Wir hatten bereits in einem Artikel vom 30. Juni 2010 über zwei BGH Mietrecht Entscheidungen zum Thema „Mietminderung bei Wohnflächenunterschreitung“ vom 10.3.2010 (VIII ZR 144/09) und 23.6.2010 (VIII ZR 256/09) berichtet.
Zusammenfassen kann man diese beide Entscheidungen wie folgt:
1. Die Abweichung von einer als Beschaffenheit vereinbarten Wohnfläche um mehr als zehn Prozent zum Nachteil des Mieters stellt auch dann einen zur Minderung berechtigenden Sachmangel dar, wenn der Mietvertrag zur Größe der Wohnfläche nur eine “ca.”-Angabe enthält.
2. Der relativierende Zusatz “ca.” rechtfertigt auch bei der Berechnung der Minderung keine zusätzliche Toleranzschwelle in Höhe von 5%.
In einem Urteil vom 10.11.2010 (VIII ZR 306/09) hatte sich nun der BGH mit der Frage zu befassen, ob eine Mietminderung auch dann in Betracht kommt, wenn der Vermieter in dem Mietvertrag ausdrücklich darauf hinweist, dass die im Vertrag angegebene Wohnungsgröße wegen möglicher Messfehler nicht zur Festlegung des Mietgegenstandes dienen soll.
«Vermietet werden … folgende Räume: Die Wohnung im Dachgeschoss rechts, bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche, Bad, Diele zur Benutzung als Wohnraum, deren Größe rund 54,78 Quadratmeter beträgt. Diese Angabe dient wegen möglicher Messfehler nicht zur Festlegung des Mietgegenstandes. Der räumliche Umfang der gemieteten Sache ergibt sich vielmehr aus der Angabe der vermieteten Räume.»
Ein Sachverständigengutachten ergab, dass die tatsächliche Wohnfläche bei 42,98 Quadratmeter zugrunde gelegt, d.h. die Abweichung der tatsächlichen von der angegebenen Größe lag bei über 20 %.
Die Mieterin berief sich auf Mietminderung wegen Flächenunterschreitung und erklärte gegenüber dem Vermieter die Aufrechnung gegen einen Anspruch rückständiger Mietzahlungen mit einem angeblichen Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Mieten.
Grundsätzlich liegt bei Flächenunterschreitung von mehr als 10 %, auch bei einer „ca.“- oder wie hier in diesem Fall einer „rund“-Angabe ein Sachmangel i.S.d. § 536 Abs. 1 BGB vor, der zur Mietminderung berechtigt. (s.o.) Dieses BGH Urteil zeigt jedoch, dass immer auch die Einzelheiten des Einzelfalls – insbesondere die Vertragsgestaltung – berücksichtigt werden müssen.
„Ein zur Minderung der Miete führender Mangel wegen einer Wohnflächenabweichung um mehr als 10 % liegt hier nicht vor, weil die Angabe der Größe der Wohnung in dem Mietvertrag der Parteien nicht – wie dies sonst regelmäßig der Fall ist – als verbindliche Beschaffenheitsvereinbarung anzusehen ist. Vielmehr haben die Parteien ausdrücklich bestimmt, dass die Angabe der Quadratmeterzahl nicht zur Festlegung des Mietgegenstands dienen, sich der räumliche Umfang der Mietsache vielmehr aus der Angabe der vermieteten Räume ergeben soll. Insofern liegt hier keine mangelbegründende Flächenabweichung vor.“ (Quelle: Pressemitteilung des BGH)
Weil die Mieterin den Mietvertrag unterschrieben hat, ist dies auf den ersten Blick auch in Ordnung. Jedoch könnten Vermieter dieses Urteil zum Anlass nehmen, regelmäßig größere Wohnflächenangaben in den Mietvertrag zu schreiben und zusätzlich eine Klausel wie hier in diesem Fall einzufügen:
„Diese Angabe dient wegen möglicher Messfehler nicht zur Festlegung des Mietgegenstandes. Der räumliche Umfang der gemieteten Sache ergibt sich vielmehr aus der Angabe der vermieteten Räume.“
Erste Immobilienwebseiten geben nach dem BGH Urteil den Vermietern sogar den „weisen“ Ratschlag wie: „Diese Klausel erspart Ihnen bei falscher Wohnfläche eine Mietminderung.“ 🙂
Der Mieter muss bei solchen Klauseln im Mietvertrag wohl demnächst öfter die angegebene Wohnflächenangabe überprüfen bzw. einen Sachverständigen zur tatsächlichen Wohnflächenberechnung heranziehen. Insoweit finde ich, dass dieses BGH Urteil dem Vermieter die Möglichkeit eröffnet, letztendlich doch den Mieter über die tatsächliche Flächengröße der Wohnung zu täuschen. Bei 22% Abweichung der tatsächlichen von der angegebenen Wohnfläche finde ich die Verneinung eines Mangels wegen Wohnflächenunterschreitung schon sehr bedenklich. Das riecht für mich schon sehr stark nach arglistiger Täuschung.
Die Fallfrage, ob der Vermieter einen Anspruch auf Zahlung des rückständigen Mietzinses hat i.V.m. mit einer möglichen Aufrechnung seitens der Mieterin ist klausurtechnisch interessant, weil hier dann mehrere Inzidentprüfungen erforderlich wären. Eine Lösungsskizze sähe dann wie folgt aus:
1. Anspruch entstanden (+)
Wirksames Zustandekommen eines Mietvertrages über die Wohnung, §§ 535, 549 ff. BGB (+)
Anspruch auf Zahlung des Mietzinses gem. § 535 II des V gegen M
=> M ist zur Zahlung des vereinbarten Mietzinses verpflichtet
2. Anspruch erloschen?
a) Aufrechnung gem. §§ 387 ff. BGB
aa) Gegenseitigkeit der Forderungen (+)
Die Forderungen bestehen zwischen denselben Vertragsparteien. Beide womöglich zugleich Gläubiger und Schuldner.
bb) Gleichartigkeit der Forderungen (+), da beide auf Geldschulden gerichtet
cc) Bestehen und Erfüllbarkeit der Hauptforderung (Passivforderung) (+)
Anspruch auf Zahlung des Mietzinses gem. § 535 II des V gegen M
dd) Fällige und durchsetzbare Gegenorderung (Aktivforderung)
Ein Anspruch der könnte sich aus § 812 I 1 1.Alt BGB ergeben. Dazu müsste V durch Leistung M etwas ohne rechtlichen Grund erlangt haben. Dies wäre der Fall, wenn M trotz Minderung kraft Gesetzes zuviel Mietzins entrichtet hätte.
(1) Inzidentprüfung der Voraussetzungen für Mietminderung gem. § 536 I 1 2.Alt. BGB
(a) Mietvertrag (+) s.o.
(b) Vorliegen eines Mangels zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses
(aa) Grds. Mangel gem. § 536 BGB wegen Wohnflächenunterschreitung von mehr als 10 Prozent unter Heranziehung der Rechtsprechung des BGH, selbst bei ca. oder rund-Angabe (+)
(bb) Eingehen auf die konkrete Vertragsgestaltung: Vorliegend handelte es sich nicht um eine verbindliche Beschaffenheitsvereinbarung
daher Zwischenergebnis: Mangel (-)
Zwischenergebnis: Fällige und durchsetzbare Forderung (-), da Anspruch aus § 812 I 1 1. Alt BGB als Aktivforderung (-)
Zwischenergebnis: Anspruch somit nicht erloschen
Ergebnis: V hat gegen M einen Anspruch auf Zahlung des rückständigen Mietzinses aus § 535 II BGB.