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Schlagwortarchiv für: Bundestag

Dr. Lena Bleckmann

AfD scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – Kein Anspruch auf Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestages

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Mit einer gestern veröffentlichten Entscheidung (Az. 2 BvE 9/20) hat das Bundesverfassungsgericht der Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) einen Dämpfer verpasst. Nach Einschätzung des BVerfG hat die Fraktion keinen Anspruch darauf, dass ein von ihr vorgeschlagener Abgeordneter oder eine von ihr vorgeschlagene Abgeordnete zum Stellvertreter oder zur Stellvertreterin des Präsidenten bzw. der Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt wird. Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Aspekte der Entscheidung.

I. Sachverhalt

Der Sachverhalt ist schnell erzählt. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO-BT wählt der Bundestag einen Bundestagspräsidenten und seine Stellvertreter und Stellvertreterinnen (VizepräsidentInnen), wobei jede Fraktion nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO-BT durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist.

Nachdem der Bundestag die Zahl der Stellvertreter und Stellvertreterinnen für die 19. Legislaturperiode entsprechend der Zahl der im Bundestag vertretenen Fraktionen auf sechs festgelegt hatte, wurde die Wahl der Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen gemäß § 2 Abs. 2 GO-BT durchgeführt. Einzig der AfD-Kandidat konnte auch in drei Wahlgängen keine Mehrheit auf sich vereinen. Das Schauspiel wiederholte sich im Laufe der Legislaturperiode: Insgesamt fünf weitere vorgeschlagene Abgeordnete der AfD-Fraktion fielen in jeweils drei Wahlgängen durch. Bis zum Ende der 19. Legislaturperiode gab es keinen Stellvertreter des Bundestagspräsidenten aus der AfD-Fraktion.

Hierdurch sieht die Fraktion ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und ihr Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung sowie den Grundsatz der Organtreue verletzt. Sie macht geltend, wenn eine Bestellung eines Gremiums von einer Mehrheitswahl abhängig gemacht werde, müsse dafür Sorge getragen werden, dass Kandidaten nicht aus sachwidrigen Gründen abgelehnt würden. Dies habe der Antragsgegner (der Deutsche Bundestag) durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen. Er müsse verfassungswidrigen Blockaden durch eine oder mehrere Fraktionen oder eine Mehrheit der Abgeordneten durch ein formelles oder informelles Verfahren entgegenwirken.

II. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Diese Einschätzung hat das Bundesverfassungsgericht in typischer Art abgelehnt, man möchte fast sagen abgebügelt – der Antrag sei offensichtlich unbegründet. In seiner Untermauerung dieser These geht das BVerfG in drei Schritten vor. Zunächst setzt es sich mit der möglichen Verletzung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auseinander, sodann mit einer solchen des Rechts auf effektive Opposition und schließlich dem Grundsatz der Organtreue.

  1. Prozessuales

Die Zulässigkeit des Antrags lässt das BVerfG demgegenüber offen. Prozessual hatte die Bundestagsfraktion der AfD ein Organstreitverfahren gegen den Deutschen Bundestag als Antragsgegner angestoßen. Die einzelnen Prüfungspunkte sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Sollte sich der Sachverhalt jedoch einmal in einer Klausur wiederfinden, sollten Prüflinge sich jedenfalls kurz mit der Antragsbefugnis der Fraktion auseinandersetzen. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG muss der Antragsteller geltend machen, dass er oder das Organ, dem er angehört, in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. „Durch das Grundgesetz“ ist hier der entscheidende Satzteil – das verletzte oder gefährdete organschaftliche Recht muss ein solches sein, das durch die Verfassung gewährleistet wird. An Rechtspositionen, die allein aus der Geschäftsordnung des Bundestags folgen, kann ein Organstreitverfahren nicht geknüpft werden.

Achtung: Zwar nennt Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG auch andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Nennung der Geschäftsordnungsrechte bezieht sich hier aber allein auf die Beteiligtenfähigkeit im Organstreit, nicht aber auf die Antragsbefugnis (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 64 BVerfGG, Rn. 61).

Das schließt nicht aus, dass die GO-BT im Rahmen der Antragsbefugnis relevant werden kann. Die von ihr gewährten Rechte müssen sich aber an ein bereits aus der Verfassung folgendes Statusrecht des antragstellenden Organs ergeben und dieses ausgestalten (vgl. etwa BVerfGE 87, 207, 208 f.). 

Hinweis: Das BVerfG hat die Frage der Zulässigkeit zwar offen gelassen, es erscheint in der Klausur angezeigt, die Antragsbefugnis mit Blick auf die Möglichkeitstheorie zunächst zu bejahen und die relevanten Probleme in der Begründetheit zu erörtern.

  1. Zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG

Erster Anknüpfungspunkt ist Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der zunächst einmal das freie Mandat der Abgeordneten des Bundestages regelt. Aus dieser Norm leitet das Bundesverfassungsgericht auch die Rechtsstellung der Fraktionen und insbesondere ein Recht auf formale Gleichheit der Abgeordneten und Fraktionen ab:

„Die Antragstellerin ist als Fraktion im Deutschen Bundestag ein Zusammenschluss von Abgeordneten, dessen Rechtsstellung – ebenso wie der Status der Abgeordneten – aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleiten ist. Dementsprechend haben die Fraktionen gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ein Recht auf formal gleiche Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 28, Nachweise im Zitat ausgelassen).

Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich dabei nach den Ausführungen des BVerfG auch auf Fragen der Organisation des Bundestages, auch für die Besetzung von Ämtern und damit auf für den Zugang zum Bundestagspräsidium (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 28).

Mag so auch ein Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung der Abgeordneten am und im Präsidium bestehen, so wird dieses doch wiederum begrenzt durch Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG, der die Wahl (!) des Bundestagspräsidenten und der Stellvertreter und Schriftführer vorsieht. Das BVerfG nimmt dies zum Anlass, die Grundsätze und Bedeutung von Wahlen zu erläutern:

„Dabei ist die Wahl nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG frei. Wahlen zeichnen sich gerade durch die Wahlfreiheit aus, wenngleich die Wählbarkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängen kann. Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe. Der Wahlakt unterliegt grundsätzlich keiner über Verfahrensfehler hinausgehenden gerichtlichen Kontrolle, weswegen sein Ergebnis auch keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 31, Nachweis im Zitat ausgelassen).

Dies knüpft das Gericht ergänzend an das freie Mandat der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG. An einer späteren Stelle im Urteil heißt es darüber hinaus, „mit einer freien Wahl im Sinne des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Könnte eine Fraktion – mittels der von der Antragstellerin begehrten „prozeduralen Vorkehrungen“ oder gar durch ein Besetzungsrecht – einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin durchsetzen, wäre die Wahl ihres Sinns entleert.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 35).

Weder könnten daher die Abgeordneten oder Fraktionen verpflichtet werden, die Stimmabgabe offenzulegen oder zu begründen, noch soll das Recht der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch prozedurale Vorkehrungen, welche die Wahl letztlich steuern und einengen, beschränkt werden (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 33, 36). Diese Grundsätze führen das BVerfG zu dem folgenden, eindeutigen Ergebnis:

„Der Anspruch einer Fraktion auf Mitwirkung und Gleichbehandlung mit den anderen Fraktionen bei der Besetzung des Präsidiums aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG steht mit Blick auf Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG unter dem Vorbehalt der Wahl. Er ist darauf beschränkt, dass eine Fraktion einen Kandidaten für die Wahl vorschlagen kann und dass die freie Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Gelingt die Wahl nicht, bleibt die Stellvertreterposition unbesetzt, solange nicht ein von der zu vertretenden Fraktion einzubringender neuer Personalvorschlag die erforderliche Mehrheit erreicht. Das in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 GO-BT vorgesehene Vorschlags- und Wahlrecht sichert hinreichend das Mitwirkungsrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und bringt dieses in einen angemessenen Ausgleich zu der verfassungsrechtlichen Vorgabe in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 37).

  1. Zum Recht auf effektive Opposition

Deutlich kürzer fasst sich das Gericht im Hinblick auf das Recht auf effektive Opposition. Ein solches ist zwar in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt (BVerfGE 142, 22, Rn. 85 ff.).  Es begründet aber keine spezifischen Oppositionsrechte, was auch mit der Freiheit des Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar wäre (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 42).

Hinweis: Das BVerfG spricht hier einen Klausurklassiker an. Wem das Recht auf effektive Opposition nichts sagt, der sollte hier noch einmal im Lehrbuch oder Kommentar nachlesen!

Dass dieses Recht hier nicht betroffen ist, begründet das BVerfG weiterhin damit, dass es  nicht dazu dienen kann, die Minderheit vor Entscheidungen der Mehrheit im Rahmen freier Wahlen zu bewahren, sowie damit, dass das Bundestagspräsidium zu parteipolitischer Zurückhaltung angehalten ist und Oppositionsarbeit im Amt gerade nicht angezeigt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 43).

  1. Zum Grundsatz der Organtreue

Auch mit dem Grundsatz der Organtreue ließ sich das von der AfD-Fraktion gewünschte Ergebnis nicht begründen. Da die Wahlvorgänge für alle vorgeschlagenen Abgeordneten gleichermaßen durchgeführt wurden und die AfD-Fraktion ihr Vorschlagsrecht (mehrfach) ausüben konnte, sah das BVerfG keine Anhaltspunkte für eine gleichheitswidrige Behandlung oder unfaire oder illoyale Durchführung der Wahlvorgänge (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 45).

III. Was bleibt?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liest sich wie ein Grundkurs in Sachen Demokratie. Das ist insbesondere den Ausführungen zu den Grundsätzen der freien Wahl und auch dem freien Mandat der Abgeordneten geschuldet. Das Thema bleibt politisch brisant, zeichnet sich doch für die jetzige Legislaturperiode bereits ein ähnliches Spiel ab. Der Fall bietet viel Argumentationsspielraum und Möglichkeiten, Bezüge verschiedener Normen innerhalb des Grundgesetzes zueinander aufzuzeigen. Es wäre daher nicht überraschend, ihn früher oder später als Gegenstand von Klausuren oder mündlichen Prüfungen wiederzufinden.

23.03.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-03-23 11:38:002022-07-21 09:00:22AfD scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – Kein Anspruch auf Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestages
Carlo Pöschke

BVerfG: Antrag der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt

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Ungefähr drei Monate sind vergangen, seit eine nächtliche Sitzung des Deutschen Bundestags für unerwartetes Aufsehen sorgte: Obwohl ein Abgeordneter der Fraktion „Alternative für Deutschland“ (AfD) die Beschlussfähigkeit des Bundestags bezweifelte und Schätzungen zufolge nur noch ca. 100 der 709 Parlamentarier im Sitzungssaal anwesend waren, wurde die Abstimmung u.a. über zwei europarechtliche Datenschutzvorlagen fortgesetzt. Am Tag danach erklärte die AfD-Vize-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, es werde geprüft, was gegen die Willkür, „mit der ein offenkundig nicht beschlussfähiger Bundestag in tiefer Nacht unter erkennbar offener Missachtung der Geschäftsordnung Gesetze durchdrückt“, unternommen werde könne. Daraufhin reichte die AfD-Bundestagsfraktion beim BVerfG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, die es dem Bundespräsidenten untersagen sollte, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Mit Beschluss vom 17.09.2019 – 2 BvQ 59/19, BeckRS 2019, 21913 lehnte der Zweite Senat den Erlass der einstweiligen Anordnung ab. Da der Vorgang auch erhebliche mediale Aufmerksamkeit erfahren hat, liegt die gesteigerte Prüfungsrelevanz auf der Hand. Gleichzeitig bietet die Entscheidung die Gelegenheit, die Grundlagen der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG zu wiederholen, die im Studium im Vergleich zum vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach §§ 80 Abs. 5, 80a, 123 VwGO häufig nur geringe Aufmerksamkeit erfährt.

A. Sachverhalt (im Wesentlichen den Gründen des Beschlusses entnommen, leicht abgewandelt)

Doch was genau ist geschehen?

Die 107. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages dauerte vom 27. bis in die frühen Morgenstunden des 28.06.2019. Als Tagesordnungspunkte 22a und 22b rief die Vizepräsidentin des Bundestages zwei Gesetzentwürfe zur Beratung auf. Bevor die Abgeordneten mit den Abstimmungen über die Gesetzentwürfe begannen, bezweifelte am 28.06.2019 gegen 1:27 Uhr ein Abgeordneter der AfD-Fraktion die Beschlussfähigkeit der Versammlung, woraufhin die Bundestagsvizepräsidentin für den Sitzungsvorstand erwiderte, dass nach dessen Meinung die Beschlussfähigkeit gegeben sei. Schätzungen zufolge waren jedoch nur ca. 100 der 709 Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend. Für den Sitzungsvorstand war es auch eindeutig erkennbar, dass weniger als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend waren. Dennoch wurden zunächst die beiden Gesetzentwürfe sowie später noch ein dritter Entwurf zur Abstimmung gestellt. Alle erhielten die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Die AfD-Bundestagsfraktion stellte beim BVerfG daraufhin schriftlich einen den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der Antrag war darauf gerichtet, dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres zu untersagen, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden.

Nach Ansicht der AfD-Fraktion verletzte die Nicht-Durchführung des sog. Hammelsprungs nicht nur § 45 Abs. 2 iVm. § 51 GOBT, sondern v.a. auch den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie und speziell die Mitwirkungsrechte des gesamten Bundestags bei der Gesetzgebung. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG sei zulässig. Zunächst sei ein Organstreit in der Hauptsache grundsätzlich zulässig, denn eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Bundestages infolge des offensichtlich willkürlichen Vorgehens der Sitzungsleitung sei keineswegs ausgeschlossen. Gegen die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung könne ferner nicht eingewendet werden, dass im noch anzustrengenden Organstreitverfahren nicht der Bundespräsident, sondern v.a. der Bundestag selbst als Antragsgegner in Betracht komme. Auch werde es in der späteren Hauptsache nur um die Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte gehen und nicht wie hier um eine vorläufige Unterlassung. Jedoch könnten die verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages anders nicht effektiv geschützt werden. Der Antrag sei schließlich auch begründet. Selbst unter Anlegung strenger Maßstäbe sprächen im Rahmen einer Folgenabwägung die besseren Gründe für den Erlass der einstweiligen Anordnung. Für den Fall, dass dem Eilantrag stattgegeben werde, der Hauptsacheantrag aber ohne Erfolg bliebe, entstehe kein nennenswerter Schaden. Die betroffenen Gesetze träten lediglich einige Monate später in Kraft, was durch die Gewissheit ihrer formellen Verfassungskonformität kompensiert werde. Hingegen sei das rasche Inkrafttreten der Gesetze vergleichsweise ohne Wert, denn sie seien mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit bemakelt. Für Rechtsfrieden könnten sie so nicht sorgen. Sollte hingegen der Eilantrag abgelehnt werden, der Organstreit in der Hauptsache aber erfolgreich sein, entstehe eine Art „verfassungsrechtlicher Notstand“. Denn das Bundesverfassungsgericht könne im Organstreitverfahren nur die Verletzung von Organrechten feststellen, nicht aber einen verfassungswidrig zustande gekommenen Rechtsakt für nichtig erklären. Es wären dann formell verfassungswidrige, aber weiterhin fortgeltende Gesetze in der Welt. Nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden. Daher dürften sie jetzt jedenfalls noch nicht ausgefertigt werden.

Hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Aussicht auf Erfolg?

B. Rechtliche Würdigung

Das BVerfG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung „abgelehnt“. Bereits am Tenor wird damit deutlich, dass sich die Entscheidung strukturell in die Rechtsprechung des BVerfG einfügt, die nicht zwischen Zulässigkeit und Begründetheit abgrenzt (vgl. dazu auch MKSB/Graßhof, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 32 Rn. 37 f.). Auch wenn die praktische Bedeutung dieser Abgrenzung gering ist, ist Klausurbearbeitern gleichwohl zu raten, die Prüfung nach den Erfolgsaussichten der Übersichtlichkeit halber wie gewohnt in Zulässigkeit und Begründetheit zu gliedern.

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung hat also Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

Der Antrag müsste zulässig sein.

1. Eröffnung des Rechtswegs zum BVerfG

Dazu müsste zunächst der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet sein, was dann der Fall ist, wenn das mit dem Hauptsacheverfahren verfolgte oder zu verfolgende (sog. isolierter Eilantrag) Anliegen einer der in Art. 93 Abs. 1 GG, § 13 BVerfGG abschließend aufgezählten Verfahrensarten zuzuordnen ist. Im Hauptsacheverfahren wäre ausweislich der Begründung des Antrags zu klären, ob durch das Vorgehen der Sitzungsleitung verfassungsmäßige Rechte des Bundestags verletzt wurden. Einschlägig wäre damit in der Hauptsache ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG, sodass auch vorliegend der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet ist.

2. Zuständigkeit des BVerfG

Gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG ist das BVerfG zur Entscheidung über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig.

3. Antragsberechtigung

Weiterhin müsste die AfD-Fraktion antragsberechtigt sein. Die Antragsberechtigung ergibt sich dabei aus dem betreffenden Hauptsacheverfahren. Antragsberechtigt sind somit die Beteiligten des Hauptsacheverfahrens. Die Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG. Nach § 63 BVerfGG sind der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestags und des Bundesrats mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe beteiligungsfähig. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ist hinsichtlich der Beteiligungsfähigkeit weiter gefasst und lässt die Anträge eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das GG oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind, zu. Eine Fraktion wird durch §§ 10 ff., 57 Abs. 2, 75 f. GOBT mit eigenen Rechten ausgestattet und ist damit ein Teil des Bundestags iSd. § 63 BVerfGG bzw. ein anderer Beteiligter iSd. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Die AfD-Fraktion ist somit im Organstreitverfahren beteiligungsfähig und damit auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung antragsberechtigt.

4. Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Außerdem dürfte die einstweilige Anordnung nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, da sie nur der vorläufigen Regelung eines Zustands dient. Vorliegend begehrt die Antragstellerin dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres zu untersagen, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Auch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens könnte der Bundespräsident die beschlossenen Gesetze noch gegenzeichnen und im Bundesgesetzblatt verkünden. Dadurch würden die Folgen der einstweiligen Anordnung gleichsam rückgängig gemacht. (Salopp formuliert könnte man sagen, Gegenzeichnung und Verkündung werden durch eine einstweilige Anordnung bloß aufgeschoben, nicht aufgehoben.) Die einstweilige Anordnung nimmt daher die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg.

 5. Form

Die Formvorschriften des § 23 Abs. 1 BVerfGG wurden gewahrt.

Anmerkung: An dieser Stelle wurde der Sachverhalt aus didaktischen Gründen leicht abgewandelt: Das BVerfG hat im zu entscheidenden Fall zusätzlich die Frage aufgeworfen (aber letztendlich dahinstehen lassen), ob der Antrag überhaupt den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügt. Dies sei fraglich, da sich aus der bisherigen Begründung womöglich nicht deutlich genug ergebe, welche organschaftliche Rechtsposition die Antragstellerin in einem etwaigen Organstreitverfahren gedenkt geltend zu machen.

6. Zwischenergebnis

Der Antrag ist zulässig.

II. Begründetheit

Fraglich ist, ob der Antrag auch begründet ist.

Im Rahmen der (vom BVerfG nicht explizit als Begründetheitsprüfung bezeichneten) Begründetheitsprüfung arbeitet das BVerfG nach ständiger Rechtsprechung anders als vom verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz bekannt mit einer spezifischen Folgenabwägung, bei der die konkreten Erfolgsaussichten der Hauptsache grds. außer Betracht bleiben. Stattdessen rekurriert das Gericht auf die sog. Doppelhypothese, bei der die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, abgewogen werden mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Hauptsacheverfahren aber letztlich der Erfolg zu versagen wäre. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 1 BVerfGG („Abwehr schwerer Nachteile“, „Verhinderung drohender Gewalt“, „anderer wichtiger Grund“) gehen bei dieser Formel im Begriff des Nachteils auf. Das BVerfG tritt in die Abwägung nach der Doppelhypothese jedoch nur ein, wenn sich das Hauptsacheverfahren weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet erweist (hierzu m.w.N. BeckOK BVerfGG/Walter, 7. Ed. 01.06.2019, § 32 Rn. 42 f.).

1. Offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit in der Hauptsache

Die Hauptsache dürfte nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sein. Dies wäre der Fall, wenn das Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Auffassung ist, dass kein Gesichtspunkt erkennbar ist, der dem Hauptsacheverfahren zum Erfolg verhelfen könnte.

Das BVerfG schneidet in dem Beschluss jedoch Zulässigkeits- und Begründetheitsfragen des Hauptsacheverfahrens nicht einmal an, sondern löst den Fall über die bereits angesprochene spezifische Folgenabwägung. Dies ist typisch für Entscheidungen des BVerfG über einstweilige Anordnungen, da in der verfassungsgerichtlichen Praxis die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens noch nicht abschließend geklärt sein müssen. Um auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen in der gutachterlichen Bearbeitung eingehen zu können, ist Klausurbearbeitern dennoch zu empfehlen, die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens inzident zu prüfen.

Als erster problematischer Punkt einer inzidenten Zulässigkeitsprüfung wäre damit die Frage zu beantworten, wer der Antragsgegner ist und ob dieser ebenfalls beteiligungsfähig gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG ist. Die AfD-Fraktion führt in ihrem Antrag bereits selbst aus, dass im noch anzustrengenden Organstreitverfahren nicht der Bundespräsident, sondern v.a. der Bundestag selbst als Antragsgegner in Betracht komme. Da vorliegend jedoch die Stellvertreterin des Bundestagspräsidenten handelte, erscheint es naheliegender, den Bundestagspräsidenten als Antragsgegner zu wählen. Dabei handelt der Stellvertreter des Präsidenten bei der Leitung von Bundestagssitzungen als „amtierender Präsident“ iSd. § 8 Abs. 1 GOBT. Der Bundestagspräsident wird z.B. durch §§ 7 Abs. 1 S. 1, S. 2 a.E., 22 S. 1 GOBT auch mit eigenen Rechten ausgestattet und ist damit sowohl gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG als auch nach § 63 BVerfGG beteiligungsfähig.

Ebenfalls näheren Ausführungen bedarf es bei der Frage, ob die AfD-Fraktion auch antragsbefugt ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Dazu müsste die Antragstellerin geltend machen, d.h. die Möglichkeit aufzeigen, dass sie oder das Organ, dem sie angehört, durch die Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners (hier: Ablehnung des Antrags auf Durchführung eines Hammelsprungs durch den Sitzungsvorstand) in ihren ihr durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Weil das Organstreitverfahren ein kontradiktorisches Streitverfahren ist, bei dem der Antragsteller eine Verletzung eigener durch das GG übertragener Rechte oder im Rahmen einer Prozessstandschaft die Verletzung von Rechten der Organs, dem er angehört, geltend machen muss, genügt eine Berufung auf eine bloße Missachtung der GOBT oder objektiver Verfassungsprinzipien nicht. Im vorliegenden Fall erscheint eine Verletzung eigener verfassungsrechtlicher Rechte der AfD-Fraktion nicht einmal möglich, da der Sitzungstermin bekannt war und die gesamte Fraktion an der Sitzung des Bundestags hätte teilnehmen können. Gleiches gilt, soweit die AfD-Fraktion prozessstandschaftlich die Rechte des Bundestags geltend machen würde: Der Sitzungstermin wurde rechtzeitig bekanntgemacht und Hinweise zu etwaigen Behinderungen der parlamentarischen Abläufe im Vorfeld lagen nicht vor. Auch das Gesetzgebungsrecht des Bundestags wurde nicht beeinträchtigt, da die Verweigerung des Hammelsprungs gerade dazu führte, dass es zu den Gesetzesbeschlüssen kommen konnte (hierzu s. Deger, Verfassungsblog v. 14.08.2019).

Somit könnte man (jedenfalls in einer Klausurbearbeitung) den Antrag bereits wegen offensichtlicher Unzulässigkeit des Hauptsacheverfahrens als unbegründet ansehen.

2. Folgenabwägung

Der Zweite Senat hingegen ist von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausgegangen und hat somit direkt die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, gegen die Folgen abgewogen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

Nach Ansicht des Gerichts drohte der AfD-Fraktion kein schwerer Nachteil, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde und ein Organstreitverfahren später Erfolg hätte. Das Argument, für diesen Fall sei der Eintritt einer Art „verfassungsrechtlichen Notstands“ zu befürchten, überzeugte das BVerfG nicht. Denn:

„Was […] [die AfD-Fraktion] […] in der Sache rügt, ist das Auseinanderfallen der möglichen Rechtsfolgen von Organstreitverfahren einerseits und Normenkontrollverfahren andererseits. Nach § 67 BVerfGG stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über einen Organstreit nur fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt; Rechtsfolge der abstrakten Normenkontrolle kann hingegen nach § 78 BVerfGG die Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht sein. Eine Rechtsschutzlücke für mögliche Antragsteller des Organstreits folgt hieraus jedoch nicht, sondern dies ist Ausdruck der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG, dem objektiven Normenbeanstandungsverfahren mit dem Organstreit ein kontradiktorisches Streitverfahren ausschließlich zur Klärung eines bestimmten Verfassungsrechtsverhältnisses zur Seite zu stellen. Für eine sich von diesem gesetzlich gezogenen Rahmen lösende Ausdehnung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts ist kein Raum […].“

Auch durch das Inkraftbleiben eines zunächst formell verfassungswidrigen Gesetzes im Falle eines späteren Erfolgs im Organstreitverfahren stelle – so das BVerfG – keinen schweren Nachteil für die AfD-Fraktion dar. An dieser Stelle verweist das Gericht erneut auf eine grundgesetzliche Kompetenzentscheidung: Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz sei grds. nachgelagerter, kassatorischer Rechtsschutz, wobei das BVerfG insb. die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten zu respektieren habe.

Ebenfalls nicht überzeugte das Gericht das Argument, nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die fraglichen Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden. Dazu führt das BVerfG in seiner Entscheidung aus, dass der

„Bundestag […] zu jedem Zeitpunkt erneut über die seitens der Antragstellerin bemängelten Gesetze abstimmen [kann], und zwar unabhängig sowohl von einem Erlass der einstweiligen Anordnung als auch von einer Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte der Antragstellerin in einem späteren Organstreitverfahren.“

Im Ergebnis gewichtete das BVerfG somit ein späteres Inkrafttreten der verabschiedeten Gesetze für den Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Hauptsacheantrag aber ohne Erfolg bleibt, schwerer als die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte. Dies auch deshalb, weil die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darstellt und daher bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter diesen Umständen ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist.

3. Zwischenergebnis

Der Antrag der AfD-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

III. Ergebnis

Der Antrag hat keinen Erfolg.

C. Stellungnahme/Ausblick

Was bleibt?

  • Die Entscheidung des BVerfG ist im Ergebnis richtig, das allgemeine Vorgehen des Verfassungsgerichts bei der Prüfung von einstweiligen Anordnungen erweist sich jedoch als wenig systematisch. Weshalb auf eine Unterteilung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit verzichtet wird, ist nicht ersichtlich. Ebenfalls nicht erklären lässt sich, weshalb statt auf eine summarische Prüfung wie beim verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz auf eine Folgenabwägung gesetzt wird: Laut BVerfG müssen „bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung […] die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht […] bleiben“, um im gleichen Atemzug festzustellen, dass dies nicht gelte, wenn sich die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Gerade dadurch wird jedoch der Erlass der einstweiligen Anordnung vom prognostischen Ausgang des Hauptsacheverfahrens abhängig gemacht. Der Unterschied zwischen Folgenabwägung und summarischer Prüfung ist daher höchstens graduell. Prüflingen ist dennoch zu raten, die Terminologie und die Struktur der Prüfung durch das BVerfG mit Ausnahme der bereits geschilderten Abweichungen in die eigene gutachterliche Falllösung zu übernehmen, um dem Prüfer zu zeigen, dass die Unterschiede zwischen verwaltungsgerichtlichem Eilrechtsschutz und einstweiliger Anordnung nach § 32 BVerfGG bekannt sind.
  • Der vorliegende Fall kann nicht nur als Ganzes, sondern auch in vielfältigen anderen Konstellationen in verfassungs- oder verwaltungsgerichtlichen Klausuren Bedeutung erlangen. Insb. kann die Problematik um die Verweigerung eines Hammelsprungs immer dann eingestreut werden, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geprüft werden soll. Bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens (Art. 76 ff. GG) iRd. formellen Verfassungsmäßigkeit wäre dann zu prüfen, ob die Geschäftsordnungsvorschriften der §§ 45, 51 GOBT durch die Verweigerung des Hammelsprungs verletzt wurden (zu dieser Frage ausführlicher Deger, Verfassungsblog v. 14.08.2019). Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung von §§ 45, 51 GOBT vorliegt, wäre weiter zu erörtern, ob ein bloßer Verstoß gegen Geschäftsordnungsvorschriften vorliegt oder ob §§ 45, 51 GOBT zudem Verfassungsrecht konkretisieren. Nur im letztgenannten Fall führt eine Missachtung von §§ 45, 51 GOBT auch zur Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes.

07.10.2019/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-10-07 09:17:412019-10-07 09:17:41BVerfG: Antrag der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt
Gastautor

In der deutschen Bundeshauptstadt

Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns im Monat Juni wieder einen Beitrag eines Mitglieds des Phi Delta Phi – Michael Hoffmann-Becking Inn Frankfurt am Main veröffentlichen zu können. Der Beitrag stammt diesmal von Fritz Grosch. Er ist Gründungsmitglied von Phi Delta Phi in Frankfurt am Main und neben seinem Studium politisch engagiert. In seinem Beitrag berichtet Fritz von seinem Praktikum im Deutschen Bundestag.
Berlin ist durch den Hauptstadtbeschluss seit 1999 wieder deutsche Hauptstadt und Sitz der Bundesregierung. Seitdem steht die gesamte Stadt und Metropolregion unter einem ständigen Wandel und dass in vielerlei Hinsicht. Im März konnte ich das Tempo der Hauptstadt selbst erfahren, als ich mein Praktikum im Deutschen Bundestag in einem Abgeordnetenbüro absolvierte. Als politisch Interessierter versuche ich neben dem Studium mein eigenes politisches Engagement aufrechtzuerhalten und mit dem Studium zu verknüpfen. Durch mein politisches Engagement konnte ich bereits ein breites Erfahrungsspektrum hinsichtlich Wahlkampf und Vorstandsarbeit in einer politischen Partei sammeln.  Ein Praktikum im Deutschen Bundestag war besonders reizvoll, da – wie allseits bekannt – die Juristendichte in politischen Tätigkeitsfeldern besonders hoch ist und viele Juristen eine politische Laufbahn einschlagen. Ich konnte dabei erleben, inwieweit und wie genau die eigentliche politische Arbeit „an der Quelle“ abläuft und inwieweit sich meine bisher gesammelten Erfahrungen und Fähigkeiten damit verbinden ließen.
Ich konnte im Laufe meines Praktikums den Alltag eines Bundestagsabgeordneten kennenlernen und dabei besonders das Gesetzgebungsverfahren und den Prozess der politischen Willensbildung verfolgen.
Das deutsche Parlamentswesen und die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten
Im Folgenden möchte ich anhand ausgewählter Aufgabenfelder eines Bundestagsabgeordneten und meiner persönlichen Erfahrungen verdeutlichen wie der Arbeitsalltag im deutschen Parlament abläuft: 
Die Ausschussarbeit
Eines der Haupttätigkeitsfelder eines Bundestagsabgeordneten ist die Ausschussarbeit. Jeder Abgeordnete ist Teil eines Ausschusses. Die Bundestagsausschüsse bereiten die Entscheidungen des Bundestages vor. Aufgrund der Größe des Plenums, welches regulär aus 598 Bundestagsabgeordneten und den Überhangmandaten sowie – seit 2013 – Ausgleichsmandaten besteht, können nicht alle Beschlüsse und Gesetzesentwürfe den Bundestag in seiner Gesamtheit durchlaufen. In den Bundestagsausschüssen werden die Gesetzesentwürfe deshalb „abstimmungsreif“ vorbereitet. So werden Gesetze im Vorfeld von den betreffenden Ausschüssen entworfen und ausgestaltet. In gemeinsamen (normalerweise nicht öffentlichen) Ausschusssitzungen, die von einem Obmann geleitet werden, beraten die Ausschussmitglieder die Gesetze und hören ggf. Experten an. Die Vorladung und Vernehmung von Zeugen sowie das Veranlassen sonstiger Ermittlungen durch Gerichte und Verwaltungsbehörden ist Privileg der Untersuchungsausschüsse. Jeder Ausschuss ist entsprechend der Größe der einzelnen Fraktionen im Bundestag zusammengesetzt.
Ich durfte im Zuge meines Praktikums  bei einem Abgeordneten die Arbeit des Ausschusses für Gesundheit näher kennenlernen. Im Rahmen einer von mir besuchten Ausschusssitzung wurden Gesetze zu gesundheitspolitischen Themen besprochen. Im Zuge der Sitzung konnte ich die Diskussionskultur sowie die anschließenden Entscheidungsprozesse miterleben. Insbesondere konnte ich verfolgen, auf welchem Weg eine Gesetzesvorlage konkretisiert und im weiteren Prozess an den Bundestag weitergeleitet wird. Der einzelne Abgeordnete bringt sich dabei mit eigenem Engagement in die Diskussion ein und versucht den Gesetzgebungsprozess auch entsprechend seiner Parteilinie zu beeinflussen.
Das Plenum
Diese Vorarbeiten kommen im Anschluss zur Abstimmung in den Bundestag. Leider konnte ich während meines Praktikums keinen vollständigen Gesetzgebungsprozess erleben. Da ein Gesetzgebungsverfahren im Durchschnitt mehrere Jahre (von dem Zeitpunkt, an dem es vorgeschlagen wurde bis zum Inkrafttreten) andauert, ist dies im Rahmen eines Praktikums aber auch kaum möglich. Die Gesetze, die zur Abstimmung in den Bundestag gelangen, werden im Vorfeld der Abstimmung noch einmal diskutiert um der politischen Diskussionskultur Rechnung zu tragen.
Während meines Praktikums besuchte ich mehrere Plenarsitzungen des Bundestags. In einer dieser Sitzungen ging es um die Abstimmung über weitere Hilfszahlungen für Griechenland. Vor der eigentlichen Abstimmung wurde das Thema diskutiert. Anhand solcher Abstimmungen lässt sich der Arbeitsalltag des Bundestages sehr gut verdeutlichen. Der Bundestag ist eines der wichtigen Verfassungsorgane, welche den politischen Willensbildungsprozess maßgeblich beeinflussen. Die Bedeutung eines gut funktionierenden und vor allem ausgeglichen besetzten Parlaments zeigt sich an der Zusammensetzung des momentanen 18. Deutschen Bundestages. Nach Bildung der Großen Koalition aus den regierenden Parteien CDU und SPD vereinigt die Regierungskoalition im Plenum über 75 Prozent der Mandate. Im Gegensatz dazu ist die Opposition aus den Parteien DIE LINKE und Bündnis 90/DIE GRÜNEN entsprechend klein. Im parlamentarischen Alltag besteht die Möglichkeit des „Durchregierens“ der Regierungskoalition. Ich konnte bei meinen Besuchen des Plenums so auch feststellen, dass eine relativ geringe Diskussionskultur im Vergleich zu anderen Legislaturperioden herrscht. Die Opposition kommt zwar zu Wort, eine ausschlaggebende Kraft ist sie jedoch nicht und hat in dieser Mandatsaufteilung keine sonderlich große Einflussmöglichkeit, da ihr die Stimmen fehlen. Bei der genannten Griechenland-Debatte wurden – wie bei jeder Parlamentsdebatte – Redebeiträge aller Parteien zugelassen. Eine wirkliche Debatte wird jedoch nur auf Seiten der Opposition geführt, da sich CDU und SPD als Koalitionspartner natürlich nicht widersprechen, wenn es um ein gemeinsames Anliegen geht. Zwar kritisiert die Opposition ganz nach ihrer bestimmungsgemäßen Aufgabe die Arbeit der Regierungskoalition, jedoch scheint diese mehr oder minder durch das ungleichmäßige Stimmgewicht zwischen Regierungskoalition und Opposition zu verblassen. So wurde im Nachgang zur Bundestagswahl selbstverständlich kritisiert, dass eine Regierungskoalition, die mit einer solchen Parlamentsmehrheit ausgestattet ist, auf lange Sicht die Minderheitsrechte aushöhlt. Beispielsweise kann die Opposition eigeständig keinen Untersuchungsausschuss einleiten, weil ihr die notwendigen 25 Prozent Stimmanteil fehlen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Erlass einer Sonderregelung (§ 126a GOBT), um den notwendigen Stimmenanteil zu senken und der Opposition so die Kontrolle der Regierungskoalition zu ermöglichen.
Als Jurist ist man angesichts einer solchen Entwicklung im ersten Moment natürlich beunruhigt. Es gehört zu den wesentlichen Elementen einer Demokratie, dass sich das Parlament aus einer ausgeglichenen Mandatsverteilung zusammensetzt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Regierung nicht ausreichend genug kontrolliert wird und unsere verfassungsmäßigen Prinzipien unterlaufen werden. Jedoch zeigt die genannte Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages, dass auf jeden Fall ein gesundes verfassungsmäßiges Demokratieverständnis vorherrscht.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 
Ein Bundestagsabgeordneter wird in erster Linie gewählt, um seinen Wahlkreis in der Hauptstadt zu vertreten und dessen Interessen entsprechend durchzusetzen. Durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bildet sich daher die eigentliche politische Arbeit des Abgeordneten heraus. Dabei versucht er stets auch die Bedürfnisse einzelner Bürger in seine politische Arbeit mitaufzunehmen. So besteht für jeden Bürger die Möglichkeit im Berliner Büro oder im Wahlkreisbüro seine Interessen darzulegen.
Ich arbeitete somit vor allem während des Praktikums an Rechercheaufgaben für öffentliche Veranstaltungen und Diskussionen. Vor allem das Thema der Organspende hat mich beschäftigt. Seit dem Organspendeskandal im Jahr 2010 ist das Vertrauen in den Organspendeprozess in der Bevölkerung erheblich gesunken. Ärzte in ganz Deutschland hatten Richtlinienverstöße begangen, um die Wahrscheinlichkeit der Leber-Organvergabe an Patienten des eigenen Transplantationszentrums zu erhöhen. So versucht die Politik momentan dieses Vertrauen wieder zu stärken, indem vor allem die neue Gesetzgebung weiter modifiziert und verbessert wird. Das Transplantationsgesetz (TPG) wurde im Zuge des Organspendeskandals in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Im Vorfeld der Gesetzesreform hatten sich Befürworter der Organspende, wie die Bundesärztekammer oder der Nationale Ethikrat, für eine Änderung ausgesprochen, um dem Mangel an Spenderorganen in Deutschland abzuhelfen. So sollte ihrer Meinung nach eine Kombination von Entscheidungs- und Widerspruchsregelung Eingang in die Gesetzgebung finden. Von Februar bis April 2011 wurden 1165 Schüler von Mainzer Gymnasien im Alter zwischen 14 und 20 Jahren per Fragebogen zu den Themen Hirntod und Organspende befragt. Auffällig ist, dass 63 Prozent der Befragten die postmortale Organspende befürworten, jedoch nur 11,3 Prozent einen Organspendeausweis besitzen. Unter denen, die die Organspende ablehnen, gaben 72,4 Prozent ein Informationsdefizit als Grund für die Ablehnung an. Wissensfragen zum Hirntod wurden teilweise von über der Hälfte der Befragten falsch beantwortet, was belegt, dass dieses Defizit nicht vollständig subjektiv ist.
Am 25. Mai 2012 beschloss der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit eine umfassende Reform der Organspende. Künftig sollen alle Krankenversicherten ab dem 16. Lebensjahr regelmäßig befragt werden, ob sie nach ihrem Tod zur Organspende bereit sind. Diese Entscheidungslösung soll im Transplantationsgesetz verankert werden. Am 15. Juni 2012 stimmte auch der Bundesrat der Entscheidungslösung und den Änderungen im Transplantationsgesetz zu.
Zudem ist in Zukunft auch ein bundesweites Transplantationsregister geplant, um eine kontrollierbares Verzeichnis zu schaffen, dass weiteren Missbräuchen vorbeugen soll.
Anhand solcher Aufgaben konnte ich mir meine im Studium erlernte juristische Recherchefähigkeit und Arbeitsweise zunutze machen. Juristen müssen dazu fähig sein, eine bestimmte Prioritätensetzung vornehmen zu können. In seiner Ausbildung erlernt der Jurist die so oft erwähnten analytischen Fähigkeiten zur Differenzierung. Bei Recherchearbeiten wie der oben genannten ist dies von besonderem Vorteil. Bei einer solchen Recherchearbeit ist es oft nicht anders als bei der Erstellung eines juristischen Gutachtens. Man beschäftigt sich zu allererst mit dem betreffenden Sachverhalt, versucht entscheidende Fragen voranzustellen und diese mit entsprechenden Informationen zu beantworten. Eine von Anfang an gut organisierte Arbeitsverwaltung ist daher von erheblichem zeitlichem Vorteil, weil so effektives Arbeiten möglich ist. Allgemein sind Juristen durch ihre Fähigkeit zu Prioritätensetzung ein nicht zu vernachlässigender Teil der Legislative.
Fazit
Durch das Praktikum erhielt ich einen fundierten Einblick in das deutsche Parlamentswesen. Ich konnte erleben wie der Arbeitsalltag eines Bundestagsabgeordneten abläuft und inwieweit er in das eigentliche politische Geschehen eingeflochten ist. Der einzelne Bundestagsabgeordnete ist zwar nur ein einzelner Abgeordneter unter 598 anderen, jedoch kann er oder sie selbst durch genügend Engagement einen erheblichen Einfluss nehmen. Ich konnte bei diesem Praktikum vor allem erfahren, welcher Bedeutungsgehalt einem solchen Mandat inne wohnt. Man muss sich verdeutlichen, dass man als Teil des Parlaments zwar einen kleinen aber trotzdem einen spürbaren Einfluss auf  das politische Tagesgeschehen hat und somit eine direkte Einflussnahmemöglichkeit wahrnimmt. Es war sehr aufregend, diese Arbeitsatmosphäre zu erfahren, dabei aktiv beteiligt zu werden und mitzuarbeiten. Für einen Juristen, der sich in der Regel der Bedeutung der verfassungsmäßigen Ordnung bewusst ist, wird deutlich, wie wichtig die Funktionsfähigkeit eines Parlaments ist. Und eine solche Funktionsfähigkeit kann sich schließlich nur aus den einzelnen Abgeordneten ergeben. Mir wurde nach Abschluss des Praktikums daher vor allem eines klar: Die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten ist vor allem auch ein Dienst an unserem Land, damit dessen verfassungsmäßige und demokratische Grundordnung aufrechterhalten erhalten wird. Dieser Geist ist vor allem durch den Arbeitseifer und die Moraldisziplin im Bundestag zu spüren. Schlussendlich habe ich durch dieses Praktikum Erfahrungen gesammelt, die ich keinem Fall eintauschen will. Das sind in erster Linie Erlebnisse, die mir sicherlich in meinem politischen Engagement aber natürlich auch für meinen beruflichen Werdegang einen nicht zu vernachlässigenden Erfahrungsschatz garantieren.

26.06.2015/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-06-26 09:00:432015-06-26 09:00:43In der deutschen Bundeshauptstadt
Dr. Christoph Werkmeister

Der Fall Edathy im Prüfungsgespräch

Strafrecht BT, Tagesgeschehen

Für anstehende mündliche Prüfungen interessant ist der derzeit in der Presse kursierende Sachverhalt um die Ermittlungen gegen den zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, dem vorgeworfen wird, im Besitz von Kinderpornographie gewesen zu sein (siehe dazu hier). Neben strafprozessualen Klassikern wie dem Grundsatz in dubio pro reo (dazu hier), kann der aktuelle Sachverhalt hervorragend herangezogen werden, um Prüflinge mit der Auslegung einer weniger bekannten Norm sowie dem Standardtatbestand der Strafvereitelung (im Amt) zu konfrontieren.
Verletzung des Dienstgeheimnisses
Im Zusammenhang mit dem Fall Edathy ist derzeit fraglich, ob sich der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gemäß § 353b Abs. 1 S. 1 StGB wegen Verletzung eines Dienstgeheimnisses strafbar gemacht haben kann (dazu hier). Der frühere Bundesinnenminister hatte durch seine Position nämlich Kenntnis von dem o.g. Ermittlungsverfahren und teilte diesbezügliche Information vorab dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel mit (dazu hier). Nach § 353b StGB macht sich strafbar, wer als Amtsträger ein Geheimnis unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet. Die strafrechtliche Diskussion kann man in diesem Fall an den Tatbestandsmerkmalen „Geheimnis“, „offenbaren“, „unbefugt“ sowie „Gefährdung öffentlicher Interessen“ aufhängen.
Geheimnis im Sinne des § 353b StGB ist jede Tatsache, deren Kenntnis nicht über einen begrenzten Personenkreis hinaus geht. Keine Geheimnisse sind hingegen Tatsachen, die offenkundig sind bzw. sich aus allgemeinen Quellen herleiten lassen. Die Tatsache, dass Ermittlungen gegen Sebastian Edathy anhängig waren, stellte zum damaligen Zeitpunkt, als das Thema noch nicht in der Presse war, insofern ein Geheimnis dar.
Offenbaren ist die Mitteilung an einen Unbefugten. Unbefugt in diesem Sinne meint die Weitergabe ohne Rechtfertigung. Bei § 353b StGB ist insofern etwa eine Weitergabe zur Wahrung berechtigter Interessen nicht unbefugt im Sinne des Tatbestandes. Argumentiert werden kann in diesem Zusammenhang unter anderem mit einem Informationsanspruch der Bundestagsabgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 GG. Sofern man ein derartiges Recht des Bundestagsabgeordneten Sigmar Gabriel anerkennt, könnte im Falle der Weitergabe des Geheimnisses durch Hans-Peter Friedrich eine Weitergabe aus berechtigtem Interesse bejaht und damit die Unbefugtheit abgelehnt werden. Andere Argumentationslinien in Richtung einer Gegenansicht sind selbstverständlich ebenfalls statthaft. Der Argumentation sind hier keine Grenzen gesetzt.
Eine Gefährdung öffentlicher Interessen liegt vor, wenn etwa das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit bzw. Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung erschüttert wird. Es handelt sich um einen sehr dehnbaren Rechtsbegriff, der eine Gesamtwürdigung im Einzelfall erfordert. In diesem Zusammenhang können alle in der Presse genannten Argumente aufgegriffen und im Rahmen einer wertenden Abwägung berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann im Rahmen der Prüfung diskutiert werden, inwiefern ein derartig weit gefasster Rechtsbegriff mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) vereinbar ist, wobei eine entsprechend restriktive und damit verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandsmerkmals sicherlich zielführend sein wird.
Strafvereitelung
Beim Fall Edathy steht weiterhin eine mögliche Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB  im Raum (siehe dazu hier). Dieser Tatbestand, den Examenskandidaten im Gegensatz zu § 353b StGB sicher beherrschen sollten, könnte insbesondere dann erfüllt sein, wenn Hans-Peter Friedrich oder eine andere Person Sebastian Edathy im Hinblick auf die laufenden Ermittlungen gewarnt hätte, so dass der Verdächtige die Möglichkeit hatte, vor anstehenden Durchsuchungen Beweise zu vernichten. Sofern eine derartige Warnung von einem Staatsanwalt, Richter oder Polizist kam, kann zudem der Tatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllt sein, vgl. § 258a StGB. 
Voraussetzung für eine etwaige Strafbarkeit nach § 258 bzw. § 258a StGB ist jedoch in jedem Fall das Vorliegen einer strafbaren Haupttat. Wenn Sebastian Edathy eine strafbare Haupttat, etwa der Besitz kinderpornographischer Schriften i.S.v. § 184b StGB, nicht nachgewiesen werden kann, fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für eine mögliche Strafvereitlung. Die Warnung von Sebastian Edathy darüber, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig ist, wäre dann straffrei. Die Warnung eines Verdächtigen durch Beamte könnte aber zumindest beamtenrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, so dass im Rahmen einer mündlichen Prüfung bei dieser Gelegenheit noch hervorragend die Grundzüge des deutschen Berufsbeamtentums abgefragt werden könnten (siehe zu einer bedeutsamen Facette dieses Themengebiets etwa hier). 
Examensrelevanz
Aktuelle Sachverhalte, die in der Presse aufgearbeitet werden, stellen oftmals den Gegenstand von mündlichen Examensprüfungen dar. Aus diesem Grunde sollten in den Monaten vor der mündlichen Prüfung und ganz besonders in den letzten Wochen davor überregionale Tageszeitungen bzw. entsprechende Quellen im Internet von den Prüflingen durchforstet werden, um ideal auf die aktuellen Sachverhalte vorbereitet zu sein. Die bloße Lektüre der Sachverhalte allein reicht natürlich noch nicht aus. Darüber hinaus sind die Prüflinge gehalten, sich zu den jeweiligen rechtlichen Implikationen der aktuellen Fälle Gedanken zu machen.

16.02.2014/5 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2014-02-16 21:15:122014-02-16 21:15:12Der Fall Edathy im Prüfungsgespräch
Dr. Marius Schäfer

Regierungsfindung – Wie geht es weiter mit Deutschland?

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen

Ausgangslage
Das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahlen ist erst drei Tage alt, doch kristallisiert sich bereits jetzt heraus, dass es um eine Regierungsbildung nicht allzu gut bestellt ist: Der Bundeskanzlerin scheint ein williger Koalitionspartner zu fehlen, den sie angesichts der fehlenden fünf Sitze der Union zur absoluten Mehrheit benötigt. Eine Minderheitsregierung, mit der damit ständig verbundenen Suche nach wechselnden Mehrheiten, kommt von Unionsseite jedenfalls nicht in Frage. Doch wie geht es weiter und was steht Deutschland in den nächsten Tage, Wochen oder gar Monaten bevor? Grund genug jedenfalls aus staatsrechtlicher Sicht – auch im Hinblick auf eine Mündliche Prüfung – den derzeitigen Stand zu analysieren.
 
Geschäftsführung der Regierung
Während die Suche nach einer neuen Regierungskoalition beginnt, ruhen die Geschäfte der „alten“ Bundesregierung nicht, da die Bundesrepublik Deutschland weiterhin regierungsfähig bleiben muss. Auszugehen ist zunächst von Art. 39 II GG, nach dem der neu gewählte Bundestag spätestens 30 Tage nach der Wahl zu einer konstituierenden Sitzung zusammentreten muss. In diesem Zusammenhang bestimmt Art. 69 II GG, dass das Amt des Bundeskanzlers sowie die Ämter der Bundesminister erst durch dieses Zusammentreten des neuen Bundestages enden. Der noch amtierende Bundestagspräsident Norbert Lammert hat bereits angekündigt, dass diese Übergangsfrist voll ausgeschöpft werden soll, sodass die erste Sitzung des 18. Deutschen Bundestages spätestens am 22. Oktober anzuberaumen wäre. Solange befinden sich jedenfalls die fünf FDP-Minister auf ihrer Abschiedstour. So verweilt Guido Westerwelle derzeit in New York, um Deutschland bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu repräsentieren.
Solange die Koalitionsverhandlung aber bis Ende Oktober zu keinem Ergebnis führt, und danach sieht es derzeit aus, gewährt Art. 69 III GG dem Bundespräsidenten die Möglichkeit, den Bundeskanzler und die Bundesminister zu verpflichten „die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen“. Dieser geschäftsführende Zustand wird auch als Interregnum (lat. für „Zwischenregierung“; Plural: Interregna) bezeichnet und ist zeitlich nicht limitiert, sodass der ein oder andere Experte bereits mit einer Übergangsphase bis zum Ende des Jahres rechnet. Es ist gut möglich, dass der bisher längste Zeitraum einer Übergangsregierung aus dem Jahre 1976 (insgesamt 73 Tage) überschritten wird.
 
Rechte der Opposition
Spekulativ sind zwar auch die Fragen über einen möglichen Koalitionspartner der Union, doch sollte man sich zumindest die staatsrechtlichen Konsequenzen vor Augen führen, sollte es eine aus CDU/CSU und SPD bestehende „Große Koalition“ geben. Diese Regierungskoalition bestände aus 503 Sitzen, was in etwa 80 % der insgesamt 630 Sitze entsprechen würde. Die Oppositionsparteien Grüne und Linke kämen im Gegensatz dazu auf lediglich 127 Sitze.
Auswirkungen hätte eine solche Konstellation auf bedeutende Minderheitsrechte der Opposition, der im Wesentlichen der Auftrag zukommt, die Regierung zu kontrollieren. Dazu gehören aber auch die Kritik sowie das Aufzeigen von Alternativen an den Gesetzesvorschlägen der Regierung.
Nach Art. 93 I Nr.2 GG und § 76 ff BVerfGG ist für die Antragsberechtigung eines abstrakten Normenkontrollantrages im Hinblick auf die Opposition erforderlich, dass dieser mindestens von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages gestellt wird. Damit sind jedenfalls 158 Parlamentarier erforderlich, welche Grüne und Linke nicht einmal annähernd alleine aufbringen könnten. Zudem erfordert auch die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gemäß Art. 44 I GG den Antrag eines Viertels der Mitglieder des Bundestages. Die bedeutsame Stellung eines solchen Untersuchungsausschusses wurde in der Vergangenheit insbesondere im Falle des 1. Untersuchungsausschusses zum Luftangriff bei Kundus deutlich. Insofern würde äußerst fraglich bleiben, ob die Opposition im Falle einer Großen Koalition überhaupt in der Lage sein würde, ihrer demokratischen Rolle gerecht zu werden. Dies war nach den Bundestagswahlen im Jahre 2005 noch anders, als die Oppositionsparteien FDP, PDS und Grüne zusammen auf 166 von insgesamt 614 Sitzen kamen.
 
Ausblick
Angela Merkel wird einen der beiden potenziellen Koalitionspartner an ihre Verantwortung erinnern, zum Wohle der Bundesrepublik gemeinsam eine regierungsfähige Koalition zu bilden. Dass hier zähe und lange andauernde Verhandlungen bevorstehen, scheint vorprogrammiert zu sein. Dennoch sollte aber nicht vergessen werden, dass in unserem Verständnis von einer parlamentarischen Demokratie auch der Opposition ein bedeutender Beitrag zukommen soll und auch muss. Von daher muss sich die SPD überlegen, ob sie lieber an der Regierung beteiligt sein oder die Rolle der Oppositionsführung wahrnehmen möchte. Demgegenüber haben die Grünen die Wahl zwischen einer Regierungsbeteiligung oder der des Juniorpartners unter einem Oppositionsführer Gregor Gysi von der Linken, die im letzteren Fall sogar nach parlamentarischem Brauch den Vorsitz des Haushaltsausschusses innehaben würde. Unabhängig vom Ergebnis der Regierungsfindung verdeutlicht dieser Vorgang, wie sensibel aber auch spannend Politik und Staatsrecht miteinander verknüpft sind.
 

25.09.2013/3 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2013-09-25 12:30:532013-09-25 12:30:53Regierungsfindung – Wie geht es weiter mit Deutschland?
Nicolas Hohn-Hein

Sitzung aufgehoben: Zur Zulässigkeit des Fernbleibens von einer Parlamentssitzung

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

In der letzten Woche gab es mehrfach Berichte über den gescheiterten Versuch der Regierungskoalition, über das umstrittene Betreuungsgeldgesetz im Bundestag („BT“) zu beraten (nachzulesen z.B. hier oder hier). Ein guter Zeitpunkt, sich mit den rechtlichen Implikationen dieses Ereignisses zu befassen, da derlei Fragen gerne einmal in mündlichen Examensprüfungen „spontan“ gestellt werden können.
Sachverhalt
Die Regierungskoalition bestehend aus CDU/CSU und FDP hatte für vergangenen Freitag (15.06.2012) eine Sitzung zur ersten Beratung (sog. „1. Lesung“) über das umstrittene Gesetz zum Betreuungsgeld für Familien angesetzt. Gegenstand der Sitzung waren zuvor auch andere Gesetzesvorhaben. Vor der Beratung über das Betreuungsgeldgesetz stellte die SPD einen Antrag zur Abstimmung über ein anderes Gesetzesvorhaben. Bei der anschließenden Abstimmung kam es zu Unklarheiten über die Mehrheitsverhältnisse, sodass ein sogenannter Hammelsprung beschlossen wurde. Dabei verlassen alle Abgeordneten den Plenarsaal. Die Abstimmung geschieht im weiteren Verlauf dadurch, dass die Abgeordneten den Saal durch eine von drei Türen („Ja“, „Nein“, „Enthaltung“) wieder betreten.
Im vorliegenden Fall waren jedoch zahlreiche Vertreter von Grüne, Linkspartei und SPD nicht zum Hammelsprung erschienen, sondern hatten sich entfernt oder schlichtweg vor den Türen gewartet, sodass nur 211 Abgeordnete im Plenarsaal letztendlich gezählt werden konnten. Für die Beschlussfähigkeit des Plenums sind aber regelmäßig mindestens 311 Abgeordnete erforderlich. Sitzungsleiterin Petra Pau stellte daraufhin die fehlende Beschlussfähigkeit des Parlaments formal fest und brach die Sitzung ab.
1. Beschlussfähigkeit des Bundestags
Von der reinen Abstimmungsmehrheit zu unterscheiden ist die sog. Beschlussfähigkeit des BT. Diese ist in § 45 Abs. 1 GO BT geregelt und jedenfalls dann gegeben, wenn die Hälfte der Mitglieder des BT anwesend ist (derzeit 311 von insgesamt 622 Abgeordneten). Da die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder häufig nicht der Fall ist, wird diese grundsätzlich unterstellt. Nur wenn Zweifel an der Beschlussfähigkeit des BT bestehen, kann sie nach § 45 Abs. 2, 3 GO BT formal festgestellt werden (Maunz/Dürig, GG, Art. 42, Rn. 87). Die Vermutung der Beschlussfähigkeit des Parlaments gründet sich auf der Überlegung, dass die Abgeordneten zahlreiche Verpflichtungen bei der Ausübung ihrer Mandats haben und ihre Anwesenheit nicht immer bewerkstelligen können. Nur auf diese Weise kann die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gewährleistet werden, sodass die Vermutung allgemein als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen wird (BVerfGE 44, 308). Hiervon zu unterscheiden ist bspw. die Beschlussfähigkeit im Verteidigungsfall (Art. 115 a Abs. 1 S. 2 GG). Da dort auf die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder i.S.v. Art. 121 GG und damit auf verfassungsrechtlich vorgegebene Mehrheitsverhältnisse abgestellt wird, ist für die Vermutung der Beschlussfähigkeit nach § 45 Abs. 1 GO BT – aus nachvollziehbaren Gründen – kein Raum (Maunz/Dürig, GG, Art. 115 a, Rn. 81).
2. Der sog. Hammelsprung
Der Hammelsprung (Anm. d. Verf.: nicht zu verwechseln mit Schäfchen zählen…) ist eine Modalität der Beschlussfassung und in § 51 Abs. 2 GO BT formal geregelt. Die Abstimmung erfolgt durch Hammelsprungtüren in der oben bereits geschilderten Art und Weise. Das Abstimmungsverfahren wurde erstmals 1874 in die Geschäftsordnung des deutschen Reichstages aufgenommen und kam wenig später auch schon im preußischen Abgeordnetenhaus zur Anwendung. Über die Herkunft des Begriffs besteht Unklarheit, wobei vermutet wird, dass er sich wohl aus der parlamentarischen Alltagssprache herausgebildet hat (z.B. Leithammel, Arbeitsvieh, u.a.).
3. Verweigerung der Abstimmung
Durch das Fernbleiben von der Abstimmunng haben die Abgeordneten der Opposition die Beschlussunfähigkeit und damit den Abbruch der Sitzung faktisch erzwungen.
a) § 13 Abs. 2 GO BT iVm § 14 AbgG
Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung des Mandatsträgers, an den Arbeiten des Bundestags teilzunehmen, gem. § 13 Abs. 2 GO BT. Die Folgen der Nichtbeteiligung finden sich zunächst im Abgeordnetengesetz (AbgG), auf das in § 13 Abs. 2 GO BT ausdrücklich verwiesen wird. Nach § 14 AbgG kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Kürzung der Kostenpauschale für den Abgeordneten festgelegt werden.
b) § 44 b AbgG; § 18 GO BT iVm Anlage 1 zur GO BT
Daneben hat der BT sich einen Katalog an Verhaltensregeln vorgegeben, an die sich ein Mandatsträger zu halten hat (§ 44 b AbgG; § 18 GO BT iVm Anlage 1 zur GO BT). Diese Verhaltensregeln betreffen aber in erster Linie das Rechtsverhältnis des einzelnen Abgeordneten zum Bundestag, insbesondere bestimmte Anzeigepflichten, z.B. Erhalt von Spenden, entgeltliche Tätigkeiten neben der Ausübung des Mandats oder die Offenlegung von Interessenkonflikten bei der Teilnahme an Ausschüssen. Der vorliegende Fall ist nicht Gegenstand dieses Regelungswerks.
c) Art. 38 GG (freie Mandatsausübung)
Zu denken wäre ferner an die Verletzung des Rechts der übrigen Abgeordneten auf die freie Ausübung ihres Mandates, Art. 38 GG, durch das Nichterscheinen des politische Gegners. Hiernach verpflichtet und befähigt das freie Mandat den Abgeordneten zu selbständiger politischer Meinungsbildung, hindert ihn, sich hinter Kollektiven zu verstecken und stellt ihn in eine persönliche Verantwortung gegenüber dem Volk (Maunz/Dürig, GG, Art. 38, Rn. 204). Die anwesenden Abgeordneten wurden hier aber nicht in ihrem Teilnahmerecht beschränkt. Ihnen war es unbenommen, den Hammelsprung zu vollziehen. Dass ihre Stimme letztlich keine Wirkung entfaltete, war allein dem Umstand geschuldet, dass der BT nicht beschlussfähig war. Die Beschlussfähigkeit soll aber gerade demokratische Entscheidungen legitimieren und dient folglich in erster Linie der Sicherung der Rechte aus Art. 38 GG.
Selbst wenn man eine uneingeschränkte Mitwirkungspflicht aller Abgeordneten annehmen würde, so hätte die Regierungsfraktion die nötige Anzahl an Abgeordneten aufgrund ihrer Mehrheitsverhältnisse stellen können, sodass es auf das Verhalten der Opposition allein nicht ankäme. Eine solche angreifbare Mitwirkungspflicht ist aber schon deswegen abzulehnen, da der Gesetzgeber u.a. im AbgG bereits ausdrücklich parlamentarisches Fehlverhalten der Mandatsträger geregelt hat. Außerdem genießt der Abgeordnetenstatus besonderen Schutz und kann nur unter besonderen gesetzlichen Voraussetzungen beschränkt oder gar entzogen werden (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 38, Rn. 204).
Umgekehrt ließe sich zudem argumentieren, dass die abwesenden Abgeordneten ihrerseits von ihrem Recht aus Art. 38 GG Gebrauch gemacht haben, indem sie sich im Sinne eines „stillen Protests“ dem Fortgang der Sitzung entzogen haben, ohne jedoch die Funktionsweise des Parlaments in der Weise zu beeinträchtigen, als dass ein krasser Rechtsmissbrauch angenommen werden könnte, der unter Umständen weitere Konsequenzen für die jeweiligen Abgeordneten nach sich ziehen könnte.
Fazit
Eine rechtliche Handhabe gegen das Verhalten der Oppositionsmitglieder erscheint wohl nicht vertretbar, zumal die Regierungsfraktion die – durchaus mögliche – Einberufung einer Sondersitzung noch vor der Sommerpause ausdrücklich abgelehnt hat. Auch wenn das Fernbleiben von einer Parlamentssitzung wohl nicht „zum guten Ton“ gehört und stellenweise als „Trickserei“ aufgefasst wird – letztlich lag es in den Händen der Regierungsparteien, die notwendige Anzahl von Abgeordneten zu stellen, insbesondere in Ansehung der deutlichen Widerstände bereits im Vorfeld des Gesetzesvorhabens. Übrigens kennt das Gesetz den Begriff der „Sondersitzung“ nicht. Gemeint ist das Recht des Bundestags gem. Art. 39 Abs. 3 GG auch außerhalb der üblichen, festgelegten Zeiten zu beraten.

22.06.2012/2 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-06-22 12:12:042012-06-22 12:12:04Sitzung aufgehoben: Zur Zulässigkeit des Fernbleibens von einer Parlamentssitzung
Dr. Stephan Pötters

Examensrelevante Reform: Sicherungsverwahrung ab 1.1. neu geregelt

Europarecht, Öffentliches Recht, StPO, Strafrecht

Fast einjährige Debatte
Eine der wichtigsten Debatten des letzten Jahres ist nun seit dem 1.1.2011 vorläufig durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers beendet worden. Ausgelöst durch ein Urteil des EGMR (Urteil vom 17.12.2009, Az.: 19359/04) wurde in Deutschland fast ein Jahr lang über eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung diskutiert. Der EGMR hatte die deutsche Regelung für menschenrechtswidrig erklärt. Die BRD habe nach Ansicht der Strasbourger Richter mit der rückwirkenden Anwendung des § 67d Abs. 3 StGB in seiner Fassung nach Streichung der zeitlichen Begrenzung der Sicherungsverwahrung die EMRK verletzt. Die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung verstoße gegen das Recht auf Freiheit in Art. 5 EMRK und das Rückwirkungsverbot in Art. 7 EMRK. Über dieses Urteil und auch die andere Ansicht des BVerfG haben wir bereits berichtet (s. hier).
Gesetzgeberische Lösung
Nachdem nun fast ein Jahr über die Konsequenzen der EGMR-Entscheidung und die erforderlichen Reformen gerungen wurde, hat der Bundestag im Dezember 2010 eine Reform beschlossen, die so nun auch sehr zügig vom Bundesrat bestätigt wurde und nunmehr seit dem 1.1.2011 in Kraft ist. Sie sieht eine Streichung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB), eine Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) und eine Beschränkung der normalen Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) auf schwere Gewalt- und Sexualdelikte vor. Vgl. ausführlich zur Sicherungsverwahrung auch den Wikipediaartikel.
Die Sicherungsverwahrung war schon Gegenstand einiger öffentlich-rechtlicher Examensklausuren. Mit der Neuregelung ist sie zumindest weiterhin für die mündlichen Prüfungen interessant, vielleicht sogar auch für eine Zusatzfrage im Strafrecht.

03.01.2011/2 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2011-01-03 12:17:502011-01-03 12:17:50Examensrelevante Reform: Sicherungsverwahrung ab 1.1. neu geregelt

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