• Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Eilrechtsschutz

Schlagwortarchiv für: Eilrechtsschutz

Carlo Pöschke

BVerfG: Antrag der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Ungefähr drei Monate sind vergangen, seit eine nächtliche Sitzung des Deutschen Bundestags für unerwartetes Aufsehen sorgte: Obwohl ein Abgeordneter der Fraktion „Alternative für Deutschland“ (AfD) die Beschlussfähigkeit des Bundestags bezweifelte und Schätzungen zufolge nur noch ca. 100 der 709 Parlamentarier im Sitzungssaal anwesend waren, wurde die Abstimmung u.a. über zwei europarechtliche Datenschutzvorlagen fortgesetzt. Am Tag danach erklärte die AfD-Vize-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, es werde geprüft, was gegen die Willkür, „mit der ein offenkundig nicht beschlussfähiger Bundestag in tiefer Nacht unter erkennbar offener Missachtung der Geschäftsordnung Gesetze durchdrückt“, unternommen werde könne. Daraufhin reichte die AfD-Bundestagsfraktion beim BVerfG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, die es dem Bundespräsidenten untersagen sollte, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Mit Beschluss vom 17.09.2019 – 2 BvQ 59/19, BeckRS 2019, 21913 lehnte der Zweite Senat den Erlass der einstweiligen Anordnung ab. Da der Vorgang auch erhebliche mediale Aufmerksamkeit erfahren hat, liegt die gesteigerte Prüfungsrelevanz auf der Hand. Gleichzeitig bietet die Entscheidung die Gelegenheit, die Grundlagen der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG zu wiederholen, die im Studium im Vergleich zum vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach §§ 80 Abs. 5, 80a, 123 VwGO häufig nur geringe Aufmerksamkeit erfährt.

A. Sachverhalt (im Wesentlichen den Gründen des Beschlusses entnommen, leicht abgewandelt)

Doch was genau ist geschehen?

Die 107. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages dauerte vom 27. bis in die frühen Morgenstunden des 28.06.2019. Als Tagesordnungspunkte 22a und 22b rief die Vizepräsidentin des Bundestages zwei Gesetzentwürfe zur Beratung auf. Bevor die Abgeordneten mit den Abstimmungen über die Gesetzentwürfe begannen, bezweifelte am 28.06.2019 gegen 1:27 Uhr ein Abgeordneter der AfD-Fraktion die Beschlussfähigkeit der Versammlung, woraufhin die Bundestagsvizepräsidentin für den Sitzungsvorstand erwiderte, dass nach dessen Meinung die Beschlussfähigkeit gegeben sei. Schätzungen zufolge waren jedoch nur ca. 100 der 709 Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend. Für den Sitzungsvorstand war es auch eindeutig erkennbar, dass weniger als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend waren. Dennoch wurden zunächst die beiden Gesetzentwürfe sowie später noch ein dritter Entwurf zur Abstimmung gestellt. Alle erhielten die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Die AfD-Bundestagsfraktion stellte beim BVerfG daraufhin schriftlich einen den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der Antrag war darauf gerichtet, dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres zu untersagen, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden.

Nach Ansicht der AfD-Fraktion verletzte die Nicht-Durchführung des sog. Hammelsprungs nicht nur § 45 Abs. 2 iVm. § 51 GOBT, sondern v.a. auch den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie und speziell die Mitwirkungsrechte des gesamten Bundestags bei der Gesetzgebung. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG sei zulässig. Zunächst sei ein Organstreit in der Hauptsache grundsätzlich zulässig, denn eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Bundestages infolge des offensichtlich willkürlichen Vorgehens der Sitzungsleitung sei keineswegs ausgeschlossen. Gegen die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung könne ferner nicht eingewendet werden, dass im noch anzustrengenden Organstreitverfahren nicht der Bundespräsident, sondern v.a. der Bundestag selbst als Antragsgegner in Betracht komme. Auch werde es in der späteren Hauptsache nur um die Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte gehen und nicht wie hier um eine vorläufige Unterlassung. Jedoch könnten die verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages anders nicht effektiv geschützt werden. Der Antrag sei schließlich auch begründet. Selbst unter Anlegung strenger Maßstäbe sprächen im Rahmen einer Folgenabwägung die besseren Gründe für den Erlass der einstweiligen Anordnung. Für den Fall, dass dem Eilantrag stattgegeben werde, der Hauptsacheantrag aber ohne Erfolg bliebe, entstehe kein nennenswerter Schaden. Die betroffenen Gesetze träten lediglich einige Monate später in Kraft, was durch die Gewissheit ihrer formellen Verfassungskonformität kompensiert werde. Hingegen sei das rasche Inkrafttreten der Gesetze vergleichsweise ohne Wert, denn sie seien mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit bemakelt. Für Rechtsfrieden könnten sie so nicht sorgen. Sollte hingegen der Eilantrag abgelehnt werden, der Organstreit in der Hauptsache aber erfolgreich sein, entstehe eine Art „verfassungsrechtlicher Notstand“. Denn das Bundesverfassungsgericht könne im Organstreitverfahren nur die Verletzung von Organrechten feststellen, nicht aber einen verfassungswidrig zustande gekommenen Rechtsakt für nichtig erklären. Es wären dann formell verfassungswidrige, aber weiterhin fortgeltende Gesetze in der Welt. Nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden. Daher dürften sie jetzt jedenfalls noch nicht ausgefertigt werden.

Hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Aussicht auf Erfolg?

B. Rechtliche Würdigung

Das BVerfG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung „abgelehnt“. Bereits am Tenor wird damit deutlich, dass sich die Entscheidung strukturell in die Rechtsprechung des BVerfG einfügt, die nicht zwischen Zulässigkeit und Begründetheit abgrenzt (vgl. dazu auch MKSB/Graßhof, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 32 Rn. 37 f.). Auch wenn die praktische Bedeutung dieser Abgrenzung gering ist, ist Klausurbearbeitern gleichwohl zu raten, die Prüfung nach den Erfolgsaussichten der Übersichtlichkeit halber wie gewohnt in Zulässigkeit und Begründetheit zu gliedern.

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung hat also Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

Der Antrag müsste zulässig sein.

1. Eröffnung des Rechtswegs zum BVerfG

Dazu müsste zunächst der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet sein, was dann der Fall ist, wenn das mit dem Hauptsacheverfahren verfolgte oder zu verfolgende (sog. isolierter Eilantrag) Anliegen einer der in Art. 93 Abs. 1 GG, § 13 BVerfGG abschließend aufgezählten Verfahrensarten zuzuordnen ist. Im Hauptsacheverfahren wäre ausweislich der Begründung des Antrags zu klären, ob durch das Vorgehen der Sitzungsleitung verfassungsmäßige Rechte des Bundestags verletzt wurden. Einschlägig wäre damit in der Hauptsache ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG, sodass auch vorliegend der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet ist.

2. Zuständigkeit des BVerfG

Gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG ist das BVerfG zur Entscheidung über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig.

3. Antragsberechtigung

Weiterhin müsste die AfD-Fraktion antragsberechtigt sein. Die Antragsberechtigung ergibt sich dabei aus dem betreffenden Hauptsacheverfahren. Antragsberechtigt sind somit die Beteiligten des Hauptsacheverfahrens. Die Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG. Nach § 63 BVerfGG sind der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestags und des Bundesrats mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe beteiligungsfähig. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ist hinsichtlich der Beteiligungsfähigkeit weiter gefasst und lässt die Anträge eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das GG oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind, zu. Eine Fraktion wird durch §§ 10 ff., 57 Abs. 2, 75 f. GOBT mit eigenen Rechten ausgestattet und ist damit ein Teil des Bundestags iSd. § 63 BVerfGG bzw. ein anderer Beteiligter iSd. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Die AfD-Fraktion ist somit im Organstreitverfahren beteiligungsfähig und damit auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung antragsberechtigt.

4. Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Außerdem dürfte die einstweilige Anordnung nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, da sie nur der vorläufigen Regelung eines Zustands dient. Vorliegend begehrt die Antragstellerin dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres zu untersagen, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Auch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens könnte der Bundespräsident die beschlossenen Gesetze noch gegenzeichnen und im Bundesgesetzblatt verkünden. Dadurch würden die Folgen der einstweiligen Anordnung gleichsam rückgängig gemacht. (Salopp formuliert könnte man sagen, Gegenzeichnung und Verkündung werden durch eine einstweilige Anordnung bloß aufgeschoben, nicht aufgehoben.) Die einstweilige Anordnung nimmt daher die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg.

 5. Form

Die Formvorschriften des § 23 Abs. 1 BVerfGG wurden gewahrt.

Anmerkung: An dieser Stelle wurde der Sachverhalt aus didaktischen Gründen leicht abgewandelt: Das BVerfG hat im zu entscheidenden Fall zusätzlich die Frage aufgeworfen (aber letztendlich dahinstehen lassen), ob der Antrag überhaupt den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügt. Dies sei fraglich, da sich aus der bisherigen Begründung womöglich nicht deutlich genug ergebe, welche organschaftliche Rechtsposition die Antragstellerin in einem etwaigen Organstreitverfahren gedenkt geltend zu machen.

6. Zwischenergebnis

Der Antrag ist zulässig.

II. Begründetheit

Fraglich ist, ob der Antrag auch begründet ist.

Im Rahmen der (vom BVerfG nicht explizit als Begründetheitsprüfung bezeichneten) Begründetheitsprüfung arbeitet das BVerfG nach ständiger Rechtsprechung anders als vom verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz bekannt mit einer spezifischen Folgenabwägung, bei der die konkreten Erfolgsaussichten der Hauptsache grds. außer Betracht bleiben. Stattdessen rekurriert das Gericht auf die sog. Doppelhypothese, bei der die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, abgewogen werden mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Hauptsacheverfahren aber letztlich der Erfolg zu versagen wäre. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 1 BVerfGG („Abwehr schwerer Nachteile“, „Verhinderung drohender Gewalt“, „anderer wichtiger Grund“) gehen bei dieser Formel im Begriff des Nachteils auf. Das BVerfG tritt in die Abwägung nach der Doppelhypothese jedoch nur ein, wenn sich das Hauptsacheverfahren weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet erweist (hierzu m.w.N. BeckOK BVerfGG/Walter, 7. Ed. 01.06.2019, § 32 Rn. 42 f.).

1. Offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit in der Hauptsache

Die Hauptsache dürfte nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sein. Dies wäre der Fall, wenn das Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Auffassung ist, dass kein Gesichtspunkt erkennbar ist, der dem Hauptsacheverfahren zum Erfolg verhelfen könnte.

Das BVerfG schneidet in dem Beschluss jedoch Zulässigkeits- und Begründetheitsfragen des Hauptsacheverfahrens nicht einmal an, sondern löst den Fall über die bereits angesprochene spezifische Folgenabwägung. Dies ist typisch für Entscheidungen des BVerfG über einstweilige Anordnungen, da in der verfassungsgerichtlichen Praxis die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens noch nicht abschließend geklärt sein müssen. Um auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen in der gutachterlichen Bearbeitung eingehen zu können, ist Klausurbearbeitern dennoch zu empfehlen, die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens inzident zu prüfen.

Als erster problematischer Punkt einer inzidenten Zulässigkeitsprüfung wäre damit die Frage zu beantworten, wer der Antragsgegner ist und ob dieser ebenfalls beteiligungsfähig gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG ist. Die AfD-Fraktion führt in ihrem Antrag bereits selbst aus, dass im noch anzustrengenden Organstreitverfahren nicht der Bundespräsident, sondern v.a. der Bundestag selbst als Antragsgegner in Betracht komme. Da vorliegend jedoch die Stellvertreterin des Bundestagspräsidenten handelte, erscheint es naheliegender, den Bundestagspräsidenten als Antragsgegner zu wählen. Dabei handelt der Stellvertreter des Präsidenten bei der Leitung von Bundestagssitzungen als „amtierender Präsident“ iSd. § 8 Abs. 1 GOBT. Der Bundestagspräsident wird z.B. durch §§ 7 Abs. 1 S. 1, S. 2 a.E., 22 S. 1 GOBT auch mit eigenen Rechten ausgestattet und ist damit sowohl gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG als auch nach § 63 BVerfGG beteiligungsfähig.

Ebenfalls näheren Ausführungen bedarf es bei der Frage, ob die AfD-Fraktion auch antragsbefugt ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Dazu müsste die Antragstellerin geltend machen, d.h. die Möglichkeit aufzeigen, dass sie oder das Organ, dem sie angehört, durch die Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners (hier: Ablehnung des Antrags auf Durchführung eines Hammelsprungs durch den Sitzungsvorstand) in ihren ihr durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Weil das Organstreitverfahren ein kontradiktorisches Streitverfahren ist, bei dem der Antragsteller eine Verletzung eigener durch das GG übertragener Rechte oder im Rahmen einer Prozessstandschaft die Verletzung von Rechten der Organs, dem er angehört, geltend machen muss, genügt eine Berufung auf eine bloße Missachtung der GOBT oder objektiver Verfassungsprinzipien nicht. Im vorliegenden Fall erscheint eine Verletzung eigener verfassungsrechtlicher Rechte der AfD-Fraktion nicht einmal möglich, da der Sitzungstermin bekannt war und die gesamte Fraktion an der Sitzung des Bundestags hätte teilnehmen können. Gleiches gilt, soweit die AfD-Fraktion prozessstandschaftlich die Rechte des Bundestags geltend machen würde: Der Sitzungstermin wurde rechtzeitig bekanntgemacht und Hinweise zu etwaigen Behinderungen der parlamentarischen Abläufe im Vorfeld lagen nicht vor. Auch das Gesetzgebungsrecht des Bundestags wurde nicht beeinträchtigt, da die Verweigerung des Hammelsprungs gerade dazu führte, dass es zu den Gesetzesbeschlüssen kommen konnte (hierzu s. Deger, Verfassungsblog v. 14.08.2019).

Somit könnte man (jedenfalls in einer Klausurbearbeitung) den Antrag bereits wegen offensichtlicher Unzulässigkeit des Hauptsacheverfahrens als unbegründet ansehen.

2. Folgenabwägung

Der Zweite Senat hingegen ist von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausgegangen und hat somit direkt die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, gegen die Folgen abgewogen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

Nach Ansicht des Gerichts drohte der AfD-Fraktion kein schwerer Nachteil, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde und ein Organstreitverfahren später Erfolg hätte. Das Argument, für diesen Fall sei der Eintritt einer Art „verfassungsrechtlichen Notstands“ zu befürchten, überzeugte das BVerfG nicht. Denn:

„Was […] [die AfD-Fraktion] […] in der Sache rügt, ist das Auseinanderfallen der möglichen Rechtsfolgen von Organstreitverfahren einerseits und Normenkontrollverfahren andererseits. Nach § 67 BVerfGG stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über einen Organstreit nur fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt; Rechtsfolge der abstrakten Normenkontrolle kann hingegen nach § 78 BVerfGG die Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht sein. Eine Rechtsschutzlücke für mögliche Antragsteller des Organstreits folgt hieraus jedoch nicht, sondern dies ist Ausdruck der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG, dem objektiven Normenbeanstandungsverfahren mit dem Organstreit ein kontradiktorisches Streitverfahren ausschließlich zur Klärung eines bestimmten Verfassungsrechtsverhältnisses zur Seite zu stellen. Für eine sich von diesem gesetzlich gezogenen Rahmen lösende Ausdehnung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts ist kein Raum […].“

Auch durch das Inkraftbleiben eines zunächst formell verfassungswidrigen Gesetzes im Falle eines späteren Erfolgs im Organstreitverfahren stelle – so das BVerfG – keinen schweren Nachteil für die AfD-Fraktion dar. An dieser Stelle verweist das Gericht erneut auf eine grundgesetzliche Kompetenzentscheidung: Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz sei grds. nachgelagerter, kassatorischer Rechtsschutz, wobei das BVerfG insb. die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten zu respektieren habe.

Ebenfalls nicht überzeugte das Gericht das Argument, nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die fraglichen Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden. Dazu führt das BVerfG in seiner Entscheidung aus, dass der

„Bundestag […] zu jedem Zeitpunkt erneut über die seitens der Antragstellerin bemängelten Gesetze abstimmen [kann], und zwar unabhängig sowohl von einem Erlass der einstweiligen Anordnung als auch von einer Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte der Antragstellerin in einem späteren Organstreitverfahren.“

Im Ergebnis gewichtete das BVerfG somit ein späteres Inkrafttreten der verabschiedeten Gesetze für den Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Hauptsacheantrag aber ohne Erfolg bleibt, schwerer als die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte. Dies auch deshalb, weil die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darstellt und daher bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter diesen Umständen ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist.

3. Zwischenergebnis

Der Antrag der AfD-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

III. Ergebnis

Der Antrag hat keinen Erfolg.

C. Stellungnahme/Ausblick

Was bleibt?

  • Die Entscheidung des BVerfG ist im Ergebnis richtig, das allgemeine Vorgehen des Verfassungsgerichts bei der Prüfung von einstweiligen Anordnungen erweist sich jedoch als wenig systematisch. Weshalb auf eine Unterteilung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit verzichtet wird, ist nicht ersichtlich. Ebenfalls nicht erklären lässt sich, weshalb statt auf eine summarische Prüfung wie beim verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz auf eine Folgenabwägung gesetzt wird: Laut BVerfG müssen „bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung […] die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht […] bleiben“, um im gleichen Atemzug festzustellen, dass dies nicht gelte, wenn sich die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Gerade dadurch wird jedoch der Erlass der einstweiligen Anordnung vom prognostischen Ausgang des Hauptsacheverfahrens abhängig gemacht. Der Unterschied zwischen Folgenabwägung und summarischer Prüfung ist daher höchstens graduell. Prüflingen ist dennoch zu raten, die Terminologie und die Struktur der Prüfung durch das BVerfG mit Ausnahme der bereits geschilderten Abweichungen in die eigene gutachterliche Falllösung zu übernehmen, um dem Prüfer zu zeigen, dass die Unterschiede zwischen verwaltungsgerichtlichem Eilrechtsschutz und einstweiliger Anordnung nach § 32 BVerfGG bekannt sind.
  • Der vorliegende Fall kann nicht nur als Ganzes, sondern auch in vielfältigen anderen Konstellationen in verfassungs- oder verwaltungsgerichtlichen Klausuren Bedeutung erlangen. Insb. kann die Problematik um die Verweigerung eines Hammelsprungs immer dann eingestreut werden, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geprüft werden soll. Bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens (Art. 76 ff. GG) iRd. formellen Verfassungsmäßigkeit wäre dann zu prüfen, ob die Geschäftsordnungsvorschriften der §§ 45, 51 GOBT durch die Verweigerung des Hammelsprungs verletzt wurden (zu dieser Frage ausführlicher Deger, Verfassungsblog v. 14.08.2019). Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung von §§ 45, 51 GOBT vorliegt, wäre weiter zu erörtern, ob ein bloßer Verstoß gegen Geschäftsordnungsvorschriften vorliegt oder ob §§ 45, 51 GOBT zudem Verfassungsrecht konkretisieren. Nur im letztgenannten Fall führt eine Missachtung von §§ 45, 51 GOBT auch zur Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes.

07.10.2019/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-10-07 09:17:412019-10-07 09:17:41BVerfG: Antrag der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt
Gastautor

Jur:Next Urteil: DÜGIDA vs. Oberbürgermeister

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Versammlungsrecht

Wir freuen uns, auch heute wieder einen Beitrag aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next veröffentlichen zu können. Nachfolgend wird ein Beschluss des OVG NRW besprochen, der wegen der hohen Relevanz des Eilrechtsschutzes in der Ersten Staatsprüfung Anlass bietet, sich anhand einer politisch aktuellen Situation in das Thema einzudenken.
Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 2015 ·
Az. 15 B 45/15

Leitsatz: „Zulässigkeit und Grenzen von staatlichen Aufrufen an die Bevölkerung zu Kundgebungen oder ähnlichen politischen Aktionen sind jedoch bislang in der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt. Zwar wird die Antragstellerin durch den Aufruf des Antragsgegners jedenfalls in ihren Grundrechten aus Art. 5 und 8 GG berührt. Sie kann aber ihre Versammlung gleichwohl wie geplant durchführen.“

I. Zum Sachverhalt
Der PEGIDA-Ableger DÜGIDA hatte für den 12.01.15 eine Demonstration mit dem allseits bekannten Thema der Islamisierung des Abendlandes geplant. Der Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf wollte dies nicht ohne weiteres hinnehmen. Angelehnt an die Maßnahme des Erzbistums Köln den Dom zu verdunkeln, sollten auch hier sämtliche städtische Einrichtungen als Zeichen der Ablehnung das Licht ausschalten. Auf der Internetseite der Stadt Düsseldorf wurden die Bürger gar zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Darüber hinaus wurden auf der öffentlichen Plattform auch die regional ansässigen Betriebe dazu aufgefordert gegen DÜGIDA das Licht  auszuknipsen. Ein Antrag einer Demonstrantin D auf einstweilige Untersagung des Handelns des OB von Düsseldorf hatte vor dem ansässigen VG Erfolg.[1] Das Stadtoberhaupt legte jedoch Beschwerde gegen die Untersagung beim OVG in Münster ein, welcher am 12.01.15 stattgegeben wurde.
II. Problemaufriss
Zunächst ein kurzer Überblick zur Zulässigkeit des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes:
Gem. § 123 V VwGO ist die einstweilige Anordnung nach § 123 I VwGO subsidiär zu § 80 V VwGO. Dieser Fall tritt ein, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft wäre, also sich das Begehren des Klägers auf die Abwehr eines nicht erledigten Verwaltungsakts richtet. Mangels Regelungsgehalts der Aufforderungen des OB im Internet an die Unternehmen ist eine Verwaltungsaktqualität zu verneinen. Bei der Anweisung das Licht in den Verwaltungsgebäuden auszuschalten handelt es sich ferner um eine innerbehördliche Maßnahme, der folglich eine Aussenwirkung fehlt. Vorliegend wäre somit nur eine Leistungsklage in Form des öffentlichrechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruchs statthaft in der Hauptsache. Die einstweilige Anordnung ist nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung einer vorhandenen Rechtsposition (S. 1) als auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes (S. 2) möglich. Die Anordnung nach Satz 1 ergeht bspw. bei sicherungsfähigen Unterlassungsansprüchen (Sicherungsanordnung). Eine solche nach Satz 2 hingegen zur Erweiterung des Rechtskreises bspw. durch Verpflichtungsverhältnisse (Regelungsanordnung). Das OVG bejaht vorliegend ohne weitere Prüfung eine Regelungsanordnung. Dafür spricht, dass man das Verlangen der D auf ein Lichtanlassen als ein „Mehr“ im Vergleich zur bereits genehmigten und gesicherten Versammlung sehen könnte. Dagegen spricht jedoch klar die dargestellte Unterlassungskonstellation. Die D möchte ihre bereits gesicherte Rechtsposition aus Art. 8 I GG vor einer Gefährdung durch das Handeln des OB schützen. Damit liegt der Fall einer Sicherungsanordnung vor, wobei letztlich jedoch mit guten Argumenten beiden Alternativen gefolgt werden kann. D ist auch gemäß § 42 II VwGO analog antragsbefugt, da sie auch im etwaigen Hauptsacheverfahren möglicherweise in ihrem Rechten aus Art. 8 I, 5 I 1 GG gefährdet wäre. Richtiger Antragsgegner nach § 78 I Nr. 1 VwGO analog ist die Stadt D als Rechtsträger des als in seiner Funktion als Behörde handelnden OB. Das Rechtsschutzbedürfnis im einstweiligen Rechtsschutz kann fehlen, wenn es einfachere Wege zur Erreichung des Begehrens des Antragstellers, bspw. durch einen Antrag bei der Behörde gibt oder auch das Hauptsacheverfahren insgesamt offensichtlich unzulässig wäre. Diesbezügliche Annahmen gibt es nicht, sodass der Antrag der D auf Erlass einer Sicherungsanordnung auch insgesamt zulässig ist.
In der Begründetheit müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sein. Ein  Anordnungsanspruch besteht wenn die Klage in der Hauptsache nicht offensichtlich unbegründet ist. Demnach ist hier die Unterlassungsklage der D summarisch zu prüfen. Sowohl Art. 8 I GG als auch dessen einfach gesetzliche Konkretisierung in § 1 VersG garantieren das subjektive öffentliche Recht der Freiheit einer Versammlung. Bei der PEGIDA- Demo handelt es sich um ein Zusammentreffen zur politischen Meinungskundgabe und somit bereits nach der engsten Definition um eine Versammlung. Es stellt sich die Frage, ob in diese Rechtsposition hoheitlich eingegriffen worden sein könnte. Der Düsseldorfer OB veröffentlichte die Aufforderungen auf der städtischen Internetplattform und gab innerbehördliche Anweisungen aus, sodass er in seiner hoheitlichen Funktion als gemeindliche Behörde (§ 62 II 2, 63 I GONW) handelte. Gesichert wird durch Art. 8 I GG das umfassende Recht Ort, Zeit und Umfang einer Versammlung frei zu gestalten. Auch in Dunkelheit öffentlicher und gewerblicher Gebäude kann die D ihre Versammlung wie geplant durchführen, da Straßen- und Wegebeleuchtung ihren Marsch sichern. Sinn und Zweck der Versammlungsfreiheit ist jedoch neben der organisatorischen Durchführung eine bestimmte meinungsbildende Wirkung nach außen tragen zu können. Einer vorher öffentlich „ausgeknipsten“ Veranstaltung ist dies nicht in gleicher Weise möglich, wie unter den Alltagsvoraussetzungen, die gerade die Besonderheit einer solchen Kundgebung hervorheben. Ihr wird in diesem Sinne die ausübende Wirkung erschwert. Auch wird sie von staatlicher Seite nicht in gleicher Weise wie eine gewöhnliche Demonstration behandelt. Diese vorliegende Beeinträchtigung der Rechtsposition aus Art. 8 I GG war auch gerade in funktionaler Weise das Ziel des Handelns des OB. Ein darüber hinaus gehender Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG, kann, wenn man wiederum auf die Wirkungsweise und die Darstellung der Demonstration als beeinträchtige Äußerung abstellt, gleichfalls bejaht werden.
Fraglich ist demnach, ob der Eingriff rechtswidrig war, also insbesondere von der D zu dulden sein könnte. Anmeldepflichtige und nicht verbotene Versammlungen können grds. nur unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 14 ff. VersG beschränkt werden. Eine mögliche Duldungspflicht gegnüber dem Handeln des OB findet sich hier und somit insgesamt nicht. Die öffentlichen Aufrufe könnten jedoch als im politischen Meinungskampf gerechtfertigt sein. Dies wäre nicht der Fall, wenn das Amt des Bürgermeisters, das der OB wie dargestellt ausgenutzt hat, dem staatlichen Neutralitätsgebot unterworfen ist. Das BVerfG hatte erst kürzlich entschieden, dass auch im öffentlichen Meinungskampf zwischen politischen Vertretern und parteilich organisierten Bürgern das staatliche Neutralitätsgebot aus Art. 20 I, II und Art. 21 I GG zu beachten ist. [2] Ob diese Grundsätze auf einen kommunalen Vertreter gegenüber einer politischen Organisation anwendbar sind, wurde, wie auch das OVG feststellt, bisher nicht entschieden.[3] Klar ist, dass Grundsätze der verfassungsmäßigen Ordnung über Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auch für die Länder und Kommunen gelten. Zwar zielt der Grundsatz auf die besondere Stellung der Parteien und deren Freiheit in Wahlkampfzeiten ab, dies darf jedoch nicht ausschließen, dass die demokratische Willensbildung, die auch gerade durch politische Organisationen erst entstehen kann, gleichfalls geschützt sein muss. Ferner sind Gründe warum dieses verfassungsrechtlich normierte Gebot, das so an Funktion und Ausübung eines Mandats eine Neutralitätspflicht knüpft, nicht auch für einen Gemeindevorsteher gegenüber einer politischen Organisation gelten soll nicht ersichtlich. In beiden Fällen geht es um die Ausnutzung der hoheitlichen Amtsstellung zur Beeinflussung politischer Willensbildung. In beiden Fällen führt dies so zu einem öffentlichkeitswirksamen Vorteil gegenüber den politischen Gegnern. Ausnahmen gelten nur dann, wenn es um offensichtlich verfassungsfeindliche Bestrebungen geht, die innerhalb der Demokratie zu bekämpfen ausdrücklich erlaubt ist (Art. 20 IV GG).[4] All diese Ausführen finden sich wenn überhaupt nur unvollständig in der Entscheidung des OVG wieder. Demnach liegt ein rechtswidriger Eingriff in Art.8 I, 5 I GG vor, ein Erfolg in der Hauptsache wäre zu erwarten und ein Anordnungsanspruch besteht.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn eine Eilentscheidung nötig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern (Interessenabwägung). Zunächst ist richtig, dass es sich aufgrund der Kürze der Zeit vorliegend um eine endgültige Entscheidung handelt, das die Hauptsache letztlich vorwegnimmt.[5] Dies liegt jedoch offensichtlich in der Natur der Sache einer Eilentscheidung, die mit einem zeitlich stark befristeten Unterlassungsbegehren verbunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung muss das Abwarten für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge haben. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens war offensichtlich mit nicht mehr zu beseitigenden Nachteilen verbunden, da die Versammlung unmittelbar bevorstand. Zudem wurde der nicht unerhebliche Einfluss auf Art und Umfang der Kundgebung bereits dargestellt. Die schon erwähnten gegenteiligen Argumente können aber auch hier zu einer Ablehnung eines Anordnungsgrunds kommen. Sicher ist jedoch, dass die Feststellung durch das OVG: „Sie [die D] (Anm. d. Verf.) kann aber ihre Versammlung gleichwohl wie geplant durchführen“[6], welche zugleich mit dem Ausbleiben einer Würdigung der Hauptsache einherging, offensichtlich unzureichend ist. Das Gericht verwies dafür zwar auf die Kürze der Zeit, wollte aber Mehr oder Minder sagen: „ Ist doch nicht so schlimm, stellen Sie sich nicht so an!“
Nach dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist dessen Glaubhaftmachung gemäß den §§ 920, 294 ZPO erforderlich. Die Rechtsfolgen einer einstweiligen Anordnungen stehen grds. im Ermessen des Gerichts (§ 123 III iVm § 938 I ZPO). Bezüglich des Ob der Anordnung ist nach ganz herrschender Auffassung bei Bejahung der vorhergehenden Merkmale kein Raum. Jedenfalls muss aber der Inhalt der Entscheidung vom Gericht bestimmt werden. Hier dürfen grds. keine Vorwegnahme und auch kein Überschreiten des Begehrens der Hauptsache erfolgen. Vorliegend handelte es sich wie dargestellt jedoch gerade um einen solchen Ausnahmefall, sodass ein Abwarten in der Hauptsache unzumutbar war. Schließlich konnte damit hier die Anordnung getroffen werden, dass der OB sowohl seine öffentliche Aufforderung als auch seine innerbehördliche Anweisung zur „Lichtblockade“ gegen DÜGIDA zu unterlassen bzw. zurückzunehmen hat.
III. Bedeutung für die Ausbildung
Der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz ist ein Dauerbrenner im Examen, da hier die einzelnen Ö- Rechtsgebiete übergreifend beherrscht werden müssen. Sind jedoch die dargestellten Grundzüge der §§80 V, 123 I klar, kann mit guter Argumentation und Überblick gepunktet werden. Das Urteil des OVG selbst ist aus den genannten Gründen zwar nicht lesenswert, jedoch besitzt die Fallkonstellation höchste Aktualität und somit auch Relevanz für die Erste Staatsprüfung.
 
[1] VG Düsselsdorf: Beschl. v. 9.01.2015, Az. 1 L 54/15.
[2] BverfG, Urteil vom 16.12.2014, Az. 2 BvE 2/14.
[3] Rn. 8.
[4] So bspw. bei einem Aufruf eines Bürgermeisters zu einer Gegendemonstration gegen einen verfassungsfeindlichen Verein: Beschluss des OVG vom 12.06.2005 · Az. 15 B 1099/05.
[5 ] Rn. 6.
[6] So das OVG in diesem Urteil lapidar in Rn. 9.

22.03.2015/5 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-03-22 09:11:252015-03-22 09:11:25Jur:Next Urteil: DÜGIDA vs. Oberbürgermeister
Dr. Jan Winzen

VG Aachen: Protestcamp Tagebau Hambach muss geräumt werden

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Beschluss vom 03.07.2013 (5 L 193/13) entschied das Verwaltungsgericht Aachen über den Eilrechtsschutzantrag eines Grundstückseigentümers gegen eine an ihn gerichtete bauordnungsrechtliche Beseitigungsverfügung. Gegenstand der angegriffenen Verfügung des Kreises Düren war die Beseitigug eines auf dem Grundstück des Antragstellers erichteten Protestcamps gegen die Erweiterung des Tagesbaus Hambach.
A. Sachverhalt
Im Rahmen der Proteste gegen die (weitere) Ausdehnung des Tagebaus Hambach errichteten Aktivisten auf dem Grundstück, das im Bereich des geplanten Tagebaus liegt, ein aus Zelten, Wohn- und Bauwagen, Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, Holzhütten sowie einer „Kriechbude“ mit blauer Folienabdeckung bestehendes Protestcamp. Der Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks hatte den Aktivisten die Errichtung des Camps Ende 2012 gestattet. Wie von dem Antragsteller im Verfahren ausgeführt, sollte das Camp primär den „Protestorganismus“ am Leben erhalten und verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Dabei diene es auch als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen. Mit Bescheid vom 22.03.2013 verfügte der Kreis Düren gegenüber dem Eigentümer der Wiese, unter (formell ordnungsgemäßer) Anordnung der sofortigen Vollziehung, das Camp zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat der Grundstückseigentümer Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben. Zugleich begehrt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
B. Rechtliche Würdigung
Der Antrag des Grundstückseigentümers hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Angesichts der zahlreichen materiell-rechtlichen Probleme, die der Fall im Rahmen der Begründetheit aufwirft, sollte die Zulässigkeitsprüfung in einer Klausur möglichst kurz ausfallen. Gleichwohl sind im Eilrechtsschutz stets (also auch hier) folgende Punkte zumindest kurz anzusprechen (siehe ausführlich zur Zulässigkeitsprüfung unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO):
1. Statthaftigkeit
Statthaft ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo, da sich der Antragsteller gegen den Vollzug eines ihn belastenden Verwaltungsakts (in Form der Beseitigungsverfügung) wendet, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft ist. In diesen Fällen ist Eilrechtsschutz vorrangig nach den §§ 80, 80a VwGO und nicht nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
2. Rechtsschutzbedürfnis
Das für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da der Anfechtungsklage des Antragstellers wegen der Vollziehungsanordnung der Behörde keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die Klage fristgerecht erhoben worden, also nicht offensichtlich unzulässig ist.
II. Begründetheit
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ist und das private Aussetzungsinteresse (Suspensivinteresse) des Antragsstellers das öffentliche Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach den (summarisch zu prüfenden) Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ist der Verwaltungsakt danach (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO regelmäßig Erfolg, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse der Behörde (im Fall des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) aber nur, wenn ein besonderes Vollzugsinteresse vorliegt.
1. Formell rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung
Im Hinblick auf die formellen Anforderungen an die behördliche Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO bestehen laut Sachverhalt keine Bedenken
2. Interessenabwägung – Erfolgsaussichten in der Hauptsache
Als Ermächigungsgrundlage für die bauordnungsrechtliche Verfügung kommt § 61 Abs. 1 BauO NRW in Betracht. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden (Satz 1). Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Satz 2).
a) formelle Rechtmäßigkeit
Die formellen Voraussetzungen (Zuständigkeit/Verfahren/Form) waren vorliegend gewahrt. Etwaige Anhörungsmängel wurden jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW geheilt (im Interesse der Leserlichkeit des Beitrags wird die Thematik hier nicht näher dargestellt – siehe vertiefend etwa hier).
b) materielle Rechtmäßigkeit
Auf Tatbestandsebene setzt eine auf § 61 Abs. 1 BauO NRW gestützte Beseitigungsanordnung das Vorliegen einer baulichen Anlage sowie deren formelle und materielle Illegalität voraus.
aa) Protestcamp als bauliche Anlage im Sinne der §§ 2, 61, 63 BauO NRW
Bei den das Protestcamp bildenden einzelnen Bestandteilen müsste es sich um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 BauO NRW handeln.
Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW). Eine Verbindung mit dem Erdboden besteht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Erdboden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.

Zu diesen Anlagen gehören neben Zelten, die mit Heringen und/oder ähnlichen Befestigungen mit dem Erdboden verankert sind, vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 2 Rdnr. 45, auch zu Wohnzwecken genutzte Wohn-, Bau- und Verkaufswagen, bei denen die Funktion als Transportmittel bei wertender Betrachtung in den Hintergrund tritt, vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1998 – 2 S 2.98 -, BRS 60 Nr. 206; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. Oktober 1985 – 4 TH 1864/85 -, BRS 44 Nr. 136 = juris, sowie Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, wenn diese überwiegend ortsfest benutzt werden.

Folglich handelt es sich bei den verschiedenen Bestandteilen des Camps um bauliche Anlagen.
bb) formelle Illegalität
Die formelle Illegalität folgt grds. aus dem Umstand, dass der Grundstückeigentümer die für die einzelnen baulichen Anlagen gemäß § 63 BauO NRW erforderliche Baugenehmigung nicht besitzt.
Man kann an dieser Stelle (wie auch das Verwaltungsgericht) noch eine Abgrenzung zu fliegenden Bauten im Sinne des § 79 BauO NRW vornehmen (die keiner Baugenehmigung nach § 63 BauO NRW bedürfen). Dies lässt sich leicht mit Hilfe der Legaldefinition des § 79 Abs. 1 BauO NRW vornehmen. Die insoweit erforderliche Eignung und Bestimmung zum wiederholten Aufstellen und Zerlegen an verschiedenen Orten ist vorliegend angesichts des zum Enscheidungszeitpunkt bereits monatelang unveränderten Standorts des Camps zu verneinen.
cc) materielle Illegalität
Materiell ist das im Außenbereich befindliche Vorhaben (das die Errichtung von baulichen Anlagen zum Inhalt hat, vgl. § 29 Abs. 1 BauGB) an § 35 BauGB zu messen. Im Rahmen des § 35 BauGB ist zuerst zu prüfen, ob ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB vorliegt (und öffentliche Belange nicht entgegenstehen). Ist dies nicht der Fall, kann sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als sonstiges Vorhaben aus § 35 Abs. 2 BauGB ergeben, wenn die Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

  • Protestcamp kein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB

In Betracht kommt vorliegend allein der Tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Danach sind Vorhaben privilegiert, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen.
Die Bestimmung stellt einen Auffangtatbestand für diejenigen nicht in § 35 Abs. 1 BauGB benannten Vorhaben dar, die auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind. Zur Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen bedarf es einer rechtlichen Wertung, ob das Vorhaben nach Lage der Dinge des jeweiligen Einzelfalls aus einem der in der Vorschrift genannten Gründe hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann. Diese Wertung beinhaltet vor allem die Entscheidung, ob das Vorhaben überhaupt im Außenbereich ausgeführt werden soll. Das ist nicht der Fall, wenn es zur Erfüllung der zulässigen und an sich außenbereichsadäquaten Funktion nicht erforderlich ist (siehe dazu zuletzt etwa die lesenswerte Entscheidung des OVG Münster, Urteil vom 15.02.2013 – 10 A 237/11 Rz. 27 ff. – juris, zu einem Hundeauslaufplatz im Außenbereich).
Gemessen an diesen Kriterien verneint das Gericht die Einordnung des Protestcamps als privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB:

In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es vorliegend an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Vorhaben auf Verhältnisse angewiesen sind, die typischerweise im Außenbereich anzutreffen sind. Die Eigentümer der streitgegenständlichen Anlagen nutzen das „Protestcamp“ nach den eigenen Angaben des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 6. Mai 2013 primär um den „Protestorganismus“ am Leben zu erhalten und zu verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Es dient als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen, z.B. der vom Antragsteller selbst organisierten Demonstration vom 18. November 2012 an der Autobahnabfahrt Kerpen-Buir. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein derartiges „Basislager“ nicht auch im Innenbereich realisiert werden könnte.

  • Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB

Zur Bestimmung möglicher öffentlicher Belange, die ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigen könnte, sollte man sich immer zunächst an den Regelbeispielen des § 35 Abs. 3 BauGB orientieren. Diese sind freilich nicht abschließend. Im vorliegenden Fall könnte das Vorhaben sowohl den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) (dieser stellt das Baugrundstück als „Fläche für die Landwirtschaft“ dar), oder das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten lassen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
Das Verwaltungsgericht lässt die Frage jedoch offen und stellt maßgeblich auf das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte – in § 35 Abs. 3 BauGB nicht ausdrücklich geregelte – öffentlichen Belang „Erfordernis einer förmlichen Planung“ ab. Dabei geht es vereinfacht gesagt um die Frage, ob das in Rede stehende Gebiet bauplanungsrechtlich zum Gegenstand eines Bebauungsplans gemacht werden müsste. In einem solchen Fall sind die Kriterien des § 35 BauGB nicht geeignet, um die Zulässigkeit eines Vorhabens zu beurteilen:

Die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufzählt, haben nur beispielhaften Charakter. Zu den nicht benannten öffentlichen Belangen gehört auch das Erfordernis einer förmlichen Planung. Dieser öffentliche Belang hat allerdings eine andere Qualität als die in § 35 Abs. 3 BauGB genannten. Er bringt zum Ausdruck, dass die in § 35 BauGB selbst enthaltenen Vorgaben nicht ausreichen, um im Sinne des erwähnten Konditionalprogramms eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können. Das im Außenbereich zu verwirklichende Vorhaben kann eine Konfliktlage mit so hoher Intensität für die berührten öffentlichen und privaten Belange auslösen, dass dies die in § 35 BauGB vorausgesetzte Entscheidungsfähigkeit des Zulassungsverfahrens übersteigt. Ein derartiges Koordinierungsbedürfnis wird vielfach dann zu bejahen sein, wenn die durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einen in erster Linie planerischen Ausgleich erfordern, der seinerseits Gegenstand einer abwägenden Entscheidung zu sein hat. Eine in diesem Sinne „abwägende“ Entscheidung ist nach der Gesetzeslage weder der Genehmigungsbehörde noch der Gemeinde im Rahmen des § 36 Abs. 1 BauGB zugestanden. Sie ist nach Maßgabe der §§ 1 ff. BauGB allein in einem Bauleitplanverfahren zu treffen.

Ob ein Erfordernis förmlicher Planung besteht, richtet sich im Einzelfall vor allem nach dem Umfang des Vorhabens und der Möglichkeit seiner Einordnung in die nähere Umgebung, wobei der Katalog der § 35 Abs. 3 BauGB insoweit wichtige Anhaltspunkte liefert.

Lässt sich die Koordination der Belange sachgerecht letztlich nur im Wege einer Abwägung sicherstellen, so ist dies auch ein hinreichendes Anzeichen für seine bodenrechtlich relevanten Auswirkungen, die geeignet sind, ein Planungsbedürfnis auszulösen.
Eine solche Situation ist hier gegeben. Dabei kommt der Tatsache, dass nur die einzelnen baulichen Anlagen, nicht aber die Gesamtanlage als solche, bei der es sich nicht um einen Campingplatz im Sinne von § 2 Abs. 1 der Verordnung über Camping- und Wochenendplätze handelt, genehmigungspflichtig ist, keine Bedeutung zu. Die 19 baulichen Anlagen treten nämlich schon wegen ihrer Verwirklichung in einem engen räumlichen Zusammenhang auf einem Flurstück und wegen ihres Charakters als (wildes) Camp als einheitliche Anlage in Erscheinung. Ein solches inmitten landwirtschaftlich genutzter Felder gelegenes Camp setzt eine förmliche Planung voraus, weil die ortsfeste Aufstellung der Anlagen eine Nutzung des Grundstücks durch die Mitglieder der Protestbewegung ermöglicht, die gesteigerte Anforderungen an die Gestaltung der in der näheren Umgebung befindlichen Wege und Straßen, die in erster Linie für den landwirtschaftlichen Verkehr ausgebaut sind, und an die Erschließungsanlagen (Wasser und Abwasser) stellt. Dies sind Belange, die grundsätzlich einer planerischen Steuerung bedürfen.

Die Zulässigkeit des Vorhabens kann damit im Ergebnis nicht auf § 35 BauGB gestützt werden, da es einer formelle Planung bedurft hätte.

  • dd) Zwischenergebnis: Protestcamp formell und materiell illegal

c) Rechtsfolgenseite
Auf Rechtsfolgenseite sind nun verschiedene Gesichtspunkte zu erörtern. Die Erwägungen müssen in einer Klausur in eine sinnvolle (vertretbare) Reihenfolge gebracht werden. Da § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW der Behörde Ermessen einräumt („Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen“) und sich die Begründetheit des Antrags nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache richtet (s.o.), empfiehlt es sich, zunächst – wie gewohnt – die ordnungsgemäße Ermessensbetätigung im Hinblick auf Maßnahme und Störer überprüfen (vgl. dazu § 114 VwGO) und dann auf eine mögliche Beeinträchtigung von Grundrechten einzugehen.
aa) Auswahlermessen: hohe Anforderungen an Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz
Eine bauaufsichtsrechtliche (auf die Generalklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW gestützte) Verfügung, mit der die Beseitigung baulicher Anlagen (im Gegensatz zur Untersagung ihrer Nutzung oder einer Baueinstellung) angeordnet wird, setzt wegen der besonders hohen Eingriffsintensität jedenfalls die formelle und materielle Ilegalität der Anlagen voraus. Selbst wenn das Vorhaben formell und materiell illegal ist, bedarf es stets der Prüfung, ob nicht auf andere Weise (durch weniger einschneidende Maßnahmen) rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Hier ist nun zu erkennen, dass die Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz höheren Anforderungen unterliegt und regelmäßig zu verneinen ist.

Der Antragsgegner konnte die angefochtene Verfügung auch in rechtlich zulässiger Weise auf die formelle und materielle Illegalität der Vorhaben stützen, soweit hierdurch das Entfernen der baulichen Anlagen vom Grundstück des Antragstellers gefordert wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung ist, worauf der Antragsteller zu Recht hinweist, zwar regelmäßig zu verneinen, weil der – nur durch ein Eilverfahren bestätigte – Abbruch von baulichen Anlagen die Hauptsache in unangemessener Weise vorwegnehmen kann.
Formell und materiell illegalen Baumaßnahmen ist daher regelmäßig durch Stilllegung der Baumaßnahmen oder Untersagung der Nutzungsaufnahme zu begegnen. Mit der Anordnung dieser Maßnahmen wird dem Zweck der Genehmigungspflicht – das Bauvorhaben soll (vor seiner Ausführung) auf seine Zulässigkeit geprüft werden – in aller Regel hinreichend Rechnung getragen. Auch kann der Vorteil, den der ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauende gegenüber dem gesetzestreuen Bürger dadurch erlangt, dass er eine nicht zugelassene Baumaßnahme bzw. Nutzung schon vor der Erteilung der Baugenehmigung verwirklicht, durch die Stilllegung oder Nutzungsuntersagung weitgehend aufgehoben werden.

Gemessen an diesen Kriterien unterliegt die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung zunächst erheblichen Bedenken. Etwas anderes kann aber gelten

in Ausnahmefällen, wenn beispielsweise die Beseitigung den ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauenden nicht wesentlich härter trifft als ein Nutzungsverbot oder – wie bei Werbeanlagen – das Nutzungsverbot einer Beseitigung gleichkommt, darf die Behörde die sofortige Entfernung des Baukörpers allein wegen formeller und materielle Illegalität verlangen. In jedem Fall muss die Beseitigung der baulichen Anlage ohne erheblichen Substanzverlust und andere – absolut und im Wert zur baulichen Anlage gesehen – hohe Kosten für Entfernung und Lagerung möglich sein.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt hier ein solcher Ausnahmefall vor, denn

Die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen ist ganz offensichtlich ohne (größeren) Substanzverlust und wesentliche wirtschaftliche Aufwendungen möglich. Die Zelte und Vorbauten können abgebaut, zusammengelegt, in den verschiedenen Fahrzeugen verstaut und gemeinsam mit den Fahrzeugen vom Grundstück entfernt werden. Die Hütte, die aus Holzresten behelfsmäßig gezimmert wurde, und die Kriechbude, die aus in den Boden eingegrabenen Holzplatten und hierauf befestigten Folienabdeckungen besteht, können auseinandergenommen und die Bauteile später einer erneuten Verwendung zugeführt werden. Ein nennenswerter Substanzverlust tritt daher nicht ein.
Die Beseitigung der baulichen Anlagen trifft den Antragsteller bei objektiver Betrachtung auch nicht härter als ein Nutzungsverbot. Denn ein solches hätte ebenfalls zur Folge, dass aus Sicherheitsgründen zumindest die Zelte, zeltartigen Konstruktionen und Vorbauten abgebaut und ebenso wie die Fahrzeuge entfernt werden müssten, da diese ansonsten der Gefahr einer Beschädigung durch Witterungseinflüsse ausgesetzt und/oder dem Zugriff Dritter schutzlos preisgegeben wären.
Darüber hinaus könnte eine Nutzungsuntersagung wegen der Lage der Bauvorhaben im Außenbereich aber auch nicht wirksam überwacht werden, so dass allein die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen für eine Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände in Betracht kommt.

bb) Störerauswahlermessen: Grundstückseigentümer als Störer
Im Hinblick auf die Störerauswahl gilt es zu erkennen, dass grundsätzlich auch eine Inanspruchnahme der einzelnen Camp-Insassen (als Verhaltensstörer) in Betracht gekommen wäre. Allerdings lag es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nahe, den Eigentümer des Grundstücks in Anspruch zu nehmen:

Zwar wäre auch in Betracht gekommen, den jeweiligen Inhaber der baurechtlich illegal aufgestellten und genutzten Anlagen in den Grenzen seiner jeweiligen Verhaltensverantwortlichkeit (§ 17 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden) einzeln heranzuziehen. Eine Verpflichtung, das Auswahlermessen in der letztgenannten Weise auszuüben, bestand für den Antragsgegner jedoch nicht. Denn es gibt kein generelles Rangverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des Verhaltens- und des Zustandsstörers; die Entschließung, wer als Pflichtiger heranzuziehen ist, ist vielmehr an den Umständen des Einzelfalles, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch dem Gebot effektiver und schneller Gefahrenabwehr auszurichten.
Ausgehend hiervon erweist sich die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller als Störer heranzuziehen, als ermessensgerecht. Sie beruht im Kern auf der Erwägung, dass die Bewohner der baulichen Anlagen häufig wechseln und daher nur schwer zu ermitteln sind, und berücksichtigt ergänzend, dass der Antragsteller über das bloße Zurverfügungstellen des Grundstücks hinaus durch eigenes Handeln – nämlich die aktive Unterstützung der Bewohner des Camps – die baurechtlich illegalen Anlagen in ihrem (Fort-)Bestand erhält. Diese Überlegungen sind nicht zu beanstanden. Die Inanspruchnahme des Antragstellers entspricht vielmehr dem Ziel effektiven Verwaltungshandelns, weil derzeit weder die einzelnen Nutzer noch deren Namen und Anschriften bekannt sind und ein Vorgehen gegen diese Personen mit erheblichen Aufwand verbunden wäre, den zu treiben der Antragsgegner nicht verpflichtet ist.

cc) Ermessensüberschreitung – Beeinträchtigung von Grundrechten
Ein Ermessensfehler (in Form der Ermessensüberschreitung) kann auch in einer Verletzung von Grundrechten liegen. Das Verwaltungsgericht prüft im vorliegenden Fall, ob die Beseitigungsanordnung in den Schutzbereich des Art. 8 GG eingreift. Dann müsste da Protestcamp eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sein. Dies verneint das Verwaltungsgericht wegen des fehlenden funktionalen Zusamenhangs zwischen der Camp-Infrastruktur und dem Versammlungszweck:

Geschützt ist zwar der gesamte Vorgang des Sichversammelns, wozu auch der Zugang und die Abreise zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung gehört. Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereich des Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind, kann auch nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional und symbolisch für die kollektive Meinungskundgebung wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. (…) Solange das Camp primär als Basislager zur Organisation des Widerstands dient, der u.a. die Mobilisierung der örtlichen Bevölkerung zum Ziel hat, ist der gemeinsame Zweck nicht auf die unmittelbare Teilnahme an einer der Meinungsäußerung und Meinungsbildung dienenden Veranstaltung gerichtet. Seine Errichtung hat vielmehr die Schaffung derjenigen „Infrastruktur“ zum Ziel, die für die Erhaltung der Protestorganisation erforderlich ist. Eine feste „Infrastruktur“ fällt aber gerade nicht unter den Schutz des Grundrechts

Die Beseitigungsanordnung ist damit auch unter Ermessensgesichtpunkten nicht zu beanstanden und stellt sich damit im Ergebnis als offensichtlich rechtmäßig dar.
3. Besonderes Vollzugsinteresse
Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg, weil der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, bedarf es zur Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen des in § 80 Abs. 1 VwGO (Regelfall: aufschiebende Wirkung) zum Ausdruck kommenden Regel-/Ausnahme Verhältnis eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses. Hier ist stets eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls angezeigt:

Für die hier gewählte Beseitigungsanordnung spricht zudem, dass aufgrund des bisherigen Verhaltens des Antragstellers, der eine Ausweitung des Camps in der Vergangenheit nicht nur hingenommen, sondern bewusst gefördert hat, Anhaltspunkte dafür bestehen, dass weitere ungenehmigte Baumaßnahmen zu befürchten sind. Auch insoweit ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt, da nur so einer weiteren Verfestigung und Entstehung baurechtswidriger Zustände auf dem Grundstück des Antragstellers wirksam entgegengewirkt werden kann.
Letztlich geht von dem Protestcamp auch eine Vorbildwirkung aus, obwohl dieses im Außenbereich gelegen und nach den Angaben des Antragstellers nicht ohne Weiteres einsehbar ist. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich andere Gegner des Tagebaus Hambach durch das pressewirksame Camp ermutigt sehen, in der näheren Umgebung in gleicher Weise illegale bauliche Anlagen zu errichten.

III. Ergebnis

 Der Antrag des Grundstückseigentümers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung des Kreises Düren hat keine Aussicht auf Erfolg.
IV. Fazit
Die Entscheidung ließe sich unverändert als Examensklausur stellen. Sie enthälten eine ganze Reihe verwaltungsrechtlicher Problemstellungen, sowohl aus dem allgemeinen (Heilung einer unterlassenen Anhörung im gerichtlichen Verfahren, Störerauswahl, Ermessensprüfung), als auch aus dem besonderen (Begriff der baulichen Anlage, Voraussetzungen einer Beseitigungsanordnung, bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB) Verwaltungsrecht. In einer Klausur würden vermutlich einzelnen Erwägungen des Gerichts auch bereits im Sachverhalt angedeutet werden. Die zugrundeliegende Thematik (Tagebau Hambach) ist zudem äußerst öffentlichkeitswirksam und eignen sich deshalb ausgezeichnet für ein mündliches Prüfungsgespräch.
Abschließend sei noch einmal auf unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen.
 
 
 

22.07.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-22 13:00:462013-07-22 13:00:46VG Aachen: Protestcamp Tagebau Hambach muss geräumt werden
Dr. Jan Winzen

VG Bremen: neues zum Diskotheken-Streit – Eilantrag für "Stubu" abgelehnt

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Um Bremens größte Diskothek, das „Stubu“ rankt sich seit einiger Zeit ein Streit zwischen Betreibern, Behörden und Gerichten (siehe zum Hintergrund etwa diesen ). In einer aktuellen Entscheidung vom 24.06.2013 lehnte das VG Bremen (5 V 259/13) nun einen Eilantrag auf Erteilung einer Gaststättenerlaubnis ab.

A. Zum Sachverhalt

Das Stubu wurde bis vor einigen Jahren von dem Eigentümer (E) des Gebäudes, in dem sich die Discothek befindet, selbst betrieben. Nachdem u.a. das Verhalten der dort beschäftigten Türsteher wiederholt Gegenstand polizeilicher und staatsanwaltlicher Ermittlungen gewesen war, widerrief die zuständige Behörde die zu diesem Zwecke erteilte Erlaubnis wegen fehlender Zuverlässigkeit. In der Folgezeit kam es zu der Gründung einer GmbH durch den G. In seiner Funktion als Geschäftsführer der GmbH beantragte und erhielt der G eine Gaststättenerlaubnis für den Betrieb des Stubu. Nach Erhalt der Erlaubnis übertrug er die Anteile an der GmbH an den B, der wiederrum seine „eigenen“ Geschäftsführer einsetzte. Es kam dann erneut zu einem Widerruf der Gaststättenerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit eines der Geschäftsführer und – nach dessen Abberufung – zu einer weiteren Neuerteilung. Mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung nahm die zuständige Behörde auch diese Gaststättenerlaubnis im Jahr 2012 mit der Begründung zurück, die GmbH agiere als Strohmann für den B, der seinerseits die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze.

Ende 2012/ Anfang 2013 kam es dann zu dem nun streitgegenständlichen Vorgang. Zunächst wurde die Antragstellerin (ebenfalls eine GmbH) errichtet, deren Geschäftsführer der G war. Die Antragstellerin schloss mit dem B einen Pachtvertrag über die Räumlichkeiten des Stubu und beantragte die Erteilung einer personenbezogenen Gaststättenerlaubnis. Die Erteilung wurde im Wesentlichen mit der Begründung verweigert, dem G fehle die erforderliche Zuverlässigkeit, weil (aus verschiedenen dargelegten Gründen) zu erwarten sei, dass der Betriebsablauf unter dem bestimmenden Einfluss eines unzuverlässigen Dritten stehen werde. Außerdem bestünden auch erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des G, weil gegen diesen Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt eingeleitet worden seien.

Gegen den ablehnenden Bescheid hat die Antragstellerin Klage beim Verwaltungsgericht erhobenen und zugleich einen Eilantrag auf vorläufige Erteilung einer Gaststättenerlaubnis für das Stubu gestellt. Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Zuverlässigkeit des G, die bei Nichterteilung der Erlaubnis bestehende Verzögerungsgefahr, weiter auflaufende Gewinnausfälle (bislang 230.000 Euro) und die daraus resultierende Insolvenzgefahr für die GmbH.

B. Zu den Erfolgsaussichten des Eilantrags

I. Statthafte Antragsart

Die Antragstellerin begehrt den (vorläufigen) Erlass einer Gaststättenerlaubnis. Dabei handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Es liegt eine Verpflichtungssituation vor. Statthaft ist folglich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Regelungsanordnung) nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (siehe ausführlich zur Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO etwa hier).

II. Prüfungsmaßstab für die Begründetheit

Der Antrag auf Erlass einer (einstweiligen) Regelungsanordnung ist begründet, wenn der jeweilige Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. (§§ 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2,
294 Abs.1 ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

1. Anordnungsanspruch

a) Vorwegnahme der Hauptsache

Im Rahmen des Anordnungsanspruchs ist grds. zu prüfen, ob der Antragstellerin bei summarischer Prüfung ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Erteilung der personenbezogenen Gaststättenerlaubnis zusteht. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BremGastG bedarf der Betrieb einer Gaststätte mit dem Ausschank alkoholischer Getränke der Erlaubnis. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gaststättenbetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BremGastG) – sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.

Ob die im Rahmen des Eilverfahrens erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Zuverlässigkeit des G vorliegt, lässt das Gericht zunächst offen,

weil die Antragstellerin eine regelmäßig unzulässige, dem Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechende Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.

Die Vorwegnahme der Hauptsache begründet das Gericht im Wesentlichen mit dem Umstand, dass eine vorläufige Erteilung bis zur Entscheidung in der Hauptsache faktisch wie eine endgültige Erteilung wirken würde und die Antragstellerin bis dahin erhebliche Gewinne erwirtschaften könnte, die ihr im Nachhinein nicht mehr (oder nur schwer) wieder entzogen werden könnten:

Eine solche ist anzunehmen, wenn die einstweilige Anordnung einer vorläufigen Verurteilung in der
Hauptsache gleichkommt. Dies ist vorliegend der Fall, da die Antragstellerin bei Stattgabe ihres Antrags jedenfalls bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren das Stubu ohne Weiteres so betreiben könnte, als sei sie im Besitz einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis. Die Antragstellerin erstrebt eine Regelung, für die ihr im Anordnungsverfahren uneingeschränkt und unentziehbar eine Rechtsposition eingeräumt würde, die entsprechend der Natur der Sache bis zur Hauptsacheentscheidung nur endgültig getroffen werden kann (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 14.02.2012 – 5 V 1710/11 -, juris Rn. 14). Daran, dass vorliegend durch die Antragstellerin mit der vorläufigen Erteilung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wird, ändert auch der Umstand nichts, dass die Vorwegnahme nicht endgültig ist und, falls die Antragstellerin im Klageverfahren unterliegen sollte, rückgängig gemacht werden kann (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 21.10.1987 – 12 B 109/87 -, NVwZ-RR 1988, 19; VGH Mannheim, Beschluss vom 20.09.1994 – 9 S 687/94 -, juris Rn. 3; OVG Münster, Beschluss vom 05.01.1994, a. a. O.). Ein solches Rückgängigmachen hätte nämlich nur Bedeutung für die Zukunft und ließe außer Acht, dass die Antragstellerin bis zum Zeitpunkt der Hauptsacheentscheidung erhebliche Gewinne erwirtschaftet hätte, die ihr dann nur schwer wieder entzogen werden könnten.

b) keine Ausnahme vom Vorwegnahmeverbot

Die Vorwegnahme der Hauptsache ist auch nicht ausnahmsweise zulässig. Dies ist nur der Fall, wenn

im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, also wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.

Für eine Ausnahme vom Vorwegnahmeverbot gelten demnach erhöhte Anforderungen im Hinblick auf die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs. Das Gericht prüft vor diesem Hintergrund, ob eine hohe Wahrscheinlickeit für die Zuverlässigkeit des G besteht.

Unzuverlässig ist, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er das Gewerbe zukünftig ordnungsgemäß, d. h. im
Einklang mit dem geltenden Recht, ausüben werde.

Für den G spreche zwar, dass sowohl sein Führungszeugnis, also auch das Gewerbezentralregister und finanzbehördliche Auskünfte keine Auffälligkeiten ergeben hätten. Entscheidend gegen die hohe Wahrscheinlichkeit der Zuverlässigkeit spricht nach Ansicht des Gerichts aber, dass ein (aufgrund verschiedener Zeugenaussagen und eines Urteils des Landgerichts Braunschweig) erhärteter Verdacht dafür spricht, dass der G zukünftig einem unzuverlässigen Dritten (dem B) bestimmenden Einfluss auf den Betriebsablauf einräumen werde. Diesen Verdacht

vermag die Antragstellerin auch durch die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen nicht in einem solchen Maße zu entkräften, dass von einem Obsiegen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache ausgegangen werden könnte.

Zudem komme den laufenden Ermittlungsverfahren gegen den G Bedeutung für die Beurteilung seiner Unzuverlässigkeit zu, denn

Grundlage für die Bewertung, ob ein Gewerbetreibender die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, ist nicht die Tatsache der Bestrafung bzw. des Erlasses eines Bußgeldbescheides an sich, sondern der zugrunde liegende Lebenssachverhalt. Strafrechtliche Unschuldsvermutungen beziehen sich ausschließlich auf die strafrechtliche Seite; für die Bewertung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit kommt es hierauf nicht an.

Vor diesem Hintergrund könne die Erlaubnis im Eilverfahren nicht (vorläufig) erteilt werden:

Aus den vorgenannten Gründen wird die Frage, ob der Geschäftsführer der Antragstellerin die für den Betrieb des Stubu erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, in einer umfassenden Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren zu klären sein, da dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Beweiserhebung grundsätzlich fremd ist (vgl. § 123Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

2. Anordnungsgrund

Das Gericht macht zuletzt noch eine kurze Bemerkung zum Anordnungsgrund. An dessen Glaubhaftmachung sind im auf die Erteilung einer Gaststättenerlaubnis gerichteten Eilverfahren hohe Anforderungen zu stellen. Hierfür reicht nach Ansicht des Gerichts jedenfalls nicht aus, dass die Antragstellerin schon einen Pachtvertrag abgeschlossen hat, denn dies fällt allein in ihren Risikobereich.

Die hieraus entstehenden wirtschaftlichen Nachteile werden allen Bewerbern um eine Gaststättenerlaubnis angesichts der Ausgestaltung als Verbotstatbestand mit Erlaubnisvorbehalt von der Rechtsordnung zugemutet.

C. Fazit

Eine interessante Entscheidung in einem Komplex, der schon mehrmals die Verwaltungsgerichte beschäftigt hat und sicher auch noch weiter beschäftigen wird. Der vorliegende Fall selbst hat für das (schriftliche) erste Examen sicher keine größere Bedeutung, da er von einer in weiten Teilen unsicheren Tatsachengrundlage ausgeht. Gleichwohl demonstriert die Entscheidung anschaulich einige wichtige Aspekte des (verwaltungsgerichtlichen) Eilrechtsschutzes (der natürlich besonders examensrelevant ist). Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache spielt bei § 123 VwGO sehr häufig eine Rolle. Eine solche ist nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Entscheidend ist, dass man die Problematik erkennt und sachlich argumentiert. Aus gaststätten- und gewerberechtlicher Sicht ist die Strohmann-Problematik hervorzuheben. Das Zuverlässigkeitserfordernis kann regelmäßig nicht durch den Einsatz eines (faktisch) weisungsgebundenen Dritten umgangen werden. Außerdem kann, da das Verwaltungsrecht von anderen Wertungen (insb. präventive Gefahrenabwehr) bestimmt wird als das Strafrecht (repressiv/Unschuldsvermutung), noch andauernden Ermittlungsverfahren für die Beurteilung der Zuverlässigkeit durchaus Bedeutung zukommen.

 

 

 

 

 

 

„„

03.07.2013/3 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-03 08:00:312013-07-03 08:00:31VG Bremen: neues zum Diskotheken-Streit – Eilantrag für "Stubu" abgelehnt
Redaktion

VG Stuttgart: Öffentlicher Verkehrsraum für Versammlung

Startseite, Verschiedenes



Der Verlag von JURA INTENSIV stellt uns monatlich zwei Beiträge aus der Ausbildungszeitschrift RA (Rechtsprechungs-Auswertung) zwecks freier Veröffentlichung auf juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Öffentlicher Verkehrsraum für Versammlung“

befasst sich mit einer weiteren Entscheidung aus dem Themenkomplex „Stuttgart 21″. Das Verwaltungsgericht musste in einem Eilrechtsschutz-Verfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten die Vereinbarkeit einer Demonstration in der Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs mit den Vorgaben des Versammlungsrechts überprüfen. Der Beschluss ist in den weiteren Kontext der Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuordnen und betrifft unter anderem die Frage, ob es sich bei einer Demonstration auch dann um eine Versammlung „unter freiem Himmel“ im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG iVm §§ 14 ff. VersG handeln kann, wenn sie mitten in einem Gebäude stattfindet (hier: Stuttgarter Hauptbahnhof). Wie immer werden die Erwägungen des Gerichts gutachterlich aufbereitet.
Den Beitrag findet Ihr hier.

29.01.2013/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-01-29 10:00:092013-01-29 10:00:09VG Stuttgart: Öffentlicher Verkehrsraum für Versammlung
Dr. Jan Winzen

Einstweiliger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren Teil 2 – Der Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO

Baurecht, Fallbearbeitung und Methodik, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Nachdem Gegenstand des ersten Teils unserer Reihe zum verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO  war (hier), beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit den Besonderheiten des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO.
§ 80 a Abs. 3 VwGO betrifft den vorläufigen Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung (zur Erinnerung: Unter einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung versteht man einen Verwaltungsakt, der einen Bürger begünstigt, zugleich aber auch einen anderen in seinen Rechten belastet). § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO ordnet an, dass Widerspruch und Anfechtungsklage auch insoweit aufschiebende Wirkung haben und verweist dabei auf § 80 a VwGO.
Zum Hintergrund: Die Regelung des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO entstammt genau wie § 80 a VwGO dem vierten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 01.01.1991. Viele Autoren sahen (und sehen) darin nur eine Klarstellung, da die betroffenen Fälle bereits von § 80 VwGO erfasst gewesen sein sollen (allen voran Schoch, etwa in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 a, Rn. 2). Einige Gerichte gingen davon aus, dass Eilrechtsschutz gegen Verwaltungsakte mit Drittwirkung zuvor nur über § 123 Abs. 1 VwGO zu erlangen war (so etwa ausdrücklich der 4. Senat des VGH Kassel in einem Beschluss vom 09.06.1992 – 4 TH 2512/91 Rz. 7 – juris).
Überragende Bedeutung in der Ausbildung hat § 80 a Abs. 3 VwGO im Baurecht. Im Schulfall setzt sich der Antragsteller gegen den Vollzug der seinem Nachbarn erteilten Baugenehmigung zur Wehr.
Achtung: In der Praxis führt allerdings eine Ausweitung der Genehmigungsfreiheit im Baurecht (vgl. etwa § 65 BauO NRW und § 55 iVm Anlage 2 der hessischen BauO) indessen gerade hier zu einer Zurückdrängung der Bedeutung des Eilantrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO. Denn ohne den Verwaltungsakt (der Baugenehmigung) fehlt die wichtigste Voraussetzung für die Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO. Eilrechtsschutz kommt dann nur über § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht.
1.) Vorbemerkung zur Prüfung eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO
Die Prüfung des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO orientiert sich weitgehend an der des § 80 Abs. 5 VwGO.
2.) Andere Interessenlage
Dem Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO liegt jedoch eine andere Interessenlage zugrunde als dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Während es dort um das Über-/Unterordnungsverhältnis Staat/Bürger geht und die aufschiebende Wirkung gewissermaßen das Gegengewicht zu der hoheitlichen Verwaltungsmacht darstellt, betrifft § 80 a Abs. 3 VwGo ein Gleichordnungsverhältnis. Dementsprechend ist auch der Anordnung des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO (aufschiebende Wirkung grundsätzlich auch bei Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsakte mit Drittwirkung) keine gesetzgeberische Grundentscheidung für ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Bürgers zu entnehmen. Als bloß verfahrensrechtliche Regelung weist die Norm dem Begünstigten des Verwaltungsaktes vielmehr eine Art „Initiativlast“ zu, die aufschiebende Wirkung durch einen Antrag bei der Behörde oder bei Gericht zu überwinden.
Kommt schon im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO der Herausarbeitung des Begehrens des Antragstellers eine besondere Bedeutung zu, so gilt dies erst Recht für das Verfahren nach § 80 a Abs. 3 VwGO (dazu sogleich). Nahezu alle Schwierigkeiten der Prüfung eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO ergeben sich aus der unübersichtlichen Verweisungstechnik des § 80 a VwGO.
3.) Das behördliche Verfahren der Abs. 1 und 2 
Ausgangspunkt für das Verständnis der Normstruktur ist das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 a Abs. 1 und Abs. 2 VwGO. Der gerichtliche Eilrechtsschutz knüpft nämlich gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO hieran an:

Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen.

Die Kenntnis der Handlungsmöglichkeiten der Behörde ist deshalb für die Beherrschung des gerichtlichen Eilrechtsschutzes von besonderer Bedeutung. Dieser sieht für bestimmte Verfahrenssituationen unterschiedliche Anträge vor. Einer Klausur zum gerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 VwGO liegt regelmäßig eine der folgenden Verfahrenskonstellationen zugrunde:

  • § 80 a Abs. 1 VwGO

§ 80 a Abs 1 VwGO betrifft die Verfahrenssituation, in der ein Dritter mittels Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen den einen anderen begünstigenden Verwaltungsakt vorgeht.
Nach § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO kann der Begünstigte (z.B. einer Gaststättenerlaubnis oder einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windkraftanlage) den Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (Regelfall des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO)  dadurch verhindern, dass er bei der Behörde einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt (die Anordnung der sofortigen Vollziehung ergeht dann auf Grundlage des bereits bekannten § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) – diese Konstellation lag etwa der Entscheidung des VG Darmstadt vom 27.06.2011 (6 L 425/11.DA) zugrunde.
Instrumentell stellt § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Gleichordnungsverhältnis zwischen dem privaten Begünstigten und dem privaten Dritten das notwendige Gegengewicht zu § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar. Nach richtiger (wenn auch umstrittener) Ansicht, kann die Behörde die sofortige Vollziehung (genau wie bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) auch von sich aus anordnen (diese Befugnis wird in § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO vorausgesetzt, dazu sogleich).
Den für Klausuren vermutlich bedeutsameren Fall regelt § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Danach kann nämlich der Dritte (also vor allem der Nachbar) in Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelf gegen den Verwaltungsakt (also insbesondere die Baugenehmigung) entfällt, bei der Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (nach § 80 Abs. 4 VwGO) stellen.
Die Vorschrift ist deshalb von so herausragender Bedeutung, weil sie § 212 a BauGB ins Spiel bringt. Die aufschiebende Wirkung des Nachbarrechtsbehelfs kann nämlich genau wie im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO nach einer der Varianten des § 80 Abs. 2 VwGO entfallen sein. Hier ist § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 von Bedeutung. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung in (anderen) durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Bundesgesetzlich vorgesehen ist dies in § 212 a Abs. 1 BauGB für Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens (wozu insbesondere die Baugenehmigung zählt). Die Vorschrift bezweckt schlicht die Ermöglichung eines schnellen Baubeginns.
Lesenswert zu §§ 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212 a Abs. 1 BauGB ist etwa der Beschluss des VG Augsburg vom 29.02.2012 (Au 4 S 12.224).
Natürlich kommt im Rahmen des § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO auch die vorausgegangene Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zum Tragen.

  • § 80 a Abs. 2 VwGO

§ 80 a Abs. 2 VwGO betrifft die (für die Ausbildung wohl weniger relevante) Rechtsschutzkonstellation, in der der Adressat sich mit Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakts währt, der zugleich einen Dritten begünstigt. Hier kann der Dritte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (Regelfall des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO) überwinden, indem er bei der Behörde einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) stellt. Beispielhaft für den Anwendungsbereich der Vorschrift lässt sich folgende Passage aus einem Beschluss des VG Würzburg vom 25.08.2011 (W 5 E 11.576 Rz. 46 – juris) heranziehen:

§ 80 a Abs. 2 VwGO greift insbesondere für die Situation, dass die Bauaufsichtsbehörde eine Nutzungsuntersagung (Anm.: im Hinblick auf die Nutzung eines Grundstücks als Parkplatz) erlassen, der Pflichtige hiergegen aber Anfechtungsklage erhoben hat. Hat die Bauaufsichtsbehörde nicht den Sofortvollzug dieser Maßnahme angeordnet, kommt der Klage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu; die Anordnung ist suspendiert und muss (vorerst) nicht befolgt werden. Der Nachbar (Anm.: der von der Nutzungsuntersagung begünstigt wird) kann in einem solchen Fall jedoch den Sofortvollzug erreichen (…).

I. Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO.
Da sich die Zulässigkeitsprüfung grds. an der des § 80 Abs. 5 VwGO (auf den ja auch § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist) orientiert, wird im Folgenden nur auf die Besonderheiten des Verfahrens nach § 80 a Abs. 3 VwGO eingegangen.
1.) Statthaftigkeit

  • Herausarbeitung des Rechtsschutzziels

In der Statthaftigkeit ist herauszuarbeiten, welche der oben genannten Verfahrenssituationen dem gerichtlichen Eilantrag zugrunde liegt. Auch hier ist wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht die konkrete Formulierung, sondern das in der Sache verfolgte Rechtsschutzziel maßgebend. Notfalls ist dieses durch Auslegung zu ermitteln. §§ 88, 122 VwGO können herangezogen werden. Auch ist eine „Umdeutung“ (nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB) eines Antrags nach §123 Abs. 1 VwGO in einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO möglich (das gilt natürlich auch für § 80 Abs. 5 VwGO).
Bei dieser Gelegenheit sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass auch von anwaltlich beratenen Antragstellern gestellte Eilanträge ausgelegt und umgedeutet werden können (lesenswert hierzu BVerwG, NVwZ 2012, 375 f.). Eine Ausnahme soll in diesem Fall aber dann gelten, wenn der Antragsteller ausdrücklich auf seinem geäußerten Begehren beharrt (siehe etwa Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier § 80 VwGO Rn. 458).

  • Bestimmung der einschlägigen Norm

Wie sich aus der alternativen Aufzählung des § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO ergibt, kann das Gericht Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern, aufheben oder selbst treffen.
Sofern das Gericht selbst eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 2 trifft, gewährt es denjenigen vorläufigen Rechtsschutz, der an sich der Verwaltung obliegt (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier § 80 a VwGO Rn. 46). Für die Statthaftigkeit gilt das oben zum behördlichen Verfahren Gesagte entsprechend. Ob der Antragsteller sich zuvor an die Behörde wenden muss, ist eine Frage, die nach herkömmlicher Sichtweise im Rahmen des Rechtsschutzinteresses zu beantworten ist.
Eine immer wieder erörterte Frage (Standardproblem) ergibt sich vor allem im Anwendungsbereich des § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Hat der Rechtsbehelf des Dritten gegen die Baugenehmigung des Begünstigten wegen § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung (oder hat die Behörde von sich aus die sofortige Vollziehung, etwa einer Gaststättenerlaubnis, angeordnet), ist umstritten, ob sich sein gerichtlicher Eilrechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO (entsprechend dem Wortlaut: gerichtet auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung) oder nach §§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO (gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung) richtet. Bedeutung hat die Entscheidung dieser Streitfrage wohl ohnehin nur im zweiten Examen (weil sie in der Anwaltsklausur für die Stellung des Antrags und im Übrigen für die Formulierung des Tenors maßgebend ist). Dogmatisch lässt sich für § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO das Argument der Spezialität heranziehen (wer sich für eine methodisch anschauliche Argumentation interessiert, dem sei der Beitrag von Budroweit/Wuttke, JuS 2006, 876, 878 empfohlen). Häufig wird empfohlen, sich in der Klausur einfach an die Rechtsprechung des für einen selbst maßgebenden OVG bzw. VGH zu halten (das OVG Münster etwa wendet § 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO an, zuletzt in einem Beschluss vom 23.05.2012 – 7 B 548/12).
Sofern dem Antrag eine Maßnahmen der Behörde vorausgegangen sein sollte, geht es regelmäßig um § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO, nämlich die Aufhebung der behördlichen Maßnahme (die Änderung nach Alt. 1 zielt auf eine Modifikation der behördlichen Maßnahme ab, etwa durch Auflagen, soll aber hier nicht weiter verfolgt werden, da die Relevanz, jedenfalls für das erste Examen, eher gering sein dürfte).
Exemplarisch soll hier zum einen der Antrag auf Aufhebung der behördlichen Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 (siehe oben) durch das Gericht genannt werden (auch hier ist es natürlich wieder denkbar, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statt über § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO über § 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zu erreichen). Jedenfalls kann der belastete Dritte auf diesem Weg den sog. status quo ante erreichen (die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs).
Hat die Behörde auf Antrag des Dritten die Vollziehung (z.B. der Baugenehmigung) ausgesetzt (§ 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO), kann zum anderen der Begünstigte seinerseits beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung stellen und so den status quo ante (keine aufschiebende Wirkung wegen z.B. § 212 a Abs. 1 BauGB) wiederherstellen.
2.) Antragsbefugnis
Die nächste Eigenart des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO liegt naturgemäß in der Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Besonderheiten gegenüber dem Hauptsacheverfahren in Drittanfechtungsfällen ergeben sich freilich nicht. Die Antragsbefugnis kann nur auf eine mögliche Beeinträchtigung drittschützender Normen gestützt werden. Als Hauptanwendungsfall ist natürlich auch hier wieder das Baunachbarrecht zu nennen. Zur Wiederholung sei auf den hier veröffentlichten Beitrag zum Nachbarschutz im Baurecht verwiesen.
3.) Rechtsschutzbedürfnis
Im Rahmen der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses gilt es einige Besonderheiten des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO zu beachten.

  • Rechtsbehelf des Antragstellers

Genau wie beim Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO aber zunächst grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller bereits Widerspruch gegen den Verwaltungsakt eingelegt hat (nicht schon Anfechtungsklage, dies ergibt sich aus § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO, auf den § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist). Das gilt wegen der eindeutigen Anordnung in § 80 a Abs. 1 VwGO („Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf (…) ein“) auch für die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO (an sich sieht § 80 Abs. 4 VwGO, auf den in § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO verwiesen wird, diese Voraussetzung nämlich gerade nicht vor).

  • Rechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig

Zudem darf der zugrunde liegende Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig (ein Rechtsbehelf hiergegen also nicht offensichtlich unzulässig) sein. Wie bei § 80 Abs. 5 VwGO geht es hier um Fristenprobleme.
Der Klassiker dürfte die fehlende Bekanntgabe des Verwaltungsaktes gegenüber dem Dritten darstellen. In diesem Fall erlangt der Dritte (etwa der Nachbar) von dem Verwaltungsakt regelmäßig lediglich rein tatsächlich Kenntnis von dem Verwaltungsakt (nämlich z.B. infolge des Baubeginns) und stellt dann einen – vermeintlich verspäteten – Eilantrag. Hier konnte indessen mangels amtlicher Bekanntgabe gegenüber dem Nachbarn überhaupt keine Rechtsmittelfrist (auch nicht die des § 58 Abs. 2 VwGO) in Gang gesetzt werden. Der Verwaltungsakt ist folglich für den Dritten nicht durch Ablauf der Rechtsmittelfrist bestandskräftig geworden (zu beachten ist allenfalls noch, dass die Rechtsprechung dem Widerspruchsrecht des Antragstellers nach Treu und Glauben den Einwand der Verwirkung entgegenhält, wenn dieser zuverlässig Kenntnis von dem Verwaltungsakt erlangt hat oder hätte erlangen können und müssen. Das für eine Verwirkung erforderliche schutzwürdige Vertrauen des Antragsgegners soll allerdings in der Regel erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO eintreten können. Die Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stammt vom 25.01.1974 – IV C 2.72).

  • Entfallen des Suspensiveffekts

Der Wegfall der aufschiebenden Wirkung ist wie im Rahmen der Prüfung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO positiv festzustellen. Hier sei insbesondere noch einmal auf §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212 a Abs. 1 BauGB verwiesen.

  • Vorheriger Antrag bei der Behörde

Ein weiteres Standardproblem des § 80 a Abs. 3 VwGO betrifft die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der Dritte vor Stellung eines gerichtlichen Eilantrags nicht ein behördliches Aussetzungsverfahren betrieben hat. Anders als bei § 80 Abs. 5 VwGO lässt sich das Erfordernis eines vorherigen Antrags bei der Behörde nicht mit einem Verweis auf die eindeutige Regelung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO (Umkehrschluss) ablehnen. § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist nämlich auf § 80 Abs. 5 bis 8 VwGO (also insbesondere auch Abs. 6). Sieht man in diesem Verweis eine bloße Rechtsfolgenverweisung, kann man ein behördliches Aussetzungsverfahren stets als Zugangsvoraussetzung für einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO verstehen. Für diese Ansicht lässt sich anführen, dass andernfalls der Verweis auf Abs. 6 leer liefe, da Verwaltungsakte mit Drittwirkung wohl so gut wie nie Kosten und Abgaben zum Gegenstand haben. Dies ist aber eigentlich sogleich schon das Hauptargument für die Gegenansicht, die in dem Verweis eine Rechtsgrundverweisung (und in der Einbeziehung des Abs. 6 ein Redaktionsversehen) erblickt. Denn das gesetzgeberische Konzept der §§ 80, 80 a VwGO verträgt sich, sofern es um die Herstellung der aufschiebenden Wirkung geht, nicht mit dem Erfordernis eines vorherigen behördlichen Verfahrens (für eine methodisch anschauliche Argumentation sei auf Schoch, in Schoch/Schneider/Bier § 80 a VwGO Rn. 74 ff. verwiesen).
In der Klausur ist es allerdings überaus ratsam, wenn möglich, von einer Streitentscheidung abzusehen. Dies dürfte meist über §§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO gelingen. Danach ist ein vorheriger Antrag bei der Behörde jedenfalls nicht erforderlich, wenn die Vollstreckung droht. Dies ist mit Baubeginn der Fall (und typischerweise erfährt der Nachbar ja durch den Baubeginn überhaupt erst von der Existenz der Baugenehmigung, siehe oben).

  • Erlangung eines rechtlichen Vorteils noch möglich

Für gerichtliche Eilanträge eines Nachbarn, die auf Aussetzung der Vollziehung (der Baugenehmigung) gerichtet sind, besteht schließlich auch dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Bauvorhaben bereits weitgehend fertig gestellt ist und die Aussetzung der Vollziehung dem Nachbarn keinen rechtlichen Vorteil mehr verschaffen würde (es geht hier freilich nicht um vollständig fertiggestellte Wohnhäuser – dass die Aussetzung der Vollziehung insoweit nicht zielführend ist, dürfte jedem einleuchten; vielmehr betrifft diese Fallgruppe Grenzfälle, in denen zum Beispiel ein Rohbau bereits errichtet ist und nur noch der Innenausbau verhindert werden soll – siehe dazu etwa den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 23.03.2006 – OVG 10 S 21.05).
II. Die Begründetheit eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO.
Mangels gesetzlich normierter Kriterien für die Entscheidung des Gerichts, kann auch die Begründetheit des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO nur das Ergebnis einer Interessenabwägung sein. Dabei sind, je nach Verfahrenssituation, kleinere Besonderheiten zu beachten.
1.) Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) bzw. Aussetzung der Vollziehung (§ 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO) 
Unabhängig von dem (oben) eingeschlagenen Weg, hat man hier den Rechtsgedanken des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu beachten. Die Norm wird nämlich von § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO ausdrücklich in Bezug genommen und ist damit wegen des Verweises in § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO auch von dem Gericht zu beachten. Der Eilantrag des Dritten gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist danach dann begründet, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.
Maßgebend sind also zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Man hat das bekannte Prüfungsschema (Ermächtigungsgrundlage, formelle Rechtmäßigkeit, materielle Rechtmäßigkeit) abzuarbeiten. Zu beachten ist dabei freilich, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit – etwa einer Baugenehmigung – allein nicht den Erfolg des Antrags begründen können. Vielmehr müssen sich diese Zweifel gerade aus einem Verstoß gegen drittschützende Normen ergeben.
Für die Klausur bedeutet das Folgendes: Ist der Verwaltungsakt wegen Verstoßes gegen drittschützende Normen rechtswidrig, ist der Antrag begründet (es reicht – wegen der Terminologie „ernstliche Zweifel“ theoretisch schon die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit aus). Ist der Verwaltungsakt dagegen rechtmäßig, bleibt es bei seiner Vollziehbarkeit. Einer besonderen Dringlichkeit der Vollziehung bedarf es nicht.
Sollte einmal der Fall eintreten, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache offen sind, bedarf es einer Einzelfallentscheidung. Im Baurecht sollte man aber nicht voreilig auf die Interessen des Dritten an der Vermeidung vollendeter  Tatsachen (durch den Baubeginn) abstellen. Instruktiv dazu etwa folgende Passage aus einem Beschluss des OVG Lüneburg (vom 9. 9. 2004 – 1 ME 194/04):

Nicht nur auf Seiten des Nachbarn drohen vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten, wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Auch auf der Seite des Bauherrn können solche nicht mehr wieder gut zu machende Folgen eintreten. Diese bestehen im Falle einer Antragsstattgabe darin, dass die durch den Aufschub verlorene Zeit nicht nachgeholt werden kann und die in dieser Zeit erzielbaren Gewinne nicht mehr realisiert werden können.

Teilweise wird auch vertreten, der Gesetzgeber habe im Baurecht mit der Regelung des § 212 a Abs. 1 BauGB eine Grundentscheidung getroffen, die (bei offenem Ausgang der Hauptsache) für das Überwiegen des Vollzugsineresses des Begünstigten spreche. Diese Auffassung widerspricht indessen der oben beschriebenen Ausgangslage, die dem Verfahren nach § 80 a VwGO zugrunde liegt, nämlich ein Gleichordnungsverhältnis zwischen Privaten. Danach kommt § 212 a Abs. 1 BauGB, genau wie § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO lediglich die Funktion der Zuordnung einer Verfahrenslast zu.
Anhand der genannten Parameter muss man sich dann unter gründlicher Auswertung der angebotenen Fakten entscheiden. Wahrscheinlich wird letztlich doch die Schutzposition des Dritten, die etwa durch den Baubeginn beeinträchtigt würde, schwerer wiegen.
2.) Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung
Einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung kann entweder der Adressat eines begünstigenden Verwaltungsaktes, wie zum Beispiel einer Gaststättenerlaubnis (gegen den ein Dritter einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat), selbst gestellt haben (dann nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Es kann aber auch ein Dritter, der durch den Verwaltungsakt begünstigt ist, den Antrag stellen, um die in Folge eines Rechtsbehelfs des Adressaten (zum Beispiel einer Beseitigungsverfügung) eingetretene aufschiebende Wirkung zu überwinden (dann nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 VwGO – zum behördlichen Verfahren siehe oben).
Das Gericht kann hier selbst über die Anordnung der sofortigen Vollziehung entscheiden.

  • § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 VwGO

Maßgebend sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des Dritten, der die aufschiebende Wirkung ausgelöst hat.
Ist die Gaststättenerlaubnis rechtmäßig, ordnet das Gericht die sofortige Vollziehung an. Ist sie dagegen rechtswidrig, wird der Antrag abgelehnt, wenn die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung drittschützender Normen beruht. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen, bedarf es wieder einer Interessenabwägung im Einzelfall anhand aller angebotenen Tatsachen.

  • § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 VwGO

Auch hier ist Ausgangspunkt die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs, der die aufschiebende Wirkung ausgelöst hat. Ist die Beseitigungsverfügung rechtswidrig, lehnt das Gericht den Antrag des Dritten ab.
Ist die Beseitigungsverfügung rechtmäßig, ist Voraussetzung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Gericht, dass der Dritte einen Anspruch auf das behördliche Einschreiten, also den Erlass der Beseitigungsverfügung hat. Zudem muss der Dritte darlegen, dass der Sofortvollzug in seinem überwiegenden Interesse, das über jenes Interesse hinausgeht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, geboten ist.
Dass diese Voraussetzung sicher selten vorliegen werden, kommt etwa in folgender Passage aus einem Beschluss des OVG Münster (vom 10.02.2010 – 7 B 1368/09) zum Ausdruck:

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt hat, rechtfertigt sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung, welche wie hier die Beseitigung von Bausubstanz fordert, nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen. In Anknüpfung an die gewichtigen Auswirkungen eines solchen Eingriffs ist es regelmäßig schon Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes geschuldet, dem Interesse des Ordnungspflichtigen an dem Erhalt der aufschiebenden Wirkung seiner Klage den Vorrang einzuräumen.

 
 
 
 
 

06.11.2012/4 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-11-06 09:00:412012-11-06 09:00:41Einstweiliger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren Teil 2 – Der Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO
Dr. Jan Winzen

VG Göttingen: Werbe- und Hausverbot gegen juristische Repetitorien bestätigt

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Der seit geraumer Zeit andauernde Verwaltungsrechtsstreit um Werbemaßnahmen juristischer Repetitorien in den Räumlichkeiten der Uni Göttingen geht nach dem jüngsten Urteil des VG Göttingenvom 20.09.2012 (4 A 258/09) in eine neue Runde.

A. Verfahrensgang

Zwei kommerzielle Anbieter juristischer Repetitorien hatten u.a. in der juristischen Fakultät durch verschiedene Werbemaßnahmen auf sich aufmerksam gemacht (Handzettel, Plakate, persönliche Ansprachen etc.). Die Universität erließ gegen die Repetitorien und ihre Hilfspersonen ein Werbe- und Hausverbot (betreffend das Betreten des Juridicums zu Werbezwecken) und ordnete die sofortige Vollziehung an. Auf einen Eilrechtsschutzantrag hin, stellte das VG Göttingen die aufschiebende Wirkung der gegen das Hausverbot erhobenen Klage wieder her (4 B 10/10 – siehe dazu bereits hier). Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Universität sei nämlich gegen andere ebenfalls auf ihrem Gelände werbende juristische Repetitorien nicht in gleicher Weise eingeschritten.

Zwar suchte das daraufhin im Wege der Allgemeinverfügung gegenüber sämtlichen kommerziellen Repetitorien erlassene Haus- und Werbeverbot diese Bedenken auszuräumen. Die Beschwerde der Universität (§§ 146, 147 VwGO) gegen den Beschluss des VG Göttigen wies der u.a. für das Hochschulrecht zuständige zweite Senat des OVG Lünerburg (2 ME 167/10 ) dennoch mit der Begründung zurück, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen Erfolgsaussichten der Hauptsache seien – auch unter Berücksichtigung der nunmehr erlassenen Allgemeinverfügung – offen; die in diesem Fall vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten des Aussetzungsinteresses der Repetitorien aus (siehe ausführlich zur Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hier – die Allgemeinverfügung konnte das Gericht in seine Entscheidung überhaupt nur einbeziehen, weil maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Sach- und Rechtslage im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nach hM stets der Zeitpunkt der Eilentscheidung – und nicht etwa der der letzten Behördenentscheidung – ist).

In seiner Entscheidung vom 20.09.2012 hat das VG Göttingen (4 A 258/09) die Rechtmäßigkeit des Hausverbots nunmehr in der Hauptsache bestätigt (allein das vorausgegangene Eilrechtsschutzverfahren enthält schon zahlreiche prüfungsrelevante Fragestellungen – insoweit wird aber auf die Lektüre der zitierten Beschlüsse und unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen).

B. Begründetheit der Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren 

Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist (die Zulässigkeit der Anfechtungsklage stand im vorliegenden Verfahren nicht Frage).

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der angefochtene Verwaltungsakt (also das Werbe- und Hausverbot) rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.

I. Ermächtigungsgrundlage: § 37 Abs. 3 Satz 1 NHG

Die Ermächtigungsgrundlage für das Werbe- und Hausverbot im Universitätsbetrieb findet sich regelmäßig in dem jeweiligen Landeshochschulgesetz. Im vorliegenden Fall gilt § 37 Abs. 3 Satz 1 NHG. Danach wahrt das Präsidium die Ordnung in der Hochschule und übt das Hausrecht aus (vergleichbare Vorschriften finden sich etwa in Art. 21 Abs. 12 Satz 1 BayHSchG oder § 18 Abs. 1 Satz 4 HG NRW).

Es handelt sich bei den regelmäßig so formulierten Vorschriften der Landeshochschulgesetze keineswegs um bloße Aufgabenzuweisungen oder Zuständigkeitsnormen. Die „Ausübung“ des Hausrechts umfasst vielmehr die Wahrnehmung sämtlicher sich aus dem Hausrecht ergebenden Befugnisse. Zu diesen Befugnissen gehört insbesondere auch der Erlass eines den Inhalt des Hausrechts konkretisierenden Hausverbotes (so etwa das VG Braunschweig in einem Urteil vom 10.3.2005 – 6 A 159/03 Rz. 32 juris).

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit des Verbotes geht das Gericht nur sehr kurz auf eine möglicherweise unterlassene Anhörung ein:

Ob die Klägerin vor Erlass des Bescheides angehört worden ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls ist durch den Schriftwechsel der Beteiligten im Eil- und Klageverfahren, in dem beide Seiten ihre Standpunkte ausgetauscht haben, ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt worden (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG, s.a. Nds. OVG, a.a.O.).

In der Klausur sollte man sich hier etwas mehr Zeit nehmen. Zumal der Sachverhalt dann sicherlich ausdrücklich von einer (zunächst) unterbliebenen Anhörung ausgehen wird und man zur Frage einer möglichen Heilung Stellung nehmen muss.

Fehlende Anhörung?

Das Werbe- und Hausverbot ist ein belastender Verwaltungsakt (das hätte man in der Klausur bereits im Rahmen der Statthaftigkeit festgestellt). Bevor ein belastender Verwaltungsakt erlassen wird, ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 VwVfG). Ist laut Sachverhalt eine Anhörung nicht erfolgt, muss man zunächst die Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 2 VwVfG in den Blick nehmen. Der vorliegende Fall bereitet insoweit gewisse Schwierigkeiten, als das Hausverbot ja auch noch einmal im Wege einer Allgemeinverfügung ausgesprochen wurde. Von der Anhörung kann nämlich gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG insbesondere abgesehen werden, wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen will. Das VG Göttingen ist auf diesen Umstand – wie gesagt – nicht weiter eingegangen. In einer Klausur müsste man aber an Hand der im Sachverhalt enthaltenen Angaben prüfen, ob es in diesem konkreten Fall vielleicht dennoch einer Anhörung bedurft hätte. Wegen der besonderen rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung im Verwaltungsverfahren sind die Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 2 VwVfG eng auszulegen. Für die Allgemeinverfügung heisst das, dass der Eingriff nicht von besonderer Schwere und Intensität sein und auch keine Dauerwirkung entfalten darf (Hauptanwendungsfall sind die Verkehrszeichen). Mit guter Argumentation sind je nach Sachverhaltslage verschiedene Ergebnisse vertretbar.

Heilung?

Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Anhörung nicht nach § 28 Abs. 2 VwVfG entbehrlich (und das Hausverbot deshalb eigentlich formell rechtswidrig) war, ist die nächste wichtige Norm § 45 Abs. 1  Nr. 3 VwVfG. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Ein Nichtigkeitsgrund dürfte regelmäßig nicht vorliegen. Man muss sich also die Frage stellen, ob der Schriftwechsel der Parteien während des Verwaltungsstreitverfahrens die unterbliebene Anhörung geheilt haben könnte.

Die ständige Rechtsprechung zur Heilung einer unterbliebenen Anhörung ist relativ streng. Dem Betroffenen muss (wie im Rahmen des § 28 Abs. 1 VwVfG) Gelegenheit gegeben werden, sich – schriftlich oder mündlich – zu den für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen zu äußern. Darüber hinaus muss die Behörde ein etwaiges Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung ziehen.

Problematisch ist zudem, dass eine unterlassene Anhörung nach Sinn und Zweck der Heilungsnorm grundsätzlich nicht durch die Möglichkeit der Stellungnahme in einem gerichtlichen Eilverfahren nachgeholt werden kann. Eine Heilung soll insoweit aber ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Betroffene weiß, dass es (auch) um die Anhörung zum Zwecke der Entscheidung über den VA in der Hauptsache geht (siehe etwa bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 7. Auflage 2008, § 45 Rn. 87).

Anhand dieses Prüfungsmaßstabes sollte dann die Heilung der unterbliebenen Anhörung (so man nicht schon eine Ausnahme nach § 28 Abs. 2 VwVfG bejaht hat) und damit die formelle Rechtmäßigkeit des Hausverbotes bejaht werden können.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

§ 37 Abs. 3 Satz 1 NHG setzt eine Beeinträchtigung der Ordnung der Hochschule voraus. Eine solche liegt nach Ansicht des Gerichts insbesondere vor, wenn Zweckbestimmung und Dienstbetrieb gestört werden. Es bedarf also einer Bestimmung des Zwecks der Hochschule im Rahmen der Juristenausbildung.

Es folgen umfangreiche Ausführungen zu den Aufgaben, die nach Ansicht des Gerichts einer Hochschule im Rahmen der Juristenausbildung zukommen. So heisst es etwa Eingangs noch recht allgemein gehalten:

Zu den Aufgaben der Beklagten gehört die Ausbildung und Hinführung der Studierenden zu einem berufsqualifizierenden akademischen Abschluss durch Bereitstellung eines entsprechenden Lehrangebots.

Problematisch ist nun aus Sicht des Gerichts, dass die Repetitorien in für die Bewältigung dieser Aufgabe wesentlichen Aspekten in Konkurrenz zur Hochschule treten:

Im Rahmen des juristischen Studiums bietet die Beklagte (neben den für den Studienabschluss notwendigen Lehrveranstaltungen) speziell zur Wiederholung und Examensvorbereitung für höhere Semester Repetitorien, Klausurenkurse und Probeexamina an. Die Klägerin wirbt für vergleichbare Veranstaltungen kommerzieller Art und richtet sich damit an dieselbe Zielgruppe.

Es könnte schließlich bei den Studenten der Eindruck entstehen, die universitäre Ausbildung allein reiche zur erfolgreichen Vorbereitung für das erste juristische Staatsexamen nicht aus:

Die Werbung für solche Veranstaltungen im räumlichen Bereich der Beklagten ist geeignet, bei den Studierenden den Eindruck zu vermitteln, dass das universitäre Lehrangebot für einen erfolgreichen Examensabschluss nicht ausreicht und die Beklagte ihr Lehrangebot selbst nicht für ausreichend hält.

Vor diesem Hintergrund liegt also eine grundsätzliche Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Hochschule, die zu dem Erlass eines Hausverbotes berechtigt, vor:

Bereits diese Beeinträchtigung des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der Beklagten stellt eine Störung der Zweckbestimmung der Beklagten dar, die grundsätzlich eine Nutzungsuntersagung rechtfertigt. Erst recht gilt dies, wenn der Lehrbetrieb unmittelbar, z.B. durch Überkleben offizieller Mitteilungen mit kommerziellen Plakaten oder den Zugang zu Hörsälen behindernde Verteilung von Werbemitteln, gestört wird. Die Beklagte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, gegen Werbetätigkeiten kommerzieller Repetitorien vorzugehen

Das Gericht untermauert diesen Befund sodann mit einigen lehrreichen Aussagen zur Gestaltung des Jurastudiums:

Dem steht nicht entgegen, dass auch bei einem umfassenden Lehrangebot der Beklagten die private Vor- und Nachbereitung durch die Studierenden erforderlich ist. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Wissenslücken entstehen können, die u.U. nicht mehr in Eigeninitiative, sondern mit Hilfe kommerzieller Nachhilfe- oder Lehrinstitute behoben werden. Im Regelfall ist die universitäre Ausbildung jedoch darauf ausgerichtet, dass neben den Lehrveranstaltungen die eigenständige Arbeit des Studierenden für den Studienerfolg ausreicht

Besonders prägnant dann der Verweis auf eine Aussage des Bundesverwaltungsgerichts aus den 1970er Jahren:

Erfahrungsgemäß können einigermaßen begabte, denkfähige und fleißige Studenten das Examen auch ohne Repetitor bestehen

Man muss sich also entscheiden, Rep oder Lehrveranstaltung:

Teilweise findet der Unterricht kommerzieller Repetitorien zudem zeitgleich zu den Lehrveranstaltungen der Beklagten statt, so dass sich die Studierenden für einen längeren, in der Regel über ein Semester hinausgehenden Zeitraum entscheiden müssen, ob sie sich mit Hilfe der Beklagten oder mit Hilfe des kommerziellen Repetitors auf die Prüfung vorbereiten.

Wird ein Richter nebenberuflich als Repetitor für Referendare tätig, ist dies im Übrigen mit der Werbung kommerzieller Repetitorien (im Hinblick auf das erste Staatsexamen) in der staatlichen Hochschule nicht vergleichbar, denn durch letztere werde

eine sachliche und räumliche Verbindung zur staatlichen Einrichtung geschaffen, welche die Annahme zulässt, die staatliche Einrichtung billige den Inhalt der Werbung, fördere die private Einrichtung und halte deren Besuch für nützlich oder gar geboten,

während die

auf die lehrende Person (des Richters) beschränkte Identität zwischen staatlicher und privater Ausbildung (…) in geringerem Maße eine Verbindung zur staatlichen Ausbildung her(stellt). Der Ausbilder wird erkennbar als Privatperson außerhalb der staatlichen Einrichtung und außerhalb seiner Dienstzeit tätig.

Außerdem (das dürfte wohl den meisten Referendaren bewusst sein)

dient die staatliche Referendarausbildung vorrangig dazu, den Referendar mit den Aufgaben der juristischen Praxis vertraut zu machen und nimmt – anders als die universitäre Ausbildung – nicht für sich in Anspruch, ein umfassendes Angebot zur Prüfungsvorbereitung bereit zu stellen.

Die auf diesem Wege festgestellte und mehrfach untermauerte Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Hochschule berechtigt grundsätzlich zum Erlass des Werbe- und Hausverbots.

Das auf Rechtsfolgenseite zu beachtende Ermessen hat die Hochschule nach Ansicht des Gerichts fehlerfrei ausgeübt. Insbesondere musste sie das Haus- und Werbeverbot nicht etwa auf das Juridicum beschränken. Denn überall, wo sich Jurastudenten möglicherweise aufhalten könnten, erwecke die Werbung der Repititorien den Eindruck der Duldung durch die Hochschule.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nach Erlass der alle kommerziellen juristischen Repetitorien betreffenden Allgemeinverfügung ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gericht erteilt dazu noch einige interessante Hinweise. Nicht zu beanstanden ist etwa, das nicht kommerzielle Repetitorien die Werbung in der Hochschule nicht untersagt wurde. Diese stehen nach Ansicht des Gerichts nicht in einer vergleichbaren Konkurrenzsituation zur Hochschule und sind außerdem schon deshalb nicht zu beanstanden, wenn und weil die von Mitarbeitern der Hochschule (in deren Aufgabenbereich) geleitet werden. Auch die teilweise durchgeführte (und nicht untersagte) Werbung für Verlagsprodukte kommerzieller Repetitorien war nicht zu beanstanden, da insoweit die Zweckbestimmung der Hochschule nicht beeinträchtigt ist.

Die Kombination von Werbe- und Hausverbot findet ihre Rechtfertigung in dem (von der Hochschule vorgetragenen) Umstand,

dass andernfalls Werbung durch das Verteilen von Handzetteln oder kostenlosen Skripten und durch persönliche Ansprachen nicht wirksam begegnet werden könnte. So sei es z.B. öfter vorgekommen, dass Mitarbeiter kommerzieller Repetitorien unmittelbar nach einer Lehrveranstaltung den Hörsaal betreten hätten, um für kommerzielle Veranstaltungen gleichen Inhalts zu werben. (…) Gegen ein derartiges Vorgehen könne die Beklagte nur durch ein sofortiges Eingreifen mittels eines Hausverbots vorgehen.

Schließlich ist das Hausverbot auch angemessen, da es auf das Betreten zu Werbezwecken beschränkt wurde.

Die Anfechtungsklage ist im Ergebnis unbegründet.

C. Fazit

Die Entscheidung des VG Göttingen betrifft sicherlich keinen klausurtypischen Sachverhalt. Das Verhältnis von staatlicher Universitätsausbildung zu privatem Repetitorium und dessen Bedeutung für die Juristenausbildung ist indessen ein Thema, zu dem nahezu jeder (angehende) Jurist eine Meinung haben dürfte. Als Aufhänger für eine Diskussion in der mündlichen Prüfung eignet sich die Entscheidung (bzw. der ihr zugrunde liegende Sachverhalt)  deshalb ganz gewiss. Anknüpfungspunkte für die Prüfung verwaltungsrechtlicher Grundlagen enthält der Sachverhalt zu Genüge (einstweiliger Rechtschutz, Ermächtigungsgrundlage, Verfahrensfehler, Rechtsfolgenseite, Ermessen, Verhältnismäßigkeit etc.).

Hingewiesen wird zudem noch auf eine Entscheidung des Kartellsenats des OLG Karlsruhe vom 13.05.2009 (6 U 50/08). Hier ging es um einen ähnlich gelagerten Fall an der Uni Freiburg, der im Ergebnis ebenfalls zu Gunsten der Hochschule entschieden wurde.

Eines der betroffenen Repetitorien soll bereits einen Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO) gestellt haben (siehe hierzu und zu weiteren interessanten Hintergrundinformationen den Bericht bei ). Wir werden über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten.

 

22.10.2012/7 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-10-22 12:30:132012-10-22 12:30:13VG Göttingen: Werbe- und Hausverbot gegen juristische Repetitorien bestätigt
Dr. Jan Winzen

Einstweiliger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren Teil 1 – Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Fallbearbeitung und Methodik, Für die ersten Semester, Lerntipps, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kennt drei verschiedene Eilrechtsschutzverfahren. Neben die geläufigen Anträge nach §§ 80, 80 a VwGO und § 123 VwGO tritt die einstweilige Anordnung im Normenkontrollverfahren (§ 47 Abs. 6 VwGO).  Letztere ist jedoch in Praxis und Klausurexamen ohne Bedeutung und wird hier deshalb auch nicht behandelt (in der mündlichen Prüfung kann man aber sicher punkten, wenn man die Vorschrift kennt).
Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind dagegen Ausgangspunkt für einen Großteil der bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Verfahren. Im Baunachbarrecht (vgl. dazu bereits hier) gilt entsprechendes für den Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO (dazu hier). Es verwundert deshalb auch nicht, dass beide Verfahren regelmäßig Gegenstand von Examensklausuren und Kurzvorträgen sind. Die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erfährt demgegenüber eine eher stiefmütterliche Behandlung in der Klausurauswahl. Auch sie hat aber verschiedene Anwendungsfälle (siehe zu einer neueren Entscheidung etwa hier). Das Zusammenspiel zwischen den Verfahren nach §§ 80, 80 a VwGO  und § 123 VwGO zu verstehen, ist zudem für den sicheren Umgang mit Klausuren zum öffentlich rechtlichen Eilrechtsschutz unerlässlich.
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Die wichtigsten Klausurprobleme werden an den jeweiligen Stellen im Rahmen des hier vorgestellten Prüfungsaufbaus erörtert. Beiträge zu den Besonderheiten des sog. faktischen Vollzugs (§ 80 Abs. 5 VwGO analog), sowie zu  § 80 a VwGO (zum Beitrag) und zu § 123 VwGO werden folgen.
Vorbemerkungen zur Prüfung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO
Vorab noch einmal zum Grundverständnis: Erlässt die Behörde einen den Bürger belastenden Verwaltungsakt, kann der Bürger die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes durch Einlegung eines Widerspruchs oder Erhebung einer Anfechtungsklage hemmen und so insbesondere dessen Vollstreckung (vorerst) verhindern. Grundsätzlich ist Voraussetzung der Verwaltungsvollstreckung nämlich, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt unanfechtbar ist oder ein Rechtsbehelf gegen ihn keine aufschiebende Wirkung hat (siehe z.B. § 47 Abs. 1 HSOG in Hessen oder § 50 Abs. 1 PolG NRW in Nordrhein-Westfalen; instruktiv zur Verwaltungsvollstreckung ist auch dieser Beitrag). Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ist gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aber der Regelfall. Insoweit bedarf es also keines zusätzlichen Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO. Denn ein erfolgreicher Antrag führt immer nur den Eintritt der aufschiebenden Wirkung herbei. Der Anwendungsbereich des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist also auf Fälle beschränkt, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung zukommt. Wann dies der Fall ist, regelt § 80 Abs. 2 VwGO.
Der Prüfungsaufbau des Eilantrags orientiert sich strikt an dem einer Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung liegt das Hauptaugenmerk auf der Statthaftigkeit des Antrags und (insofern anders als bei der Zulässigkeitsprüfung im Rahmen einer Anfechtungsklage) dem Rechtsschutzbedürfnis. Im vorliegenden Beitrag sollen deshalb auch nur diese Punkte ausführlicher betrachtet werden. Größere Schwierigkeiten bietet dann die Prüfung der Begründetheit. Hier ist es unerlässlich, sich (in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte im Normtext) ein Prüfungsschema, die entsprechenden Obersätze und einige Entscheidungsregeln einzuprägen (dazu unten).
I. Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO
1.) Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
Zuständig für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist das Gericht der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Rechtsweg für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist also eröffnet, wenn in der Hauptsache der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Dies richtet sich in Ermangelung aufdrängender Sonderzuweisungen bekanntlich nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insoweit bestehen also beim Eilrechtsschutz keine Besonderheiten.
2.) Statthaftigkeit
Welcher Antrag statthaft ist, richtet sich nach dem Begehren des Antragstellers (Achtung: im Eilrechtsschutz gilt eine andere Terminologie als im Hauptsacheverfahren: statt Kläger/Beklagter spricht man von Antragssteller/Antragsgegner). Für das Verhältnis zu § 123 Abs. 1 VwGO enthält das Gesetz in § 123 Abs. 5 VwGO eine Abgrenzungsregel: einstweiliger Rechtschutz gegen belastende Verwaltungsakte ist danach stets über §§ 80, 80 a VwGO zu gewähren. Im Übrigen greift § 123 Abs. 1 VwGO ein (Auffangtatbestand). Das Begehren des Antragsstellers hat das Gericht (bzw. der Examenskandidat) im Zweifel nach §§ 88, 122 VwGO durch Auslegung zu ermitteln. Ein wörtlich unzutreffend gestellter Antrag ist deshalb unschädlich.
Folgender Obersatz bietet sich an: Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, wenn es dem Antragssteller darum geht, vor der Vollziehung eines Verwaltungsaktes verschont zu bleiben; was in der Regel der Fall ist, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft ist.
Nun befindet man sich wieder im gewohnten Fahrwasser. Gegen den Vollzug offensichtlich belastender Verwaltungsakte (Abrissverfügung im Baurecht, Beseitigungsanordnung im Straßenrecht, Rücknahme einer Gaststättenerlaubnis, Versammlungsverbot) ist stets ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Im Regelfall sollte es in den Klausuren auch um ähnlich offensichtliche Fälle gehen. Die Musik spielt schließlich in der Begründetheit.
Im Zusammenhang mit der Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO wird als Musterbeispiel für erhöhten Begründungsaufwand häufig die Ablehnung eines Antrages auf Verlängerung des Aufenthaltstitels (§ 81 Abs. 1 AufenthG) genannt. Wer unbefangen an den Fall herangeht, sollte meinen, weil in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Verlängerung statthaft sei, müsse im Eilrechtsschutz ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO gestellt werden. Indessen bestimmt § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, dass der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt, wenn vor dem Ablauf des Aufenthaltstitels dessen Verlängerung beantragt wurde. Das Begehren des Antragsstellers, im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, ist also gewahrt solange die Behörde seinen Antrag nicht abgelehnt hat. Deshalb stellt die behördliche Versagung der Verlängerung eine eigenständige Rechtsbeeinträchtigung dar, der im Eilrechtsschutz mit Hilfe des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO begegnet werden kann  (dies wird im Übrigen auch durch § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestätigt). Der Fall sollte zwar bekannt sein. Für Klausuren eignet er sich gleichwohl nicht wirklich.
Schließlich empfiehlt es sich in der Statthaftigkeit kurz anzudeuten, ob es sich um einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (wenn die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO entfällt), oder um einen solchen nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO, gerichtet auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (wenn die Behörde die sofortige Vollziehung nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat), handelt.
3.) Antragsbefugnis
Der Antragsteller muss analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sein.
4.) Antragsgegner
Auch hier keine Besonderheiten. § 78 VwGO gilt analog. Je nach Landesrecht gilt § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog (Rechtsträgerprinzip – z.B. in Hessen) oder § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO analog (Behördenprinzip – vor Inkrafttreten des JustG z.B. in NRW, dort in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 1 AG VwGO, ebenfalls in analoger Anwendung).
5.) Antragsfrist
Fristen sind für den Antrag im Eilrechtsschutz grundsätzlich nicht einzuhalten, es sei denn, sie sind – wie z.B. in §§ 36 Abs. 3 Satz 1 und 18 a Abs. 4 Satz 1 AsylVerfG – spezialgesetzlich angeordnet.
6.) Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis stellt wie eingangs schon angedeutet den zweiten wichtigen Prüfungspunkt in der Zulässigkeit dar. Es empfiehlt sich, die Prüfung in die folgenden Gliederungspunkte aufzufächern.

  • Rechtsbehelf des Antragsstellers 

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Das steht ausdrücklich in § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Sofern ein Vorverfahren nicht entbehrlich ist, muss der Antragsteller aber Widerspruch gegen den ihn belastenden Verwaltungsakt eingelegt haben. Dies wird in der Klausur in aller Regel der Fall sein.

  • Rechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig 

Sehr viel interessanter als der Umstand, dass überhaupt ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, ist in Klausuren die Frage, ob dieser Rechtsbehelf vielleicht offensichtlich unzulässig ist. Praktisch geht es hier immer um die Verfristung des Widerspruchs (bzw. – bei Entbehrlichkeit des Vorverfahrens – der Anfechtungsklage). Alle anderen bedeutenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des Hauptsacherechtsbehelfs (Verwaltungsrechtsweg, Statthaftigkeit, Klagebefugnis) wurden ja bereits entsprechend für den Eilantrag geprüft.
Der Eilantrag wird an dieser Stelle der Prüfung so gut wie nie scheitern. Die Kunst besteht einfach darin, die aufgeworfenen Fristprobleme vernünftig zu bewältigen. Zu denken ist etwa an eine fehlerhafte Rechtbehelfsbelehrung mit der Folge des § 58 Abs. 2 VwGO (Jahresfrist), einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 60 VwGO (insbesondere im zweiten Examen) oder Fragen der Fristberechnung aus dem BGB  (§ 57 Abs. 2 VwGO verweist über § 222 Abs. 1 ZPO auf die §§ 187 ff. BGB).

  • Entfallen des Suspensiveffekts

Wie bereits in der Vorbemerkung angedeutet, besteht ein Bedürfnis für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO überhaupt nur, wenn Widerspruch oder Anfechtungsklage ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung haben. Es muss im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses also positiv festgestellt werden, dass ein Fall des § 80 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Dazu folgende grundlegende Erläuterungen:
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO (Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten): Hierdurch soll eine Gefährdung der Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben verhindert werden. Planbare Ausgaben müssen planbaren Einnahmen gegenüber stehen. Gemeint sind vor allem Beiträge und Gebühren (zur allgemeinen Definition siehe schon hier). Insbesondere Kosten, die im Zusammenhang mit Vollstreckungsmaßnahmen geltend gemacht werden (z.B. Kosten der Ersatzvornahme oder Kosten für die Anwendung unmittelbaren Zwangs), fallen nicht unter § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Zwangsinstrumente sollen zu einer Willensbeugung des Adressaten einer Verfügung führen und dienen nicht etwa der Finanzierung planbarer Ausgaben der öffentlichen Hand. Entsprechendes gilt für die Festsetzung eines Zwangsgeldes.
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO (unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten): Diese Ausnahme dient der Effektivität der Gefahrenabwehr. Die Maßnahme muss unaufschiebbar sein. Das ist typischerweise bei mündlichen Verwaltungsakten der Fall (Musterbeispiel ist der Platzverweis). Bei schriftlich erlassenen Verwaltungsakten spricht eine Vermutung gegen die Unaufschiebbarkeit. Außerdem müssen die Maßnahmen von einem Polizeivollzugsbeamten im engeren Sinne stammen (nicht von einer allgemeinen Gefahrenabwehrbehörde!). Im Verkehrsrecht wird § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO analog angewendet. Dies ist erforderlich, weil das Bundesverwaltungsgericht Verkehrszeichen VA-Qualität (in Form der Allgmeinverfügung) beimisst (siehe dazu hier), Verkehrszeichen aber „ihrer Natur nach“ keinen Aufschub dulden (So Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 12. Aufl. 2010, § 54 Rn. 15).
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO  (in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen): Aus dem Bundesrecht sind vor allem § 54 Abs. 4 BeamtenStG (keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Abordnung oder Versetzung eines Beamten) und § 212 a Abs. 1 BauGB (keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens) zu nennen. Auf Ebene des Landesrechts enthalten typischerweise die Ausführungsgesetze zur VwGO Regelungen, welche die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen, die sich gegen Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung richten, entfallen lassen (etwa § 112 JustG in NRW oder § 16 AGVwGO in Hessen, der sogar die Anforderung von Kosten oder voraussichtlichen Kosten der Verwaltungsvollstreckung erfasst).
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO (Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde): Hier entfällt die aufschiebende Wirkung nicht – wie in den Fällen der Nr. 1 bis 3 – kraft Gesetzes. Vielmehr entscheidet hierüber allein die Behörde. Die Vorschrift hat große praktische Bedeutung und wird deshalb auch meist in der Klausur einschlägig sein. Im Rahmen des Rechtsschutzinteresses ist aber zunächst nur positiv festzustellen, dass ein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorliegt. Die Besonderheiten der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung betreffen sämtlich Fragen der Begründetheit (dazu unten).

  • Vorheriger Antrag bei der Behörde

Zu guter Letzt kann man im Rechtsschutzbedürfnis noch kurz auf die Frage eingehen, ob sich der Antragssteller vor Stellung des gerichtlichen Eilantrags an die Behörde wenden muss. § 80 Abs. 4 VwGO sieht ja ein behördliches Aussetzungsverfahren ausdrücklich vor. Im Umkehrschluss zu § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO – wonach der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nur nach erfolgloser Durchführung eines behördlichen Aussetzungsverfahrens zulässig ist – folgt jedoch, dass dies in den (klausurrelevanten) Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 VwGO gerade nicht erforderlich ist. Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage sollte man auf die Frage wirklich nur eingehen, wenn der Sachverhalt einen entsprechenden Hinweis enthält. Etwas anders gilt im Rahmen des Antrags nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO. Hierzu aber erst in einem der Folgebeiträge.
II. Die Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO
Wie bereits mehrfach angedeutet, ist die Prüfung der Begründetheit (und der richtige Umgang mit den Besonderheiten des Eilrechtsschutzes) entscheidend für die Bewertung jeder Klausur, die einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Gegenstand hat.
Der Normtext des § 80 VwGO ist hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes nicht sehr ergiebig. Rechtssprechung und Lehre haben aber ein mittlerweile in weiten Teilen einhellig anerkanntes Schema etabliert, an dem man sich sehr gut orientieren kann. Im Ausgangspunkt ist zwischen dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO) und dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) zu differenzieren.
1.) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO)
(Nochmal zur Erinnerung: es geht hier um die Fälle, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO von Gesetzes wegen entfällt.)
In der Begründetheit des Eilantrags ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Der Antrag ist begründet, wenn das private Aussetzungsinteresse (auch: Suspensivinteresse) des Antragsstellers das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach der (summarisch geprüften) Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache.
An dieser Stelle ist man also wieder im bekannten Fahrwasser und prüft ganz normal – wie in der Begründetheit der Anfechtungsklage – das Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage sowie die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, gegen dessen Vollziehung sich der Eilantrag richtet.
Ist eine Aussage über die Erfolgsaussichten in der Hauptsache  abschließend möglich, gilt Folgendes: Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO Erfolg. Umgekehrt ist der Antrag unbegründet, wenn der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtmäßig ist.
Sollte aber der (schwierigere) Fall eintreten, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache offen sind (etwa weil ausweislich des Sachverhalts eine entscheidungserhebliche Tatsache im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht aufgeklärt ist), bedarf es der eigentlichen Interessenabwägung. Sind keine Umstände ersichtlich, die für ein Überwiegen von Aussetzung- oder Vollzugsinteresse sprechen, hilft die gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO (Wegfall der aufschiebenden Wirkung!). Dem öffentlichen Vollzugsinteresse ist der dann der Vorrang einzuräumen. Gerade an dieser Stelle kann der Sachverhalt aber auch eine andere rechtliche Wertung gebieten. Namentlich, wenn dem Antragsteller bei Vollziehung des Verwaltungsaktes schwere und/oder nicht wiedergutzumachende Schäden drohen, ist trotz der Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO dem Antrag stattzugeben. Häufig wird hier eine Folgenabschätzung im Sinne der Doppelhypothese (bekannt aus dem einstweiligen Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG) durchgeführt (eine interessante Entscheidung, allerdings zu § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO, findet Ihr etwa hier). Wie so oft kommt es in erster Linie darauf an, sämtliche im Sachverhalt enthaltenen Informationen in das hier präsentierte Prüfungsschema einzuordnen und keine erheblichen Belange (insbesondere des Antragstellers) schlicht zu ignorieren.
2.) Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO)
(Hier geht es um den behördlichen Sofortvollzug, bei dem die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auf Anordnung der Behörde entfällt).
Anders als bei § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist hier der Interessenabwägung (insbesondere Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache) die formelle Überprüfung der behördlichen Vollziehungsanordnung vorzuschalten.

  • Prüfung der Anordnung der sofortigen Vollziehung

Zuständig für die Anordnung der sofortigen Vollziehung sind sowohl die Erlassbehörde als auch die Widerspruchsbehörde (Zuständigkeitskonkurrenz, vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Hier wird sich regelmäßig kein Problem ergeben.
Im Hinblick auf das Verfahren kann es im ersten Examen vorkommen, dass eine Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Anordnung unterblieben und auch nicht während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt worden ist (entweder steht dies ausdrücklich im Sachverhalt oder es fehlt einfach eine Information dazu). Eine Anhörung wäre gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG erforderlich, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung VA-Charakter hätte (dies ist nach einzelnen Stimmen in der Literatur der Fall). Richtigerweise ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung aber kein Verwaltungsakt. Für diese (herrschende) Meinung spricht zum Beispiel, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung das Verwaltungsverfahren nicht abschließt (wie es § 9 VwVfG aber bei Vorliegen eines Verwaltungsaktes annimmt) und – u.a. mangels Fristen für ein gerichtliches Vorgehen – nicht der Bestandskraft fähig ist. Gegen eine entsprechende Anwendung des § 28 Abs. 1 VwVfG spricht, dass § 80 Abs. 3 VwGO abschließende Regelungen über die Form der Anordnung enthält (weshalb eine Regelungslücke nicht vorliegt). Im Übrigen kann nicht gewollt sein, dass die Anordnung selbst mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden könnte (die dann ja die aufschiebende Wirkung der Anordnung auslösen würden).
Wichtiger ist dann die ordnungsgemäße Form der Anordnung der sofortigen Vollziehung. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt die schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung. Es handelt sich hierbei ausschließlich um ein Formerfordernis (auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es an dieser Stelle nicht an). Der Behörde soll der besondere Charakter der Vollziehungsanordnung vor Augen geführt werden, damit sie sich ernsthaft mit der Prüfung des besonderen Vollzugsinteresses auseinandersetzt (Warnfunktion). Darüber hinaus soll der Adressat der Anordnung in die Lage versetzt werden, die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels gegen die Anordnung abzuschätzen (Informationsfunktion). Die genannten Funktionen des Begründungserfordernisses sind nur erfüllt, wenn die Behörde das besondere Vollzugsinteresse anhand des konkreten Einzelfalls darlegt. Die bloße Wiederholung des Gestztestextes, formelhafte Wendungen, Ausführungen zu Sinn und Zweck (Gesetzesbegründung) etc. genügen dem Begründungserfordernis nicht, sofern ihnen der Bezug zum Einzelfall fehlt.
Gerade an dieser Stelle kann sich häufig ein besonderes Klausurproblem ergeben, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen eines Begründungsfehlers rechtswidrig ist. Die Behandlung dieses Spezialproblems soll allerdings einem späteren Beitrag vorbehalten bleiben.

  • Interessenabwägung

Im Rahmen der Interessenabwägung gilt zunächst das oben zu § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO Gesagte entsprechend. Maßgebend sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, wobei hier die Besonderheit hinzu kommt, dass selbst bei Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben sein muss (so ausdrücklich in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorgesehen).
Für die Entscheidung über den Antrag bedeutet das Folgendes: Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO Erfolg (wie oben). Ist der Verwaltungsakt aber rechtmäßig, bedarf es (anders als oben) noch eines besonderen – von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängigen -Vollzugsinteresses der Behörde. Hier ist wieder der Sachverhalt sorgfältig auszuwerten, wobei im Zweifel entsprechend der gesetzlichen Wertung des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Regelfall der aufschiebenden Wirkung) dem Suspensivinteresse des Antragsstelles der Vorrang einzuräumen ist. Entsprechendes gilt, wenn der Ausgang der Hauptsache offen ist, wobei auch hier wieder eine Folgenabschätzung zu einem anderen Ergebnis führen kann (zur Folgenabschätzung im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO etwa hier).

12.10.2012/4 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-10-12 09:00:482012-10-12 09:00:48Einstweiliger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren Teil 1 – Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
  • Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
  • Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Gastautor

Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. Ein nach §§ 823 […]

Weiterlesen
16.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-16 15:42:082023-01-25 11:42:19Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
Gastautor

Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“

Alle Interviews, Für die ersten Semester, Interviewreihe, Lerntipps, Rezensionen, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und berichtet über sein absolviertes Pflichtpraktikum in einer Bonner Großkanzlei. […]

Weiterlesen
03.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-03 07:26:222023-01-04 10:57:01Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
Gastautor

Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden […]

Weiterlesen
23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen