In der aktuellen NStZ finden sich zwei BGH-Entscheidungen, die sich gut zur Wiederholung eignen; sie fassen die Rechtsprechung zu niedrigen Beweggründen i.S.d. § 211 StGB, zum Rücktrittshorizont nach § 24 Abs. 1 StGB und zur Frage, wann der Dieb Gewahrsam i.S.d. § 242 Abs. 1 StGB erlangt, zusammen.
BGH Beschluss vom 22. 7. 2010 – 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35:
1. § 211 StGB: Niedrige Beweggründe in der BGH-Rechtsprechung
Beweggründe zu einem Tötungsverbrechen sind „niedrig”, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen; die Beurteilung dieser Frage hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGH Urt. v. 2. 12. 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127; Beschl. v. 21. 12. 2000 – 4 StR 499/00, StV 2001, 571).
[…]
Das LG hat dabei nicht bedacht, dass Gefühlsregungen wie Eifersucht, aber auch Rache, Wut und Hass nach ständiger Rechtsprechung nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren (vgl. BGH Urt. v. 6. 3. 1992 – 2 StR 551/91, BGHR § 211 II niedrige Beweggründe 22; Beschl. v. 21. 12. 2000 – 4 StR 499/00, aaO – jew. mwN; vgl. auch Fischer 57. Aufl., § 211 Rn 19 mwN).
Die vom LG zum Verhalten der Zeugin K gegenüber dem Angekl. getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Bewertung der Eifersucht als „krankhaft übersteigert” nicht, denn danach bestand für den Angekl. mehrfach begründeter Anlass zur Eifersucht, weil die Zeugin Kontakte zu anderen Männern suchte und sich zweimal wegen einer neuen Bekanntschaft kurzzeitig vom Angekl. getrennt hatte. Auch während des der Tat vorangegangenen Diskothekenbesuchs, für dessen Kosten – wie stets – der Angekl. aufkam, flirtete sie intensiv mit dem Zeugen R, außerdem verursachte sie eine ungewöhnlich hohe Zeche, die nahezu 2/5 des monatlichen Einkommens des Angekl. betrug. Im Rahmen der Strafzumessung bezeichnet das LG die Empörung des Angekl. über das Verhalten seiner Verlobten als nachvollziehbar und hält dem zur Tatzeit alkoholisierten Angekl. zugute, dass dieser sich in einer in gewisser Weise sogar noch verständlichen Aufwallung von Jähzorn, Enttäuschung, Wut aber auch Angst davor, verlassen zu werden, zur Tat entschlossen habe.
Anmerkung: Der BGH scheint hier nahezulegen, dass es zumindest dann verständlich ist, jemand zu töten, wenn er einen finanziell ausnutzt. Ob das überzeugt…
2. § 24 Abs. 1 StGB: Zum Rücktrittshorizont
Rücktrittshorizont dient der Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch. In der Prüfung des § 24 Abs. 1 StGB ist er folgendermaßen zu verorten (hier für den Einzeltäter)
§ 24 Abs. 1 StGB
- Kein Fehlschlag des Versuchs (Hier: Gesamtbetrachtungs- gegen Einzelaktslehre)
- Beendeter oder unbeendeter Versuch? (Hier: Rücktrittshorizont)
- „Rücktritt“
- Wenn unbeendet: Freiwillige Aufgabe der weiteren Ausführung (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB)
- Wenn beendet: Verhinderung der Vollendung (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB) oder Nichtvollendung ohne Zutun des Täters und ernsthaftes Bemühen des Täters um Verhinderung der Vollendung (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB)
Der BGH fasst schulbuchmäßig seine Rechtsprechung dazu zusammen:
Für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. auch BGH Urt. v. 3. 12. 1982 – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175 und v. 22. 8. 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 299; Beschl. v. 19. 5. 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227) oder sich keine Gedanken darüber macht, ob sein bisheriges Verhalten ausreicht, um den Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH Urt. v. 2. 11. 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304).
Hält er den Erfolgseintritt für möglich, so ist der Versuch beendet. In diesem Fall setzt ein strafbefreiender Rücktritt voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt durch eigene Tätigkeit verhindert oder sich, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt, darum bemüht.
Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus Sicht des Täters noch möglich war. In diesem Fall genügt das bloße Aufgeben weiterer Tatausführung, um die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat.
Anmerkung: Nach dem BGH kann der Täter seinen Rücktrittshorizont „korrigieren„. Wenn der Täter zunächst von einem beendeten Versuch ausgeht, weil er glaubt, alles für die Tatbestandsverwirklichung Nötige getan zu haben, dann aber noch im räumlich-zeitlichen Zusammenhang erkennt, sich geirrt zu haben, so wird nach dem korrigierten Rücktrittshorizont aus dem beendeten Versuch ein unbeendeter, von dem der Täter durch bloßes Nicht-Weiterhandeln zurücktreten kann (BGH NJW 1989, 3231). Auch insofern spielt die Gesamtbetrachtungslehre der h.M. eine Rolle, wonach es für den Rücktritt nicht auf den einzelnen Akt ankommt, sondern auf eine einheitliche Betrachtung des Lebenssachverhaltes.
BGH Beschluss vom 6. 7. 2010 – 3 StR 180/10, NStZ 2011, 36
§ 242 Abs. 1 StGB: Abgrenzung Gewahrsamslockerung / Wegnahme
[Das LG] ist indes der Auffassung, dass der Angekl., als er dem Zeugen das Mobiltelefon aus der Hand genommen habe, dessen Gewahrsam nur gelockert habe; gebrochen habe er ihn erst, als er dieses, nunmehr in Zueignungsabsicht, eingesteckt und sich damit entfernt habe. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Der Täter bricht fremden und begründet neuen eigenen Gewahrsam dann, wenn er unter Ausschluss des Berechtigten die tatsächliche Sachherrschaft erlangt. Bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen genügt hierfür ein bloßes Ergreifen und Festhalten jedenfalls dann, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte (BGH NStZ 2008, 624, 625 mwN). Nach diesen Maßstäben war die Wegnahme bereits vollendet, als der Angekl. dem Zeugen das Mobiltelefon aus der Hand nahm, denn um die ungehinderte eigene Verfügungsgewalt wiederzuerlangen hätte der Zeuge es ihm gegen dessen Widerstand entwinden müssen. Der Wille des Angekl., den Zugriff des Zeugen hierauf auszuschließen, ergibt sich schon daraus, dass ihm der Sachentzug als Mittel zur Durchsetzung seiner unberechtigten Geldforderung dienen sollte. [Hervorhebung vom Verfasser]