Leitentscheidungen des BVerfG: Osho und Glykol
Die Ehec-Epidemie stellt einen aktuellen Anlass dar, um sich mit der verfassungsrechtlichen Problematik staatlichen Informationshandelns auseinanderzusetzen. Zur Zulässigkeit staatlicher Warnungen gibt es wichtige und stark umstrittene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Allen voran sind hier die Fälle „Osho“ (BVerfG v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279) und „Glykol“ (BVerfG v. 26.06.2002 – 1 BvR 558, 1428/91, BVerfGE 105, 252) zu nennen. Bei dem ersten Fall ging es um negative Äußerungen von Bundes- und Landesregierungen zur sog. Osho-Bewegung, der letztere betrifft eine Warnung vor glykolhaltigem Wein. Grade die Glykol-Entscheidung passt quasi 1:1 auf die Warnungen im Zusammenhang mit der Ehec-Epidemie. In beiden Fällen geht es um den Schutz von Verbrauchern vor gesundheitsschädlichen Lebensmitteln.
Leitlinien der Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht ist im Hinblick auf staatliches Informationshandeln großzügig. In der Regel wird bei sachgemäßer Information bereits ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG verneint, obwohl in der Regel nicht unerhebliche Konsequenzen für die Ausübung mancher Berufe bestehen – man denke etwa nur an einen Gurkenbauern oder Sprossenimporteur im Hinblick auf die Ehec-Krise oder an einen Weinbauern im Glykol-Fall. Nach der Glykol-Rechtsprechung beeinträchtigen „marktbezogene Informationen des Staates […] den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung sind dabei das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen.“
Auch was das Vorliegen einer staatlichen Ermächtigungsgrundlage betrifft, sind die Leitlinien in Osho und Glykol großzügig: „Die Bundesregierung ist auf Grund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden kann. Für das Informationshandeln der Bundesregierung im Rahmen der Staatsleitung bedarf es über die Zuweisung der Aufgabe der Staatsleitung hinaus auch dann keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung, wenn es zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt.“
Kritik seitens der Literatur
Von Seiten der Literatur wird diese Rechtsprechung überwiegend stark kritisiert (s. etwa jüngst Schoch, NVwZ 2011, 193). So wird nicht zu Unrecht bemängelt, dass sich diese Urteile nicht stimmig in die übliche Eingriffsdogmatik einfügen. Der weite Eingriffsbegriff/ die Lehre vom funktionalen Schutzbereich würde in solchen Fällen eigentlich das Vorliegen eines (mittelbaren) Eingriffs bejahen. Auch ist es einmalig, dass Aufgabennormen (hier: Aufgabe der Staatsleitung) für eine Beschränkung grundrechtlich geschützten Handelns ausreichen. Ein Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis ist idR gerade nicht möglich. Dies stellt eine Ausnahme vom Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes dar (kritisch hierzu Lepsius, JZ 2004, 350, 351).
Literaturhinweise zur Vertiefung:
– lesenswerter, kritischer Beitrag: Schoch, NVwZ 2011, 193
– s. ferner Möller, NJW 2005, 1973; Murswiek, NVwZ 2003, 1; Lepsius, JZ 2004, 350, 351
– klausurmäßige Bearbeitung der Problematik bei Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, Fall 3, S. 58-69
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