Der BGH hat in einem Beschluss vom 27.07.2010 (1 StR 345/10) entschieden, dass ein Gericht nicht daran gehindert ist, die angegebene Obergrenze als Strafe zu verhängen, wenn das Gericht gemäß § 257c III 2 StPO eine Ober- und Untergrenze der Strafe angibt.
Sachverhalt
Der Angeklagte wurde wegen des Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Urteil war eine Verständigung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten vorausgegangen, in der das Gericht eine Ober- und Untergrenze der Strafe angegeben hatte. Nachdem Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichts zugestimmt hatten, wurde der Angeklagte zu der als Obergrenze angegebenen Strafe verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er bringt vor, dass die Verurteilung zu Unrecht erfolgt sei, da die angegebene Obergrenze nicht hätte erreicht werden dürfen, zumal das Gericht mit der angegebenen Untergrenze einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Der BGH hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Rechtlicher Hintergrund
Mit Einführung des § 257c StPO sollte der Deal im Strafverfahren transparenter gestaltet werden. Dabei sollten die Grundsätze der Strafzumessung und des Strafverfahrens unberührt bleiben. Da ein Konsens dem Strafverfahrensrecht fremd ist, hat das Gericht den tatsächlichen Sachverhalt zu seiner Überzeugung aufzuklären und die Strafe an den Kriterien der Tat- und Schuldangemessenheit auszurichten. Bereits vor Inkrafttreten des § 257c StPO war umstritten, ob das Gericht anhand einer Prognose der möglichen Szenarien und der Reichweite eines noch abzugebenden Geständnisses den Rahmen von Ober- und Untergrenzen einer möglichen Strafe angeben dürfe, wie es nach § 257c III 2 StPO möglich ist. Dadurch, dass Staatsanwaltschaft und Gericht sich bereit erklärten, eine bestimmte Untergrenze zu akzeptieren, werde ein Vertrauenstatbestand geschaffen, so dass auch kein Raum mehr für eine darüber hinausgehende Obergrenze bestehe.
Entscheidung des BGH
Dieser Kritik hat der BGH mit der vorliegenden Entscheidung eine klare Absage erteilt. Bei einer Verständigung gemäß § 257c StPO ist das Gericht nicht gehindert, die gemäß § 257c III 2 StPO angegebene Obergrenze der Strafe als Strafe zu verhängen. Hiernach kann das Gericht unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung einer bestimmten Strafe («Punktstrafe»; vgl. hierzu BGH, Beschluß vom 22.08.2006 – 1 StR 293/06) bleibt nach wie vor unzulässig. Das Gericht kann im Einverständnis mit den Verfahrensbeteiligten nur einen Strafrahmen vereinbaren. Hierbei darf der Angeklagte aber nicht mit einer weit geöffneten «Sanktionsschere» unter Druck gesetzt werden. Die Angabe eines Strafrahmens entspricht dem Grundsatz, dass das Gericht bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe einen Beurteilungsspielraum hat, der nur eingeschränkt vom Revisionsgericht überprüft werden kann. Die Angabe eines Strafrahmens durch das Gericht führt aber nicht dazu, dass es nur die Strafuntergrenze als Strafe festsetzen darf. Einen derartigen Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht geschaffen. Die Entscheidung über die konkrete Strafe bleibt der abschließenden Beratung durch das Gericht vorbehalten. Der Angeklagte kann nur darauf vertrauen, dass die Strafe innerhalb des angegebenen Strafrahmens liegt. Er muss daher auch damit rechnen, dass die Strafe die Strafrahmenobergrenze erreicht.
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Das mittlerweile schon legendäre Victory Zeichen Josef Ackermanns i.R.d. so genannten Mannesmann-Prozesses, der kurze und mit einer Geld- und Bewährungsstrafe endende Prozess des Vorzeigemanagers Klaus Zumwinkel oder der „Fall Harz“; diese in der Öffentlichkeit breit diskutierten Strafverfahren bringen die Volksseele zum Kochen, denn es entsteht offensichtlich der Eindruck, wer „arm sei, müsse sitzen“. Denn wer das nötige Kleingeld auf die Richterbank lege, so der nicht ganz von der Hand zu weisende Verdacht, der könne einer öffentlichen Verhandlung, mit allen damit verbundenen Peinlichkeiten entgehen und darüber hinaus auch noch eine milde, eine zu milde Strafe erwarten.
Hintergrund der genannten Problematik sind die so genannten Absprachen oder „Deals“ im Strafprozess, die bisher keine ausdrückliche Regelung in StGB oder StPO gefunden haben. Die Grundsätze dieses Instituts sind von den Gerichten im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt worden.
Künftig § 257c StPO
Die neue Regelung, der bisher lediglich ein Entwurf von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) zu Grunde liegt, soll sich zukünftig in § 257c StPO finden lassen. Gegenstand der Absprache dürfen demzufolge nur die Rechtsfolgen sein, aber auch Geständnisse, Einstellungsvoraussetzungen oder Verzicht auf Beweismittel können erfasst sein.
Dem Entwurf zu Folge kommt die Absprache durch Vorschlag des Gerichts und der Zustimmung des Staatsanwaltschaft und des Angeklagten zu Stande. Wichtig und richtungweisend sind zudem die Bestimmungen zu Transparenz, bzw. Öffentlichkeit der Verständigung. In diesem Rahmen sollen allenfalls vorbereitende Gespräche im Vorfeld zulässig sein, die aber zu protokollieren sind. Auch Regelungsinhalt der neuen Vorschrift soll das Scheitern der Absprache werden; sei es, weil es im Vorfeld zu einer unrichtigen Prognose gekommen ist oder das Verhalten des Angeklagten dazu Anlass gibt. Ebenso wie bisher von der Rechtssprechung als unzulässig angesehen, wird ein Verzicht auf Rechtsmittel nicht möglich sein.
Im Ergebnis aber nichts neues…
Ingesamt ist die neue Regelung zu begrüßen, insbesondere da sie inhaltlich größtenteils an die gängige Gerichtspraxis anknüpft. Die Ziele der Entlastung der Gerichte und die Effektivität der Strafverfolgung können hiermit wirkungsvoll und nun auch rechtssicher verfolgt werden. Dennoch ist zu beachten, dass sich das Gericht der herausragenden Pflicht der Wahrheitsfindung nicht durch eine einfache Absprache entledigen kann. Auch ist zu beachten, dass mit den Instituten des Vereinfachten Verfahrens, bzw. des Strafbefehls geeignete Instrumenten zur Verfügung stehen, die aber gerade in langwierigen Prozessen keine Abhilfe schaffen können. Mit der medienwirksamen und überspitzten Darstellung vom „Geklüngel im Richterzimmer“ ist aber jedoch weiterhin zu rechnen.