Das OLG Hamm hat am 7.5.2013 einen spannenden Fall (Az. 3 UF 267/12) entschieden, der in keiner IPR-Vorlesung fehlen darf. Da die Grundzüge des IPR auch im Examen bekannt sein müssen, empfiehlt es sich, diesen Fall auch für die Klausuren zu wiederholen. Es geht dabei um die Frage, ob eine Ehe durch den (dreimaligen) Ausspruch „talaq“ (der soviel bedeutet wie „Ich verstoße dich“) durch ein deutsches Gericht geschieden werden kann, oder ob eine Anwendung dieses Grundsatzes im deutschen Recht nicht möglich.
Hier handelt es sich um ein spezielles IPR Problem. Zum Verständnis der IPR-Grundzüge empfehlen wir unseren allgemeinen einführenden Beitrag.
I. Sachverhalt/Einführung
Im Regelfall des „talaq“ steht dem Ehemann das Recht zur Scheidung durch die Verstoßung zu. Mit diesem Fall hatten sich deutsche Gerichte bereits mehrfach zu befassen und er muss als Klassiker des Internationalen Privatrechts angesehen werden. Im konkreten Fall lag die Besonderheit darin begründet, dass nicht der Ehemann sondern die Ehefrau die Scheidung ausgesprochen hat. Dies war möglich, da ihr durch die Heiratsurkunde eine „Vollmacht“ zustand, wonach auch sie die Scheidung durch talaq beantragen kann.
Fraglich ist nun, ob der von der Ehefrau erklärte talaq zur Wirksamkeit der Scheidung führt.
II. Zuständigkeit des OLG Hamm
Es stellt sich dabei zunächst die Frage, wie der Fall überhaupt zum OLG Hamm gelangen konnte, da das Ehepaar die iranische Staatsangehörigkeit hatte und die Ehe auch 2009 im Iran nach iranischen Recht geschlossen wurde.
Zu bestimmen ist die nationale Zuständigkeit nach den Grundsätzen des Internationalen Zivilprozessrechts. Vorrangig sind hier Regelungen durch Verordnungen; nur subsidiär können die Normen der ZPO auch die internationale Zuständigkeit bestimmen. Hier ergibt sich die Zuständigkeit aus der sog. Brüssel IIa -Verordnung (Verordnung EG VO Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung). Diese Verordnung hat die bisher geltende Brüssel II Verordnung (EuEheVO, Ordnungsnummer 103b im Schönfelder) abgelöst und regelt nun die Zuständigkeit. Ein einer Klausur wäre die neue Verordnung auf jeden Fall abgedruckt.
Zuständig ist nach Art. 3a dieser Verordnung das Gericht des Staates, in dem die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Dies führt zur Zuständigkeit der deutschen Gerichte, da beide Ehepartner unstrittig zum zeitpunkt des talaq in Deutschland lebten. Die übrige sachliche, örtliche und instanzielle Zuständigkeit ergibt sich dann aus den Vorschriften des deutschen Prozessrechts (hier ZPO, FamFG, GVG).
III. Anwendbares Recht
Die Feststellung, dass deutsche Gerichte zuständig sind, bedeutet aber nicht automatisch, dass auch deutsches materielles Familienrecht Anwendung findet. Vielmehr muss das anwendbare Recht erneut durch die jeweiligen (nationalen) Kollissionsnormen ermittelt werden. Bedeutend sind dabei insbesondere die Verordnungen Rom I, Rom II und Rom III, die in Grundzügen auch in der Klausur beherrscht werden sollten.
Hier muss das anzuwendende Sachrecht mittels der Rom III-Verordnung ermittelt werden, die das EGBG ab dem 21.6.2012 in ihrem Anwendungsbereich verdrängt. (siehe hierzu unseren ausführlichen Beitrag). Kurioserweise haben weder Amtsgericht, noch die Verfahrensbeteiligten in der ersten Instanz die Geltung der Rom III-Verordnung erkannt und stattdessen auf das EGBG als Kollissionsnorm abgestellt. Ein einer Klausur würde sich ein solcher Fehler sehr negativ auswirken.
Ohne Rechtswahl (Art. 5 Rom-III-Verordnung) ergäbe sich damit das anzuwendende materielle Recht aus Art. 8a Rom-III-VO, also dem Recht des Staates in dem die Parteien zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren Wohnsitz haben. Dies war hier Deutschland, sodass deutsches Scheidungsrecht anzuwenden wäre, wenn nicht die Geltung des Rechts eines anderen Staates vereinbart wurde.
Vorliegend haben die Beteiligten zwar während ihres ehelichen Zusammenlebens, ihrer Trennung und der Anrufung des Amtsgerichts ebenso wie im Beschwerdeverfahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; sie haben in der Heiratsurkunde jedoch wirksam von der Möglichkeit einer Rechtswahl zugunsten des iranischen Scheidungsrechts Gebrauch gemacht. Neben den zwingenden gesetzlichen Regelungen ist es nämlich auch möglich, das anzuwendende Recht frei zu wählen, Art. 5 der Rom-III-Verordnung. Eine solche Rechtswahl ist grundsätzlich vorrangig vor der Regelung des Art. 8.
Eine Rechtswahlvereinbarung hinsichtlich iranischem Recht und der Geltung des talaq lag damit vor, da die Regelung des talaq nahezu wortgleich auch im iranischen Scheidungsrecht enthalten ist. Zu prüfen war nur, ob diese Vereinbarung auch wirksam war. Die Schriftform nach Art. 7 Abs. 1 Rom-III-Verordnung war gewahrt. Beide Ehegatten hatten zum Zeitpunkt auch den gewöhnlichen Aufenthalt im Iran, sodass auch die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 a Rom-III-VO erfüllt sind. Unerheblich ist auch, dass die Rechtswahlvereinbarung vor Geltung der Rom-III-Verordnung geschlossen wurde (vgl. Art. 18 Rom-III-VO).
Damit ist iranisches Recht anwendbar.
IV. Scheidungsvoraussetzungen nach iranischem Recht
Das Vorliegen der Voraussetzungen des talaq und damit die Zulässigkeit der Scheidung werden vom Gericht anschließend ausführlich geprüft und bejaht.
V. Ausnahme: Ordre Public
Eine Scheidung wäre aber dann nicht möglich, wenn die Anwendung der Grundsätze des talaq gegen elementare Prinzipien des deutschen Rechts und damit gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Die Verordnung enthält einen solchen ordre-public-Vorbehalt in Art. 12 Rom III-VO. Dieser ist damit Einbruchstelle für die Grundrechte (BGH, NJW 1999, 2372). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen darf aber nicht vorschnell bejaht werden.
Voraussetzung ist eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (entscheidungserheblicher Verstoß einer ausländischen Norm gegen die Verfassung), insb. Grundrechte. Art. 12 Rom-III-VO (vergleichbare Regelungen enthält jede Kollissionsnorm) ist ein Korrektiv, um wesentliche Widersprüche der Grundzüge der lex fori mit dem Ergebnis der Anwendung einer Norm der lex causae zu vermeiden.
Das Gericht verneint dies hier zutreffend, da auch nach deutschem Recht die Voraussetzungen einer Scheidung vorliegen würden. Die Rechtsfigur des talaq kann damit nicht generell gegen den ordre-public-Grundsatz verstoßen, sondern es ist eine Prüfung im Einzelfall geboten. Im konkreten Fall ist ein Verstoß schon deshalb ausgeschlossen, weil beiden Ehepartnern gleichermaßen das Recht zur Scheidung zusteht (Art. 10 Rom-III-VO) und weil die Voraussetzungen einer Scheidung nach nationalem Recht vorliegen (Art. 12 Rom-III-VO). Gegenstand der Prüfung kann immer nur ein konkretes Ergebnis (also hier Zulässigkeit der Scheidung im konkreten Fall), nicht die Norm (talaq) an sich sein. Selbst wenn man diese also für problematisch hält, bedeutet dies nicht, dass auch das Ergebnis unzulässig ist.
Bekannt sein sollte in diesem Zusammenhang der „Regelfall“ des talaq, wonach diese Möglichkeit der Scheidung allein den Männern zustehen würde. Hier liegt bereit ein Verstoß gegen das spezielle Gleichbehandlungsgebot aus Art. 10. Rom-III-VO nahe. Problematisch ist auch die Vereinbarkeit mit Art. 12 Rom-III-VO. Der talaq stellt nach h.M. nur dann einen Verstoß gegen diesen ordre-public-Vorbehalt dar, wenn die Ehe nicht gescheitert ist. Inzident wäre also an dieser Stelle auch das nationale (hier deutsche) Scheidungsrecht zu prüfen.
Im konkreten Fall stellten sich die Probleme nicht, sodass das Gericht zurecht die Wirksamkeit der Scheidung festgestellt hat.
VI. Bewertung und Examensrelevanz
Die Entscheidung vermag im konkreten Fall zu überzeugen, ist hier doch weder eine Benachteiligung der Frau an sich, noch eine Benachteiligung des Ehemannes als Adressat des „talaq“ erkennbar. Der Anwendbarkeit des talaq stehen damit zurecht keine Bedenken entgegen.
Erkannt werden sollte in diesem Zusammenhang auf jeden Fall die Anwendbarkeit der Rom-III-VO. Zudem sind auch die Unterscheide zum eigentlichen talaq-Fall augenscheinlich, dessen vorschnelle Wiedergabe in der Klausur im konkreten Fall wenig hilfreich wäre. Es handelt sich hier faktisch um den „talaq-reverse“-Fall, dessen Behandlung aber im Ergebnis ähnlichen Grundsätzen folgt. Bekannt sein muss damit vor allem, dass der ordre-public-Vorbehalt sehr sorgsam und restriktiv zu prüfen ist und nur im Einzelfall bejaht werden darf.