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Schlagwortarchiv für: Deliktsrecht

Dr. Melanie Jänsch

BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 8. Dezember 2020 (Az.: VI ZR 19/20) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problemkomplex des Deliktsrechts – der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen – geäußert. Konkret hat der BGH entschieden, dass auch bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft dem Schädiger jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich zuzurechnen sind. Da deliktsrechtliche Fragen, insbesondere Kausalitätsprobleme, absolute Dauerbrenner in Studium und Examen sind, soll die Entscheidung im Folgenden ausführlich dargestellt werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Mehrere Polizeibeamte waren wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Cocktailbar im Einsatz. Dabei kam ein deutlich erkennbar und stark alkoholisierter Beteiligter einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach; er setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei einen Polizeibeamten am Daumen. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Schädiger erlitt der betreffende Polizeibeamte zudem eine psychische Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, die zur dauerhaften Dienstunfähigkeit führte. Er verlangt vom Schädiger Schadensersatz für Behandlungskosten und Verdienstausfall aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch des Polizeibeamten gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein die durch die tätliche Auseinandersetzung herbeigeführte Gesundheitsverletzung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung, die zur Dienstunfähigkeit geführt hat. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 204) beschränkt.
 
Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 205). Der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht, dass durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen, die einen realen Krankheitswert haben, Gesundheitsverletzungen i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 21.5.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125, Rn. 7; v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451, Rn. 6; v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263, Rn. 8). Ohne Zweifel können die psychisch vermittelten Beschwerden des Polizeibeamten nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden.
 
Anmerkung: Resultieren die psychischen Beschwerden nicht aus einer unmittelbaren Beteiligung am schädigenden Ereignis, sondern ist die psychische Beeinträchtigung mittelbar auf die Verletzung eines Dritten zurückzuführen, stellt sich bereits beim Prüfungspunkt „Rechtsgutsverletzung“ die sog. Schockschaden-Problematik. Der BGH verlangt in diesen Fällen für die Annahme einer deliktsrechtlich relevanten Gesundheitsverletzung, dass die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind, und eine persönliche Nähe zwischen dem unmittelbar Verletzten und dem mittelbar Geschädigten besteht (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 und die Ausweitung auf fehlerhafte ärztliche Behandlung in BGH, Urt. v. 21.5.2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387, besprochen in unserem Beitrag).
 
Die Handlung des Schädigers müsste aber auch haftungsbegründend kausal für die psychische Gesundheitsverletzung gewesen sein. Der Prüfungspunkt „haftungsbegründende Kausalität“ betrifft die Ursächlichkeit der Verletzungshandlung für die Rechtsgutsverletzung. Die Kausalitätsprüfung erfolgt stets in drei Schritten: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob Äquivalenz im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Auf dieser Stufe ist also zu klären, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung des Geschädigten entfiele. Als zweiter Filter der Kausalität ist Adäquanz insofern erforderlich, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Im vorliegenden Fall war revisionsrechtlich zu unterstellen, dass bei dem Polizeibeamten infolge der schädigenden Handlung eine Traumafolgestörung von Krankheitswert eingetreten ist, für die das Verhalten des Schädigers sowohl äquivalent als auch adäquat kausal war.
Auf dritter Stufe erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit aber zusätzlich unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich ausschließlich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. An dieser Stelle stellen sich vorliegend zwei Problemkreise, die ausführlicherer Erörterung bedürfen:
I. Zum einen bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer besonderen Prüfung der Zurechnung:

„Sie soll der Eingrenzung einer sonst ausufernden Haftung für normale Belastungen in den Wechselfällen des Zusammenlebens dienen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 11), darf aber nicht der gegenüber körperlichen Verletzungen oft als erschwert angesehenen Objektivierbarkeit psychischer Beeinträchtigungen geschuldet sein. Dabei wird berücksichtigt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist.“ (Rn. 11)

Ausgehend hiervon kann bei einem geringfügigen schädigenden Ereignis angenommen werden, dass eine extreme psychische Reaktion außer Verhältnis steht und daher nicht mehr zugerechnet werden kann; vielmehr bewege sich diese im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dagegen realisiere sich dann nicht mehr das allgemeine Lebensrisiko, wenn „der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte“ (vgl. Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242, Rn. 14), was im vorliegenden Fall anzunehmen sei.  
II. Hinzu kommt hier aber noch ein zweiter Aspekt: Bei professionellen Rettungskräften oder Polizeibeamten wird zuweilen erwogen, dass im Falle der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen zur Vermeidung uferloser Ausdehnung der Haftung des Schädigers unterbleiben muss. Letzteres hat etwa das Berufungsgericht – das OLG Celle – in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2019 angenommen: Bei dem betreffenden Sachverhalt habe es sich um eine für einen Polizeibeamten alltägliche Situation gehandelt, mit der im Rahmen der Berufstätigkeit ständig zu rechnen sei. Sofern eine solche Situation zu einer schweren psychischen Gesundheitsverletzung mit der Folge der Dienstunfähigkeit führe, könne dies dem Schädiger nicht zugerechnet werden (OLG Celle, Urt. v. 12.12.2019 – 5 U 116/19, BeckRS 2019, 43669, Rn. 33). Dieser Auffassung ist der BGH – in strikter Gleichsetzung physischer und psychischer Primärschäden – entschieden entgegengetreten:

„Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 20), gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen. Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus.“ (Rn. 16 f.)

Zudem lasse die entgegengesetzte Argumentation außer Acht, dass bei ausgebildeten Einsatzkräften die Gefahr des Eintritts psychischer Schäden im Vergleich zu Laien bereits vermindert sei. Komme es trotz professioneller Vorbereitung im Einzelfall dennoch zu psychischen Schäden, rechtfertige dies keine Risikoverlagerung auf den Geschädigten (Rn. 18). Um die Haftung des Schädigers in diesen besonderen Fällen einzugrenzen, knüpft der BGH die Zurechnung gleichwohl an verschiedene Kriterien: Neben dem Erfordernis, dass die psychische Beeinträchtigung realen Krankheitswert aufweist, muss der Schädiger – in Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit des Polizeibeamten am Unfallort – dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall-)Beteiligten aufgezwungen haben. Darüber hinaus muss sich auch der Verschuldensvorwurf gegen den Verursacher auf die Folgeschäden erstrecken, was bei psychischen Erkrankungen als Folge von Routineeinsätzen nicht zwangsläufig der Fall ist. Auf dieser Grundlage hat der BGH die Sache letztlich unter Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Festzuhalten bleibt: Bei der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos sind psychische Gesundheitsverletzungen mit Krankheitswert von Polizeibeamten oder ähnlichen professionellen Rettungskräften dann dem Schädiger zuzurechnen, wenn der Schädiger dem Geschädigten die Beteiligung an dem traumatisierenden Geschehen unmittelbar aufgezwungen hat. Die Grundsätze, die der BGH in seinem Amoklauf-Urteil (Urt. v. 17.4.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220, besprochen in unserem Beitrag) aufgestellt hat, werden damit auf polizeiliche „Standardsituationen“ ausgeweitet. Für eine Zurechnung entscheidend ist damit nicht, dass es sich wie bei einem Amoklauf um ein vorsätzliches schweres Gewaltverbrechen eines besonders aggressiven Täters handelt, sondern vielmehr insbesondere, ob der Geschädigte lediglich am Tatort anwesend oder unmittelbar in das Geschehen involviert war.
 
 

28.01.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-01-28 09:00:472021-01-28 09:00:47BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten
Redaktion

Zivilrecht I – Oktober 2020 – Hessen

Examensreport, Hessen

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zu einer Examensklausur im Zivilrecht, die im Oktober 2020 in Hessen gestellt wurde. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie ihr es getan habt.
 
Ausgangsfall
A betreibt seit kurzer Zeit Yoga und möchte sich diesbezüglich eine Yogamatte zulegen. Besonders hat es ihm das Modell „Flow“ angetan, das er schon des Öfteren in Teleshopping-Sendungen gesehen an.
Da er jedoch beruflich sehr eingespannt ist, bittet er seinen befreundeten Nachbarn N, die Yogamatte „Flow“ für ihn zu kaufen.
Schon am nächsten Tag begibt sich N in das Sportgeschäft des V. Dort teilt er dem angestellten Mitarbeiter M mit, dass er für A die Yogamatte „Flow“ kaufen soll, jedoch nicht wisse, wo er sie im Laden finde. M teilt ihm daraufhin wahrheitswidrig mit, dass die Yogamatte „Flow“ für den von A beabsichtigten Hausgebrauch nicht geeignet sei. Die Yogamatte des Modells „Namaste“ sei viel besser dafür geeignet. Die beiden Modelle sind funktional gleichwertig.
Dabei kommt es M lediglich darauf an, möglichst viel Umsatz zu machen. V hatte von den Machenschaften des M keine Kenntnis.
Überzeugt von den Ausführungen des M nimmt N die Yogamatte „Namaste“ im Kaufpreis von 150 € mit. Damit möchte N dem A vor einem Fehlkauf bewahren und geht davon aus, dass diese Matte den Ansprüchen des A schon genügen wird.
Als er den A jedoch aufklärt und die Yogamatte „Namaste“ übergeben will, ist dieser nicht begeistert. So einen Müll würde er niemals kaufen. Den Kaufvertrag möchte er nicht gegen sich gelten lassen.
V verlangt daraufhin Zahlung der 150 €. N entgegnet, dass er ja schon gar nicht Vertragspartner des V geworden wäre. Dabei könne es ja nicht sein, dass er so von M getäuscht wurde und trotzdem zahlen müsse. Er sei keinesfalls an einen möglichen Vertag gebunden.
Kann V von A und/oder N den Kaufpreis i.H.v. 150 € verlangen?
 
Fortsetzungsfall
Als A in Geldsorgen gerät, fällt ihm ein, dass er F vor einem Jahr 8.000 € geliehen hat, damit dieser sein Auto aufbessern kann. Dabei wurde vereinbart, dass F die 8.000 € spätestens bis Ende Mai 2019 zurückzahlen sollte.
Einen Anruf des A nimmt F nicht entgegen. Auf die darauffolgende E-Mail des A antwortet F:
„Das Geld kannst du vergessen. Die siehst keinen Cent. Du kommst ja nur angekrochen, weil du selbst wieder pleite bist.“
A will das nicht auf sich sitzen lassen und begibt sich im Juni 2019 in die Rechtsanwaltskanzlei R-GbR. Diese besteht aus den Gesellschaftern X und Y. In einem rechtwirksamen Gesellschaftsvertrag wurde vereinbart, dass jeder Gesellschaft bei der Annahme und Bearbeitung von Mandanten alleinvertretungsbefugt ist. Ansonsten sollen die gesetzlichen Regelungen gelten.
A schließt mit dem X, der die R-GbR dabei alleine vertritt, einen Anwaltsvertrag ab. Daraufhin wird F auf die Rückzahlung des Darlehens verklagt. Das erstinstanzliche Gericht geht dabei jedoch fälschlicherweise von einer Verwirkung des Anspruchs aus.
Wegen eines Versehens legt X einen Tag zu spät Berufung gegen das Urteil ein. Die Berufung wäre sonst zulässig gewesen. Das erstinstanzliche Urteil des Landgericht Frankfurt am Main wird damit rechtskräftig.
A ist außer sich und begibt sich in die Kanzlei. Dabei trifft er auf Y und äußert ihm gegenüber seinen Unmut. Es könne doch nicht sein, dass die Berufungsfrist versäumt wurde. Es sei doch gerade die Pflicht von Anwälten, solche Fristen einzuhalten. Dafür müsse jemand zahlen.
Y räumt ein, dass das Ganze unglücklich gelaufen sei. Allerdings wäre es nicht ihre Schuld, wenn das LG Frankfurt am Main fehlerhaft entscheide. Nur deshalb hätten sie ja überhaupt erst die Berufungsfrist versäumt.
A ist über diese Aussage so erbost, dass er absichtlich eine im Eigentum der R-GbR stehende Vase im Wert von 1.000 € zerstört und die Kanzlei verlässt.
A erhebt daraufhin Klage gegen Y auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 8.000 €.
Y rechnet diese Forderung ohne Kenntnis des X mit den 1.000 € der zerstörten Vase auf. Zudem entgegnet Y, dass er sowieso nur subsidiär hafte. Schließlich müsse A erst die R-GbR verklagen.
Ist die zulässige Schadensersatzklage des A gegen Y begründet?
 
Abwandlung des Fortsetzungsfalls
Neben X und Y war auch Z Gesellschafter der R-GbR. Dieser ist noch vor der Versäumnis der Berufungsfrist aus der R-GbR ausgeschieden.
A verlangt von Z Zahlung der 8.000 €. Zurecht? Etwaige Einwendungen der Gesellschaft sind nicht zu prüfen.

17.12.2020/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2020-12-17 09:00:292020-12-17 09:00:29Zivilrecht I – Oktober 2020 – Hessen
Carlo Pöschke

OLG Frankfurt am Main zur deliktsrechtlichen Haftung im Mannschaftssport

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Fußball ist der Nationalsport Nummer eins in Deutschland. Mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern in 2019 ist der Deutsche Fußball-Bund der größte Sportverbund Deutschlands. Aber auch andere Mannschaftssportarten erfreuen sich großer Beliebtheit. So hatte der Deutsche Handball-Bund in 2019 fast 750.000 Mitglieder und der Deutsche Basketball-Bund brachte es immerhin auf deutlich über 200.000 Mitglieder. Schon allein aufgrund der großen Popularität dieser Sportarten dürfte es wenig überraschend sein, dass Mitspielerverletzungen an der Tagesordnung stehen und nicht selten juristische Streitigkeiten um Schadensersatz und Schmerzensgeld daraus entstehen. In seinem Urteil vom 14.11.2019 – 22 U 50/17, BeckRS 2019, 29048 beschäftigte sich das OLG Frankfurt am Main mit der Ersatzfähigkeit von Personenschäden, die eine Handballspielerin beim Torwurf erlitt. Da Kenntnisse rund um den Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu den absoluten Basics im Zivilrecht gehören, erscheint es nicht nur für Examenskandidaten, sondern auch für Jura-Studenten in unteren Semestern lohnenswert, sich mit dem Urteil des OLG Frankfurt auseinanderzusetzen.
 
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K und B waren Spielerinnen gegnerischer Mannschaften bei einem Handballspiel. Kurz vor Schluss machte K im Rahmen eines Tempo-Gegenstoßes einen Sprungwurf. B, Torfrau der Gegnerinnen, versuchte den Wurf abzuwehren. Dabei trafen beide zusammen. K stürzte beim Aufkommen und erlitt einen Kreuzbandriss im linken Knie. Der Schiedsrichter erteilte der B eine rote Karte, allerdings ohne Bericht, sodass diese lediglich für das fragliche Spiel weiter gesperrt war. K wurde daraufhin operiert. Es stellt sich heraus, dass sie dauerhaft nicht mehr Handball spielen kann.
K verlangt von B Schmerzensgeld und Schadensersatz. Zu Recht?
Auszüge aus den Internationalen Hallenhandballregeln:
Regel 8:2:

Es ist nicht erlaubt:
a) dem Gegenspieler den Ball aus der Hand zu entreißen oder wegzuschlagen.
b) den Gegenspieler mit Armen, Händen oder Beinen zu sperren, ihn durch Körpereinsatz wegzudrängen oder wegzustoßen, dazu gehört auch ein gefährdender Einsatz von Ellbogen in der Ausgangsposition und in der Bewegung.
c) […]
d) […]

Regel 8:5:

Ein Spieler, der seinen Gegenspieler gesundheitsgefährdend angreift, ist zu disqualifizieren […]. Die hohe Intensität der Regelwidrigkeit oder die Tatsache, dass diese den Gegenspieler unvorbereitet trifft und er sich deshalb nicht schützen kann, machen die besondere Gefahr aus (siehe nachstehenden Kommentar zu Regel 8:5).
[…]
Kommentar: Auch Vergehen mit geringem Körperkontakt können sehr gefährlich sein und zu schweren Verletzungen führen […]. In diesem Fall ist die Gefährdung des Spielers und nicht die Intensität des Körperkontakts maßgebend für die Beurteilung, ob auf Disqualifikation zu entscheiden ist. Dies gilt auch, wenn ein Torwart den Torraum verlässt, um den für den Gegenspieler gedachten Ball abzufangen. […]

 
II. Gutachterliche Falllösung
K könnte gegen B einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB haben.
1. Handlung
Ausgangspunkt des Anspruchs gem. § 823 Abs. 1 BGB ist ein menschliches Verhalten in Form eines Handelns oder pflichtwidrigen Unterlassens. Der Versuch, den Wurf der Gegnerin abzuhalten, stellt ein positives Tun dar. Mithin liegt eine Handlung der B vor.
2. Rechtsgutsverletzung
Weiterhin müsste B ein durch § 823 Abs. 1 BGB absolut geschütztes Rechtsgut der K verletzt haben. Vorliegend kommt sowohl eine Verletzung des Körpers als auch der Gesundheit der K in Betracht. Eine Körperverletzung umfasst dabei jeden Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit einschließlich der bloßen Schmerzzufügung. Unter einer Gesundheitsverletzung versteht man jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands. Durch den Versuch, den Wurf abzuwehren, erlitt K einen Kreuzbandriss im linken Knie. Eine solche Verletzung verursacht typischerweise starke Schmerzen und greift daher in die körperliche Integrität der K ein. Gleichzeitig ist mit der Verletzung ein Zustand eingetreten, der negativ vom körperlichen Normalzustand abweicht. Somit liegt sowohl eine Körper- als auch eine Gesundheitsverletzung vor.
3. Haftungsbegründende Kausalität
Darüber hinaus müsste zwischen der Handlung der B und der Rechtsgutsverletzung ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang bestehen. Zur Feststellung des Kausalzusammenhangs wird auf die Äquivalenztheorie, die Adäquanztheorie und den Schutzzweck der Norm zurückgegriffen.
Eine Handlung ist kausal für den Eintritt des Erfolgs (die Rechtsgutsverletzung) i.S.d. Äquivalenztheorie, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Hätte K nicht versucht, den Wurf abzuwehren, dann wäre B nicht gefallen und sie hätte sich nicht verletzt. Die Handlung der B ist äquivalent kausal für den Erfolgseintritt.
Die Handlung ist kausal nach der Adäquanztheorie, wenn sie im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges der eingetretenen Art geeignet ist. Vorliegend ist kein atypischer Kausalverlauf eingetreten. Vielmehr liegt es innerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass ein Mitspieler im Handball durch die beschriebene Handlung stürzt und sich verletzt. B hat die Rechtsgutsverletzung daher adäquat kausal verursacht.
Auch liegt die eingetretene Rechtsgutsverletzung (Körper- und Gesundheitsverletzung) nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 823 Abs. 1 BGB.
Somit ist die haftungsbegründende Kausalität gegeben.
4. Rechtswidrigkeit
Nach der ganz herrschenden Lehre vom Erfolgsunrecht indiziert die Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsguts die Rechtswidrigkeit.
5. Verschulden
Fraglich ist, ob B auch schuldhaft handelte. Eine vorsätzliche Handlung scheidet aus. In Betracht kommt allein fahrlässiges Handeln. § 276 Abs. 2 BGB definiert Fahrlässigkeit als die Missachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
Im Kontext der Kontrahentenverletzungen im Mannschaftssport hat der BGH den Sorgfaltsmaßstab präzisiert und klargestellt, dass nicht jede geringfügige (objektive) Verletzung einer dem Schutz der Spieler dienende Spielregel bereits als fahrlässiges Verhalten zu werten ist. Ein die Gefahr vermeidendes Verhalten müsse im konkreten Fall zumutbar sein. Dies sei insb. für Sportarten von Bedeutung, bei denen eine gewisse Gefährlichkeit meist nicht ganz ausgeschaltet werden kann. Daher sei für die Beurteilung, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet wurde, ein durch die Eigenart des Spiels geprägter Maßstab anzulegen (BGH NJW 1976, 957, 958; NJW 1976, 2161, 2161 f.).
Das OLG Frankfurt führte aus, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze in ausgeprägter Weise beim Hallenhandball gelten würden, bei dem der körperliche Einsatz erlaubt ist und dies notwendigerweise zu körperlichem Kontakt von Gegenspielern führt. Regel 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln verbietet es u.a., dem Gegenspieler den Ball aus der Hand zu entreißen oder wegzuschlagen sowie den Gegenspieler mit Armen, Händen oder Beinen zu sperren, ihn durch Körpereinsatz wegzudrängen oder wegzustoßen. Nach Ansicht der Frankfurter Richter genüge zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs jedoch eine Verletzung der Regel 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln nicht. Diesbezüglich führt das Gericht aus:

Für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB kommt es […] darauf an, dass die Verletzung eines Spielers auf einen Regelverstoß eines Gegenspielers zurückzuführen ist, der über einen geringfügigen und häufigen Regelverstoß – wie sie in Ziffer 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln erfasst sind – deutlich hinausgeht und auch einen Grenzbereich zwischen gebotener kampfbedingter Härte und unzulässiger Unfairness klar überschreitet […]. Voraussetzung für ein haftungsbegründendes Verhalten ist mithin das Vorliegen einer groben Verletzung einer zum Schutz von Spielern bestimmten Wettkampfregel […]. Zu solchen zum Schutz der Gesundheit der Spieler bestimmten Wettkampfregeln gehört Regel 8:5 der Internationalen Hallenhandballregeln.

In diesem Zusammenhang erlange die Frage, ob eine rote Karte mit oder ohne Bericht erteilt wurde, Bedeutung. Erst ein Bericht liefere die Basis für die spielleitende Stelle, um später über Sanktionen zu entscheiden. Nach dem Regelwerk sei bei schwerwiegenden Regelverstößen eine rote Karte mit Bericht vorgesehen. Der Bericht ermögliche eine eindeutige Tatsachenfeststellung. Fehle hingegen der Bericht wie im vorliegenden Fall, sei davon auszugehen, dass die Regelwidrigkeiten sich im Rahmen des körperbetonten Spielbetriebs halten.
Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Regel 8:5 sei nach der Kommentierung zu unterscheiden, ob es sich um die Torfrau oder eine Spielerin handelt. Der Raum im 6m-Bereich gehöre der Torfrau; springt ein Spieler dort hinein, sei ein Zusammenstoß sein Risiko. In der Kommentierung zu der Regelung 8:5 werde im zweiten Teil davon gesprochen, dass der Torwart den Torraum verlässt, um den für den Gegenspieler gedachten Ball abzufangen. In diesem Fall treffe ihn die Verantwortung, dass keine gesundheitsgefährdende Situation entsteht. Dies sei so zu verstehen, dass ein Zusammenprall im Torraum keine Regelwidrigkeit des Torwarts darstellt. Zwar dürfe auch der Torwart keine besonders aggressive Aktion vornehmen. Eine solche könne aber der Beschreibung des Schiedsrichters nicht entnommen werden.
Folglich verletzte B nicht die Regel 8:5 und handelte damit nicht fahrlässig i.S.d. §§ 823 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB.
6. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der K gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB besteht damit nicht.
 
III. Einordnung und Stellungnahme
Die Thematik, mit der sich das OLG Frankfurt zu befassen hatte, ist nicht neu, sondern erweist sich vielmehr als „alter Wein in neuen Schläuchen“. Denn bereits vor ca. 45 Jahren hat der BGH mehrere Grundsatzurteile zu diesem Themenkomplex gefällt (NJW 1975, 109 – 112; NJW 1976, 957 – 958; NJW 1976, 2161 – 2162). Die Entscheidung des OLG Frankfurt führt dabei im Wesentlichen die BGH-Rechtsprechung fort: Die Herbeiführung einer Verletzung des Kontrahenten begründet nur dann eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn der Verstoß über einen geringfügigen und häufigen Verstoß hinausgeht.
Das OLG Frankfurt hat zwar richtig erkannt, dass „[d]ie Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Schädigers bei Sportverletzungen – insbesondere solchen bei Ausübung von Mannschafts-Kampfsportarten – […] in der dogmatischen Einordnung problematisch“ ist. Terminologisch erweist sich das Urteil dennoch als inkonsequent: Während das Gericht anfangs problematisiert, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet wurde, kommt es am Ende zu dem Ergebnis, dass kein „so erheblicher Regelverstoß vorlag, der nicht mehr von der Einwilligung der Klägerin gedeckt war“. Obwohl die dogmatische Verortung des Problems in den allerwenigsten Fällen auf materieller Ebene entscheidungserheblich sein dürfte, ist Prüflingen dringend zu raten, die übliche Prüfungsstruktur des § 823 Abs. 1 BGB konsequent einzuhalten. Es ist dann entweder unter dem Prüfungspunkt „Rechtswidrigkeit“ zu erörtern, ob sich das fragliche Verhalten im Rahmen einer wirksam erteilten Einwilligung bewegt und damit gerechtfertigt ist, oder ob der Verstoß gegen die Spielregeln so schwerwiegend ist, dass ein Verschuldensvorwurf begründet werden kann.
Prozessrechtlich kann die dogmatische Einordnung jedoch sehr wohl von Bedeutung sein. Schließlich wird die Rechtswidrigkeit, folgt man der ganz herrschenden Meinung, bei Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsguts indiziert, während es dem Kläger i.R.d. § 823 Abs. 1 BGB (anders als beim Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB, wo das Vertretenmüssen gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird) obliegt, das Verschulden des Anspruchsgegners zu beweisen. Mit der Aufnahme des Spiels nehmen die Spieler spielordnungsgemäß zugefügte Körperverletzungen in Kauf. Dieses Risiko muss auch die Übernahme des Risikos der Unaufklärbarkeit des Regelverstoßes beinhalten, da die Möglichkeit der Unaufklärbarkeit von Regelverstößen im entscheidenden Augenblick blitzschnellen Kampfspielen wie Fußball oder Handball immanent ist. Müsste nun der Beklagte das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds beweisen, würde die beschriebene Risikoentlastung auf dem Wege der Beweislastverteilung praktisch entwertet. Es spricht daher viel dafür, die Besonderheiten bei Schädigungen, die bei der Ausübung von Mannschaftskampfsportarten entstehen, dogmatisch als ein Problem auf Ebene des Verschuldens zu behandeln (in diese Richtung tendenziell auch BGH NJW 1975, 109, 111).
 
IV. Zusammenfassung für den eiligen Leser
Verletzt bei Mannschaftskampfsportarten ein Spieler einen Kontrahenten, steht häufig ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB im Raum. Bei der Prüfung desselben ist dabei eine Besonderheit zu beachten: Die Herbeiführung einer Verletzung des Kontrahenten begründet nur dann eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn der Verstoß über einen geringfügigen und häufigen Verstoß hinausgeht. Häufig bilden die Verbandsregeln bei der Beurteilung der Verhaltensanforderungen einen ersten Anhaltspunkt. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Schädigers bei Sportverletzungen ist umstritten: Denkbar ist einerseits, die beschriebenen Besonderheiten im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen, andererseits könnte darauf im Rahmen der Verschuldensprüfung eingegangen werden. Materiellrechtlich hat dieser Disput in aller Regel keinen Einfluss, prozessrechtlich können sich jedoch durchaus Implikationen i.R.d. Beweislastverteilung ergeben. Für Prüflinge ist es wichtig, die bekannte Prüfungsstruktur des § 823 Abs. 1 BGB einzuhalten und terminologisch sauber zu arbeiten.

06.01.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-01-06 10:00:472020-01-06 10:00:47OLG Frankfurt am Main zur deliktsrechtlichen Haftung im Mannschaftssport
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit Urteil vom 21. Mai 2019 (Az.: VI ZR 299/17) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problembereich des Deliktsrechts geäußert. Konkret ging es um die Problematik des sog. „Schockschadens“ – einem deliktsrechtlichen Klassiker, der jedem Examenskandidaten ein Begriff sein sollte. Nunmehr hat der BGH festgestellt, dass die Grundsätze zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ auch in dem Fall anzuwenden sind, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Gerade vor dem Hintergrund des am 27.7.2017 in Kraft getretenen § 844 Abs. 3 BGB, der unter engen Voraussetzungen einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt und einen Sonderbereich des Schockschadens regelt (BeckOK BGB/Spindler, 51. Ed. 2019, § 844 BGB Rn. 42), hat die deliktsrechtliche Problematik in den letzten beiden Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erlangt – die gesteigerte Prüfungsrelevanz liegt damit auf der Hand. Angesichts dessen sollen die Grundzüge der Entscheidung im Folgenden dargestellt und erläutert werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Patient P ließ in einem von K betriebenen Krankenhaus eine Operation durchführen. Bei dieser unterlief dem Arzt – wie es spätere Gutachten feststellten – ein Behandlungsfehler, welcher zu einer lebensgefährlichen Entzündung führte. Aus den Gutachten ergab sich, dass die Operation verspätet und unter Anwendung einer fehlerhaften Operationstechnik durchgeführt wurde. P einigte sich schließlich mit dem Haftpflichtversicherer der K auf eine Abfindungszahlung. In der Folgezeit verstarb P. Nunmehr nimmt die Ehefrau des P, die E, die K auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch – im Wesentlichen mit der Behauptung, P sei in dem von K betriebenen Krankenhaus grob fehlerhaft behandelt worden und habe deshalb mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt, weshalb sie massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten habe.
 
Die erste Instanz, das LG Köln (Urt. v. 26. Oktober 2016, Az.: 25 O 326/15), hat die Klage abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung der K hatte auch vor dem OLG Köln (Urt. v. 12. Juli 2017, Az.: 5 U 144/16) keinen Erfolg. Der BGH hat die vorinstanzlichen Urteile nunmehr aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch der E gegen die K aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein eine durch die fehlerhafte ärztliche Behandlung herbeigeführte Gesundheitsverletzung. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615). Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 178).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 177) beschränkt.
 
Zweifelsohne können die von der E geschilderten psychisch vermittelten Beschwerden nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden. Problematisch ist indes, dass nicht die E die fehlerhafte ärztliche Behandlung erfahren hat, sondern ihr Ehemann P. Insofern erörtert der BGH bereits auf der Ebene der Rechtsgutsverletzung die Schockschaden-Problematik, namentlich welche Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung zu stellen sind, wenn ein Dritter betroffen ist, der zu dem unmittelbar Geschädigten in besonderer Verbindung steht:

„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB darstellen (…). Im Bereich der so genannten „Schockschäden“ erfahren diese Grundsätze allerdings eine gewisse Einschränkung. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Denn die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 I BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch nach den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen können in diesen Fällen deshalb nur dann als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.“ (Rn. 7)

Der BGH beruft sich hierbei also auf seine ständige Rechtsprechung zu Schockschäden bei Unfallereignissen (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246), nach der für eine relevante Gesundheitsverletzung verlangt wird, dass (1) die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und (2) über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Diese Rechtsprechung beschränke sich nicht nur auf Unfallereignisse, sondern sei vielmehr auf fehlerhafte ärztliche Behandlungen zu übertragen:

„Es ist kein Grund erkennbar, denjenigen, der eine (psychische) Gesundheitsverletzung im dargestellten Sinne infolge einer behandlungsfehlerbedingten Schädigung eines Angehörigen erleidet, anders zu behandeln als denjenigen, den die (psychische) Gesundheitsverletzung infolge einer auf einem Unfallereignis beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft.“ (Rn. 8)

Auch nach diesen Maßstäben muss eine im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB relevante Gesundheitsverletzung angenommen werden; die mittelschwere Depression der E ist pathologisch fassbar und geht nach den gutachterlichen Feststellungen auch hinsichtlich Dauer und Intensität über das hinaus, was ein Angehöriger in vergleichbarer Lage erleidet.
Die fehlerhafte Behandlung müsste aber auch kausal für die Gesundheitsverletzung gewesen sein. Die Kausalitätsprüfung – sowohl im haftungsbegründenden als auch im haftungsausfüllenden Tatbestand – erfolgt in drei Schritten: Zunächst ist festzustellen, ob Ursächlichkeit im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Es ist also zu fragen, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung der E entfiele. Dies kann hier offensichtlich bejaht werden: Ohne die grob fehlerhafte ärztliche Behandlung des P hätte die E keine psychischen Beeinträchtigungen erfahren. Weiterhin bedarf es zur Feststellung der Kausalität einer Adäquanz insofern, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Da es sich aber regelmäßig als psychisch belastendes Ereignis darstellt, wenn ein Angehöriger in Lebensgefahr schwebt, ist die fehlerhafte ärztliche Behandlung auch als adäquat kausal für die Gesundheitsverletzung anzusehen. Schließlich erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit in einem dritten Schritt unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. Gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen bedarf dies – so betont es der BGH – einer gesonderten Prüfung:

„Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (…). Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der so genannten „Schockschäden“ ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (…) anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko (…)“ (Rn. 11 f.)

Im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs nimmt der BGH bei Schockschäden also noch eine weitere Einschränkung (3) vor, indem er verlangt, dass der Anspruchsteller eine besondere persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweisen muss – die bei nahen Angehörigen gegeben ist. Legt man diese Rechtsprechung zugrunde, ist der Zurechnungszusammenhang zu bejahen: Die E war die Ehefrau des P, sie weist insofern die erforderliche persönliche Nähe auf. Zudem konnte die psychische Beeinträchtigung auch bei wertender Betrachtung nicht ihrer Sphäre zugeordnet werden. Auch an dieser Stelle hat der BGH betont, dass insofern kein Unterschied erkennbar sei, der es rechtfertige, von den Rechtsprechungsgrundsätzen zu „Schockschäden“ bei Unfallereignissen abzuweichen. Auf dieser Grundlage hat der BGH das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt also: Die Grundsätze zum Schockschaden, die der BGH in Bezug auf Unfallereignisse entwickelt hat, gelten ausweislich des aktuellen Urteils auch für fehlerhafte ärztliche Behandlungen. Das heißt, eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen Dritter kommt dann in Betracht, wenn

  • die psychische Beeinträchtigung pathologisch messbar ist,
  • sie über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene in vergleichbarer Situation regelmäßig ausgesetzt sind und
  • der Anspruchsteller eine persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweist.

In einer Klausur sollte dabei beachtet werden, dass die Problematik zum einen bereits an der Stelle der Rechtsgutsverletzung anzusprechen, zum anderen aber auch im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs zu erörtern ist.
 
 

04.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-11-04 09:08:372019-11-04 09:08:37BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung
Gastautor

BGH: Weiterleben als Schaden?

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Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Jura studiert und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn (Lehrstuhl Thüsing).

 
In einer aufmerksamkeitserregenden Entscheidung vom 2.4.2019 (Az.: VI ZR 13/18) hat der BGH die Klage eines Mannes abgewiesen, der im Namen seines Vaters Schadensersatz für die künstliche Verlängerung von dessen Leben geltend gemacht hatte. Hierbei hat der BGH sich maßgeblich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das (Weiter-)Leben einen Schaden darstellen kann. Gerade aufgrund der medialen Aufmerksamkeit, die die Entscheidung in den letzten Tagen erfuhr, aber auch wegen der zu beachtenden verfassungsrechtlichen Wertungen ist anzunehmen, dass sie sich schon bald in Abschluss- und Examensklausuren wiederfinden lassen wird.
 
I. Sachverhalt
Mit folgendem Sachverhalt hatte der BGH sich also zu beschäftigen: Der im Oktober 2011 verstorbene Vater des Klägers war schwer krank und war seit September 2006 mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt worden. Durch den Beklagten, einen niedergelassenen Arzt, wurde er hausärztlich betreut. Mangels einer Patientenverfügung oder anderer entsprechender Anhaltspunkte war sein Wille bzgl. des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen nicht feststellbar.
Der Kläger macht nun geltend, die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens geführt. Den Beklagten habe mithin die Pflicht getroffen, das Therapieziel zu ändern, sodass das Sterben des Patienten durch eine Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zugelassen werde.
Der Kläger verlangt deshalb von dem Beklagten aus geerbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld und Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.
 
II. Entscheidung
Der BGH hatte damit über zwei Fragen zu entscheiden:
 
1. Weiterleben als Schaden?
Zunächst war – und hierbei hat der BGH es ausdrücklich offengelassen, ob überhaupt die Verletzung einer Pflicht durch den Beklagten gegeben war – die Frage zu beantworten, ob das Weiterleben unter Qualen einen Schaden darstellen kann. Hier wägten die Richter ab zwischen dem Zustand des Weiterlebens mit Leiden und dem Tod. Sie zogen die Art. 1 I, 2 II 1 GG heran und argumentierten, dass es sich hiernach jedem Dritten verbiete, ein Urteil über die Wertigkeit des höchstrangigen Rechtsguts menschliches Leben zu treffen. Das menschliche Leben sei vielmehr absolut erhaltungswürdig. Auch die eigene Einschätzung des Patienten, sein Leben sei nun lebensunwert, könne der staatlichen Gewalt und damit natürlich auch der Rechtsprechung keine andere Beurteilung erlauben.
 
Die hier relevante Problematik, ob das sog. „wrongful life“ einen Schaden darstellen kann, mag euch auch schon aus der examensrelevanten Konstellation bekannt sein, in der es um die Geburt eines behinderten Kindes geht, dessen Behinderung der Arzt nicht frühzeitig festgestellt hat, sodass die Mutter nicht die Möglichkeit zu einem Abbruch der Schwangerschaft hatte (vgl. BGH, Urteil vom 18.1.1983 – VI ZR 114/81). Auch hier ging der BGH schon davon aus, dass in dem Leben kein Schaden liegt. An dieser Bewertung hat er also festgehalten.
 
2. Ersatz der Behandlungskosten
Aber auch den Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten, die durch das Weiterleben des Patienten entstanden seien, verneinte der BGH. Hierzu nahm er Bezug auf den Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit den lebenserhaltenden Maßnahmen. Dieser liege gerade nicht darin, wirtschaftliche Belastungen, die aus dem Weiterleben und dem Leiden resultieren, zu vermeiden, und insb. nicht darin, den Erben das Vermögen ungeschmälert zu erhalten.
 
Insofern stellt das Urteil eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des BGH dar: Zuvor urteilte er vielmehr, dass Eltern bei fehlerhafter Beratung, die zur Geburt eines behinderten Kindes geführt hat, von dem beratenden Arzt den vollen Unterhaltsbedarf des Kindes verlangen können, wenn sie bei richtiger und vollständiger Beratung von der Zeugung des Kindes abgesehen hätten (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.1993 – VI ZR 105/92; ähnlich auch BGH, Urteil vom 18.1.1983 – VI ZR 114/81 (s.o.)).   Bisher hat der BGH seine Abweichung hiervon mit dem Schutzzweck der ärztlichen Pflichten begründet. Ob eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den vorhergehenden Entscheidungen und ihren Begründungen stattgefunden hat, wird sich bei Veröffentlichung der Urteilsgründe zeigen.
 
Als Gegenargument – auch für die Klausur – kann man sich jedenfalls jetzt schon Teile der Begründungen der älteren Urteile vor Augen führen: Insbesondere klarzustellen ist, dass eine Differenzierung zwischen der Existenz des Kindes, was man so auch auf das Weiterleben des Patienten übertragen kann, und seinem, wie der BGH formuliert, „unbestreitbaren Wert als Persönlichkeit“ und der hierdurch entstehenden wirtschaftlichen Belastung vorzunehmen ist. Es wird gerade nicht das Dasein/das Leben an sich als Schadensfall angesehen. Die schadensrechtliche Betrachtung beschränkt sich allein auf die wirtschaftliche Seite, sodass Sie auch unter Berücksichtigung der Menschenwürde aus Art. 1 GG erfolgen kann.
 
III. Summa
Wenn sich also auch im Hinblick auf die Frage, ob das Leben einen Schaden darstellen kann, nichts geändert hat, ist aber doch die Rechtsprechungsänderung hinsichtlich ersatzfähiger Unterhalts-/Behandlungskosten zu beachten. Hier eröffnet sich ein Argumentations- und Bewertungsspielraum für Klausuren. Auf die ausführliche Begründung des BGH warten wir gespannt! Jedenfalls ist es bereits jetzt für jeden Examenskandidaten ein Muss, die obige Entscheidung zu kennen!
 

25.04.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-04-25 09:30:152019-04-25 09:30:15BGH: Weiterleben als Schaden?
Gastautor

Tierhalterhaftung gem. § 833 BGB: Kamele als Haustiere?

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit tätig. 
 
In der Praxis ergehen selten neue Entscheidungen zur Tierhaftung. Ist dies doch einmal der Fall, sind diese Entscheidungen immer examensrelevant, da sich hierbei deliktsrechtliche Fragen mit komplizierten Einzelfragen der Verschuldens- und Gefährdungshaftung verknüpfen lassen. § 833 S. 1 BGB regelt die Gefährdungshaftung des Tierhalters für Schäden, die durch ein sog. Luxustier verursacht werden: Für solche Schäden haftet er unabhängig von seinem Verschulden. Wird der Schaden hingegen durch ein sog. Nutztier verursacht, normiert § 833 S. 2 BGB eine Verschuldenshaftung des Tierhalters, sodass er sich u.U. exkulpieren kann. Das OLG Stuttgart hat sich in seinem Urteil vom 7.6.2018 (Az.: 13 U 194/17) mit der Frage beschäftigt, ob Kamele als Haustiere i.S.d. § 833 S. 2 BGB einzustufen sind, was wir zum Anlass genommen haben, einen Blick auf die Tierhaftung des BGB zu werfen.
 
A. Prüfungsschema: Schadensersatzanspruch gem. § 833 S. 1 BGB
I. Rechtsgutsverletzung
II. Durch ein Tier
III. Haltereigenschaft
IV. Kein Ausschluss, § 833 S. 2 BGB
V. Rechtsfolge: Schadensersatz
 
Zunächst muss für den Anspruch gem. § 833 S. 1 BGB eine Rechtsgutsverletzung vorliegen, also ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt worden sein. Insoweit sind die Begriffe so auszulegen wie i.R.v. § 823 BGB.
Diese Schadensverursachung muss durch ein Tier geschehen sein. Erfasst sind nach einem biologischen und funktionellen Begriffsverständnis Tiere jeder Art, unabhängig von ihrer Größe.[1]
Voraussetzung ist zunächst, dass das Tier den Schaden kausal (mit-)verursacht hat. Darüber hinaus ist wichtig, sich zu merken, dass sich auch die spezifische Tiergefahr im Erfolg realisiert haben muss. Diese ist zwar nicht explizit in der Norm genannt, wird aber in den Tatbestand hineingelesen und äußert sich nach der ständigen Rspr. des BGH in „einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres“[2]. Typische Beispiele hierfür sind Fälle, in denen Pferde scheuen, ausschlagen oder durchgehen oder Hunde jemanden anspringen oder beißen.[3] Zu beachten ist, dass keine Realisierung der Tiergefahr gegeben ist, wenn ein Tier unter menschlicher Leitung einen Schaden zufügt, denn in diesem Fall dient es lediglich als Werkzeug.[4]
Eine der zentralen Fragen bei der Prüfung des Anspruchs aus § 833 S. 1 BGB ist, wer Tierhalter ist. Dies erschließt sich aus dem Zweck der Norm, demjenigen, der die tatsächliche Gewalt über das Tier ausübt, also die Kontrolle hat, haftungsrechtliche Anreize zur Beherrschung der Kreatur im Interesse der Schadensvermeidung zu geben.[5] Tierhalter i.S.d. § 833 BGB ist mithin derjenige, dem „die Bestimmungsmacht über das Tier zusteht und [d]er aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt und das wirtschaftliche Risiko seines Verlustes trägt“[6]. Eigentum und unmittelbarer Eigenbesitz sind für die Haltereigenschaft irrelevant, sodass auch mittelbarer Besitz gem. § 868 BGB ausreichend ist.[7]
An diesem Punkt ist außerdem von der Tierhalterhaftung die Haftung des Tieraufsehers gem. § 834 BGB abzugrenzen. Tieraufseher ist, wer die selbstständige Sorge über das Tier übernimmt, ohne aber Halter zu werden, weil er das Tier nicht im eigenen Interesse und auf eigene Rechnung versorgt.[8] Hierbei setzt § 834 BGB die Übernahme der Aufsichtspflichten durch Vertrag voraus, wobei aber auch die konkludente Übernahme ausreichend ist, aber weder die gesetzliche Pflicht zur Führung der Aufsicht noch die rein tatsächliche Übernahme der Aufsicht sind erfasst.[9]
Des Weiteren dürfte der Anspruch nicht gem. § 833 S. 2 BGB ausgeschlossen sein. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Unterscheidung von Luxus- und Nutztieren an, denn gem. § 833 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht dann nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist. Darüber hinaus ist für den Ausschluss erforderlich, dass der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde: § 833 S. 2 BGB stellt also auf ein vermutetes Verschulden des Nutztierhalters ab, sodass es hier auch nicht auf die Realisierung einer typischen Tiergefahr ankommt. Folglich wird der gewerbliche Tierhalter privilegiert – er kann sich exkulpieren. In dieser Hinsicht wird § 833 S. 2 BGB allerdings auch kritisiert, da schwer einzusehen sei, warum jemand, der sein Tier regelmäßig besser unter Kontrolle habe und die Kosten eher abwälzen könne als eine Privatperson, privilegiert werden solle.[10]
Entscheidender für die Fallbearbeitung im Examen ist unabhängig davon jedenfalls die Einordnung als Haus- und Nutztier i.S.d. § 833 S. 2 BGB in Abgrenzung zu Luxustieren: Haustiere sind zahme Tiere, die zur Nutzung gezogen und gehalten werden, wie Hund, Katze, Schaf, Rind etc.,[11] wobei insb. die inländische Verkehrsauffassung entscheidend ist,[12] wie sich auch an der Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt (s.u.). Darüber hinaus müsste das Tier dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sein. Maßgeblich ist die allgemeine Widmung bzw. Zweckbestimmung des Tieres: Danach zählen zu den Nutztieren bspw. Tiere, die zur Milch- und Fleischproduktion gehalten werden, aber auch Blindenhunde.[13] Bei sog. „doppelfunktionalen“ Tieren, die sowohl dem Erwerbsstreben als auch der Freizeitgestaltung dienen, kommt es nicht darauf an, welchem Bereich die im Zeitpunkt der Schadensverursachung ausgeübte Tätigkeit zuzuordnen ist, sondern es ist auf die allgemeine Widmung des Tieres abzustellen.[14]
Liegt nun ein Haus- und Nutztier vor, kann der Tierhalter sich entlasten, wenn er entsprechend seiner Sorgfaltspflichten, deren Umfang und Intensität sich allgemein nach Größe des drohenden Schadens und Wahrscheinlichkeit seines Eintritts richten, dafür gesorgt hat, dass das Tier nicht außer Kontrolle gerät, wobei eine Begrenzung auf zumutbare Anstrengungen gilt.[15]
 
B. Entscheidung des OLG Stuttgart vom 7.6.2018 (Az.: 13 U 194/17)
In diesen Kontext reiht sich nun die o.g. Entscheidung des OLG Stuttgart vom 7.6.2018 ein, der (in Kurzfassung) folgender Sachverhalt zugrunde lag:
 
I. Sachverhalt
Die Klägerin unternahm mit ihrer Mutter bei der Kamelfarm des Beklagten einen Kamelausritt, wobei die Tiere vom Beklagten geführt wurden. Wegen der vorhergehenden Aussage des Beklagten, dass die meisten Kunden keinen Helm tragen würden, hatten die Klägerin und ihre Mutter sich auch dagegen entschieden. Als die Kamele beim Ausritt durch bellende Hunde erschreckt wurden, hielt der Beklagte sie kurz an. Nachdem das Bellen nachließ, führte er sie weiter, aber die Hunde bellten erneut los, sodass die Reittiere nach vorne liefen und eine plötzliche Linkswendung vollzogen. Die Klägerin fiel aufgrund dessen kopfüber zu Boden und zog sich schwere Kopfverletzungen zu.
 
II. Lösung
Das OLG bejahte hier nun zunächst unproblematisch Rechtsgutsverletzung, die Realisierung einer spezifischen Tiergefahr durch die Schreckreaktion der Kamele, die zu dem Sturz führte, sowie die Tierhaltereigenschaft des Beklagten. Zentral in der Entscheidung war schließlich die Frage, ob es sich bei dem Kamel um ein Haus- und Nutztier handelt und der Beklagte sich demnach auf den § 833 S. 2 BGB berufen konnte.
Das OLG hat zur Beantwortung dieser Frage maßgeblich auf die inländische Verkehrsauffassung abgestellt: Auch wenn Kamele andernorts als Haustiere einzuordnen seien, sei dies in Deutschland nicht der Fall. Zwar könnten sich Verkehrsauffassung und in der Folge auch der Haustierbegriff bzgl. einzelner Gattungen im Laufe der Zeit natürlich ändern, bzgl. Kamelen sei das allerdings – anders als beim Beispiel des Meerschweinchens, das das OLG nennt – in Ermangelung einer Verbreitung in Deutschland (noch) nicht geschehen. Vielmehr sei Kamelhaltung in Deutschland sehr selten. Ebenso stünde der gewöhnliche Sprachgebrauch, soweit dieser überhaupt maßgeblich sei (was der Beklagte vorgebracht hatte – damit hat sich das OLG aber nicht weiter befasst), der Ansehung eines Kamels als Haustier in Deutschland entgegen. Dass das Kamel domestiziert wurde, sei ebenfalls irrelevant, denn dies sei nicht in Deutschland geschehen.
Trotzdem prüfte das OLG noch, ob der Beklagte sich hätte exkulpieren können. Maßgeblich sei das Maß an Sorgfalt, das von einem besonnenen und umsichtigen Tierhalter in der jeweiligen Situation verlangt werden müsse. Für das schreckhafte Verhalten der Kamele, mit dem der Beklagte habe rechnen müssen, habe er daher Vorsorge treffen müssen. Insoweit reiche es nicht aus, dass er die beiden Tiere alleine führte. Es sei einleuchtend, dass derjenige, der zwei Kamele führe, weniger Kontrolle über die Tiere habe, als der, der alleine ein Tier führt. Mit einer dann möglichen kürzeren Leine hätte das Kamel auch nicht den großen Bogen gehen können, der zum Sturz der Klägerin führte. Eine Exkulpation des Beklagten war also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht möglich.
Schließlich lehnte das Gericht auch ein Mitverschulden der Klägerin an der Verletzung wegen des fehlenden Helmes ab, da der Beklagte quasi vom Helmtragen abgeraten habe.
 
Durch diese Entscheidung des OLG wird vor allem deutlich, welche Relevanz der inländischen Verkehrsauffassung i.R.d. Prüfung von § 833 S. 2 BGB zukommen kann: Vorliegend ist sie fallentscheidend, denn der Beklagte konnte sich vor dem Hintergrund der Verkehrsauffassung in Deutschland nicht darauf berufen, dass es sich bei den Kamelen um Haustiere handelt. Das Privileg des § 833 S. 2 BGB war ihm damit verwehrt und folglich auch die Exkulpation durch den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens (den er sowieso nicht führen konnte). Dass die deutsche Verkehrsauffassung insoweit relevant ist, ergibt auch Sinn, denn, wie das OLG selbst klarstellt, es gibt keine gemeinsame internationale Verkehrsauffassung.
 
C. Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Tierhaftung des BGB um ein examensrelevantes Thema handelt, da neben Einzelwissen – wobei es bei den o.g. Abgrenzungsfragen natürlich regelmäßig auf eine gute Argumentation ankommt – auch die Grundlagen zur Gefährdungs- und Verschuldenshaftung abgefragt werden können.
Aus der Entscheidung des OLG Stuttgarts lässt sich jedenfalls mitnehmen, dass die inländische Verkehrsauffassung eine entscheidende Rolle bei der Anspruchsprüfung haben kann!
 
[1] HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 833 Rn. 3.
[2] Vgl. nur BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 467/13, NJW 2015, 1824 (1825).
[3] Diese und weitere Bsp. aus der Rspr. in MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 13 m.w.N.
[4] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 17 f.
[5] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 2.
[6] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, NJW-RR 1988, 655 (656).
[7] HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 833 Rn. 6.
[8] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 834 Rn. 3.
[9] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 834 Rn. 5.
[10] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 BGB Rn. 3.
[11] BeckOK BGB/Spindler, 48. Ed. 2018, § 833 Rn. 27.
[12] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 39.
[13] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 47.
[14]MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 49.
[15] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 54.

10.01.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-01-10 09:42:292019-01-10 09:42:29Tierhalterhaftung gem. § 833 BGB: Kamele als Haustiere?
Redaktion

Schemata: § 824 BGB und § 831 BGB

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Schemata: § 824 BGB und § 831 BGB

A.  § 824 BGB

I. Tatbestand

1. Tatsache
– Tatsache = Jeder Zustand oder Vorgang der Vergangenheit oder Gegenwart, der dem Beweis zugänglich ist.
– Tatsachen sind abzugrenzen von Werturteilen, die durch ein Element des Dafürhaltens und der Stellungnahme geprägt sind.
– Zukünftige Geschehen sind regelmäßig nicht beweisbar und daher nicht erfasst.

2. Unwahrheit
Nach hM ist eine Tatsache unwahr, wenn sie objektiv nicht mit der tatsächlichen Sachlage übereinstimmt oder unvollständig bzw. entstellt wiedergegeben wird.

3. Behaupten oder Verbreiten
– Behaupten = Kundgabe als Gegenstand eigener Überzeugung.
– Verbreiten = Weitergabe als Gegenstand fremden Wissens.

4. Eignung der Tatsachen zur Kreditgefährdung
(+), wenn die Tatsache geeignet ist, das Vertrauen darauf, dass der betreffende seine Verbindlichkeiten erfüllt, zu beeinträchtigen.

5. Rechtswidrigkeit

a) Allgemeine Rechtfertigungsgründe
b) § 824 II BGB (hM)
Rechtfertigung, wenn der Mitteleilende oder der Empfänger ein berechtigtes Interesse an der Mitteilung hat.

6. Verschulden

II. Rechtsfolge: Ersatz des Vermögensschadens, §§ 249ff. BGB

B. Schema: § 831 BGB

I. Tatbestand

1. Verrichtungsgehilfe
= Wer mit Wissen und Wollen eines anderen in dessen Interessenkreis tätig wird und dabei weisungsgebunden ist.

2. Tatbestandliche rechtswidrige unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen
Auf ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen kommt es hingegen nicht an.

3. „in Ausführung der Verrichtung“
– Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der unerlaubten Handlung, es muss sich gerade das durch die Einschaltung des Verrichtungsgehilfen typischerweise erhöhte Risiko realisiert haben.
– Bloßes Handeln bei Gelegenheit genügt nicht.

4. Verschulden
– Wird grundsätzlich vermutet.
– Keine Exkulpation, § 831 I 2 BGB

II. Rechtsfolge: Eigene Haftung des Geschäftsherrn, §§ 249ff. BGB. Daneben ist nach allgemeinen Grundsätzen eine Haftung des Verrichtungsgehilfen möglich, sofern ihm ebenfalls ein Verschulden zur Last fällt, §§ 840 I, II, 421, 426 BGB.

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

07.09.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-09-07 10:00:132017-09-07 10:00:13Schemata: § 824 BGB und § 831 BGB
Redaktion

Schema: Der Anspruch aus § 1 ProdHaftG

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Anspruch aus § 1 ProdHaftG

  • Haftung für Folgeschäden, die durch ein fehlerhaftes Produkt entstehen.
  • Kein Ersatz von Schäden, die an dem fehlerhaften Produkt entstehen.
  • Es besteht echte Anspruchskonkurrenz zu den §§ 823ff. (vgl. § 15 II ProdHaftG).
  • Die Verjährung richtet sich nach § 12 ProdHaftG.
  • Der Anspruch kann nach § 13 ProdHaftG erlöschen.

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Eröffnung des Anwendungsbereichs des ProdHaftG gem. §§ 16, 19 ProdHaftG

2. Rechts(gut)verletzung, § 1 I ProdHaftG

a) Leben

b) Körper- oder Gesundheitsverletzung

c)  Sachbeschädigung, wenn (kumulativ):

aa) Eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird

– Wann eine andere Sache vorliegt, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung.
– (P) Weiterfressender Mangel: Das Endprodukt bildet nach der Verkehrsauffassung eine einheitliche Sache, sodass ein einzelner Bestandteil, der zu einer Beschädigung der Gesamtsache führt, nicht eine „andere Sache“ im Sinne von § 1 ProdHaftG beschädigt (hM). Etwas anderes kann nur gelten, wenn in das Endprodukt nachträglich ein Ersatzteil eingebaut wird, welches das Endprodukt beschädigt.

bb) Die beschädigte Sache hauptsächlich für privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt war und dazu auch (überwiegend) verwendet worden ist.
cc) Sachschaden über 500 € (§ 11 ProdHaftG).

3. Durch einen Produktfehler §§ 2, 3 ProdHaftG

a) Produkt, § 2 ProdHaftG


- Jede bewegliche Sache
– Beachte: Bei Arzneimitteln ist das ArzneimittelG vorrangige Sonderregelung.

b) Fehler
Es gilt der sog. sicherheitsrelevante Fehlerbegriff: Das Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht den Sicherheitsstandard gewährleistet, den die Verkehrsauffassung für erforderlich hält.

c) Fehler liegt zur Zeit des Inverkehrbringens des Produktes vor.

d) Kausalität zwischen Produktfehler und Rechts(gut)verletzung.

4. Anspruchsgegner ist Hersteller des Produkts, § 4 ProdHaftG

– Hersteller des Endprodukts, § 4 I 1 ProdHaftG
– Hersteller eines Teilprodukts, § 4 I 1 ProdHaftG
– „Quasi-Hersteller“, § 4 I 2 ProdHaftG 
(= Wer sich dadurch, dass er seinen Namen, sein Warenzeichen etc. auf dem Produkt anbringt, als Hersteller ausgibt.)
– Importeur, § 4 II ProdHaftG
– Lieferant, § 4 III ProdHaftG

Sind mehrere Hersteller aufgrund desselben Produktfehlers zum Schadensersatz verpflichtet, haften sie gegenüber dem Geschädigten als Gesamtschuldner.

5. Kein Ausschluss, §§ 1 II, III ProdHaftG


Ein weitergehender Haftungsausschluss ist unwirksam (§ 14 ProdHaftG).

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

1. Bei Tötung, §§ 7, 9 ProdHaftG

2. Bei Körperverletzung, §§ 8, 9 ProdHaftG

3. Bei Sachschäden an einer anderen Sache, § 11 ProdHaftG

4. Mitverschulden des Geschädigten, § 6 ProdHaftG

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

21.10.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-10-21 10:00:402016-10-21 10:00:40Schema: Der Anspruch aus § 1 ProdHaftG
Gastautor

„Klagende Nachbarn“ – Schadensersatzansprüche im nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhälnis

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Wir freuen uns Euch heute einen Gastbeitrag von Stefan Glasmacher vorstellen zu können. Stefan Glasmacher hat bis zum Jahre 2011 Rechtswissenschaften an der Universität Bonn studiert und im Anschluss bei Professor Dr. Löwer zu einem umweltrechtlichen Thema promoviert. Derzeit ist er Referendar im Landgerichtsbezirk Köln und in der Wahlstation in Washington, D. C.
 
Nachbarschaftliche Rechtsbeziehungen werden oft zum Gegenstand von Prüfungen, da die Materie als Teil des Deliktsrechts die Chance bietet, allgemeine mit besonderen Strukturen, „einfache“ mit „schwierigen“ Fragestellungen sowie „klassisches“ mit „aktuellem“ Prüfungswissen zu verknüpfen. Daher vermittelt der folgende Kurzbeitrag einen Überblick über die zu prüfenden Anspruchsgrundlagen, soweit es um Schadensersatzansprüche geht. Daneben stehen Unterlassens- und Beseitigungsansprüche, die außerhalb der Betrachtung bleiben.
 I. Ausgangspunkt der nachbarrechtlichen Schadensersatzansprüche
Der „Anwendungsbereich“ nachbarschaftlicher Schadensersatzansprüche ist eröffnet, wenn die Parteien Eigentümer benachbarter Grundstücke sind. Das ist immer dann der Fall, wenn die Grundstücke unmittelbar aneinander angrenzen. Typische Konstellationen sind dann beispielsweise: Bäume fallen auf das Grundstück des Nachbarn und beschädigen dessen Hausdach, Wasser läuft aus dem Wassersystem des Hauses und beschädigt die elektronischen Geräte des Nachbarn oder aber die Silvesterrakete, die in der Scheune des Nachbarn explodiert. All diese Konstellationen laufen oft auf die Prüfung des nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog hinaus, da dieser verschuldensunabhängig Schadensersatz gewährt. Zu einer umfassenden Prüfung gehören jedoch vier Anspruchsgrundlagen, die im Einzelnen vorgestellt werden sollen.
II. Anspruchsgrundlagen

  1. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i. V. m. dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis

In der Literatur wird teilweise vertreten, das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis stelle eine Art Schuldverhältnis im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB dar, das besondere Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme kreiert. Für diese Ansicht spricht, dass der Gesetzgeber in §§ 906 ff. BGB und in den Nachbargesetzen der Länder besondere Pflichten statuiert hat, die über den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB besondere gegenseitige Pflichten der Nachbarn untereinander fordern. Dagegen stellt sich jedoch fast einhellig die herrschende Auffassung der Literatur und Rechtsprechung. Der Grundsatz von Treu und Glauben vermittle nur eine besondere Schranke der Nutzung eines Grundstücks. Weitergehende Ansprüche seien nicht vorgesehen und nicht zweckmäßig. Wer der herrschenden Auffassung folgt, lehnt diese Anspruchsgrundlage mit der entsprechenden Argumentation ab.[1]
 

  1. § 823 Abs. 1 BGB

Dieser Anspruch zählt zu dem „klassischen“ Repertoire im Anspruchskanon des Schadensersatzrechts. Schwerpunkte im nachbarschaftlichen Verhältnis liegen in der Herausarbeitung der Pflichtverletzung und des Verschuldens.
Nicht selten liegt die Pflichtverletzung in einem Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht (oder anders genannt: Verkehrspflicht). Grundsätzlich besteht zwar kein allgemeines Gebot andere vor deren Selbstschädigung zu schützen. Jedoch obliegt dem Verursacher oder Unterhalter einer Gefahrenquelle die allgemeine Rechtsplicht, diejenigen, welche mit der Gefahrenquelle in Kontakt kommen, möglichst effektiv gegen die davon ausstrahlenden Gefahren abzusichern.[2] Gefahrenquellen können beispielsweise durch einen dichten Baumbestand hervorgerufen werden, der verlangt, regelmäßig auf die Standfestigkeit hin überprüft zu werden.
Sollten Verkehrssicherungspflichten bejaht werden, stellt sich die Frage nach dem Verschulden. Meistens wird es daran fehlen. Denn der Baumbesitzer hat beispielsweise durch die Beauftragung einer Garten- und Landschaftsfirma die entscheidende Vorkehrung getroffen, um von der Standsicherheit seiner Bäume auszugehen oder der drohende Wasserrohrbruch war nicht durch eine beauftragte Handwerksfirma festgestellt worden.
Mangels Verschulden wird dieser Anspruch zumeist wenig Erfolg versprechen.
 

  1. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz

Ähnlich kurz wird auf den Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB einzugehen sein, weil dieser dem Verschulden nach das rechtliche Schicksal des § 823 Abs. 1 BGB teilt. Als Schutzgesetz gelten solche Normen, die zumindest auch dem Schutz eines Einzelnen zu dienen bestimmt sind. Schutzgesetze finden sich oftmals in öffentlich-rechtlichen Normen, die unter dem Klausursachverhalt abgedruckt sind.
 

  1. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog

Wer diese Hürden gemeistert hat, wird sodann zum Kern vieler nachbarschaftsrechtlicher Klausuren vordringen. Dieser liegt in der Prüfung des nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.
Dabei liegt die Analogie gleich „doppelt“ vor. Denn § 906 Abs. 2 S. 2 BGB (direkt) umfasst lediglich Fälle, in denen eine Duldungspflicht vorliegt und unwägbare Stoffe zugeführt werden. Im Fall des nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs liegt gerade keine Duldungspflicht vor und es werden wägbare Stoffe (oder sog. Grobimmissionen) zugeführt. Wenn demjenigen ein Anspruch erwächst, obwohl er einer Duldungspflicht unterliegt, dann muss ihm erst Recht ein Anspruch zustehen, wenn er keiner Duldungspflicht unterliegt. Diese Analogie soll für jede Einwirkung von außen auf das Eigentum gelten. Dazu zählt nach aktueller Rechtsprechung des BGH auch die Einwirkung im Rahmen von Wohnungseigentum, wenn das Sondereigentum durch fremdes Sondereigentum beeinträchtigt wird.[3]
Die Rechtsprechung gewährt dem Eigentümer des gestörten Grundstücks in den Fällen des faktischen Duldungszwangs einen Ausgleichanspruch. Der Eigentümer hätte nämlich im Vorfeld einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch geltend machen können, der sich durch die Beschädigung seines Eigentums nun in einen Schadensersatzanspruch wandelt. Dagegen wird teilweise seitens der Literatur eingewandt, dass die Wertungen des Deliktsrechts diesem Ergebnis zuwiderlaufen. Dieses sehe nur eine verschuldensabhängige Haftung vor, die durch eine verschuldensunabhängige Haftung systemwidrig erweitert werde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es teilweise nur vom Zufall abhängt, ob der Unterlassungsanspruch vor oder nach dem Schadensereignis geltend gemacht wird und die Gefahrenquelle in der Sphäre des Nachbarn liegt, sodass diesem auch die Pflicht zur Schadenswidergutmachung obliegt.
Dann müsste der Geschädigte auch Anspruchsberechtigter sein. Dies ist beim Eigentümer unproblematisch. Fraglich ist, ob auch der Besitzer einen Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog geltend machen kann. Dies wird von der wohl herrschenden Meinung für den berechtigten Besitz bejaht, da ihm eine schützenswerte Rechtsposition erwächst.
Auf der anderen Seite muss der Nachbar Störer sein. Der Anspruch richtet sich gegen den Nutzer als denjenigen, der die Nutzungsart des betreffenden Grundstücks maßgeblich bestimmt. Derjenige muss als Handlungs- oder Zustandsstörer verantwortlich sein. Gegen diesen hätte (präventiv) ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zur Verfügung gestanden, da die Einwirkung nicht zu dulden gewesen wäre.
Rechtsfolge des Anspruchs aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog ist eine angemessene Entschädigung in Geld, die hinter dem Rechtsgedanken des § 249 Abs. 1 BGB zurückbleibt.
 
III. Fazit
Es gilt sich bei nachbarschaftsrechtlichen Rechtsverhältnissen nicht blenden zu lassen. Auch wenn ein Flugplatz oder ein Waldgrundstück (in öffentlicher Hand) angrenzen, handelt es sich um die gleichen Fragestellungen, wie sie oben skizziert wurden. Anhand einer sauberen Subsumtion unter die Anspruchsgrundlagen bahnen sich gute Bearbeiter souverän den Weg zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog und prüfen – unter Anwendung des „Fachvokabulars“ – dessen Voraussetzungen.
 
Empfehlung zur weitergehenden Lektüre:
Literatur:
Grigoleit/ Riehm, Schuldrecht IV, 2011, Fall 2
 
Aktuelle Entscheidungen:
LG Bonn, Urteil vom 6 Juli 2015, 9 O 342/14 – zitiert nach juris
BGH, NJW 2014, 458-461
 
Klassische Entscheidung:
BGH, NJW 2009, 3787 – 3790
[1] Vgl. Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV, 2011, Rn. 399ff. m. w. N.
[2] Palandt/Sprau, BGB-Kommentar, 74. Auflage, 2015, § 823 Rn. 45.
[3] BGH, NJW 2014, 458-461.

02.12.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-12-02 13:01:312015-12-02 13:01:31„Klagende Nachbarn“ – Schadensersatzansprüche im nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhälnis
Gastautor

Examensrelevante Anspruchsgrundlagen im Deliktsrecht, § 823 BGB – Teil I

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Ramona Zeh veröffentlichen zu können. Die Verfasserin ist Studentin an der Universität Bonn. Der Beitrag thematisiert die deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage des §823 BGB.
§ 823 BGB als Grundtatbestand der Verschuldenshaftung
I.) Unerlaubte Handlungen / Aufgabe des Deliktsrechts
Grundsätzlich muss jedermann für einen erlittenen Schaden als Teil seines allgemeinen Lebensrisikos selbst aufkommen. Regelungen der Schadensverlagerung enthält das Deliktsrecht in §§ 823 – 853 BGB sowie einer Fülle von Nebengesetzen (examensrelevant vor allem das ProdHG und das StVG).[1] Die Ratio des § 823 BGB bezweckt den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsgüter (Integritätsinteresse). Den jeweiligen Bestimmungen liegen als Grundgedanken unterschiedliche Haftungsprinzipien zugrunde. Das im Deliktsrecht Wichtigste ist das sog. Verschuldensprinzip: Es besagt, dass der Schädiger den Schaden rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführt haben muss.[2] Das deutsche Deliktsrecht kennt keine allgemeine deliktische Generalklausel. Das BGB führt deliktische Einzeltatbestände auf, die durch partielle Generalklauseln, wie z.B. §§ 823 II und 826 BGB, ergänzt werden. Der Gesetzgeber wollte damit den ersatzberechtigten Personenkreis klar umreißen.[3]
II.) Anspruch aus § 823 I BGB
Innerhalb der deliktischen Verschuldenshaftung ist streng zwischen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Verschulden zu trennen (klassischer dreistufiger Deliktsaufbau).[4]
1.) Allgemeiner Tatbestand
a.) Rechtsgutsverletzung
Der Mensch ist gem. § 1 BGB erst nach Vollendung seiner Geburt rechtsfähig. Ungeachtet der Rechtsfähigkeit nimmt der BGH bei Schädigungen der Leibesfrucht (nasciturus) und des noch nicht gezeugten Kindes (nondum conceptus) eine Rechtsgutsverletzung im Sinne des § 823 I BGB an. Die Verletzung des Lebens meint grundsätzlich die Tötung, ausnahmsweise kann damit auch die Veranlassung zum Selbstmord gemeint sein, wenn der Betroffene erkennbar akut suizidgefährdet ist.[5] Die Körperverletzung meint das Eingreifen in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen. Der Begriff Körper erstreckt sich allerdings nicht auf die dauerhaft vom Körper getrennten Teile (z.B. eingefrorenes Sperma). Dahingegen bezieht sich die Gesundheitsverletzung auf eine physische oder psychische Erkrankung, ohne dass es dabei auf Schmerzen oder sonstige Krankheitssymptome ankommt. Davon sind ebenfalls bloße Infektionen mit einer Krankheit oder einem Virus umfasst. Entscheidend ist beiderseits, dass der Zustand aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig ist.[6] Der ärztliche Heileingriff stellt nach h.M. grundsätzlich einen Eingriff im Sinne des § 823 I BGB dar, der jedoch in aller Regel gerechtfertigt ist. Bei psychischen Beeinträchtigungen aufgrund eines erlittenen Schocks ist eine Rechtsgutsverletzung in eng umgrenzten Voraussetzungen anzunehmen (sog. Schockschaden). Der erlittene Schock muss einen pathologischen Zustand begründen und behandlungsbedürftig sein. Zudem muss der Schock aufgrund der Verletzung oder des Todes eines nahen Angehörigen eingetreten sein. Damit soll die uferlose Ausweitung der Ersatzfähigkeit vermieden werden. Die sog. Verfolgungs- oder Herausforderungsfälle betreffen Selbstschädigungen des Opfers, die auf rechtswidriges Vorverhalten des Täters zurückzuführen sind. Trotz dazwischentreten des Opfers wird ein deliktisches Verhalten des Täters bejaht, wenn er eine Situation geschaffen hat, in der das Opfer sich zu seinem Tun herausgefordert fühlen durfte. Dabei darf das Opferverhalten in Anbetracht des eingegangenen Risikos nicht gänzlich unvernünftig erscheinen.[7]
Unter dem Begriff Freiheit i. S. d. § 823 I BGB wird allgemein die Fortbewegungsfreiheit verstanden, also die Möglichkeit, einen bestimmten Ort verlassen zu können (siehe „Fleet–Fall“). Die Einbuße der Fortbewegungsmöglichkeit des Autos in einem Verkehrsstau ist jedoch nicht erfasst, da dem Betroffenen die körperliche Fortbewegungsfreiheit verbleibt.[8]
Die Position des Eigentümers ist dadurch gekennzeichnet, dass er mit seiner Sache nach Belieben verfahren kann, siehe § 903 BGB. Einerseits können Eingriffe die Rechtsstellung des Eigentümers betreffen, andererseits eine Substanzverletzung, d.h. die Zerstörung oder Beschädigung der Sache, beinhalten.[9] Besonders Examensrelevant ist hierbei die Problematik des sog. weiterfressenden Schadens. Dabei tritt ein Defekt an einer bestimmten Stelle der Sache auf, von wo aus dieser sich „weiterfrisst“. Zwecks klarer Funktionstrennung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht hat der BGH in seiner Rechtsprechung das Kriterium der Stoffgleichheit entwickelt. Ist das mangelhafte Teil einer Sache funktionell begrenzt, leicht austauschbar und gegenüber dem Gesamtwert der Sache von geringem Wert, liegt keine Stoffgleichheit und somit eine Eigentumsverletzung vor.[10] Bei der Lieferung einer mangelhaften Sache kann keine Verletzung angenommen werden, da zu keiner Zeit mangelfreies Eigentum an der Sache bestand.[11]
Die Formulierung „Sonstige Rechte“ ist insofern irreführend, dass diese doch entgegen dem Sinn und Zweck des deutschen Deliktsrechts eine Generalklausel vermuten lässt. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kommen deshalb nur absolute Rechte in Betracht, d.h. solche, die gegenüber jedermann wirken.[12] Deshalb ist nicht das Vermögen als solches, sondern insbesondere von beschränkt dinglichen Rechten ( z.B. Grundpfandrecht, Anwartschaftsrecht) die Rede.[13] Weiterhin sind hierunter das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (dabei muss der Eingriff „betriebsbezogen“ sein, d.h. jede unmittelbare Beeinträchtigung des Betriebs als solchen umfassen)[14] und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verstehen. Letzterem muss eine umfassende Güter – und Interessenabwägung zugrunde liegen, wobei aufsteigendes Schutzinteresse von Individual-, Privats– und Intimsphäre herrscht.[15]
b.) Verletzungshandlung
Neben positivem Tun stellt sich auch pflichtwidriges Unterlassen als taugliche Verletzungshandlung dar. Dazu wird eine Handlungspflicht vorausgesetzt, bei dessen Beachtung der Schaden nach pflichtgemäßen Unterlassen vermieden worden wäre.[16] Die Abgrenzung erfolgt dabei nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit.
c.) Haftungsbegründende Kausalität
Die haftungsbegründende Kausalität soll den kausalen Zusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und dem eingetretenem Erfolg herstellen. Diesbezüglich ist grundsätzlich die Äquivalenztheorie unter Ergänzung der Adäquanztheorie heran zu ziehen. Dies wird häufig durch die Lehre vom Schutzzweck der Norm ergänzt. Dabei muss der geforderte Kausalzusammenhang unter wertender Betrachtung noch vom Schutzzweck der jeweiligen Norm umfasst sein.[17]
d.) Rechtswidrigkeit
Gem. § 823 I BGB muss das geschützte Rechtsgut widerrechtlich verletzt worden sein. Nach herrschender Meinung, der Lehre vom Erfolgsunrecht, wird die Rechtswidrigkeit durch das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung indiziert. Einer anderen Auffassung zufolge, der Lehre vom Handlungsunrecht, bedarf es der positiven Feststellung der Rechtswidrigkeit. Dabei ist der Beweis einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung zu erbringen. Letztere Ansicht ist insbesondere Relevant, wenn die Verletzungshandlung in einem Unterlassen besteht.[18]
e.) Verschulden
Zur Feststellung des Verschuldens muss der Schädiger verschuldensfähig sein und schuldhaft gehandelt haben; sein Verhalten muss vorsätzlich oder fahrlässig zu bewerten sein.[19] Die Verschuldens– bzw. Deliktsfähigkeit begründet den persönlichen Schuldvorwurf. Der Schädiger muss ein bestimmtes Maß an geistig – intellektueller Leistungsfähigkeit besitzen. Bei Minderjährigen schließt die Haftungsprivilegierung des § 828 I BGB die deliktrechtliche Verantwortlichkeit aus, wenn das siebente Lebensjahr nicht vollendet worden ist. Gem. § 828 III BGB ist der Schädiger, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht verantwortlich, wenn er bei der Handlung nicht die zur Erkenntnis erforderliche Einsicht besitzt. Es darauf an, dass der Schädiger erkennen kann, dass sein Verhalten in irgendeiner Weise Verantwortung nach sich ziehen kann.[20]
Besondere Umstände gelten gem. § 828 II BGB für den Minderjährigen im motorisierten Verkehr, der das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat. Bei der gegebenen Fallkonstellation muss sich eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert haben (z.B. Einschätzen von Entfernung und Geschwindigkeit). Der nicht motorisierte Straßenverkehr weist keine vergleichbare Gefahrenlage auf; § 828 II BGB greift nicht ein. Dabei ist an die Aufsichtspflicht der Eltern mit der Haftungsfolge des § 832 BGB als Korrektiv zu denken.[21]
Bezüglich der Verschuldensform spricht § 823 I BGB von Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gem. § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dieser Maßstab objektiv zu verstehen, demnach entlasten persönliche Unzulänglichkeiten den Schädiger nicht. Strittig ist, ob dabei äußere und innere Sorgfalt zu unterscheiden sind. Der BGH verwendet diese Differenzierung insbesondere dann, wenn trotz objektiven Sorgfaltsverstoßes ein Verschulden mangels Erkennbarkeit der Sorgfaltspflicht verneint werden muss.
f.) Schaden
Inhalt und Umfang eines erlittenen Schadens beurteilen sich wie gewohnt nach §§ 249 ff BGB. Dies betrifft grundsätzlich Vermögensschäden; die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden gilt ausnahmsweise gem. § 253 II BGB.[22] Zudem gelten deliktsrechtliche Sondervorschriften, siehe §§ 842 ff BGB.[23]
g.) Haftungsausfüllende Kausalität
Die haftungsausfüllende Kausalität bezieht sich auf den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden. Dieser Zusammenhang wird ebenfalls mithilfe der bekannten Theorien hergestellt (siehe oben). Hiervon werden keine Schäden erfasst, die nur aufgrund eines atypischen Kausalverlaufs eingetreten sind.[24] Ebenfalls vom Schutzzweck der Norm nicht mehr umfasste Schäden sind solche, die auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Schädigers entstanden wären.
h.) Schadensersatz als Rechtsfolge
823 I BGB ordnet als Rechtsfolge an, dass der Schädiger zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet ist. Zu ersetzen sind demnach alle benannten Vermögensschäden oder Nichtvermögensschäden (die auf einer Verletzung der in § 253 II BGB benannten Rechtsgüter beruhen).
i.) Ggf. Mitverschulden gem. § 254 BGB
Gem. § 254 BGB ist der Ersatzanspruch des Geschädigten um seinen Mitverschuldensanteil zu kürzen. Dies kann sich dadurch ergeben, dass der Geschädigte nicht in dem geforderten Umfang dazu beigetragen hat, die drohenden Nachteile auf ein Mindestmaß zu beschränken, § 254 I BGB. Grundsätzlich bestimmt § 254 II, dass dem Geschädigten ein Mitverschulden anzulasten ist, wenn er die Rechtsgutsverletzung mitverursacht hat.[25] Nach h.M. ist der § 254 II S. 2 BGB jedoch als III zu lesen, der einerseits einen Rechtsgrundverweis auf § 278 BGB enthält und deshalb im Deliktsrecht nicht anwendbar ist. Andererseits soll ebenfalls ein Verweis auf § 831 BGB enthalten sein, sodass Regelungen über die Verantwortlichkeit für Dritte nicht gesperrt worden sind.
III.) Anspruch aus § 823 II BGB i. v. m. einem Schutzgesetz
Anders als § 823 I BGB verlangt Absatz 2 keine Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes. Vielmehr wird der Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB vorausgesetzt. Deshalb wird auch von einer „kleinen“ deliktischen Generalklausel gesprochen.[26]
1.) Schutzgesetzverletzung
Im Vordergrund des § 823 II BGB steht die Problematik des im Einzelfall anzuwendenden Schutzgesetzes.[27] Die Rechtsprechung hat zur Bestimmung eines tauglichen Schutzgesetzes die im Folgenden dargestellten Kriterien entwickelt. Es soll verhindert werden, dass durch die ausufernde Anwendung der Schutzgehalt des § 823 I BGB ausgehöhlt wird.[28]
a.) Schutznormqualität
Gesetze im Sinne des BGB sind Rechtsnormen gem. Art. 2 EGBGB. Dies meint demnach potenziell sowohl Gesetze im formellen als auch materiellen Sinne. Nach allgemeiner Ansicht stellt der VA jedoch kein Schutzgesetz dar, weil ihm die Gesetzesqualität fehlt: Er beinhaltet gerade keine abstrakt – generellen Regelungen.[29]
b.) Persönlicher Schutzbereich
Entscheidend ist, dass das betreffende Gesetz den Geschädigten zum geschützten Personenkreis zählt. Die ständige Rechtsprechung geht außerdem davon aus, dass bußgeldbewehrte Vorschriften dann nicht in den Schutzbereich fallen, wenn die Interessen des Geschädigten bereits ausreichend abgesichert sind.[30]
c.) Sachlicher Schutzbereich
Vom sachlichen Schutzbereich sind Schutzgesetzte umfasst, die ausdrücklich vor Vermögensschäden schützen wollen.
2.) Rechtswidrigkeit
Bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz wird die Rechtswidrigkeit indiziert.[31]
3.) Verschulden
Grundsätzlich kommt es für das Verschulden auf die Anforderungen des Gesetzes an, dem das Schutzgesetz entstammt. Verlangt die betreffende Norm Vorsatz, so gilt dieser Verschuldensmaßstab. Fordert das Schutzgesetz selbst kein Verschulden, gelten zivilrechtliche Maßstäbe.[32]
 
Fußnoten:
1 Emmerich, BGB – Schuldrecht Besonderer Teil, 13. Auflage, München 2012, S. 260.
2 Emmerich, a. a. O., S. 260 f.
3 Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Auflage 2012, S. 267.
4 Grigoleit/Riehm, in: Neuner/Grigoleit, Schuldrecht IV, München 2011, S. 6.
5 Sprau, in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage, München 2013, § 823, Rn. 3.
6 Emmerich, a. a. O., S. 269.
7 Emmerich, a. a. O., S. 271.
8 Fuchs, Deliktsrecht, 7. Auflage, Ingolstadt 2008, S. 16 f.
9 Wandt, a. a. O., S. 273.
10 Sprau, in Palandt, a. a. O., § 823, Rn. 177 f.
11 Emmerich, a. a. O., S. 282 f.
12 Fuchs, a. a. O., S. 30.
13 Hager, in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 823, Rn. B 126.
14 Musielak/Hau, Examenskurs BGB, 3. Auflage, München 2014, S. 183.
15 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 24. Auflage, München 2013, S. 311 f.
16 Plate, Das gesamte examensrelevante Zivilrecht, 5.Auflage, Hamburg 2011, S. 1230 ff.
17 Emmerich, a. a. O., S. 264.
18 Plate, a. a. O., S. 1253 f.
19 Grigoleit/Riehm, in: Neuner/Grigoleit, a. a. O., S. 43.
20 Wandt, a. a. O., S. 353 f.
21 Fuchs, a. a. O., S. 78 f.
22 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 12. Auflage, München 2013, S. 60.
23 Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 9. Auflage, München 2014, S. 447.
24 Looschelders, a. a. O., S. 448.
25 Kötz/Wagner, a. a. O., S. 61.
26 Fuchs, a. a. O., S. 127.
27 Medicus/Petersen, a. a. O., S. 315.
28 Fuchs, a. a. O., S. 128.
29 Looschelders, a. a, O. , S. 472 f.
30 Fuchs, a. a. O., S. 130 f.
31 Plate, a. a. O., S. 1262.
32 Hager, in Staudinger, a. a. O., § 823, Rn. G 34 f.
 
 
 

28.11.2014/8 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-11-28 08:00:132014-11-28 08:00:13Examensrelevante Anspruchsgrundlagen im Deliktsrecht, § 823 BGB – Teil I
Nicolas Hohn-Hein

OLG Bamberg: Vor erkennbarer Gefahr muss nicht ausdruecklich gewarnt werden

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Eine aktuelle Entscheidung des OLG Bamberg vom 20.03.2013 (Az. 6 U 5/13) befasst sich mit der Frage, welche Anforderungen an die deliktische Verkehrssicherungspflicht zu stellen sind, wenn die Gefahr für den Geschädigten erkennbar war.Der Fall lässt sich sowohl im 1., als auch im 2. Staatsexamen wunderbar abprüfen.
Sachverhalt (vereinfacht)
K ist bei einer Versicherung angestellt, die für die Gebäudereinigung ein spezielles Reinigungsunternehmen einsetzt. Im November 2008 stürzt K im Treppenhaus des Geschäftsgebäudes und bricht sich das Handgelenk. Entsprechende Warnschilder sind, wie dort üblich, nicht aufgestellt worden. K fordert vom Reinigungsunternehmen B Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro sowie Feststellung, dass B für alle aufgrund des Unfalls entstandenen Schäden bezahlen muss.
K gibt an, erst nach dem Sturz erkannt zu haben, dass die Treppe feucht war. Außerdem seien die Reinigungsarbeiten 15 Minuten später als üblich erfolgt. B verteidigt sich damit, dass sie ein besonders schnell trocknendes Reinigungsmittel eingesetzt habe und – was zutrifft – die feuchten Flächen als solche leicht erkennbar waren. Selbst die am Unfalltag herbeigerufenen Sanitäter hätten die Feuchtigkeit auf dem Boden bemerkt. Deshalb sei die K alleine für ihren Sturz verantwortlich.
Haben der Leistungsantrag auf Zahlung von 10.000 Euro sowie der Feststellungsantrag Erfolg?
Rechtliche Würdigung
Bereits das Landgericht Coburg als Vorinstanz war zu der Auffassung gelangt, dass die B hier ihren Sicherungspflichten genügt hat. Konkret geht es darum, ob die Gefahr für einen Dritten ohne weiteres erkennbar ist oder entsprechende Warnungen des Sicherungspflichtigen erforderlich sind. Letzteres hat das LG abgelehnt, denn

[e]s müsse nur vor Gefahren gewarnt werden, die ein sorgfältiger Benutzer nicht ohne entsprechenden Hinweis erkennen könne. Deswegen könne es in Ausnahmefällen dazu kommen, dass aufgrund der Art des Bodenbelags die Feuchtigkeit nur schwer erkennbar sei. So sei es aber im vorliegenden Fall nicht gewesen. Die Treppe sei zudem jeden Tag zur gleichen Zeit geputzt worden, was der Klägerin auch bekannt gewesen sei. Ihr sei auch bekannt gewesen, dass nie Hinweisschilder aufgestellt würden. Ein als Zeuge vernommener Sanitäter habe angegeben, dass er sofort unmittelbar vor der Treppe, wo die verletzte Klägerin lag, Feuchtigkeit auf dem Boden wahrgenommen hätte. Wenn ein zur eiligen medizinischen Versorgung herbeigerufener Sanitäter, der sich vorrangig um den Verletzten kümmern müsse, sofort Feuchtigkeit auf dem Boden bemerke, müsse dies erst recht für einen sorgfältigen Benutzer gelten. (Pressemitteilung)

Nach Auffassung des OLG Bamberg hat das LG richtig entschieden.

Es sei keine Besonderheit darin zu sehen, wenn die Reinigungsarbeiten einige Minuten später als üblich stattgefunden hätten. Mit einer geringfügigen Verschiebung bei regelmäßigen Reinigungsarbeiten müsse immer gerechnet werden.

Folglich hat die Klage von K keinen Erfolg.
Fazit
In der Klausur wären regelmäßig zahlreiche Angaben bezüglich des Unfallortes und -hergangs enthalten, die vom Klausurverfasser umfassend zu würdigen wären. Der Fall mag zwar nicht bahnbrechende neue Erkenntnisse liefern, beinhaltet jedoch grundlegenden Prüfungsstoff, der sicher für die Prüfungsämter reizvoll sein kann. So wäre es z.B. in einer zivilrechtlichen Urteilsklausur im 2. Staatsexamen interessant, im Rahmen einer umfassenden Beweisaufnahme den Unfallhergang zunächst zu klären und dann entsprechend der gefunden Beweisergebnisse zu entscheiden.

19.08.2013/3 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2013-08-19 16:00:152013-08-19 16:00:15OLG Bamberg: Vor erkennbarer Gefahr muss nicht ausdruecklich gewarnt werden
Dr. Stephan Pötters

OLG Koblenz: Haftungsfragen bei Sturz wegen Glatteis auf öffentlich zugänglicher Fläche

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Schnee und Glätte vor den Gerichten: Ein juristischer Dauerbrenner
Unfälle aufgrund von Schnee und Glätte sind im Winter in Deutschland leider an der Tagesordnung und so verwundert es nicht, dass die Gerichte immer wieder solche Fälle aufzuarbeiten haben. Auch in der Klausur lassen sich solche Fälle gut abprüfen, denn sie eignen sich hervorragend, um klassische Probleme des Zivilrechts (wie zB Verkehrssicherungspflichten) oder des öffentlichen Rechts (wie zB Probleme zur Störerverantwortlichkeit) einzubauen.
Zu  typischen Problemen rund um die Streupflicht s. unseren älteren Beitrag hier sowie ferner Horst, NZM 2012, 513.
Aktuelle Entscheidung des OLG Koblenz: Sachverhalt
Eine aktuelle Entscheidung des OLG Koblenz (OLG Koblenz v. 19.07.2012 – 5 U 582/12) zeigt, dass nicht immer bei einem Glatteissturz eine Haftung des Grundstückeigentümers bzw. des Adressaten der Streupflicht gegeben sein muss.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: B betreibt eine Bäckerei. Dort wollte K am 24.12.2010 einkaufen. Dazu hatte sie mit ihrem Ehemann gegen 8.15 Uhr den Kundenparkplatz angefahren. Von dort aus wollte sie sich, ihrer Darstellung nach, zunächst in das benachbarte Ladengeschäft des B begeben. Dabei sei sie nach etwa 5 m Fußwegstrecke bei schlechten Lichtverhältnissen auf einer im Durchmesser zumindest 3 m großen Eisfläche ausgeglitten und gestürzt. Im Übrigen war der Parkplatz jedoch ganz überwiegend von Schnee und Eis befreit gewesen. K argumentiert, dass, auch wenn der Parkplatz weithin von Schnee geräumt gewesen sei, der B seiner Verkehrssicherungspflicht nicht genügt habe. Nachfolgend war die K, die mitgeteilt hat, sich Frakturen des Schienbeins und des Wadenbeins zugezogen zu haben, die bis heute noch nicht vollständig ausgeheilt seien, für eine Woche in stationärer Behandlung und, wie sie weiter vorgetragen hat, über mehrere Monate hinweg nicht in der Lage, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und den Haushalt zu führen.
Lösung des OLG Koblenz
Das OLG Koblenz lehnte hier im Ergebnis eine Haftung des B unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten ab. Denkbar wäre vor allem eine Haftung aus c.i.c. (gemäß §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) oder aus Delikt (§ 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht).  Beide Anspruchsgrundlagen würden jedoch eine rechtserhebliche Pflichtverletzung voraussetzen. Diese hat das OLG Koblenz hier überzeugend verneint. Grundsätzlich müsse der B zwar den öffentlich zugänglichen Parkplatz vor seiner Bäckerei benutzergerecht unterhalten. Es könne aber nicht verlangt werden, den gesamten Parkplatz vollständig eis- und schneefrei zu halten.

Es ist anerkannt, dass derjenige, der einen Verkehrsraum eröffnet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen hat, um eine Schädigung Anderer möglichst zu verhindern (BGH VersR 1990, 498; BGH VersR 2002, 247; BGH VersR 2003, 1319; BGH VersR 2005, 279; BGH VersR 2006, 233; BGH NJW 2007, 1683). Das verpflichtet ihn zu den Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für erforderlich erachtet, um Andere vor Beeinträchtigungen zu bewahren. Dabei ist aber zu sehen, dass nicht jeder denkbaren Gefahr vorbeugend begegnet zu werden braucht. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn aus sachkundiger Sicht nahe liegt, dass Rechtsgüter Anderer beeinträchtigt werden (BGH VersR 2006, 233; BGH NJW 2007, 1683; BGH NJW 2010, 1967). Dem allgemeinen Sorgfaltsgebot ist daher regelmäßig durch die Einhaltung des Sicherheitsstandards genügt, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für angemessen erachtet (BGH VersR 1972, 559; BGH VersR 2006, 233; BGH NJW 2007, 1683; BGH NJW 2010, 1967). Damit muss hingenommen werden, dass es von einem fremden Herrschaftsbereich ausgehende Risiken gibt, die der Geschädigte am Ende allein trägt (BGH VersR 1975, 812; BGH VersR 2003, 1319; BGH NJW 2007, 1683). Der Umstand, dass der Sturz der Klägerin ein singuläres Ereignis war, bestätigt die – für den Senat bindende (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) – Würdigung des Landgerichts, die Gefahrenstelle sei trotz der diffusen Lichtverhältnisse erkennbar gewesen. Der Unfall ereignete sich in der aufkommenden Dämmerung, und aus dem Bäckerladen kam Licht. Vor diesem Hintergrund ist eine Schadensersatzhaftung des Beklagten zu verneinen. Öffentliche Parkplätze brauchen nicht uneingeschränkt schnee- und eisfrei gehalten zu werden (Senat NJW 2012, 1667). Glättestellen sind hinzunehmen, falls sie den Weg nicht vollständig versperren und gemieden werden können (BGH VersR 1982, 299; OLG Celle VersR 1995, 598; OLG Karlsruhe VersR 1976, 346); eine geradlinige Verbindung zu den jeweiligen Zielorten muss nicht gewährleistet sein. Es ist sogar hinnehmbar, kurze Strecken („wenige Schritte“) auf nicht geräumtem und nicht gestreutem Terrain zurückzulegen, ehe verkehrssichere Flächen erreicht werden (BGH NJW 1966, 202; BGH VersR 1983, 162; OLG Celle MDR 2004, 554; OLG Jena DAR 2001, 80; OLG Köln VersR 1983, 162). Für über diesen Rahmen hinausgehende Behinderungen des Publikums hat sich im vorliegenden Fall kein greifbarer Anhalt ergeben.

Die Entscheidung zeigt gut, dass trotz eines grundsätzlich strengen Sorgfaltsmaßstabs nicht menschenunmögliches von Verkehrssicherungsverpflichteten verlangt wird. Bei Schnee und Glätte kann eben ein Mindestmaß an Umsicht von allen Betroffenen verlangt werden, sodass bei kleineren gefährlichen Stellen nicht zwingend von einer Haftung auszugehen ist.
Mögliche Abwandlung in der Klausur
In der Klausur ließe sich der Fall noch dadurch verkomplizieren, dass nicht die K selbst, sondern ihr minderjähriges Kind stürzt. Dies wäre dann eine Abwandlung des Salatblattfalls (BGHZ 66, 15). Hier könnten dem Kind unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss zustehen. Ansprüche direkt aus c.i.c. kann das Kind hingegen nicht geltend machen, weil ihm gegenüber keine Vertragsanbahnung vorliegt. Wohl aber ist es vom Schutzbereich des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zwischen Mutter K und dem Bäcker B erfasst (vgl. zum Salatblattfall eine übersichtliche Darstellung auf jurakopf.de; eine Übersicht zum Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter findet sich hier).

07.01.2013/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-01-07 11:00:222013-01-07 11:00:22OLG Koblenz: Haftungsfragen bei Sturz wegen Glatteis auf öffentlich zugänglicher Fläche
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Keine Berücksichtigung gesetzlich vermuteten Verschuldens bei § 254 BGB

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Der BGH (VI ZR 3/11 – Urteil vom 20.03.2012) hat sich jüngst mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit eigenes gesetzlich vermutetetes Verschulden dem Geschädigten nach § 254 BGB als Mitverschulden zurechenbar ist. Außerdem nimmt das Gericht zum Umfang der Aufsichtspflicht eines Erwachsenen hinsichtlich Minderjähriger Stellung.
Sachverhalt
Der 10-jährige S, der auf dem Bauernhof der Familie des T zu Besuch ist, spielt unbeaufsichtigt mit dem 8-jährigen T in einer Scheune, die im Eigentum der Eltern (M und E) des T steht. S schlägt vor mit einem Feuerzeug zu spielen, ohne dass er an die möglichen Konsequenzen denkt. Durch einen Funken gerät das eingelagerte Stroh in Brand und zerstört die gesamte Halle nebst der sich darin befindlichen Pferdeboxen vollständig. Die Kinder können sich retten. Der Schaden beläuft sich auf insgesamt 800.000 Euro.
M und ihr Ehemann E hielten sich zum Zeitpunkt des Brandes im Haupthaus des Grundstücks auf. Das Kinderspiel um den Bauernhof herum war bis dahin nie ein Problem. T und S hatten schon des Öfteren kleinere „Ausflüge“ in die Scheune und in die nähere Umgebung unternommen, ohne den Eindruck zu erwecken gerne mal zu „zündeln“. M verlangt von S Gesamtschadensersatz, nachdem E seinen Ersatzanspruch an M abgetreten hat. Der Anwalt des S wendet ein, M und E hätten ihre Aufsichtspflicht – die im übrigen tatsächlich bestand – verletzt und müssten sich diese Pflichtverletzung bei der Berechnung ihres Schadensersatzanspruchs zurechnen lassen.
Zu Recht?
Gesetzliches Verschulden im Rahmen von § 254 BGB nicht zu berücksichtigen
Der Geschädigte muss sich regelmäßig eigenes Verschulden über § 254 BGB bei der Berechnung seines Schadensersatzanspruches zurechnen lassen. Dazu kann auch die Verletzung einer Aufsichtspflicht gehören, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Schaden von einem Kind ausgeht, das zu der Zeit der schädigenden Handlung unter der Aufsicht des Geschädigten gestanden hat. Die Verletzung einer Aufsichtspflicht regelt § 832 BGB.  Es handelt sich hierbei um eine gesetzliche Vermutung für eigenes Verschulden hat (Staudinger, BGB, § 823, Rn. 5 ff). Nach allgemeiner Auffassung ist die Prüfung eines gesonderten Verschuldens bei Verletzung einer Aufsichtspflicht daher nicht notwendig (Verschuldenshaftung). Der Aufsichtspflichtige kann aber den Entlastungsbeweis führen, dass er seiner Aufsichtspflicht gerecht geworden ist, und sich auf diese Weise von der Haftung befreien.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage stellen, ob im Rahmen von § 254 BGB eine solche Verschuldenshaftung berücksichtigt werden kann. Das Gericht stellt zunächst die in der Literatur teilweise vertreten Auffassung dar, wonach auch bei § 254 BGB die (umgekehrte) Beweislast des § 832 BGB zur Anwendung kommen soll, denn

Sinn und Zweck der Verschuldensvermutungen liege darin, dem Begünstigten über etwaige nicht in seine Zuständigkeit fallende Beweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen. Es vermöge nicht zu überzegen, dass im Rahmen des § 254 BGB eine andere Beweislastregelung gelten solle als bei der Haftungsbegründung. Ob eine Sphäre einer der Parteien zuzuweisen sei, hänge nicht von deren „Rolle“ als Schädiger oder Geschädigter ab. Der Richter habe bei der Abwägung die höchste nicht ausgeschlossene Verschuldensintensität zu berücksichtigen.

Der BGH vertritt in der vorliegenden Entscheidung jedoch eine gegenteilige Auffassung und verweist auf den Anknüpfungspunkt des § 254 BGB – an die Ursächlichkeit der jeweiligen Verschuldensanteile für das Schadensereignis. Diese Abwägungsentscheidung  orientiere sich an dem Verschulden des einzelnen in der konkreten Situation, nicht an einer gesetzlich vermuteten Beweislastregelung, die sich auf der Zielsetzung gründet, eine Haftungserleichterung für nur schwer beweisbare Umstände dem Geschädigten zu gewähren.

Wird ein Verschulden nur vemutet, so fehlt jeder Anhalt für das Maß dieses Verschuldens, das von der leichtesten Fahrlässigkeit bis zur gröbsten Sorgfaltspflichtverletzung reichen kann. Nur wenn das Maß der Verantwortlichkeit beider Teile feststeht, ist eine sachgemäße Abwägung möglich. Wollte man sie auf Unterstellungen und Vermutungen gründen, so würde man in unzulässiger Weise Gewisses mit Unbekanntem vergleichen und zu keinem gerechten Ergebnis gelangen. Nach dieser Rechtsprechung sind Verschuldensvermutungen nur für den Haftungsgrund relevant. Daran wird festgehalten. Auf die Frage, ob die Verschuldensvermutung des § 832 BGB bei einer Schädigung des Aufsichtspflichtigen durch den Aufsichtsbedürftigen überhaupt Anwendung findet, kommt es nicht an. Ein Mitverschulden des Aufsichtspflichtigen gemäß § 254 Abs. 1 BGB kommt […] nur in Betracht, wenn eine Aufsichtspflichtverletzung feststeht und der Aufsichtspflichtige aus tatsächlichem Verschulden haftet […].

Es kommt daher darauf an, ob – eine Aufsichtspflichtverletzung vorausgesetzt – M und E schuldhaft gehandelt haben.
Zum Umfang der Aufsichtspflicht bezüglich Kindern
Die Karlsruher Richter erläutern ferner sehr anschaulich die Anforderungen an die Verletzung einer Aufsichtspflicht über Minderjährige und orientieren sich an der hierzu gängigen Rechtsprechung.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Aufsichtspflichtige nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ein Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist.
Danach sind sowohl hinsichtlich der Belehrung über die Gefahren des Feuers als auch der Überwachung eines möglichen Umgangs mit Zündmitteln strenge Anforderungen zu stellen. Dies gilt insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen durch das Entzünden von Stroh eine besondere Brandgefahr besteht. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass Eltern ihre sieben bis acht Jahre alten Kinder eindringlich über die Gefährlichkeit des Spiels mit dem Feuer belehren und darauf achten müssen, dass die Kinder nicht unerlaubt in den Besitz von Streichhölzern oder anderen Zündmitteln gelangen. Hierzu gehört auch, die Kinder davor zu warnen, anderen Kindern bei dem Entfachen und dem Unterhalten eines Feuers in irgendeiner Weise zu helfen oder sie dazu anzustiften. Eine tägliche Kontrolle der Taschen des Kindes ist von den Aufsichtspflichtigen im Regelfall nicht zu verlangen. Grundsätzlich müssen Kinder im Alter von sieben oder acht Jahren nur dann in dieser Weise auf den Besitz von Streichhölzern oder Feuerzeugen kontrolliert werden, wenn dazu ein besonderer Anlass besteht, wenn etwa beim Kind schon einmal Streichhölzer gefunden worden sind oder das Kind eine besondere Neigung zum Zündeln hat.
Grundsätzlich ist bereits bei Kindern im Alter ab sieben Jahren weder eine Überwachung „auf Schritt und Tritt“ noch eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen erforderlich. Grundsätzlich muss Kindern in diesem Alter, wenn sie normal entwickelt sind, das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht in einem räumlichen Bereich gestattet sein, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermöglicht. Zum Spiel der Kinder gehört es Neuland zu entdecken und zu „erobern“. Dies kann ihnen, wenn damit nicht besondere Gefahren für sie selbst oder für andere verbunden sind, nicht allgemein untersagt werden. Vielmehr muss es bei Kindern dieser Altersstufe im Allgemeinen genügen, dass die Aufsichtspflichtigen sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht. Andernfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, gehemmt.

Diese Voraussetzung waren im vorliegenden Fall erfüllt, sodass schon keine Aufsichtspflichtverletzung vorlag. Auf ein (Mit-) Verschulden kam es daher nicht mehr an. Da die Beweislastregel des § 832 BGB nicht greift und damit die „normalen“ deliktischen Verschuldensregelungen zur Anwendung kommen, wäre es im übrigens Sache des Beklagten S gewesen, das Mitverschulden von M und E zu beweisen.
Fazit
M kann einen Schadensersatzanspruch geltend machen, ohne sich eigenes Mitverschulden entgegenhalten zu müssen.
Klassischer Fall aus dem Deliktsrecht, dessen Sachverhalt mit Ergänzungen 1:1 in einer Klausur kommen könnte. Mit der Nichtberücksichtung von § 832 BGB im Rahmen von § 254 BGB betritt der BGB kein Neuland, sondern festigt lediglich seine Rechtsprechung. Die Kenntnis von dieser grundsätzlichen und nicht unbedingt ins Auge springenden Problematik kann aber einige Extrapunkte bedeuten.
Zum „Standardwerkzeug“ hingegen sollte die Rechtssprechung zu den Aufsichtspflichten von Erwachsenen (Eltern) hinsichtlich Minderjähriger gehören.

15.06.2012/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-06-15 08:42:482012-06-15 08:42:48BGH: Keine Berücksichtigung gesetzlich vermuteten Verschuldens bei § 254 BGB
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Herausforderungsfälle – Polizeiliche Verfolgungsfahrt

BGH-Klassiker, Deliktsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Zivilrecht, Zivilrecht

Eine kürzlich ergangene Entscheidung des BGH (Urteil vom 31.01.2012 – VI ZR 43/11) hat sich u.a. mit der Frage beschäftigt, ob der Halter eines Fahrzeugs, das von der Polizei verfolgt wird und durch Rammen durch ein Polizeifahrzeug zum Stehen gebracht wird, für den entstandenen Sachschaden an den Polizeifahrzeugen aufkommen muss. Rechtlich bewegt man sich hier im Bereich des Deliktsrechts bzw. der in diesem Zusammenhang diskutierten sog. Herausforderungsfälle.
Sachverhalt (vereinfacht)
A fährt in seinem Pkw, dessen Halter er ist, und wird von der Polizei angehalten. Da er aus verschiedenen Gründen keine Interesse an einer Kontrolle hat, gibt er unvermittelt Gas, um sich der Maßnahme zu entziehen. Dabei wird eine Beamtin leicht verletzt. Die Polizei nimmt sogleich die Verfolgung auf und es entwickelt sich eine regelrechte Verfolgungsjagd über die Autobahn mit Geschwindigkeiten zwischen 150 bis 200 km/h. Dabei versucht A durch schnelles Wechseln der Fahrstreifen und durch Befahren des Standstreifens seine Verfolger abzuhängen.
Da die Polizei keine andere Möglichkeit sieht, A zum Anhalten zu bewegen, beschließt sie, den Verkehr auf der Autobahn durch eigene Fahrzeuge einige Kilometer vor A zu verlangsamen und dann ein Straßensperre bestehend aus mehreren Polizeifahrzeugen einzurichten. Zusätzlich soll ein großer Lkw den Standstreifen befahren. A nähert sich der Straßensperre, bremst ab und entschließt sich, zwischen den beiden mittleren Polizeifahrzeugen hindurchzufahren. Im gleichen Moment rammt ihn ein Polizeiwagen von hinten und schiebt ihn zwischen den beiden Fahrzeugen hindurch, die leicht beschädigt werden. Dann kommt ein weiteres Polizeifahrzeug von der Seite und drückt A an die Leitplanke, sodass dieser letztendlich zum Stehen kommt.
Es ist ein erheblicher Sachschaden an insgesamt vier Polizeiwagen in Höhe von 17.271,84 Euro entstanden. Das Land L verlangt von A Schadensersatz. A beruft sich darauf, dass er nicht damit habe rechnen können, dass die Polizei „so hart durchgreift“ und ihre Fahrzeuge als „Rammböcke“ einsetzt. Den Ausgang der Verfolgungsjagd habe er jedenfalls nicht gewollt.
Kann das Land L von A Schadensersatz verlangen?
Die Rechtsprechung des BGH zu den Herausforderungsfällen im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB
Das Gericht umreißt zunächst lehrbuchhaft die Grundsätze für eine deliktische Haftung, wenn der Schädiger die Situation provoziert hat, die letztendlich in den Schaden mündet.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben. […]
Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat. Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte.

Verwirklichung dergesteigerten Gefahrenlage durch rammende Polizeifahrzeuge
Nicht nur in einer Klausur drängt sich hinsichtlich des Verhaltens der Polizeibeamten die Frage auf, ob die rigorose Vorgehensweise der Polizeibeamten noch zugerechnet werden kann. Hier könnte man argumentieren, dass es allein in der Entscheidungsgewalt der Polizeibeamten lag, ihre Fahrzeuge zur Ergreifung des A zu beschädigen, und sie auch auf andere Weise den A hätten stoppen können. Der BGH sieht jedoch die Gefahrenlage, die der A unstreitig nach ständiger Rechtsprechung herbeigeführt hat – die Verfolgung durch Polizeibeamten ist ein klassischer Fall – auch dann als verwirklicht, wenn die Polizisten ihre Fahrzeuge auf die geschilderte Weise einsetzten. Ausgangspunkt hierfür ist eine Abwägungsentscheidung anhand der konkreten Situation.

Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Fliehenden ist insbesondere die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt. Der Versicherungsnehmer […] hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Polizeibeamtin verletzt und sich danach über viele Kilometer hinweg mit den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungsjagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des Standstreifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die erfolgte Art zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Beendigung der Flucht und der Ergreifung des Fliehenden.
[…]Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der Vorwurf, eine Rechtsgutsverletzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt zu haben, setzt voraus, dass der Fliehende damit rechnen musste, verfolgt zu werden, und dass er auch voraussehen konnte, seine Verfolger könnten dabei möglicherweise zu Schaden kommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wusste der Versicherungsnehmer […], dass er verfolgt wird, und musste auch damit rechnen, dass für seine Verfolger und ihre Fahrzeuge bei seiner Fahrweise nicht nur ein gesteigertes Risiko bestand, während der Verfolgungsfahrt einen Schaden zu erleiden, sondern auch bei einer Beendigung der Flucht durch eine bewusst herbeigeführte Kollision mit dem Fluchtfahrzeug. Bei einer Verfolgungsjagd, wie sie im Streitfall stattgefunden hat, ist es nicht fernliegend, dass die Polizeibeamten erforderlichenfalls auch Schäden an den Polizeifahrzeugen in Kauf nehmen, um den Flüchtenden zu stoppen und Schlimmeres zu verhindern.

Schaden „bei dem Betrieb“ nach § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht
Neben § 823 Abs. 1 BGB sollte der Bearbeiter stets auch an die verschuldensunabhängige Haftungsnorm des § 7 Abs. 1 StVG (Haftung des F-Halters) denken, die parallel zur Anwendung kommt. Fraglich war hier, ob der gesamt Vorgang noch unter dem Merkmal „bei dem Betrieb [eines Kfz]“ zu subsumieren ist. Immerhin ließe sich einwenden, die Verfolgungsjagd und alle weiteren Umstände seien dermaßen fernab von dem „üblichen“ Geschehen im Straßenverkehr, dass es sich nicht mehr um die Realisierung der einem Kfz innewohnenden Betriebsgefahr handelte. Der BGH ist anderer Ansicht und bejaht einen weiten Anwendungsbereich dieses Merkmal, denn

[…] die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will d-her alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraft-fahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen werten-den Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.

So geschehen im vorligenden Fall. Überlegenswert ist dann auch, ob es sich bei der Entscheidung der Polizeibeamten, den A zu rammen, um ein „unabwendbares Ereignis“ im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte.

Im Streitfall ist ein Polizeifahrzeug auf einer Bundesautobahn auf das Fluchtfahrzeug aufgefahren und hat es zwischen den davor fahrenden Polizei-fahrzeugen hindurchgeschoben, wonach ein anderes Polizeifahrzeug das Fluchtfahrzeug gegen die Leitplanke gedrängt und damit die Flucht beendet hat. Dass dies „bei dem Betrieb“ der beteiligten Kraftfahrzeuge im fließenden Verkehr auf einer Bundesautobahn erfolgte, begegnet nach den vorstehenden Grundsätzen ebenso wenig Bedenken wie bei einem „normalen“ Auffahrunfall. Die Tatsache, dass das Auffahren im Streitfall vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.
[…]Die Frage der rechtlichen Unabwendbarkeit in Verfolgungsfällen ist unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns vergleichbar zu beantworten wie die Frage einer Haftung nach § 823 BGB. Wer sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen.

Fazit
Verfolgungsjagden, Straßensperren, rammende Polizeifahrzeuge in der höchstrichterlichen Rechtsprechung – das ist Stoff für Klausuren, vor allem, wenn es um aktuelle Probleme aus dem Deliktsrecht geht. Gerade Ersatzansprüche im Straßenverkehr sind ein Dauerbrenner und laufen regelmäßig in den Examensterminen. Es lohnt sich daher, die sog. Herausforderungsfälle noch einmal durchzugehen.

18.05.2012/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-05-18 14:28:212012-05-18 14:28:21BGH: Herausforderungsfälle – Polizeiliche Verfolgungsfahrt
Dr. Gerrit Forst

BGH: Werksangehörigenrabatt bei konkreter Schadensberechnung anzurechnen

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der  BGH (Urt. v. 18.10.2011 – VI ZR 17/11, bislang nur als Pressemitteilung) hat entschieden, dass sich der Geschädigte bei der konkreten Schadensabrechnung von Kfz-Reparaturkosten einen Werksangehörigenrabatt anrechnen lassen muss.
I. Sachverhalt
Der Kläger erlitt mit seinem Mini (der BGH spricht vom „BMW Mini“) einen Verkehrsunfall. Zwischen den Parteien war unstreitig, dass der Beklagte voll haftete. Ein Gutachter bezifferte die Reparaturkosten auf ca. 3.500 Euro. Der Kläger rechnete den Unfall zunächst auf der Grundlage dieser fiktiven Reparaturkosten ab, anschließend ließ er das Fahrzeug reparieren. Die tatsächlichen (konkreten) Reparaturkosten betrugen ca. 4.000 Euro. Der Kläger musste jedoch nur ca. 3.000 Euro zahlen, weil er Werksangehöriger von BMW war und daher einen Rabatt erhielt. Er begehrte von dem Beklagten Zahlung weiterer 500 Euro (Differenz zwischen fiktiven Reparaturkosten und konkreten Reparaturkosten ohne Rabatt).
II. Urteil
Der BGH wies die Klage als unbegründet ab. Dazu die Pressemitteilung:

Der für das Schadensersatzrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Kläger zwar nicht an die von ihm ursprünglich gewählte fiktive Abrechnung auf der Basis der vom Sachverständigen geschätzten Kosten gebunden ist, sondern nach erfolgter Reparatur zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und nunmehr Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen kann. Da er nach allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts an dem Schadensfall jedoch nicht verdienen soll, muss er sich den erhaltenen Werksangehörigenrabatt anrechnen lassen.

III. Bewertung
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls kann seinen Schaden nach der Rechtsprchung auf zwei Arten abrechnen: Fiktiv auf der Grundlage eines Gutachtens oder konkret nach den tatsächlich entstandenen Kosten. Der BGH bestätigt mit dem vorliegenden Urteil seine Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 = NJW 2007, 67), wonach es dem Geschädigten freisteht, nach erfolgter fiktiver Abrechnung auf eine konkrete Abrechnung umzuschwenken. Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen, weil die konkreten Kosten höher ausfallen können als die zunächst  in einem Gutachten veranschlagten. Da nach § 249 Abs. 1 BGB der Grundsatz der Naturalrestitution gilt, der Geschädigte also so gestellt werden soll, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde, wäre es unbillig, ihn an seiner einmal getroffenen Wahl festzuhalten. Umgekehrt soll er durch die Schädigung  aber auch nicht besser gestellt werden. Deshalb ist dem BGH auch darin zu folgen, dass sich der Geschädigte einen ihm gewährten Werksrabatt anrechnen lassen muss.
Examensrelevanz: Fälle zur Schadensberechnung sind als Klausurvorlagen immer wieder gern gesehen. Das liegt auch daran, dass sich die damit verbundenen Rechtsprobleme relativ leicht in den Sachverhalt einbauen lassen. Der vorliegende Fall hat insoweit das Zeug zum Klassiker.
 

21.10.2011/0 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2011-10-21 15:08:322011-10-21 15:08:32BGH: Werksangehörigenrabatt bei konkreter Schadensberechnung anzurechnen
Dr. Gerrit Forst

BGH zu Beweislastumkehr bei § 823 Abs. 1 BGB

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Zivilrecht, Zivilrecht, ZPO

In einer aktuellen Entscheidung zum Arzthaftungsrecht äußert sich der BGH zur Beweislastumkehr im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB (Urt. v. 13.9.2011 – VI ZR 144/10). Anlass genug, die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen kurz zu wiederholen:
1. Grundsatz
Grundsätzlich gilt, dass jede Partei die Beweislast für die ihr günstigenTatsachen trägt (§§ 138, 139, 286 ZPO). Das bedeutet für den Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, dass der Anspruchsteller grundsätzlich alle objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen darlegen und beweisen muss.
2. Wichtigste Ausnahme: Vertragliche Haftung
Im vertraglichen Schuldverhältnis kehrt § 280 Abs. 1 S. 2 BGB die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens dagegen um. Nach wohl überwiegender Ansicht ist § 280 Abs. 1 S. 2 BGB darüber hinaus auch auf die Pflichtverletzung selbst anzuwenden.
3. Geschriebene Ausnahmen im Deliktsrecht
Auch im Deliktsrecht gibt es gelegntlich eine ausdrückliche, d.h. gesetzliche Umkehr der Beweislast. Der wichtigste Fall ist wohl § 18 Abs. 1 S. 2 StVG, der das Verschulden des Fahrzeugführers vermutet. Einen weiteren Fall regelt etwa § 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB auferlegt dem Geschäftsherrn die Beweislast für den Exkulpationsbeweis, die §§ 832 Abs. 1 S. 2, 834 S. 2 BGB enthalten ähnliche Vorschriften.
4. Ungeschriebene Ausnahmen im Deliktsrecht
Nun kann es für den Geschädigten bei § 823 Abs. 1 BGB sehr schwierig bis unmöglich sein, den vollen Beweis für alle Tatbestandsvoraussetzungen zu führen.
Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Pflichtverletzung in der Innensphäre des Schädigers abgespielt hat, in die der Anspruchsteller keine Einsicht hat. Der BGH hat deshalb insbesondere im Bereich der allgemeinen zivilrechtlichen Produkthaftung (Abzugrenzen von der Haftung nach dem ProdHaftG!) eine Beweislastumkehr oder zumindest -erleichterung  mehrfach bejaht (z.B. BGHZ 116, 60 – Milupa; BGH NJW 1993, 528 – Mineralwasserflasche II).
Darüber hinaus erkennt der BGH, dass sich im Arzthaftungsprozess die Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und  Rechtsgutsverletzung umkehrt, wenn ein grober Behandlungsfehler feststeht. Hintergrund dieser Beweiserleichterung ist, dass ein lückenloser Kausalitätsbeweis für medizinische Entwicklungen im Körper des Geschädigten nahezu unmöglich ist, weil fast immer Reserveursachen in Betracht kommen. So verhielt es sich auch in dem aktuellen Fall. Der BGH entscheidet nun, dass ein grober Behandlungsfehler auch darin zu sehen ist, dass eine Befunderhebung unterlassen wurde, die zu einem Befund geführt hätte, der zu weiteren Behandlungsmaßnahmen Anlass gegeben hätte.
Achtung: Eine vergleichbare Umkehr der Beweislast gerade bezüglich der Kausalität verneint der BGH ausdrücklich im Bereich der allgemeinen zivilrechtlichen Produkthaftung. Hier muss der Geschädigte also die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden beweisen (BGHZ 116, 60 – Milupa).
4. Klausurrelevanz
Fragen der Beweislast spielen grundsätzlich erst im 2. Staatsexamen eine wirklich bedeutende Rolle. Gerade § 280 Abs. 1 S. 2 BGB und die Rechtsprechung zur allgemeinen zivilrechtlichen Produkthaftung sollte man aber auch im 1. Staatsexamen beherrschen. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB erleichtert dabei den Prüfungspunkt „Verschulden“ ungemein. Die Rechtsprechung zur Produkthaftung nach § 823 Abs. 1 BGB wird ebenfalls immer mal wieder abgefragt.
 

09.10.2011/2 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2011-10-09 10:08:182011-10-09 10:08:18BGH zu Beweislastumkehr bei § 823 Abs. 1 BGB
Nicolas Hohn-Hein

Keine Entlastung nach § 833 S.2 BGB – Fall „Ronny“

BGH-Klassiker, Deliktsrecht, Schon gelesen?, Zivilrecht, Zivilrecht

In einer aktuellen Entscheidung des BGH (Az. VI ZR 312/09, Urteil v. 21.12.2010) geht es um die Frage, ob sich ein Verein, der eine sog. „Reittherapie“ für Menschen mit Behinderung anbietet, bei einem Sturz eines Teilnehmers gemäß § 833 Satz 1 BGB entlasten kann. Der Fall eignet sich dazu, Standardfragen im Bereich des Vereinsrechts (Gründung, Zweckbestimmung, etc.) mit Problemen der deliktischen Tierhalterhaftung sowie des Mitverschuldens des Geschädigten nach § 254 I BGB zu verknüpfen. Als (Teil-) Aspekte einer Examensklausur sicherlich interessant.
Sachverhalt
Die Klägerin K ist körperlich behindert und nimmt mit ihrer Tochter zusammen an einer sog. „Reittherapie“ des Vereins B teil, die speziell für Behinderte konzipiert ist. Die Tochter reitet voraus, die K reitet hinter ihr auf dem Pferd „Ronny“. Durch ein selbstständiges, unvorhergesehenes Verhalten „Ronnys“ (der genaue Geschehensablauf, der zu der Reaktion des Pferdes geführt hat, ist in der Revision nicht mehr streitig) wird die K zu Boden geschleudert und bricht sich einen Lendenwirbel. Sie verlangt Schadensersatz, sowie Schmerzensgeld von B gemäß § 833 S.1 BGB. B beruft sich auf § 833 S.2 BGB. Zurecht?
„Nutztier“ nur bei überwiegend wirtschaftlicher Betätigung des Halters
Der BGH stellt klar, worauf für die Zweckbestimmung abzustellen ist, wenn es sich bei dem Halter nicht um eine natürliche Person, sondern um einen Verein handelt. In einer Klausur böte sich hier schon Raum, bei dem Merkmal „dem Beruf, usw. …. zu dienen bestimmt ist“ eine Abgrenzung zu treffen.

Das Gesetz räumt nach § 833 Satz 2 BGB dem Tierhalter die Möglichkeit, sich von der Gefährdungshaftung des § 833 Satz 1 BGB zu entlasten, nur dann ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht worden ist, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist. Dabei ist auf die allgemeine Zweckbestimmung abzustellen, die dem Tier von seinem Halter gegeben worden ist […].  Daher zählen die von einem nicht wirtschaftlichen Verein (§ 21 BGB) zur Erfüllung seiner satzungsgemäßen Aufgaben zur Reittherapie von Behinderten gehaltenen Pferde ebenso wie die eines nicht wirtschaftlichen allgemeinen Reitsportvereins nach der vorgenannten Rechtsprechung nicht zu den sogenannten „Nutztieren“ im Sinne des § 833 Satz 2 BGB.

Und wenn der Verein zumindest teilweise mit dem Tier „wirtschaftet“? Im vorliegenden Fall hatte B nichts entsprechendes vorgetragen, überdies war B ein „nicht wirtschaftlicher“ Verein, der BGH sieht gleichwohl genügend Anlass, zu dieser (bedeutenden) Frage Stellung zu nehmen.

Dies gilt selbst dann, wenn die Tiere nicht ausschließlich dem vorgenannten Zweck dienen, sondern nebenbei in geringem Umfang auch zu einer Erwerbstätigkeit des Vereins verwendet werden. Einem Reitverein – auch wenn er sich wie hier der Reittherapie von Behinderten widmet – stünde deshalb die Entlastungsmöglichkeit nach § 833 Satz 2 BGB nur dann zu, wenn er seine Reitpferde überwiegend oder jedenfalls in einem so erheblichen Umfang wie ein wirtschaftliches Unternehmen zu Erwerbszwecken nutzt. Dann stünden allerdings die tatsächlichen Gegebenheiten mit der satzungsmäßig ideellen Zweckbestimmung des Vereins nicht mehr in Einklang (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1985 – VI ZR 9/85, aaO).

 
Kein Mitverschulden gemäß § 254 I BGB bei einer „Reittherapie“
Zu überlegen ist, ob sich K ein eigenes Mitverschulden zurechnen lassen muss. K könnte insofern auf „eigene Gefahr“ gehandelt haben, als sie sich bewusst und freiwillig den typischen Gefahren des Reitens ausgesetzt hatte. Der BGH steht dem ablehnend gegenüber und bestätigt die Auffassung des OLG Hamm.
Es hat ihm jedoch ohne Rechtsfehler deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil sich der Beklagte […] gerade nach seinem Vereinszweck der Reittherapie von Behinderten widmet und vor dem Reitunterricht die Behinderung der Klägerin bekannt war. Insoweit lässt sich der Streitfall nicht mit den Fällen vergleichen, in denen der erkennende Senat ein Handeln auf eigene Gefahr unter dem Blickpunkt angenommen hat, dass sich der Verletzte freiwillig in eine besondere Gefahr begeben hat (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1973 – VI ZR 152/72, VersR 1974, 356 mwN). Vielmehr konnte die Klägerin unter den besonderen Umständen des Streitfalls damit rechnen, dass die Reitausbildung bei dem Beklagten […] ihrer Behinderung Rechnung trug.
Darüber hinaus fehlte es nach den Feststellungen der Vorinstanzen schon an einer ausreichenden Mitursächlichkeit des Verhaltens der K für den Sturz.

14.02.2011/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-02-14 17:42:132011-02-14 17:42:13Keine Entlastung nach § 833 S.2 BGB – Fall „Ronny“
Samuel Ju

Zivilrecht-Klassiker: Herrenreiterfall (BGHZ 26,349)

BGH-Klassiker, Deliktsrecht, Schon gelesen?, Verfassungsrecht, Zivilrecht

Der „Herrenreiter“-Fall ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Februar 1958 (BGHZ 26,349).
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitinhaber einer Brauerei in K. Er betätigt sich als Herrenreiter (heute: Dressurreiter) auf Turnieren. Die Beklagte ist Herstellerin eines pharmazeutischen Präparats, das nach der Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der Hebung der sexuellen Potenz dient. Sie hat zur Werbung für dieses Mittel in der Bundesrepublik, u.a. auch in K., ein Plakat mit der Abbildung eines Turnierreiters verbreitet. Dem Plakat lag ein Originalphoto des Klägers zugrunde, das von dem Presseverlag S. auf einem Reitturnier aufgenommen worden war. Eine Einwilligung zur Verwendung seines Bildes hatte der Kläger nicht erteilt.
Der Kläger nimmt die Beklagte für den Schaden in Anspruch, der ihm durch die Verbreitung des Werbeplakats entstanden ist. Er macht geltend, dass ihm bei der gegebenen Sachlage nur der Weg bleibe, Ersatz dessen zu fordern, was er erlangt haben würde, wenn er der Beklagten die Benutzung seines Bildes gestattet hätte. Da seine geschäftliche und gesellschaftliche Stellung es ihm nicht gestatteten und seine Vermögensverhältnisse ihn auch in keiner Weise dazu nötigten, sein Bild für Werbezwecke, insbesondere für das Präparat der Beklagten, zur Verfügung zu stellen, würde er dies, wenn überhaupt, nur für ein angemessenes Entgelt getan haben. Dieses sei schätzungsweise auf mindestens 15 000 DM zu bemessen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, einen angemessenen, vom Gericht festzusetzenden Betrag als Schadensersatz zu zahlen.
Leitsatz
Nachdem durch Art. 1, 2 GG das Recht zur freien Selbstbestimmung der Persönlichkeit als ein Grundwert der Rechtsordnung anerkannt ist, ist es gerechtfertigt, in analoger Anwendung des § 847 BGB (jetzt § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) auch dem durch die unbefugte Veröffentlichung seines Bildes Verletzten wegen eines hierdurch hervorgerufenen, nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld zu gewähren.
Bedeutung
Bei diesem BGH Klassiker handelt es sich um eine der wichtigsten höchstrichterlichen Entscheidungen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) im Zivilrecht. Im Rahmen des Deliktsrechts ist das APR neben dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines der zwei anerkannten Rahmenrechte. Im Herrenreiterfall ließ der BGH erstmalig die Zahlung von Schmerzensgeld für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die unerlaubte Veröffentlichung von Bildern zu.
Das OLG Köln als Berufungsgericht hatte dem Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 10.000 DM auf Grund der Fiktion eines abgeschlossenen Lizenzvertrages zugebilligt.
Hierzu sagte der BGH jedoch:

Diese Art der Schadensberechnung kommt nur in Betracht, wenn davon ausgegangen werden kann, daß ein Vermögensschaden irgendwelcher Art zugefügt worden ist und nur der oftmals schwierige Nachweis der Höhe dieses Schadens erleichtert werden soll. Sie versagt, wenn eine Beeinträchtigung vermögensrechtlicher Belange überhaupt nicht in Frage steht. Sie versagt im vorliegenden Falle auch um deswillen, weil sie dem Kläger ein Verhalten unterstellen müsste, das er — und nicht nur er, sondern auch alle andern in der gleichen beruflichen und gesellschaftlichen Stellung befindlichen Personen — als kränkend und als erneute Persönlichkeitsminderung empfinden müssten. Sie müsste unterstellen, dass der Kläger sich für viel Geld doch freiwillig in die unwürdige Lage gebracht hätte, gegen die er sich nun wehrt. Dem Klaganspruch kann deshalb nicht auf Grund der vom Berufungsgericht gewählten Berechnungsmethode mit Hilfe der Fiktion einer entgangenen Lizenzgebühr stattgegeben werden.
In Wahrheit verlangt er nicht Ersatz eines gar nicht vorhandenen Vermögensschadens, sondern begehrt eine fühlbare Genugtuung für einen widerrechtlichen Eingriff in seine durch § 22 KunstUrhG, Art. 1 und 2 Grundgesetz geschützte Persönlichkeitssphäre.
Er begehrt Genugtuung dafür, dass ihn das weitverbreitete Plakat, indem es ihn ohne sein Wissen in der Pose des Herrenreiters für das — auch sexuelle — Kräftigungsmittel der Beklagten werben, man könnte fast sagen: reiten ließ, in eine weithin demütigende und lächerliche Lage gebracht hat.

Es ging hier also nicht um einen Vermögensschaden, sondern um einen immateriellen Schaden, welcher grundsätzlich gem. §§ 249, 250 BGB im Wege der Naturalrestitution zu ersetzen ist. Eine Naturalrestitution war jedoch hier unmöglich. Der BGH bejahte in diesem Fall dennoch den immateriellen Schaden, indem er die Verletzung des Rechtes am eigenem Bild der Verletzung des in § 847 BGB a.F. (heute: 253 Abs. 2 BGB) geschützten Rechtsgutes der Freiheit gleichstellte.

Die unbefugte Veröffentlichung des Bildes eines Menschen stellt, wie in der Rechtslehre seit langem anerkannt ist, einen Eingriff in die Freiheit der Selbstbestimmung und der freien Betätigung der Persönlichkeit. Das Unzulässige der eigenmächtigen Bildnisveröffentlichung durch einen Dritten liegt darin, dass damit dem Abgebildeten die Freiheit entzogen wird, auf Grund eigener Entschließung über dieses Gut seiner Individualsphäre zu verfügen.
Würdigt man unter diesem Blickpunkt die die Persönlichkeit beeinträchtigende Verletzung des Rechts am eigenen Bild, so lässt sich in diesem Bereich für die Frage, wie die Zubilligung des Ersatzes auch immaterieller Schäden im einzelnen begründet werden könne, schon an die Regelung anknüpfen, die § 847 BGB für den Fall der “Freiheitsentziehung” trifft und kraft deren er dem Verletzten auch wegen eines nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld gewährt. Zwar versteht das Bürgerliche Gesetzbuch hierunter Freiheitsentziehung die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Gewalt oder Bedrohung (BGB-RGRK § 823 Anm. 7), während es sich bei dem Tatbestand des § 22 KunstUrhG um eine Freiheitsberaubung im Bereich eigenverantwortlicher Willensentschließung handelt.
Bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ist jedoch schon mehrfach die Ansicht vertreten worden, dass als Freiheitsverletzung im Sinne des § 847 BGB jeder Eingriff in die ungestörte Willensbetätigung anzusehen sei (vgl. u.a. Staudinger, Anm. II A 2 c zu § 823 BGB). Nachdem nunmehr das Grundgesetz einen umfassenden Schutz der Persönlichkeit garantiert und die Würde des Menschen sowie das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit als einen Grundwert der Rechtsordnung anerkannt und damit die Auffassung des ursprünglichen Gesetzgebers des Bürgerlichen Gesetzbuches, es gäbe kein bürgerlich-rechtlich zu schätzendes allgemeines Persönlichkeitsrecht, berichtigt hat und da ein Schutz der “inneren Freiheit” ohne das Recht auf Ersatz auch immaterieller Schäden weitgehend unwirksam wäre, würde es eine nicht erträgliche Missachtung dieses Rechts darstellen, wollte man demjenigen, der in der Freiheit der Selbstentschließung über seinen persönlichen Lebensbereich verletzt ist, einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch hervorgerufenen immateriellen Schadens versagen. Begründet die schuldhafte Entziehung der körperlichen Freiheit einen Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, so ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es hindern könnte, die in § 847 BGB getroffene Regelung im Wege der Analogie auch auf solche Eingriffe zu erstrecken, die das Recht der freien Willensbetätigung verletzen, zumal auch bei dieser Freiheitsberaubung “im Geistigen” in gleicher Weise wie bei der körperlichen Freiheitsberaubung in der Regel eine Naturalherstellung ausgeschlossen ist. Bei Beeinträchtigungen der vorliegenden Art, durch die in den natürlichen Herrschafts- und Freiheitsraum des Einzelnen unter schuldhafter Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes eingegriffen wird, kann der nach dem Grundgesetz gebotene wirksame Rechtsschutz, solange es an einer gesetzlichen Sonderregelung fehlt, tatsächlich nur durch ihre Einbeziehung in die in § 847 BGB angeführten Verletzungstatbestände erzielt werden, weil ihre Schadensfolgen auf Grund der Natur des angegriffenen Rechtsgutes zwangsläufig in erster Linie auf immateriellem Gebiet liegen.

Seit der Soraya-Entscheidung (BVerfGE 34, 269) stützt der BGH bei schweren Beeinträchtigungen des APR, die nicht mehr anderweitig ausgeglichen werden können, den Schmerzensgeldanspruch nicht mehr auf die analoge Anwendung des § 253 Abs. 2 BGB, sondern leitet ihn unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG her.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Erscheinungsformen dienen in erster Linie dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit. Dieser Schutz wird dadurch verwirklicht, dass bei einer Verletzung dieser Rechte neben Abwehransprüchen auch Schadensersatzansprüche in Betracht kommen, die nicht nur auf den Ersatz materieller, sondern – wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann – auch auf den Ausgleich immaterieller Schäden gerichtet sind. Dieser Ausgleich beruht allerdings nicht auf einem Schmerzensgeldanspruch nach § 847 BGB, sondern auf einem Rechtsbehelf, der unmittelbar auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht (vgl. BVerfGE 34, 269, 282 u. 292 = GRUR 1974, 44, 46, 48 u. 50 – Soraya). Die Zubilligung einer Geldentschädigung in derartigen Fällen beruht auf dem Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. (Bundesgerichtshof, Az: I ZR 149/97, 01.12.1999)

28.10.2010/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2010-10-28 08:10:362010-10-28 08:10:36Zivilrecht-Klassiker: Herrenreiterfall (BGHZ 26,349)

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Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“

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Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. Ein nach §§ 823 […]

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16.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-16 15:42:082023-01-25 11:42:19Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“

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