Die Zeit widmet sich in ihrer aktuellen Themenwoche möglichen Reformbestrebungen des juristischen Staatsexamens. Unter den Überschriften „Schafft das Staatsexamen ab“ und „Vor dem Examen übergaben wir uns“ wurden zwei Beiträge von Studenten (!) veröffentlicht, deren Tenor eindeutig kritisch gegenüber dem aktuellen juristischen Staatsexamen ist.
Diese Aussagen können meines Erachtens nicht unkommentiert so stehenbleiben. Dabei will ich gar nicht behaupten, dass das Staatsexamen nicht wahnsinnig stressig und anstrengend ist. Natürlich ist es das. Gleichwohl: Welches andere Studienfach ist das nicht. Und wer denken würde, dass der Stress mit dem Studium endet, der muss schon sehr blauäugig sein. Das juristische Staatsexamen ist keinesfalls schlimmer als der spätere Berufsalltag.
Natürlich mag es Punkte am Staatsexamen geben, die zur Kritik berechtigen: Sind die Noten immer vollständig objektiv – nein! Werden die Universitäten ihren Bildungsauftrag vollständig gerecht – nein (sonst gäbe es keine privaten Repetitorien)! Ist es richtig, dass nach zehn oder mehr Semestern mit dem Examen der große Knall kommt, bei dem es Hop oder Top heißt – natürlich nicht! Nur wo gibt es absolute Fairness und hundertprozentige Objektivität? Nicht in der Realität, nicht im wahren Leben und deshalb auch nicht im Jurastudium. Aus diesem Grund sollen an dieser Stelle anhand einiger Thesen die aus meiner Sicht positiven Inhalte des Jurastudiums dargestellt werden.
These 1 – Das Jurastudium ist verhältnismäßig fair, weil die Note zählt
Das juristische Studium und insbesondere das Staatsexamen ist ein Spiegelbild der Realität. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht hier – natürlich – um Leistung. Aber worum auch sonst? Hier zeigen sich meines Erachtens gerade die Vorteile des Jurastudium: Die Note entscheidet. Nicht persönliche Beziehungen, nicht eine Vielzahl von Praktika – allein die Note zählt. Natürlich führt das auch zu Verwerfungen: Nicht jeder gut benotete Examenskandidat ist tatsächlich in der Praxis ein guter Jurist, nur zeigt die Erfahrung, dass die Indizwirkung eines guten Examens äußerst hoch ist. Und das muss dennoch nicht heißen, dass NUR gut benotete Kandidaten Berufschancen haben. Auch alle anderen haben die Chance ihre beruflichen Fähigkeiten spätestens im Referendariat unter Beweis zu stellen und so ihre Stärken zu zeigen.
These 2 – Juraabsolventen haben oft ein „Luxusproblem“
Dabei sind wir Juristen jedenfalls bei guten Examina (und damit meine ich nicht zwingend Doppel-VB, auch mit zwei soliden Befriedigend bspw. steht man sehr gut da) in der äußerst komfortablen Position, Jobs wählen zu können und eben nicht ewig suchen zu müssen. Gute und spezialisierte Juristen werden allerorts gesucht. Wem nützt man also, wenn man die Herausforderungen senken würde – niemandem! Nicht den Guten, nicht aber auch den Schlechteren.
These 3 – Die juristische Notenvergabe ist fair
Dies ist vielleicht die kontroverseste These. Im Staatsexamen – und letztlich nur darum geht es – werden mindestens sechs Klausuren verfasst, die alle (ausführlich!) korrigiert und gelesen werden. Wie kann man da behaupten, die Notenvergabe sei willkürlich. Natürlich ist eine solche Notenvergabe nicht so einfach nachvollziehbar, wie in anderen Fächern und natürlich ist es äußerst fragwürdig, dass die Notenskala letztlich nie ausgereizt wird. Dennoch möchte ich behaupten, dass man äußerst schnell eine gute von einer schlechten Arbeit unterscheiden kann. Zudem gleicht sich im Staatsexamen bei sechs Klausuren alles aus. Keiner kann behaupten, er habe ausschließlich schwere Klausuren schreiben müssen. Und selbst wenn – auch dann wird immer noch „relativ korrigiert“, sodass die Besten immer noch gute Noten bekommen.
These 4 – Jura ist nicht arbeitsintensiver als andere Fächer oder Ausbildungen
Am Ende von ca. fünf Jahren Jurastudium und Examensvorbereitung steht das erste Staatsexamen. Wie sieht die Zeit bis dahin aus? Dies wird gern in der Diskussion vernachlässigt. Zunächst sollte das Grundstudium in zwei bis vier Semestern beendet werden. Der Aufwand hierfür ist äußerst überschaubar. Kein Student MUSS am Anfang ständig in der Bibliothek sitzen etc., so viel ist es nicht. Gleiches gilt für das Hauptstudium mit den Großen Übungen. Auch hier sind andere Studiengänge deutlich lernintensiver.
Aber selbst in der berüchtigten Examensvorbereitung ist der Aufwand bei entsprechender Organisation überschaubar. Ein Arbeitnehmer arbeitet 40 Stunden pro Woche ergo 8 Stunden pro Tag. Dies genügt auch für das Jurastudium (und liegt damit weit unter den Arbeitszeiten im späteren Beruf). Natürlich ist damit ein effektives Arbeiten gemeint: Kaffeetrinken, erzählen etc. sind keine Arbeitszeit. Letztlich ist dies aber alles eine Frage der Selbstorganisation.
Wichtig ist, die Lockerheit zu bewahren. Darin liegt das offene Geheimnis eines erfolgreichen Studiums. Nicht die Verbissensten und Fleißigsten werden am Ende erfolgreich sein, sondern diejenigen, die das Studium als einen – wenn auch wichtigen – Teil ihres Lebens sehen, aber eben nur als einen Teil. So gelingt es das Studium erfolgreich zu absolvieren.
These 5 – Nicht erst im Examen merkt man, ob Jura das Richtige ist
Natürlich gibt es bis zum Staatsexamen keine ernstzunehmenden Prüfungen und natürlich ist eine Examensklausur nicht mit einer Klausur in der großen Übung oder im Grundstudium vergleichbar. Dennoch ist es sehr naiv zu behaupten, man wäre wegen seiner Examensnote aus allen Wolken gefallen. Der Zusammenhang zwischen den Noten im bisherigen Studienverlauf und der Examensnote ist sehr eng: Kaum einer steigt von 0 auf 100 und kaum einer geht den umgekehrten Weg. So sollte man sich bereits im Studienverlauf fragen, ob das Jurastudium sowohl von den Interessen als auch von den Noten das Richtige ist. Der Gedanke „Im Examen wird alles besser“ oder „Das lerne ich dann noch“ ist reichlich blauäugig. Es ist keine Schande ein Studium (und das gilt nicht nur für Jura) abzubrechen, gerade auch, wenn man damit das böse Erwachen beim Examen verhindert.
These 6 – Die Studieninhalte sind (weitestgehend) die Richtigen
Als Student – egal in welchem Fach – muss es einen Unterschied zur Schule geben. Beim Jurastudium ist dieser – zum Glück – noch recht groß. Mit einem verschulten Studium ist keinem gedient. Ebensowenig mit einer Berücksichtigung der Noten aus den ersten Semestern fürs Examen. Das Jurastudium sollte vor allem dazu anregen selbständig zu denken. Dies wird – auch das muss ich zugeben – in der universitären Lehre leider häufig vernachlässigt, bzw. zumindest nicht adäquat kommuniziert und gelehrt. Weicht man hiervon ab, erzieht man Studenten gerade zu Lernmaschinen und erhöht den Druck fürs Examen massiv. Gerade aber die Erkenntnis, dass Jura maßgeblich vom Verständnis lebt (obgleich es natürlich ohne Faktenwissen nicht auskommen kann), erleichtert die Examensvorbereitung und mindert den Druck. Denn dieses Verständnis kann man trainieren: durch zahlreiche Probeklausuren, durch Diskussionen in Lerngruppen, durch juristisches Nachdenken über alltägliche Sachverhalte etc.
Natürlich ist derjenige im Vorteil, dem dieses Verständnis in die Wiege gelegt wurde, ein anderer muss es sich hart erarbeiten. Aber keiner kann doch ernsthaft fordern, dass hieran etwas geändert werden sollte. So ist das Leben: Dem einen fällt es leichter als dem anderen. Auch im Sport wird der 100m-Lauf nicht rückwärts durchgeführt, wenn Usain Bolt allen davon läuft. Warum soll das im Jurastudium anders sein?
These 7 – Eine – grundlegende – Absenkung der Anforderungen würde den Juristenberuf entwerten
Noch immer hat der Jurist in der Gesellschaft ein verhältnismäßig hohes Ansehen. Zu Recht, begibt man sich doch vor Gericht in dessen Hände: Sei es als Anwalt, sei es als Richter. Auch die Kosten für eine juristische Beratung und Vertretung sind zuweilen immens. Ist es dann nicht auch opportun, dass ein gewisses Mindestniveau gefordert wird? Durchfallquoten von 30% im Ersten Staatsexamen sind zweifellos schmerzhaft und häufig verbergen sich dahinter auch persönliche Schicksale. Nur, es gibt keine Alternative (außer eben das frühzeitige Aussieben, wie in These 5 erwähnt). Es ist schlichtweg nicht zutreffend, dass jemand zufällig durch das Examen gefallen ist – dazu ist bereits die Benotung zu objektiv (siehe These 3). Es mag an der fehlerhaften Vorbereitung gelegen haben, vielleicht aber auch am fehlenden (juristischen) Talent oder an besonderen äußeren Umständen. Bloß: „Durchwinken“ kann man diese Studenten auch nicht. Damit tut man weder Ihnen einen Gefallen (denn die spätere Jobsuche dürfte schwierig werden) noch den anderen Absolventen (die sich dann gegen eine größere Anzahl von Konkurrenten durchsetzen müssten). Erst recht kann aber auch die Gesellschaft kein Interesse hieran haben. Das Examen sollte kein Selbstzweck sein. Der Jurist dient später dem Recht, dazu bedarf es schlichtweg eines Mindestmaßes an juristischen Fähigkeiten.
These 8 – Das Examen ist nur ein Vorgeschmack auf den Beruf
Zuletzt schließlich meine Meinung zur Drucksituation: Natürlich ist das Examen anstrengend, aufregend, nervenaufreibend und stressig. So ist aber auch der spätere Beruf des Juristen: anstrengend, aufregend, nervenaufreibend und stressig. Und sowohl für das Examen als auch für den Beruf bedarf es einer gewissen Lockerheit und einer angemessenen Strukturiertheit. Das Examen ist damit lediglich ein Vorgeschmack auf den späteren Beruf des Juristen – egal in welchem Berufsfeld. Auch dieser ist, ebenso wie das Examen, häufig nervig, eintönig und ermüdend. So ist es eben. Nur die Alternativen fehlen. Der Beruf des Juristen und ebenso die Ausbildung ist ein Beruf wie jeder andere. Es sollte zahlreiche Momente geben, wo der Spaß vorherrscht. Dennoch bleibt es ein Beruf.
Fazit
All das Gesagte kann auf das Leben allgemein übertragen werden. Hieran kann keiner etwas ändern. Man mag das – in vielen Punkten auch zu Recht – kritisieren und den Leistungsdruck in unserer Gesellschaft anprangern. Nur ändern kann man daran nichts und es ist albern das Jurastudium und -examen als ein Musterbeispiel hierfür herauszugreifen.
Natürlich sind Vorkehrungen zwingend nötig, die verhindern, dass Studenten gesundheitliche Schäden davontragen oder unnötige psychische Probleme bekommen. Grund hierfür ist aber im Regelfall nicht das Studium selbst, sondern der selbst erzeugte Druck. Es geht aber auch anders. Sowohl im Leben als auch im Jurastudium. Man sollte sich stets vor Augen halten: Ein gescheiterter Jurastudent ist keinesfalls ein gescheiterter Mensch, vielleicht zeigt sich hierin gerade die Wahrheit. Nicht jeder muss ein (guter) Jurist werden. Sich dies einzugestehen, mag oft schwer sein und nach Versagen klingen – meines Erachtens zu Unrecht. Wir haben ein faires System der juristischen Ausbildung, dass ein Spiegelbild des juristischen Alltags ist. Dies muss nicht jedem liegen, aber dies frühzeitig zu erkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen, ist eine Stärke und gleichzeitig eine Herausforderung, die keinesfalls leichter ist als das Staatsexamen.
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