Der EuGH hat in einem Vorabentscheidungsverfahren (jetzt: Art. 267 AEUV, früher: Art. 234 EGV) entschieden, dass eine niederländische Regelungen, die Touristen den Erwerb von Drogen in Coffeeshops untersagt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Sie verstößt insbesondere nicht gegen die Grundfreiheiten.
Sachverhalt
Die Entscheidung des EuGH betraf einen Rechtsstreit zwischen Herrn Josemans, dem Betreiber eines Coffeeshops mit dem klangvollen Namen „Easy Going“, und dem Burgemeester van Maastricht (Bürgermeister der Gemeinde Maastricht). Der Bürgermeister hatte eine vorübergehende Schließung dieses Coffeeshops verfügt, nachdem zweimal festgestellt worden war, dass unter Verstoß gegen die in der Gemeinde Maastricht geltenden Bestimmungen nicht in den Niederlanden wohnhaften Personen der Zutritt gestattet worden war. Hiergegen klagte der Coffeeshop-Betreiber. Das niederländische Gericht hatte Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maastrichter Regelung mit Unionsrecht und legte deshalb dem EuGH vor. Die Vorlagefragen betrafen insbesondere die Vereinbarkeit in Bezug auf den in den Art. 28 ff. EG geregelten freien Warenverkehr, die in den Art. 49 ff. EG verankerte Dienstleistungsfreiheit und das in Art. 12 EG niedergelegte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Verbindung mit Art. 18 EG, der die Unionsbürgerschaft betrifft (Anm.: dies sind noch die alten Vorschriften zum EGV, da der Rechtsstreit vor dem Lissabon-Vertrag entstand; die aktuellen Vorschriften zu den Grundfreiheiten finden sich in Art. 34 ff. AEUV bzw. Art. 56 ff. AEUV)
Lösong des EuGH: Differenzierung zwischen Drogen und Speisen
Der EuGH (Rechtssache Marc Michel Josemans gegen Burgemeester van Maastricht, C‑137/09, Entscheidung vom 16.12.2010) prüfte zunächst einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten und das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Diese seien im Hinblick auf den Verkauf von Canabis-Produkten schon gar nicht anwendbar.
„[…] Daraus folgt, dass Betäubungsmittel außerhalb des von den zuständigen Stellen streng überwachten Handels zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke bereits ihrem Wesen nach unter ein Einfuhr‑ und Verkehrsverbot fallen. […] Der Umstand, dass der eine oder andere Mitgliedstaat ein Betäubungsmittel als weiche Droge einstuft, vermag daran nichts zu ändern. Da die Einführung von Betäubungsmitteln außerhalb eines solchen streng überwachten Handels in den Wirtschafts‑ und Handelsverkehr der Union verboten ist, kann sich der Inhaber eines Coffeeshops hinsichtlich des Verkaufs von Cannabis nicht auf die Verkehrsfreiheiten oder das Diskriminierungsverbot berufen, um sich gegen eine kommunale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche zu wehren.“ (Rn. 41 f. des Urteils, abrufbar hier)
Anders war die Rechtslage natürlich im Hinblick auf die in Coffeeshops angebotenen Speisen und Getränke. „Auf eine Frage des Gerichtshofs hat die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass diese Tätigkeit in der Regel zwischen 2,5 % und 7,1 % des Umsatzes der Coffeeshops in der Gemeinde Maastricht ausmache.“ – Immerhin!
Es galt also zunächst festzustellen, welche grundfreiheit einschlägig ist. Der EuGH gab hier der Dienstleistungfreiheit den Vorrang. Diese überwiege bei der Bewirtung etc. ganz klar die Warenverkehrsfreiheit. Gestreich hierzu auch der Gedankengang der Kommission: „Die Kommission bezweifelt, dass Gebietsfremde sie in der Absicht kauften, sie in ihren Wohnsitzstaat auszuführen.“ Das hat die Kommission natürlich richtig erkannt; der Espresso wird vor Ort getrunken, das Gras wird mit nach Deutschland genommen. Daher: Dienstleistungsfreiheit.
Die Dienstleistungsfreiheit ist nach Ansicht des EuGH hier auch beeinträchtigt. Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AUEV) verbiete nicht nur direkte Diskriminierungen, sondern auch mittelbare/“verschleierte“. Zumindest letzteres liege hier vor, da ein Konsumverbot für nicht Ortsansässige natürlich in erster Linie Ausländer betrifft und nicht Holländer.
Diese Beeinträchtigung könnte jedoch gerechtfertigt sein. Der EuGH nimmt an, dass dies hier zur Bekämpfung des Drogentourismus (öffentliche Ordnung) möglich ist:
„Es ist darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen Teil der Drogenbekämpfung ist. Sie steht im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der Gesundheit der Bürger sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf Unionsebene. In Anbetracht der von der Union und ihren Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen steht es außer Zweifel, dass die oben genannten Ziele ein berechtigtes Interesse darstellen, das eine Beschränkung der Pflichten, die sich aus dem Unionsrecht, sogar aus einer Grundfreiheit wie der Dienstleistungsfreiheit ergeben, grundsätzlich rechtfertigen kann.“ (Rn. 65 f.)
Im Anschluss prüft der EuGH die Verhältnismäßigkeit der Regelung. Insofern verweist der EuGH auf seine Leitentscheidung Omega (Laserdrome). Die Maßnahme sei hier in jedem Fall geeignet, den Drogentourismus einzuschränken. Im Hinblick auf mildere Maßnahmen gäbe es zwar andere Möglichkeiten, aber diese habe man ebenfalls ausprobiert und sie seinen weniger effizient. Insegsamt ist der EuGH hier sehr großzügig: „Den Mitgliedstaaten kann aber nicht die Möglichkeit abgesprochen werden, das Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen durch die Einführung allgemeiner Vorschriften zu verfolgen, die von den zuständigen Behörden einfach gehandhabt und kontrolliert werden können.“ (Rn. 82)
Dies ist im Einklang mit früherer Rechtsprechung, insbesondere Omega. Der EuGH ist bei sensiblen Bereichen wie Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht sehr streng und lässt den Mitgliedsstaaten Spielraum.
Bemerkenswert ist, dass der EuGH hier die Rechtfertigung nicht ausdrücklich an einem bestimmten Tatbestand festmacht (etwa Art. 62 AEUV iVm Art. 52 Abs. 1 AEUV). Er sagt einfach, dass Drogenbekämpfung ein legitimes Ziel sei. Der Unterschied zwischen den geschriebenen Rechtfertigungsgründen und den zwingenden Erfordernissen im Sinne der Cassis-Rechtsprechung verwischt damit immer mehr. Die Dogmatik entspricht damit immer mehr dem nationalen Verfassungsrecht.
Sonstige Vorschriften
Zur Anwendbarkeit von Art. 12 EG, der ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, stellte der EuGH fest, dass diese Bestimmung als eigenständige Grundlage nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen angewendet werden kann, für die der EG-Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht. Da das Diskriminierungsverbot im Bereich der Dienstleistungsfreiheit durch Art. 49 EG konkretisiert worden sei, finde Art. 12 EG unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens keine Anwendung. Ähnliche Überlegungen würden für Art. 18 EG gelten. Art. 18 EG, in dem das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, finde eine besondere Ausprägung in den Bestimmungen, die die Dienstleistungsfreiheit gewährleisten.
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