Der u. a. für das Baurecht zuständige VII. Zivilsenat hat in einem Urteil vom 22. Juli 2010 (VII ZR 176/09) seine Rechtsprechung zur Berechnung eines Schadensersatzanspruches wegen eines Baumangels geändert. Diese Entscheidung erging im Lichte der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ergangen, die zwar auf Schadensersatzansprüche im Werkvertragsrecht nicht anwendbar ist, jedoch eine gesetzliche Wertung für vergleichbare Fälle enthält.
Sachverhalt
Die Kläger erwarben von dem Beklagten ein von diesem zu errichtendes Einfamilienhaus. Abnahme und Übergabe erfolgten am 14. Dezember 2002. Zuletzt stand ein Restwerklohnanspruch des Beklagten in Höhe von 10.591 € offen. Die Kläger erklärten gegenüber diesem Anspruch die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen baulicher Mängel des Hauses. Diese sind im Verlauf des Rechtsstreits unstreitig geworden; ihre bisher nicht erfolgte Beseitigung erfordert einen Betrag von 9.405 € netto. Die Kläger sind der Auffassung, ihr Schadensersatzanspruch betrage insgesamt unter Berücksichtigung der auf die für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten zu zahlenden Umsatzsteuer von 19 % 11.191,95 € (9.405 € + 1.786,95 €), so dass der Restwerklohnanspruch insgesamt, also nicht nur in Höhe von 9.405 €, durch die Aufrechnung erloschen sei. Die Parteien streiten darüber, ob ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen den Beklagten einen Betrag für Umsatzsteuer umfasst, wenn er die Mängel noch nicht beseitigt hat.
Entscheidung des BGH / Lösung
Der Beklagte könnte einen Zahlungsanspruch gegen die Kläger in Höhe von 1.186 € gemäß § 631 Abs. 1 BGB haben. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn dem Restwerklohnanspruch des Beklagten in Höhe von 10.591 € gemäß § 631 Abs. 1 BGB nur ein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch der Kläger wegen der Mängel an dem Bauwerk gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 3, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe von 9.405 € gegenüber stände.
Umfang des Schadensersatzes
Fraglich ist hier, ob der Schadensersatzspruch der Kläger nicht auch die Umsatzsteuer in Höhe von 1.786,95 € umfasst, somit also insgesamt in Höhe von 11.191,95 € besteht, mit der Folge, dass der Zahlungsanspruch des Beklagten durch die Aufrechnung erloschen ist.
Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen Mängeln eines Werkes ist abweichend von § 249 Satz 1 BGB nicht auf Naturalrestitution in Form der Mängelbeseitigung, sondern auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet. Das folgt daraus, dass nach § 281 Abs. 4 BGB der Anspruch auf die Leistung, der hier in der Herstellung der Mangelfreiheit besteht, ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann dieser auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtete Schadensersatzanspruch nach Wahl des Bestellers entweder nach dem mangelbedingten Minderwert des Werkes oder nach den Kosten berechnet werden, die für eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung erforderlich sind (BGH, Urteil vom 11. Juli 1991 – VII ZR 301/90). Letzteres gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Besteller den Mangel tatsächlich beseitigen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – VII ZR 8/06 Tz. 10, 13).
Bisherige Rechtsprechung
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gehörte zu den Kosten, die für eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung in diesem Sinne erforderlich sind, auch die von einem nicht vorsteuerabzugsberechtigten Besteller an dritte Unternehmer zu zahlende Umsatzsteuer (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1990 – VII ZR 171/88)
Rechtsprechungsänderung des BGH
In diesem Urteil hat der VII. Senat des BGH seine Rechtsprechung bei Berechnung eines Schadensersatzanspruches wegen eines Baumangels jedoch geändert.
§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf werkvertraglichen Schadensersatzanspruch nicht anwendbar
Zwar ist die Berücksichtigung der Umsatzsteuer nicht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da diese Vorschrift auf den werkvertraglichen Schadensersatzanspruch schon gar keine Anwendung findet. Sie gilt nach Wortlaut und systematischer Stellung nur in den Fällen, in denen wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist. Dies ist bei dem Schadensersatzanspruch, der wegen Mängeln und damit wegen nicht ordnungsgemäßer Herstellung des geschuldeten Werkes besteht, nicht der Fall.
§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bezieht sich zudem ausdrücklich nur auf den nach Satz 1 erforderlichen Geldbetrag. Dieser kann statt der nach § 249 Abs. 1 BGB auch geschuldeten Herstellung verlangt werden. Bei dem Schadensersatzanspruch wegen Mängeln eines Werkes schuldet der Unternehmer den Schadensersatz jedoch nicht wegen der Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB in Geld, sondern ausschließlich deshalb, weil er an die Stelle des Erfüllungsanspruches tritt.
Heranziehung der gesetzliche Wertung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB bei Berechnung des werkvertraglichen Schadensersatzanspruches
Nach Auffassung des Senats ist die Bemessung des Vermögensschadens des Bestellers in Fällen, in denen er den Mangel nicht hat beseitigen lassen, nach den erforderlichen Mängelbeseitigungskosten unter Einschluss einer zu zahlenden Umsatzsteuer jedoch nicht gerechtfertigt.
Im Lichte der Erwägungen, die den Gesetzgeber bei Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung einer Sache bewogen haben, die Umsatzsteuer aus der Berechnung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages herauszunehmen, sofern sie nicht tatsächlich angefallen ist (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 13), hält es der Senat auch bei einem werkvertraglichen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 281 BGB für eine Überkompensation des Schadens des Bestellers, wenn die nicht angefallene Umsatzsteuer berücksichtigt wird.
Die Bemessung eines bereits durch den Mangel des Werkes und nicht erst durch dessen Beseitigung entstandenen Schadens kann nicht ohne eine Wertung vorgenommen werden. Diese muss zum einen die berechtigte Erwartung des Bestellers berücksichtigen, den Schaden – nach seiner Wahl – an den Kosten bemessen zu können, die eine Mängelbeseitigung erfordern, weil der Anspruch an die Stelle des geschuldeten Erfüllungsanspruchs tritt. Gerade die Erfahrungen im Bauvertragsrecht zeigen jedoch, dass die Schadensberechnung nach geschätzten Mängelbeseitigungskosten häufig insoweit zu einer Überkompensation führt, als dem Geschädigten rechnerische Schadensposten ersetzt werden, die nach dem von ihm selbst gewählten Weg zur Schadensbeseitigung gar nicht anfallen. Der Senat hält es deshalb für gerechtfertigt, den Umfang des Schadensersatzes stärker als bisher auch daran auszurichten, welche Dispositionen der Geschädigte tatsächlich zur Schadensbeseitigung trifft. Dies gilt jedenfalls für den Anteil, der wie die Umsatzsteuer einen durchlaufenden Posten darstellt, der keinem der an einer Mängelbeseitigung Beteiligten zugutekommt und der in seiner Entstehung von steuerrechtlichen Vorgaben abhängt. Es ist gerechtfertigt, gerade bei der Umsatzsteuer eine derartige Einschränkung zu machen, weil dieser Anteil eindeutig und leicht feststellbar und abgrenzbar ist und den größten preisbildenden Faktor unter den durchlaufenden Posten der Mängelbeseitigungskosten darstellt (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 13).
Ausreichender Schutz des Bestellers durch Umsatzsteuer umfassenden Vorschussanspruch aus § 637 Abs. 3 BGB
Schutzwürdige Interessen des Bestellers werden durch diese Einschränkung nicht beeinträchtigt. Unbeschadet bleibt die Ersatzfähigkeit eines Betrages in Höhe der Umsatzsteuer, wenn der Besteller diese tatsächlich aufgewendet hat und nicht im Rahmen eines Vorsteuerabzugs erstattet bekommt. Einer Vorleistungspflicht in dieser Höhe kann der Besteller entgehen, indem er einen Vorschussanspruch nach § 637 Abs. 3 BGB geltend macht. Beabsichtigt er zunächst keine Mängelbeseitigung, ist es ihm zumutbar, einer drohenden Verjährung durch Erhebung einer Feststellungsklage zu begegnen, falls er sich die Möglichkeit einer späteren Mängelbeseitigung auf Kosten des Unternehmers erhalten will.
Zwischenergebnis: Die Umsatzsteuer ist somit beim Schadensersatzanspruch der Kläger nicht mit einzubeziehen.
Ergebnis
Der Beklagte hat nach bereits erfolgter Aufrechnung mithin noch einen Zahlungsanspruch gegen die Kläger in Höhe von 1.186 € gemäß § 631 Abs. 1 BGB.
Examensrelevanz
Dieses BGH-Urteil könnte man eins zu eins so in einer Klausur stellen. Wie bereits nun schon einige Male erwähnt, ist die fiktive Schadensberechnung immer wieder beliebter Gegenstand von Examensklausuren (vgl. 1. Zivilrechtsklausur im Mai 2010 Examenstermin in NRW) und derzeit auch von vielen BGH Entscheidungen. Ohne dieses BGH-Urteil zu kennen ist es schwierig, die Heranziehung der gesetzlichen Wertung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB, die der BGH bei seiner Rechtsprechungsänderung hier vornimmt, zu erkennen und in die gutachterliche Klausurlösung mit einfließen zu lassen, da dem Wortlaut und der Systematik nach nichts dagegen zu sprechen scheint, die Umsatzsteuer bei der werkvertraglichen Schadensersatzberechnung mit einzubeziehen, auch dann, wenn diese noch nicht tatsächlich angefallen ist.
Urteil vom 22. Juli 2010 – VII ZR 176/09
LG München II – Urteil vom 20. April 2009 – 11 O 6481/08
OLG München – Urteil vom 29. September 2009 – 28 U 3123/09
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