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Carlo Pöschke

Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mietrecht, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Die Ausbreitung des COVID-19-Virus und die gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten staatlichen Maßnahmen haben Unternehmen und Verbraucher wirtschaftlich hart getroffen. Zur Eindämmung der nachteiligen Folgen der Pandemie hat der Bundestag das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG) beschlossen. Der erste Teil dieses Beitrags hat sich mit den vorübergehenden Änderungen im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht auseinandergesetzt. Der zweite Teil behandelt nun die besonders klausur- und examensrelevanten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts.
 
 C. Allgemeines Zivilrecht
Infolge der gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten Maßnahmen haben zahlreiche Unternehmen ihr Geschäft beschränkt oder eingestellt, sodass deren Mitarbeiter erhebliche Einkommensverluste erleiden. Ist das verbleibende Einkommen, z.B. das Kurzarbeitergeld, zu niedrig und verfügen die Betroffene nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen, können sie in eine Situation geraten, in der sie nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. In letzter Konsequenz kann dies bedeuten, dass sie ihre Wohnung verlieren und von Leistungen der Grundversorgung wie Strom, Gas oder Telekommunikation abgeschnitten werden. Dem will der durch Art. 5 COVG neu in das EGBGB eingefügte Art. 240 mit einem Leistungsverweigerungsrecht (I.), einer Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (II.) sowie einer Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers (III.) entgegenwirken.
 
I. Leistungsverweigerungsrecht
Herzstück des neuen Corona-Vertragsrechts ist das in Art. 240 § 1 EGBGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen. Für Verbraucher sind dessen Voraussetzungen in Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB geregelt, während die Voraussetzungen für Kleinstunternehmen in Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB zu finden sind. Die Prüfungsstruktur ist bei Verbrauchern und Kleinstunternehmen jedoch dieselbe, sodass die Voraussetzungen (1.) und Rechtsfolgen (2.) des Zahlungsmoratoriums im Folgenden gemeinsam betrachtet werden sollen.
 
1. Voraussetzungen
a) Verbraucher oder Kleinstunternehmen
In persönlicher Hinsicht umfasst Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher. Art. 240 § 1 I 1 EGBGB spricht zudem von einem Anspruch, der in einem Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht. § 310 III BGB wiederum legaldefiniert einen Verbrauchervertrag als einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Liest man die Voraussetzungen „Verbraucher“ und „Verbrauchervertrag“ zusammen, sind vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher erfasst, deren Vertragspartner ein Unternehmer ist. Auch die Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ sind im BGB definiert. So ist Verbraucher nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen Tätigkeit zugerechnet werden können. § 14 I BGB wiederum versteht unter einem Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
Von Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB umfasst werden Kleinstunternehmen i.S.d. Empfehlung 2003/361 EG der Kommission vom 06.05.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20.05.2003,  36). Demnach sind Kleinstunternehmen Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu zwei Millionen Euro.
 
b) Wesentliches Dauerschuldverhältnis
In sachlicher Hinsicht beziehen sich Art. 240 § 1 I 2 EGBGB und Art. 240 § 1 II 2 EGBGB auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse i.S.d. Art. 240 § 1 I 2 EGBGB sind gem. Satz 3 solche Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Hierzu zählen ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110, 34) etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste sowie Verträge über die Wasserver- und -entsorgung, soweit diese zivilrechtlich geregelt sind. In Art. 240 § 1 II 3 EGBGB ist eine ganz ähnliche Legaldefinition des wesentlichen Dauerschuldverhältnisses i.S.d. Art. 240 § 1 II 2 EGBGB zu finden. Dass nur Dauerschuldverhältnisse erfasst werden, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden, liegt daran, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nach diesem Zeitpunkt die pandemieartige Ausbreitung des Virus absehbar war und die Vertragschließenden mit tiefgreifenden Veränderungen des Wirtschaftslebens rechnen mussten und daher nicht mehr schutzwürdig sind (BT-Drucks. 19/18110, S. 34).
 
c) Umstände, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind
Weiterhin erfordert ein Leistungsverweigerungsrecht das Vorliegen von Umständen, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Solche Umstände können für Kleinstunternehmen beispielsweise in Einnahmeverlusten durch behördlich angeordnete Geschäftsschließungen oder durch Kaufzurückhaltung der Kunden sowie in zusätzlichen Kosten liegen, die zur Einhaltung der erhöhten Hygienestandards anfallen, liegen. Bei Verbrauchern kann ein solcher Umstand im Beziehen von Kurzarbeitergeld statt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts oder einer betriebsbedingten Kündigung liegen.
 
d) Gefährdung des Schuldners oder Unvermögen des Kleinstunternehmens
Des Weiteren muss die Erbringung der Leistung den angemessenen Lebensunterhalt des Schuldners gefährden oder den angemessenen Lebensunterhalt der unterhaltsberechtigten Angehörigen des Schuldners unmöglich machen (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB). Das Pendant zur Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts ist für Kleinunternehmen die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs (Art. 240 § 1 II 1 Nr. 2 EGBGB). Um zu bestimmen, wann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage vorliegt, könne man sich, so wird vorgeschlagen, aufgrund der Insolvenznähe des Art. 240 § 1 EGBGB an den Eröffnungsgründen des Insolvenzrechts orientieren. Eine Gefährdung sei daher bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie Überschuldung (§ 19 InsO) anzunehmen. Bei Verbrauchern genüge auch, wenn nach Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust das monatliche Haushaltseinkommen den Grundbedarf unterschreitet und nennenswerte liquide Reserven nicht vorhanden sind (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104). Für Kleinstunternehmen nennt Art. 240 § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB zusätzlich den Fall, dass das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann. Dadurch werden Kleinstunternehmer davon entbunden, sich Liquidität zum Beispiel durch Aufnahme von Darlehen zu beschaffen oder den Ausfall von Personal oder die Nichtbeschaffbarkeit von Material und Infrastruktur zu kompensieren (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104).
 
e) Zusammenhang zwischen den auf die Pandemie zurückzuführenden Umständen und der Gefährdung des Schuldners oder dem Unvermögen des Kleinstunternehmens („infolge“)
Die Gefährdung bzw. das Unvermögen des Kleinstunternehmens zur Leistung muss „infolge“ von Umständen, die auf die Ausbreitung der Pandemie zurückzuführen sind, eingetreten sein (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Es muss also ein Zusammenhang zwischen den beiden Tatbestandsmerkmalen bestehen. Ähnlich wie beim „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG stellt sich die Frage, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist. Insb. in Bezug auf Kleinstunternehmen wird es Fälle geben, in denen die Pandemie nicht der einzige Grund für die Gefährdung oder das Unvermögen des Kleinstunternehmen sein, sondern weitere Umstände wie Managementfehler oder Veränderungen im Marktumfeld hinzutreten. Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals gibt die Gesetzesbegründung keine Hinweise. Aufgrund des Telos des Gesetzespakets und der in Frage stehenden Norm, die Folgen der Pandemie abzumildern sowie Verbrauchern und Kleinstunternehmen Zeit zu verschaffen, ist dieses Tatbestandsmerkmal großzügig auszulegen. Es ist keine Monokausalität, sondern lediglich Kausalität i.S.d. der Äquivalenztheorie erforderlich (zum gleichen Ergebnis im Zusammenhang mit dem „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG kommt Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290).
 
f) Keine Verteidigung des Gläubigers
Die Gewährung eines temporären Leistungsverweigerungsrechts durch Gesetz stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit dar, die grundrechtlich über Art. 2 I GG hergeleitet wird. Um die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs zu wahren, eröffnet Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB dem Gläubiger eine Verteidigungsmöglichkeit (BT-Drucks. 19/18110, 35). Das Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers gilt nach Art. 240 § 1 III 1 EGBGB nicht, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrecht für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs gefährden würde. Das Leistungsverweigerungsrecht des Kleinstunternehmens gilt nach Art. 240 § 1 III 2 EGBGB ebenfalls bei Unzumutbarkeit für den Gläubiger nicht. Eine solche Unzumutbarkeit kann in einer Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts oder der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs liegen. Befinden sich Schuldner und Gläubiger also in vergleichbar schwierigen wirtschaftlichen Lagen, hat sich der Gesetzgeber zugunsten des Gläubigers entschieden. Bei Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts nach Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB steht dem Schuldner nur noch ein Kündigungsrecht gem. Art. 240 § 1 III 3 EGBGB zu.
 
g) Kein Ausschluss des Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB
Schließlich darf das Leistungsverweigerungsrecht nicht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB ausgeschlossen sein. Ausgeschlossen ist ein Leistungsverweigerungsrecht für Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Darlehensverträgen (Nr. 1) sowie arbeitsrechtliche Ansprüche (Nr. 2).
 
2. Rechtsfolgen
Das Leistungsverweigerungsrecht ist als Einrede konzipiert. Der Schuldner muss sich im Prozess also auf diese Einrede berufen und dessen Voraussetzungen belegen. Hat sich der Schuldner erfolgreich auf die Einrede berufen, entfällt die Durchsetzbarkeit des Anspruchs bis zum 30.06.2020 (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB), wobei Art. 240 § 4 I Nr. 1 EGBGB die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Dauer des Leistungsverweigerungsrechts bis längstens zum 30.09.2020 zu verlängern. Allerdings steht dem Schuldner das Leistungsverweigerungsrecht nur solange zu, wie er wegen der Pandemie an seiner Leistungserbringung gehindert ist. Das Leistungsverweigerungsrecht ändert nichts an der primären Leistungspflicht, diese ist bloß später zu erfüllen. Es hindert die Vollstreckbarkeit der vereinbarten Leistung und damit zugleich die Entstehung von Sekundäransprüchen, die an die Nichterbringung von Leistungspflichten geknüpft sind, z.B. Verzug (§§ 286 ff. BGB), Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB) und Rücktritt (§ 323 I BGB) (BT-Drucks. 19/18110, 35).
 
II. Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen
Durch die Pandemie ist damit zu rechnen, dass einige Mieter und Pächter vorübergehend nicht in der Lage sind, die fälligen Mieten und Pachten fristgerecht zu zahlen. Gem. § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (beim Pachtvertrag i.V.m. § 581 II BGB) steht dem Vermieter bzw. Verpächter ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung zu, wenn der Mieter bzw. Pächter für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete bzw. Pacht oder eines nicht unerheblichen Teils davon in Verzug ist.
Um zu verhindern, dass Mieter ihren Wohnraum bzw. Gewerbemieter oder -pächter die Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit verlieren, schließt Art. 240 § 2 I EGBGB (bei Pachtverhältnissen i.V.m. Art. 240 § 2 III EGBGB) nun ein Kündigungsrecht für Miet- und Pachtverhältnisse über Grundstücke oder über Räume aus dem alleinigen Grund, dass der Mieter bzw. Pächter die Miete bzw. Pacht im Zeitraum vom 01.04.2020 bis zum 30.06.2020 trotz Fälligkeit nicht leistet, aus, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Somit stellen Mietrückstände weder einen wichtigen Grund nach § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB), noch ein berechtigtes Interesse nach § 573 I, II Nr. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB) dar. Auch bei der Kündigungsbeschränkung wird die Bundesregierung ermächtigt, die Anwendung dieser Bestimmung zeitlich zu verlängern (Art. 240 § 4 I Nr. 2 EGBGB). Zentrales Tatbestandsmerkmal der Kündigungsbeschränkung ist das Beruhen der Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie. Dieser Zusammenhang ist – wie beim Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB (Genaueres hierzu unter Gliederungspunkt C.I.1.e)) – großzügig auszulegen, was auch dadurch deutlich wird, dass die Gesetzesbegründung als Beispiel, bei dem die Nichtleistung nicht auf den Auswirkungen der Pandemie beruht, die Zahlungsunwilligkeit des Mieters anführt (BT-Drucks. 19/18110, S. 36).
Die Kündigungsbeschränkung von Miet- und Pachtverhältnissen nach Art. 240 § 2 EGBGB unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten vom allgemeinen Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB: Einerseits eröffnet sie nicht wie Art. 249 § 1 III EGBGB dem Vermieter bzw. Verpächter eine Verteidigungsmöglichkeit, die ihn letztendlich doch zur Kündigung aufgrund des Zahlungsverzugs berechtigt, wenn der Ausschluss der Kündigung seinerseits unzumutbar ist. Andererseits bleiben die Mieter bzw. Pächter nach den allgemeinen Grundsätzen zur Leistung verpflichtet und können auch in Verzug geraten, sodass der Vermieter bzw. Verpächter beispielsweise gem. § 288 I 1 BGB Verzugszinsen fordern kann. Dieser Unterschied ggü. Art. 240 § 1 III EGBGB kann als Ausgleich zur fehlenden Verteidigungsmöglichkeit des Vermieters bzw. Verpächters aufgefasst werden und begrenzt die Intensität des Eingriffs in die Rechte des Vermieters bzw. Verpächters.
 
III. Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers
Auf Corona beruhende Einnahmeverluste können nicht nur dazu führen, dass Verbraucher ihre Miete oder Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen nicht rechtzeitig begleichen können, sondern auch dazu, dass sie vorübergehend Darlehensrückzahlungen nicht leisten können. Der Zahlungsverzug des Darlehensnehmers kann im schlimmsten Fall zur Kündigung des Darlehensvertrags und zur Verwertung der eingeräumten Sicherheiten führen. Die neuen Regelungen zum Darlehensrecht in Art. 240 § 3 EGBGB sollen durch eine vorübergehende ipso iure eintretende Stundung der Ansprüche des Darlehensgebers den Verbrauchern Luft zum Atmen geben.
 
1. Voraussetzungen
Einige der Voraussetzungen der Stundung nach Art. 240 § 3 EGBGB gleichen den Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts des Art. 240 § 1 EGBGB. Die Voraussetzungen der Stundung sollen daher nur kurz angesprochen werden.
 
a) Verbraucherdarlehensvertrag
Erste Voraussetzung für die Stundung ist das Vorliegen eines Verbraucherdarlehensvertrags, der vor dem 15.03.2020 geschlossen wurde. Nach der Legaldefinition des § 491 I 2 BGB fallen unter Verbraucherdarlehensverträge sowohl Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge als auch Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. Entsprechende Legaldefinitionen finden sich wiederum in § 491 II 1 BGB bzw. § 491 III 1 BGB, wobei die in § 491 II 2 BGB bzw. § 491 III 2, 4 BGB normierten Ausnahmen unbedingt zu beachten sind.
 
b) Unzumutbare pandemiebedingte Ausnahmefälle
Weiter fordert Art. 24o § 3 I EGBGB, dass der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der Leistung nicht mehr zumutbar ist. Erforderlich ist somit ein doppelter Kausalzusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und den außergewöhnlichen Verhältnissen sowie zwischen außergewöhnlichen Verhältnissen und der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Auch hier genügt Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie. Art. 240 § 3 I 2 EGBGB enthält Regelbeispiele, wann die Erbringung der Leistung als nicht zumutbar anzusehen ist. Demnach ist die Erbringung der geschuldeten Leistung insb. bei Gefährdung eines angemessenen Lebensunterhalts unzumutbar, was insoweit mit der Formulierung in Art. 240 § 1 I 1 EGBGB übereinstimmt (s. Gliederungspunkt C.I.1.d)). Lühmann (NJW 2020, 1321, 1322) schlägt vor, der Begriff des angemessenen Lebensunterhalts könne in Anlehnung an den Begriff des notwendigen Lebensunterhalts in § 850f I lit. a) ZPO konkretisiert werden. Dieser Vorschlag kann indes nicht richtig sein: Zunächst spricht der Wortlaut des Art. 240 § 3 I 2 EGBGB ausdrücklich vom „angemessenen“ und nicht vom „notwendigen“ Lebensunterhalt. § 850 I lit. a) ZPO verweist zu unterschiedlichen Vorschriften des SGB II und des SGB XII. Notwendiger Lebensunterhalt i.S.d. § 850 I lit. a) ZPO i.V.m. § 27a I 1 SGB XII ist damit der „für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt“, der gem. § 28 I SGB XII im Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) bestimmt ist. Es würden damit die für Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger geltenden Regelsätze Anwendung finden. Ausgaben, die über dem für das Existenzminimum Notwendigem liegen, sind allerdings nicht per se auch unangemessen. Im Gegenteil: Wer vor Corona ein auskömmliches Einkommen gehabt und einen entsprechenden Lebensstandard gepflegt hat, kann die Kosten – v.a. die Unterkunftskosten – nicht innerhalb von kürzester Zeit auf ein dem notwendigen Lebensunterhalt im sozialrechtlichen Sinn entsprechendes Niveau senken. Auch der gesetzgeberische Wille spricht gegen den Vorschlag Lühmanns: Die Schwelle der relevanten Einnahmeminderung sei nicht pauschal festgelegt, sondern vom individuellen Einzelfall abhängig (BT-Drucks. 19/18110, 39). Das Abstellen auf § 850 I lit. a) ZPO läuft jedoch im Ergebnis auf die Anwendung pauschaler Werte hinaus. Hätte dies der Gesetzgeber gewollt, hätte er es im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung erwähnt.
 
c) Keine Verteidigung des Darlehensgebers
Nach Art. 240 § 3 VI wird die Forderung nicht gestundet, wenn dem Darlehensgeber die Stundung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist. Diese Bestimmung soll eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Rechte des Darlehensgebers verhindern und Raum für eine einzelfallbezogene Interessenabwägung lassen. Grds. geht der Gesetzgeber allerdings von einer überwiegenden Schutzbedürftigkeit der Verbraucher aus, sodass eine Stundung nur in extremen, meist im Verhalten des Darlehensnehmers begründeten, Fällen ausgeschlossen ist. Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung „gravierende oder sich über einen längeren Zeitraum hinziehende schuldhafte Pflichtverletzungen des Verbrauchers wie zum Beispiel betrügerische Angaben oder vertragswidrige Veräußerungen von Sicherheiten“ (BT-Drucks. 19/18110, 40) an. Drohende Liquiditätsprobleme eines Kreditinstituts, die durch die Stundung der Rückzahlungen einer Vielzahl von Kunden entstehen, dürften damit nicht zu einem Ausschluss der Stundung nach Art. 240 § 3 VI EGBGB führen. Hier könnte sich der einzelne Kunde zudem stets darauf berufen, dass die Aussetzung der Rückzahlungen eines einzelnen (Privat-)Kunden ein Kreditinstitut nicht in Liquiditätsschwierigkeiten bringt und etwaige Liquiditätsprobleme vielmehr vom Gesetzgeber durch Verabschiedung des COVG in Kauf genommen wurden.
 
2. Rechtsfolgen
Liegen die Voraussetzungen vor, werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 01.04.2020 und dem 30.06.2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten ipso iure gestundet. Unter einer Stundung versteht man dabei seit jeher das Hinausschieben der Fälligkeit bei fortbestehender Erfüllbarkeit (BGH, NJW 1998, 2060, 2061; MüKo-BGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, § 271 Rn. 22). Insofern ist der Hinweis in Art. 240 § 4 I 3 EGBGB, dass der Verbraucher berechtigt ist, seine vertraglichen Zahlungen zu den ursprünglich vereinbarten Leistungsterminen weiter zu erbringen, rein deklaratorischer Natur. Art. 240 § 3 IV 1 EGBGB fordert von dem Darlehensgeber, dem Verbraucher ein Angebot über die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung und über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anzubieten. Kommt der Darlehensgeber dieser Pflicht nicht nach oder kommt eine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30.06.2020 nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate und die Fälligkeit der vertraglichen Leistungen wird um diese Frist hinausgeschoben (Art. 240 § 3 V 1, 2 EGBGB). Durch diese Regelung soll eine Situation vermieden werden, in der die Darlehensnehmer zwar einen Aufschub erhalten, nach dessen Ablauf sie aber dennoch ganz erheblich überfordert sind (BT-Drucks. 19/18110, 40). Wie alle Regeln des COVG sind auch die Regelungen zum Darlehensrecht mit einer Verordnungsermächtigung zur Verlängerung des zeitlichen Anwendungsbereichs verbunden (Art. 240 § 4 I Nr. 3 EGBGB).
 
IV. Ein letztes Zwischenfazit
Im Vordergrund der Corona-bedingten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts steht der Schutz des Verbrauchers. Es soll verhindert werden, dass der Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen wird, seine Wohnung verliert oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Letztendlich belastet Art. 240 EGBGB diejenigen stärker, bei denen der Gesetzgeber davon ausgeht, sie kämen mit den Folgen der COVID-19-Pandemie besser zurecht als die Verbraucher; das sind Unternehmer, Vermieter und Banken. Letztendlich ist Art. 240 EGBGB Ausdruck von sozialstaatlicher Solidarität. Ohne Risiken und Nebenwirkungen ist diese Strategie freilich nicht:  Wenn Banken über einen längeren Zeitraum ohne einen nicht unerheblichen Teil der Darlehensrückzahlungen auskommen müssen und dazu im schlimmsten Fall noch eine kollektive Verunsicherung der Anleger hinzukommt, können auch die vermeintlich Stärksten in Liquiditätsschwierigkeiten kommen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Liquiditätsprobleme einzelner Kreditinstitute aufgrund ihrer vielfältigen Verknüpfungen schnell eine Kettenreaktion auslösen können. Sollte dies bevorstehen, müssen rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, wird die Wirtschaft in der Zeit nach Corona doch besonders auf eine rege Kreditvergabe angewiesen sein.
 
D. Fazit
Während die Änderungen durch das COVG im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht dem Examenskandidaten sicherlich nicht en détail bekannt sein müssen, ist eine vertiefte Befassung mit den vorübergehenden Änderungen des allgemeinen Zivilrechts aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Pflichtfachstoff ratsam. Zusammenfassend lässt sich festhalten:

  • Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Geschäftspartnern Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen.
  • Die in Art. 2 COVG Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern.
  • Im Vordergrund des neuen Art. 240 EGBGB steht der Schutz der Verbraucher. Es soll verhindert werden, dass Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen werden, ihre Wohnung verlieren oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Im Einzelnen wird dies durch ein Leistungsverweigerungsrecht (Art. 240 § 1 EGBGB), die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (Art. 240 § 2 EGBGB) und der Stundung von Darlehensrückzahlungen (Art. 240 § 3 EGBGB) erreicht.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der volle Titel des Gesetzes „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie […]“ hält, was er verspricht: Das Gesetz wird einen Beitrag zur Reduzierung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie leisten. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass insb. die Änderungen im allgemeinen Zivilrecht und im Insolvenzrecht nicht ohne Risiken sind und erheblich in die Rechte anderer eingreifen. Daher sollten die Änderungen zwar solange wie nötig, aber keinesfalls länger als nötig gelten.

20.05.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-05-20 09:30:252020-05-20 09:30:25Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht
Carlo Pöschke

Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil I: Insolvenz- und Gesellschaftsrecht

Examensvorbereitung, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Die Ausbreitung des COVID-19-Virus hat weltweit das öffentliche und wirtschaftliche Leben weitestgehend lahmgelegt. Um der weiteren Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken, mussten Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote und Geschäftsschließungen verfügt werden. Bei vielen Unternehmen ist der Umsatz drastisch eingebrochen, insb. kleinere und mittlere Unternehmen sind in erstzunehmende Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Und auch vor Arbeitnehmern hat das Virus keinen Halt gemacht: Bei manchen wurden befristete Arbeitsverträge nicht verlängert, andere mussten betriebsbedingt gekündigt werden, zehn Millionen Arbeitnehmer befinden sich in Kurzarbeit und müssen nun mit 60 bzw. 67 % ihres Nettoentgelts (§ 105 SGB III) auskommen, während Lebenshaltungskosten und andere Fixkosten in unveränderter Höhe anfallen. Unternehmen stehen nicht nur aufgrund von Absatz- und Umsatzrückgängen vor Schwierigkeiten, sondern auch, weil sie aufgrund der Versammlungsverbote und der allgemeinen Gefahrenlage Beschlüsse auf Versammlungen der entsprechenden Organe nicht mehr auf herkömmlichem Weg herbeiführen können. Einige der nachteiligen Folgen der Pandemie sollen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG; BGBl. 2020 I, 569 ff.), das in Windeseile das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat, abgeschwächt werden. Bei dem Gesetz handelt es sich um ein Artikelgesetz, d.h. um ein Gesetz, das gleichzeitig unterschiedliche Gesetze abändert und ergänzt.
Es ist zu erwarten, dass die COVID-19-Pandemie Juristen noch für längere Zeit beschäftigen wird und so ist es auch wenig verwunderlich, wenn man in einer mündlichen Examensprüfung (sobald diese wieder stattfinden) darauf zu sprechen kommt. Insb. das Zahlungsmoratorium für Verbraucher und die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen im neuen Art. 240 EGBGB lassen sich zudem auch leicht in Klausurfälle einbauen. Es lohnt also, einen Blick auf die wesentlichen Bestimmungen des neuen Gesetzes zu werfen.
Der erste Teil dieses zweiteiligen Beitrags behandelt die vorübergehenden Änderungen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts; im zweiten Teil des Beitrags werden die Änderungen auf dem Gebiet des allgemeinen Zivilrechts beleuchtet.
 
A. Insolvenzrecht
Art. 1 COVG enthält das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Bevor die Änderungen im Insolvenzrecht durch das COVInsAG dargestellt werden, soll zunächst ein kurzer Blick auf das „normale“ Insolvenzrecht geworfen werden.
 
I. Grundlagen des Insolvenzrechts
Im deutschen Recht existieren zwei Vollstreckungssysteme: zum einen die durch den Prioritätsgrundsatz geprägte und im achten Buch der ZPO geregelte Einzelvollstreckung, bei der dem schnellsten Gläubiger der Vorzug gebührt (s. nur § 804 III ZPO); zum anderen die in der InsO geregelte Gesamtvollstreckung. Ziel des Insolvenzverfahrens ist – wie § 1 S. 1 InsO zum Ausdruck bringt – die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der individuelle Zugriff der Gläubiger auf das Schuldnervermögen beendet (§ 89 InsO) und der Gläubigerwettlauf um das unzureichende Schuldnervermögen beendet.
Wichtigste Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die schriftliche Stellung eines Eröffnungsantrags (§ 13 I InsO) und das Vorliegen eines Eröffnungsgrunds (§ 16 InsO). Zu den Eröffnungsgründen zählt die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie die Überschuldung (§ 19 InsO). Antragsberechtigt sind gem. § 13 I 2 InsO die Gläubiger und der Schuldner sowie nach § 15 I 1 InsO bei juristischen Personen die Mitglieder des Vertretungsorgans. §§ 13, 15 InsO sprechen ausdrücklich von einem „Antragsrecht“; eine Antragspflicht des Schuldners besteht grds. nicht. Damit insolvenzreife Gesellschaften, für deren Schulden keine natürliche Person unbegrenzt haftet, nicht ohne insolvenzrechtlichen Schutz des Rechtsverkehrs fortgeführt werden (BT-Drucks. 16/6140, 55), sieht § 15a I 1 InsO bei juristischen Personen eine strafbewehrte (§ 15a IV InsO) Insolvenzantragspflicht der Mitglieder des Vertretungsorgans für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor.
 
II. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Ohne die Gesetzesänderung wäre eine Vielzahl von Unternehmensinsolvenzen mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu befürchten gewesen, weil Staatshilfen nicht rechtzeitig bereitgestanden hätten und Liquidität nicht rechtzeitig hätte beschaffen werden können. Genau daran setzt § 1 COVInsAG an: § 1 S. 1 COVInsAG setzt grds. die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO bis zum 30.09.2020 aus, wobei § 4 COVInsAG das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis höchstens zum 31.03.2021 zu verlängern. Eine Ausnahme von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht greift nach § 1 S. 2 COVInsAG nur dann, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen (zur Auslegung dieser beiden Voraussetzungen s. Römermann, NJW 2020, 1108, 11o9; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290 f.; Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 22 f.). Neben dieser Regel-Ausnahme-Technik des § 1 S. 2 COVInsAG werden die Antragspflichtigen zudem durch die Vermutung des Satzes 3 entlastet, die nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen widerlegt werden kann (BT-Drucks. 19/18110, 22): War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
 
III. Folgen der Aussetzung
§ 2 COVInsAG regelt sodann die Folgen der Aussetzung und dient der Verringerung von Haftungsgefahren, die typischerweise mit einem Insolvenzverfahren verbunden sind, sowie dem Schutz von Gebern neuer Kredite. So schützt § 2 I Nr. 1 COVInsAG Geschäftsleiter vor einer Haftung gem. § 64 S. 1 GmbHG (für die GmbH), § 93 III Nr. 6 AktG (für die AG), § 130a II 1 HGB (für die oHG) bzw. § 130a II 1 i.V.m. § 177a S. 1 HGB (für die KG) für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet wurde, indem fingiert wird, dass diese Zahlungen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG, § 92 II 2 AktG, § 130a I 2 HGB bzw. § 130a I 2 i.V.m. § 177a S. 1 HGB gelten. § 2 I Nr. 2 COVInsAG stellt sicher, dass neue Kreditgeber nicht befürchten müssen, zur Rückgewähr zwischenzeitlicher Leistungen verpflichtet zu werden oder den Zugriff auf die bei der Vergabe der neuen Kredite gewährten Sicherheiten zu verlieren. Nr. 3 schließt aus, dass Kreditgewährungen und Bereicherungen im Aussetzungszeitraum als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen werden und verhindert den Eintritt der Rechtsfolgen des § 138 BGB und des § 826 BGB. Sowohl Nr. 2 als auch Nr. 3 dienen damit der Rechtssicherheit für neue Kreditgeber und sollen verhindern, dass die Kreditvergabe zum Erliegen kommt. Nr. 4 schränkt schließlich die Regelungen zur Insolvenzanfechtung ein und ist als Komplementärregelung zu den Nrn. 3 und 4 für Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermietern, Leasinggebern oder Lieferanten anzusehen und soll gewährleisten, dass diese nicht befürchten müssen, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen aufgrund einer Insolvenzanfechtung zurückzahlen zu müssen und so die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege beenden. Eine Insolvenzanfechtung gem. §§ 129 ff. InsO ist dabei nicht zu verwechseln mit einer Anfechtung i.S.d. §§ 119 ff. BGB. Während letztere nach § 142 I BGB zur ex tunc-Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, führt erstere bloß zu einem schuldrechtlichen Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr von bestimmten Leistungen nach § 143 I 1 InsO.
 
IV. Ein erstes Zwischenfazit
Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen. Die Eingriffe in das bisherige Insolvenzrecht sind denkbar groß, aber angesichts dieser nie dagewesenen Ausnahmesituation nicht übertrieben. So erhalten ursprünglich gesunde Unternehmen, die ohne ihr Zutun in die Corona-Krise geraten sind, eine echte Perspektive – und das ist auch gesamtwirtschaftlich von Vorteil. Gleichzeitig besteht jedoch auch das Risiko, dass bereits angeschlagene Unternehmen ohne Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit unter Berufung auf die neuen Regelungen die Stellung des Insolvenzantrags hinauszögern und so ihren Geschäftspartnern schaden. Daher sollten die Sonderregelungen des COVInsAG nur solange gelten, wie dies unbedingt erforderlich ist.
 
B. Gesellschaftsrecht
Corona und die erlassenen Schutzmaßnahmen haben auch dazu geführt, dass Gesellschaften keine klassischen Gremiensitzungen im Sinne von Präsenzveranstaltungen durchführen können. Ist eine präsenzlose an solchen Gremiensitzungen nicht möglich, können wichtige Beschlüsse nicht gefasst werden, wodurch es wiederum langfristig zu einer Handlungsunfähigkeit von Unternehmen kommt: Der Jahresabschluss kann nicht festgestellt und damit auch die Gewinnausschüttung nicht festgelegt werden, Umstrukturierungsmaßnahmen können nicht beschlossen werden und Personen können nicht zur Übernahme von Amtsfunktion (wieder-)bestellt werden. Das in Art. 2 COVG enthaltene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (im Folgenden: „COVGesRMG“) bringt u.a. Änderungen des Rechts der AG, KGaA und SE (I.), des GmbH-Rechts (II.) sowie des Vereinsrechts (III.) mit sich.
 
I. Recht der AG, KGaA und SE
Bereits seit Inkrafttreten des ARUG I in 2009 steht das Aktienrecht einer Online-Teilnahme von Aktionären an der Hauptversammlung nicht mehr entgegen: Aktionäre können an der Hauptversammlung auch ohne physische Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen (§ 118 I 2 AktG) und eine Stimmabgabe im Wege der Briefwahl ist ebenfalls möglich (§ 118 II AktG). Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats können zugeschaltet werden (§ 118 III); Bild- und Tonübertragungen können zugelassen werden (§ 118 IV AktG). Voraussetzung für all dies ist jedoch, dass die Satzung diese Beteiligungsmöglichkeiten vorsieht oder den Vorstand ermächtigt, diese vorzusehen. Und genau hier liegt in Zeiten von Corona das Problem: § 118 AktG billigt den Gesellschaften zwar ein erhebliches Maß an Satzungsautonomie zu, die wenigsten Unternehmen verfügen jedoch über eine entsprechende Satzungsermächtigung (Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1176). Kann die Hauptversammlung nicht auf klassischem Wege zusammenkommen, kann auch die Satzung nicht um die nötige Satzungsermächtigung ergänzt werden, da die Satzungsänderung selbst eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf (§ 179 I 1 AktG).
Durch § 1 I COVGesRMG kann der Vorstand vorübergehend ohne Satzungsermächtigung, jedoch mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 VI COVGesRMG), die Entscheidung über die Ermöglichung einer Online-Teilnahme an Hauptversammlungen treffen.
Die Ermöglichung der Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung ist strikt zu unterscheiden von einer virtuellen Teilnahme: Bei der Online-Teilnahme wird es Aktionären bzw. Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats ermöglicht, sich über Fernkommunikationsmittel zur Präsenzhauptversammlung zuzuschalten, während eine virtuelle Hauptversammlung auf eine Präsenzveranstaltung gänzlich verzichtet. Wie bereits dargestellt ist eine Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung seit 2009 mit entsprechender Satzungsermächtigung möglich, eine virtuelle Hauptversammlung jedoch nicht (Spindler/Stilz/Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 118 Rn. 41; MüKo-AktG/Kubis, 4. Aufl. 2018, § 118 Rn. 80; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 811; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1176). Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 118 I 2 AktG („ohne Anwesenheit an deren Ort“) als auch aus dem Zusammenhang mit § 121 III 1, V 1 AktG.
Die nun vorübergehend mögliche Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung ist damit ein echtes Novum. Gem. § 1 II COVGesRMG kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 VI COVGesRMG) vorübergehend entscheiden, dass eine Versammlung als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Es muss eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgen. (2) Die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation muss möglich sein. (3) Den Aktionären muss eine Fragemöglichkeit eingeräumt werden. (4) Den Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, muss Möglichkeit zum Widerspruch eingeräumt werden.
Flankiert werden die genannten Maßnahmen, die gem. § 1 VIII COVGesRMG entsprechend auch für die KGaA und die SE gelten, durch eine weitgehende Begrenzung des Anfechtungsrechts in § 1 VII COVGesRMG, insb. aufgrund einer Verletzung von § 118 AktG. Die Begrenzung des Anfechtungsrechts soll verhindern, dass die Erleichterungen von den Gesellschaften aus Sorge vor Anfechtungsklagen nicht in Anspruch genommen werden (BT-Drucks. 19/18110, 27).
 
II. GmbH-Recht
Das Problem, dass wegen Corona keine Versammlungen abgehalten werden können, dürfte Gesellschaften mit beschränkter Haftung tendenziell seltener vor rechtliche Probleme gestellt haben. Zwar stellt auch § 48 I GmbHG die Grundregel auf, dass Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen zu fassen sind. Zumindest die h.M. versteht unter einer „Versammlung“ i.S.d. § 48 I GmbHG eine Präsenzversammlung, was bedeutet, dass ohne Satzungsgrundlage weder eine virtuelle Gesellschafterversammlung noch eine Online-Teilnahme einzelner Gesellschafter zulässig ist (BGH, NZG 2006, 428, 428; MHLS/Römermann, 3. Aufl. 2017, § 48 Rn. 273 ff.; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, 22. Aufl. 2019, § 48 Rn. 41; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1178). Die Regelung des § 48 GmbHG ist jedoch – anders als die Regelungen des AktG – dispositiv, sodass der Gesellschaftsvertrag auch die Möglichkeit einer Online-Teilnahme oder einer virtuellen Gesellschafterversammlung vorsehen kann. Außerdem können solche Erleichterungen ggü. § 48 I GmbHG nachträglich durch satzungsändernde Mehrheit in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden. Sollte der Gesellschaftsvertrag diesbezüglich schweigen, können gem. § 48 II GmbHG nichtsdestotrotz wirksame Beschlüsse gefasst werden, wenn sich sämtliche Gesellschafter mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären. Vor allem bei personalistisch geprägten Gesellschaften mit beschränkter Haftung hätte also auch ohne die vorübergehende Gesetzesänderung regelmäßig keine Handlungsunfähigkeit gedroht. Für diejenigen Gesellschaften, bei denen Uneinigkeit unter den Gesellschaftern besteht oder Gesellschafter schlicht keine Erklärung abgeben, schafft § 2 COVGesRMG Abhilfe, indem Beschlüsse der Gesellschafter vorübergehend in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können.
 
III. Vereinsrecht
Ähnliche Probleme bestehen auch im Vereinsrecht. § 5 II COVGesRMG schafft als Sonderregelung zu § 32 I 1 BGB die gesetzliche Voraussetzung, um auch ohne Satzungsermächtigung eine virtuelle Mitgliederversammlung (§ 5 II Nr. 1 COVGesRMG) durchführen zu können und bei der Versammlung nicht anwesenden Mitgliedern die schriftliche Stimmabgabe zu ermöglichen (§ 5 II Nr. 2 COVGesRMG). Mit § 5 III COVGesRMG wurde zudem eine Sonderregelung ggü. § 32 II BGB geschaffen und durch Verzicht auf die Zustimmung aller Vereinsmitglieder die Beschlussfassung im Umlaufverfahren erleichtert. Schließlich soll 5 I COVGesRMG die Handlungsfähigkeit und ordnungsgemäße Vertretung des Vereins durch den Vorstand (§ 26 I 2 BGB) solcher Vereine sichern, die nicht in der Lage sind, ihre Vorstandsmitglieder rechtzeitig zu bestellen und bei denen die Satzung nicht vorsieht, dass Vorstandsmitglieder, deren Amtszeit zeitlich befristet ist, im Amt bleiben, bis ihr Nachfolger gewählt ist. Dies ist nun durch § 5 I COVGesRMG auch für Vereine ohne eine entsprechende Passage in der Satzung gesetzlich geregelt.
 
IV. Ein zweites Zwischenfazit
Die vorübergehenden Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern. Von der Praxis wurden die vorübergehenden Änderungen, die vorerst bis Ende 2020 gelten (§ 7 COVGesRMG), jedoch gem. § 8 COVGesRMG durch Rechtsverordnung des BMJV bis Ende 2021 verlängert werden können, durchweg positiv aufgenommen (Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 817; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1180).
Probleme rund um die Beschlussfähigkeit durch COVID-19 treten jedoch nicht ausschließlich bei Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen auf, sondern auch bei Betriebsratssitzungen. Dass der Betriebsrat keine wirksamen Beschlüsse im Umlaufverfahren oder telefonisch fassen kann, bestreitet keiner. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Frage, ob eine Beschlussfassung per Videokonferenz zulässig ist. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Thematik bislang noch nicht geäußert; die Literatur geht überwiegend nach wie von der Unzulässigkeit einer virtuellen Betriebsratssitzung aus (BeckOK ArbR/Maurer, 55. Ed. 2020, § 33 BetrVG Rn. 3; HWK/Reichold, 8. Aufl. 2018, § 33 BetrVG Rn. 3; Jesgarzewski/Holzendorf, NZA 2012, 1021, 1022). Als Argument wird hauptsächlich angeführt, bei einer Beschlussfassung via Videokonferenz könne der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Sitzung (§ 30 S. 4 BetrVG) nicht gewahrt werden. Dagegen wenden andere Stimmen der Literatur zwar überzeugend ein, dass die Betriebsratssitzung per Videokonferenz mit Blick auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit keine formatspezifischen Gefahrenquellen, die bei der herkömmlichen Sitzung vor Ort mit absoluter Sicherheit auszuschließen wären, berge und schließen daraus die grundsätzliche Zulässigkeit einer Betriebsratssitzung per Videokonferenz (Thüsing/Beden, BB 2019, 372, 374 ff.; Beden/Rombey, BB 2020, 1141, 1143). Angesichts der Mehrheit der Literaturstimmen, die Betriebsratssitzungen per Videokonferenz als Verstoß gegen § 30 S. 4 BetrVG wertet, bleibt ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit jedoch bestehen. Dies hat auch der Bundesarbeitsminister erkannt. Anstatt beispielsweise im Zuge des COVG Änderungen am BetrVG vorzunehmen, begnügte sich der Minister zunächst mit einer Ministererklärung, in der es heißt: „Der Normalfall ist, dass die Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung zusammenkommen […]. Von einem solchen Normalfall können wir hier jedoch nicht sprechen […]. Wir sind daher der Meinung, dass in der aktuellen Lage […] auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz […] zulässig ist.“ Dass das deutsche Recht eine Ministererklärung nicht kennt und dass diese keine rechtliche Wirkung entfaltet, wurde zu Recht von Wissenschaft und Praxis kritisiert. Diese Kritik wird wohl ein Grund gewesen sein, weshalb jetzt doch noch Bewegung in die Sache gekommen ist: Die Regierungsfraktionen haben eine Gesetzesvorlage (BT-Drucks. 19/17740) in den Bundestag eingebracht, wonach ein neuer § 129 in das BetrVG eingefügt werden soll, der vorübergehend sowohl eine Beschlussfassung per Video- als auch per Telefonkonferenz ermöglicht. Diesem Gesetzesvorschlag hat sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales inzwischen angeschlossen (BT-Drucks. 19/18753, 9 ff.). Der neue § 129 BetrVG beseitigt somit Rechtsunsicherheit in Zeiten von Corona bzgl. der Beschlussfassung per Videokonferenz und geht insoweit über das bislang geltende Recht hinaus, als dass vorübergehend auch eine wirksame Betriebsratsarbeit durch Telefonkonferenz ermöglicht wird.
 
Zum zweiten Teil des Beitrags gelangt ihr hier.

18.05.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
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