Angesichts der an uns herangetragenen, durchaus hohen Nachfrage an „Checklisten“ und „Definitionsübersichten“ sollen im Folgenden die gängigen Definitionen der wichtigsten Begrifflichkeiten aus dem Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht aufgelistet werden.
Gefahr: Ergibt sich bei einem Lebenssachverhalt, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den polizeilichen bzw. ordnungsrechtlichen Schutzgütern führen wird. Maßgeblich ist dabei die Prognose eines fähigen, sachkundigen und besonnenen Beamten aus der ex-ante Perspektive.
Öffentliche Sicherheit: Zu den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit zählt man den Schutz der Individualrechtsgüter (insbesondere individuelle Grundrechtspositionen), den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsordnung sowie den Schutz des Bestands und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger.
Öffentliche Ordnung: Die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes und gedeihliches Zusammenleben innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (außerrechtliche Sozialnormen).
Anscheinsgefahr: Liegt vor, wenn ein besonnener, sachkundiger und fähiger Beamter aus der ex-ante Perspektive redlicher Weise in einer konkreten Situation von einer Gefahr ausgehen durfte, die sich im Nachhinein aber als ungefährlich herausstellt. Die Anscheinsgefahr steht einer tatsächlichen Gefahr gleich.
Scheingefahr/Putativgefahr: Im Gegensatz zur Anscheinsgefahr spricht man von einer Scheingefahr, wenn der Beamte in vorwerfbar irriger Weise eine Gefahrenlage angenommen hat, die sich im Nachhinein allerdings als harmlos erweist. Eine Scheingefahr wird nicht mehr vom polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriff erfasst.
Gefahrenverdacht: Liegt vor, wenn sich eine Gefahrenlage aufgrund vorhandener Erkenntnislücken nicht abschließend beurteilen lässt. Die Behandlung dieser Rechtsfigur ist nach wie vor äußerst umstritten (v.a. im Hinblick auf die Frage der Kostentragungspflicht bei Maßnahmen zur Gefahrenerforschung). Als Leitlinie kann festgehalten werden: Je gewichtiger die bedrohten Schutzgüter bzw. das Ausmaß drohender Schäden ist, desto eher kann der Gefahrenverdacht als Gefahr im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne verstanden werden. Grundsätzlich rechtfertigt das Vorliegen eines Gefahrenverdachts lediglich das Einleiten weiterer „Gefahrenerforschungsmaßnahmen“.
Gegenwärtige Gefahr: Verlangt eine besondere zeitliche Nähe des drohenden Schadensereignisses. Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn sie bereits eingetreten ist oder ihre Realisierung unmittelbar bevorsteht.
Erhebliche Gefahr: Liegt vor, wenn der drohende Schaden für die polizeilichen Schutzgüter nach Art oder Ausmaß besonders schwerwiegend ist.
Dringende Gefahr: (str.): Hier wird teilweise auf die besondere zeitliche Nähe (Gegenwärtigkeit) des drohenden Schadens abgestellt. Andere verlangen wiederum eine besondere Qualität des bedrohten Schutzgutes (vgl. erhebliche Gefahr). Eine vermittelnde Ansicht setzt voraus, dass die Gefahr (alternativ) entweder „erheblich“ oder „gegenwärtig“ sein muss. Eine weitere Ansicht legt den Begriff der dringenden Gefahr sehr eng aus und verlangt, dass die Gefahr (kumulativ) „dringend“ und „gegenwärtig“ ist.
Gefahr im Verzug: Liegt regelmäßig dann vor, wenn vorgesehene Verfahrenswege oder Zuständigkeiten nicht eingehalten werden, weil andernfalls eine effektive Gefahrenabwehr nicht möglich ist.
Abstrakte Gefahr: Ist in der Regel gegeben, wenn ein Sachverhalt bei generell-typischer Betrachtungsweise (also losgelöst vom konkreten Einzelfall) regelmäßig in ein Schadensereignis mündet. Siehe dazu hier.
Handlungsstörer: Ist derjenige, der durch sein Verhalten selbst die konkrete Gefahr unmittelbar herbeigeführt hat und damit in eigener Person die Gefahrenschwelle überschritten hat (h.M.: „Theorie der unmittelbaren Verursachung“). Bei mehreren zusammenwirkenden Ereignissen i.S. einer Kausalkette, verursacht nur das letzte wirkende Ereignis die Gefahr.
Zustandsstörer: Zustandsverantwortlich sind Personen, wenn von Sachen oder Tieren, über die sie die tatsächliche Gewalt oder an denen sie das Eigentum haben, Gefahren ausgehen. Erfasst werden also diejenigen, die auf die gefährliche Sache dergestalt einwirken können, dass ihre Inpflichtnahme für die Abwehr der Gefahr sinnvoll erscheint.
Nichtstörer: Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Nichtstörerinanspruchnahme zählen regelmäßig (vgl. § 6 PolG NW bzw. § 19 OBG NW): Das Vorliegen einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr, die Unmöglichkeit oder Erfolgslosigkeit der Inanspruchnahme des Handlungs- oder Zustandsstörers, die Unfähigkeit der zuständigen Behörde die Gefahr selbst oder durch Dritte beseitigen zu lassen sowie die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme, die für den Nichtstörer ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten zu bewerkstelligen sein muss.
Zweckveranlasser: Liegt im Sinne der „Lehre von der unmittelbaren Verursachung“ vor, wenn ein Veranlasser das Verhalten dessen, der die Gefahr oder Störung unmittelbar verursacht hat, subjektiv oder objektiv bezweckt hat. Siehe zu dem Thema folgenden Beitrag.
Rechtsnachfolge in die Ordnungspflicht: Die Frage der Nachfolge in die Störerhaftung zählt zu den umstrittensten Fragen des Polizei- und Ordnungsrechts, was sicherlich auch daran liegt, dass sie gesetzlich nicht normiert ist. Man unterscheidet dabei zwischen der Einzelrechtsnachfolge (Singularsukzession) und der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession). Die Inanspruchnahme im Wege der Nachfolge setzt (nach J. Dietlein) voraus, dass 1. eine konkretisierte individuelle Pflichtenposition besteht, 2. dass diese durch polizeiliche oder ordnungsbehördliche Verfügung konkretisierte Pflicht auch nachfolgefähig ist (vertretbare Handlung), was jedenfalls bei sog. „höchstpersönlichen Pflichten“ verneint wird. Schließlich ist 3. das Vorliegen eines Nachfolgetatbestands erforderlich.
Platzverweisung: Die Platzverweisung bietet in der Regel zwei miteinander zu kombinierende Handlungsalternativen. Sie erfasst zunächst die behördliche Befugnis, eine Person des Ortes zu verweisen (Entfernungsgebot) und zum anderen die Befugnis, einer Person das Betreten eines bestimmten Ortes zu verbieten (Betretungsverbot). Maßgeblich bei einer Platzverweisung ist, dass sie – im Gegensatz zu sog. „Aufenthaltsverboten“ – lediglich vorübergehender Natur ist. Mehrtätige Platzverweisungen dürften schon mit Blick auf Art. 11 GG unzulässig sein.
Ingewahrsamnahme: Das zeitlich befristete Festhalten einer Person an einem eng umgrenzten Ort gegen oder ohne ihren Willen (str.: der sog. „Verbringungsgewahrsam“).
Durchsuchung: Bezeichnet das zielgerichtete Suchen von Gegenständen, deren Belegenheitsort der Besitzer bzw. Eigentümer von sich aus nicht freiwillig offenbaren will. Die Durchsuchung von Personen ist abzugrenzen von der körperlichen Untersuchung, die von den polizei- und ordnungsrechtlichen Befugnisnormen nicht erfasst wird.
Sicherstellung: Bezeichnet den behördlichen Entzug der tatsächlichen Verfügungsmacht über eine Sache und die Begründung eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses. Eine Sicherstellung liegt indes nicht vor, wenn es an einem behördlichen Willen zur Begründung eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses fehlt.
Da die vorliegende Übersicht die Begriffe lediglich kursorisch erfasst und etwaige Streitigkeiten allenfalls kurz dargestellt sind, wird empfohlen die entsprechenden Begriffe und Problempunkte mit Hilfe eines Lehrbuches zu vertiefen. Lektüreempfehlung: Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, 4. Auflage 2011; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Auflage 2012; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Auflage 2011.
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