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Schlagwortarchiv für: Covid-19

Tobias Vogt

Erstes BGH-Urteil zur Gewerberaummiete während Coronalockdown

BGB AT, Examensvorbereitung, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Muss ein gewerblicher Mieter die Ladenmiete weiterzahlen während er sein Ladengeschäft aufgrund einer staatlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Coronapandemie nicht für den Kundenverkehr öffnen darf? Diese Frage stellten sich nicht nur die betroffenen Mieter und Vermieter sondern auch Öffentlichkeit und Juristen seit dem Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020. Mit Spannung erwartet wurde daher die brandaktuelle Entscheidung des BGH – zumal sich die Oberlandesgerichte in dieser Rechtsfrage nicht einig waren. Die Examensrelevanz dürfte damit auf der Hand liegen.
Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang:
Dem Urteil liegt ein Rechtstreit zwischen Kik (Einzelhandel für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs) und dessen Vermieterin zugrunde. Aufgrund einer Allgemeinverfügung anlässlich der Coronapandemie musste das Ladengeschäft im Zeitraum vom 19. März bis zum 19. April 2020 geschlossen bleiben. Die Vermieterin verlangte auch für diesen Zeitraum die Zahlung der vollen Miete, wozu Kik nicht bereit war.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht verurteilte Kik zur Zahlung der Miete in voller Höhe (LG Chemnitz Urteil vom 26.8.2020 – 4 O 639/20).
Mit der Berufung hatte Kik jedoch teilweise Erfolg: Das OLG Dresden (OLG Dresden Urteil vom 24.2.2021 – 5 U 1782/20) sah nur die Hälfte der Miete als geschuldet an. Das OLG Dresden stütze sich hierbei auf eine Vertragsanpassung wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB. In der Regel sei bei einer coronabedingten Schließung eine Reduzierung der Kaltmiete um 50 % gerechtfertigt, weil keine der Vertragsparteien eine Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt oder sie vorhergesehen hat. Es sei demzufolge angemessen, die damit verbundene Belastung gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen.
Divergierende OLG-Rechtsprechung:
Andere Ansicht als das OLG Dresden und das mit diesem auf einer Linie liegende Kammergericht Berlin (KG Urteil vom 1.4.2021 – 8 U 1099/20) ist das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2021 – 7 U 109/20, Revision anhängig beim BGH unter dem Az. XII ZR 15/21): Die Karlsruher Oberlandesrichter kamen zum Ergebnis, dass die volle Miete zu zahlen sei. Eine Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB lehnten sie ab. Dem Mieter sei das unveränderte Festhalten am Gewerberaummietvertrag in der Regel erst dann unzumutbar, wenn dessen Inanspruchnahme zur Vernichtung seiner Existenz führen würde; unter Umständen genüge auch bereits eine schwere Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens. Hierbei zu berücksichtigen sei auch, ob der Mieter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkung jedenfalls teilweise kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat (zB wegen Kurzarbeitergeld oder weggefallenen Wareneinkaufs).
Urteil des BAG vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21:
Auf die Revisionen der Vermieterin, die nach wie vor die volle Miete verlangt, und der Beklagten Kik, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Dresden aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.
Zunächst stellt der für gewerbliches Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat klar, dass die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht durch die für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. September 2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen ist. Diese Regelung habe nach seinem eindeutigen Wortlaut und seinem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel und sage nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aus.
Bevor der BGH auf eine mögliche Anpassung nach § 313 BGB zu sprechen kommt, äußert er sich zum Vorliegen eines Mangels nach § 536 Abs. 1 S. 1 BGB, der zum Wegfall oder zur Minderung der Miete qua Gesetz führen würde:
Ein Mangel liege nicht vor, so der BGH. Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann dies zwar einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht (so bereits BGH Urteil vom 13.7.2011 – XII ZR 189/09). Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfülle diese Voraussetzung nicht. Denn die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpfe allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte.
Der BGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass durch die Allgemeinverfügung weder der Vermieterin die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Mieterin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten wird. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich nach der Entscheidung des BGH auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Der Mieter könne nicht davon ausgehen, dass die Vermieterin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollte.
Da demnach grundsätzlich nach dem Mietvertrag die volle Miete geschuldet ist, bliebe nur noch die Möglichkeit der Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB. Dies komme in Fällen der coronabedingten Geschäftsschließung grundsätzlich in Betracht, betont der XII. Zivilsenat.
Auch bejaht der BGH das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzung des § 313 Abs. 1 BGB – der schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags durch die behördliche Schließung des Ladengeschäfts aufgrund der Coronapandemie. Hierfür spreche auch die als Reaktion auf die Coronapandemie vom Gesetzgeber neu eingefügte Regelung des Art. 240 § 7 EGBGB, wonach vermutete wird, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
Eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB erfolgt jedoch nur, wenn auch die weitere – normative – Voraussetzung der Vorschrift erfüllt ist. Dies setzt voraus, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Hierbei konnte der BGH nicht auf die Vermutungsregel des Art. 240 § 7 EGBGB zurückgreifen. Denn diese führt aber nicht etwa dazu, dass stets von dem Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des § 313 BGB auszugehen wäre: Die Regelung schafft eine tatsächliche Vermutung, dass sich ein Umstand iSd § 313 Abs. 1 BGB, der Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert hat. Die Vermutung ist widerleglich und gilt nur für dieses reale Merkmal des § 313 Abs. 1 BGB. Das normative Merkmal des § 313 Abs. 1 BGB, dass dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, wird von der Vermutungsregelung nicht erfasst (OLG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2021 – 7 U 109/20; so auch Brinkmann/Thüsing, NZM 2021, 5).
Der BGH stellt ausdrücklich klar, dass – wie in § 313 Abs. 1 vorgesehen – auch in Fällen der coronabedingten Ladenschließung stets eine umfassende Einzelfallabwägung erforderlich ist. Einer pauschalen Halbierung der Miete, wie sie das OLG Dresden vorgenommen hatte, schiebt der BGH damit einen Riegel vor.
Zwar ist auch nach der Ansicht des BGH regelmäßig eine Anpassung vorzunehmen, da sich durch die Covid-19-Pandemie letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat und die Betriebsschließung gerade nicht auf einer unternehmerischen Entscheidung oder enttäuschten Gewinnerwartung des Mieters beruhe. Daher könne das hiermit verbundene Risiko regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe eine Reduzierung der Miete erfolge, bedarf jedoch stets einer Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Der BGH nennt in seiner Pressemitteilung sogleich die maßgeblichen Faktoren für die Einzelfallabwägung:
Zunächst ist zu untersuchen, welche konkreten Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Hierbei ist auf den konkreten Umsatzrückgang in dem konkreten Mietobjekt abzustellen – ein möglicher Konzernumsatz ist nicht von Belang.
Zu berücksichtigen sei auch, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. In der Pressemitteilung sind noch keine konkreten Maßnahmen benannt. Man könnte hier etwa an Kurzarbeit oder verstärkten Onlinehandel denken.
Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht.
Zudem seien auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
Nicht erforderlich sei eine tatsächliche Gefährdung der Existenz des Mieters. Somit erteilt der BGH bereits in diesem Verfahren auch der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe eine Absage, über die er noch gesondert zu entscheiden hat.
Fazit:
Die Grundsätze dieser Entscheidung sollte aufgrund der enormen medialen Aufmerksamkeit sowie der Bezugspunkte zu den beliebten Prüfungsfeldern des Mietrechts sowie des allgemeinen Teils des BGB jeder Examenskandidat beherrschen.
Im Gutachten sollten der Reihe nach sämtliche Probleme geprüft werden. Stürzen sich Examenskandidaten bei der Falllösung sofort auf das Hauptproblem des § 313 BGB, so begehen sie einen großen Fehler. Ansonsten werden kostbare Punkte für die übrigen Probleme des Falls liegengelassen.
Was man aus dem Urteil auf jeden Fall mitnehmen sollte:

  • Sofern keine ausdrückliche vertragliche Regelung zur Einstandspflicht des Vermieters für den Fall einer coronabedingten Ladenschließung besteht, liegt kein Mangel gemäß § 536 Abs. 1 BGB vor.

 

  • Für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB bedarf es neben dem tatsächlichen Element der erheblichen Störung der Geschäftsgrundlage zudem eines Vorliegens des normativen Elements der Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag.

 

  • Das tatsächliche Element dürfte unproblematisch Vorliegen, diesbezüglich greift auch die Vermutung des Art. 240 § 7 EGBGB.

 

  • In der Regel ist das allgemeine Lebensrisiko der coronabedingten Ladenschließung von keiner Vertragspartei voll zu tragen. Einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters bedarf es für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB nicht.

 

  • Für die Feststellung der Unzumutbarkeit und die Bemessung der Höhe der etwaigen Reduzierung der Miete bedarf es stets einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Eine pauschale Halbierung der Miete kommt nicht in Betracht.

 

  • Maßgeblich sind insbesondere der konkrete Umsatzrückgang des gewerblichen Mieters bezogen auf das konkrete Mietobjekt, die getroffenen oder möglichen Maßnahmen des Mieters zur Verringerung des Verlustes, das Eingreifen von staatlichen Leistungen oder einer Betriebsversicherung des Mieters (nicht jedoch eines Darlehens) sowie die Interessen des Vermieters.

12.01.2022/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2022-01-12 11:41:392022-01-12 11:41:39Erstes BGH-Urteil zur Gewerberaummiete während Coronalockdown
Tom Stiebert

Tag 2 der arbeitsrechtlichen Diskussion über den Ruhetag – Ein Überblick über die Argumente

Arbeitsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen

Anmerkung: Der Beitrag gibt den Rechtsstand vom 24.03.2021, 10 Uhr, wieder. 
Was genau ein Ruhetag sein soll und auf welcher Grundlage dieser erstellt wird, ist noch völlig offen. Auch wenn die handelnden Personen ursprünglich die Vorstellung gehabt haben mögen, dass die Ruhetage Feiertagen (nach den Feiertagsgesetzen der Länder) gleichgestellt werden („Die Regelung wird analog zu Sonn- und Feiertagen sein„, so Kanzlerin Merkel), so ist es leider nicht so einfach. Bezeichnenderweise endet das vorgenannte Zitat der Kanzlerin dann auch mit „sage ich jetzt einmal„. Das genügt aber nicht.
Das deutsche Arbeitsrecht kennt nur Ersatzruhetage, in einem völlig anderen Kontext Arbeitszeitgesetz.
Welche Optionen gibt es nun, Gründonnerstag und Ostersamstag zum Ruhetag umzuwidmen und welche Folgen hat dies für Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Dies soll nachfolgend kurz dargestellt werden.
 
I. Regelung in den Feiertagsgesetzen der Länder
Am effektivsten wäre sicherlich eine Regelung in den Feiertagsgesetzen der Länder aufzunehmen. Alle Folgeprobleme (Entgeltfortzahlung nach EFZG; Arbeitszeit nach ArbZG; Fristabläufe, bspw. § 222 Abs. 2 ZPO) wären damit automatisch gelöst, weil der Begriff des Feiertags in diversen Gesetzen in Bezug genommen wird.
Dies ist allerdings unwahrscheinlich, da es hierfür jeweils eines formellen Gesetzes bedürfte – dies ist in der Kürze der Zeit kaum zu schaffen. Außerdem haben alle Protagonisten bewusst nicht den Begriff des Feiertags verwendet, sodass dies offenbar von Beginn an nicht intendiert war.
 
II. Regelung durch Rechtsverordnung
Insofern scheint eine Regelung in den Coronaschutzverordnungen näherliegend. Bayern hat hierfür bereits einen Entwurf erstellt und schreibt (abrufbar hier):

Betriebe, Ladengeschäfte, Unternehmen und Behörden bleiben am 1. April 2021 (Gründonnerstag) und am 3. April 2021 (Karsamstag) wie an den Osterfeiertagen geschlossen; am Samstag, den 3. April 2021, wird ausschließlich der Lebensmittelhandel geöffnet.

Die Schließung eines Betriebs bedeutet aber zum einen nicht, dass nicht von zu Hause gearbeitet werden kann oder muss und lässt zum anderen die Frage weiterer Rechtsfolgen – Entgeltfortzahlung; Fristabläufe etc. – völlig außen vor.
Rechtlich ist dies im Ergebnis auch richtig, denn die auf das Infektionsschutzgesetz gestütze Verordnung kann solche Bereiche denknotwendig nicht regeln. Betriebe dürfen – nach einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung – geschlossen werden, um das Infektionsrisiko zu senken, die Gewährung eines kompletten arbeitsfreien Tages (auch im Homeoffice) und die Verpflichtung der Arbeitgeber, dennoch die Vergütung zu zahlen, betrifft aber ein vollkommen anderes Thema und kann damit auf diesem Weg nicht geregelt werden.
Insofern ist nach hiesigem Verständnis eine vollständige Gleichstellung der Rechtsfolgen des Ruhetages zu Feiertagen schlichtweg nicht möglich. Geregelt werden kann allein das, was der Vermeidung von Kontakten dient.
 
III. Welche Optionen bleiben?
Nach der hier vertretenen Ansicht ist es damit rechtlich in der Kürze der Zeit kaum möglich, auch die Arbeit im Homeoffice am Ruhetag 1. April 2021 zu versagen.
Aber auch für die zahlreichen Beschäftigten in Betrieben, die zulässigerweise durch die Rechtsverordnung geschlossen werden können, ist allein geklärt, dass eine Schließung möglich ist. Dies beantwortet aber nicht die Frage, ob an diesem Tag auch Entgelt zu gewähren ist und ob dies vom Arbeitgeber oder gar vom Bund bzw. Land zu tragen ist.
Für eine Pflicht des Arbeitgebers zur Gewährung des Entgelts spräche allein das Betriebsrisiko – ob dies aber in dem hiesigen Fall (der eine riesige Anzahl von Betrieben betrifft), einschlägig ist, ist unwahrscheinlich.
Naheliegender ist dagegen, dass Bund und Länder die Lohnkosten für diesen Tag zu tragen haben. Dies jedenfalls dann, wenn die Schließung der Betriebe (oder gar das Verbot jeglicher Tätigkeit) unzulässig sind. Insofern liegen Staatshaftungsansprüche (die insgesamt die Grenze von einer Milliarde Euro erreichen können) nicht fern. Auch das Infektionsschutzgesetz kennt in § 56 IfSG Entschädigungszahlungen an Arbeitgeber in bestimmten Konstellationen, sodass eine solche Sichtweise naheliegend scheint. Ob dies gleichwohl bei der Diskussion bisher bedacht wurde, scheint fraglich.
Ebenso nicht ausgeschlossen ist gleichwohl, dass Arbeitnehmer letztlich auf den Kosten sitzen bleiben – da weder Staat, noch Länder noch der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sind. Auch dies ist jedenfalls dann nicht fernliegend, wenn man die Ansicht teilt, dass die Untersagung der Arbeit zulässig ist, aber das Betriebsrisiko des Arbeitgebers nicht einschlägig ist. Dies wird in der bisherigen Diskussion kaum betrachtet, scheint aber nicht unwahrscheinlich. Insofern würde der Ruhetag dann einem Tag unbezahlten Urlaub gleichen.
 
IV. Ein Ausblick
Welches Ergebnis wird nun am Ende stehen? Vermutlich wird man einen Kompromiss finden. Es erscheint – gerade auch aufgrund der bestehenden Unsicherheit – wahrscheinlich, dass viele Arbeitgeber freiwillig die Ruhetage wie Feiertage behandeln und damit allen Arbeitnehmern (also auch den Beschäftigten im Homeoffice) einen freien Tag bei gleichzeitiger Vergütung gewähren. Ebenso ist zu erwarten, dass auch die Politik in diese Richtung appelieren wird.
Zwingend ist dies aber nicht. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass es zu Regressansprüchen gegen Bund und Länder kommt. Unternehmen ist zu raten, diese Optionen sehr genau zu prüfen und entsprechende Maßnahmen ins Auge zu fassen.
Rechtlich ist die Situation jedenfalls extrem problematisch. Als Ausweg bliebe dann allein, den Vorschlag, den 1. April 2021 zum Ruhetag zu deklarieren, als vorzeitigen Aprilscherz zu bezeichnen. Die schlechteste Option wäre dies ganz sicher nicht.
 

24.03.2021/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2021-03-24 10:17:522021-03-24 10:17:52Tag 2 der arbeitsrechtlichen Diskussion über den Ruhetag – Ein Überblick über die Argumente
Gastautor

Der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG im Spiegel der Corona-Krise

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns, folgenden Gastbeitrag von Marcus Schnetter veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 1385 Recht und Literatur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
 
„Die Wohnung ist unverletzlich“. In galanter Prägnanz warnt Art. 13 Abs. 1 GG den Staat eindringlich davor, in die intimsten Rückzugsräume seiner Bürgerinnen und Bürger einzudringen. Dieser Beitrag behandelt den damit durch die Verfassung garantierten Schutzbereich. Durch die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie gewinnen dessen Gewährleistungen ungeahnte Examensrelevanz.
 
Schutzgut, Bedeutung und Geschichte
Historisch lässt sich die Unverletzlichkeit der Wohnung bereits in den Vorläuferverfassungen nachweisen. Wortgleich formulierten bereits Art. 6 der Preußischen Verfassung und § 140 der Paulskirchenverfassung ein entsprechendes Abwehrrecht des Bürgers gegen staatliche Übergriffe. Auch die Weimarer Reichsverfassung erachtete in ihrem Art. 115 die Wohnung als unverletzliche Freistätte jedes Deutschen. Von Störungen freigehalten werden soll damit die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Der enge Bezug zur Menschenwürde und zur Persönlichkeitsentfaltung, wie er in Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EuGrCH noch deutlicher zum Vorschein kommt, macht es zu einem ausgesprochen wertigen Grundrecht. Kurz und bündig geht es um das Recht „in Ruhe gelassen zu werden“ (BVerfGE 89, 1, 12)
 
Sachlicher Schutzbereich
Der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG nimmt ein deutlich extensiveres Verständnis in Bezug, als es auf den Blick erscheinen mag. Die Garantie ist gerade nicht im wörtlichen Sinne nur auf die Wohnung, also auf Stätten des privaten Lebens beschränkt, in denen wir uns von der Öffentlichkeit zurückziehen, um in ungestörter Ruhe zu schlafen, zu essen und unsere Freizeit zu gestalten. Vielmehr geht mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ein weiter Wohnungsbegriff einher: Geschützt sind daher auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsstätten, selbst wenn diese öffentlich zugänglich sind (BVerfGE 97, 228, 242).
Gegen diese Schutzbereichsausdehnung wird in der Literatur der personale Gehalt des Art. 13 GG ins Feld geführt. Die enge Verbindung zur Menschenwürde und zur Persönlichkeitsentfaltung spreche dafür, den Schutzbereich auf natürliche Personen zu begrenzen. Von der verfassungsgerichtlichen Ausweitung würden jedoch in erster Linie juristische Personen profitieren, die sich unstreitig gerade nicht auf das personal angelegte Konzept von Würde und Persönlichkeitsentfaltung berufen können (Dreier/Hermes, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 GG Rn. 26). Für die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts spricht jedoch die schwere Abgrenzbarkeit von Wohn- und Arbeitsraum (v. Mangoldt/Klein/Starck/Gornig, Grundgesetz, Art. 13 GG Rn. 22). Gerade in Zeiten vermehrter Erwerbsarbeit von Zuhause aus verschwimmen die Grenzen zwischen home und office. Mit der Schutzbereichsausdehnung wird die Bedeutung von Art. 13 GG durch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG aufgeladen, was der Norm ihre größtmögliche Wirkungskraft verleiht.
Gut begründen lässt sich indessen auch eine vermittelnde Ansicht, wonach Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsstätten zumindest dann vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ausgeschlossen sind, wenn diese jeder und jedem zugänglich sind. Schutzwürdige Belange der Privatsphäre oder Persönlichkeitsentfaltung sind bei solchen der Öffentlichkeit zugewandten Stätten kaum noch erkennbar (Epping, Grundrechte, Rn. 666-668)
 
Persönlicher Schutzbereich
In persönlicher Hinsicht differenziert der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG dementsprechend: Auf den Schutz von Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsstätten können sich sowohl natürliche als auch juristische Personen berufen. Grundrechtsträger im Sinne des engen Wohnungsbegriffs sind indessen alleine natürliche Personen.
 
Die Relevanz des Schutzes der Wohnung im Zuge aktueller Entwicklungen
Des Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG verdient angesichts der jüngsten Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus nähere Aufmerksamkeit.
Es stellt sich zunächst die Frage, ob es überhaupt zulässig ist, wenn die Länder zur Bekämpfung der Pandemie „in die Wohnung hineinregieren“. So verbietet beispielsweise die Hamburgische SARS-CoV-2-EindämmungsVO in ihrem § 4a Abs. 2 die Zusammenkunft von mehr als zehn Personen im privaten Wohnraum. Wenn aber ein Bürger das Recht hat, vom Staat in seinen eigenen vier Wänden in Ruhe gelassen zu werden, stellt dann nicht ein Verbot des Zusammenkommens in seiner Privatwohnung eine rechtfertigungsbedürftige Verkürzung des Gewährleistungsgehalts von Art. 13 Abs. 1 GG dar?
Richtigerweise schützt Art. 13 Abs. 1 GG aber nicht jegliche Nutzung der Wohnung. Denn die Unverletzlichkeit der Wohnung ist keine zwingende Voraussetzung, um sich mit Freunden oder Familie zusammenzufinden. Für den Genuss von Privatsphäre und das Ausleben der eigenen Persönlichkeit ist ein ungestörter Rückzugsraum hingegen conditio sine qua non. Der bloß zufällige Bezug zur Wohnung genügt dementsprechend nicht. Das Verbot des Reitens im Walde wird ja auch nicht zur Frage des Art. 14 Abs. 1 GG, nur weil ein Reiter sein ihm gehörendes Pferd ausführt (BVerfGE 80, 137). Die historische Bedeutung der Norm weist ebenfalls darauf hin, dass nur der spezifische Einblick des Staates in das Treiben innerhalb der Wohnung rechtfertigungsbedürftig sein soll. Mit anderen Worten: „Auch das soziale Zusammentreffen von Menschen in einer Wohnung wird erst dann zu einem Thema dieses Grundrechts, sobald der Staat sich mit einem Fuß, Auge oder Ohr in die Wohnung hineinbegeben möchte“ (Kluckert, VerfBlog, 2020/11/07, auch näher zur Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 13 Abs. 1 GG)
 
Novelle der Corona-Schutzverordnung NRW: Legaldefinition des „öffentlichen Raums“
Interessant wird die genaue Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 13 Abs. 1 GG auch im Zusammenhang mit der Neuregelung der  Corona-Schutzverordnung NRW. Anders als beispielsweise Hamburg und einige andere Bundesländer sieht der nordrhein-westfälische Verordnungsgeber von einer Regelung der Wohnungsnutzung im Hinblick auf Kontaktbeschränkungen explizit ab.
Dies gelingt ihm über die Konkretisierung des Begriffs vom „öffentlichen Raum“. Dieser umfasst nach § 1 Abs. 5 Corona-Schutzverordnung NRW „alle Bereiche mit Ausnahme des nach Art. 13 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützten Bereichs.“
Aber Halt! Wir erinnern uns: Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG fallen auch öffentlich zugängliche Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsstätten in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG. Das ist deswegen höchst relevant, weil die Verhaltenspflichten in Bezug auf das Coronavirus – vom einzuhaltenden Mindestabstand über die Maskenpflicht bis zu den Kontaktbeschränkungen – nur für den Aufenthalt in ebenjenem öffentlichen Raum gelten. Das hieße im Umkehrschluss, dass diese Stätten des privaten Wirkens nicht mehr von den Regelungen der Verordnung umfasst wären. Dementsprechend würden beispielsweise in Supermärkten, Büroräumen, Werkstätten, Lagerhallen und Frisören die gerade verschärften Regelungen keine Anwendung mehr finden. Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und Abstandsregelungen wären in diesen Bereichen hinfällig.
 
Ein regelungstechnisches Versehen
Dies kann offensichtlich nicht im Sinne des Verordnungsgebers gewesen sein. Das zeigt schon ein systematisch-vergleichender Blick in den Regelungskomplex. Ginge man davon aus, dass Geschäftsstellen (also bspw. Supermärkte) als nicht-öffentlicher Raum vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen seien, wäre eine Regelung wie § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Corona-Schutzverordnung NRW schlechterdings sinnlos. Diese verpflichtet „zum Tragen einer Alltagsmaske [..] in geschlossenen Räumlichkeiten im öffentlichen Raum, soweit diese – mit oder ohne Eingangskontrolle – auch Kundinnen und Kunden beziehungsweise Besucherinnen und Besuchern zugänglich sind, sowie auf Märkten und ähnlichen Verkaufsstellen im Außenbereich“. Neben den hiermit in Bezug genommenen Verkaufsräumen, zählen nach dem impliziten Willen des Verordnungsgebers auch Büroräume zum „öffentlichen Raum“, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 3 Abs. 2 S. 2 Corona-Schutzverordnung NRW ergibt.
Darüber hinaus ist auch das Zustandekommen der neuen Verordnung zu berücksichtigen. Die Landesregierung wollte mit der Neufassung bekanntermaßen strengere Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Verbreitung des Coronavirus umsetzen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber mit der negativ-akzessorischen Anknüpfung an den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG den Anwendungsbereich der Verordnung (so massiv) beschränken wollte. Die en passant eingeführte Legaldefinition des Begriffs des öffentlichen Raums ist daher ein regelungstechnisches Versehen par excellence. Vor uns liegt der klassische Fall eines Widerspruchs von verba und voluntas.
 
Teleologische Reduktion als methodisch zulässige Korrektur
Dieser Widerspruch kann (und muss) mittels einer teleologischen Reduktion der Anknüpfung an Art. 13 Abs. 1 GG in § 1 Abs. 5 Corona-Schutzverordnung NRW gelöst werden. Richtigerweise verweist § 1 Abs. 5 Corona-Schutzverordnung NRW dann nur noch auf eine Wohnung im engeren Sinne, also einen Raum, der aufgrund äußerer Vorrichtungen nicht allgemein zugänglich ist, sich für einen länger andauernden Aufenthalt eignet und dazu bestimmt ist, dem menschlichen Bedürfnis nach einem individuellen Rückzugsort zu dienen. Methodisch wird dabei nicht am Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG angesetzt, sondern lediglich der Umfang des durch § 1 Abs. 5 Corona-Schutzverordnung NRW erfolgten Verweises im Sinne des Verordnungsgebers reduziert.
Für die Zukunft sollte der Verordnungsgeber freilich schnellstmöglich das Missverständnis beseitigen, indem er eine eigenständige Definition des Begriffs des öffentlichen Raumes vornimmt.

17.11.2020/5 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-11-17 09:00:532020-11-17 09:00:53Der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG im Spiegel der Corona-Krise
Carlo Pöschke

Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht

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Die Ausbreitung des COVID-19-Virus und die gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten staatlichen Maßnahmen haben Unternehmen und Verbraucher wirtschaftlich hart getroffen. Zur Eindämmung der nachteiligen Folgen der Pandemie hat der Bundestag das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG) beschlossen. Der erste Teil dieses Beitrags hat sich mit den vorübergehenden Änderungen im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht auseinandergesetzt. Der zweite Teil behandelt nun die besonders klausur- und examensrelevanten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts.
 
 C. Allgemeines Zivilrecht
Infolge der gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten Maßnahmen haben zahlreiche Unternehmen ihr Geschäft beschränkt oder eingestellt, sodass deren Mitarbeiter erhebliche Einkommensverluste erleiden. Ist das verbleibende Einkommen, z.B. das Kurzarbeitergeld, zu niedrig und verfügen die Betroffene nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen, können sie in eine Situation geraten, in der sie nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. In letzter Konsequenz kann dies bedeuten, dass sie ihre Wohnung verlieren und von Leistungen der Grundversorgung wie Strom, Gas oder Telekommunikation abgeschnitten werden. Dem will der durch Art. 5 COVG neu in das EGBGB eingefügte Art. 240 mit einem Leistungsverweigerungsrecht (I.), einer Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (II.) sowie einer Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers (III.) entgegenwirken.
 
I. Leistungsverweigerungsrecht
Herzstück des neuen Corona-Vertragsrechts ist das in Art. 240 § 1 EGBGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen. Für Verbraucher sind dessen Voraussetzungen in Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB geregelt, während die Voraussetzungen für Kleinstunternehmen in Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB zu finden sind. Die Prüfungsstruktur ist bei Verbrauchern und Kleinstunternehmen jedoch dieselbe, sodass die Voraussetzungen (1.) und Rechtsfolgen (2.) des Zahlungsmoratoriums im Folgenden gemeinsam betrachtet werden sollen.
 
1. Voraussetzungen
a) Verbraucher oder Kleinstunternehmen
In persönlicher Hinsicht umfasst Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher. Art. 240 § 1 I 1 EGBGB spricht zudem von einem Anspruch, der in einem Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht. § 310 III BGB wiederum legaldefiniert einen Verbrauchervertrag als einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Liest man die Voraussetzungen „Verbraucher“ und „Verbrauchervertrag“ zusammen, sind vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher erfasst, deren Vertragspartner ein Unternehmer ist. Auch die Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ sind im BGB definiert. So ist Verbraucher nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen Tätigkeit zugerechnet werden können. § 14 I BGB wiederum versteht unter einem Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
Von Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB umfasst werden Kleinstunternehmen i.S.d. Empfehlung 2003/361 EG der Kommission vom 06.05.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20.05.2003,  36). Demnach sind Kleinstunternehmen Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu zwei Millionen Euro.
 
b) Wesentliches Dauerschuldverhältnis
In sachlicher Hinsicht beziehen sich Art. 240 § 1 I 2 EGBGB und Art. 240 § 1 II 2 EGBGB auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse i.S.d. Art. 240 § 1 I 2 EGBGB sind gem. Satz 3 solche Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Hierzu zählen ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110, 34) etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste sowie Verträge über die Wasserver- und -entsorgung, soweit diese zivilrechtlich geregelt sind. In Art. 240 § 1 II 3 EGBGB ist eine ganz ähnliche Legaldefinition des wesentlichen Dauerschuldverhältnisses i.S.d. Art. 240 § 1 II 2 EGBGB zu finden. Dass nur Dauerschuldverhältnisse erfasst werden, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden, liegt daran, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nach diesem Zeitpunkt die pandemieartige Ausbreitung des Virus absehbar war und die Vertragschließenden mit tiefgreifenden Veränderungen des Wirtschaftslebens rechnen mussten und daher nicht mehr schutzwürdig sind (BT-Drucks. 19/18110, S. 34).
 
c) Umstände, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind
Weiterhin erfordert ein Leistungsverweigerungsrecht das Vorliegen von Umständen, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Solche Umstände können für Kleinstunternehmen beispielsweise in Einnahmeverlusten durch behördlich angeordnete Geschäftsschließungen oder durch Kaufzurückhaltung der Kunden sowie in zusätzlichen Kosten liegen, die zur Einhaltung der erhöhten Hygienestandards anfallen, liegen. Bei Verbrauchern kann ein solcher Umstand im Beziehen von Kurzarbeitergeld statt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts oder einer betriebsbedingten Kündigung liegen.
 
d) Gefährdung des Schuldners oder Unvermögen des Kleinstunternehmens
Des Weiteren muss die Erbringung der Leistung den angemessenen Lebensunterhalt des Schuldners gefährden oder den angemessenen Lebensunterhalt der unterhaltsberechtigten Angehörigen des Schuldners unmöglich machen (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB). Das Pendant zur Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts ist für Kleinunternehmen die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs (Art. 240 § 1 II 1 Nr. 2 EGBGB). Um zu bestimmen, wann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage vorliegt, könne man sich, so wird vorgeschlagen, aufgrund der Insolvenznähe des Art. 240 § 1 EGBGB an den Eröffnungsgründen des Insolvenzrechts orientieren. Eine Gefährdung sei daher bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie Überschuldung (§ 19 InsO) anzunehmen. Bei Verbrauchern genüge auch, wenn nach Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust das monatliche Haushaltseinkommen den Grundbedarf unterschreitet und nennenswerte liquide Reserven nicht vorhanden sind (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104). Für Kleinstunternehmen nennt Art. 240 § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB zusätzlich den Fall, dass das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann. Dadurch werden Kleinstunternehmer davon entbunden, sich Liquidität zum Beispiel durch Aufnahme von Darlehen zu beschaffen oder den Ausfall von Personal oder die Nichtbeschaffbarkeit von Material und Infrastruktur zu kompensieren (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104).
 
e) Zusammenhang zwischen den auf die Pandemie zurückzuführenden Umständen und der Gefährdung des Schuldners oder dem Unvermögen des Kleinstunternehmens („infolge“)
Die Gefährdung bzw. das Unvermögen des Kleinstunternehmens zur Leistung muss „infolge“ von Umständen, die auf die Ausbreitung der Pandemie zurückzuführen sind, eingetreten sein (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Es muss also ein Zusammenhang zwischen den beiden Tatbestandsmerkmalen bestehen. Ähnlich wie beim „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG stellt sich die Frage, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist. Insb. in Bezug auf Kleinstunternehmen wird es Fälle geben, in denen die Pandemie nicht der einzige Grund für die Gefährdung oder das Unvermögen des Kleinstunternehmen sein, sondern weitere Umstände wie Managementfehler oder Veränderungen im Marktumfeld hinzutreten. Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals gibt die Gesetzesbegründung keine Hinweise. Aufgrund des Telos des Gesetzespakets und der in Frage stehenden Norm, die Folgen der Pandemie abzumildern sowie Verbrauchern und Kleinstunternehmen Zeit zu verschaffen, ist dieses Tatbestandsmerkmal großzügig auszulegen. Es ist keine Monokausalität, sondern lediglich Kausalität i.S.d. der Äquivalenztheorie erforderlich (zum gleichen Ergebnis im Zusammenhang mit dem „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG kommt Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290).
 
f) Keine Verteidigung des Gläubigers
Die Gewährung eines temporären Leistungsverweigerungsrechts durch Gesetz stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit dar, die grundrechtlich über Art. 2 I GG hergeleitet wird. Um die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs zu wahren, eröffnet Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB dem Gläubiger eine Verteidigungsmöglichkeit (BT-Drucks. 19/18110, 35). Das Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers gilt nach Art. 240 § 1 III 1 EGBGB nicht, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrecht für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs gefährden würde. Das Leistungsverweigerungsrecht des Kleinstunternehmens gilt nach Art. 240 § 1 III 2 EGBGB ebenfalls bei Unzumutbarkeit für den Gläubiger nicht. Eine solche Unzumutbarkeit kann in einer Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts oder der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs liegen. Befinden sich Schuldner und Gläubiger also in vergleichbar schwierigen wirtschaftlichen Lagen, hat sich der Gesetzgeber zugunsten des Gläubigers entschieden. Bei Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts nach Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB steht dem Schuldner nur noch ein Kündigungsrecht gem. Art. 240 § 1 III 3 EGBGB zu.
 
g) Kein Ausschluss des Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB
Schließlich darf das Leistungsverweigerungsrecht nicht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB ausgeschlossen sein. Ausgeschlossen ist ein Leistungsverweigerungsrecht für Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Darlehensverträgen (Nr. 1) sowie arbeitsrechtliche Ansprüche (Nr. 2).
 
2. Rechtsfolgen
Das Leistungsverweigerungsrecht ist als Einrede konzipiert. Der Schuldner muss sich im Prozess also auf diese Einrede berufen und dessen Voraussetzungen belegen. Hat sich der Schuldner erfolgreich auf die Einrede berufen, entfällt die Durchsetzbarkeit des Anspruchs bis zum 30.06.2020 (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB), wobei Art. 240 § 4 I Nr. 1 EGBGB die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Dauer des Leistungsverweigerungsrechts bis längstens zum 30.09.2020 zu verlängern. Allerdings steht dem Schuldner das Leistungsverweigerungsrecht nur solange zu, wie er wegen der Pandemie an seiner Leistungserbringung gehindert ist. Das Leistungsverweigerungsrecht ändert nichts an der primären Leistungspflicht, diese ist bloß später zu erfüllen. Es hindert die Vollstreckbarkeit der vereinbarten Leistung und damit zugleich die Entstehung von Sekundäransprüchen, die an die Nichterbringung von Leistungspflichten geknüpft sind, z.B. Verzug (§§ 286 ff. BGB), Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB) und Rücktritt (§ 323 I BGB) (BT-Drucks. 19/18110, 35).
 
II. Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen
Durch die Pandemie ist damit zu rechnen, dass einige Mieter und Pächter vorübergehend nicht in der Lage sind, die fälligen Mieten und Pachten fristgerecht zu zahlen. Gem. § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (beim Pachtvertrag i.V.m. § 581 II BGB) steht dem Vermieter bzw. Verpächter ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung zu, wenn der Mieter bzw. Pächter für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete bzw. Pacht oder eines nicht unerheblichen Teils davon in Verzug ist.
Um zu verhindern, dass Mieter ihren Wohnraum bzw. Gewerbemieter oder -pächter die Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit verlieren, schließt Art. 240 § 2 I EGBGB (bei Pachtverhältnissen i.V.m. Art. 240 § 2 III EGBGB) nun ein Kündigungsrecht für Miet- und Pachtverhältnisse über Grundstücke oder über Räume aus dem alleinigen Grund, dass der Mieter bzw. Pächter die Miete bzw. Pacht im Zeitraum vom 01.04.2020 bis zum 30.06.2020 trotz Fälligkeit nicht leistet, aus, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Somit stellen Mietrückstände weder einen wichtigen Grund nach § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB), noch ein berechtigtes Interesse nach § 573 I, II Nr. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB) dar. Auch bei der Kündigungsbeschränkung wird die Bundesregierung ermächtigt, die Anwendung dieser Bestimmung zeitlich zu verlängern (Art. 240 § 4 I Nr. 2 EGBGB). Zentrales Tatbestandsmerkmal der Kündigungsbeschränkung ist das Beruhen der Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie. Dieser Zusammenhang ist – wie beim Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB (Genaueres hierzu unter Gliederungspunkt C.I.1.e)) – großzügig auszulegen, was auch dadurch deutlich wird, dass die Gesetzesbegründung als Beispiel, bei dem die Nichtleistung nicht auf den Auswirkungen der Pandemie beruht, die Zahlungsunwilligkeit des Mieters anführt (BT-Drucks. 19/18110, S. 36).
Die Kündigungsbeschränkung von Miet- und Pachtverhältnissen nach Art. 240 § 2 EGBGB unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten vom allgemeinen Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB: Einerseits eröffnet sie nicht wie Art. 249 § 1 III EGBGB dem Vermieter bzw. Verpächter eine Verteidigungsmöglichkeit, die ihn letztendlich doch zur Kündigung aufgrund des Zahlungsverzugs berechtigt, wenn der Ausschluss der Kündigung seinerseits unzumutbar ist. Andererseits bleiben die Mieter bzw. Pächter nach den allgemeinen Grundsätzen zur Leistung verpflichtet und können auch in Verzug geraten, sodass der Vermieter bzw. Verpächter beispielsweise gem. § 288 I 1 BGB Verzugszinsen fordern kann. Dieser Unterschied ggü. Art. 240 § 1 III EGBGB kann als Ausgleich zur fehlenden Verteidigungsmöglichkeit des Vermieters bzw. Verpächters aufgefasst werden und begrenzt die Intensität des Eingriffs in die Rechte des Vermieters bzw. Verpächters.
 
III. Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers
Auf Corona beruhende Einnahmeverluste können nicht nur dazu führen, dass Verbraucher ihre Miete oder Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen nicht rechtzeitig begleichen können, sondern auch dazu, dass sie vorübergehend Darlehensrückzahlungen nicht leisten können. Der Zahlungsverzug des Darlehensnehmers kann im schlimmsten Fall zur Kündigung des Darlehensvertrags und zur Verwertung der eingeräumten Sicherheiten führen. Die neuen Regelungen zum Darlehensrecht in Art. 240 § 3 EGBGB sollen durch eine vorübergehende ipso iure eintretende Stundung der Ansprüche des Darlehensgebers den Verbrauchern Luft zum Atmen geben.
 
1. Voraussetzungen
Einige der Voraussetzungen der Stundung nach Art. 240 § 3 EGBGB gleichen den Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts des Art. 240 § 1 EGBGB. Die Voraussetzungen der Stundung sollen daher nur kurz angesprochen werden.
 
a) Verbraucherdarlehensvertrag
Erste Voraussetzung für die Stundung ist das Vorliegen eines Verbraucherdarlehensvertrags, der vor dem 15.03.2020 geschlossen wurde. Nach der Legaldefinition des § 491 I 2 BGB fallen unter Verbraucherdarlehensverträge sowohl Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge als auch Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. Entsprechende Legaldefinitionen finden sich wiederum in § 491 II 1 BGB bzw. § 491 III 1 BGB, wobei die in § 491 II 2 BGB bzw. § 491 III 2, 4 BGB normierten Ausnahmen unbedingt zu beachten sind.
 
b) Unzumutbare pandemiebedingte Ausnahmefälle
Weiter fordert Art. 24o § 3 I EGBGB, dass der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der Leistung nicht mehr zumutbar ist. Erforderlich ist somit ein doppelter Kausalzusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und den außergewöhnlichen Verhältnissen sowie zwischen außergewöhnlichen Verhältnissen und der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Auch hier genügt Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie. Art. 240 § 3 I 2 EGBGB enthält Regelbeispiele, wann die Erbringung der Leistung als nicht zumutbar anzusehen ist. Demnach ist die Erbringung der geschuldeten Leistung insb. bei Gefährdung eines angemessenen Lebensunterhalts unzumutbar, was insoweit mit der Formulierung in Art. 240 § 1 I 1 EGBGB übereinstimmt (s. Gliederungspunkt C.I.1.d)). Lühmann (NJW 2020, 1321, 1322) schlägt vor, der Begriff des angemessenen Lebensunterhalts könne in Anlehnung an den Begriff des notwendigen Lebensunterhalts in § 850f I lit. a) ZPO konkretisiert werden. Dieser Vorschlag kann indes nicht richtig sein: Zunächst spricht der Wortlaut des Art. 240 § 3 I 2 EGBGB ausdrücklich vom „angemessenen“ und nicht vom „notwendigen“ Lebensunterhalt. § 850 I lit. a) ZPO verweist zu unterschiedlichen Vorschriften des SGB II und des SGB XII. Notwendiger Lebensunterhalt i.S.d. § 850 I lit. a) ZPO i.V.m. § 27a I 1 SGB XII ist damit der „für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt“, der gem. § 28 I SGB XII im Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) bestimmt ist. Es würden damit die für Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger geltenden Regelsätze Anwendung finden. Ausgaben, die über dem für das Existenzminimum Notwendigem liegen, sind allerdings nicht per se auch unangemessen. Im Gegenteil: Wer vor Corona ein auskömmliches Einkommen gehabt und einen entsprechenden Lebensstandard gepflegt hat, kann die Kosten – v.a. die Unterkunftskosten – nicht innerhalb von kürzester Zeit auf ein dem notwendigen Lebensunterhalt im sozialrechtlichen Sinn entsprechendes Niveau senken. Auch der gesetzgeberische Wille spricht gegen den Vorschlag Lühmanns: Die Schwelle der relevanten Einnahmeminderung sei nicht pauschal festgelegt, sondern vom individuellen Einzelfall abhängig (BT-Drucks. 19/18110, 39). Das Abstellen auf § 850 I lit. a) ZPO läuft jedoch im Ergebnis auf die Anwendung pauschaler Werte hinaus. Hätte dies der Gesetzgeber gewollt, hätte er es im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung erwähnt.
 
c) Keine Verteidigung des Darlehensgebers
Nach Art. 240 § 3 VI wird die Forderung nicht gestundet, wenn dem Darlehensgeber die Stundung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist. Diese Bestimmung soll eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Rechte des Darlehensgebers verhindern und Raum für eine einzelfallbezogene Interessenabwägung lassen. Grds. geht der Gesetzgeber allerdings von einer überwiegenden Schutzbedürftigkeit der Verbraucher aus, sodass eine Stundung nur in extremen, meist im Verhalten des Darlehensnehmers begründeten, Fällen ausgeschlossen ist. Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung „gravierende oder sich über einen längeren Zeitraum hinziehende schuldhafte Pflichtverletzungen des Verbrauchers wie zum Beispiel betrügerische Angaben oder vertragswidrige Veräußerungen von Sicherheiten“ (BT-Drucks. 19/18110, 40) an. Drohende Liquiditätsprobleme eines Kreditinstituts, die durch die Stundung der Rückzahlungen einer Vielzahl von Kunden entstehen, dürften damit nicht zu einem Ausschluss der Stundung nach Art. 240 § 3 VI EGBGB führen. Hier könnte sich der einzelne Kunde zudem stets darauf berufen, dass die Aussetzung der Rückzahlungen eines einzelnen (Privat-)Kunden ein Kreditinstitut nicht in Liquiditätsschwierigkeiten bringt und etwaige Liquiditätsprobleme vielmehr vom Gesetzgeber durch Verabschiedung des COVG in Kauf genommen wurden.
 
2. Rechtsfolgen
Liegen die Voraussetzungen vor, werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 01.04.2020 und dem 30.06.2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten ipso iure gestundet. Unter einer Stundung versteht man dabei seit jeher das Hinausschieben der Fälligkeit bei fortbestehender Erfüllbarkeit (BGH, NJW 1998, 2060, 2061; MüKo-BGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, § 271 Rn. 22). Insofern ist der Hinweis in Art. 240 § 4 I 3 EGBGB, dass der Verbraucher berechtigt ist, seine vertraglichen Zahlungen zu den ursprünglich vereinbarten Leistungsterminen weiter zu erbringen, rein deklaratorischer Natur. Art. 240 § 3 IV 1 EGBGB fordert von dem Darlehensgeber, dem Verbraucher ein Angebot über die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung und über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anzubieten. Kommt der Darlehensgeber dieser Pflicht nicht nach oder kommt eine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30.06.2020 nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate und die Fälligkeit der vertraglichen Leistungen wird um diese Frist hinausgeschoben (Art. 240 § 3 V 1, 2 EGBGB). Durch diese Regelung soll eine Situation vermieden werden, in der die Darlehensnehmer zwar einen Aufschub erhalten, nach dessen Ablauf sie aber dennoch ganz erheblich überfordert sind (BT-Drucks. 19/18110, 40). Wie alle Regeln des COVG sind auch die Regelungen zum Darlehensrecht mit einer Verordnungsermächtigung zur Verlängerung des zeitlichen Anwendungsbereichs verbunden (Art. 240 § 4 I Nr. 3 EGBGB).
 
IV. Ein letztes Zwischenfazit
Im Vordergrund der Corona-bedingten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts steht der Schutz des Verbrauchers. Es soll verhindert werden, dass der Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen wird, seine Wohnung verliert oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Letztendlich belastet Art. 240 EGBGB diejenigen stärker, bei denen der Gesetzgeber davon ausgeht, sie kämen mit den Folgen der COVID-19-Pandemie besser zurecht als die Verbraucher; das sind Unternehmer, Vermieter und Banken. Letztendlich ist Art. 240 EGBGB Ausdruck von sozialstaatlicher Solidarität. Ohne Risiken und Nebenwirkungen ist diese Strategie freilich nicht:  Wenn Banken über einen längeren Zeitraum ohne einen nicht unerheblichen Teil der Darlehensrückzahlungen auskommen müssen und dazu im schlimmsten Fall noch eine kollektive Verunsicherung der Anleger hinzukommt, können auch die vermeintlich Stärksten in Liquiditätsschwierigkeiten kommen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Liquiditätsprobleme einzelner Kreditinstitute aufgrund ihrer vielfältigen Verknüpfungen schnell eine Kettenreaktion auslösen können. Sollte dies bevorstehen, müssen rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, wird die Wirtschaft in der Zeit nach Corona doch besonders auf eine rege Kreditvergabe angewiesen sein.
 
D. Fazit
Während die Änderungen durch das COVG im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht dem Examenskandidaten sicherlich nicht en détail bekannt sein müssen, ist eine vertiefte Befassung mit den vorübergehenden Änderungen des allgemeinen Zivilrechts aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Pflichtfachstoff ratsam. Zusammenfassend lässt sich festhalten:

  • Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Geschäftspartnern Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen.
  • Die in Art. 2 COVG Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern.
  • Im Vordergrund des neuen Art. 240 EGBGB steht der Schutz der Verbraucher. Es soll verhindert werden, dass Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen werden, ihre Wohnung verlieren oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Im Einzelnen wird dies durch ein Leistungsverweigerungsrecht (Art. 240 § 1 EGBGB), die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (Art. 240 § 2 EGBGB) und der Stundung von Darlehensrückzahlungen (Art. 240 § 3 EGBGB) erreicht.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der volle Titel des Gesetzes „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie […]“ hält, was er verspricht: Das Gesetz wird einen Beitrag zur Reduzierung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie leisten. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass insb. die Änderungen im allgemeinen Zivilrecht und im Insolvenzrecht nicht ohne Risiken sind und erheblich in die Rechte anderer eingreifen. Daher sollten die Änderungen zwar solange wie nötig, aber keinesfalls länger als nötig gelten.

20.05.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-05-20 09:30:252020-05-20 09:30:25Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht
Carlo Pöschke

Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil I: Insolvenz- und Gesellschaftsrecht

Examensvorbereitung, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Die Ausbreitung des COVID-19-Virus hat weltweit das öffentliche und wirtschaftliche Leben weitestgehend lahmgelegt. Um der weiteren Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken, mussten Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote und Geschäftsschließungen verfügt werden. Bei vielen Unternehmen ist der Umsatz drastisch eingebrochen, insb. kleinere und mittlere Unternehmen sind in erstzunehmende Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Und auch vor Arbeitnehmern hat das Virus keinen Halt gemacht: Bei manchen wurden befristete Arbeitsverträge nicht verlängert, andere mussten betriebsbedingt gekündigt werden, zehn Millionen Arbeitnehmer befinden sich in Kurzarbeit und müssen nun mit 60 bzw. 67 % ihres Nettoentgelts (§ 105 SGB III) auskommen, während Lebenshaltungskosten und andere Fixkosten in unveränderter Höhe anfallen. Unternehmen stehen nicht nur aufgrund von Absatz- und Umsatzrückgängen vor Schwierigkeiten, sondern auch, weil sie aufgrund der Versammlungsverbote und der allgemeinen Gefahrenlage Beschlüsse auf Versammlungen der entsprechenden Organe nicht mehr auf herkömmlichem Weg herbeiführen können. Einige der nachteiligen Folgen der Pandemie sollen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG; BGBl. 2020 I, 569 ff.), das in Windeseile das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat, abgeschwächt werden. Bei dem Gesetz handelt es sich um ein Artikelgesetz, d.h. um ein Gesetz, das gleichzeitig unterschiedliche Gesetze abändert und ergänzt.
Es ist zu erwarten, dass die COVID-19-Pandemie Juristen noch für längere Zeit beschäftigen wird und so ist es auch wenig verwunderlich, wenn man in einer mündlichen Examensprüfung (sobald diese wieder stattfinden) darauf zu sprechen kommt. Insb. das Zahlungsmoratorium für Verbraucher und die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen im neuen Art. 240 EGBGB lassen sich zudem auch leicht in Klausurfälle einbauen. Es lohnt also, einen Blick auf die wesentlichen Bestimmungen des neuen Gesetzes zu werfen.
Der erste Teil dieses zweiteiligen Beitrags behandelt die vorübergehenden Änderungen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts; im zweiten Teil des Beitrags werden die Änderungen auf dem Gebiet des allgemeinen Zivilrechts beleuchtet.
 
A. Insolvenzrecht
Art. 1 COVG enthält das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Bevor die Änderungen im Insolvenzrecht durch das COVInsAG dargestellt werden, soll zunächst ein kurzer Blick auf das „normale“ Insolvenzrecht geworfen werden.
 
I. Grundlagen des Insolvenzrechts
Im deutschen Recht existieren zwei Vollstreckungssysteme: zum einen die durch den Prioritätsgrundsatz geprägte und im achten Buch der ZPO geregelte Einzelvollstreckung, bei der dem schnellsten Gläubiger der Vorzug gebührt (s. nur § 804 III ZPO); zum anderen die in der InsO geregelte Gesamtvollstreckung. Ziel des Insolvenzverfahrens ist – wie § 1 S. 1 InsO zum Ausdruck bringt – die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der individuelle Zugriff der Gläubiger auf das Schuldnervermögen beendet (§ 89 InsO) und der Gläubigerwettlauf um das unzureichende Schuldnervermögen beendet.
Wichtigste Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die schriftliche Stellung eines Eröffnungsantrags (§ 13 I InsO) und das Vorliegen eines Eröffnungsgrunds (§ 16 InsO). Zu den Eröffnungsgründen zählt die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie die Überschuldung (§ 19 InsO). Antragsberechtigt sind gem. § 13 I 2 InsO die Gläubiger und der Schuldner sowie nach § 15 I 1 InsO bei juristischen Personen die Mitglieder des Vertretungsorgans. §§ 13, 15 InsO sprechen ausdrücklich von einem „Antragsrecht“; eine Antragspflicht des Schuldners besteht grds. nicht. Damit insolvenzreife Gesellschaften, für deren Schulden keine natürliche Person unbegrenzt haftet, nicht ohne insolvenzrechtlichen Schutz des Rechtsverkehrs fortgeführt werden (BT-Drucks. 16/6140, 55), sieht § 15a I 1 InsO bei juristischen Personen eine strafbewehrte (§ 15a IV InsO) Insolvenzantragspflicht der Mitglieder des Vertretungsorgans für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor.
 
II. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Ohne die Gesetzesänderung wäre eine Vielzahl von Unternehmensinsolvenzen mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu befürchten gewesen, weil Staatshilfen nicht rechtzeitig bereitgestanden hätten und Liquidität nicht rechtzeitig hätte beschaffen werden können. Genau daran setzt § 1 COVInsAG an: § 1 S. 1 COVInsAG setzt grds. die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO bis zum 30.09.2020 aus, wobei § 4 COVInsAG das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis höchstens zum 31.03.2021 zu verlängern. Eine Ausnahme von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht greift nach § 1 S. 2 COVInsAG nur dann, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen (zur Auslegung dieser beiden Voraussetzungen s. Römermann, NJW 2020, 1108, 11o9; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290 f.; Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 22 f.). Neben dieser Regel-Ausnahme-Technik des § 1 S. 2 COVInsAG werden die Antragspflichtigen zudem durch die Vermutung des Satzes 3 entlastet, die nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen widerlegt werden kann (BT-Drucks. 19/18110, 22): War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
 
III. Folgen der Aussetzung
§ 2 COVInsAG regelt sodann die Folgen der Aussetzung und dient der Verringerung von Haftungsgefahren, die typischerweise mit einem Insolvenzverfahren verbunden sind, sowie dem Schutz von Gebern neuer Kredite. So schützt § 2 I Nr. 1 COVInsAG Geschäftsleiter vor einer Haftung gem. § 64 S. 1 GmbHG (für die GmbH), § 93 III Nr. 6 AktG (für die AG), § 130a II 1 HGB (für die oHG) bzw. § 130a II 1 i.V.m. § 177a S. 1 HGB (für die KG) für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet wurde, indem fingiert wird, dass diese Zahlungen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG, § 92 II 2 AktG, § 130a I 2 HGB bzw. § 130a I 2 i.V.m. § 177a S. 1 HGB gelten. § 2 I Nr. 2 COVInsAG stellt sicher, dass neue Kreditgeber nicht befürchten müssen, zur Rückgewähr zwischenzeitlicher Leistungen verpflichtet zu werden oder den Zugriff auf die bei der Vergabe der neuen Kredite gewährten Sicherheiten zu verlieren. Nr. 3 schließt aus, dass Kreditgewährungen und Bereicherungen im Aussetzungszeitraum als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen werden und verhindert den Eintritt der Rechtsfolgen des § 138 BGB und des § 826 BGB. Sowohl Nr. 2 als auch Nr. 3 dienen damit der Rechtssicherheit für neue Kreditgeber und sollen verhindern, dass die Kreditvergabe zum Erliegen kommt. Nr. 4 schränkt schließlich die Regelungen zur Insolvenzanfechtung ein und ist als Komplementärregelung zu den Nrn. 3 und 4 für Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermietern, Leasinggebern oder Lieferanten anzusehen und soll gewährleisten, dass diese nicht befürchten müssen, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen aufgrund einer Insolvenzanfechtung zurückzahlen zu müssen und so die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege beenden. Eine Insolvenzanfechtung gem. §§ 129 ff. InsO ist dabei nicht zu verwechseln mit einer Anfechtung i.S.d. §§ 119 ff. BGB. Während letztere nach § 142 I BGB zur ex tunc-Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, führt erstere bloß zu einem schuldrechtlichen Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr von bestimmten Leistungen nach § 143 I 1 InsO.
 
IV. Ein erstes Zwischenfazit
Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen. Die Eingriffe in das bisherige Insolvenzrecht sind denkbar groß, aber angesichts dieser nie dagewesenen Ausnahmesituation nicht übertrieben. So erhalten ursprünglich gesunde Unternehmen, die ohne ihr Zutun in die Corona-Krise geraten sind, eine echte Perspektive – und das ist auch gesamtwirtschaftlich von Vorteil. Gleichzeitig besteht jedoch auch das Risiko, dass bereits angeschlagene Unternehmen ohne Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit unter Berufung auf die neuen Regelungen die Stellung des Insolvenzantrags hinauszögern und so ihren Geschäftspartnern schaden. Daher sollten die Sonderregelungen des COVInsAG nur solange gelten, wie dies unbedingt erforderlich ist.
 
B. Gesellschaftsrecht
Corona und die erlassenen Schutzmaßnahmen haben auch dazu geführt, dass Gesellschaften keine klassischen Gremiensitzungen im Sinne von Präsenzveranstaltungen durchführen können. Ist eine präsenzlose an solchen Gremiensitzungen nicht möglich, können wichtige Beschlüsse nicht gefasst werden, wodurch es wiederum langfristig zu einer Handlungsunfähigkeit von Unternehmen kommt: Der Jahresabschluss kann nicht festgestellt und damit auch die Gewinnausschüttung nicht festgelegt werden, Umstrukturierungsmaßnahmen können nicht beschlossen werden und Personen können nicht zur Übernahme von Amtsfunktion (wieder-)bestellt werden. Das in Art. 2 COVG enthaltene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (im Folgenden: „COVGesRMG“) bringt u.a. Änderungen des Rechts der AG, KGaA und SE (I.), des GmbH-Rechts (II.) sowie des Vereinsrechts (III.) mit sich.
 
I. Recht der AG, KGaA und SE
Bereits seit Inkrafttreten des ARUG I in 2009 steht das Aktienrecht einer Online-Teilnahme von Aktionären an der Hauptversammlung nicht mehr entgegen: Aktionäre können an der Hauptversammlung auch ohne physische Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen (§ 118 I 2 AktG) und eine Stimmabgabe im Wege der Briefwahl ist ebenfalls möglich (§ 118 II AktG). Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats können zugeschaltet werden (§ 118 III); Bild- und Tonübertragungen können zugelassen werden (§ 118 IV AktG). Voraussetzung für all dies ist jedoch, dass die Satzung diese Beteiligungsmöglichkeiten vorsieht oder den Vorstand ermächtigt, diese vorzusehen. Und genau hier liegt in Zeiten von Corona das Problem: § 118 AktG billigt den Gesellschaften zwar ein erhebliches Maß an Satzungsautonomie zu, die wenigsten Unternehmen verfügen jedoch über eine entsprechende Satzungsermächtigung (Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1176). Kann die Hauptversammlung nicht auf klassischem Wege zusammenkommen, kann auch die Satzung nicht um die nötige Satzungsermächtigung ergänzt werden, da die Satzungsänderung selbst eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf (§ 179 I 1 AktG).
Durch § 1 I COVGesRMG kann der Vorstand vorübergehend ohne Satzungsermächtigung, jedoch mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 VI COVGesRMG), die Entscheidung über die Ermöglichung einer Online-Teilnahme an Hauptversammlungen treffen.
Die Ermöglichung der Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung ist strikt zu unterscheiden von einer virtuellen Teilnahme: Bei der Online-Teilnahme wird es Aktionären bzw. Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats ermöglicht, sich über Fernkommunikationsmittel zur Präsenzhauptversammlung zuzuschalten, während eine virtuelle Hauptversammlung auf eine Präsenzveranstaltung gänzlich verzichtet. Wie bereits dargestellt ist eine Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung seit 2009 mit entsprechender Satzungsermächtigung möglich, eine virtuelle Hauptversammlung jedoch nicht (Spindler/Stilz/Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 118 Rn. 41; MüKo-AktG/Kubis, 4. Aufl. 2018, § 118 Rn. 80; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 811; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1176). Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 118 I 2 AktG („ohne Anwesenheit an deren Ort“) als auch aus dem Zusammenhang mit § 121 III 1, V 1 AktG.
Die nun vorübergehend mögliche Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung ist damit ein echtes Novum. Gem. § 1 II COVGesRMG kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 VI COVGesRMG) vorübergehend entscheiden, dass eine Versammlung als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Es muss eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgen. (2) Die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation muss möglich sein. (3) Den Aktionären muss eine Fragemöglichkeit eingeräumt werden. (4) Den Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, muss Möglichkeit zum Widerspruch eingeräumt werden.
Flankiert werden die genannten Maßnahmen, die gem. § 1 VIII COVGesRMG entsprechend auch für die KGaA und die SE gelten, durch eine weitgehende Begrenzung des Anfechtungsrechts in § 1 VII COVGesRMG, insb. aufgrund einer Verletzung von § 118 AktG. Die Begrenzung des Anfechtungsrechts soll verhindern, dass die Erleichterungen von den Gesellschaften aus Sorge vor Anfechtungsklagen nicht in Anspruch genommen werden (BT-Drucks. 19/18110, 27).
 
II. GmbH-Recht
Das Problem, dass wegen Corona keine Versammlungen abgehalten werden können, dürfte Gesellschaften mit beschränkter Haftung tendenziell seltener vor rechtliche Probleme gestellt haben. Zwar stellt auch § 48 I GmbHG die Grundregel auf, dass Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen zu fassen sind. Zumindest die h.M. versteht unter einer „Versammlung“ i.S.d. § 48 I GmbHG eine Präsenzversammlung, was bedeutet, dass ohne Satzungsgrundlage weder eine virtuelle Gesellschafterversammlung noch eine Online-Teilnahme einzelner Gesellschafter zulässig ist (BGH, NZG 2006, 428, 428; MHLS/Römermann, 3. Aufl. 2017, § 48 Rn. 273 ff.; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, 22. Aufl. 2019, § 48 Rn. 41; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1178). Die Regelung des § 48 GmbHG ist jedoch – anders als die Regelungen des AktG – dispositiv, sodass der Gesellschaftsvertrag auch die Möglichkeit einer Online-Teilnahme oder einer virtuellen Gesellschafterversammlung vorsehen kann. Außerdem können solche Erleichterungen ggü. § 48 I GmbHG nachträglich durch satzungsändernde Mehrheit in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden. Sollte der Gesellschaftsvertrag diesbezüglich schweigen, können gem. § 48 II GmbHG nichtsdestotrotz wirksame Beschlüsse gefasst werden, wenn sich sämtliche Gesellschafter mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären. Vor allem bei personalistisch geprägten Gesellschaften mit beschränkter Haftung hätte also auch ohne die vorübergehende Gesetzesänderung regelmäßig keine Handlungsunfähigkeit gedroht. Für diejenigen Gesellschaften, bei denen Uneinigkeit unter den Gesellschaftern besteht oder Gesellschafter schlicht keine Erklärung abgeben, schafft § 2 COVGesRMG Abhilfe, indem Beschlüsse der Gesellschafter vorübergehend in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können.
 
III. Vereinsrecht
Ähnliche Probleme bestehen auch im Vereinsrecht. § 5 II COVGesRMG schafft als Sonderregelung zu § 32 I 1 BGB die gesetzliche Voraussetzung, um auch ohne Satzungsermächtigung eine virtuelle Mitgliederversammlung (§ 5 II Nr. 1 COVGesRMG) durchführen zu können und bei der Versammlung nicht anwesenden Mitgliedern die schriftliche Stimmabgabe zu ermöglichen (§ 5 II Nr. 2 COVGesRMG). Mit § 5 III COVGesRMG wurde zudem eine Sonderregelung ggü. § 32 II BGB geschaffen und durch Verzicht auf die Zustimmung aller Vereinsmitglieder die Beschlussfassung im Umlaufverfahren erleichtert. Schließlich soll 5 I COVGesRMG die Handlungsfähigkeit und ordnungsgemäße Vertretung des Vereins durch den Vorstand (§ 26 I 2 BGB) solcher Vereine sichern, die nicht in der Lage sind, ihre Vorstandsmitglieder rechtzeitig zu bestellen und bei denen die Satzung nicht vorsieht, dass Vorstandsmitglieder, deren Amtszeit zeitlich befristet ist, im Amt bleiben, bis ihr Nachfolger gewählt ist. Dies ist nun durch § 5 I COVGesRMG auch für Vereine ohne eine entsprechende Passage in der Satzung gesetzlich geregelt.
 
IV. Ein zweites Zwischenfazit
Die vorübergehenden Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern. Von der Praxis wurden die vorübergehenden Änderungen, die vorerst bis Ende 2020 gelten (§ 7 COVGesRMG), jedoch gem. § 8 COVGesRMG durch Rechtsverordnung des BMJV bis Ende 2021 verlängert werden können, durchweg positiv aufgenommen (Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 817; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1180).
Probleme rund um die Beschlussfähigkeit durch COVID-19 treten jedoch nicht ausschließlich bei Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen auf, sondern auch bei Betriebsratssitzungen. Dass der Betriebsrat keine wirksamen Beschlüsse im Umlaufverfahren oder telefonisch fassen kann, bestreitet keiner. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Frage, ob eine Beschlussfassung per Videokonferenz zulässig ist. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Thematik bislang noch nicht geäußert; die Literatur geht überwiegend nach wie von der Unzulässigkeit einer virtuellen Betriebsratssitzung aus (BeckOK ArbR/Maurer, 55. Ed. 2020, § 33 BetrVG Rn. 3; HWK/Reichold, 8. Aufl. 2018, § 33 BetrVG Rn. 3; Jesgarzewski/Holzendorf, NZA 2012, 1021, 1022). Als Argument wird hauptsächlich angeführt, bei einer Beschlussfassung via Videokonferenz könne der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Sitzung (§ 30 S. 4 BetrVG) nicht gewahrt werden. Dagegen wenden andere Stimmen der Literatur zwar überzeugend ein, dass die Betriebsratssitzung per Videokonferenz mit Blick auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit keine formatspezifischen Gefahrenquellen, die bei der herkömmlichen Sitzung vor Ort mit absoluter Sicherheit auszuschließen wären, berge und schließen daraus die grundsätzliche Zulässigkeit einer Betriebsratssitzung per Videokonferenz (Thüsing/Beden, BB 2019, 372, 374 ff.; Beden/Rombey, BB 2020, 1141, 1143). Angesichts der Mehrheit der Literaturstimmen, die Betriebsratssitzungen per Videokonferenz als Verstoß gegen § 30 S. 4 BetrVG wertet, bleibt ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit jedoch bestehen. Dies hat auch der Bundesarbeitsminister erkannt. Anstatt beispielsweise im Zuge des COVG Änderungen am BetrVG vorzunehmen, begnügte sich der Minister zunächst mit einer Ministererklärung, in der es heißt: „Der Normalfall ist, dass die Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung zusammenkommen […]. Von einem solchen Normalfall können wir hier jedoch nicht sprechen […]. Wir sind daher der Meinung, dass in der aktuellen Lage […] auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz […] zulässig ist.“ Dass das deutsche Recht eine Ministererklärung nicht kennt und dass diese keine rechtliche Wirkung entfaltet, wurde zu Recht von Wissenschaft und Praxis kritisiert. Diese Kritik wird wohl ein Grund gewesen sein, weshalb jetzt doch noch Bewegung in die Sache gekommen ist: Die Regierungsfraktionen haben eine Gesetzesvorlage (BT-Drucks. 19/17740) in den Bundestag eingebracht, wonach ein neuer § 129 in das BetrVG eingefügt werden soll, der vorübergehend sowohl eine Beschlussfassung per Video- als auch per Telefonkonferenz ermöglicht. Diesem Gesetzesvorschlag hat sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales inzwischen angeschlossen (BT-Drucks. 19/18753, 9 ff.). Der neue § 129 BetrVG beseitigt somit Rechtsunsicherheit in Zeiten von Corona bzgl. der Beschlussfassung per Videokonferenz und geht insoweit über das bislang geltende Recht hinaus, als dass vorübergehend auch eine wirksame Betriebsratsarbeit durch Telefonkonferenz ermöglicht wird.
 
Zum zweiten Teil des Beitrags gelangt ihr hier.

18.05.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-05-18 09:30:552020-05-18 09:30:55Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil I: Insolvenz- und Gesellschaftsrecht
Tobias Vogt

Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus

Examensvorbereitung, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

Es gibt wohl kein Thema, dass in den letzten Jahren derart die Schlagzeilen bestimmt hat wie das neuartige Coronavirus. Daher dürfte es auch nicht verwunderlich sein, falls rechtliche Probleme rund um das Coronavirus künftig Gegenstand juristischer Prüfungen sein werden.
In München kam es vergangene Woche bereits zum Eklat: Ein Münchener Rechtsanwalt zeigte einen Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung an, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand. Anwesend waren über 50 Personen. Nach Ansicht des beteiligten Anwalts sei die Verhandlung daher eine Hochrisikoveranstaltung, bei der ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bewusst in Kauf genommen werde.
Dies bietet Anlass, die prüfungsrelevanten Probleme der Strafbarkeit durch Infizierung Anderer mit dem Coronavirus zu erläutern:
I. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung §§ 223, 224 StGB
Wer eine andere Person mit dem Coronavirus infiziert, der erfüllt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung – und dies selbst dann, wenn der Infizierte über keinerlei Symptome klagt. Zwar erfordert eine körperliche Misshandlung spürbare Folgen der Infektion. Eine Gesundheitsschädigung liegt aber bereits in der Infektion mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit selbst, in deren Folge der betroffene auch selbst infektiös sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 04-11-1988 – 1 StR 262/88).
Ggf. kann auch eine Strafbarkeit nach § 224 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung vorliegen. In Betracht kommt die Beibringung eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes (Nr. 1, 2. Alt.) sowie eine lebensgefährliche Behandlung (Nr. 5).
Nach hM. sind Erreger von Krankheiten als gesundheitsschädliche Stoffe iSd. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB anzusehen (statt vieler Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 2c). Um in Bagatellfälle unangemessen hohen Strafe und einen Wertungswiderspruch mit den Nr. 2-5 zu vermeiden, ist über den Wortlaut hinaus erforderlich, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zur Verursachung einer erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist. Nur so kann die gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB massive Strafrahmenerhöhung gerechtfertigt werden. Auch wenn einige die Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus in einigen Fällen milde verläuft, so ist der Virus dennoch jedenfalls geeignet, eine erhebliche Gesundheitsschädigung hervorzurufen.
Zudem kann eine lebensgefährdende Behandlung gemäß Nr. 5 vorliegen. Nach hM. ist keine konkrete Lebensgefahr erforderlich, sondern eine abstrakte Lebensgefahr ausreichend. Schließlich setzten auch die Nr. 1-4 abstrakte Gefahren unter die erhöhte Strafe. Zudem steht im Fokus des Wortlauts gerade die lebensgefährliche Behandlung, also nicht der konkrete Erfolg. An der abstrakten Lebensgefährlichkeit der Ansteckung mit dem Coronavirus kann gezweifelt werden, weil die Krankheit nur in Ausnahmefällen tödlich verläuft. Dies ist bislang in der Regel nur bei älteren Menschen, sowie Personen mit Vorerkrankungen der Fall – sog. Risikogruppe. Ob eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StBG vorliegt, kann daher nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich ist die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten (BGH, Beschluss vom 16. 1. 2013 – 2 StR 520/12) unter Berücksichtigung von Alter und Vorerkrankung des Opfers (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 12). Die Infizierung einer Person, die zur Risikogruppe zählt, stellt somit eine lebensgefährliche Behandlung dar, die Infizierung einer sonstigen Person dagegen nicht.
Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung wird in der Praxis oftmals am fehlenden Vorsatz scheitern. Ausreichend ist jedoch – wie sonst auch – dolus eventualis. Es kommt also in einer Klausur auf den Klassiker, die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, an (siehe dazu ausführlich unser Beitrag hier). Erkennt der Täter das Risiko einer Ansteckung anderer Personen und nimmt er dieses Risiko billigend in Kauf, so ist der Vorsatz zu bejahen. Vertraut er aber darauf, niemanden zu infizieren, ist ihm mangels Vorsatz nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
II. Fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB
Eine fahrlässige Körperverletzung dürfte jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Täter von seiner eigenen Infektion wusste, oder zumindest aufgrund von engen Kontakt zu einer infizierten Person oder eigener Symptome mit der ernsthaften Möglichkeit einer Erkrankung rechnen musste, und dennoch in Kontakt mit anderen Personen trat, die er infolge dessen ansteckte. Ohne konkreten Anhaltspunkt bezüglich einer eigenen Erkrankung dürfte eine Strafbarkeit wohl ausscheiden.
III. Strafbarkeit bei tödlichem Krankheitsverlauf
Führt die Infektion zum Tod des Opfers, so hat sich der Täter bei Vorsatz sogar wegen Totschlag nach § 212 StGB oder sogar wegen Mord  nach § 211 StGB strafbar gemacht. Als Mordmerkmale kommen insbesondere Heimtücke und gemeingefährliche Mittel in Betracht. Letzteres könnte anzunehmen sein, wenn sich der Täter trotz eigener Infektion in eine Menschenmenge begibt, bspw. an einer Party teilnimmt, wo er zugleich mit einer Vielzahl an Personen engen Kontakt hat. Ob eine Heimtücke trotz der aktuellen, allgemein bekannten Gefährdungslage angenommen werden kann, ist fraglich. Es könnte an der Arglosigkeit fehlen, wenn bei einer derart weit verbreiteten Pandemie grundsätzlich jederzeit mit dem Risiko einer Infektion gerechnet werden muss.
Fehlt es wiederum am Vorsatz, so kann er sich nach § 222 StGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben. Handelt der Täter vorsätzlich bezüglich einer Körperverletzung, nicht hingegen hinsichtlich des tödlichen Verlaufs, so ist er strafbar wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB.
IV. Strafbarkeit wegen Versuch
Selbst wenn der Täter tatsächlich keine andere Person infiziert, so scheidet dadurch seine Strafbarkeit nicht von vorneherein aus. Rechnete er damit, andere anzustecken oder nahm er dies billigend in Kauf, so ist er mindestens wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar. Nahm er zudem auch den möglichen Tod einer anderen Person in Kauf, liegt eine Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag (oder sogar Mord) vor.
V. Strafbarkeit eines Richters wegen Durchführung der Verhandlung während Corona-Pandemie
In dem prominenten Fall der Anzeige gegen den Münchener Richter wird die denkbare Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wohl mangels nachweisbaren Vorsatzes ausscheiden. In einer Klausur wäre in einem solchen Fall zudem die objektive Zurechnung einer Infektion zu thematisieren, wenn diese nicht von dem Täter (hier dem Richter) selbst ausgeht. Diese könnte aufgrund des Dazwischentretens Dritter – dem bereits infizierten Teilnehmer der Verhandlung – ausscheiden. Dies dürfte ebenso zu diskutieren sein, wenn es um die Strafbarkeit der Veranstalter sonstiger Massenzusammenkünfte (bspw. Corona-Partys) geht, bei der es zur Infizierung zwischen den Teilnehmern kommt. Zudem könnte im Fall des Richters die objektive Zurechnung aufgrund sozialadäquaten Verhaltens scheitern. Darüber, inwiefern eine Verhandlung während der aktuellen Pandemie noch sozialadäquat ist, kann aber durchaus gestritten werden. Zwei Münchener Anwälte scheiterten mit einem Eilantrag vor dem BVerfG, mit dem sie weitere Verhandlungen verhindern wollten.
VI. Summa
Die Ansteckung anderer Personen mit dem Coronavirus erfüllt den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung §§ 223, 224 Nr. 1, 2. Alt. (bei Personen der Risikogruppe zusätzlich Nr. 5), bei tödlichem Verlauf kommt sogar eine Strafbarkeit wegen Todschlag § 212 StGB oder Mord § 211 StGB in Betracht.
Auch wer sich dieser Folge – etwa mangels Kenntnis der eigenen Infektion – nicht bewusst ist, kann sich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung § 229 StGB bzw. § 222 StGB strafbar machen.
Nahm der Täter billigend in Kauf, andere Personen anzustecken, so ist er dann, wenn er tatsächlich niemanden infiziert, aus Versuch zu bestrafen.
In diesem Sinne #stayhome und alles Gute.
 
 

25.03.2020/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-03-25 09:40:542020-03-25 09:40:54Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus

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