Gleich in zwei kürzlich veröffentlichten Pressemitteilungen des OLG Hamm wird mit den Verkehrssicherungspflichten ein echter Prüfungsklassiker angesprochen. Dabei geht das Gericht auf die Fragen ein, in welchem Maße die Betreiber eines Supermarktes bzw. einer Diskothek dafür zu sorgen haben, dass ihre Kunden sich nicht verletzen, und inwiefern von diesen wiederum Eigenverantwortlichkeit zu fordern ist.
I. Sachverhalte
In beiden Fällen waren die jeweiligen Kläger aufgrund einer unerwarteten Beschaffenheit des Bodens zu Fall gekommen und hatten sich dabei in nicht unerheblichem Maße verletzt.
In der ersten Konstellation, die dem Urteil vom 05.04.2016 (Az.: 9 U 77/15) zugrunde liegt, endete eine Silvesterparty blutig: Die Nacht zum 01.01.2009 verbrachten die Klägerin und ihre Freunde in einer Bottroper Diskothek. In den frühen Morgenstunden kam sie jedoch auf der Tanzfläche zu Fall und zog sich aufgrund am Boden liegender Scherben eine tiefe Schnittverletzung an der rechten Hand zu. Diese wurden von den herbeigerufenen Sanitätern versorgt. Aufgrund der erlittenen physischen und psychischen Beeinträchtigungen verlangte die Dame u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 200.000 Euro. Die Betreiber der Disko waren allerdings der Meinung, die Klägerin habe im alkoholisierten Zustand ihr Glas fallen lassen und anschließend in eben jene Scherben gestürzt.
In der zweiten Fallgestaltung (13.09.2016 – Az.:9 U 158/15) zog sich ein zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alter Mann einen komplizierten Bruch seines linken Oberarms zu als er vor einem Supermarkt über eine 3 cm hohe Unebenheit der Gehwegplatten stürzte. Aus diesem Grund verlangte er von dem Supermarkt Zahlung von Schadensersatz, u.a. eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500 Euro.
II. Allgemeines zu Verkehrssicherungspflichten
In beiden Fällen stützten die Kläger ihr Schadensersatzverlangen darauf, dass die Betreiber des Supermarktes bzw. der Diskothek nicht ihren Verkehrssicherungspflichten nachgekommen seien. Diese werden vom BGH, u.a. in dem Urteil zu dem Sturz vor dem Supermarkt, wie folgt umschrieben:
„Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei ist zu beachten, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht zu erreichen und nach der berechtigten Verkehrsauffassung auch nicht zu erwarten ist. Deshalb umfasst die rechtlich gebotene Verkehrssicherung lediglich die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.“
Typische Fallgruppen sind dabei die Übernahme einer Obhutspflicht für das gefährdete Rechtsgut oder die Schaffung und Unterhaltung einer Gefahrenquelle. Die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht selbst und die Bestimmung ihres Umfangs hat sich an verschiedenen Kriterien wie der wirtschaftlichen Zuordnung der Gefahrenquelle und der Beherrschbarkeit der Gefahr, der Zumutbarkeit von Maßnahmen für den Verantwortlichen, der Möglichkeit Dritter, Maßnahmen zum Selbstschutz zu ergreifen und der Sicherheitserwartungen selbiger zu orientieren.
Das Stichwort „Verkehrssicherungspflicht“ fällt besonders häufig im Zusammenhang mit deliktischen Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB. Dort werden sie bei dem zweiten Prüfungspunkt, der Handlung bzw. dem pflichtwidrigen Unterlassen des Anspruchsgegners relevant. Dabei ist jedoch nicht jedes Unterlassen tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Rechtsgutsverletzung. Das Unterlassen ist vielmehr nur dann haftungsbegründend, wenn eine Handlungspflicht bestand. Eine solche besteht, wenn den Unterlassenden eine Verkehrssicherungspflicht trifft. Kann die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bejaht werden, so ist auch die Rechtswidrigkeit indiziert.
Allerdings spielen Verkehrssicherungspflichten auch innerhalb von vertraglichen (z.B. im Fall des Diskobesuches) und vertragsähnlichen (aufgrund des Sturzes vor dem Supermarkt kommt je nach Fallgestaltung ein vertraglicher Anspruch oder einer aus c.i.c. in Betracht) Schadensersatzansprüchen eine Rolle, dort dann im Rahmen der Pflichtverletzung.
III. Die Urteile
1. Sturz in der Disko
Im Fall der in der Diskothek gestürzten Frau war das Gericht in Anbetracht der Beweissituation davon überzeugt, dass sich die Flüssigkeit, auf der sie ausgerutscht war, ebenso wie die Scherben, an den sie sich dann verletzt hatte, bereits vor ihrem Sturz auf dem Boden befunden hatten und nicht etwa von einem von ihr selbst fallengelassenen Glas herrührten. Da die Klägerin so eine objektive Pflichtverletzung der Beklagten nachgewiesen habe, hätte es nun an dieser gelegen sich diesbezüglich zu entlasten. Nach Ansicht des BGH sei aber weder ein Organisationsverschulden noch Mängel bei der Ausführung getroffener Organisationsanordnungen auszuschließen gewesen. Ein Mitverschulden der Klägerin aufgrund von Alkoholisierung sei demgegenüber nicht nachgewiesen worden.
Hier spricht der BGH ein weiteres insbesondere aus dem Deliktsrecht und auch im Zusammenhang mit Verkehrssicherungspflichten bekanntes Klausurproblem an, nämlich das sog. Organisationsverschulden. Grundsätzlich haftet ein Geschäftsherr schon nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB für deliktische Handlungen seines Verrichtungsgehilfen, kann sich aber gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren, wenn er diesen sorgfaltsgemäß ausgewählt und überwacht hat. Daneben kann aber – und dies wird insbesondere in den Fällen, in denen die Exkulpation gelingt relevant – eine Haftung des Geschäftsherrn nach § 823 Abs. 1 BGB für die Verletzung von Organisationspflichten, als Unterfall der Verkehrssicherungspflichten, bestehen. Im konkreten Fall käme diesbezüglich beispielsweise in Betracht, dass der Betreiber der Diskothek seine Mitarbeiter nicht in ausreichendem Maße dazu angewiesen hat, regelmäßig zu kontrollieren, ob sich Scherben auf dem Boden befinden.
2. Sturz vor dem Supermarkt
Im Fall des vor dem Supermarkt gestürzten Mannes wurde neben der Pressemitteilung auch bereits das Urteil veröffentlicht. Darin äußert sich der BGH konkret zu den Anforderungen, die an den Supermarktbetreiber zu stellen waren:
„Ein Gehweg muss sich grundsätzlich in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befinden, der eine möglichst gefahrlose Benutzung zulässt. Daraus folgt nicht, dass die Verkehrsfläche schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein muss. Wie andere Verkehrsteilnehmer auch haben Fußgänger die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen, wie sie sich ihnen erkennbar zeigen, sowie mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen und sich hierauf einzustellen. Insoweit muss sich der Fußgänger den gegebenen Wegeverhältnissen anpassen und hat den Weg so zu benutzen, wie er sich ihm offensichtlich darstellt.“
Unebenheiten zwischen 2,0 und 2,5 cm seien dabei noch hinzunehmen. Im konkreten Fall befanden sich in dem Bereich, in dem der Kläger gestürzt war jedoch Unebenheiten von bis zu 3 cm. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt es aber nicht darauf an, dass der Verletzte beweisen kann genau an einer Stelle von >2,5 cm gestürzt zu sein:
„Steht fest, dass der Geschädigte im Bereich einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle gestürzt ist, spricht nach ständiger Rechtsprechung (…) der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sich hier die Vernachlässigung der Verkehrssicherungspflicht im Sinne der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schadenereignis ausgewirkt hat. (…) Vielmehr obliegt es der Beklagten nachzuweisen, dass der Kläger an der Kante in einem Bereich hängen geblieben ist, der einen geringeren Höhenunterschied als 2,0 cm oder 2,5 cm aufweist, bzw. der Kläger aus Gründen gestürzt ist, die nicht auf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht beruhen.“
Grundsätzlich hat das OLG also einen Verstoß des Supermarktes gegen dessen Verkehrssicherungspflichten angenommen. Dennoch wurde dem Kläger nicht in vollem Umfang ein Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen. Nach Ansicht des Gerichts traf ihn bei dem Sturz nämlich ein Mitverschulden von 50 %, weil auch er schlichtweg hätte besser aufpassen müssen:
„Eine völlige Gefahrlosigkeit eines Gehwegs kann von den Kunden bzw. Passanten nicht erwartet werden. (…) Auch der Fußgänger in einem Gehwegbereich muss daher auf seinen Weg achten. Dabei ist danach zu differenzieren, in welchem Umfang der Fußgänger durch die Umgebung abgelenkt ist. So wird man in einer Fußgängerzone konzedieren müssen, dass der Passant genau das macht, was er machen soll, nämlich auf die Auslagen achten. Eine solche Ablenkung liegt hier nicht vor. Der Bereich des Treppenaufgangs ist ungeschickt ausgeführt. (…) Angesichts dessen musste der Kläger, wenn er die den Treppenaufgang abgrenzende Mauer schon in einem engen Bogen nimmt, dann auch seinen Blick unmittelbar vor dem Übergang nach unten richten. Der Sturz war dann vermeidbar. Die danach erforderliche Aufmerksamkeit hat der Kläger nicht aufgebracht.“
IV. Fazit
Die Inhalte von Verkehrssicherungspflichten wurden sowohl von den Obergerichten als auch dem BGH schon mehrfach konkretisiert. Weitere Beiträge auf juraexamen.info findet ihr u.a. hier, hier, hier und hier. Es handelt sich nicht nur um eine in der Praxis relativ häufig auftretende Thematik, sondern auch um einen für Examensklausuren bestens geeigneten Anknüpfungspunkt. Weitere Problemkreise, die in diesem Zusammenhang typischerweise eine Rolle spielen können sind die Haftung für eigenes und fremdes Verschulden (auch das Stichwort: Dezentralisierter Entlastungsbereich), im Bereich der c.i.c. auch der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (das seine Eltern begleitende Kind, das vor dem Supermarkt stürzt). Eine Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten, sowie bereits entschiedenen Sachverhalten lohnt sich also und kann im Ernstfall Inspiration für die eigene Argumentation bieten!
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Das OLG Oldenburg entschied, dass die Zerstörung von Daten auf einer Festplatte eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstelle (Beschl. v. 24.11.2011, Az. 2 U 98/11). Im Sachverhalt ging es um ein beklagtes Bauunternehmen, welches bei Baumaßnahmen Stromleitungen beschädigte. Aufgrund der beschädigten Kabel kam es in der Folge zu einem Datenverlust bei dem klagenden Unternehmen. Die verlorenen Daten mussten mithilfe von Software-Experten Wiederhergestellt werden. Hierbei fiel eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Arbeitsstunden an, die das klagende Unternehmen im Wege der Klage geltend machte.
Daten auf magnetischen Laufwerken
Das Gericht war der Ansicht, dass auf Datenträgern gespeicherte Daten vom Eigentumsschutz erfasst seien. Durch die Zerstörung der Daten sei eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB eingetreten, so dass im Ergebnis ein Schadensersatzanspruch bestünde. Als Argument führte das Gericht insbesondere an, dass bei der Speicherung auf magnetischen Datenträgern eine Verkörperung des Datenbestandes im Material vorliege.
Die Entscheidung kommt überraschend, da in solchen Fällen regelmäßig ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht nach § 823 Abs. 1 BGB diskutiert wird. Eine solche Verletzung wird in diesen Fällen regelmäßig verneint, da es beim Durchtrennen von Stromkabeln an der Betriebsbezogenheit des Eingriffs fehlt. Die Entscheidung des OLG stellt insofern eine beträchtliche Haftungserweiterung dar.
Andere Datenträger?
Sofern man der Logik des OLG folgen mag, so stellen sich weitere Abgrenzungsfragen: Wie ist es mit Flashspeichern? Welche Folgen hat das Cloud-Computing? Und wäre es nicht willkürlich nur magnetische Datenträger von der Haftung zu erfassen? Die Fragen zeigen, dass der Tatbestand des § 823 BGB auch heute noch einer Konturierung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bedarf. Die geschilderten Probleme sind deshalb höchst examensrelevant.
Vor kurzem ereignete sich ein beinahe unvorstellbarer Sachverhalt in den Vorgärten des Hamburger Vororts Bramberg (siehe eine Aufnahme vor Ort hier oder auch hier).
Der Fall Thessa
Die fünfzehnjährige Schülerin Thessa (oder auch „Tessa“, das konnte ich leider nicht verifizieren, ich hoffe, mir sei verziehen) hatte bei Facebook ihre Geburtstagseinladung gepostet. Diese Einladung war, bedingt durch ein Versehen, als „öffentlich“ gekennzeichnet, d.h. die Einladung war für alle Facebooknutzer einsehbar. Mehr als 15.000 Partywütige aus ganz Deutschland hatten bei Facebook ihr kommen angekündigt. Als Thessa das Missgeschick bemerkte und sogar ihr Facebook-Profil löschte, hatte sich die „Party des Jahres“, wie die Schülerin sie nannte, bereits über Facebook hinaus verselbstständigt. In Blogs und auf verschiedensten Internetseiten und sozialen Netzwerken wurden die User dazu angehalten, Thessas Geburtstagsparty zu besuchen.
Es tauchten zum Zeitpunkt der angekündigten Feier tatsächlich über 1.000 Menschen auf, obwohl Thessas Party abgesagt wurde. Die Situation artete aus: Vermummte Partygäste pöbelten gegen die Polizei und stimmten Sprechchöre an. Blumenbeete wurden zertrampelt. Darüber hinaus flogen Bierflaschen durch die Luft und Feuerwerkskörper explodierten. Im Laufe des Abends wurden Mülltonnen und sogar eine Gartenlaube angezündet. Auch einige Autos wurden leicht beschädigt.
Rechtliche Implikationen
In rechtlicher Hinsicht stellt sich nun für die Nachbarn von Thessas Familie die Frage, von wem sie Ihre Schäden ersetzt verlangen können. Selbstredend bestehen deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m den Schutzgesetzen aus dem StGB gegen die unmittelbaren Störer. Da sich eine Vielzahl der Randalierer nicht mehr ausmachen lässt, stellt sich darüber hinaus die weitaus interessantere Frage, ob Ansprüche der Nachbarn auch gegen Thessa oder ihre Eltern bestehen.
I. Ansprüche gegen Thessa
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB könnte demnach einem der betroffenen Nachbarn direkt gegen die fühnzehnjährige Thessa zustehen. Hierfür müssten die Tatbestandsmerkmale des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt sein.
1. Rechtsgutsverletzung: Eine Rechtsgutsverletzung besteht vorliegend in dem beschädigten Eigentum der Nachbarn. Zusätzlich können bestimmte Nachbarn unter erhöhtem beweisrechtlichen Aufwand Gesundheitsschäden geltend machen, sofern der Lärm zu einem außerordentlichen Schlafentzug geführt hat.
2. Handlung: Als schadensbegründende deliktische Handlung von Thessa wäre hier das Einstellen der Party auf Facebook zu diskutieren.
3. Haftungsbegründende Kausalität: Bei diesem Punkt bestehen bereits ernsthafte Bedenken. Das Einstellen der Party auf Facebook war selbsverständlich äquivalent kausal (d.h. conditio sine qua non) für den eingetretenen Schaden. Hätte Thessa die Party nicht online angekündigt, wäre es nicht zu dem Ansturm an Partygästen und damit zu den Verwüstungen gekommen.
Fraglich ist jedoch, ob ein solcher Ausgang bereits vorhersehbar – also adäquat kausal war (zur Eingrenzung durch die adäquate Kausalität siehe BGHZ 41, 125; offengelassen in BGH 57, 27 f.). Grundsätzlich gilt, dass das Dazwischentreten eines Dritten für sich gesehen noch nicht dazu ausreicht, um die adäquate Kausalität zu verneinen. In diesem Fall müsste man entsprechend der allgemeinen Verkehrsanschauung bewerten, ob ein solcher Verlauf gänzlich außergewöhnlich und nicht zu erwarten war. Dies wäre im vorliegenden Fall wohl zu verneinen, da bei einer öffentlichen, an tausende von Menschen gerichteten Einladung damit zu rechnen ist, dass davon auch einige erscheinen werden.
Schließlich kann das Erfordernis der haftungsbegründenden Kausalität auch noch nach der Lehre des Schutzzwecks der Norm zu verneinen sein. Hiernach sind nur diejenigen Rechtsgutsverletzungen zurechenbar, die vom Schutz des § 823 Abs. 1 BGB erfasst sind. Beispielsweise ist ein Nervenschock, der aufgrund einer Unfallmeldung über eine dem Geschädigten nicht nahestehende Person ergeht, dem Auslöser nicht zurechenbar. Ein solcher Schaden fällt vielmehr unter die Kategorie des allgemeinen Lebensrisikos. Im vorliegenden Fall würde eine solche Annahme aber wohl zu verneinen sein. Eine Massenparty mit über 1.000 Teilnehmern findet nicht ohne Auslöser statt und stellt damit kein allgemeines Lebensrisiko dar. Die haftungsbegründende Kausalität ist damit zu bejahen.
4. Rechtswidrigkeit: Durch die Tatbestandsmäßigkeit ist die Rechtswidrigkeit bereits indiziert.
5. Verschulden: Ein Verschulden von Thessa könnte hier in Form von Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 BGB) vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn Thessa die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hätte. In diesem Kontext stellt sich somit die diskussionswürdige Frage, welche Verhaltensmaßstäbe beim Erstellen von Facebook-Einträgen zu erwarten sind.
Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass das Entstehen einer Massenparty, wie im Fall von Thessa zwar theoretisch möglich, aber dennoch eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Deshalb kann vom Facebook-Nutzer nicht erwartet werden, mit gehöriger Sorgfalt bei Partyeinladungen zu prüfen, ob diese als öffentlich oder privat gekennzeichnet wurde. Insofern lag beim Erstellen von Thessas Einladung (ohne eine sorgfältige Prüfung dessen Inhalts ) noch kein fahrlässiges Verhalten vor.
Ein anderer Anknüpfungspunkt für eine deliktische Handlung stellt allerdings die fehlende Überwachung einer solchen Einladung dar. Sobald Thessa bemerken konnte, dass die Facebook-Einladung „öffentlich“ war und eine Vielzahl an Menschen ihr Kommen ankündigten, musste sie den Status ändern. Eine solche Pflicht ergibt sich als Verkehrssicherungspflicht, die hier durch die Schaffung einer potentiellen Schadensquelle vorliegt. Da Thessa (soweit ich den Sachverhalt richtig erfassen konnte) aber sofort reagiert hat und innerhalb kürzester Zeit ihre Anmeldung zurück zog, dürfte sie dieser Verkehrssicherungspflicht nachgekommen sein.
Aus diesem Grund fehlt es an der Fahrlässigkeit von Thessas Verhalten, so dass ein Verschulden i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.
6. Ergebnis: Thessa haftet den Nachbarn nicht aus § 823 Abs. 1 BGB.
(7. Haftungsausschluss:) Sofern man allerdings eine Haftung von Thessa bejaht hätte, wäre ein Ausschluss der Haftung nach § 828 Abs. 3 BGB noch zu diskutieren. Hiernach ist die Haftung von über siebenjährigen Minderjährigen ausgeschlossen, wenn die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht beim Minderjährigen fehlt. In diesem Fall würde man wohl argumentieren, dass ein Minderjähriger durchaus nachvollziehen kann, dass eine Einladung an eine extrem hohe Zahl an Teilnehmern eine Party von erheblichem Ausmaß und damit auch ein erhebliches Störerpotential entfalten kann. Die Einsichtsfähigkeit wäre dann im speziellen Einzelfall von Thessa zu evaluieren, wobei man diese wohl gut vertretbar bejahen könnte.
II. Haftung der Eltern von Thessa
Eine Haftung von Thessas Eltern kommt lediglich nach § 832 BGB in Betracht. Es handelt sich hierbei um eine Haftung für vermutetes eigenes Verschulden der Eltern. Die Eltern wären allerdings sehr wahrscheinlich in der Lage, die Haftung nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB auszuschließen, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht genüge getan haben.
Von Eltern wird nicht erwartet, dass sie ihre Kinder rund um die Uhr überwachen. Auch in Bezug auf Internettätigkeiten der Kinder wird es als ausreichend angesehen, wenn die Eltern die Kinder grundsätzlich und generell über die Gefahrenpotentiale des Internets aufklären. Einem fünfzehnjährigen Kind die Nutzung des Internets oder Facebook zu verbieten, wäre eine unverhältnismäßige Maßnahme, die von den Aufsichtspflichten der Eltern auch nicht erfasst ist.
Eine Haftung der Eltern ist aus diesem Grund schwerlich zu begründen.
Folglich können die Nachbarn sich lediglich an die unmittelbaren Störer halten. Eine Haftung von Thessa oder ihren Eltern besteht (bei Annahme des oben geschilderten Sachverhalts) nicht.
Examensrelevanz
Da der Fall kurios, aktuell und rechtlich nicht unkompliziert ist, eignet er sich hervorragend für eine mündliche Prüfung. Auch in eine Klausur könnte der Fall in Zukunft Eingang finden. Die Probleme rund um die Kausalität und das Verschulden von Thessa können durchaus anders gelöst werden – wichtig ist lediglich, dass eine wohlbegründete Ansicht des Prüflings erkennbar ist.