanwalt R, der A an die anderen vermittelt hatte, hatte ihm mitgeteilt, das Vertriebssystem sei von weiteren Rechtsanwälten geprüft. Dazu zeigte er ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie ihm aber zum Lesen zu überlassen. Zudem erhielt A von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz die telefonische Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken.
Festgestellt wurde ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB des A. Fraglich war nun, ob dieser vermeidbar war oder nicht. Zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit führt der BGH aus:

„Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Zudem darf der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.“ (Rn. 21)

Daher ist auch der Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne weiteres vertrauenswürdig. Der Rat muss, von notwendiger Sachkenntnis getragen, nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sind die Auskünfte offenkundig mangelhaft, reicht das nicht zur Entlastung, notwendig ist bei komplexen Sachverhalten ein detailliertes, schriftliches Gutachten. Die durch R erteilten Hinweise, ohne die Möglichkeit, die Blätter durchzulesen, hätten durch A hinterfragt werden müssen, subsumiert der BGH.
Hinsichtlich der telefonischen Auskunft ist zu berücksichtigen, dass unzutreffende Auskünfte unzuständiger Behörden nur dann zur Unvermeidbarkeit des Irrtums führen können, wenn sich für den Täter die fehlende Zuständigkeit und Beurteilungskompetenz nicht aufdrängt (s. dazu BGH, Beschl. v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99).

„Bei [A] handelt es sich um einen approbierten Apotheker mit langjähriger Berufserfahrung. Zur Ausbildung eines Apothekers gehören auch Grundkenntnisse im Betäubungsmittel- und Arzneirecht. Gerade aufgrund seiner beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen Verpflichtungen war von [A] zu erwarten, dass ihm bekannt ist, dass der Handel mit Benzodiazepinen und NonBenzodiazepinen wegen der erhöhten Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung bei dauerhaftem Konsum einer besonderen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle unterliegt und daher einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis bedarf. Jedenfalls hätte er dies bei gebotener Anstrengung von Verstand und Gewissen erkennen können. Gleichermaßen hätte er – unter Berücksichtigung seiner beruflichen Stellung und Erfahrung – erkennen können, dass er sich an das für die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Betäubungsmittelrecht zuständige BfArM [Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte] hätte wenden müssen.“ (Rn. 21)

Schließlich verneint der BGH, dass das BfArM ebenfalls dieselbe Auskunft gegeben hätte:

„Hat der Täter einer Erkundigungspflicht nicht genügt, so setzt die Feststellung von Vermeidbarkeit voraus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft geführt hätte.“ (Rn. 21)

Insbesondere wegen der Ausführungen zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums handelt es sich hierbei somit um eine wichtige und examensrelevante Entscheidung.
 

BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – 4 StR 548/19: Erpressung bei Nötigung zur Begehung von Eigentumsdelikten?

T brauchte dringend Geld, um sich Marihuana kaufen zu können. Deswegen bedrohte er zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt Wertgegenstände zu stehlen. Wie beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor ihm und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt konnten sie aber weglaufen.
Der BGH beschäftigte sich mit der Strafbarkeit des T wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Die Erpressung scheitert am Vermögensnachteil der Genötigten – das abverlangte Verhalten liegt „nur“ in der Begehung strafbarer Handlungen, ein Vermögensschaden auf Seiten des Nötigungsopfers fehlt. Weiterhin wäre für eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem zu Schädigenden erforderlich, an dem es hier, wie der BGH knapp feststellt, fehlte (vgl. auch BGH,  Urt. v.  20. 4.1995 ‒ 4 StR 27/95). Somit kam hier nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB infrage.
 

BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19: Wohnungen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der BGH beschäftigte sich zur Klärung der Frage, ob die Wohnung eines Verstorbenen auch eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, mit folgendem (leicht abgewandeltem und gekürztem) Sachverhalt: Einbrecher E beschloss, vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. In der Folgezeit brach er, entsprechend seines Plans, unter Aufhebeln von Fenstern und Terassentüren in verschiedene Wohnungen von Verstorbenen ein.
In dem Beschluss bejahte der BGH, dass es sich bei den Immobilien, die noch voll eingerichtet und funktionsfähig waren, um Wohnungen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelte mit einer lehrbuchartigen Gesetzesauslegung:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Der Begriff „Wohnung“ bezeichnet eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. […].
Diese Betrachtungsweise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzessystematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungseinbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 16 f.)

Er argumentiert an dieser Stelle mit weiteren Delikten, namentlich § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die sich auch in der Klausur gut zur Begründung heranziehen lassen!

„Schließlich gebieten Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls so lange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“

Somit bejahte der BGH den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
 

OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2020 – 4 RVs 12/20: Verwendung einer fremden EC-Karte zum kontaktlosen Zahlen

Ein Dauerbrenner im Examen sind die EC-Karten-Fälle, sodass sich ein Blick auf die aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zum kontaktlosen Zahlen mit einer fremden EC-Karte lohnt. Folgender Fall (leicht abgewandelt und gekürzt) wurde entschieden: T erhielt von seiner Bekannten B die auf der Straße gefundene Geldbörse des O, in der sich neben ein wenig Bargeld und diversen Papieren und Karten auch eine EC-Karte befand. Mit dieser Karte tätigte T Einkäufe, u.a. im H-Markt, durch kontaktloses Bezahlen – also Auflegen der Karte auf das Lesegerät –, die jeweils einen Wert von unter 25 Euro hatten, sodass die Eingabe der PIN nicht erforderlich war. Diese Tatsache war T bekannt und er nutzte sie bewusst aus.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB lehnte das OLG ab, denn eine Täuschung liege bei der Zahlung ohne PIN-Abfrage nicht vor. Nach lesenswerten Ausführungen zu den Elementen der kontaktlosen Zahlung, folgert das OLG:

„Vor dem Hintergrund dieser Zahlungsmodalitäten hatten die Kassenkräfte des H-Marktes vorliegend keinerlei Anlass, sich Vorstellungen über die Berechtigung des Angeklagten zur Kartenverwendung zu machen. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kartenverwender ihren Zahlungsanspruch gegen die […] kartenausgebende[…] Bank zu verlieren, weshalb aus Händlersicht gerade kein Anreiz bestand, über die Berechtigung des Angeklagten nachzudenken und so womöglich bösgläubig zu werden. Auch traf den Betreiber des H-Marktes bzw. seine Kassenmitarbeiter nach den Händlerbedingungen gegenüber der […] kartenausgebende[n] Bank keine Pflicht, die Berechtigung des Angeklagten anderweitig zu überprüfen, etwa durch Ausweiskontrolle. Damit aber fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)

Gleichfalls scheidet auch ein Computerbetrug nach § 263a StGB aus, insbesondere wird nicht die einzig in Betracht kommende Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt – die h.M. setzt nämlich für das Merkmal „unbefugt“ voraus, dass die Verwendung gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Das scheidet hier aber aus, denn geprüft werden mit dem Vorhalten der Karte vor das Lesegerät nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung.
In Betracht zieht das OLG nach Verneinung einiger anderer Delikte schließlich noch eine Urkundenunterdrückung nach § 274 I Nr. 2 StGB: Die Verwendung der Karte im kontaktlosen Bezahlvorgang stellt eine Löschung/Veränderung beweiserheblicher Daten dar:

„Der noch bestehende Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage stellen Gedankenerklärungen dar, die durch die Speicherung im Autorisierungssystem bzw. auf dem Chip der ec-Karte perpetuiert sind. Weiterhin sind diese Daten auch beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der ec-Karte relevant sind. Nur wenn der Verfügungsrahmen noch nicht ausgeschöpft ist und in Bezug auf die Umstände der bisherigen Kartennutzung die Voraussetzungen […] für das Absehen von der PIN-Abfrage erfüllt sind, erteilt die kartenausgebende Bank im POS-Verfahren die Autorisierung der Zahlung (ohne PIN-Abfrage). Anders als im Hinblick auf die Transaktionsdaten ist in Bezug auf den Verfügungsrahmen und die Umstände der bisherigen Kartennutzung auch die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs erfüllt. Es ist nämlich die kartenausstellende Bank als Aussteller dieser Daten ohne Weiteres erkennbar.“ (Rn. 37)

Verwirklicht wurde darüber hinaus auch § 303a Abs. 1 StGB.
Insgesamt ist das hier also eine wichtige und examensrelevante Entscheidung, die man sich genauer anschauen sollte!
 

BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 93/20: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Im April hat der BGH die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel (speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel) konkretisiert. Folgender Sachverhalt (gekürzt) lag dem zugrunde: T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im 1. OG eines Wohnkomplexes eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ das Haus. Es war ihm bewusst, dass A und B sich im 1. OG aufhielten und C sich möglicherweise im Dachgeschoss befand. Mögliche Verletzungen oder den Tod der anderen nahm T in Kauf. A entdeckte den Brand und alarmierte B und C. Sie flüchteten und alarmierten die Feuerwehr. A und C erlitten Rauchgasvergiftungen. Die Feuerwehr konnte ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins OG vordringen; ab dort bestand akute Lebensgefahr. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte schließlich gelöscht werden.
Maßgeblich war zunächst die Frage, ob ein gemeingefährliches Mittel vorliegt, wobei die Tatsache, dass T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich ausschließt, vielmehr wohnt Handlungen wie der vorliegenden aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand […]. An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Wichtig war außerdem die Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“, wobei es nach früherer Rspr. darauf ankam, ob sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet – dann war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. BGH, Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18). Daran zweifelte der BGH aber nun:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht […]. Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will […].“ (Rn. 11 f.)

Im vorliegenden Fall fehlte aber sowieso die Individualisierung des Opferkreises, sodass die Frage i.E. nicht abschließend beurteilt werden musste.
Für weitere Details sei auf die ausführliche Besprechung von Melanie Jänsch verwiesen.
 

BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 4 StR 140/20: Habgier bei angestrebter staatlicher Versorgung in einer JVA?

Einen versuchten Mord aus Habgier nahm der BGH in vorliegendem Fall an: Der vermögenslose und nicht krankenversicherte A nahm sich vor, eine schwere Straftat begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer JVA zu erhalten. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Fahrzeug mit mindestens 80 km/h gezielt von hinten auf den auf einem Fahrradweg radelnden B auf. A wollte ihn erheblich verletzen. Zudem hielt er den Eintritt seines Todes ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. B wurde von seinem Fahrrad geschleudert und erlitt durch den Aufprall und den Sturz schwere Verletzungen.
Zur Erinnerung:

„Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Täters ‒ objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung ‒ durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht.“ (2. a))

A wollte nun durch seine Tat lediglich eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und dadurch eben auch eine Verbesserung seiner Vermögenslage i.S.e. rücksichtslosen Gewinnstrebens erreichen. Dass sich hiermit eine Begehung aus Habgier begründen lässt, wird auch nicht durch die Nachteile der Inhaftierung widerlegt, da diese für A nicht maßgeblich waren und er vornehmlich aufgrund der Vermögensvorteile handelte. Weiter begründet der BGH das Mordmerkmal der Habgier:

„Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setzt das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend ist vielmehr die Motivation des Täters.“ (2. b)).

 

BGH, Beschl. v. 19.5.2020 – 6 StR 85/20: Erpresste Bankkarte und leeres Bankkonto

Der BGH traf ebenfalls am 19. Mai dieses Jahres einen Beschluss, wobei er die Anforderungen an einen Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB darstellte. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T bedrohte O mit einer Schreckschusspistole und forderte ihn auf, am Automaten Geld abzuheben. Das gelang O aber nicht, da sein Konto nicht ausreichend gedeckt war. Daraufhin zwang T ihn unter Drohung mit der Waffe zur Aushändigung der EC-Karte und der PIN. Eine Strafbarkeit wegen Erpressung scheitert aber am Vermögensschaden:

„Zwar ist der Nachteil für das Vermögen i.S. des § 253 StGB gleichbedeutend mit der Vermögensbeschädigung beim Betrug, so dass auch schon eine bloße Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstellt. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist. Durch die Kenntnis der geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto ist das Vermögen des Opfers grundsätzlich beeinträchtigt, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist.“ (Rn. 4)

Das setzt aber voraus, dass tatsächlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen ist, was hier jedoch mangels Deckung des Kontos nicht der Fall ist.
Auch hierbei handelt es sich also um eine Entscheidung, die man sich in Anbetracht der Examensrelevanz der einschlägigen Delikte zu Gemüte führen sollte.
 

BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 164/20: Mehrfacher Einsatz einer fremden EC-Karte an demselben Geldautomaten

Noch ein EC-Karten-Fall hat den BGH diesen Juni beschäftigt, in konkurrenzrechtlicher Hinsicht: T erlangte EC-Karte und PIN des O. Daraufhin hob er an einem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse zunächst 400 € und etwa eine Minute später weitere 600 € ab.

„Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden ec-Karte an demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit – mit von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichtetem Vorsatz – stellen die einzelnen Zugriffe eine einheitliche Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne dar.“ (Rn. 3)

 
Strafprozessrecht

BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 307/19: Kein Strafklageverbrauch durch Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO

In einem Beschluss dieses Jahr stellte der BGH klar, dass eine Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Gerichts kein Verfahrenshindernis begründet und der Aburteilung der Tat daher nicht entgegensteht, es kommt nicht mal ein begrenzter Strafklageverbrauch infrage. Das ist insofern anders als bei einer gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, nach der eine Verfahrensfortführung nur unter den Voraussetzungen des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO möglich ist.

„Denn anders als bei einem gerichtlichen Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, der auf der Grundlage einer auch für ein Urteil ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ergehen kann, handelt es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO strukturell um eine Entscheidung, der unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensschutzes nicht die einem Urteilsverfahren ähnliche Verlässlichkeit zuzumessen ist. […] Da die Staatsanwaltschaft die von ihr […] verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Erkenntnisse und Tatsachen, die den Verdacht einer vorsätzlichen Tatbegehung begründeten, gestützt hat, liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.“ (Rn. 4)

Alles in allem also eine Entscheidung, die sich gut in einer StPO-Zusatzfrage z.B. abfragen lässt, da man hier gut den Vergleich der Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO und der nach Abs. 2 ziehen kann.
 

BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – 5 StR 166/20: Entzug des letzten Wortes bei Missbrauch

Kurz gehalten ist der Beschluss des BGH zu dem Fall, dass der Angeklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, weil ihm nicht ausreichend Gelegenheit zum letzten Wort (§ 258 StPO) gegeben worden sei, als ihm nach fünf Tagen das Wort entzogen wurde:

„Nach zehn Tagen Beweisaufnahme konnte er fünf Tage lang Ausführungen zu seiner Verteidigung machen. Dass er durch die Vorsitzende dabei 31 mal darauf hingewiesen wurde, dass seine Ausführungen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten enthalten, und ihm schließlich eine Frist zur Beendigung seiner Ausführungen gesetzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Denn ein Vorsitzender darf nach § 238 Abs. 1 StPO einschreiten, wenn sich die Ausführungen des Angeklagten in seinem letzten Wort mit nicht zur Sache gehörenden Umständen befassen, fortwährende Wiederholungen oder andere unnütze Weitschweifigkeiten enthalten oder sonst einen Missbrauch seines letzten Wortes darstellen. Nach mehrmaligen erfolglosen Ermahnungen ist auch der Entzug des letzten Wortes möglich.“ (Rn. 7)

 

Weitere Beiträge

Folgende Beiträge beschäftigen sich nicht mit Entscheidungen aus dem hier betrachteten Zeitraum, sind aber dieses Jahr erschienen und behandeln Examensrelevantes:
 
Unsere ausführliche Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zur Manipulation von Warenetiketten, wobei das Gericht über einen examensrelevanten Fall entschied, der sich im Kontext der Vermögens- und auch Urkundendelikte bewegt: Der Täter tauschte zwei Warenetiketten aus und zahlte an der Kasse in der Folge einen „falschen“ geringeren Preis, was der Kassiererin nicht auffiel. Er machte sich dadurch strafbar wegen Betrugs, woran sich im Hinblick auf den Vermögensschaden auch nichts dadurch ändert, dass er von einer Ladendetektivin beobachtet und vor Verlassen des Ladens aufgehalten wurde:

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Eine Urkundenunterdrückung hat der Täter ebenfalls verwirklicht, denn das Etikett i.V.m. der Ware stellt eine zusammengesetzte Urkunde dar, die durch das Abreißen des Etiketts, um das Austauschen zu ermöglichen, vernichtet wurde. Eine Urkundenfälschung kam im konkreten Fall aber nicht in Betracht.
 
Der Beitrag von Dr. Lorenz Bode, in dem er klausurtaktische Hinweise zu dem Beschluss des BGH vom 6.6.2019 (STB 14/19) zu Beweisverwertungsverboten und Widerspruchslösung gibt. Hier wurde die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“, festgeschrieben.
 
Keine Gerichtsentscheidung, aber eine brandaktuelle Frage wird im Beitrag von Tobias Vogt behandelt: Es geht um die Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus, die im Kontext einer Anzeige gegen eine Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand, auch im Grundsatz betrachtet wird. Hierbei kommt die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, in Betracht, die aber wohl häufig am fehlenden Vorsatz scheitern wird. Dann ist aber an eine fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, denkbar. Bei tödlichem Verlauf ist natürlich an die Tötungsdelikte zu denken, auch ist immer der Versuch zu berücksichtigen.

03.08.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-08-03 08:16:002020-08-03 08:16:00Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020
Gastautor

Der Fall Edathy im Lichte der StPO

Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Tagesgeschehen

Wie freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Philipp Karl veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat erfolgreich in Mannheim absolviert.
Gegenstand des Beitrags ist der Fall um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Dieser hat nicht nur eine breite öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, sondern wirft auch einige problematische Rechtsfragen auf (zur Chronologie des Geschehens siehe hier). Diese Kombination macht den Fall, auch wenn er mittlerweile nicht mehr tagesaktuell ist, sicherlich reizvoll für die mündliche Prüfung.
Auf die Strafbarkeit von Amtsträgern, die den ehemaligen Abgeordneten Edathy (angeblich) vor strafrechtlichen Ermittlungen warnten, wurde hier bereits an anderer Stelle eingegangen (Der Fall Edathy im Prüfungsgespräch).
Im Folgenden geht es um strafprozessuale Probleme, die durch den Fall Edathy aufgeworfen werden.
Im Einzelnen wird auf die Begründung eines Anfangsverdachtes mit straflosem Verhalten, die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO eingegangen.
 
Der Anfangsverdacht aufgrund straflosen Verhaltens
Besonders Interessant in rechtlicher Hinsicht ist, ob überhaupt ein ausreichender Verdachtsgrad als Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Durchführung der Wohnungsdurchsuchung vorlag.
Sowohl die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, als auch die Wohnungsdurchsuchung (§102 StPO) bedürfen des Vorliegens eines Anfangsverdachtes.
Der Anfangsverdacht wird als die nach kriminalistischer Erfahrung aufgrund begründeter Tatsachen bestehende Wahrscheinlichkeit verstanden, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist.
Der ehemalige Abgeordnete Edathy hatte sich zugegebenermaßen kostenpflichtig Bild- und Filmmaterial beschafft, welches von einer kanadischen Webseite angeboten wurde. Streitig blieb allein die rechtliche Einordnung des Materials. Es handelte sich wohl um Material, das nicht eindeutig als kinderpornografisch eingestuft werden konnte, sondern sich im Grenzbereich der Strafbarkeit befand.
Es können nämlich nicht jegliche Abbildungen nackter Kinder unter das Tatbestandsmerkmal der kinderpornographischen Schrift subsumiert werden. Nach der bis zum 27. Januar 2015 geltenden Fassung des § 184b StGB war es erforderlich, dass die Abbildungen sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Als sexuelle Handlung eines Kindes in diesem Sinne wurde von der Rechtsprechung auch die Einnahme einer unnatürlichen geschlechtsbezogenen Körperhaltung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll, erfasst.
Die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung wird nunmehr ausdrücklich durch den § 184b Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB n.F. unter Strafe gestellt, ohne dass damit allerdings, wegen der nach alter Rechtslage in diesem Sinne bereits vorgenommenen Gesetzesauslegung, eine Erweiterung der Strafbarkeit verbunden ist.
Die Abbildung nackter Personen in natürlichen oder vermeintlich natürlichen Lebenssituationen war und ist daher nicht ohne weiteres dazu geeignet eine Strafbarkeit nach § 184b StGB zu begründen. Der mit Wirkung vom 27. Januar 2015 neu geschaffene § 201a Abs. 3 StGB n.F. konnte wegen des Rückwirkungsverbotes auf den fraglichen Tatzeitraum ohnehin keine Anwendung finden.
Wenn nun der Besitz von Abbildungen, die keinen strafbaren Inhalt haben, in Frage steht, besteht nach kriminalistischer Erfahrung dennoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand, der sich kostenpflichtig den Besitz an Abbildungen von nackten Kindern verschafft, aufgrund vermuteter sexueller Neigungen, auch im Besitz strafrechtlich relevanten Bild- und Filmmaterials sein könnte.
Anfangsverdacht wegen straflosen Verhaltens
Hieran schließt sich die Frage an, ob ein Anfangsverdacht auch auf strafloses Verhalten gestützt, von einem legalen Verhalten also auf ein illegales Verhalten geschlossen werden darf.
Wegen der Folgen, die sich für Betroffene allein aus einem bestimmten Tatverdacht, unabhängig davon, ob sich dieser später bewahrheitet, ergeben können, ist die Beantwortung dieser Frage für den Betroffenen von erheblicher Bedeutung.
Im Hinblick auf die tiefgreifenden Grundrechtseingriffe, zu welchen die Strafverfolgungsbehörden durch die Annahme eines Anfangsverdachtes ermächtigt werden, kann zur Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes die durch den Gesetzgeber vorgenommene Grenzziehung nicht außer Betracht bleiben.
Es ist Sache des Gesetzgebers im Rahmen der durch die Verfassung vorgegebenen Schranken die für ein geordnetes Zusammenleben als erforderlich erachteten Handlungsanweisungen in Gesetzesform zu konkretisieren und dabei die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten zu ziehen. Innerhalb der hiernach gezogenen Grenzen muss der Einzelne, unabhängig von gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die nicht im Gesetz ihren Niederschlag gefunden haben, darauf vertrauen dürfen von staatlicher Einflussnahme verschont zu bleiben.
Andernfalls würde strafloses Verhalten wegen bloßer Wahrscheinlichkeiten unter Generalverdacht gestellt, was zur Folge hätte, dass aufgrund vielfältigen, scheinbar neutralen, Verhaltens ein Anfangsverdacht mit entsprechendem Begründungsaufwand hergeleitet werden könnte.
Dies bedeutet nicht, dass ein an sich strafloses Verhalten für die Annahme eines Anfangsverdachtes bedeutungslos wäre. Es kann als Indiz in eine zur Begründung des Anfangsverdachts vorzunehmende Gesamtabwägung einbezogen werden. Unzulässig ist es aber den Anfangsverdacht für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat, ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte, allein auf erlaubtes Verhalten zu stützen.
Solche weiteren Anhaltspunkte sah das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 969/14), welches im Rahmen einer von dem Beschuldigten unter anderem gegen die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung erhobenen Verfassungsbeschwerde zu entscheiden hatte, darin begründet, dass es sich bei dem von dem Beschuldigten bestellten Bild- und Filmmaterial eben nicht um eindeutig legales Material gehandelt habe, sondern das Material entweder bereits strafrechtlich relevant gewesen sei oder sich jedenfalls in einem Grenzbereich zur Strafbarkeit befunden habe. Das die Wohnungsdurchsuchung anordnende Gericht sei damit zur Begründung des Anfangsverdachtes gerade nicht davon ausgegangen der Beschuldigte habe sich ausschließlich legal verhalten.
Es handele sich um Grenzfälle, die schwierige rechtliche Wertungen erfordern. Diese Grenzziehung bei seinen Bestellungen zielsicher einzuhalten dürfte für den Beschuldigten schwer möglich gewesen sein, zumal der kanadische Anbieter auf seiner Webseite auch eindeutig strafrechtlich relevantes Material vertrieb. In solchen Grenzfällen sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die darauf gestützte kriminalistische Erfahrung zur Begründung des Tatverdachtes heranzuziehen.
 
Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft
Sehr umstritten ist auch die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Hannover im „Fall Edathy“ (siehe zum Beispiel hier) gewesen.
Die Weitergabe persönlichkeitsrechtsrelevanter Informationen an die Presse bedarf als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Ermächtigungsgrundlage.
Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, welche die Strafverfolgungsbehörden dazu ermächtigen persönlichkeitsrechtsrelevante Informationen an die Presse weiterzugeben, ist in der StPO nicht zu finden.
Es gibt kein Recht der Strafverfolgungsbehörden zur Medienarbeit, sondern es wird stattdessen eine Pflicht zur Auskunftserteilung an die Presse in den jeweiligen Landespressegesetzen statuiert (im Fall der Staatsanwaltschaft Hannover: § 4 Niedersächsisches Pressegesetz)
Die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit ergibt sich daher erst mittelbar aus dem Informationsauftrag gegenüber der Presse und ist kein Selbstzweck um beispielsweise Imagewerbung zu betreiben.
Die Rechtmäßigkeit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist im Lichte des Gesetzeszwecks zu beurteilen.
Das Informationsrecht der Presse und die damit notwendigerweise einhergehende Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur Informationserteilung, gelten nämlich nicht grenzenlos. Es kollidiert insoweit das Grundrecht der Pressefreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht desjenigen, der von den Informationen betroffen wird. Um die berührten Grundrechte in einen gerechten Ausgleich zu bringen, bedarf es einer umfassenden Güterabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände.
Dies kommt auch in Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) zum Ausdruck, wonach für jeden Einzelfall zu prüfen ist, ob das Berichterstattungsinteresse die berührten Persönlichkeitsrechte überwiegt.
Zu berücksichtigen sind einerseits die erheblichen Folgen für den Beschuldigten, die mit einer Berichterstattung über den Tatvorwurf einhergehen können. Trotz der bis zu einer Verurteilung geltenden Unschuldsvermutung, ist gerade bei Vorwürfen im Bereich der Kinderpornografie, allein mit dem Tatvorwurf eine Stigmatisierung verbunden, die selbst dann nicht vollständig beseitigt werden kann, wenn sich der Vorwurf letztlich als unzutreffende erweist. Bei bestimmten Ämtern wird unter Umständen allein schon durch den Tatvorwurf der öffentliche Druck so groß sein, dass ein Rücktritt, bevor die Vorwürfe abschließend bewertet werden konnten, unausweichlich ist.
Öffentlich ist grundsätzlich nur die Hauptverhandlung (§ 169 GVG), während das vorgelagerte Ermittlungsverfahren nichtöffentlich ausgestaltet ist.
Ein die Belange des Persönlichkeitsschutzes überwiegendes Interesse der Presse bereits in diesem frühen Verfahrensstadium mit Hilfe staatlicher Informationen berichten zu können, kann sich aus der Schwere der Tat, des Verdachtsgrades und der Stellung des Beschuldigten im öffentlichen Leben ergeben. Ist eine öffentliche Berichterstattung hiernach zulässig, werden regelmäßig gleichwohl Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der zu erteilenden Informationen geboten sein. Dies gilt zum einen hinsichtlich Informationen, die Rückschlüsse auf die Person des Beschuldigten ermöglichen und zum anderen hinsichtlich Informationen zur Art und zum Inhalt des konkreten Tatvorwurfes.
Eine Berichterstattung, welche die Identifizierung des Beschuldigten ermöglicht, ist nur bei sog. Personen der Zeitgeschichte zulässig. Aufgrund der Stellung des Beschuldigten Edathy, als bundesweit bekannter Innenpolitiker, war eine identifizierende Berichterstattung grundsätzlich zulässig. Die Art und der Zeitpunkt der Informationserteilung sind jedoch problematisch.
Die Öffentlichkeit wurde umfassend unterrichtet, bevor die Staatsanwaltschaft selbst ein abschließendes Urteil über die Strafbarkeit des Bildmaterials getroffen hatte. Dabei war bereits mit der Information über den Inhalt der Bilder eine maximale Schädigung des Beschuldigten in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden, weil diese über Personen in herausgehobenen öffentlichen Stellungen ihr Urteil nicht allein in juristischen, sondern vor allem in moralischen Kategorien fällt.
Man mag den Besitz solcher Bilder mit guten Gründen für moralisch verwerflich, generell strafwürdig und den Besitzer solcher Bilder für charakterlich ungeeignet zur Wahrnehmung wichtiger politischer Aufgaben halten. Solange der Gesetzgeber hieraus aber nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen hat, muss derjenige, der sich auf dem Boden des geltenden Rechts bewegt hat, sein erlaubtes Verhalten nicht auf staatliche Veranlassung hin zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung machen lassen. Eine moralische Aufarbeitung ist jedenfalls nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden.
Auch wenn die Staatsanwaltschaft Hannover letztlich bestimmte Bilder als strafrechtlich relevant einstufte und darauf ihre Anklage stützte, so hätte es Zurückhaltung hinsichtlich der öffentlichen Information über den Tatvorwurf bedurft. Die abschließende strafrechtliche Bewertung eines Sachverhaltes ist Sache des gesetzlichen Richters. Dies kommt auch in Nr. 23 RiStBV zum Ausdruck, wonach die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen darf. Dies gilt umso mehr, als es sich scheinbar um Bildmaterial aus einem strafrechtlichen Randbereich, also nicht um eindeutig strafbares Verhalten handelte. Kommt das Gericht in einem solchen Fall später zu dem Ergebnis der Inhalt des Bildmaterials sei nicht strafbar, so ist dem Beschuldigten bereits ein nicht mehr zu reparierender Schaden entstanden.
Es ist zwar nachvollziehbar, dass seitens der mit den Ermittlungen befassten Staatsanwaltschaft das Bedürfnis bestand das eigene Vorgehen, welches massiver Kritik ausgesetzt war, mit Details zu dem Tatvorwurf zu rechtfertigen. Diesem Zweck ist die Öffentlichkeitsarbeit der Strafermittlungsbehörden nach der gesetzlichen Konzeption allerdings nicht zu dienen bestimmt.
 
Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO
Letztlich kam es zu keinem Urteil gegen Sebastian Edathy, da das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen die Zahlung von 5000 € eingestellt wurde. Die von der StPO vorgesehenen Möglichkeit der Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen dient der Prozessökonomie, zum anderen aber auch den Interessen des Beschuldigten, dem die Belastungen einer öffentlichen Hauptverhandlung erspart bleiben, ohne dass mit der Verfahrenseinstellung eine Schuldfeststellung verbunden ist.
Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO kommt nur bei Vergehen in Betracht und ist für diejenigen Fälle gedacht, in denen zwar im Gegensatz zu § 153 StPO ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, dieses aber durch Auflagen oder Weisungen im Sinne des nicht abschließenden Katalogs des § 153a Abs. 1 S. 2 StPO beseitigt werden kann, wobei allerdings die Schwere der Schuld der Einstellung nicht entgegenstehen darf.
Wenngleich mit der Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO keine Schuldfeststellung verbunden ist, so verbleibt für den Betroffenen, dennoch ein bitterer Beigeschmack. Er musste sich die Verfahrenseinstellung mittels der Erfüllung von Auflagen oder Weisungen „erkaufen“, was eigentlich der Unschuldsvermutung, welche mangels Schuldfeststellung fort gilt, widerspricht und öffentlich den Eindruck eines Schuldeingeständnisses erweckt. Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu der Verfahrenseinstellung tatsächlich von einem Schuldeingeständnis abhängig gemacht. Ein Geständnis wirkt sich zwar anerkanntermaßen strafmildernd aus, sodass es denkbar erscheint, dass durch ein Schuldeingeständnis das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung so weit herabgesetzt wird, dass der Anwendungsbereich des § 153a StPO erst eröffnet wird. Allerdings war im konkreten Verfahren nicht die Tatsache des Besitzverschaffens und des Besitzes des konkreten Bild- und Filmmaterials streitig, sondern es ging lediglich um die rechtliche Bewertung des unstreitigen Sachverhalts. Das „Schuldeingeständnis“ des Angeklagten hat in einem solchen Fall keinen Mehrwert, da es für die Frage, ob sich der Angeklagte schuldig im Sinne der angeklagten Tat gemacht hat, keine Aussage trifft.
Man muss die Verfahrenseinstellung nicht gutheißen, unter Berücksichtigung der strafgerichtlichen Praxis ist sie allerdings nachvollziehbar und beruht nicht auf einem „Promi-Bonus“.
Folgende Gründe können für eine Anwendung des § 153a StPO im konkreten Fall angeführt werden:

  • Es handelte sich um eine vergleichsweise niedrige Anzahl von Bild- und Filmdateien, deren Besitz angeklagt wurde
  • Es handelte sich scheinbar um Bilder im Grenzbereich zur Strafbarkeit
  • Der angeklagte Tatzeitraum lag bereits mehrere Jahre zurück
  • Der Angeklagte war vorher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten
  • Die berufliche und private Existenz des Angeklagten wurden bereits durch das Ermittlungsverfahren, die Anklage und die begleitende Berichterstattung zerstört

Unter Berücksichtigung dieser Umstände kam für den Fall einer Verurteilung daher nur eine Strafe im unteren Bereich des auf den fraglichen Tatzeitraum anwendbaren Strafrahmen des § 184b Abs. 4 StGB a.F. von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe in Betracht.

15.06.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-06-15 08:30:062015-06-15 08:30:06Der Fall Edathy im Lichte der StPO
Dr. Johannes Traut

Ermittlungen gegen zu Guttenberg eingestellt

StPO, Strafrecht, Tagesgeschehen

Gestern hat die Staatsanwaltschaft Hof die Ermittlungen gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Guttenberg wegen der Plagiate in seiner Dissertation nach § 153a StPO eingestellt (Bericht von beck-online v. 23.11.2011).
I. Materiell-rechtliche Probleme

  • Urheberrechtsverletzungen: Der Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG ist wohl erfüllt. Jedenfalls die Staatsanwaltschaft Hof ging hiervon aus.
§ 106 UrhG Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke:
(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
  • Möglicherweise § 263 Abs. 1 StGB (Betrug) gegenüber dem Deutschen Bundestag durch Nutzung dessen wissenschaftlichen Dienstes für private Zwecke. Hier fehlt es wohl vor allem am Schaden.
  • Möglicherweise § 266 Abs. 1 StGB (Untreue) durch dieselbe Handlung. Insofern ist jedoch schon das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht (nach h.M. für beide Tatvarianten erforderlich) mehr als fraglich.
  • §§ 267, 274 StGB (Urkundenfälschung, Unterdrückung von Urkunden): Schützen nicht die inhaltliche Richtigkeit.
  • Amtsanmaßung (§ 132a StGB): Der Titel war wirksam verliehen, daher durfte Guttenberg ihn auch führen.

In der Prüfung ist insofern in erster Linie Problembewußtsein und dann eigenständige Argumentation gefragt. Zu den materiell-rechtlichen Problemen ausführlicher unser Artikel: „Noch einmal aus aktuellem Anlass: Strafbarkeit bei plagiierten Dissertation“ und, insbesondere zum Betrug und der zivilrechtlichen Seite „Plagiat in der Dissertation von Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg – rechtliche Implikationen und andere interessante Fälle„.
II. Die Einstellung nach § 153a StPO
Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung von 20.000€ an die Deutsche Kinderkrebshilfe eingestellt. Die Einstellung nach § 153a StPO ist ein in der Praxis häufiges Mittel, wenn eine Einstellung nach § 153 StPO wegen geringer Schuld (und fehlendem öffentlichen Interesse) nicht mehr in Betracht kommt.
§ 153a StPO geht in zweierlei Hinsicht über § 153 StPO hinaus, nämlich sowohl hinsichtlich des Grades der Schuld wie auch hinsichtlich des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung: Während § 153 StPO eine Einstellung nur zulässt, wenn die Schuld Täters „gering“ ist UND KEIN öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, ermöglicht § 153a StPO eine Einstellung „soweit die Schuld des Täters nicht entgegensteht“ – also bei einem höheren Maß an Schuld. Außerdem trotz eines zunächst bestehenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingestellt werden, soweit dieses durch Auflagen nach § 153a Abs. 1 S. 2 StPO beseitigt wurde.

§ 153a  [Einstellung des Verfahrens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen]
Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. […]

Vorliegend ist die Schwere der Schuld sicherlich kein Einstellunghindernis: Insgesamt ist der wirtschaftliche Schaden durch die sicher erfüllten Urheberrechtsverletzungen als gering zu bewerten und zu Guttenberg ist Ersttäter. Bei der Beurteilung der Schuld kann man durchaus auch einbeziehen, dass in der wissenschaftlichen Praxis „Plagiate“ wenn nicht stillschweigend hingenommen, so doch kaum verfolgt wurden. Wenn man sich vor Auge hält, dass auch Verkehrsdelikte mit Personenschäden und sogar Fälle fahrlässiger Tötung unter § 153a StPO fallen können, ist die Schuld zu Guttenbergs sicherlich am unteren Rande anzusiedeln. Dazu und allgemein zu der Schwere der Schuld vgl. Beck’scherOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 12ff.).
Problematisch ist jedoch, ob das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt werden kann. Zunächst ist im Falle zu Guttenbergs vor allem zu klären, wonach sich dieses Interesse bemisst: Geht es nur um „die Tat als solche“ oder dürfen auch Gründe aus seiner Person, und hier insbesondere seine Stellung im öffentlichen Leben, einbezogen werden?
Die wohl überwiegende Meinung bejaht letzteres – bei einem Prominenten kann daher wegen der Vorbildfunktion ein (größeres) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen sein als bei einer unbekannten Person (vgl. KarlsruherKo-StPO/Schoreit, § 153 Rn. 23 m.w.N.). Insbesondere soll das bei „politischen Verwerfungen“ gelten (KarlsruherKo-StPO/Schoreit, § 153 Rn. 25 m.w.N). Die Gegenansicht dagegen möchte Gründe, die in der Person des Täters liegen, eher ausblenden (etwa Löwe/Rosenberg/BeulkeStPO § 153 Rn. 33). Ein bloßes Interesse der Medien an dem Fall reicht jedenfalls nicht (LG Bonn NStZ 2001, 375).
Letztlich muss man sich hier eine eigene Meinung bilden. Ich halte eine vermittelnde Ansicht für richtig: Der Sinn der Strafverfolgung ist es sicherlich nicht, ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu befriedigen, sondern sollte sich nach general- oder spezialpräventiven Gesichtspunkten richten. Denn letztlich dient die Strafverfolgung den gleichen Zwecken wie die Strafe selbst. Im Rahmen dieser kann dann durchaus die Vorbildfunktion des Prominenten einbezogen werden.
Das gilt insbesondere im Falle zu Guttenbergs, der sich auf der politischen Bühne mit dem Ruf der Integrität zu profilieren suchte. Stellt sich heraus, dass diese Fassade unrichtig war, liegt der Gedanke, dass auch andere diesem negativen Vorbild folgen würden, nicht fern. Es bestand also durchaus ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung.
Ob dieses durch die Auflage in Höhe von 20.000€ beseitigt wurde, mag man diskutieren. Dort heißt es bei Beck’scherOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 17ff: Für die Einstellung spricht,

„[…] wenn die langwierige Durchführung des Verfahrens durch mehrere Instanzen nicht mehr im Verhältnis zur Tat oder zum Schutzgehalt und damit auch zur eventuellen Höhe der Strafe stünde, eine verständliche Motivlage des Beschuldigten, seine fehlende kriminelle Vorbelastung und seine Person als solches, eine fehlende Wiederholungsgefahr, Bemühung um Schadenswiedergutmachung und geringe Tatfolgen“.

Ich denke im Ergebnis sind 20.000 € gut vertretbar. Es ist sicherlich eine recht hohe Summe im Verhältnis zu den eingetretenen Schäden. Damit wird dann dem aus der Person des Ex-Verteidigungsminister fließenden höheren öffentlichen Intersse genügt.

24.11.2011/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2011-11-24 10:40:472011-11-24 10:40:47Ermittlungen gegen zu Guttenberg eingestellt

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