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Schlagwortarchiv für: Durchsuchung

Dr. Sebastian Rombey

Diebstahl bei Durchsuchung: Polizist klaut Billigfeuerzeug – und wird dabei gefilmt

Arbeitsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Referendariat, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht BT, Zivilrecht

Ein Fall wie gemacht für eine mündliche Prüfung: Ein zum Tatzeitpunkt 24-Jähriger Polizeianwärter steckt im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung ein Billigfeuerzeug ein – und wird dabei von einer installierten Videokamera gefilmt. Er ließ sich (erfolglos) dahingehend ein, dass er das Einwegfeuerzeug an sich genommen habe, um es sicherzustellen, da er es als gefährlich eingestuft habe. Vor dem Verlassen des durchsuchten Gebäudes habe er es aber zurückgelassen. Gefunden wurde es freilich nicht. Außerdem zeigt eine Auswertung der Videoaufnahmen, dass bei der Durchsuchung eine recht ausgelassene Stimmung herrschte, auf eine Gefahrsituation deutet wenig hin. Besonders pikant: Im Sommer des vergangenen Jahres wurden die Videoaufnahmen bei Facebook geleakt. Nun wurde der Polizeianwärter aufgrund der getroffenen Feststellungen vom AG Recklinghausen wegen Diebstahls mit Waffen zu 90 Tagessätzen zu je 80 € verurteilt. Zusätzlich droht ihm die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. Die Berufung hat sein Verteidiger bereits angekündigt.

Der skurrile Fall gibt eine Bandbreite möglicher Prüfungsthemen her, die kurz angedeutet werden sollen (unterstellt, der Sachverhalt hat sich wie in der Presse geschildert ereignet): die Wegnahme kleiner Gegenstände in fremder Gewahrsamssphäre und die Beobachtung dabei; der Diebstahl mit Waffen bei Berufswaffenträgern und die Frage nach einer teleologischen Reduktion; das bloße „Beisichführen“ einer Waffe ohne Verwendung derselben als Qualifikation nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB; die Frage, ob anlasslose Videoaufnahmen überhaupt in einem Strafprozess verwertet werden dürfen; die Betrachtung der Frage, ob der junge Polizeianwärter durch das Zurücklassen des Feuerzeugs zurückgetreten ist; die Einordnung als minderschwerer Fall; nicht zuletzt die Frage, warum das Gericht eine Geldstrafe von 90 Tagessätze verhängen konnte, wenn doch § 244 Abs. 3 StGB einen Strafrahmen von 3 Monaten bis 5 Jahren Freiheitsstrafe vorsieht – und was die Schwelle von 90 Tagessätzen überhaupt bedeutet. Überdies drängt sich ein vergleichender Pendelblick auf den arbeits- bzw. dienstrechtlichen Einschlag des Falles förmlich auf: Darf aufgrund einer solchen Straftat tatsächlich eine Entlassung erfolgen? Im Einzelnen:

Aus strafrechtlicher Sicht hat der Polizeianwärter eine fremde bewegliche Sache (das Einwegfeuerzeug) weggenommen, indem er es in seine Hosentasche gesteckt hat. Auch wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber nicht vor Ort war, hatte er nach der Verkehrsauffassung jedenfalls von natürlichem Gewahrsamswillen getragenen „gelockerten“ Gewahrsam, und auch die Gegenauffassung würde ihm den Gewahrsam in seiner eigenen Wohnung sozial-normativ zuordnen. Die Neubegründung des gebrochenen, da gegen oder jedenfalls ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehobenen Gewahrsams kann trotz Beobachtung durch eine Videokamera („Diebstahl ist kein heimliches Delikt“) in einer fremden Gewahrsamssphäre durch Einstecken des Billigfeuerzeugs in die eigene Tasche erfolgen, weil hierbei eine Gewahrsamsenklave gebildet wird, die es dem bisherigen Gewahrsamsinhaber unmöglich macht, auf sozial-adäquate Weise den Gewahrsam zurückzuerlangen.

Aber ist dem jungen Polizeianwärter all dies auch nachweisbar? Das erstmalige Einstecken des Feuerzeugs bestreitet er nicht, es geht daher vornehmlich um die subjektive Tatbestandsseite, die neben dem Vorsatz nach § 15 StGB als Delikt mit überschießender Innentendenz eine rechtswidrige Zueignungsabsicht, also insbesondere den dauerhaften Enteignungsvorsatz bei jedenfalls vorübergehender Aneignungsabsicht fordert („se ut dominum gerere“). Er bestreitet dies und führt zu seiner Verteidigung vielmehr aus, er habe das Feuerzeug nicht für sich behalten, sondern vielmehr sicherstellen wollen. § 43 Nr. 1 PolG NRW drängt sich insoweit als Ermächtigungsgrundlage präventiven Polizeihandelns auf. Die Norm erlaubt eine Sicherstellung indes nur, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Das Gericht wertete die Einlassung indes als bloße Schutzbehauptung. Denn die Videoaufnahmen zeigen den Feststellungen zufolge einen gut gelaunten Polizeianwärter in eher lockerer Stimmung; eine gegenwärtige Gefahr ist nicht ersichtlich.

Aber sind diese Videoaufnahmen überhaupt in einem Strafverfahren verwertbar? Mangels Beweiserhebungsverbots kommt allein ein selbständiges Beweisverwertungsverbot aus einem Verstoß gegen die Grundrechte in Betracht. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Polizeianwärters aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG könnte insoweit verletzt sein. Es bedarf einer Abwägung, in die die Ziele des Strafprozesses einzubeziehen sind, eine Rechtsfrieden stiftende, die materiellen Wahrheit ans Tageslicht fördernde Entscheidung herbeizuführen, ohne hierbei rechtsstaatswidrige Wahrheitsfindung um jeden Preis zu betreiben, also unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten. Dieser Zielkonflikt tritt bei Videoaufnahmen besonders deutlich zu Tage. Bei privaten Videoaufnahmen geht die Abwägung aber meist zugunsten des Verwenders der Videotechnik, der damit sein Eigentum schützen will, bzw. der Strafverfolgungsinteressen aus (näher Meyer-Goßner/Schmidt/Köhler, StPO, 65. Aufl. 2022, § 100h Rn. 1b) – zumal die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall nichts von dem Einsatz der Videokamera wussten und sie damit denklogisch auch nicht dulden konnten, was für eine Zurechnung notwendig wäre.

Dies gibt Gelegenheit, auf die BGH-Entscheidung zum Einsatz von Dash-Cams im Straßenverkehr hinzuweisen (Urt. v. 15.05.2018 – VI ZR 233/17): Auch in diesem Fall verwenden Private (Pkw- oder Lkw-Fahrer) eine Videokamera und filmen damit den Verkehr. Diese anlasslosen Aufnahmen verstoßen zwar gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen der DS-GVO und führen zu einem Beweiserhebungsverbot, ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot folgt hieraus jedoch im Regelfall nicht. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Die Gefilmten begeben sich freiwillig in den öffentlichen Straßenverkehr und setzen sich damit einer Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer aus; zudem besteht in Unfallsituationen regelmäßig eine erhebliche Beweisnot; weiterhin zielt das Datenschutzrecht ausweislich Art. 1 DS-GVO nicht auf Beweisverwertungsverbote und – ganz zentral – ein systematischer Vergleich mit § 142 StGB zeigt, dass der Gesetzgeber den Beweisinteressen des Unfallgeschädigten ein besonderes Gewicht beimisst und Unfallbeteiligte im Rahmen ihrer aktiven Vorstellungs- und passiven Feststellungsduldungspflicht ohnehin ihre Personalien offenbaren müssen (siehe meine Besprechung zu dieser höchst relevanten Entscheidung hier).

Eine Besonderheit ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall des Polizeianwärters daraus, dass die Aufnahmen von einer Wildkamera stammen. An den grundsätzlichen Wertungen dürfte sich hierdurch indes nichts ändern, auch wenn die Interessenlage des Videotechnikverwenders im Ausgangspunkt eine andere sein dürfte, wenngleich auch Wildkameras häufig zur Überwachung von Objekten eingesetzt werden, schlicht weil sie keine Stromquelle benötigen.

Doch ist der Polizeianwärter möglicherweise gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 StGB vom Versuch zurückgetreten? Wohl kaum. Zu der Einlassung, er habe das Feuerzeug bei Verlassen des durchsuchten Gebäudes zurückgelassen, würde man als Verteidiger nicht unbedingt raten, sondern eher zum Schweigen: Denn zum einen wird bei dem Diebstahl kleinerer Gegenstände bereits mit dem Einstecken eine Gewahrsamsenklave begründet (s.o.), weshalb der Diebstahl in diesem Stadium bereits vollendet ist und ein Rücktritt ausscheidet. Zum anderen kann eine Rückgabe des Diebesguts an das Opfer zwar grundsätzlich bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten nach § 46 Abs. 2 StGB Berücksichtigung finden. Das gilt aber nur, wenn – anders als hier – das Diebesgut auch tatsächlich an das Opfer zurückgelangt. Vorliegend war das Einwegfeuerzeug indes nicht auffindbar. Dass offenbar nicht zur geständigen und reuigen Einlassung geraten wurde, die sonst immer bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten besonders positiv gewertet wird, dürfte indes daran liegen, dass § 244 StGB selbst in Abs. 3 eine starre Mindeststrafe statuiert, die das Gericht auch bei Vorliegen der genannten Strafmilderungsgründe nicht unterschreiten könnte – und weil offenbar Hoffnung bestand, doch noch den Freispruch zu erreichen.

Ist das Grunddelikt verwirklicht, drängt sich der Qualifikationstatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB auf. Der Diebstahl mit Waffen fordert seinem Wortlaut nach lediglich das Beisichführen einer Waffe. Voraussetzung hierfür ist allein, dass der Täter die Waffe beim Diebstahl zu irgendeinem Zeitpunkt in Griffweite hat und sich ihr jederzeit ohne nennenswerten Aufwand bedienen kann (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 244 Rn. 27). In der Literatur wird daher zuweilen eine restriktive Auslegung des Tatbestands oder gar ein zusätzliches subjektives Element gefordert – beides hat sich in der Rechtsprechung aber mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut der Norm, die Möglichkeit, einen minderschweren Fall anzunehmen, sowie den mittlerweile aktualisierten Willen des Gesetzgebers ohne Änderung des Wortlauts bei der Neufassung der Norm im Jahr 2011 durch das 44. StrÄndG bislang nicht durchgesetzt.

Gleiches gilt für die ebenfalls im Schrifttum teilweise vorgeschlagene teleologische Reduktion des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB für Berufswaffenträger. Eine solche Privilegierung, der der Gedanke zugrunde liegt, dass Berufswaffenträger weniger gefährlich seien als andere Täter, die bei einem Diebstahl eine Waffe bei sich führen, wird jedoch zu Recht abgelehnt. Zwar tragen Berufswaffenträger wie Polizisten ihre Dienstwaffe in Erfüllung dienstrechtlicher Pflichten, auch sind sie im Umgang damit besonders geschult; dies ändert aber nichts an der abstrakt höheren Gefährlichkeit eines unter Mitführung einer Waffe begangenen Diebstahls, da es auch hier stets zu unerwarteten Zwischenfällen während des Diebstahls kommen kann (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 244 Rn. 12 mwN). Man kann das Argument der Literatur sogar noch anders wenden: Gerade Berufswaffenträger wie Polizisten könnten aufgrund drohender beruflicher Nachteile zu einem Einsatz der Waffe verleitet werden, wenn der Diebstahl entdeckt wird (Rengier, Strafrecht BT I, 24. Aufl. 2022, § 4 Rn. 57).

Gleichwohl besteht – wie angedeutet – die Möglichkeit, einen minderschweren Fall anzunehmen, § 244 Abs. 3 StGB. Ein minderschwerer Fall liegt nach der Rechtsprechung immer dann vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens unangemessen bzw. die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Insoweit bedarf es einer Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 412/14; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 46 Rn. 85). So lag es hier: Das Einstecken eines Billigfeuerzeugs als bloßer Cent-Artikel dürfte von den allermeisten Fällen des Diebstahls mit Waffen vom Unrechtsgehalt her deutlich nach unten abweichen. Weitere Umstände (etwa zur Täterpersönlichkeit) sind nicht öffentlich bekannt, werden aber wohl in dieselbe Richtung gewiesen haben.

Colorandi causa sei noch auf die ausgeurteilte Strafe hingewiesen: Die Umschaltnorm des § 47 StGB enthält in Abs. 1 die Wertung, dass von der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen von unter 6 Monaten abzusehen ist, wenn und soweit eine kurze Freiheitsstrafe nicht ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände – insbesondere aus spezialpräventiven Gründen – unerlässlich ist (s. auch Nr. 138 Abs. 4 RiStBV). Vor allem bei Wiederholungstätern mit hoher Rückfallgeschwindigkeit oder Bewährungsversagen greift man in der Praxis hierauf zurück. Anderenfalls wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Abs. 2 S. 1 ermöglicht es, in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Gesetz keine Geldstrafe vorsieht, dennoch eine solche auszusprechen, wobei nach Abs. 2 S. 2 ein Monat Freiheitsstrafe 30 Tagessätzen entspricht – was die hier ausgeurteilte Geldstrafe von 90 Tagessätzen erklärt, sieht doch § 244 Abs. 3 StGB eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten vor.

Warum ist diese Schwelle von 90 Tagessätzen in der Praxis von besonderer Relevanz? Nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a) BZRG kann man sich als „nicht vorbestraft“ bezeichnen, solange man nicht zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wird und das Bundeszentralregister nach § 30 Abs. 1 S. 1 BZRG bislang keine Eintragung aufweist. Ein wichtiger Anreiz, um etwa gegen einen Strafbefehl oberhalb dieser Schwelle Einspruch einzulegen oder aber eine Revision hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zu führen. Gerade für manche Berufsgruppen ist dies besonders wichtig, oder aber für Vorstellungsgespräche, in denen – soweit kein „Recht zur Lüge“ besteht – Bewerber Auskunft über berufsbezogene Straftaten geben müssen, die für den konkret zu besetzenden Arbeitsplatz von zentraler Bedeutung sind (dazu Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Aufl. 2022, § 94 Rn. 25 f.). Nichts anderes gilt für Polizeianwärter: Gerade hier sind Vorstrafen besonders kritisch, weshalb die Geldstrafe von 90 Tagessätzen – so bitter sie auch sein mag – noch recht glimpflich ist.

Aus arbeitsrechtlicher Perspektive erinnert der Sachverhalt an den Fall „Emmely“: Eine Kassiererin löste zwei Pfandbons eines Kunden im Wert von 1,30 € selbst ein. Die daraufhin ausgesprochene außerordentliche (fristlose) Beendigungskündigung des Arbeitgebers sorgte bundesweit für Aufsehen. Vor den Arbeitsgerichten hielt sie indes nicht: Zwar könne eine Straftat im Arbeitsverhältnis eine Beendigungskündigung durchaus auf erster Stufe des § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ rechtfertigen, im Rahmen der Interessenabwägung auf zweiter Stufe sei aber bei einem über Jahrzehnte anstandslos bestehenden Beschäftigungsverhältnis eine sofortige Kündigung unverhältnismäßig, so das BAG (Urt. v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Maßstab sei – wie stets – die Frage, ob eine Vertrauensstörung eingetreten sei, die so erheblich ist, dass es dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist, den Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten.

Ob der hiesige Fall des Polizeianwärters gleich zu behandeln ist, darf mit guten Gründen bezweifelt werden: Rein arbeitsrechtlich liegt zwar auf erster Stufe ebenfalls eine leichtere Straftat vor, und auch geht es letztlich um eine Sache im Wert von wenigen Cent, doch auf zweiter Stufe fällt ins Gewicht, dass es angesichts des Diebstahls mit Waffen nicht mehr um eine reine Bagatellstraftat geht, es sich zudem um einen Berufswaffenträger handelt, der Recht und Ordnung in besonderem Maße verpflichtet ist und diese Werte auch beruflich repräsentiert respektive durchsetzt und die Straftat überdies von einem Polizeianwärter begangen wurde, dessen Dienstverhältnis noch nicht allzu lange besteht. Ein Unterschied liegt allein darin, dass anders als im Fall „Emmely“ die Straftat nicht unmittelbar gegen den Arbeitgeber gerichtet ist.

Diese Überlegungen müssen im hiesigen Fall aber nicht vertieft werden. Denn statusrechtlich ist ein Polizeianwärter regelmäßig nach § 4 Abs. 4 BeamtStG bzw. § 9 LBG NRW iVm LVOPol NRW Beamter auf Widerruf. Als solcher genießt er – anders als ein Beamter auf Lebenszeit – dienstrechtlich nicht den gleichen Schutz. Nach § 23 Abs. 4 BeamtStG (früher § 35 LBG NRW a.F.; auf Bundesebene § 37 BBG)  kann ein Beamter auf Widerruf „jederzeit“ entlassen werden, selbst die Beendigung der Vorbereitungszeit muss bei einem hier vorliegenden Dienstvergehen nicht abgewartet werden. Hierfür bedarf es allein eines willkürfreien sachlichen Grundes. Das OVG Münster sieht insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerwG die Einschätzung als entscheidend an, „inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Einschätzung der charakterlichen Eignung ist dem Dienstherrn vorbehalten.“ (OVG Münster, Beschl. v. 19.10.2020 – 6 B 1062/20; s. ferner BVerwG, Beschl. v. 20.07.2016 – 2 B 17.16)

Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein. Ein Diebstahl im Dienst lässt durchaus auf die charakterliche Eignung schließen, auch wenn sich die Tat auf ein Einwegfeuerzeug bezieht. Zwar kann sich der Polizeianwärter weiterhin als „nicht vorbestraft“ bezeichnen. Da die Straftat aber im Dienst begangen worden ist, kann der Dienstherr das Verhalten in seine Entscheidung mit einbeziehen, ohne dass insoweit ein Verwertungsverbot (etwa aus § 51 BZRG) bestünde, weshalb es auf die Ausnahmevorschrift des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG gar nicht mehr ankommt. Ob der Dienstherr im vorliegenden Fall von dieser Möglichkeit Gebrauch machen oder eher noch ein Auge zudrücken sollte, ist freilich eine davon zu trennende Frage. Auch unter Beachtung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) ergeben sich aufgrund der besonderen Anforderungen an Polizisten im Hinblick auf Recht und Ordnung, deren Wahrung im Dienst zu deren Kernpflichten gehört, durchaus Spielräume, die für eine Entlassung ins Feld geführt werden können.

Einmal mehr gilt: Straftaten im Dienst sind immer besonders riskant – selbst, wenn es sich um vermeintliche Bagatelldelikte handelt, und erst Recht, wenn der Täter Berufswaffenträger ist und sogar bei der Polizei als Anwärter arbeitet.

31.05.2022/0 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2022-05-31 09:55:002022-08-03 08:33:09Diebstahl bei Durchsuchung: Polizist klaut Billigfeuerzeug – und wird dabei gefilmt
Dr. Christoph Werkmeister

Bundeswehr greift in Cyberkrieg ein – die Schutzbereiche bei computerspezifischen Grundrechtseingriffen

Fallbearbeitung und Methodik, Schon gelesen?, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Nach jahrelanger Vorbereitung schuf die Bundeswehr kürzlich eine Abteilung, die zu Angriffen auf fremde Computernetzwerke fähig sein soll (s. dazu hier). Eine Vielzahl an Informatikexperten aus deutschen Universitäten stellten das „Cyber-Heer“ zur Verfügung. Der rechtliche Rahmen derartiger Hack-Attacken ist allerdings noch nicht geklärt.
Das Thema ist nicht nur von politischer Brisanz, sondern auch im höchsten Grade examensrelevant. Computerbezogene Grundrechtseingriffe eignen sich nämlich hervorragend um die Grundrechtssystematik abzuprüfen. Im Zuge der stetig voranschreitenden technischen Entwicklungen muss die Staatsgewalt stets berücksichtigen, welche Grundrechtspositionen bei internetbezogenen Eingriffen überhaupt tangiert sein können. Eine saubere Trennung der einzelnen Schutzbereiche ist nicht nur für den Rechtsanwender, sondern auch für Examenskandidaten in Klausuren von hoher Relevanz, da die infrage kommenden Grundrechte mitunter sehr unterschiedliche Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen auf Ebene der Schranken stellen. So bedürfen etwa „Durchsuchungen“ i. S. d. Art. 13 II GG eines Richtervorbehalts, wohingegen Eingriffe in die Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG bereits durch ein einfaches Gesetz gerechtfertigt sein können. Die im Folgenden aufgezeigten Aspekte stellen solche dar, wie sie wohl am häufigsten in Klausuren und mündliche Prüfungen Einzug erhalten. Gleichwohl sei dem Examenskandidat gerade im Kontext computerspezifischer Fallgestaltungen geraten eine genaue Würdigung des konkreten Einzelfalls vorzunehmen. Mit den stetig voranschreitenden technischen Entwicklungen und der technikneutralen Grundrechtsdogmatik geht nämlich einher, dass es keinen numerus clausus an computerspezifischen Eingriffen geben kann.
1. Schutz der räumlichen Privatsphäre durch Art. 13 I GG
Schutzgut des Art. 13 I GG ist die räumliche Privatsphäre. Unter einer Wohnung versteht man jeden Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zum Ort seines Lebens und Wirkens bestimmt. Hierzu werden nach h.M. auch Betriebs- und Geschäftsräume gezählt.[1] Sofern ein Computer in einer Wohnung lokalisiert ist, könnte bei einem Hackerangriff durch den Staat der Schutzbereich von Art. 13 I GG tangiert sein. Die staatliche Maßnahme spielt sich allerdings auf virtueller Ebene ab. Sofern kein Beamter die Wohnung betritt, etwa um Schadsoftware einzuspielen, ist die räumliche Privatsphäre der Wohnung also nur durch Bits und Bytes, nicht aber durch ein physisches Eindringen betroffen.
Beim Schutzbereich des Art. 13 I GG ist indes zu beachten, dass er sich nicht in der Abwehr eines körperlichen Eindringens in die Wohnung erschöpft, sondern etwa auch bei einer akustischen oder optischen Wohnraumüberwachung[2] berührt wird.[3] Umfasst ist deshalb ebenso die Infiltration eines informationstechnischen Systems, also etwa eines Computers, der sich in einer Wohnung befindet, um mit dessen Hilfe bestimmte Vorgänge innerhalb der Wohnung zu überwachen. Der Schutz des Art. 13 I GG greift insbesondere dann, wenn die an das System angeschlossenen Peripheriegeräte, wie ein Mikrofon oder eine Kamera, angezapft werden, um den Nutzer zu überwachen.[4] Wenn ein in der Wohnung befindlicher Computer mittels eines Trojaners infiltriert wird, ist die Privatheit in der räumlich abgeschotteten Wohnung somit zumindest dann tangiert, wenn die Geräte quasi als getarnte Überwachungskamera oder Abhörvorrichtung genutzt werden. Aus diesem Grund ist der Schutzbereich des Art. 13 I GG in solch einem Fall eröffnet. Mit dieser Sachverhaltskonstellation vergleichbar ist etwa das Beobachten einer Wohnung mittels Wärmebildkameras. Auch in einem solchen Fall wird nicht physisch eingegriffen. Gleichwohl ist die Privatheit in einem erheblichen Maße betroffen, da der Beobachter in diesem Fall ähnliche Einblicke hat, wie jemand, der die Wohnung tatsächlich physisch betritt.
Zu beachten ist an dieser Stelle zudem, dass die vorgenannten Ausführungen nicht bloß auf Computer in Form von stationären Endgeräten beschränkt sind. Informationstechnische Systeme und entsprechende Peripheriegeräte befinden sich gleichermaßen auf Laptops, Tablets und v.a. auch moderneren Smartphones. Werden solche Geräte gehackt um Vorgänge in der Wohnung auszuspähen, wäre ebenso der Schutzbereich des Art. 13 I GG tangiert.
2. Schutz des Post-, Brief und Fernmeldegeheimnisses, Art. 10 I GG
Für den Schutz der Privatsphäre des Bürgers ist neben Art. 13 I GG vor allem auch Art. 10 I GG relevant, der das Brief- und Postgeheimnis sowie das Fernmeldegeheimnis regelt. Damit gewährleistet Art. 10 GG allgemein die Vertraulichkeit des durch Kommunikationsmittel ermöglichten Informationsaustauschs über gewisse Entfernungen. Der geschützte Kommunikationsvorgang soll gegen unbefugte Kenntniserlangung „durch Dritte“ abgeschirmt werden.[5] Der Schutzbereich des Art. 10 GG wird dabei dynamisch interpretiert, er ist also offen für technische Entwicklungen.[6]
Das Fernmeldegeheimnis ist von den drei Einzelgrundrechten des Art. 10 I GG für den Bereich des Internets am wichtigsten. Es schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe der Telekommunikationstechnik. Die Beteiligten sollen dabei möglichst so gestellt werden, wie sie bei einer Kommunikation unter Anwesenden stünden.[7] Der Schutzbereich ist somit immer dann eröffnet, wenn ein dem Telefonieren vergleichbarer Vorgang überwacht wird. Sofern etwa ein Gespräch, das über Skype oder Google-Talk geführt wird, abgehört wird, liegt es nahe, dass auch der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 I GG betroffen sein könnte.[8] Sofern eine Behörde ein Chatgespräch mitliest oder ein Skypetelefonat abhört, gestaltet es sich für den Betroffenen deshalb faktisch genauso, als würde die Behörde ein „klassisches“ Telefongespräch überwachen.
Einen Grenzfall stellt in diesem Zusammenhang das Überwachen des E-Mail-Verkehrs dar. Hier gilt es nach der Rechtsprechung des BVerfG zu unterscheiden:[9] Werden E-Mails gelesen, die auf einer Festplatte als Datei – beispielsweise bei einer Nutzung der E-Mail-Software Microsoft Outlook – gespeichert sind, ist Art. 10 I GG nicht einschlägig, denn der Kommunikationsvorgang ist bereits beendet. Sofern sich die E-Mail aber noch auf dem Mailserver befindet und noch nicht auf dem lokalen Datenträger gespeichert ist, wird das „Abfangen“ der Mail hingegen noch vom Telekommunikationsgeheimnis erfasst.[10] Die auf dem Mailserver des Providers vorhandenen E-Mails sind noch nicht in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt, sodass die spezifischen Gefährdungen, vor denen Art. 10 I GG schützen will, noch weiterhin bestehen.
3. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i. V. mit 1 I GG
Sofern ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 I GG oder von Art. 10 I GG nicht in Betracht kommt, etwa wenn sich der Staat in cloudbasierte Internetspeicher wie Dropbox oder Google-Drive einhackt, kann zumindest das subsidiär anwendbare allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) relevant werden. Dieses leitet sich aus Art. 2 I i.V. mit 1 I GG ab. Das ursprünglich durch die zivilrechtliche Rechtsprechung entwickelte APR[11] ist mittlerweile auch im Verfassungsrecht als Grundrecht anerkannt und dient zur Abwehr von diversen Formen der Beeinträchtigung der Privatsphäre oder bestimmter Persönlichkeitsrechte, die sich nicht einem anderen spezifischen Freiheitsrecht zuordnen lassen.[12] Eine abschließende Definition des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gibt es daher nicht.[13] Es ergänzt „als ‚unbenanntes‘ Freiheitsrecht die speziellen (‚benannten‘) Freiheitsrechte“ und schützt allgemein die „engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen […], die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen.“[14] Ebenso wie Art. 10 I GG (s.o.), wird das APR dynamisch interpretiert, sodass das GG offen für neue Gefährdungen und technische Innovationen ist.[15]
Statt einer abschließenden Definition haben sich in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Fallgruppen bzw. Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herausgebildet. Eine für die hiesige Problematik sehr wichtige Ausprägung des APR ist das sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches dem Einzelnen die Befugnis verleiht, grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu verfügen.[16] Jeder Bürger darf also prinzipiell selber darüber bestimmen, „wer was wann und bei welcher Gelegenheit“[17] über ihn weiß. Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist insbesondere ab dann beeinträchtigt, sobald Ermittlungsbehörden Daten erheben, wenn sie also ungefragt auf bestimmte Dateien des Nutzers zugreifen.
4. Computergrundrecht
Nicht geschützt ist jedoch die Integrität des informationstechnischen Systems als solches. Die bloße Infiltration, bei der noch keine konkreten Daten erhoben werden, berührt noch nicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.[18] Da durch Art. 10, 13 GG und die bisherigen Ausprägungen des APR somit kein allumfassender Schutz im Hinblick auf die Nutzung informationstechnischer Systeme gewährleistet ist, musste im Hinblick auf den technischen Fortschritt und die damit einhergehenden Gefahren eine weitere Ausprägung des APR geschaffen werden. Als zusätzlicher Unterfall von Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG besteht aus diesem Grund das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (kurz: „Computergrundrecht“).[19] Es bewahrt den persönlichen und privaten Lebensbereich der Grundrechtsträger vor staatlichem Zugriff im Bereich der Informationstechnik auch insoweit, als auf das informationstechnische System insgesamt zugegriffen wird und nicht nur auf einzelne Kommunikationsvorgänge oder gespeicherte Daten.[20] Geschützt sind aber nur solche Systeme, die personenbezogene Daten in einem gewissen Umfang enthalten, so dass ein Zugriff auf das System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen oder gar ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit zu erhalten.[21] Außerdem muss der Betroffene das fragliche System „als eigenes“ nutzen. Es kommt also nicht darauf an, wer Eigentümer des Geräts ist, sondern es ist vielmehr danach zu fragen, wer über das informationstechnische System selbstbestimmt verfügt.[22]
Sofern im Rahmen einer Klausur Zugriffe auf informationstechnische Systeme zu diskutieren sind, ist es im Hinblick auf den Aufbau wichtig, zunächst die Schutzbereiche der vorgenannten Grundrechte zu diskutieren um anschließend die jeweils bestehenden Lücken im Bereich von computerbezogenen Eingriffen aufzeigen zu können, die dann durch das subsidiär greifende Computergrundrecht geschlossen werden.
5. Berufs-, Wissenschafts- und Religionsfreiheit
Die vorgenannten Aspekte stellen den Grundstock für jedwede Argumentation im Kontext computerbasierter Grundrechtseingriffe dar. Je nach Ausgestaltung des Sachverhalts können jedoch noch weitere Grundrechte Gegenstand der Diskussion sein. Sofern Ermittlungsbehörden etwa Daten ausspähen, die berufsbezogene Informationen enthalten, ist fraglich, ob hierdurch neben den zuvor diskutierten Grundrechten auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) gegeben sein kann. Im Rahmen einer solchen Diskussion muss bei der Frage, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I GG vorliegt, jedoch beachtet werden, dass nicht jede Maßnahme, die die Berufstätigkeit faktisch oder mittelbar betrifft, einen Grundrechtseingriff in Art. 12 I GG darstellt. Regelungen, die keine „objektiv berufsregelnde Tendenz“ haben, greifen nämlich nicht in die Berufsfreiheit ein.[23] Um einen Eingriff in Art. 12 I GG zu bejahen, muss der Datenüberwachungsvorgang deshalb Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden und es muss eine nennenswerte Behinderung der beruflichen Tätigkeit eintreten. Eine solche Fallgestaltung wäre in Bezug auf Online-Durchsuchungen etwa bei Fällen von Industriespionage denkbar.
Ähnliche Überlegungen können bei einem Forschungsbezug der überwachten Daten angestellt werden. In solch einem Fall müsste diskutiert werden, ob über die computerspezifischen Grundrechte hinaus auch noch die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 III S. 1 GG tangiert sein könnte. Der Begriff der Wissenschaft wird definiert als jede Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.[24] Auch Bezüge zur Religionsfreiheit nach Art. 4 GG sind in diesem Kontext denkbar. Damit ein Grundrechtseingriff bejaht werden kann, muss allerdings neben der Berührung religionsspezifischer Inhalte darüber hinaus eine tatsächliche Beeinträchtigung der Glaubensbetätigung vorgebracht werden.[25] Es bleibt demnach bei derartigen Konstellationen primär bei einem Schutz über die jeweils einschlägigen Ausprägungen des APR, Art. 10 I GG und Art. 13 I GG. Die Berufs-, Wissenschafts- und Religionsfreiheit stellen daher regelmäßig nicht den Schwerpunkt der Diskussion dar.

_________________________________________________

[1] BVerfGE 32, 54; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 13 Rdnr. 10.

[2] Vgl. Art. 13 III bis V GG.

[3] So das BVerfG in der Entscheidung zum großen Lauschangriff: BVerfGE 109, 279.

[4] BVerfGE 120, 274 (310).

[5] S. nur BVerfGE 115, 166 (182); 106, 28 (37).

[6] S. nur BVerfGE 124, 43 (54); 115, 166 (182): „Das Grundrecht ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken. […] Auf die konkrete Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an.“ Vgl. instruktiv auch Durner, in: Maunz/Dürig, Art. 10 Rdnr. 47.

[7] Vgl. etwa BVerfGE 100, 313 (363).

[8] Zu den technischen Besonderheiten einer Skype-Überwachung s. Stadler, MMR 2012, 18 (20).

[9] S. dazu BVerfGE 124, 43.

[10] BVerfGE 124, 43 (54 f.).

[11] Grundlegend BGHZ 13, 334; 24, 72; 26, 349.

[12] Grundlegend BVerfGE 34, 269; ferner BVerfGE 54, 148; vgl. auch bereits BVerfGE 6, 32 (41), in der jedoch noch nicht ausdrücklich von einem „allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ die Rede ist; s. ausführlich zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seinen zahlreichen Unterfällen Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 127 ff; Brandner, JZ 1983, 689; Seifert, NJW 1999, 1889.

[13] So auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rdnr. 147.
[14] BVerfGE 54, 148 (153).
[15] S. bereits BVerfGE 54, 148 (153).
[16] BVerfGE 65, 1 (43).
[17] BVerfGE 65, 1 (43).
[18] Vgl. BVerfGE 120, 274 (311 ff).

[19] S. allgemein zum Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme Wegener/Muth, Jura 2010, 847; Kutscha, NJW 2008, 1042; Britz, DÖV 2008, 411; Hoeren, MMR 2008, 365; Schnabel/Roßnagel, NJW 2008, 3534; Luch, MMR 2011, 75; s. ausführlich Drallé, Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, Diss. 2010.

[20] BVerfGE 120, 274 (316).

[21] BVerfGE 120, 274 (314).
[22] BVerfGE 120, 274 (315); Hornung, CR 2008, 299, 303; Wedde, AuR 2009, 373; Stögmüller, CR 2008, 435, 436; Roßnagel/Schnabel, NJW 2008, 3534, 3538.

[23] BVerfGE 13, 181 (186).

[24] BVerfGE 35, 79.

[25] Der Schutzbereich des Art. 4 GG erfasst zum einen das sog. forum internum, also die Freiheit, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu bilden und zu haben, sowie gleichermaßen das sog. forum externum, also die Freiheit aus religiöser Überzeugung zu handeln, vgl. etwa BVerfGE 108, 282 (296).

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