Wir freuen uns, einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) zur aktuellen Frage der Viruseindämmung per Handyortung veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit in Bonn.
Verbreitete Skepsis
Der Bundesgesundheitsminister hat recht: „Wie können wir Handydaten nutzen, um Infektionsketten nachzuvollziehen – diese Debatte müsse geführt werden“. Und sie wird ja bereits geführt. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar erklärt: „Ein totales Tracking aller Menschen in diesem Lande würde ich, jedenfalls nach dem derzeitigen Stand, nicht für verhältnismäßig halten,“ mehr noch: „Rechtlich hochgradig problematisch, im Zweifel auch nicht zulässig, wäre nach der Verfassungsgerichtsrechtsprechung, jeden Einzelnen jede Sekunde zu tracken. Das darf sicher nicht sein.“ Er steht damit nicht allein. Der aktuelle Bundesdatenschutzbeauftragte Kelber legt nach: „Das ist für mich ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte. Auch hält Kelber die Lösung für nicht praktikabel: „Erstens wären die Daten viel zu ungenau, zweitens könnten die Betroffenen ihr Handy einfach zu Hause lassen.“ Generell gibt er zu Bedenken: „Wenn personalisierte Standortdaten in Verbindung mit der Corona-Infektion eines Betroffenen gebracht werden, dann sind das Gesundheitsdaten. Solche Daten sind sehr sensibel und dürfen nur im Ausnahmefall verarbeitet werden.“ Die Bundesjustizministerin hat entsprechende Vorstöße erstmal abgeblockt. Sie mahnt: „Das ist ein weitreichender Eingriff in die Bürgerrechte“.
Der hohe Wert des Lebens als vitale Basis aller Grundrechte
Solcherlei Skepsis kann das Bundesverfassungsgericht sicherlich nicht für sich in Anspruch nehmen. Das betont nämlich nicht weniger deutlich den überragenden Wert des Lebens als vitale Basis aller Grundrechte. Das Recht auf Leben löst Schutzpflichten des Staates aus. Und die Datenschutz-Grundverordnung erlaubt ausdrücklich die Datenverarbeitung, wo sie erforderlich ist, um lebenswichtige Interessen zu schützen (Art. 6 Abs. 1 lit. d) DS-GVO). Was ist lebenswichtiger als das Leben selbst? Unbestritten: Die Verhältnismäßigkeit ist der Kern des Datenschutzes. Aber wir stehen vor der größten Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg. Tausende von Menschenleben sind in Gefahr, der Wohlstand von Jahrzehnten kann in Monaten zunichte gemacht werden. „Wer ein Leben rettet, der rettet die Welt“ heißt es übereinstimmend in Koran und Talmud. Auch der, der den Wert des Lebens nicht so absolut setzt, wer es abwägen will gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, der wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, die die Kritiker so nachdrücklich einfordern, all das berücksichtigen müssen. Der wird das ja endgültige Erlöschen der Existenz vielleicht auch nur weniger, das Bedürfnis nach Sicherheit von sehr vielen mehr, und wohl auch die verhaltenssteuernde Wirkung solcher Überwachung bei einigen in die Abwägung mit einbeziehen müssen. Man kann die Verarbeitung der Handydaten problemlos auf einen kurzen Zeitraum begrenzen. Für mich und für viele ist hier das Ergebnis dieser Abwägung klar, gerade weil ich Bürgerrechte ernst nehme.
Zur Geeignetheit der Handyortung
Wenn nun Taiwan, Korea und Israel vorgemacht haben, dass durch Handytracking Infektionsketten nachgewiesen werden können, dann hat diese Maßnahme gezeigt, dass sie geeignet ist. „Bisher fehlt jeder Nachweis, dass die individuellen Standortdaten der Mobilfunkanbieter einen Beitrag leisten könnten, Kontaktpersonen zu ermitteln“, twittert dessen ungeachtet der aktuelle Bundesdatenschutzbeauftragte. Aber es braucht hier keines Nachweises, sondern es reichen Regeln vernünftigen Vermutens. Ein Medikament darf auch gegeben werden, wenn es nur vielleicht hilft, wenn man nichts Besseres zur Hand hat. Das gilt auch im Datenschutz. In die Abwägung der Verhältnismäßigkeit darf dann eben nicht eine sichere Vermeidung der Ausbreitung eingestellt werden, sondern nur die hohe oder geringe Wahrscheinlichkeit. Und wenn Standortdaten nicht reichen, dann müssen bessere Daten her. Eben darauf sollte sich die Diskussion richten: Welche Daten können wir nutzen, welche haben wir zur Verfügung, was hilft? Und diese Daten sollten dann auch genutzt werden, wann immer es hilfreich ist zur Einschränkung der Pandemie.
Auch ohne Einwilligung der von der Datenverarbeitung Betroffenen?
Und das muss auch ohne Einwilligung der Betroffenen gelten, die nun der Bundesdatenschutzbeauftragte als Alternative vorschlägt. Es kommt auf die technische Machbarkeit an, nicht auf die Bereitschaft zur Kooperation. Wer auf die Freiwilligkeit einer Tracking-App setzt, der hofft auf ein Verantwortungsbewusstsein, das bei vielen gegeben sein mag – aber sicherlich nicht bei jedem. Die Einwilligung ist nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO eine alternative Möglichkeit zur Rechtfertigung, aber sie kommt eben nur ins Spiel, wenn es nicht schon nach Art. 6 Abs. 1 lit d) DS- GVO zulässig ist. Um diese Prüfung kommt der Datenschütze nicht herum.
Das Tracking als im Verhältnis zu Ausgangsbeschränkungen milderes Mittel
Wer dagegen ist, und meint, das sei alles nicht erforderlich, der muss Maßnahmen benennen, die ähnlich schnell realisiert werden können und den gleichen Nutzen versprechen. Nur dann argumentiert er juristisch legitim. Nachverfolgung ist nach den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts ein wesentlicher Pfeiler der Seuchenbekämpfung. Neben der Verbesserung der Versorgung und dem Schutz besonders vulnerabler Gruppen ist dies das einzige, was getan werden kann. Es ist ein Bürgerrecht, nicht überwacht zu werden, aber es ist auch ein Bürgerrecht, vor der Seuche bestmöglich geschützt zu werden. Das kann nicht vor der Einwilligung der Betroffenen abhängen. Wer sagt, das helfe nicht, denn der Betroffene könne das Handy ja zuhause lassen, der bedenkt nicht, dass es eine Verpflichtung geben kann, auch das Handy mitzunehmen – oder eben zuhause zu bleiben. Gerade das Tracking macht dann Freiheit möglich, die sonst ggf. beschränkt werden müsste. Wenn es verantwortbar ist, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zu lockern, eben weil nachverfolgt werden kann – dann ist dies ein wichtiges Argument für die Verhältnismäßigkeit, denn hier ist dann Datenverarbeitung das mildere Mittel.
Standortdaten als (besonders sensible) Gesundheitsdaten?
Und Gesundheitsdaten sind diese Standortdaten sicherlich nicht. Ganz bestimmt nicht. Gesundheitsdaten werden unter der DS-GVO definiert als „personenbezogene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen“. Wie krank ich bin sagt mir nicht die Standortmitteilung. Und selbst wenn man hier andere Meinung ist. Art. 9 Abs. 2 lit. i) DS-GVO erlaubt ausdrücklich die Verarbeitung auch von Gesundheitsdaten, wenn sie erforderlich ist „aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren.“
Was bleibt?
Datenschutz lebt wie alles Recht von der gesellschaftlichen Akzeptanz. Die darf nicht verloren gehen. Jetzt müssen die gesetzlichen Grundlagen für eine zügige und effektive Bekämpfung der Pandemie geschaffen werden. Und diejenigen, denen der Datenschutz am Herzen liegt, sollten die Gesetzgebung dabei begleiten, Datennutzung zum Wohle aller und insbesondere der Schwächsten möglich zu machen, nicht abzuwehren. Mutiges Handeln ist jetzt erforderlich. Das Datenschutzrecht steht dem nicht entgegen.
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Es gibt wohl kein Thema, dass in den letzten Jahren derart die Schlagzeilen bestimmt hat wie das neuartige Coronavirus. Daher dürfte es auch nicht verwunderlich sein, falls rechtliche Probleme rund um das Coronavirus künftig Gegenstand juristischer Prüfungen sein werden.
In München kam es vergangene Woche bereits zum Eklat: Ein Münchener Rechtsanwalt zeigte einen Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung an, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand. Anwesend waren über 50 Personen. Nach Ansicht des beteiligten Anwalts sei die Verhandlung daher eine Hochrisikoveranstaltung, bei der ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bewusst in Kauf genommen werde.
Dies bietet Anlass, die prüfungsrelevanten Probleme der Strafbarkeit durch Infizierung Anderer mit dem Coronavirus zu erläutern:
I. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung §§ 223, 224 StGB
Wer eine andere Person mit dem Coronavirus infiziert, der erfüllt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung – und dies selbst dann, wenn der Infizierte über keinerlei Symptome klagt. Zwar erfordert eine körperliche Misshandlung spürbare Folgen der Infektion. Eine Gesundheitsschädigung liegt aber bereits in der Infektion mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit selbst, in deren Folge der betroffene auch selbst infektiös sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 04-11-1988 – 1 StR 262/88).
Ggf. kann auch eine Strafbarkeit nach § 224 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung vorliegen. In Betracht kommt die Beibringung eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes (Nr. 1, 2. Alt.) sowie eine lebensgefährliche Behandlung (Nr. 5).
Nach hM. sind Erreger von Krankheiten als gesundheitsschädliche Stoffe iSd. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB anzusehen (statt vieler Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 2c). Um in Bagatellfälle unangemessen hohen Strafe und einen Wertungswiderspruch mit den Nr. 2-5 zu vermeiden, ist über den Wortlaut hinaus erforderlich, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zur Verursachung einer erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist. Nur so kann die gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB massive Strafrahmenerhöhung gerechtfertigt werden. Auch wenn einige die Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus in einigen Fällen milde verläuft, so ist der Virus dennoch jedenfalls geeignet, eine erhebliche Gesundheitsschädigung hervorzurufen.
Zudem kann eine lebensgefährdende Behandlung gemäß Nr. 5 vorliegen. Nach hM. ist keine konkrete Lebensgefahr erforderlich, sondern eine abstrakte Lebensgefahr ausreichend. Schließlich setzten auch die Nr. 1-4 abstrakte Gefahren unter die erhöhte Strafe. Zudem steht im Fokus des Wortlauts gerade die lebensgefährliche Behandlung, also nicht der konkrete Erfolg. An der abstrakten Lebensgefährlichkeit der Ansteckung mit dem Coronavirus kann gezweifelt werden, weil die Krankheit nur in Ausnahmefällen tödlich verläuft. Dies ist bislang in der Regel nur bei älteren Menschen, sowie Personen mit Vorerkrankungen der Fall – sog. Risikogruppe. Ob eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StBG vorliegt, kann daher nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich ist die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten (BGH, Beschluss vom 16. 1. 2013 – 2 StR 520/12) unter Berücksichtigung von Alter und Vorerkrankung des Opfers (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 12). Die Infizierung einer Person, die zur Risikogruppe zählt, stellt somit eine lebensgefährliche Behandlung dar, die Infizierung einer sonstigen Person dagegen nicht.
Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung wird in der Praxis oftmals am fehlenden Vorsatz scheitern. Ausreichend ist jedoch – wie sonst auch – dolus eventualis. Es kommt also in einer Klausur auf den Klassiker, die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, an (siehe dazu ausführlich unser Beitrag hier). Erkennt der Täter das Risiko einer Ansteckung anderer Personen und nimmt er dieses Risiko billigend in Kauf, so ist der Vorsatz zu bejahen. Vertraut er aber darauf, niemanden zu infizieren, ist ihm mangels Vorsatz nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
II. Fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB
Eine fahrlässige Körperverletzung dürfte jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Täter von seiner eigenen Infektion wusste, oder zumindest aufgrund von engen Kontakt zu einer infizierten Person oder eigener Symptome mit der ernsthaften Möglichkeit einer Erkrankung rechnen musste, und dennoch in Kontakt mit anderen Personen trat, die er infolge dessen ansteckte. Ohne konkreten Anhaltspunkt bezüglich einer eigenen Erkrankung dürfte eine Strafbarkeit wohl ausscheiden.
III. Strafbarkeit bei tödlichem Krankheitsverlauf
Führt die Infektion zum Tod des Opfers, so hat sich der Täter bei Vorsatz sogar wegen Totschlag nach § 212 StGB oder sogar wegen Mord nach § 211 StGB strafbar gemacht. Als Mordmerkmale kommen insbesondere Heimtücke und gemeingefährliche Mittel in Betracht. Letzteres könnte anzunehmen sein, wenn sich der Täter trotz eigener Infektion in eine Menschenmenge begibt, bspw. an einer Party teilnimmt, wo er zugleich mit einer Vielzahl an Personen engen Kontakt hat. Ob eine Heimtücke trotz der aktuellen, allgemein bekannten Gefährdungslage angenommen werden kann, ist fraglich. Es könnte an der Arglosigkeit fehlen, wenn bei einer derart weit verbreiteten Pandemie grundsätzlich jederzeit mit dem Risiko einer Infektion gerechnet werden muss.
Fehlt es wiederum am Vorsatz, so kann er sich nach § 222 StGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben. Handelt der Täter vorsätzlich bezüglich einer Körperverletzung, nicht hingegen hinsichtlich des tödlichen Verlaufs, so ist er strafbar wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB.
IV. Strafbarkeit wegen Versuch
Selbst wenn der Täter tatsächlich keine andere Person infiziert, so scheidet dadurch seine Strafbarkeit nicht von vorneherein aus. Rechnete er damit, andere anzustecken oder nahm er dies billigend in Kauf, so ist er mindestens wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar. Nahm er zudem auch den möglichen Tod einer anderen Person in Kauf, liegt eine Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag (oder sogar Mord) vor.
V. Strafbarkeit eines Richters wegen Durchführung der Verhandlung während Corona-Pandemie
In dem prominenten Fall der Anzeige gegen den Münchener Richter wird die denkbare Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wohl mangels nachweisbaren Vorsatzes ausscheiden. In einer Klausur wäre in einem solchen Fall zudem die objektive Zurechnung einer Infektion zu thematisieren, wenn diese nicht von dem Täter (hier dem Richter) selbst ausgeht. Diese könnte aufgrund des Dazwischentretens Dritter – dem bereits infizierten Teilnehmer der Verhandlung – ausscheiden. Dies dürfte ebenso zu diskutieren sein, wenn es um die Strafbarkeit der Veranstalter sonstiger Massenzusammenkünfte (bspw. Corona-Partys) geht, bei der es zur Infizierung zwischen den Teilnehmern kommt. Zudem könnte im Fall des Richters die objektive Zurechnung aufgrund sozialadäquaten Verhaltens scheitern. Darüber, inwiefern eine Verhandlung während der aktuellen Pandemie noch sozialadäquat ist, kann aber durchaus gestritten werden. Zwei Münchener Anwälte scheiterten mit einem Eilantrag vor dem BVerfG, mit dem sie weitere Verhandlungen verhindern wollten.
VI. Summa
Die Ansteckung anderer Personen mit dem Coronavirus erfüllt den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung §§ 223, 224 Nr. 1, 2. Alt. (bei Personen der Risikogruppe zusätzlich Nr. 5), bei tödlichem Verlauf kommt sogar eine Strafbarkeit wegen Todschlag § 212 StGB oder Mord § 211 StGB in Betracht.
Auch wer sich dieser Folge – etwa mangels Kenntnis der eigenen Infektion – nicht bewusst ist, kann sich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung § 229 StGB bzw. § 222 StGB strafbar machen.
Nahm der Täter billigend in Kauf, andere Personen anzustecken, so ist er dann, wenn er tatsächlich niemanden infiziert, aus Versuch zu bestrafen.
In diesem Sinne #stayhome und alles Gute.