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Schlagwortarchiv für: Betrug

Alexandra Ritter

Abgrenzung von Betrug und Diebstahl

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Allgemein

Betrug, § 263 StGB Diebstahl, § 242 StGB
a) Selbstschädigungsdelikt
b) Bewusste Vermögensverfügung
  Exklusivitätsverhältnisa) Fremdschädigungsdelikt
b) Wegnahme, Gewahrsamsbruch

II. Abgrenzungsfälle

1. Freiwilligkeit der Weggabe

a) Abgrenzungskriterium zwischen Verfügung und Wegnahme:

Innerer Willensrichtung des Opfers

b) Beispiel: Vorgetäuschte Beschlagnahmung

Mangels Freiwilligkeit keine Verfügung, sondern Wegnahme

2. Unmittelbarkeit

Keine Weggabe, wenn noch gelockerter Gewahrsam besteht

3. Abgrenzung von Trickdiebstahl und Dreiecksbetrug: Zurechenbarkeit einer Wegnahme durch einen Dritten

a) BefugnistheorieDritter zur Übertragung des Gewahrsams ermächtigt
b) Faktische NähetheorieTatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Dritten ausreichend
c) LagertheorieDritter steht im Näheverhältnis zu Opfer, Dritter glaubt zudem, im Interesse des Opfers zu handeln

4. Verfügungsbewusstsein:

a) Das Verfügungsbewusstsein muss sich nach h.M. auf einen bestimmten Gegenstand beziehen – kein generelles Verfügungsbewusstsein

b) Täuschung des Opfers über Objekt der Verfügung?

Bsp.: T legt wertvolles Parfüm in einen Karton für günstige Handtücher, die er bezahlt – nach h.M. trotzdem Wegnahme

17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:51:212022-12-23 08:50:23Abgrenzung von Betrug und Diebstahl
Alexandra Ritter

Betrug (§ 263 StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Täuschung:

Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel der Irreführung über Tatsachen
Tatsachen: Zustände und Ereignisse der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind

b) Irrtum (str. ob Zweifel einem Irrtum entgegenstehen)

c) Vermögensverfügung

Jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt

d) Vermögensschaden

Minderung des Vermögens durch Vergleich vor und nach der Vermögensverfügung

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz bzgl. aller obj. Tatbestandsmerkmale

b) Absicht stoffgleicher und rechtswidriger Bereicherung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafzumessung

V. Ggf. Strafantragserfordernis nach § 263 IV, 247, 248a StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:33:372022-10-17 14:33:39Betrug (§ 263 StGB)
Gastautor

OLG Hamm: Zur erforderlichen Darlegung des Vermögensschadens bei Verurteilung wegen Betruges aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Ass. iur. Dr. Lorenz Bode, LL.M. veröffentlichen zu können.

Die spannendsten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben. Auch gerichtliche Entscheidungen sind letztlich nichts anderes als geronnenes Leben, aufbereitet und beurteilt als juristischer Sachverhalt. Spannend sind sie allerdings, zumindest für Juristinnen und Juristen, nur dann, wenn es in den Verfahren um für die Rechtspraxis oder -ausbildung bedeutsame Rechtsfragen geht.

Der Beschluss des OLG Hamm vom 7.4.2022 – 5 RVs 35/22 (= BeckRS 2022, 8093) ist insofern in doppelter Hinsicht spannend. Es ging in dem Strafverfahren – kurz gesagt – um einen Gebrauchtwagenverkauf, bei dem vom Verkäufer einige Vorschäden verschwiegen worden waren. Er wurde daraufhin strafrechtlich belangt und sowohl vom AG als auch – auf die Berufung hin – vom LG wegen Betruges zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen wandte sich der Verkäufer (als Angeklagter) mit der Revision an das OLG Hamm – mit einem für ihn erfreulichen Ergebnis: Das OLG hob das (Berufungs-)Urteil des LG auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des LG zurück. So viel zum Prozessverlauf.

Materiell-rechtlich betrachtet hält die Entscheidung einen für die Ausbildung und Praxis gleichermaßen spannenden Aspekt bereit. Denn das OLG (aaO, Rn. 7) schließt sich den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft an und betont, dass der Betrug „kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr“ ist, „sondern eine Vermögensstraftat“. Demgemäß sei für die Schadensbewertung „grundsätzlich die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend, die sich nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten, sondern an den Marktverhältnissen auszurichten hat“. Weiter heißt es: „Für einen Vermögensschaden reicht es nicht aus, dass der Käufer ohne die Täuschung durch den Verkäufer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt.“

Die Ausführungen des OLG überzeugen. Schon wegen des Wortlauts von § 263 Absatz 1 StGB („das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt“) kann es nicht sein, dass sich eine Verurteilung wegen Betrugs auf die bloße Feststellung von Unwahrheiten stützt. Würde man dies anders sehen, so wäre zu befürchten, dass der Deliktscharakter der Strafrechtsnorm überdehnt wird, nämlich weg von einem Erfolgsdelikt hin zu einem bloßen Gefährdungsdelikt (Lorenz, FD-StrafR 2022, 448468). Der geprellte Käufer wird insoweit nicht schutzlos gestellt. Denn ihm steht neben dem Schutz durch das Strafrecht auch der Zivilrechtsweg offen.

Abschließend ein Hinweis zur Bedeutung der Entscheidung für die Ausbildung: Bekanntermaßen gehört das Justizprüfungsamt beim OLG Hamm zu den bundesweit eifrigsten Produzenten von Examensklausuren. Klausuren von dort gelangen im sogenannten Ringtausch der Bundesländer auch über die Landesgrenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus zum Einsatz. Wenn es sich bei diesem Beschluss also nicht nur um eine Entscheidung handelt, die hervorragend als Tatkomplex in einer Strafrechtsklausur dienen kann, sondern auch um ein Judikat, das direkt vom OLG Hamm stammt, dann ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Hinzu kommt, dass Klausurerstellerinnen und Klausurersteller – besonders im zweiten Examen – oftmals auf Fälle aus der Rechtsprechung zurückgreifen. Insofern ist auf den Aktendeckeln bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften zumeist ein eigenes Ankreuz-Feld vorgesehen, um geeignete Akten nach Abschluss dem Prüfungsamt vorzulegen. Die Rechtsprechung regelmäßig im Blick zu behalten, lohnt sich also doppelt: für den Autokauf und fürs Examen.

06.07.2022/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-07-06 09:00:002022-07-21 09:00:24OLG Hamm: Zur erforderlichen Darlegung des Vermögensschadens bei Verurteilung wegen Betruges aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf
Gastautor

Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Alexandra Ritter veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) tätig.
Mit Urteil vom 29.9.2021 (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris) hat der BGH entschieden, dass Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw nicht ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten können. Dem Verkäufer müsse grundsätzlich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben werden. Der vom BGH entschiedene Fall ist wie gemacht für eine Klausur in Studium und Examen. Er bietet damit Anlass, sich anhand der aktuellen Problematik mit dem prüfungsrelevanten Thema des Rücktritts auseinanderzusetzen.
I. Der Sachverhalt
Vereinfacht dargestellt ging es in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall um Folgendes: Der Kläger (K) kaufte vom beklagten Autohändler (V) im Februar 2015 einen Škoda, dessen Motor von der Volkswagen AG hergestellt war. Der Motor ist mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Normalbetrieb oder auf einem Prüfstand zur Messung der maßgeblichen Werte für eine Typgenehmigung befindet. In dem Fahrmodus, der für den Fall des Durchlaufens des Prüfstands programmiert ist, kommt es im Vergleich zum regulären Fahrbetrieb zu einer erhöhten Abgasrückführung und damit zu einer Verringerung des Stickoxidausstoßes. Dieser Umstand wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt gemacht.
Für die fehlerhafte Software wurde ein Update entwickelt, das die Fehler beseitigt. Dieses Update wurde von der zuständigen britischen Vehicle Certification Agency freigeben mit der Bestätigung, dass es zur Fehlerbehebung geeignet sei.
Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er befürchtete, dass dieses mit negativen Folgen für das Fahrzeug verbunden sei. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 erklärte K gegenüber V den Rücktritt vom Kaufvertrag. V verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies K auf das zur Verfügung stehende Software-Update.
Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises?
II. Gutachterliche Lösung
K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 346 I BGB haben.
1. Kaufvertrag
K und V haben im Februar 2015 einen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über den Škoda geschlossen.
2. Mangel bei Gefahrübergang
Damit K die Mängelgewährleistungsrechte der §§ 437 ff. BGB geltend machen kann, müsste die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sein.
a) Mangel
Mangels Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 I 1 BGB und vorausgesetzter besonderer Verwendung gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB, kommt ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht.
Danach hat die Sache einen Mangel, wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die unzulässige Abschalteinrichtung birgt die Gefahr einer Betriebsuntersagung gem. § 5 I FZV und führt so zu einer herabgesetzten Eignung des Fahrzeugs zur gewöhnlichen Verwendung (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 20). Zudem ist eine solche Abschalteinrichtung bei Sachen der gleichen Art nicht üblich und der Käufer kann erwarten, dass der Wagen keine Abschalteinrichtung einprogrammiert hat. Somit liegt ein Sachmangel i.S.v. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.
b) Gefahrübergang
Der Mangel müsste schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gem. § 446 S. 1 BGB geht die Gefahr mit Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Die Abschalteinrichtung wurde schon vom Motorhersteller eingerichtet, sodass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.
c) Zwischenergebnis
Der Anwendungsbereich für die Mängelgewährleistungsrechte gem. §§ 437 ff. BGB ist eröffnet
3. Weitere Rücktrittsvoraussetzungen
Gem. § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB kann K nach den §§ 440, 323, 326 V BGB vom Kaufvertrag zurückgetreten. Dazu müsste K den Rücktritt gem. § 349 BGB erklärt und gem. § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben.
a) Erklärung
Die Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Mit Schreiben vom 4.10.2017 hat K gegenüber V seinen Willen vom Vertrag zurückzutreten zum Ausdruck gebracht. Diese Erklärung ist V auch zugegangen (§ 130 I BGB). Eine Rücktrittserklärung des K liegt vor.
b) Frist
Gem. § 323 I BGB müsste K dem V zunächst eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben. Hier hat K dem V jedoch den Rücktritt erklärt, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung zu gewähren. Eine Fristsetzung liegt damit nicht vor.
Die Fristsetzung könnte jedoch entbehrlich sein.
aa) § 323 II Nr. 3 BGB
(1) Zunächst kommt eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB wegen etwaigen arglistigen Verhaltens in Betracht. Gem. § 323 II Nr. 3 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
„Ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes überwiegendes Käuferinteresse ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat […]. In diesen Fällen ist in aller Regel ein den Verkäuferbelangen vorgehendes Interesse des Käufers anzuerkennen, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor möglichen weiteren Täuschungsversuchen zu schützen […]. Denn durch das arglistige Verschweigen eines Mangels entfällt auf Seiten des Käufers regelmäßig die zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage, während der Verkäufer die Möglichkeit zur nachträglichen Mangelbeseitigung in der Regel nicht verdient, wenn er den ihm bekannten Mangel vor Vertragsschluss hätte beseitigen können und damit im Vorfeld der vertraglichen Beziehungen bereits die Chance hatte, eine Rückabwicklung des später geschlossenen Vertrags zu vermeiden […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021– VIII ZR 111/20, juris Rn. 24)
V hatte als Händler im Zeitpunkt der Einigung zwischen V und K keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Wagens und diesen somit auch nicht arglistig verschwiegen.
Allerdings hatte der Hersteller des Wagens, die Volkswagen AG, Kenntnis von der Mangelhaftigkeit.
„Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs dieses mit einer ihm bekannten und verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat und der Verkäufer nun allein eine Nachbesserung in Form eines von diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Dabei kommt es darauf an, ob spätestens bei Erklärung des Rücktritts […] die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so gestört war, dass eine Nacherfüllung (vgl. § 323 Abs. 1 BGB), also eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung, für den Käufer unter Einbeziehung des Herstellers nicht zumutbar war. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 27)
Solche Anhaltspunkte dafür, dass K die Nacherfüllung unter Einbeziehung des V nicht zumutbar war, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.
V könnte sich allenfalls die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und ein arglistiges Vorgehen des Herstellers nach § 278 BGB, 166 BGB analog zurechnen lassen müssen.
Dazu müsste die Volkswagen AG als Herstellerin Erfüllungsgehilfin des V i.S.v. § 278 BGB gewesen sein. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BeckOK BGB/Lorenz, 59. Ed. Stand: 1.8.2021, § 278 Rn. 11). Die Volkswagen AG könnte bei der dem V gem. § 433 I BGB obliegenden Verbindlichkeit, dem K ein mangelfreies Fahrzeug zu übereignen, tätig geworden sein. Dagegen spricht aber, dass ein Hersteller bei der Herstellung künftiger Kaufsachen eigene Aufgaben erfüllt und nicht solche des späteren Händlerverkäufers. Eine Stellung der Volkswagen AG als Erfüllungsgehilfin des V ist somit abzulehnen.
Damit muss sich V etwaiges arglistiges Verhalten der Herstellerin nicht zurechnen lassen. Eine Entbehrlichkeit der Frist lässt sich aus der Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Herstellerin somit nicht begründen.
(2) Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB könnte aus dem Umstand herrühren, dass die Installation des Software-Updates zu anderen Mängeln am Wagen führen könnte. Ob das Software-Update solche Konsequenzen hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Es genügt nach Auffassung des BGH hier auch nicht, dass solche sich anschließenden Mängel nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen sind (BGH, Urteil v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 33 ff.).

– die Ausführungen des BGH beziehen sich hier auch auf Fehler der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Für die Ausführungen im Gutachten kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Entbehrlichkeitsgrund nach § 323 II Nr. 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall fordert. Ein nicht hinreichend belegter Verdacht einer Vertragspartei, wie in diesem Fall, genügt nicht, um die Entbehrlichkeit zu begründen (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 38).

Hilfsweise sei an dieser Stelle die Interessenabwägung bei angenommener Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch Nachbesserung für K aufgezeigt.
„Selbst wenn die Nacherfüllung für den Kläger unzumutbar wäre, träte damit das Interesse der Beklagten an einer vom Gesetzgeber durch das Instrument der Nacherfüllung grundsätzlich eingeräumten „zweiten Andienung“ nicht automatisch zurück. Denn der Beklagten war das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt. Sie hatte daher nicht die Möglichkeit, diesen Mangel frühzeitig zu beseitigen. Gerade diesem Umstand kommt aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidendes Gewicht für ein Zurücktreten der Belange des täuschenden Verkäufers im Rahmen der Interessenabwägung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu […]-. Der Beklagten ist eine Berufung auf eine „zweite Andienung“ auch nicht per se deswegen zu versagen, weil ihr eine mögliche Arglist des Herstellers zuzurechnen wäre. Denn eine Zurechnung eines solchen Herstellerverhaltens gemäß § 278 BGB, § 166 BGB analog scheidet aus […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 37)

Die Fristsetzung war auch unter Berücksichtigung der Behauptung des K entbehrlich gem. § 323 II Nr. 3 BGB.
bb) § 440 BGB
Die Fristsetzung könnte entbehrlich sein gem. § 440 BGB. Hiernach bedarf es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit lässt sich aus den geschilderten Umständen – wie dargestellt – aber gerade nicht begründen. Die Frist ist somit auch nicht gem. § 440 BGB entbehrlich.
cc) § 326 V BGB
Zuletzt könnte die Fristsetzung entbehrlich sein gem. § 326 V BGB. Dazu müssten beide Arten der Nacherfüllung unmöglich i.S.v. § 275 I – III BGB sein.
„Vorliegend steht nicht fest, ob eine mangelfreie Nachlieferung des ursprünglichen Modells zum Zeitpunkt des Rücktritts noch möglich war oder nicht. Auch hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, ob eine Nachbesserung durch das Software-Update oder gegebenenfalls durch andere Methoden (etwa „Hardware-Lösung“) unmöglich war […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 42)

– Auch hier sind unzureichende Erhebungen des Berufungsgerichts Grundlage der Bewertung durch den BGH. In der Klausur kann es dieser Stelle zu einer Inzidentprüfung der Unmöglichkeit der Nacherfüllung kommen. Dann ist deutlich darzustellen, dass der Bezugspunkt für die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 BGB nicht der ursprüngliche Erfüllungsanspruch, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB ist.

dd) Zwischenergebnis
Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung war nicht entbehrlich. K ist somit nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten.
– Hilfsgutachten –
5. Kein Ausschluss
Bei der Annahme einer Entbehrlichkeit der Fristsetzung wäre schließlich noch zu prüfen, ob der Rücktritt durch K ausgeschlossen ist. In Betracht kommt ein Ausschluss des Rücktritts gem. § 323 V 2 BGB. Demnach kann der Gläubiger bei nicht vertragsgemäßer Leistungserbringung durch den Schuldner nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies
„erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls […]. Bei behebbaren Mängeln ist von einer Geringfügigkeit und damit von einer Unerheblichkeit in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind, was jedenfalls regelmäßig nicht mehr anzunehmen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt […]. Bei unbehebbaren Mängeln ist regelmäßig auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen […].“ (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 44).
Für die Annahme einer Geringfügigkeit könnte sprechen, dass das Software-Update ohne größere Schwierigkeiten und mit geringen Zeitaufwand durchführbar ist.
„Jedoch steht derzeit nicht fest, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Nachbesserung führt, also nicht mit dem Auftreten von (nicht zu vernachlässigenden) Folgemängeln verbunden wäre. Eine Nachbesserung im Sinne von § 439 Abs. 1 BGB setzt eine vollständige, nachhaltige und fachgerechte Behebung des vorhandenen Mangels voraus […] und liegt nicht vor, wenn zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt, hierdurch aber Folgemängel hervorgerufen werden. Ob dies der Fall ist, ist mangels rechtsfehlerfreier Feststellungen des Berufungsgerichts offen. Damit kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon ausgegangen werden, dass sich die unzulässige Abschalteinrichtung mit geringem Kostenaufwand folgenlos in dem vorbeschriebenen Sinne beseitigen ließe.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 47)
Im Ergebnis kann die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht angenommen werden. Der Ausschluss gem. § 323 V 2 BGB ist somit nicht einschlägig.
– Ende des Hilfsgutachtens –
6. Ergebnis
K hat gegen V keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 At. 1, 346 I BGB.
III. Fazit
Auch wenn viele Bewertungen des BGH bezüglich der Entbehrlichkeit der Frist auf den Umstand zurückzuführen sind, dass bestimmte Umstände auf Tatsachenebene von den Vorinstanzen nicht hinreichend erforscht wurden, lassen sich einige Ausführungen finden, die im Gutachten hilfreich sein können.
Zum einen macht der Fall deutlich, dass zwischen den am Sachverhalt beteiligten genau zu unterscheiden ist. Das Verhalten und die Kenntnis des Herstellers/Lieferanten von der Mangelhaftigkeit der Kaufsache, kann dem Händlerverkäufer nach Auffassung des BGH nicht zugerechnet werden.
Zum anderen ist festzuhalten, dass für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Für die Klausur bedeutet dies insbesondere die Informationen des Sachverhalts hierzu fruchtbar zu machen und einen eher strengen Maßstab anzulegen. Dabei darf die Bedeutung des Rechts des Schuldners zur zweiten Andienung nicht übersehen werden. Da es hier auf eine Wertung im Einzelfall ankommt, ist das Ergebnis bei sorgfältiger Verwertung der Informationen des Sachverhalts und Gewichtung der Argumente eher nebensächlich. Hier gilt es, das Ergebnis klausurtaktisch zu wählen und ggf. weitere Probleme des Sachverhalts im Hilfsgutachten zu besprechen.

04.11.2021/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-11-04 08:22:272021-11-04 08:22:27Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?
Tobias Vogt

Rechtsprechungsänderung: BGH bejaht Strafbarkeit wegen überhöhter Schlüsseldienstpreise

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Handwerker eines Schlüsselnotdienstes machen sich nach einer aktuellen BGH-Entscheidung strafbar, wenn sie mit Preisen, die das Doppelte des ortsüblichen Preises übersteigen, abrechnen – und das auch, wenn sich der Kunde in keiner das reine Ausgesperrtsein übersteigenden Notlage befindet. Diese Entscheidung hat nicht nur für die Juristenausbildung, sondern auch für die Praxis eine erhebliche Bedeutung. Denn in vielen Fällen, wo bisher auf Grundlage der OLG-Rechtsprechung eine Strafbarkeit verneint und Verfahren eigestellt wurden, ist nun eine Strafbarkeit zu bejahen. Für Prüfungen bietet sich diese Konstellation zudem an, da der BGH nicht nur eine Strafbarkeit wegen Wuchers, sondern auch wegen des von den JPAs deutlich öfter abgefragten Betrugs annimmt.
I. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
A schließt sich aus seiner Wohnung aus, indem er die Tür beim Verlassen der Wohnung zuzieht, ohne seinen Schlüssel bei sich zu führen. Da er keinen anderen Weg sieht, zurück in seine Wohnung gelangen zu können, ruft er beim Schlüsselnotdienst des S an. Dieser entsendet nach einem kurzen Telefonat mit A den Handwerker H. H öffnet wie mit A vereinbart, die Wohnungstür. Ein Preis wurde dem A weder im Telefonat mit S noch durch den H vor Ausführung der Arbeiten genannt. Nach erfolgter Türöffnung füllt der H wie von vorneherein geplant eine Rechnung aus, die einen Preis aufweist, der das Doppelte des ortsüblichen Preises für eine Türöffnung eines Schlüsselnotdienstes übersteigt. A, der davon ausging, es handle sich um einen ortsüblichen Preis, zahlt den Preis sofort an H.
II. Strafbarkeit des H wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB
1) Der H müsste über Tatsachen getäuscht haben.
H könnte darüber getäuscht haben, seine Leistung nach einem ortsüblichen Preis abzurechnen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH mit Rücksicht auf das Prinzip der Vertragsfreiheit grundsätzlich kein Raum für die Annahme konkludenter Erklärungen über die Angemessenheit und Üblichkeit des Preises; es ist vielmehr Sache des Vertragspartners, abzuwägen und zu entscheiden, ob er das geforderte Entgelt aufwenden will. Dies gilt jedoch nur dann, wenn ein Preis auch vor Vertragsschluss vereinbart wird. Anderes als bei vom Verkäufer vorgegebenen oder aber auch ausgehandelten Kaufpreisen gilt indes, wenn die Parteien die Höhe der Gegenleistung für einen Vertragsabschluss mit allen wesentlichen Bestandteilen nicht ausdrücklich vereinbaren müssen, sondern etwa nach § 612 Abs. 2 BGB beim Dienstvertrag, nach § 653 Abs. 2 BGB beim Maklervertrag oder nach § 632 Abs. 2 BGB beim Werkvertrag eine taxmäßige oder übliche Vergütung als vereinbart gilt. Rechnet der Werkunternehmer nach Leistungserbringung ab, erklärt er konkludent, das geforderte Entgelt entspreche der üblichen Vergütung, die nach § 632 Abs. 2 BGB als vereinbart gilt, so der BGH in seiner aktuellen Entscheidung (BGH, Urt. v. 16.1.2020 – 1 StR 113/19).
Die Ortsüblichkeit kann nach der BGH Entscheidung anhand der Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall aus dem Jahr 2011 bestimmt werden (hier).Es müsse jedoch eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen berücksichtigt werden, sodass erst eine deutliche Erhöhung betrugsrelevant ist. In der zitierten Entscheidung bejahte der BGH eine solche deutliche Überhöhung bei einer Abrechnung in doppelter Höhe der üblichen Vergütung.
Es fanden bei Vertragsschluss keine Preisabsprachen statt. Somit war der ortsübliche Preis nach § 632 Abs. 2 BGB geschuldet. Indem H dem A im Folgenden einen Betrag in Höhe von mehr als dem Doppelten des ortsüblichen Preises in Rechnung stellte, täuschte er konkludent darüber, dass der von ihm geforderte Preis der nach § 632 Abs. 2 BGB geschuldete ortsübliche Preis sei.
Nach den Ausführungen des BGH kommt es somit für die Betrugsstrafbarkeit entscheidend darauf an, ob der Kunde bei Vertragsschluss über die Preise informiert wird. Einigen sich Kunde und Schlüsseldienst über die exorbitant hohen Preise, so kommt nur eine Strafbarkeit wegen Wuchers in Betracht. Nur wenn die Preise im Vorhinein dem Kunden nicht genannt werden, wird bei Abrechnung konkludent über die Ortsüblichkeit des Preises getäuscht.
2) Er erregte so bei A einen Irrtum über die Ortsüblichkeit des verlangten Preis.
3) Die Zahlung des A stellt eine Vermögensverfügung dar, die der A gerade aufgrund seines Irrtums darüber, dass der Preis ortsangemessen und somit von ihm geschuldet sei, getätigt hat.
4) In Höhe des nicht geschuldeten Betrags entstand dem A ein Vermögensschaden.
5) H handelte auch vorsätzlich und in der Absicht sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Ihm war schließlich bewusst, dass er jedenfalls keinen Anspruch in der in Rechnung gestellten Höhe hatte.
6) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
H hat sich somit nach § 263 Abs. 1 BGB wegen Betrugs strafbar gemacht.
III. Strafbarkeit des H wegen Wuchers gemäß § 291 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 3 StGB
1) Zwangslage
Eine Zwangslage könnte bereits durch das Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung begründet sein. Darüberhinausgehende Umstände, wie eine Brandgefahr wegen eines nicht ausgestellten Herds, lebensnotwendige Medikamente in der Wohnung oder große finanzielle Schwierigkeiten, die drohen wenn der A nicht alsbald in die Wohnung gelangt sind nicht ersichtlich.
Die bisherige OLG-Rechtsprechung verneinte eine Zwangslage und damit eine Strafbarkeit wegen Wucher in solchen Fällen. Das bloße Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung stelle als solchen ohne weitere Umstände keine Zwangslage dar (OLG Köln, Urt. v. 22.11.2016 – 1 RVs 210/16 Rn 12, OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.11.2019 – [2] 53 Ss 119/19 [44/19]).
Dieser Rechtsprechung tritt nun der BGH entgegen und bejaht eine Zwangslage allein aufgrund des Ausgesperrtseins aus der Wohnung. Dies begründet der BGH wie folgt:
Zunächst bedient sich der BGH hier eines auf den Wortlaut bezogenen und zugleich gesetzeshistorischen Arguments in Bezug auf die Änderung des früheren Wuchertatbestands, der noch eine Notlage und nicht eine Zwangslage verlangte:
„Das Eingangstatbestandsmerkmal der „Zwangslage“ setzt – anders als der durch ihn ersetzte Begriff der „Notlage“ (§ 302 a I StGB aF; 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 [BGBl I 1976, S. 2034 ff.]), der sich als „zu eng erwiesen“ habe (BT-Dr. 7/3441, S. 40) – nach dem Willen des Gesetzgebers keine Existenzbedrohung voraus. Der weiter gefasste Wortlaut soll auch Konstellationen erfassen, in denen „nicht eine wirtschaftliche Bedrängnis, sondern Umstände anderer Art ein zwingendes Sach- oder Geldbedürfnis entstehen lassen“, und damit „strafwürdig erscheinende Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, die Schwächen anderer Personen wirtschaftlich auszubeuten, genügend wirksam … bekämpfen“ (BT-Dr. 7/3441, S. 20, 40). Der Gesetzgeber hat eine effektivere Anwendung des althergebrachten Wuchertatbestandes beabsichtigt, der sich bisher „als wenig praktikabel erwiesen habe“ (BT-Dr. 7/3441, S. 20), und offensichtlich den über § 138 II BGB gewährleisteten zivilrechtlichen Schutz des schwächeren Vertragspartners nicht für ausreichend erachtet.“
Auch die Gesetzessystematik spricht dafür, keine sonstigen Umstände wie eine wirtschaftliche Not des Opfers, für erforderlich zu halten:
„Folgerichtig ist nach der Gesetzessystematik das Erfassen einer existentiellen finanziellen Bedrohung dem Regelbeispiel der „wirtschaftlichen Not“ (§ 291 III 2 Nr. 1 StGB) mit der Indizwirkung für den – im Vergleich zum Ausgangstatbestand deutlich – erhöhten Strafrahmen eines besonders schweren Falles von 6 Monaten bis 10 Jahre Freiheitsstrafe (§ 291 III1 StGB) vorbehalten (BT-Dr. 7/3441, S. 40 f. zu § 302 a II 2 Nr. 1 StGB a. F.).“
Eine solche weite Auslegung verstoße auch nicht gegen das ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts. Einer Ausuferung des Tatbestandes werde ausreichend durch das Merkmal des auffälligen Missverhältnisses entgegengewirkt, sodass nicht jedes Ergreifen einer gewinnträchtigen Geschäftschance bei Erbringen eines handwerklichen Notdienstes pönalisiert werde.
In den Fällen eines Ausgesperrtseins aus der eigenen Wohnung ist nach der aktuellen Entscheidung des BGH nun stets eine Zwangslage i.S.d. § 291 Abs. 1 StGB zu bejahen:
„Der ausgesperrte Wohnungsnutzer befindet sich nahezu stets in einer misslichen Ausnahmesituation, die ihn wegen der Eilbedürftigkeit an der ihm sonst möglichen Auswahl eines Handwerkers hindert und zumeist den „Nächstbesten“ beauftragen lässt. Mit diesem wird er regelmäßig den Werklohn nicht aushandeln können; vielmehr ist er dessen Preisbestimmung „ausgesetzt“. Bereits das Ausgesperrtsein bringt den Wohnungsnutzer in eine Schwächesituation, die der Handwerker „ausbeuten“ kann. Diese Unterlegenheit muss nicht durch weitere – nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende – Gefahrenmomente (wie etwa einen eingeschalteten Herd, einen zurückgelassenen Säugling, Kälte) verschärft werden […]Solches wäre bereits als Not zu werten, die nach der Gesetzesänderung nicht mehr erforderlich ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass das Ausgesperrtsein keine wirtschaftliche Bedrängnis ist.“
2) Ausbeuten
Der BGH definiert Ausbeuten als Ausnutzen oder bewusstes Missbrauchen. Demnach genügt es, wenn das Ausnutzen der Schwächesituation (mit) ursächlich für das Vereinnahmen des überhöhten Werklohns ist; ein darüberhinausgehender funktionaler Zusammenhang zwischen der Zwangslage und der drastischen Überbewertung der Leistung des Wucherers ist nicht erforderlich. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich der Übervorteilte der Unangemessenheit seiner Gegenleistung bewusst ist.
3) Auffälliges Missverhältnis
Ein Auffälliges Missverhältnis zwischen Werkleistung und Gegenleistung liegt laut BGH jedenfalls dann vor, wenn die Gegenleistung das Doppelte der ortsüblichen Vergütung übersteigt. Auch im Rahmen des § 291 StGB stellt der BGH auf die Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall aus dem Jahr 2011 ab. Ein auffälliges Missverhältnis liegt somit vor.
4) H handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
H hat sich demnach auch wegen Wucher nach § 291 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht.
IV. Konkurrenzen
Auch wenn die Konkurrenzen von vielen Studenten eher stiefmütterlich behandelt werden, so sollte doch am Ende jedes Gutachtens etwas zu den Konkurrenzen der bejahten Straftatbestände gesagt werden. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung sogar etwas ausführlicher zu den Konkurrenzen geäußert und begründet, warum beide Delikte hier in Tateinheit stehen, § 52 StGB:
So liege kein Fall der Subsidiarität eines der durch dieselbe Handlung verwirklichten Delikte vor. Zum Erfassen der gegenüber dem Betrug anderen Angriffsart (der Unrechtsgehalt liegt hier nicht in der Täuschung, sondern in dem Ausnutzen einer Zwangslage) sei die tateinheitliche Verurteilung wegen Wuchers aus Klarstellungsgründen geboten.
Die Tatbestand des Wuchers nach § 291 StGB sei auch kein Privilegierungstatbestand des Betrugs.  Keineswegs geht regelmäßig mit dem Ausnutzen der Zwangslage ein Irrtum einher; der Betrug sei damit auch nicht mitbestrafte Begleittat.
V. Strafbarkeit auch der Hintermänner bei organisiertem Vorgehen des Schlüsselnotdienstes – gewerbsmäßiger Bandenbetrug
In dem vom BGH entschiedenen Fall war nicht den Handwerker, sondern der Gesellschafter sowie der Geschäftsführer einer Schlüsselnotdienstfirma angeklagt. Beide wurden wegen gemeinschaftlichem, gewerbsmäßigen Bandenbetrug nach §§ 263 Abs. 1, 5, 25 Abs. 2 BGB verurteilt.
Die Täterschaft der Angeklagten kann mit Lehre von der funktionellen Tatherrschaft sowie nach der Rspr. aufgrund des sich aus den Gesamtumständen ergebenden Täterwillens begründet werden.
Sie schlossen sich mit einer Reihe von Call-Center Telefonistinnen und Handwerkern zusammen, um sich aus der Abrechnung mit deutlich überteuerten Preisen für Nottüröffnungen zu bereichern. Die Angeklagten schufen die dafür notwendige Organisationsstruktur, indem sie bundesweit in Telefonbüchern nicht existente Schlüsseldienstfirmen mit örtlichen Anschriften und dazu passenden Telefonnummern eintragen zu lassen. Beim Wählen dieser Nummern wurden die Anrufer, die sich ausgesperrt hatten, zum Callcenter der Schlüsseldienstfirma der Angeklagten geschaltet, ohne dies zu bemerken. Bezüglich der Kosten des Schlüsselnotdiensteinsatzes nannten die eingeweihten Mitarbeiter allenfalls die Pauschale für An- und Abfahrt; den endgültigen Preis könne der Monteur erst vor Ort bestimmen. So wollten sie die Kunden gezielt über die Abrechnung zu ortsüblichen Preisen täuschen. Die Monteure verwendeten von der Schlüsselnotdienstfirma zur Verfügung gestellte ʺAuftrags-/Rechnungsformulareʺ, auf denen die Bankverbindung der Firma angegeben war, ohne dass diese Zuordnung für die Kunden erkennbar gewesen wäre.
VI. Fazit
– Wird bei Vertragsschluss kein Preis für die Nottüröffnung vereinbart, so ist nach § 632 Abs. 2 BGB der ortsübliche Preis geschuldet. Bei der Abrechnung erklärt der Handwerker konkludent, der in Rechnung gestellte Betrag sei der geschuldete ortsübliche Preis.
– Eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen wird berücksichtigt. Jedenfalls dann, wenn der in Rechnung gestellte das Doppelte des ortsüblichen Preises übersteigt, liegt eine betrugsrelevante Täuschung vor.
– Das Ausgesperrtsein aus der Wohnung stellt für sich genommen eine Zwangslage iSd. § 291 StGB dar. Weitere Umstände, die eine besondere Notlage begründen, sind also nicht erforderlich.
Die Entscheidung des BGH wird erhebliche Folgen für die Praxis haben, da nun auf Grundlage dieser Rechtsprechung in wesentlich mehr Fällen von Nottüröffnungen eine Strafbarkeit zu bejahen sein wird.
 

16.11.2020/2 Kommentare/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-11-16 09:00:102020-11-16 09:00:10Rechtsprechungsänderung: BGH bejaht Strafbarkeit wegen überhöhter Schlüsseldienstpreise
Dr. Melanie Jänsch

OLG Hamm: Strafbarkeit bei kontaktloser Zahlung ohne PIN durch den Nichtberechtigten

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Mit Beschluss vom 07.04.2020 (Az.: 4 RVs 12/20) hat sich das OLG Hamm mit einer neuen Konstellation aus dem Bereich der extrem klausur- und examensrelevanten EC-Karten-Fälle, namentlich der Strafbarkeit bei der Verwendung einer EC-Karte im Wege kontaktloser Zahlung ohne PIN-Abfrage durch den Nichtberechtigten, befasst. Angesichts der Vielzahl der zu prüfenden Delikte und der sie betreffenden Streitigkeiten sowie der Erforderlichkeit exakter Subsumtion unter zumeist schwer greifbare Definitionen ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik für jeden Examenskandidaten ohnehin ein Muss. Kommen aktuelle Entscheidungen mit neuen Problemen – wie der Behandlung kontaktloser Zahlungsvorgänge – hinzu, ist der Einzug der Problematik in Klausuren und mündliche Prüfungen umso wahrscheinlicher. Die Entscheidung soll daher im Rahmen des nachfolgenden Beitrags ausführlich besprochen werden.
 
Anmerkung: Für eine ausführliche Übersicht verschiedener EC-Karten-Konstellationen ist auf unseren Grundlagenbeitrag zu verweisen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der O verlor in der Stadt sein Portemonnaie, worin sich unter anderem seine EC-Karte befand. Noch am gleichen Tag gelangte der T in den Besitz des Portemonnaies und begab sich – in dem Wissen, dass ihm die Karte nicht gehörte und er zur Nutzung nicht berechtigt war – sogleich zum Supermarkt S. Dort tätigte er an der Kasse beim Mitarbeiter M nacheinander verschiedene Einkäufe, indem er die zuvor aufgefundene EC-Karte auf das Kartenlesegerät zur Bezahlung auflegte. Da alle Einkäufe jeweils einen Warenwert von unter 25,00 Euro aufwiesen, war die Eingabe der PIN nicht erforderlich, was dem T bekannt war und von diesem bewusst ausgenutzt wurde. Die bei den Einkäufen erhaltenen Waren beabsichtigte er für sich zu behalten.
Strafbarkeit des T nach dem StGB?
 
B) Rechtsausführungen
I. Betrug, §§ 263 Abs. 1, 4, 248a StGB
In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß §§ 263 Abs. 1, 4, 248a StGB.  
1. Dies erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, die kausal einen Irrtum auf Seiten Vermögensverfügenden erregt oder aufrechterhalten hat. Vorliegend könnte der T den Mitarbeiter M konkludent über seine Berechtigung zur Zahlung mit der EC-Karte getäuscht haben, sodass dieser den T irrig für den berechtigten Karteninhaber hielt. Eine Täuschung liegt in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen. Dabei genügt jedes Verhalten, durch das im Wege einer Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen eine Fehlvorstellung über die Realitäten erregt oder unterhalten werden kann (Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 263 Rn. 6). Dieses Verhalten müsste kausal zu einem Irrtum, also einem Widerspruch zwischen subjektiver Vorstellung und der Wirklichkeit, geführt haben (BeckOK StGB/Beukelmann, 46. Ed. (Stand: 01.05.2020), StGB § 263 Rn. 23). Nicht ausreichend ist hierfür der Fall, dass sich der Getäuschte überhaupt keine Gedanken macht; dagegen genügt sogenanntes sachgedankliches Mitbewusstsein in Form eines ständigen Begleitwissens (exemplarisch BGH, Urt. v. 09.06.2009 – 5 StR 394/08, NJW 2009, 2900, 2901, Rn. 17; BeckOK StGB/Beukelmann, 46. Ed. (Stand: 01.05.2020), StGB § 263 Rn. 25). Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm indes sowohl das Vorliegen einer Täuschung als auch eines Irrtums vor dem Hintergrund der besonderen Modalität des kontaktlosen Bezahlens ohne PIN-Abfrage verneint:

„Die Berechtigung […] zur Verwendung der ec-Karte war aus der objektiven Perspektive des an den Zahlungsvorgängen beteiligten Betreibers des H-Marktes bzw. den in seinem Lager stehenden Kassenmitarbeitern bei der kontaktlosen ec-Zahlung ohne PIN-Abfrage ohne rechtliche Relevanz, weil der Zahlungsausgleich des Händlers unabhängig von der Berechtigung des Angeklagten durch die [Bank] garantiert war. […] Anders als bei der herkömmlichen Bezahlung im POS-Verfahren, bei welcher die ec-Karte durch ein Lesegerät gezogen wird, muss bei der kontaktlosen Bezahlung mittels near field communication-Technologie („NFC“) die Karte nicht in das Kartenlesegerät eingesteckt, sondern nur in dessen Nähe gehalten werden, um den elektronischen Zahlungsvorgang auszulösen. Zudem kann die kartenausgebende Bank […] bei kontaktlos ausgelösten Transaktionen unter bestimmten Voraussetzungen davon absehen, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen […]. Das bedeutet, dass die Bank darauf verzichten kann, die zu der ec-Karte gehörige PIN (personal identification number) abzufragen. […] Wird mit einer ec-Karte kontaktlos ein Zahlungsvorgang ausgelöst, werden die Zahlungsdaten an die Autorisierungszentrale der kartenausgebenden Bank übermittelt. Dort überprüft ein Computer der kartenausgebenden Bank, ob die verwendete ec-Karte in keine Sperrdatei eingetragen ist, der Verfügungsrahmen nicht überschritten wird und ob die Voraussetzungen für das Absehen von einer PIN-Abfrage im konkreten Fall vorliegen (vgl. Altenhain JZ 1997, 752). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erteilt der Bankencomputer eine elektronische Autorisierung des Umsatzes, die dem am Zahlvorgang beteiligten Händler […] übermittelt wird. Mit der positiven Autorisierung gibt das kartenausgebende Kreditinstitut zugleich die Erklärung gegenüber dem Händler ab, dass es die Forderung in Höhe des am ec-Terminal autorisierten Betrages begleichen werde (vgl. Nr. 5 der Händlerbedingungen für die Teilnahme am electronic cash-System der deutschen Kreditwirtschaft, Stand Oktober 2016).“ (Rn. 10 ff.)

Kurz zusammengefasst erlangt der Händler bei der kontaktlosen Bezahlung ohne PIN-Abfrage also nach erfolgreicher Autorisierung unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank, sodass für die Entstehung des Zahlungsanspruchs die Berechtigung des kartenvorlegenden Kunden unerheblich ist. Angesichts dessen besteht kein Anlass für die Mitarbeiter, sich Gedanken über die Berechtigung zur Kartenverwendung zu machen. Ebenfalls besteht sowohl für den Betreiber des Supermarktes als auch für die Mitarbeiter keine Pflicht, die Berechtigung des Kunden auf andere Weise – etwa durch Ausweiskontrolle – zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund „fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)
2. Mangels Täuschung und korrespondierenden Irrtums der im Lager des Supermarktinhabers stehenden Angestellten scheidet eine Strafbarkeit wegen Betrugs mithin aus.
 
Merke: Eine relevante Täuschung bzw. ein Irrtum fehlen immer dann, wenn sich der Kartenaussteller gegenüber dem Händler verpflichtet, den Rechnungsbetrag zu begleichen, denn dann muss sich der Händler bzw. sein Mitarbeiter keine Gedanken über die Berechtigung des Kartenverwenders machen. Das ist stets der Fall im sog. Drei-Parteien-System bei der Verwendung von Kreditkarten, aber auch in dem angesprochenen Point-of-Sales-Verfahren (POS-Banking, auch electronic cash-System genannt), das hier in Form des kontaktlosen Zahlens ohne PIN-Abfrage vorliegt. Anderes gilt dagegen für das Lastschriftverfahren, denn hier garantiert die Bank nicht die Begleichung der Forderung; vielmehr trägt hier der Händler das Risiko der Lastschriftrückgabe, sodass bei einer Verwendung durch den Nichtberechtigten eine Strafbarkeit nach § 263 StGB in Betracht kommt (Lackner/Kühl/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 263 Rn. 11; Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 263 Rn. 30).
 
II. Computerbetrug, §§ 263a Abs. 1, 2, 263 Abs. 4, 248a StGB
Zu prüfen ist ferner eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs gemäß §§ 263a Abs. 1, 2, 263 Abs. 4, 248a StGB.
1. Hierfür ist im Rahmen des objektiven Tatbestandes erforderlich, dass durch unrichtige Gestaltung des Programms, die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten, die unbefugte Verwendung von Daten oder durch sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst wird. In Betracht kommt vorliegend allein eine unbefugte Verwendung von Daten i.S.v. Var. 3 durch das kontaktlose Zahlen ohne Berechtigung des Verwendenden. Durch das Halten der Karte in die Nähe des Kartenlesegeräts hat T elektronisch den Zahlungsvorgang ausgelöst; eine Verwendung von Daten liegt also vor. Indes müsste es sich aber auch um eine unbefugte Verwendung von Daten handeln. Wie das Merkmal unbefugt zu bestimmen ist, ist in Rechtsprechung und Lehre umstritten.
a) Nach der subjektiven Auslegung ist hierunter das Verwenden gegen den Willen des Berechtigten zu verstehen (so etwa BayOLG, NJW 1991, 438, 440). Unabhängig davon, ob man die kartenausstellende Bank oder den ursprünglichen Karteninhaber O als Berechtigten erachtet, widerspricht eine Zahlung durch einen Nichtberechtigten in jedem Fall dem Willen des Berechtigten. Eine unbefugte Verwendung wäre nach dieser Ansicht gegeben.
b) Nach der computerspezifischen Auslegung ist ein unbefugtes Verwenden dagegen nur dann zu bejahen, „wenn der durch Täterhandeln verletzte Wille in der konkreten Programmgestaltung hinreichend Niederschlag gefunden hat. Aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschieden werden mit diesem Ansatz insbesondere die Fälle, in denen der Täter den elektronisch gesteuerten Automaten ordnungsgemäß bedient“ (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a  45). Da T den Zahlungsvorgang aus objektiver Perspektive ordnungsgemäß ausgelöst hat – die fehlende Berechtigung also in der Programmgestaltung keinen Niederschlag gefunden hat –, handelt es sich nach der computerspezifischen Auslegung nicht um eine unbefugte Verwendung.
c) Nach der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen betrugsspezifischen oder auch täuschungsäquivalenten Auslegung ist entscheidend, ob die Handlung gegenüber einem Menschen eine Täuschung i.S.v.  263 StGB darstellen würde (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a Rn. 44). Das ist dann der Fall, wenn der Täter jedenfalls konkludent seine Berechtigung zur Inanspruchnahme der Leistung vorspiegelt. Legt man – wie auch das OLG Hamm in der vorliegenden Entscheidung – die betrugsspezifische Auslegung zugrunde, ist die Verwendung ebenfalls nicht als unbefugt zu werten:

„Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es bei den hier vorliegenden kontaktlosen Einsätzen einer ec-Karte im POS-Verfahren, bei denen die PIN bei der Bezahlung gerade nicht abgefragt wird, an der Betrugsähnlichkeit. Denn anders als in den Fällen, in denen der Bankcomputer die PIN vom Kartenverwender abfragt, wird hierbei die Berechtigung desjenigen, der den elektronischen Zahlungsvorgang durch Vorhalten der Karte vor das Lesegerät auslöst, gerade nicht durch Anwendung einer starken Kundenauthentifizierung im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 ZAG überprüft. […] Gegenüber einem an die Stelle des Bankcomputers in der Autorisierungszentrale tretenden Bankangestellten würden also auch nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung erklärt. Nicht erklärt würde hingegen, dass die Voraussetzungen zur vollen Überprüfung der materiellen Berechtigung zur Kartennutzung vorliegen. Damit aber würde ein fiktiver menschlicher Bankangestellter an Stelle des Bankcomputers auch keinem dahingehenden Irrtum bezüglich der Berechtigung unterliegen, womit es an der für die Unbefugtheit erforderlichen Betrugsähnlichkeit fehlt.“ (Rn. 22)

Anmerkung: Das ist also gerade der Unterschied zu dem Fall, dass der Nichtberechtigte ohne Wissen und Wollen des Karteninhabers Zugang zur PIN erhalten hat und bei der Kartenzahlung ebendiese – sich unberechtigt verschaffte – PIN eingibt. Dieser Fall ist nahezu unstreitig von § 263a StGB erfasst (Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl. 2018, § 263a Rn. 14 m.w.N.; MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, § 263a Rn. 57).
 
d) Da die Meinungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, muss der Streit entschieden werden. Vorzugswürdig erscheint die betrugsspezifische Auslegung, da nur diese den Sinn und Zweck des  263a StGB, einen Auffangtatbestand für die Fälle zu bilden, in denen gerade kein Mensch getäuscht wird, widerspiegelt. Zudem würde etwa die subjektive Auslegung einen Wertungswiderspruch zu § 266b StGB bedeuten. Denn dieser kennt zum einen keine Versuchsstrafbarkeit, zum anderen hat er einen geringeren Strafrahmen als § 263a StGB. Durch die Anwendung des § 263a StGB auf den berechtigten Karteninhaber würden diese bewussten Wertungen des Gesetzgebers unterlaufen werden. Damit handelt es sich nicht um eine unbefugte Verwendung von Daten.
2. Auch nach § 263a StGB hat sich T nicht strafbar gemacht.
 
III. Fälschung beweiserheblicher Daten, §§ 269 Abs. 1, 270 StGB
Weiter hat das OLG Hamm eine Strafbarkeit wegen Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 270 StGB geprüft.
1. Die Strafbarkeit setzt im objektiven Tatbestand zunächst voraus, dass eine Datenurkunde vorliegt. Bereits dies hat das Gericht verneint:

„Ein Speichern oder Verändern beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB erfordert nämlich, dass beweiserhebliche Daten so manipuliert werden, dass im Falle ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit im Sinne des § 267 StGB eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde (Fischer StGB, 67. Aufl. 2020, § 269 Rn. 5; Heger in Lackner/Kühl-StGB, 29. Aufl. 2018, § 269 Rn. 2). Die betroffenen Daten müssen also bis auf das Erfordernis der visuellen Wahrnehmbarkeit alle Merkmale des Urkundenbegriffs aufweisen. Die hier insofern allein in Frage kommenden Transaktionsdaten erfüllen aber nicht alle Urkundenvoraussetzungen. Zwar werden bei dem Einsatz einer ec-Karte im POS-Verfahren am Kartenlesegerät die Transaktionsdaten (z.B. Kontonummer und Gültigkeitsdatum der ec-Karte) als Gedankenerklärung in das Autorisierungssystem eingelesen. Allerdings ist in Bezug auf die Transaktionsdaten bei den hier vorliegenden kontaktlosen Zahlungen mittels ec-Karte ohne PIN-Abfrage die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs nicht erfüllt. Diese erfordert, dass der vermeintliche Aussteller der Gedankenerklärung erkennbar ist. An einer solchen eindeutigen Identifikationsmöglichkeit fehlt es aber mangels PIN-Abfrage.“ (Rn. 26 f.)

Anders die Eingabe der PIN, die nur dem berechtigten Karteninhaber mitgeteilt wird, erlaube der kontaktlose Bezahlvorgang ohne PIN-Eingabe also keinen Rückschluss darauf, dass der Verwender der berechtigte Karteninhaber sei. Der bloße unmittelbare Besitz könne hierfür nicht genügen. Insofern fehle es an einer Zuordnung der Gedankenerklärung zu dem berechtigten Karteninhaber als Aussteller.
2. Mangels Datenurkunde scheitert also auch eine Strafbarkeit nach §§ 269 Abs. 1, 270 StGB.
 
IV. Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b Abs. 1 StGB
Eine Strafbarkeit wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b Abs. 1 StGB kommt nicht in Betracht, da T kein berechtigter Karteninhaber ist und daher kein tauglicher Täter sein kann.
 
V. Ausspähen von Daten, § 202a Abs. 1 StGB
Ebenso wenig ergibt sich eine Strafbarkeit wegen Ausspähens von Daten gemäß § 202a Abs. 1 StGB. Denn hierfür ist erforderlich, dass sich der Täter die auf der Karte gespeicherten Daten unter Überwindung einer Zugangssicherung verschafft (hierzu Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, StGB, § 202a Rn. 5). Zum einen sind die Daten indes schon nicht besonders gesichert, soweit sie auf der ec-Karte mittels herkömmlichen Lesegeräts auslesbar sind. Jedenfalls hat sich der T aber keinen Zugang zu etwaig gesicherten Daten unter Überwindung einer Sperre verschafft.
 
VI. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB
Bleibt als letzter Straftatbestand die Unterdrückung beweiserheblicher Daten als Unterfall der Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu prüfen.
1. Vorliegen müssen dafür beweiserhebliche Daten, über die der Täter nicht ausschließlich verfügen darf. Entsprechend der Legaldefinition in § 202a Abs. 2 StGB werden ausschließlich elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherte oder übermittelte Daten erfasst (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB, § 274 Rn. 22c m.w.N.). Hier bestehen die beweiserheblichen Daten nach den Ausführungen des OLG Hamm in der Höhe des Verfügungsrahmens sowie den Umständen der bisherigen Karteneinsätze seit der letzten PIN-Abfrage (Anzahl der bisherigen Einsätze im kontaktlosen Bezahlverfahren ohne PIN-Abfrage und Höhe der jeweiligen Zahlbeträge nach den Vorgaben von Art. 11 lit. b), c) der Technischen Regulierungsstandards), die im Computer der Autorisierungszentrale bzw. auf dem Chip der ec-Karte gespeichert werden.
 
Anmerkung: Ob die Daten wie i.R.d. § 269 StGB urkundengleich sein müssen, hat das OLG Hamm offen gelassen; nach seinen Ausführungen ist hier Urkundengleichheit jedenfalls anzunehmen, denn der Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage würden Gedankenerklärungen darstellen, die durch die Speicherung hinreichend perpetuiert seien. Weiterhin seien diese Daten beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der Karte Relevanz erlangen würden. Im Gegensatz zu den Transaktionsdaten (s.o.) ergebe sich eindeutig die kartenausstellende Bank als Aussteller der Daten, sodass auch die Garantiefunktion gegeben sei (ausführlich Rn. 37).
 
2. Mit der Verwendung der Karte hat der T diese Daten überschrieben, also gelöscht bzw. verändert i.S.d. Norm, sodass der objektive Tatbestand vorliegt.
3. T handelte auch wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich. Darüber hinaus handelte er nach den Feststellungen des Gerichts auch in dem Bewusstsein, dass die notwendige Folge seines Handels der Nachteil des Berechtigten ist, mit der Urkunde keinen Beweis mehr erbringen zu können (s. hierzu auch BGH, Urt. v. 08.10.1953 – 4 StR 395/53, NJW 1953, 1924).
4. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
5. T hat sich nach § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht.
 
Anmerkung: Ebenfalls schuldig gemacht hat sich der T wegen Datenveränderung gemäß § 303a Abs. 1 StGB. Die Datenveränderung tritt aber im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter dem ebenfalls verwirklichten § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB zurück (Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl. 2019, § 303a Rn. 14).
 
C) Fazit
Kurz zusammengefasst gilt nach der Entscheidung des OLG Hamm also:

  • Wer als Nichtberechtigter mit einer EC-Karte kontaktlos ohne PIN-Abfrage bezahlt, der macht sich mangels Täuschung und Irrtums nicht nach § 263 StGB und mangels unbefugten Verwendens auch nicht nach § 263a StGB strafbar. Denn anders als in Fällen, in denen die PIN abgefragt wird, wird bei der kontaktlosen Zahlung die Berechtigung des Kunden nicht durch Anwendung einer starken Kundenauthentifizierung überprüft – und damit fehlt es in dieser Konstellation an der Betrugsähnlichkeit.
  • Ebenso scheitert eine Strafbarkeit nach § 269 Abs. 1, 270 StGB sowie nach § 266b Abs. 1 StGB.
  • Ein solches Verhalten kann aber als Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie nachrangig als Datenveränderung gemäß § 303a Abs. 1 StGB strafbar sein.

 

14.09.2020/3 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
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Dr. Melanie Jänsch

BGH: Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft

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Im Rahmen des unmittelbaren Ansetzens i.S.v. § 22 StGB findet die Abgrenzung zwischen – grundsätzlich straflosen – Vorbereitungshandlungen und dem Eintritt ins Versuchsstadium statt, die insbesondere im Fall der mittelbaren Täterschaft, in dem der Täter den Geschehensablauf zwar aktiv anstößt, aber die unmittelbare Ausführung einem nicht volldeliktisch handelnden Werkzeug überlässt, auf besondere Schwierigkeiten stößt. Mit Urteil vom 23.10.2019 (Az.: 2 StR 139/19) hat sich der BGH unter anderem nun wieder einmal mit dem Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft auseinandergesetzt und auf die Feinheiten seiner Rechtsprechung hingewiesen. Eine sichere Beherrschung der Versuchsvoraussetzungen ist nicht nur für Strafrecht AT-Klausuren unentbehrlich, wobei neben dem Vorliegen des Tatentschlusses oder einer Rücktrittsproblematik auch immer wieder das unmittelbare Ansetzen als beliebter Schwerpunkt einer Versuchsprüfung Einzug findet. Zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrades eignet sich die Kombination mit der mittelbaren Täterschaft hervorragend. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, um sich mit der Problematik und den zum Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft vertretenen verschiedenen Auffassungen eingehender auseinanderzusetzen und die Thematik gutachterlich aufzuschlüsseln.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der T erwarb den gestohlenen Pkw des Halters H. Das Fahrzeug wurde auf den T zugelassen. Dabei hatte er schon von Beginn an den Eindruck, dass mit dem Kilometerstand des Fahrzeugs und – nach den landgerichtlichen Feststellungen und Wertungen – „auch darüber hinaus“ etwas „nicht stimmte“. Dennoch entschloss sich der T dazu, das Fahrzeug zeitnah zu veräußern. Nach einem erfolglosen Verkaufsangebot im Internet nahm er Kontakt zu dem gutgläubigen W auf, der einen Autohandel betrieb. T beauftragte W damit, das Fahrzeug „im Kundenauftrag“ für etwa 75.000 Euro zu verkaufen und versprach ihm dafür eine Provision von 2000 Euro. Der T legte dem Zeugen S eine Kopie des Fahrzeugbriefs, einen Untersuchungsbericht der Firma Bentley und einen TÜV-Bericht über das Fahrzeug vor. Dabei war ihm bewusst, dass es sich bei dem Fahrzeug um eine „Doublette“ handelte, deren Fahrzeugidentifikationsnummer auch bei einem Fahrzeug vorhanden war, das in den USA existierte. Der W bot das Fahrzeug über eine Internet-Plattform an und nannte – unbewusst wahrheitswidrig – eine Erstzulassung im Jahre 2008 sowie einen Kilometerstand von 17.000 km. Daraufhin meldete sich der Interessent I, der aber letztlich keinen Kaufvertrag abschloss.
Strafbarkeit des T nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB?  
 
B) Rechtsausführungen
Die Vorinstanz, das LG Wiesbaden, hat eine Strafbarkeit des T unter anderem wegen versuchten Eingehungsbetrugs in mittelbarer Täterschaft nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Einschaltung des W angenommen. Der BGH kritisierte  die Feststellungen zu der auch als versuchter Betrug gewerteten Tat als lückenhaft; diese könnten den Schuldspruch nicht tragen. Denn den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, dass der Betrug bereits das Versuchsstadium i.S.v. § 22 StGB erreicht hatte. Im Folgenden ist daher die Versuchsprüfung en détail nachzuzeichnen.
 
I. Vorprüfung
Unstreitig lag mangels Erfolgseintritts keine vollendete Tat vor. Die Strafbarkeit des Betrugs ergibt sich aus § 263 Abs. 2 StGB.
 
II. Tatentschluss
Dass der T Tatentschluss, mithin Vorsatz hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestandes des § 263 Abs. 1 StGB sowie Bereicherungsabsicht als subjektives Merkmal, aufwies, war ebenfalls nicht zu bezweifeln. Die Tat sollte auch im Wege mittelbarer Täterschaft i.S.v. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Einschaltung des W ausgeführt werden. Von mittelbarer Täterschaft wird gesprochen, wenn der Täter „die Straftat (…) durch einen anderen begeht“. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn der Tatmittler ein Strafbarkeitsdefizit aufweist, aufgrund dessen er nicht volldeliktisch handelt, und das der Täter planvoll lenkend für seine Zwecke ausnutzt, sodass der tatbestandliche Erfolg letztlich als sein Werk anzusehen ist (BeckOK StGB/Kudlich, 45. Ed. 2020, § 25 Rn. 20). Vorliegend sollte der W, der unbewusst wahrheitswidrige Informationen über den Pkw auf der Internetplattform veröffentlichen sollte, nach der Vorstellung des T als vorsatzlos handelnder Tatmittler agieren. Dies wollte der T für seine Zwecke ausnutzen, sodass auch Vorsatz bezüglich der Tatbegehung im Wege mittelbarer Täterschaft bestand.
 
III. Unmittelbares Ansetzen
Hinsichtlich der Strafbarkeit des T wegen versuchten Betrugs in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist also allein problematisch, ob er bereits ins Versuchsstadium eingetreten ist. Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies ist zwar jedenfalls dann der Fall, wenn der Täter bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt begonnen hat, dass bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde. Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch eine „frühere, vorgelagerte Handlung […] die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen. Das ist der Fall, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet“ (BGH, Urt. v. 16.9.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 203). Dies bedeutet, dass der Täter nach der Formel der herrschenden gemischt subjektiv-objektiven Theorie „subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreiten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzen [muss], sodass sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht“ (vgl. bereits BGH, Urt. v. 16.9.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 202 f.).
 
Anmerkung: Die Bestimmung des Versuchsbeginns ist auch bezogen auf den Alleintäter mitunter noch umstritten. Eine ausführliche Darstellung verschiedener Ansätze findet sich in LK-StGB/Hillenkamp, § 22 Rn. 63 ff.
 
Fällt die Subsumtion unter diese abstrakte Formel schwer, so hat der BGH mitunter Konkretisierungen vorgenommen, indem er Kriterien, die zur Beurteilung des Versuchsbeginns herangezogen werden können, in verschiedenen Entscheidungen ausdrücklich benannt hat. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium sollen unter anderem „die Dichte des Tatplans oder der Grad der Rechtsgutsgefährdung, der aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird“ (BGH, Beschl. v. 29.5.2018 – 1 StR 28/18, BeckRS 2018, 16394, Rn. 9), sein. Gelten diese Grundsätze für den Alleintäter, so kommen besondere Schwierigkeiten hinzu, wenn ein Fall mittelbarer Täterschaft vorliegt, in dem sich der Täter wie in der vorliegenden Konstellation zur Tatausführung eines nicht volldeliktisch handelnden Werkzeugs bedient. Wann der mittelbare Täter ins Versuchsstadium eintritt, ist wiederum umstritten.
 
1. Einwirkungstheorie
Eine Mindermeinung in der Literatur (s. etwa Bockelmann, JZ 1954, 468, 473; Meyer, ZStW 87 (1975), 598, 609; Puppe, GA 2013, 514, 530) nimmt den Versuchsbeginn für den mittelbaren Täter bereits mit der Einwirkung auf das Werkzeug an. Der Ausgangspunkt dieser Ansicht ist eine isolierte Betrachtung von Täter und Tatmittler, die in der Konsequenz ausschließlich auf das maßgebliche eigene Tun des Täters abstellt. Argumentiert wird damit, dass der Tatbeitrag des mittelbaren Täters ja gerade in seinem Einwirken auf den Tatmittler besteht und angesichts dessen die versuchte Tatbegehung schon dann angenommen werden muss, wenn er diese Einwirkung vornimmt oder vorzunehmen versucht.
Nach diesen Maßstäben müsste ein Eintritt ins Versuchsstadium schon in dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem der T den W mit der Veräußerung des Fahrzeugs beauftragt und ihm hierzu eine Kopie des Fahrzeugbriefs, einen Untersuchungsbericht der Firma Bentley und einen TÜV-Bericht über das Fahrzeug vorgelegt hat, obwohl ihm bewusst war, dass es sich bei dem Fahrzeug um eine „Doublette“ handelte. Folgt man der Einwirkungstheorie, ist mithin ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen.
Gegen die Einwirkungstheorie ist indes einzuwenden, dass sie das Versuchsstadium bedenklich weit nach vorn verlagert, sodass die Gefahr besteht, den Grundsatz der grundsätzlichen Straflosigkeit von Vorbereitungshandlungen auszuhöhlen. Dies ist unvereinbar mit dem gesetzgeberischen Willen, der sich in dem Erfordernis der Unmittelbarkeit ausdrückt. Diesem liegt der Gedanke zugrunde, dass nur derjenige wegen Versuchs strafbar sein soll, der sich vorstellt, die Tatbestandsverwirklichung stehe als Folge seines Handelns unmittelbar bevor (hierzu MüKoStGB/Hoffmann-Holland, 3. Aufl. 2017, § 22 Rn. 135).
 
2. Gesamtlösung
Das andere Extrem, die Gesamtlösung, betrachtet dagegen mittelbaren Täter und Tatmittler als Einheit, die nur ganzheitlich unmittelbar ansetzen kann. Ein Versuchsbeginn ist nach dieser Ansicht auch für den mittelbaren Täter erst dann gegeben, wenn unmittelbar (durch das Werkzeug) zur eigentlichen Tatausführung angesetzt wird (hierzu Erb, NStZ 1995, 424, 426; Krack, ZStW 110 (1998), 611, 625 ff.; Kühl, JuS 1983, 180, 181 f.; Küper, JZ 1983, 361, 369). Es muss also im konkreten Fall die Frage beantwortet werden, ob der W seinerseits durch das Einstellen des Fahrzeugs auf der Verkaufsplattform  sowie die Interessenbekundung des I unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung insofern angesetzt hat, als keine wesentlichen Zwischenschritte mehr erforderlich gewesen wären. Dies ist wohl dann zu verneinen, wenn der I letztlich nur sein Interesse bekundet, der W ihm aber noch kein konkretes Angebot unterbreitet hat. Da die Feststellungen keine klare Einschätzung zulassen, ist ein unmittelbares Ansetzen durch den W und damit bei Zugrundelegung der Gesamtlösung auch ein unmittelbares Ansetzen des T zu verneinen.
Auch die Gesamtlösung stößt aber auf berechtigte Kritik: Eine einheitliche Betrachtung von mittelbarem Täter und Tatmittler erscheint insofern sachwidrig, als der mittelbare Täter oftmals bereits vorher alles seinerseits zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat. Damit wird der Versuchsbeginn von Zufälligkeiten abhängig gemacht und das Versuchsstadium zu weit nach hinten verschoben.
 
3. Entlassungstheorie (h.M.)
Sachgerecht erscheint vor diesem Hintergrund die sog. Entlassungstheorie: Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Lehre geht zu Recht davon aus, dass der mittelbare Täter dann unmittelbar ansetzt, wenn er nach seiner Vorstellung von der Tat die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, sodass dieser dem Tatplan nach im unmittelbaren Anschluss die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet ist (s. etwa BeckOK StGB/Cornelius, 45. Ed. 2020, § 22 Rn. 65; MüKoStGB/Hoffmann-Holland, 3. Aufl. 2017, § 22 Rn. 129 m.w.N.). „Denn wer die Tat durch einen anderen begehen will (§ 25 I StGB), setzt zur Verwirklichung des Tatbestandes der geplanten Straftat unmittelbar an (§ 22 StGB), wenn er den Tatmittler zur Tatausführung bestimmt hat und ihn aus seinem Einwirkungsbereich in der Vorstellung entläßt, daß er die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr vornehmen werde.“ (BGH, Urt. v. 26.01.1982 – 4 StR 631/81, NJW 1982, 1164). Diese Maßstäbe legt der BGH auch in der hier zu besprechenden Entscheidung an, betont aber die Wichtigkeit der zeitlichen Nähe zwischen Entlassung des Tatmittlers und Tatbestandsverwirklichung sowie der hiermit einhergehenden konkreten Gefährdung des Tatobjekts für den Versuchsbeginn:

„Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, so liegt ein Ansetzen des Täters zur Begehung der Tat (hier: eines Eingehungsbetrugs) im Allgemeinen zwar schon dann vor, wenn er seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat. Jedoch fehlt es an einem unmittelbaren Ansetzen durch abgeschlossene Einwirkung auf den Tatmittler, wenn dies erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann es die gewünschte Folge hat, also wann eine konkrete Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts eintritt; in diesen Fällen der Verzögerung oder Ungewissheit der Tatausführung durch den Tatmittler beginnt der Versuch erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Erfüllung des Tatbestands ansetzt.“ (Rn. 22)

Der Eintritt ins Versuchsstadium erfordert also nach der h.M. als notwendige Bedingung, dass der mittelbare Täter nach seiner Vorstellung von der Tat die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, ihn also aus seinem Machtbereich entlassen hat. Als hinreichende Bedingung – und dies wird bei der Darstellung der Entlassungstheorie in der Klausur oft vergessen – muss aber hinzukommen, dass der Tatmittler dem Tatplan nach im unmittelbaren Anschluss (also in zeitlicher Nähe) die Tat ausführen soll und das Tatobjekt zu diesem Zeitpunkt bereits konkret gefährdet ist. Ist dies bei Entlassung des Tatmittlers noch nicht der Fall, beginnt der Versuch auch für den mittelbaren Täter erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt.  An dieser Stelle führte der BGH aus, den Urteilsgründen der Vorinstanz könne nicht entnommen werden, ob nach diesen Maßstäben ein Eintritt ins Versuchsstadium erfolgt sei, sodass die Revision insoweit begründet sei:

„Die Voraussetzungen des Versuchsbeginns hat das LG nicht geprüft. Es hat zum Vorstellungsbild des Angekl. vom weiteren Geschehensablauf keine Feststellungen getroffen. Auch bleibt unklar, ob mit der Bekundung des Kaufinteressenten […] als eigentliches Tatgeschehen eine konkrete Rechtsgutsgefährdung vorlag. Das Urteil teilt nicht mit, ob nur eine Sondierung der Lage durch den Kaufinteressenten stattgefunden oder ob der [W] ihm bereits ein konkretes Kaufangebot unterbreitet hatte und wie danach aus der Sicht des Angekl. ein Vertragsschluss […] hätte zustande kommen sollen.“ (Rn. 21)

 
Anmerkung: Scheitert eine Versuchsstrafbarkeit am unmittelbaren Ansetzen, ist bei Verbrechen auch stets an § 30 Abs. 2 StGB zu denken – dieser wird oft übersehen.
 
C) Fazit
Mit seiner Entscheidung folgt der BGH konsequent seiner bisherigen Rechtsprechungslinie, hebt aber die Erforderlichkeit einer präzisen Prüfung der einzelnen Voraussetzungen besonders hervor: Der Eintritt ins Versuchsstadium bei der Einschaltung eines nicht volldeliktisch handelnden Werkzeugs erfolgt, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat. Dies gilt aber nur dann, wenn der Tatmittler der Vorstellung des Täters entsprechend auch im unmittelbaren Anschluss die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet ist. Fehlt es hieran, beginnt auch für den mittelbaren Täter der Versuch erst in dem Zeitpunkt, in dem das Werkzeug seinerseits unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt. In einer Klausur bedarf es also einer genauen Betrachtung der konkreten Umstände; vorschnell den Versuchsbeginn nach abgeschlossener Einwirkung auf den Tatmittler anzunehmen, wäre verfehlt.

09.03.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-03-09 09:00:452020-03-09 09:00:45BGH: Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft
Charlotte Schippers

OLG Karlsruhe zur Manipulation von Warenetiketten

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Im Strafecht sind besonders Vermögens-, aber auch Urkundendelikte examensrelevant. Ein klassischer Fall ist in diesem Kontext der Austausch von Warenetiketten bzw. Strichcodes, wie er dem vorliegenden Beschluss des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zugrunde lag. Hierbei geht es maßgeblich um eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB sowie wegen Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Diese Straftatbestände sollten unbedingt für das Examen beherrscht werden.
 
 I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und gekürzt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T nahm im Baumarkt eine Gartenschlauch-Anschlussgarnitur zum Preis von 14,50 € aus der Auslage. Auf dem zugehörigen Karton befand sich u.a. die für die Anschlussgarnitur ausgegebene European Article Number (EAN) bzw. Global Trade Item Number (GTIN-13) mit zugehörigem Strichcode, die zur Feststellung der Artikel- und Preisinformationen dient. Diese Garnitur brachte er mittels der für den Betrieb des Schlauchs vorgesehenen Steckvorrichtung an einer Schlauchtrommel zum Verkaufspreis von 54,95 € an. T riss das an der Schlauchtrommel angeklebte Etikett mit EAN und Strichcode ab, sodass auf dem Karton nur EAN und Strichcode der günstigeren Anschlussgarnitur angebracht waren. Mit der so manipulierten Ware begab er sich zur Kasse und legte die Schlauchtrommel mit dem Anschlussstück der Kassiererin K in der Absicht vor, diese über den wahren Kaufpreis zu täuschen. K scannte die auf der Kartonverpackung der Anschlussgarnitur aufgedruckte EAN in den Kassencomputer ein. Sie machte sich hierüber keine weiteren Gedanken, fragte T aber, ob der Preis „richtig“ sei, was er bejahte. Nach Zahlung der 14,50 € wollte T den Markt verlassen, wurde aber direkt hinter der Kasse von einer Ladendetektivin aufgehalten, die ihn von Anfang an beobachtet hatte.
 
II. Rechtliche Ausführungen
1. Zunächst kommt eine Strafbarkeit des T wegen Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB infrage:
a) Das Vorlegen der manipulierten Schlauchtrommel zur Bezahlung an der Kasse beinhaltet eine konkludente Täuschung über den Preis für die Ware. Dies wurde weiterhin durch die bewusst wahrheitswidrige Erklärung, die T auf Nachfrage von K abgab, es handle sich um den „richtigen“ Preis, bestätigt.
b) Hierdurch sollte bei K eine Fehlvorstellung, also ein Irrtum, über den Preis hervorgerufen werden. Hier beschäftigte sich das OLG kurz mit der Aussage der K, sie habe sich keine weiteren Gedanken über den Preis gemacht. Denn dies könne darauf schließen lassen, dass die konkrete Fehlvorstellung fehle und K möglicherweise gar keine Vorstellung über den Preis habe. Allerdings lasse die Frage nach der Richtigkeit des Preises und die Aushändigung erst nach der Bestätigung durch T darauf schließen,

„[…] dass [K] […] – auch wenn sie sich üblicherweise keine Gedanken über die Richtigkeit der Preise der ihr zur Bezahlung vorgelegten Ware machte – jedenfalls im vorliegenden Einzelfall der positiven Fehlvorstellung unterlag, der Preis für Schlauchtrommel und Anschlussschlauch betrage lediglich 14,50 €“. (Rn. 18)

c) In Abgrenzung zum Diebstahl liegt hier infolge des Irrtums eine freiwillige Gewahrsamsübertragung von K an T vor, also eine Vermögensverfügung. Der Verfügungswille war auf die Schlauchtrommel konkretisiert.
d) Diese Vermögensverfügung führte auch zu einem Vermögensschaden: Ohne den Kaufpreis für die Ware zu bekommen, also ohne dass die Vermögensminderung kompensiert wurde, hatte K gem. § 929 S. 1 BGB das Eigentum an der Schlauchtrommel durch Übergabe und konkludente Einigung über den Eigentumswechsel an T übertragen.
e) Zu beachten ist noch, dass T durch die Ladendetektivin beobachtet und nach Abschluss des Bezahlvorgangs gestellt wurde. Das steht einer Vollendung des Betrugs aber nicht entgegen, denn der Vermögensschaden, der unmittelbar aus der Vermögensverfügung resultiert, ist zumindest teilweise eingetreten.

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Daher ist T wegen Betruges strafbar.
 
2. Darüber hinaus kommt eine Strafbarkeit des T wegen Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht.
a) Schwerpunkt ist die Überlegung, ob das Etikett zusammen mit der Schlauchtrommel eine zusammengesetzte Urkunde ist. Zur Erinnerung: Eine Urkunde ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist. So können auch mit einer Sache fest verbundene Zeichen Urkundenqualität aufweisen, so z.B. Nummernschilder an Autos.
Die mit der Ware fest verbundene EAN ist eine verkörperte Gedankenerklärung. Denn: Diese Nummer ermöglicht es, jedes Produkt weltweit zu identifizieren. Darüber hinaus kann mit der Nummer auf Produktinformationen zugegriffen werden, insbesondere den Preis der Ware, wofür lediglich der Strichcode eingescannt werden muss. Dieser hat selbst keinen eigenständigen Erklärungswert, sondern dient nur als für den Scanner lesbare Darstellung der Nummer. Die Tatsache, dass die Nummer dazu dient, die Ware zu identifizieren, ist auch allgemein bekannt. Das OLG führt hierzu aus:

„Die GTIN-13 dient danach nicht nur zur Unterscheidung und Erfassung verschiedener Produkte in der Sphäre eines Herstellers oder Händlers. Aufgrund der Bedeutung, welche sie insbesondere durch ihre massenhafte Verwendung bei der Abwicklung von Kaufgeschäften zwischen Einzelhändlern und Verbrauchern, wenn auch nicht durch Rechtsvorschriften, so aber doch durch entsprechende Übung erlangt hat, fungiert die GTIN-13 in ihrer festen Verbindung mit einer Ware vielmehr auch im Rechtsverkehr als Identitätsnachweis eines Produkts. Die Beweiserheblichkeit dieses Identitätsnachweises zeigt sich insbesondere daran, dass Einzelhandel und Verbraucher sich bei der Ermittlung des Preises für eine Ware während des Bezahlvorgangs an der Kasse gleichermaßen auf die Richtigkeit dieses Identitätsausweises verlassen. Auch bei der Frage, ob es sich bei einem bestimmten Produkt um eine Fälschung oder ein Original handelt, kann der mit einem Produkt fest verbundenen GTIN-13, die aussagt, dass das fragliche Produkt von einem bestimmten, aus der Basisnummer ersichtlichen Hersteller gefertigt und als nach seiner Gattung weltweit einzigartiges Produkt in den Verkehr gebracht wurde, Beweisbedeutung zukommen.“ (Rn. 28)

Folglich verkörpere die mit einem bestimmten Produkt fest verbundene GTIN-13 die Erklärung des Herstellers, dass die Nummer dem jeweiligen Produkt zur Identifizierung im Handelsverkehr zugeordnet ist.

„Beweisrechtliche Relevanz erlangt dieser Umstand insbesondere in Fallkonstellationen wie der vorliegenden, in der sie an der Kasse eines Einzelhandelsgeschäfts nach der Verkehrsübung zur verlässlichen Ermittlung des Preises herangezogen wird, zum dem der Einzelhändler die jeweilige Ware zum Verkauf anbietet.“ (Rn. 28)

Der Aussteller muss nach außen erkennbar sein. Hierbei ist ausreichend, dass er sich aus dem Inhalt ergibt, was hinsichtlich der GTIN-13 der Fall ist: Das Unternehmen, das die GTIN-13 vergeben hat, kann durch die Nummer identifiziert werden.
Des Weiteren ist eine feste Verbindung zwischen Etikett und Ware erforderlich. Weil das Etikett hier so fest mit der Schlauchtrommel verbunden war, dass es abgerissen werden musste, ist auch diese Voraussetzung gegeben.
Mithin liegt eine zusammengesetzte Urkunde vor.
b) Die Urkunde gehörte auch nicht dem T. Er hob durch das Abreißen die Gebrauchsfähigkeit dieser Urkunde und damit ihre Beweisfunktion auf: Der gedankliche Inhalt wurde völlig beseitigt, die Urkunde daher i.S.v. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB vernichtet.
Im Ergebnis hat T sich, da auch der subjektive Tatbestand verwirklicht wurde, wegen Urkundenunterdrückung strafbar gemacht.
 
3. Eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB scheidet aus:

„Zwar können zusammengesetzte Urkunden auch durch Auswechseln ihres Bezugsobjekts verfälscht werden. Dies setzt jedoch voraus, dass auch die neue in der Verbindung von Bezugsobjekt und Beweiszeichen liegende Gedankenerklärung den Anschein erweckt, sie rühre unverändert von dem ursprünglichen Aussteller her. Auch bei der neu zusammengesetzten Urkunde muss daher eine feste und dauerhafte, wenn auch nicht untrennbare Verbindung zwischen Beweiszeichen und Bezugsobjekt zu einer Beweiseinheit bestehen.“ (Rn. 36)

Das ist hier mit dem Anbringen des Anschlussschlauchs auf die Steckvorrichtung, wodurch keine ausreichend feste Verbindung zwischen Umkarton und Schlauchtrommel erzeugt wird, gerade nicht der Fall. Ein Bedürfnis, den Tatbestand der Urkundenfälschung insoweit auszudehnen, besteht mangels Strafbarkeitslücken ebenfalls nicht.
 
4. Herauszustellen ist schließlich noch, dass Betrug und Urkundenunterdrückung in Tateinheit gem. § 52 StGB stehen:

„Denn beide Gesetzesverletzungen beruhten nicht nur auf demselben Tatentschluss, sie standen auch in einem engen räumlichen und zeitlichen sowie finalen Zusammenhang, weil das Zerstören der zusammengesetzten Urkunde nach dem Tatplan des [T] der Vorbereitung der Täuschungshandlung dienen sollte. Gesetzeskonkurrenz liegt nicht vor, weil § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 263 StGB verschiedene Rechtsgüter schützen.“ (Rn. 35)

 
III. Summa
Festzuhalten bleibt, dass es sich hiermit um einen spannenden und examensrelevanten Fall handelt. Vermögensdelikte stehen häufig im Zentrum strafrechtlicher Examensklausuren, ebenso die Urkundendelikte. Gerade die Überlegungen zur zusammengesetzten Urkunde bilden in Fällen wie hier den Schwerpunkt. Diesen Beschluss jedenfalls sollte man kennen.

12.02.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-02-12 09:31:062020-02-12 09:31:06OLG Karlsruhe zur Manipulation von Warenetiketten
Carlo Pöschke

Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle

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Zu den Fallkonstellationen, die Jura-Studenten von den ersten Semestern bis zum Examen begleiten, gehören die sog. Tankstellenfälle. Hierbei betankt der Täter sein Fahrzeug an einer Selbstbedienungstankstelle, ohne den Kaufpreis an der Kasse zu entrichten. Die Komplexität dieser Fälle wird bereits deutlich, wenn man das Stichwort in die Google-Suche eingibt. So stellt eine Rechtsratgeber-Seite fest: „Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten.“ Und genau deshalb erfreuen sich die Tankstellenfälle sowohl in universitären Klausuren als auch im Examen größter Beliebtheit: Zu prüfen sind Straftatbestände wie Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB), die bereits in frühen Semestern zum Standard-Repertoire eines jeden Prüflings gehören (sollten), Vieles ist juristisch umstritten und durch kleine Abwandlungen lassen sich leicht neue Fallkonstellationen erzeugen. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass sich solche Prüfungsaufgaben häufig auf einige wenige Grundfälle zurückführen lassen. Wer diese typischen Fallgestaltungen im Hinterkopf behält, kann auch bei unbekannten Abwandlungen mit der entsprechenden Argumentation und einem guten systematischen Verständnis der Vermögensdelikte in der Klausur punkten.
A. Fallgestaltung 1: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird nicht beobachtet oder geht irrig davon aus, nicht beobachtet zu werden
Beispielsfall: T, der ständig knapp bei Kasse ist, aber trotzdem mit seinem Sportwagen auf der Straße prahlen möchte, betankt an der Selbstbedienungstankstelle des S seinen fast leeren Tank mit Benzin im Wert von 70 Euro mit der zuvor gefassten Absicht, das Tankstellengelände ohne Entrichten des Kaufpreises wieder zu verlassen. T hat bewusst die Tankstelle des S ausgewählt, da diese noch nicht über moderne Überwachungssysteme verfügt und das Kassenpersonal insb. zu Stoßzeiten mit dem Abkassieren so beschäftigt ist, dass das Geschehen im Außenbereich unbeachtet bleibt. So geschieht es:  Tankstellenmitarbeiter M bekommt von dem Tankvorgang zunächst nichts mit und nimmt von dem Vorfall erst Kenntnis, als T bereits unbehelligt davongefahren ist und ein Kunde ihn über die Sperrung der betreffenden Zapfsäule informiert. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB zunächst, dass es sich bei dem Benzin um eine fremde bewegliche Sache handelt. Benzin stellt (unabhängig vom Aggregatzustand) einen körperlichen Gegenstand i.S.d. § 90 BGB dar, der auch tatsächlich fortgeschafft werden kann, mithin eine bewegliche Sache.
Fraglich ist, ob das Benzin für T auch fremd ist. Fremd ist eine Sache, wenn sie zumindest auch im Eigentum eines anderen steht. Insbesondere in der älteren Literatur und Rechtsprechung wurde die Fremdheit des Benzins jedoch abgelehnt: Der Tankstellenbetreiber unterbreite dem sich selbst bedienenden Kunden bereits mit Aufstellen der Tanksäule ein Angebot auf Übereignung des Benzins, das vom Kunden durch Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank angenommen werde. Insofern vollziehe sich die Übereignung bereits an der Tanksäule gem. § 929 S. 1 BGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 249; Herzberg, NJW 1984, 896, 898). Nach der Gegenansicht sei die Fremdheit der Sache sehr wohl zu bejahen. Ganz überwiegend wird argumentiert, dass sich – sofern nicht ohnehin ein Eigentumsvorbehalt gem. § 449 BGB vereinbart wurde – die dingliche Einigung wie beim Kauf in Selbstbedienungsläden erst nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse vollziehe (OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 17). Denkbar wäre auch, einen gesetzlichen Eigentumserwerb des Tankenden gem.  § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB anzunehmen. Da der Tankende über § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB jedoch bloß Miteigentümer der Sache wird, wäre das Benzin für T immer noch fremd. Die Ansicht, die einen Eigentumsübergang bereits an der Tanksäule nach Maßgabe des § 929 S. 1 BGB annimmt, vermag nicht zu überzeugen, weil sie den Anschauungen des täglichen Lebens zuwiderläuft und mit einer Auslegung von Willenserklärungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB nicht zu vereinbaren ist. Denn es wird regelmäßig nicht dem Willen des Tankstelleninhabers entsprechen, an seine Kunden vorzuleisten. Vielmehr soll die Leistung Zug-um-Zug, d.h. Ware gegen Geld, erfolgen. Ob sich die Übereignung rechtsgeschäftlich nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse oder gesetzlich nach § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB vollzieht, ist nicht zu entscheiden, da beide Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Benzin eine für T fremde Sache ist.
Somit stellt das Benzin ein taugliches Tatobjekt dar.
b) Weiterhin müsste T dem S das Benzin weggenommen haben. Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Dabei ist Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft eines Menschen über eine Sache, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen und in ihrer Reichweite von der Verkehrsanschauung begrenzt wird. Vor Beginn des Betankungsvorgangs lag der Gewahrsam am Benzin bei S. Durch Befüllung des Tanks wurde dem S der ungehinderte Zugriff auf das Benzin entzogen, während T fortan – auch unter Zugrundlegung der Verkehrsanschauung – über das Benzin verfügen konnte. Insoweit hat er neuen Gewahrsam am Benzin begründet. Fremder Gewahrsam wird jedoch nur dann gebrochen, wenn der Täter gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers handelt. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Begründung des neuen Gewahrsams am Benzin von einem tatbestandausschließenden Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers (hier S) gedeckt wäre. Nach h.M. beinhaltet die Eröffnung einer Selbstbedienungstankstelle das generelle Einverständnis in die Entnahme von Kraftstoff. Wer die Zapfsäule ordnungsgemäß bediene, nehme selbst dann nicht weg, wenn er von vornherein nicht vorhat, das Benzin zu bezahlen (MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 108 m.w.N.). Dies wird von einer Mindermeinung bestritten, die das Einverständnis nicht nur an die ordnungsgemäße Bedienung, sondern zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt. Letztgenannte Ansicht führt jedoch dazu, dass die Abgrenzung zwischen Wegnahme i.S.v. § 242 Abs. 1 StGB und Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB verwischt und ist daher abzulehnen (so auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 36a). Damit ist auch im vorliegenden Fall von einem unbedingten Einverständnis des S in den Gewahrsamsübergang auszugehen, das eine Wegnahme ausschließt.
2. Ergebnis
T hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der Betrugstatbestand erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, worunter jedenfalls jedes Verhalten mit Erklärungswert fällt, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Weil T jedoch bis Beendigung des Tankvorgangs vom Tankstellenpersonal unberücksichtigt blieb, konnte er bereits gar nicht auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirken. T hat sich nicht gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Anmerkung: Gäbe es im Sachverhalt nicht den Hinweis darauf, dass die Tankstelle über keine Überwachungssysteme verfügt und die Mitarbeiter regelmäßig nicht das Außengelände überwachen, müsste geprüft werden, ob sich T gem. § 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen versuchten Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht hat. Hier könnte bspw. angeführt werden, dass bei realitätsnaher Betrachtung stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen ist und deshalb mit bedingtem Täuschungsvorsatz gehandelt wurde (OLG Köln NJW 2002, 1059, 1060).
III. § 246 Abs. 1 StGB durch Befüllen des Tanks
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) Dass das Benzin eine fremde bewegliche Sache ist, wurde bereits zuvor ausgeführt.
b) Des Weiteren müsste sich T das Benzin zugeeignet haben. Erforderlich ist die objektive Manifestation eines Selbst- oder Drittzueignungswillens. T wollte das Benzin der Einwirkungssphäre des S dauerhaft entziehen, um es selbst zu behalten. Er handelte also mit Zueignungswillen. Problematisch erscheint hingegen, ob auch ein über den bloßen Zueignungswillen hinausgehender objektiver Zueignungsakt vorliegt.
Die sog. enge Manifestationstheorie der h.L. stellt darauf ab, ob ein nach außen erkennbares Verhalten des Täters verlässlich zum Ausdruck bringt, dass der Täter die Sache behalten will. Dies sei aus der Sicht eines objektiven Beobachters zu beurteilen, der abgesehen vom Zueignungswillen des Täters alle tatsächlichen Umstände des Falls kennt. Der Tankvorgang stellt sich dabei als ein „an sich neutrale[r] Vorgang“ (Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799, 2800) dar. Zu diesem Zeitpunkt kann ein objektiver Beobachter ohne Kenntnis des Täterwillens nämlich noch nicht sagen, ob der sich ansonsten unauffällig verhaltende Tankende die Tankstelle ohne Bezahlung des Kaufpreises verlassen wird oder ordnungsgemäß bezahlen wird und an der Kasse das Eigentum am Benzin erwerben wird. Nach dieser Ansicht wurde der Zueignungswille mithin nicht manifestiert.
Nach der sog. weiten Manifestationstheorie, die insb. von der Rspr. vertreten wird, kann hingegen jede beliebige Handlung als Ausdruck des Zueignungsinteresses verstanden werden, soweit ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Verhalten als Bestätigung des Willens ansieht. Vorliegend würde ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Betanken des Fahrzeugs bereits als Manifestation des Willens betrachten.
Die vorgestellten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass der Streit zu entscheiden ist. Würde man der Ansicht der Rspr. folgen, hätte dies zur Konsequenz, dass eine Abgrenzung zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung nahezu unmöglich würde. Außerdem lässt sich aus § 22 StGB, wonach eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung unmittelbar zu ihr ansetzt, e contrario ableiten, dass die Vorstellungen des Täters im Rahmen des objektiven Tatbestands keine Berücksichtigung finden soll. Die weite Manifestationstheorie führt aber gerade dazu, dass der objektive Tatbestand vom subjektiven Tatbestand her interpretiert wird (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 18). Aus den genannten Gründen verdient die enge Manifestationstheorie den Vorzug. T hat durch das Befüllen des Tanks den Zueignungswillen nicht manifestiert hat.
2. Ergebnis
T hat sich durch das Befüllen des Tanks nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. § 246 Abs. 1 StGB durch Wegfahren
Dadurch, dass T unbehelligt davonfuhr, könnte er sich jedoch gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Wegfahren wird vorliegend auch nach der engen Manifestationstheorie der Zueignungswille des T nach außen manifestiert.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich, indem er unbehelligt davonfuhr, gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. Gesamtergebnis
T hat sich gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
B. Fallgestaltung 2: Anfänglich zahlungswilliger Täter fasst mit Abschluss des Tankvorgangs den Entschluss, die Tankstelle ohne Bezahlung des Kraftstoffs zu verlassen
Beispielsfall: T hat im vergangenen Monat mit seinem Geld gut gehaushaltet und hat sich 70 Euro beiseitegelegt, um seinen Sportwagen endlich wieder einmal vollzutanken. Er fährt zu der Selbstbedienungstankstelle des S in der Absicht, den Wagen vollzutanken und den Kaufpreis nach Beendigung des Tankvorgangs zu bezahlen. Er befüllt den Tank seines Sportwagens mit Benzin im Wert von 70 Euro. Auf dem Weg zur Kasse regt er sich jedoch über die Gewinnsucht der großen Ölkonzerne auf und sieht es gar nicht ein, die Reichen noch reicher zu machen. Um nicht aufzufliegen, entnimmt er deshalb aus dem Kühlregal des Tankstellenshops eine Dose Bier und bezahlt diese (aber nicht die Tankfüllung) an der Kasse. Wie von T erhofft geht die Tankstellenmitarbeiterin M irrig davon aus, dass T nur die Dose Bier bezahlen möchte und nicht getankt hat. Daraufhin fährt T unbehelligt davon. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist eine für T fremde bewegliche Sache (s.o.).
T müsste den Kraftstoff auch weggenommen haben. Dass T eigenen Gewahrsam am Benzin begründet hat, steht außer Frage. Jedoch ist die Aufhebung des Gewahrsams des S von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt, da es Sinn und Zweck einer Selbstbedienungstankstelle ist, Benzin in den eigenen Tank zu füllen. Auch die bereits dargestellte Mindermeinung, die das Einverständnis zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt, kommt zu keinem anderen Ergebnis. Denn hier hatte T anfänglich vor, den Kaufpreis an der Kasse zu bezahlen. K hat den Kraftstoff nicht weggenommen.
Er hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht haben, indem er nur die Bierdose an der Kasse vorlegte.
1. Objektiver Tatbestand
a) T müsste M getäuscht haben. Eine Täuschung ist jedes Verhalten mit Erklärungswert, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Ausdrücklich hat T hier nicht getäuscht. Jedoch hat T dadurch, dass er nur die Bierdose vorlegte, zu erkennen gegeben, dass dies alles sei, was er bezahlen müsse. M wurde also konkludent von T getäuscht.
b) Aufgrund dieser Täuschung müsste bei M ein Irrtum hervorgerufen worden sein. Ein Irrtum liegt bei einem Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit vor. Hier liegt die Abweichung darin, dass M aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des T glaubte, T müsse nur die Bierdose und nicht auch für getankten Kraftstoff bezahlen. Es liegt ein Irrtum vor.
c) Dieser Irrtum müsste zu einer Vermögensverfügung geführt haben. Eine Vermögensverfügung wird definiert als jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln, Dulden oder Unterlassen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn führt. Vorliegend hat es M unterlassen, die Kaufpreisforderung des S i.H.v. 70 Euro gegen T geltend zu machen. Dass Verfügender (M) und Geschädigter (S) nicht übereinstimmen, stellt grds. kein Problem dar, da im Rahmen des § 263 StGB der Dreiecksbetrug allgemein anerkannt ist. Damit M und S eine Zurechnungseinheit bilden, müssten sich die beiden Personen aber in einem besonderen Näheverhältnis befinden. Streitig ist in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die Qualität der Nähebeziehung zu stellen sind. Die strengste Ansicht, die sog. objektive Ermächtigungstheorie, fordert, dass der Getäuschte zur Vornahme der Verfügung ermächtigt ist. Für gewöhnlich werden Mitarbeiter zu solchen Verfügungen ausdrücklich oder zumindest konkludent bevollmächtigt. Jedenfalls kann aber auf die Vermutung für das Bestehen von Vertretungsmacht aus § 56 HGB („Ladenvollmacht“) abgestellt werden, die sich anhand der Sachverhaltsangaben nicht widerlegen lässt. Da M und S bereits nach der strengsten Ansicht eine hinreichende Nähebeziehung aufweisen, ist nach allen Ansichten eine Vermögensverfügung anzunehmen.
d) Die Vermögensverfügung müsste auch zu einem Vermögensschaden auf Seiten des S geführt haben. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist durch Vermögensvergleich zu ermitteln und liegt demnach vor, wenn die Vermögensminderung nicht im Wege der Saldierung durch die Gegenleistung ausgeglichen wird. Hier fließt keine Gegenleistung, die die Vermögensleistung kompensieren könnte. Dass S zwar gegen T einen schuldrechtlichen Anspruch hat, ändert daran nichts, da eine Forderung wertlos ist, wenn der Schuldner unbekannt ist. Folglich hat S auch einen Vermögensschaden erlitten.
2. Subjektiver Tatbestand
a) T handelte vorsätzlich bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale.
b) T handelte in der Absicht, sich zu bereichern. Der Vorteil des T (ersparte 70 Euro) erweist sich auch als Kehrseite des Schadens (Nichtgeltendmachung der 70 Euro). T handelte in der eigennützigen Absicht stoffgleicher Bereicherung.
3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung und entsprechender Vorsatz
Die Bereicherung des T war zudem rechtswidrig, was er auch wusste. T handelte bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung also ebenfalls vorsätzlich.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen war die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
5. Ergebnis: Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht.
III. § 246 Abs. 1 StGB durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Vorspiegeln an der Kasse, er müsse nur für die Bierdose bezahlen, hat T (auch nach der engen Manifestationstheorie) nach außen zum Ausdruck gebracht, dass er sich das Benzin zueignen will.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 IV. § 246 Abs. 1 StGB durch das Wegfahren
Durch das Wegfahren von der Tankstelle könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Im Davonfahren ist eine erneute Manifestation des Zueignungswillens zu sehen.
Fraglich ist, wie sich das Verhältnis zur bereits bejahten Strafbarkeit wegen Betrugs und der vorangegangenen Unterschlagung gestaltet. Nach der von Teilen der Literatur vertretenen Konkurrenzlösung (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 246 Rn. 19) würden wiederholte Manifestationen des Zueignungswillens bezüglich derselben Sache jeweils eine weitere tatbestandsmäßige Zueignungshandlung darstellen, die im Konkurrenzfall als mitbestrafte Nachtat zurücktrete. Als Argument für diese Auffassung wird angeführt, dass auf diese Weise Verurteilungen bei nicht strafbarer Erstzueignungshandlung sowie wegen Teilnahme an späteren Zueignungshandlungen ermöglicht würden. Letztgenanntes Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen, wenn man bedenkt, dass Anschlussstraftaten wie §§ 257, 259 StGB abschließende Regelungen für Verwertungshandlungen vorsehen. Diesem Einwand trägt die Tatbestandslösung (BGH NJW 1960, 684, 685; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 246 Rn. 38; Rengier, BT I, 20. Aufl. 2018, § 5 Rn. 51 f.) Rechnung, nach der sich ein Täter nach erfolgter Erstzueignung die Sache schon tatbestandlich nicht noch einmal zueignen kann. Für diese Ansicht streitet schon der Wortsinn des § 246 Abs. 1 StGB: Wer sich eine Sache einmal zugeeignet hat, kann sich die gleiche Sache nicht erneut zueignen. Nicht zuletzt würden durch die Konkurrenzlösung die für die Vortaten geltenden Verjährungsfristen (§§ 78 ff. StGB) faktisch aufgehoben. Es hat sich gezeigt, dass die besseren Argumente für die Tatbestandlösung sprechen, sodass sich im vorliegenden Fall T mangels Erfüllung des Tatbestands nicht erneut gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
V. Gesamtergebnis und Konkurrenzen
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der durch Vorlegen der Bierdose an der Kasse verwirklichte § 246 Abs. 1 StGB tritt im Wege der ausdrücklich in der Vorschrift geregelten Subsidiarität gegenüber § 263 Abs. 1 StGB zurück.
C. Fallgestaltung 3: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird vom Tankstellenperson beobachtet
Am einfachsten stellt sich der Fall dar, wenn ein von Anfang an zahlungsunwilliger Täter davon ausgeht, beobachtet zu werden und sich deshalb wie ein redlicher Kunde verhält. Hier wäre die Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB lehrbuchmäßig zu prüfen, ohne dass sich neue Probleme ergäben. Durch das Auftreten wie ein redlicher Kunde täuscht der Täter konkludent über seine Zahlungsbereitschaft, wodurch er beim Tankstelleninhaber bzw. dessen Personal den Irrtum hervorruft, er werde den Kaufpreis für den Kraftstoff entrichten. Im Rahmen der Vermögensverfügung wäre dann kurz anzusprechen, dass die Vermögensverfügung nach einer Ansicht in der dinglichen Einigung nach § 929 S. 1 BGB liegt, nach der (überzeugenden) Gegenansicht in der Gestattung des Besitzwechsels, wobei dieser Streit nicht entscheidungserheblich ist. Für den Fall, dass die Täuschung gegenüber einem Angestellten verübt wurde, wäre kurz darauf einzugehen, ob getäuschter Verfügender und Geschädigter eine fiktive Zurechnungseinheit bilden, indem zwischen ihnen eine hinreichende Nähebeziehung besteht. Im Ergebnis ist nach einhelliger Ansicht eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB oder im Falle fehlender Beobachtung wegen versuchten Betrugs nach §§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bejahen (zu dieser Fallkonstellation s. auch Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 46).
D. Fazit
Der eilige Leser wird die längeren Ausführungen wahrscheinlich nur rasch überflogen haben und im Fazit nach der Antwort auf die Frage suchen, wie sich ein Täter strafbar macht, der an einer Selbstbedienungstankstelle tankt ohne zu bezahlen. Die wenig erfreuliche Antwort lautet: Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten. Die vorgestellten Fallgruppen können jedoch bei einer Ordnung der ersten Gedanken hilfreich sein und können verhindern, dass wichtige Probleme übersehen werden. Nichtdestotrotz sollte man nicht in ein allzu starres „Schubladendenken“ verfallen. Das kann dazu führen, dass eingebaute Probleme übersehen werden oder schlimmstenfalls ein Fall gelöst wird, der so gar nicht zur Bearbeitung steht. Insgesamt sollte der Bearbeiter bei Tankstellenfällen seinen Blick verstärkt auf die Straftatbestände der §§ 242, 263 sowie 246 StGB einschließlich Versuchsstrafbarkeiten richten.

25.09.2019/4 Kommentare/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-09-25 09:30:312019-09-25 09:30:31Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle
Gastautor

Kurzüberblick: Standardprobleme beim Diebstahl in Selbstbedienungsläden

Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Dr. Jesko Baumhöfener veröffentlichen zu können. Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht Dr. Baumhöfener ist seit dem Jahr 2008 Strafverteidiger in Hamburg (https://strafverteidigung-hamburg.com). In seiner Praxis betreut er Delikte aus dem Wirtschaftsstrafrecht ebenso wie Schwurgerichtsverfahren oder „kleinere“ Vorwürfe wie Diebstahl und Betrug. Er hat sich besonders auf die Bearbeitung einer Revision im Strafrecht (https://revision-strafrecht.com) spezialisiert.
Der Diebstahl gemäß §242 StGB beinhaltet bereits für sich genommen eine Vielzahl von Problemfeldern, die auch stets Bestandteil von Examensklausuren sind. Dazu gehört sicherlich die Abgrenzung vom Trickdiebstahl zum Betrug gemäß § 263 StGB, das Exklusivitätsverhältnis dürfte den Kandidatinnen und Kandidaten bekannt sein. Während bei einem Diebstahl eine fremde, bewegliche Sache weggenommen wird, stellt der Betrug ein Selbstschädigungsdelikt dar und bedarf einer Vermögensverfügung.
Weitere Probleme liegen in der Definition des Begriffs ,,Wegnahme“, denn es muss sich um einen Bruch fremden Gewahrsams handeln.

,,Wegnahme definiert man als den Bruch fremden Gewahrsams und der Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.“

Die Subsumtion des Sachverhaltes unter das Merkmal der ,,Wegnahme“ ist regelmäßig ein Schwerpunkt strafrechtlicher Klausuren. Schon die Frage eines Bruchs kann problematisch sein, oftmals versteckt sich im Sachverhalt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis. Dieses muss aber durch den Gewahrsamsinhaber erfolgen, das Einverständnis des Eigentümers ist an dieser Stelle nicht relevant und vielmals eine falsche Fährte. Ebenso kommt es nicht auf den Besitzer im zivilrechtlichen Sinne an, sondern auf den Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft. Ein mittelbarer Besitzer hat keinen Gewahrsam, ein Besitzdiener hat dafür Gewahrsam, ohne Besitzer zu sein.
Dies sind nur Problemfelder im objektiven Tatbestand, zudem können auch Probleme im subjektiven Tatbestand sowie im Bereich der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auftauchen.
Für den Selbstbedienungsladen, gemeinhin ein Supermarkt, entstehen Besonderheiten, die im Folgenden dargestellt werden sollen.
1. Vollendung der Tat- Versuchsstrafbarkeit und Gewahrsamsenklave
Eine Tat ist vollendet, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Ist dies der Fall, ist das Stadium des Versuchs gemäß §§ 22, 23 StGB überschritten. Nach der vollendeten Tat kann Beendigung eintreten. Beendigung meint das Manifestieren des gesamten Unrechts der Tat nach außen. Dies ist bei einem Diebstahl dann der Fall, wenn sich der Täter entsprechend weit vom Tatort entfernt hat und die Beute gesichert ist.
 

,,Die Beendigung des Diebstahls setzt voraus, dass der Täter den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen bereits gefestigt und gesichert hat. Dies ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Verlässt der Täter den unmittelbaren Herrschaftsbereich des Opfers (hier: einen Supermarkt), befindet er sich aber noch in Sichtweite des ihn sofort verfolgenden Berechtigten und bleibt damit einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die Beute infolge der Nacheile wieder herausgeben zu müssen, scheidet eine Beendigung selbst dann aus, wenn bis zur Konfrontation durch den Berechtigten mehrere Minuten vergehen.“ BGH 5 StR 395/14 – Urteil vom 8. Oktober 2014

 
Im Selbstbedienungsladen könnte eine Vollendung der Tat daran scheitern, dass ein Ladendetektiv die Ausführung der Tat beobachtet. Hier kommt es darauf an, ob der Ladendetektiv dem vermeintlichen Täter eine sogenannte Diebesfalle gestellt hatte. Wird also ein sehr werthaltiger, kleiner Gegenstand im Regal platziert und hofft der Ladendetektiv, dass jemand die Gunst der Stunde ausnutzt und den Gegenstand einsteckt, liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor. Es fehlt mithin am Bruch im Rahmen der Definition der ,,Wegnahme“.
Der Diebstahl ist jedoch kein heimliches Delikt, weswegen grundsätzlich der beobachtete Diebstahl strafbar ist (BGH, StV 1985, 323), sofern dieser nicht auf einer präparierten Diebesfalle beruht. Es gibt dennoch Mindermeinungen, die einen Gewahrsamsbruch dann verneinen, sobald ein Hindernis in Form des Beobachtens vorliegt. Mit dieser Mindermeinung könnte man sich im ersten Examen noch in der gebotenen Kürze auseinandersetzen, in der Strafrechtsklausur für das zweite Examen wäre dies fatal.
Wie bereits dargelegt, erfordert die Bejahung einer Wegnahme neben dem Bruch fremden Gewahrsams auch zwingend die Begründung nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Daher kann eine Vollendung im Selbstbedienungsladen gegeben sein, sofern eine Gewahrsamsenklave entsteht. Dies bedeutet, während der vermeintliche Täter im Supermarkt steht und die Kassen und den Ausgangsbereich noch nicht passiert hat, können Dritte vom Gewahrsam ausgeschlossen sein. Nach sozialen Anschauungen haben Kunden eines Selbstbedienungsladens jedenfalls dann Alleingewahrsam, wenn sie die Kasse mitsamt Einkaufswagen passiert haben. Das Verstauen in der Hosentasche beispielsweise führt stets dazu, dass ein Dritter vom Gewahrsam ausgeschlossen wird. Nach der Verkehrsauffassung wird kein Fremder ungefragt in die Hosentasche eines anderen Menschen greifen.
Daher hat sich eine Faustformel entwickelt. Zusammenfassend besagt diese, dass eine Gewahrsamsenklave leichter zu begründen ist, desto kleiner die Sache ist.
 

“Namentlich bei Geldscheinen, Münzen und ähnlich handlichen Gegenständen wird regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten als Wegnahmehandlung genügen. Bei anderen Sachen geringen Umfangs ist die Wegnahme in aller Regel jedenfalls dann vollzogen, wenn der Täter diese in seine Kleidung oder in eine mitgeführte Tasche steckt. Damit hat er nach der Verkehrsauffassung die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehoben und ein eigenes, dessen freie Verfügungsgewalt ausschließendes, tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis hergestellt. Daran ändert auch eine etwaige Beobachtung nichts. Weder ist Diebstahl eine “heimliche” Tat, noch setzt die Vollziehung des Gewahrsamswechsels voraus, dass der Täter endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlangt.” (BGH, Urt. v. 3.7.1986, Az. 4 StR 199/86 – Juris)

 
Diese Faustformel wird auch durch ganz aktuelle Urteile bestätigt. So ist ein Diebstahl noch nicht vollendet, wenn ein vermeintlicher Täter einen recht sperrigen Gegenstand noch vor Passieren des Kassenbereichs sichtbar durch den Supermarkt trägt. Dabei ist es gleichgültig, ob der Täter für sich schon entscheiden hat, die Sache zu stehlen. Dies führt dazu, dass der vermeintliche Täter nach wie vor die Möglichkeit hat, durch einen Rücktritt gemäß § 24 StGB die ,,goldene Brücke“ zur Straflosigkeit wahrzunehmen. Derjenige Täter, der kleine Sachen in die Hosentasche steckt, hat diese Möglichkeit aufgrund der Gewahrsamsenklave und der entstehenden Vollendung der Tat nicht mehr. Ungerecht ist diese Rechtsauffassung nicht. Wer Sachen für Dritte sichtbar im Einkaufswagen schiebt, hat in diesem Zeitpunkt nicht dieselbe kriminelle Energie freigesetzt als ein Täter, der kleine Sachen in der Hosen- oder Jackentasche verbirgt.
 

„Das sichtbare Wegtragen von Waren begründet innerhalb der Geschäftsräume noch keinen neuen Gewahrsam des Täters. Sofern er sich dabei noch innerhalb des durch Sicherungsmaßnahmen begrenzten Geschäftsbereichs aufhält, ist der Diebstahl daher nur versucht, nicht aber vollendet.“ (Leitsatz des Gerichts), KG Berlin, Beschluss vom 22.10.2018 – (2) 161 Ss 59/18 (12/18), BeckRS 2018, 31492

 
Nutzt der vermeintliche Täter dagegen mehrere – auch mitgebrachte – Einkaufstüten, um einen Teil der Sachen zu bezahlen und steckt er eine zu stehlende Sache ebenfalls in die Tüte, liegt in diesem Zeitpunkt noch keine Gewahrsamsenklave vor. Dies begründet das Gericht damit, dass eine Einkaufstüte etwas anderes als eine Jackentasche sei und es nicht unüblich sei, dass Kunden mitgebrachte Einkaufstüten dafür verwenden, temporär die Einkäufe zu verstauen. Insoweit muss auf eine objektive Sicht abgestellt werden und nicht auf die subjektive Sicht des Täters.

 

,,Das Wegtragen der umfangreicheren Beute in zwei Tüten begründete innerhalb der Gewahrsamssphäre des Ladeninhabers noch keine Gewahrsamsenklave.” (BGH, Beschl. v. 18.6.2013, Az. 2 StR 145/13)

2. Das Geschehen an der Kasse- Diebstahl, versuchter Diebstahl oder Betrug
Der Täter wird aller Voraussicht tunlichst vermeiden, dass der Kassierer den eingesteckten Gegenstand wahrnimmt und den Täter darauf anspricht oder gar den Ladendetektiv ruft. Daher stellt sich die Frage, ob es eine Vermögensverfügung darstellt, dass der Kassierer den vermeintlichen Täter durch den Kassenbereich passieren lässt, obgleich eine versteckte Sache nicht bezahlt wurde. Dies ist nach einhelliger Rechtsprechung abzulehnen, da der Kassierer gar keine Kenntnis von der versteckten Sache hat. Dann fehlt es bereits an der Situation einer Selbstschädigung, denn es wurde schon gar kein Irrtum durch den Täter hervorgerufen. Der Kassierer hatte sich von vornherein keine Gedanken über einen etwaigen versteckten Gegenstand gemacht, insoweit wurde keine Fehlvorstellung hervorgerufen. Dies ist jedoch Tatbestandsmerkmal gemäß § 263 StGB.
 

,,Wer in einem Selbstbedienungsladen eine Ware in seinem Einkaufswagen verbirgt und die Kasse ohne Bezahlung der versteckten Ware passiert, begeht regelmäßig – vollendeten oder versuchten – Diebstahl, nicht Betrug (im Anschluss an BGH, 13. April 1962, 1 StR 41/62, BGHSt 17, 205). (BGHSt)“

 
Für eine Versuchsstrafbarkeit bleibt insoweit nur Platz, sofern der Täter eine größere Sache vor dem Kassierer verbergen wollte und aufgrund der Sperrigkeit der Sache eine Gewahrsamsenklave noch nicht entstehen konnte. Ein Versuch kommt in aller Regel auch dann zum Tragen, wenn der Täter auf frischer Tat ertappt und spätestens beim Anstellen an der Kasse in das Detektivbüro beordert wird (LG Zwickau, NJW 2006, 166).
Der BGH macht in einem Beschluss (BGH Beschl. v. 26.7.1995 – 4 StR 234/95 (BGHSt 41, 198 ff.) deutlich, dass ein Betrug als Selbstschädigungsdelikt in einer solchen Situation nicht in Betracht kommt, da der Kassierer gerade kein generelles Verfügungsbewusstsein über den gesamten Einkaufswagen des Kunden und vermeintlichen Täters habe. Mit dieser Konstruktion hatte die Vorinstanz einen Betrug angenommen. Letztlich sollte auch in Examensklausuren der Auffassung des BGH gefolgt werden, da ein Kassierer nur über die Sachen verfügen kann, die er tatsächlich im Wagen oder auf dem Band wahrgenommen hat.
In der Zukunft wird es in Selbstbedienungsläden auch immer mehr Selbstbedienungskassen geben. Hierbei treten auch Problemfelder auf, die auf der Abgrenzung von Diebstahl und (Computer-) Betrug beruhen. Wer eine Zeitschrift selbst an der Kasse einscannt und vorher einen falschen Zahlencode auf das Heft geklebt hatte, begeht mit dem Entfernen des Heftes aus dem Kassenbereich einen vollendeten Diebstahl. Ein Computerbetrug nach § 263 a StGB wird abgelehnt, da das Scannen selbst noch keine Vermögensverfügung darstellt und letztlich nur Vorbereitungshandlung zum vollendeten Diebstahl sei. Eine Wegnahme erfolge, da eine hypothetische Einwilligung des Ladeninhabers in den Gewahrsamswechsel darauf basiert, dass nur ordnungsgemäß gescannte Hefte aus dem Kassenbereich entfernt werden (OLG Hamm, Beschluss v. 08.08.2013, 5 RVs 56/13).

22.07.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-07-22 09:00:292019-07-22 09:00:29Kurzüberblick: Standardprobleme beim Diebstahl in Selbstbedienungsläden
Dr. Melanie Jänsch

Klassiker des Strafrechts: EC-Karten-Fälle

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EC-Karten-Fälle sind absolute Klassiker, die von jedem Examenskandidaten beherrscht werden sollten. Die Thematik stellt viele Studierende vor Probleme, was nicht zuletzt an der Vielgestaltigkeit der Konstellationen, der Vielzahl der zu prüfenden Delikte und der unterschiedlichen strafrechtlichen Bewertung einzelner – auf den ersten Blick ähnlich erscheinender –  Handlungen liegt. So kommen als zu prüfende Delikte regelmäßig Betrug (§ 263 StGB), Untreue (§ 266 StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB), Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266b StGB), Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) sowie Diebstahl (§ 242 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB) in Betracht. Insbesondere die Tatbestände des Computerbetrugs gemäß § 263a StGB und des Kreditkartenmissbrauchs gemäß § 266b StGB, die regelmäßig den Schwerpunkt der Prüfung bilden werden, vermögen aufgrund der teilweise sehr technisch formulierten Definitionen und verschiedener Streitigkeiten schwer greifbar zu sein. Im Rahmen dieses Beitrags soll die Thematik besser handhabbar gemacht werden, indem typische Problemfelder – illustriert anhand von Beispielsfällen – dargestellt und problemorientiert aufgeschlüsselt werden. Freilich kann hier nicht jeder mögliche Fall nachgezeichnet werden. Sofern man sich aber mit den gängigsten Konstellationen auseinandersetzt, fördert dies die Entwicklung eines Grundverständnisses, mit dessen Hilfe auch unbekannte Konstellationen in den Griff gekriegt werden können.
 
A) Anknüpfungspunkte
Zur (gedanklichen) Ordnung der vorzunehmenden Prüfung sollte sich vor Augen geführt werden, dass Unterschiede der einzelnen Konstellationen – die dann auch zu einer unterschiedlichen strafrechtlichen Beurteilung führen – nur in zweierlei Hinsicht bestehen können: Zum einen in Bezug auf die Person des Handelnden und zum anderen in zeitlicher Hinsicht. Hinsichtlich der Person des Handelnden ist zu unterscheiden zwischen

  • Dem Karteninhaber
  • Dem Nichtberechtigten

Für die strafrechtliche Bewertung in zeitlicher Hinsicht bestehen drei Anknüpfungspunkte:

  • Die Erlangung der Karte
  • Die Verwendung der Karte
  • Die Erlangung des Geldes

Es sind selbstverständlich nicht stets alle Anknüpfungspunkte problematisch und daher anzusprechen. Es kann aber im Rahmen der Erstellung der Gliederung hilfreich sein, sich an den einzelnen Elementen „entlang zu hangeln“, um sich die klassischen Problemfelder ins Gedächtnis zu rufen.
 
B) Typische Fallkonstellationen
Für die nachfolgende Betrachtung soll zur Systematisierung also zuerst auf zwei typische strafrechtlich relevante Handlungen des Karteninhabers, sodann auf Handlungen des Nichtberechtigten abgestellt werden, um die Unterschiede aufzuzeigen.  
 
I. Karteninhaber als Täter
Die Erlangung der Karte durch den späteren Karteninhaber ist regelmäßig nicht strafrechtlich relevant. Die klassischen Probleme betreffen die Verwendung der Karte und die Erlangung des Geldes.
Ausgangssituation: Das Konto des A bei der B-Bank weist eine erhebliche Unterdeckung auf. Ein Mitarbeiter der B-Bank hat dem A auch bereits mitgeteilt, dass er vor weiteren Abhebungen sein Konto auffüllen müsse. Insbesondere dürfe er – so stehe es in den AGB der Bank – seine EC-Karte nicht über seinen Dispokreditrahmen hinaus benutzen.
 
Fall 1:
Obwohl der A nur noch 1,27 Euro auf seinem Konto hat, bezahlt er im Laden des C mit seiner EC-Karte einen Betrag von 50 Euro im Wege des Lastschriftverfahrens mittels Unterschrift. Ohne Eingabe der PIN wird ein Lastschriftbeleg produziert, den der C dann bei der B-Bank einreichen will. Diese weist die Lastschrift allerdings wegen fehlender Kontodeckung zurück. Strafbarkeit des A?
 
1.Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
A könnte sich wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB strafbar gemacht haben.
a) Als berechtigter Karteninhaber ist A tauglicher Täter.
b) Es müsste sich bei der EC-Karte aber auch um ein taugliches Tatobjekt handeln. Dem ausdrücklichen Wortlaut nach sind jedoch nur Scheck- und Kreditkarten erfasst.
aa) Nach einer Ansicht kommen daher EC-Karten grundsätzlich nicht als taugliches Tatobjekt in Betracht (Wessels/Hillenkamp, StrafR BT 2, Rn. 795), sodass eine Strafbarkeit nach § 266b StGB von vornherein ausscheiden würde.
bb) Nach anderer Ansicht ist eine Subsumtion unter den Begriff der Scheckkarte trotz fehlender Beziehung zum Scheckverkehr möglich (Fischer, § 266b StGB, Rn. 6a f.), sodass auch eine EC-Karte hierunter fallen könnte.
cc) Jedoch muss der Streit nicht entschieden werden, wenn die Strafbarkeit aus einem anderen Grund scheitert: Denn die ganz herrschende Meinung verlangt, dass die Zahlungskarte – damit sie einer Kreditkarte in der Bewertung gleichkommt – eine Garantiefunktion aufweisen muss. Dies bedeutet, dass mit der Ausgabe der Karte an den Karteninhaber eine Garantie der Bank gegenüber einem Dritten übernommen wird. Vorausgesetzt wird ein Drei-Partner-System, in dem der Aussteller der Karte dem Dritten, dessen Leistungen der Inhaber der Karte in Anspruch nimmt, Erfüllung garantiert (BGH v. 21.11.2001 – 2 StR 160/01, BGHSt 47, 160). Dies ist aber beim Elektronischen Lastschriftverfahren gerade nicht der Fall, da die B-Bank die Lastschrift zurückweisen kann; insofern trägt allein C das Risiko. Mangels Garantiefunktion handelt es sich bei der EC-Karte also nicht um ein taugliches Tatobjekt, sodass eine Strafbarkeit nach § 266b I StGB ausscheidet.
 
2.Computerbetrug, § 263a I StGB
In Betracht kommt zudem eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nach § 263a I StGB zu Lasten der B-Bank.
 

Anmerkung: Da offensichtlich kein menschliches Gegenüber getäuscht wurde, wäre es hier verfehlt, einen Betrug gegenüber und zu Lasten der B-Bank zu prüfen.

 
a) Hierfür ist im Rahmen des objektiven Tatbestandes erforderlich, dass durch unrichtige Gestaltung des Programms, die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten, die unbefugte Verwendung von Daten oder durch sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst wird.
b) Fraglich erscheint hier insbesondere, ob über das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst und insofern eine Vermögensschädigung wurde. Dies ist dann der Fall, wenn Täter in einer Weise auf den Computer einwirkt, dass das Resultat der dort vollzogenen Verwertung von Daten geändert wird und hierdurch eine vermögensrelevante Disposition verursacht wird (Fischer, § 263a StGB, Rn. 20). Vorliegend konnte die B-Bank aber die Lastschrift zurückgeben, sodass durch die bloße Produktion des Lastschriftbelegs keine vermögensrelevante Disposition getroffen wurde. Mithin ist A auch nicht nach § 263a StGB strafbar.
 
3. Betrug, § 263 I StGB
In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten des C.
a) Indem der A die Lastschriftermächtigung erteilt hat, hat er konkludent seine Kontodeckung erklärt und somit den C über Tatsachen getäuscht. Der C unterlag auch hinsichtlich der Kontodeckung einer Fehlvorstellung, mithin einem Irrtum, auf dem die Vermögensverfügung – die Aushändigung der Kaufgegenstände – beruhte. Dies wurde mangels Zahlung des A auch nicht durch ein wirtschaftliches Äquivalent ausgeglichen, sodass der C auch einen Schaden erlitten hat. Der objektive Tatbestand ist mithin gegeben.
b) Dies wusste und wollte A auch, handelte also vorsätzlich. Zudem handelte er in der Absicht rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherung.
c) Er handelte rechtswidrig und schuldhaft.
d) A hat sich wegen Betrugs gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten des C strafbar gemacht.
 
Fall 2:
Obwohl der A nur noch 1,27 Euro auf seinem Konto hat, versucht er, an einem Geldautomaten der D-Bank unter Verwendung seiner EC-Karte und seiner PIN 100 Euro abzuheben. Da die D-Bank keine Onlineprüfung seiner Kontodeckung vornimmt, gelingt dies. Strafbarkeit des A?
 
1.Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
Fraglich ist, ob A sich durch diese Handlung wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266 I StGB strafbar gemacht hat.
a) Als berechtigter Karteninhaber ist er tauglicher Täter.
b) Die EC-Karte müsste ein taugliches Tatobjekt darstellen, was – wie oben dargelegt – nur dann der Fall sein kann, wenn mit ihr eine Garantiefunktion verbunden ist.
aa) Das ist nach einer Ansicht beim Abheben am Geldautomaten ohnehin nie der Fall, da die Karte lediglich als „Schlüssel“ für das Konto verwendet wird (so etwa Bernsau, Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 154 ff.).
bb) Die herrschende Meinung differenziert hierbei danach, ob die Abhebung an einem institutseigenen oder institutsfremden Bankautomaten vorgenommen wird. Hebt der Täter an einem Automaten des Kartenausstellers Geld ab, ist hier das für die Garantiefunktion erforderliche Drei-Partner-System gerade nicht gegeben. Handelt es sich dagegen um einen institutsfremden Automaten, ist die Garantiefunktion zu bejahen, da die kartenausstellende Bank (hier: die B-Bank) aufgrund der zwischen den Banken bestehenden „Vereinbarungen über das deutsche Geldautomatensystem“ verpflichtet ist, der anderen Bank (hier: der D-Bank) den Betrag zu erstatten (s. hierzu auch BGH v. 21.11.2001 – 2 StR 160/01, BGHSt 47, 160). Vorliegend hat der A das Geld an einem Automaten der D-Bank, also einem institutsfremden Geldautomaten, abgehoben, sodass die erforderliche Drei-Partner-Konstruktion vorliegt.
c) Hierdurch hat der A auch die ihm eingeräumte Möglichkeit, die B-Bank zu einer Zahlung zu veranlassen, missbraucht und diese dadurch geschädigt.
d) Dies tat er auch vorsätzlich. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
e) A hat sich wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB strafbar gemacht.
 
2. Computerbetrug, § 263a I StGB
Überdies kommt eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs gemäß § 263a I StGB in Betracht.
a) Dies erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine taugliche Tathandlung. A könnte durch die Abhebung an dem Automaten der D-Bank unbefugt Daten verwendet A hat die PIN eingegeben und der Magnetstreifen wurde eingelesen, eine Verwendung von Daten liegt mithin vor. Indes müsste es sich aber auch um eine unbefugte Verwendung von Daten handeln. Wie das Merkmal unbefugt zu bestimmen ist, ist umstritten.
aa) Nach einer subjektiven Auslegung ist hierunter das Verwenden gegen den Willen des Berechtigten zu verstehen, wobei als Berechtigter die kartenausstellende Bank anzusehen ist (so etwa BayOLG, NJW 1991, 438, 440). Da es dem Willen der B-Bank widerspricht – so steht es auch ausdrücklich in den AGB –, wenn der Karteninhaber sein Konto überzieht, ist eine unbefugte Verwendung nach dieser Ansicht zu bejahen.
bb) Nach der computerspezifischen Auslegung ist ein unbefugtes Verwenden dagegen nur dann zu bejahen, „wenn der durch Täterhandeln verletzte Wille in der konkreten Programmgestaltung hinreichend Niederschlag gefunden hat. Aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschieden werden mit diesem Ansatz insbesondere die Fälle, in denen der Täter den elektronisch gesteuerten Automaten ordnungsgemäß bedient“ (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a Rn. 45). Da die Überprüfung der Kontodeckung allerdings in der Programmgestaltung gerade keinen Niederschlag gefunden hat, handelt es nach der computerspezifischen Auslegung nicht um eine unbefugte Verwendung.
cc) Nach einer dritten Ansicht, der betrugsspezifischen oder auch täuschungsäquivalenten Auslegung, ist entscheidend, ob die Handlung gegenüber einem Menschen eine Täuschung i.S.v. § 263 StGB darstellen würde (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a Rn. 44). Das ist dann der Fall, wenn der Täter jedenfalls konkludent seine Berechtigung zur Inanspruchnahme der Leistung vorspiegelt. Fraglich ist, ob dies vorliegend der Fall ist.
(1) Man könnte annehmen, dass der Kontoinhaber auch einen Bankangestellten durch eine Zahlungsanfrage konkludent darüber täuschen würde, dass sich der auszuzahlende Betrag noch innerhalb seines Kreditrahmens befindet.
(2) Überzeugender erscheint es jedoch, anzunehmen, dass ein Bankangestellter die Bonität gerade nicht prüfen würde. Vielmehr ist es als ausreichend zu erachten, wenn dem berechtigten Karteninhaber die Karte samt PIN zur Benutzung überlassen wurde; über mehr braucht sich ein Bankangestellter keine Gedanken zu machen – gleiches muss für den Prüfungsumfang des Geldautomaten gelten. Damit handelt es sich auch nach der täuschungsäquivalenten Auslegung nicht um eine unbefugte Verwendung von Daten.
dd) Da die Meinungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, muss der Streit entschieden werden. Vorzugswürdig erscheint die betrugsspezifische Auslegung, da nur diese den Sinn und Zweck des § 263a StGB, einen Auffangtatbestand für die Fälle zu bilden, in denen gerade kein Mensch getäuscht wird, widerspiegelt. Zudem würde etwa die subjektive Auslegung einen Wertungswiderspruch zu § 266b StGB bedeuten. Denn dieser kennt zum einen keine Versuchsstrafbarkeit, zum anderen hat er einen geringeren Strafrahmen als § 263a StGB. Durch die Anwendung des § 263a StGB auf den berechtigten Karteninhaber würden diese bewussten Wertungen des Gesetzgebers unterlaufen werden. Damit handelt es sich nicht um eine unbefugte Verwendung von Daten.
b) A hat sich nicht nach § 263a I StGB strafbar gemacht.
 
3.Erschleichen von Leistungen, § 265a I StGB
Jedoch könnte sich A möglicherweise wegen Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a I StGB strafbar gemacht haben.
a) Dies setzt im objektiven Tatbestand ein Erschleichen voraus. Hierfür ist aber nach richtiger herrschender Meinung erforderlich, dass der Automat objektiv ordnungswidrig bedient wird. Das ist aber gerade nicht der Fall, da A den Geldautomaten funktionsgemäß verwendet hat.

Anmerkung: Die Bestimmung des Merkmals Erschleichen ist wiederum umstritten, soll im Rahmen dieses Beitrags allerdings nicht weiter thematisiert werden. Ein ausführlicher Überblick über die verschiedenen Ansichten findet sich in MüKoStGB/Hefendehl, 3. Aufl. 2019, StGB § 265a Rn. 106 ff.

b) Mangels Tathandlung scheitert auch eine Strafbarkeit nach § 265a StGB.
 
4.Untreue, § 266 I StGB
In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit des A wegen Untreue gemäß § 266 I StGB.
a) Damit der Missbrauchstatbestand (Alt. 1) einschlägig ist, müsste eine rechtsgeschäftliche Verfügungsmacht bestehen. Aufgrund einer solchen Verfügungsmacht könnten die einzelnen Buchungen vorgenommen worden sind. Jedoch ist dies abzulehnen: Denn die Möglichkeit, Geld abzuheben, wurden bereits mit der Einrichtung des Kontos geschaffen. Insofern sind einzelne Abbuchungen nicht als eigene Verfügungen i.S.v. § 266 I Alt. 1 StGB zu kategorisieren.
b) Möglicherweise hat A jedoch die Treubruchsvariante (Alt. 2) verwirklicht. Dafür müsste eine Vermögensbetreuungspflicht bestehen, die der A verletzt hat. Unter den Begriff der Vermögensbetreuungspflicht fällt nicht schon jede vertragliche Verpflichtung, das Vermögen eines anderen nicht zu schädigen. Vielmehr ist eine Fürsorgepflicht von einiger Bedeutung erforderlich, die anhand der Kriterien des Grades der Selbständigkeit, der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit und der Verantwortlichkeit des Verpflichteten ermittelt wird. Zudem darf es sich bei der Vermögensbetreuungspflicht nicht um eine beiläufige Nebenpflicht handeln. Im Gegenteil muss sie eine Hauptpflicht darstellen (MüKoStGB/Dierlamm, 3. Aufl. 2019, StGB § 266 Rn. 45). Hiervon ausgehend kann eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Bank aber nicht angenommen werden.
c) A hat sich nicht nach § 266 I StGB strafbar gemacht.
 
5.Diebstahl, § 242 I StGB
Dadurch, dass der A die 100 Euro an sich genommen hat, könnte er sich auch wegen Diebstahls nach § 242 I StGB strafbar gemacht haben.
a) Dazu müsste der A im objektiven Tatbestand eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Unter Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams zu verstehen. Ein Gewahrsamsbruch ist dann anzunehmen, wenn der Gewahrsam des Berechtigten gegen dessen Willen aufgehoben wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank gegeben ist.
aa) Ein Einverständnis der Bank könnte man mit dem Argument verneinen, dass nach innerer Willensrichtung eine gewollte Gewahrsamsübertragung nur dann gegeben sei, wenn auch die entsprechende Kontodeckung vorliege.
bb) Richtigerweise – und so sieht es auch der BGH (s. etwa BGH v. 22.11.1991 – 2 StR 376/91, NJW 1992, 445 f.) – kommt es jedoch auf das äußere Erscheinungsbild des Vorgangs an. Sofern der Automat äußerlich ordnungsgemäß verwendet wird, ist anzunehmen, dass der Berechtigte mit dem Gewahrsamsübergang einverstanden ist.
cc) Damit liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor, das einen Gewahrsamsbruch ausschließt.
b) Mangels Wegnahme hat sich A nicht nach § 242 I StGB strafbar gemacht.
 
6.Unterschlagung, § 246 I StGB
Schließlich könnte sich A aber wegen Unterschlagung gemäß § 246 I StGB strafbar gemacht haben.  
a) Dafür müsste es sich bei dem Geld um eine fremde bewegliche Sache handeln. Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht.
aa) Hier kann entweder auf die Erwägungen zur Gewahrsamsübertragung verwiesen werden, sodass bei funktionsgemäßer Bedienung des Automaten auch eine Eigentumsübertragung an den berechtigten Karteninhaber erfolgen soll.
bb) Selbst wenn man aber annimmt, die Eigentumsübertragung erfolge unter einer aufschiebenden Bedingung i.S.v. § 158 I BGB, dann kann es sich bei der Bedingung nur um die grundsätzliche Berechtigung des Karteninhabers handeln. Und diese war bei dem A zweifellos gegeben.
b) Mithin liegt keine fremde Sache vor, sodass auch eine Strafbarkeit nach § 246 I StGB ausscheiden muss.
 

Anmerkung: Fall 2 ist ein Klausurklassiker, jedoch wenig praxisrelevant. Denn heutzutage verfügen die meisten Geldautomaten über eine Onlinevernetzung. Das bedeutet, dass, sofern eine Abhebung an einem Automaten einer institutsfremden Bank geplant ist, diese regelmäßig eine Anfrage an die kartenausstellende Bank sendet, ob hinreichende Kontodeckung besteht. Wenn die Auszahlung nicht bestätigt wird, wird diese verweigert. In einem solchen Fall müssen die erläuterten Probleme im Rahmen von Versuchsprüfungen dargestellt werden. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass Scheck- und Kreditkartenmissbrauch und Untreue im Versuch gerade nicht strafbar sind. Damit müsste schwerpunktmäßig eine Strafbarkeit wegen versuchten Computerbetrugs nach §§ 263a I Var. 3, II, 263 II, 22, 23 I StGB geprüft werden, wobei auch hier der Fokus auf der Diskussion des Merkmals unbefugt liegen würde.

 
II. Nichtberechtigter als Täter
Ist der Täter nicht der berechtigte Karteninhaber, kommen bereits Probleme auf der Ebene der Erlangung der Karte in Betracht (s. z.B. hierzu Fall 2). Klassische Probleme bestehen aber auch bei der Verwendung der Karte und der Erlangung des Geldes.
 
Fall 1:
F, deren Konto eine ausreichende Deckung aufweist, bittet ihren Freund T, mit ihrer EC-Karte einen bestimmten Geldbetrag abzuheben. Sie teilt ihm zu diesem Zweck ihre PIN mit. T hebt allerdings, ohne F dies mitzuteilen, einen Mehrbetrag ab, und behält diesen. Den absprachegemäß abgehobenen Betrag gibt er der F. Strafbarkeit des T?
 
1.Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB kommt nicht in Betracht, da T kein berechtigter Karteninhaber ist und daher kein tauglicher Täter sein kann.
 
2. Computerbetrug, § 263a I StGB
Möglich erscheint aber eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nach § 263a I Var. 3 StGB.
a) Dies erfordert im objektiven Tatbestand eine taugliche Tathandlung. T könnte durch die Abhebung unbefugt Daten verwendet haben. T hat die PIN eingegeben und der Magnetstreifen wurde eingelesen, eine Verwendung von Daten liegt mithin vor. Indes müsste es sich aber auch um eine unbefugte Verwendung von Daten handeln.
aa) Legt man die subjektive Auslegung zugrunde, ist dies der Fall: Wenn ein Dritter absprachewidrig einen Mehrbetrag abhebt, läuft dies sowohl dem Willen der Bank als auch dem Willen des Karteninhabers zuwider. Damit ergibt sich nach dieser Ansicht eine unbefugte Verwendung von Daten.
bb) Nach der computerspezifischen Auffassung ist das dagegen nicht der Fall, da die fehlende Befugnis im Innenverhältnis gerade nicht im Programm einen Niederschlag erfährt.
cc) Fraglich ist, wie der Fall unter Zugrundelegung der täuschungsäquivalenten Auslegung zu lösen ist. Bedenkt man den Fall der Täuschung eines hypothetischen Bankangestellten, so würde dieser nicht prüfen, ob T seine Befugnisse im Innenverhältnis überschreitet. Solange dieser die Karte nicht deliktisch erlangt hat, also vom berechtigten Karteninhaber zur Abhebung beauftragt wurde, kommt es nicht darauf an, dass absprachewidrig ein Mehrbetrag abgehoben wurde. Denn hierauf würde sich die Prüfung eines Bankangestellten nicht erstrecken und dann kann dies auch nicht vom Prüfungsumfang des Automaten erfasst sein. Mithin ist nach dieser Ansicht ein unbefugtes Verwenden von Daten ebenfalls nicht gegeben.
dd) Zu folgen ist der täuschungsäquivalenten Auslegung (s.o.), sodass T nicht tatbestandsmäßig handelte.
b) T hat sich nicht nach § 263a I StGB strafbar gemacht.
 
3.Untreue, § 266 I StGB
Fraglich ist, ob eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 I StGB in Betracht kommt.
a) Einzig in Betracht kommt die Verwirklichung der Treubruchsvariante (Alt. 2). Dafür müsste jedoch eine Vermögensbetreuungspflicht bestehen, die der T verletzt hat. Gemessen an den oben dargestellten strengen Anforderungen kann in dem bloßen Auftrag der F, einen bestimmten Geldbetrag abzuheben, noch keine Vermögensbetreuungspflicht gesehen werden. Denn es fehlt an der Selbständigkeit der Tätigkeit. Mithin scheidet auch die Treubruchsvariante aus.
c) T hat sich nicht wegen Untreue nach § 266 I StGB strafbar gemacht.
 
4. Diebstahl, § 242 I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls scheitert am fehlenden Gewahrsamsbruch. Wie oben erläutert, besteht ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank in allen Fällen, in denen der Geldautomat objektiv funktionsgemäß bedient wird.
 
5. Unterschlagung, § 246 I StGB
Möglicherweise hat sich T aber wegen Unterschlagung nach § 246 I StGB strafbar gemacht.
a) Hierbei ist wiederum problematisch, ob es sich bei dem Geld um eine fremde Sache handelt. Das wäre dann nicht der Fall, wenn eine Eigentumsübertragung an den T gewollt war. Dies ist – in Abweichung zu I. Fall 2 – aber gerade nicht der Fall. Unabhängig davon, ob man auf die äußerlich funktionsgemäße Bedienung abstellt oder aber eine Bedingung konstruiert, stimmen die beiden Ansichten insofern überein, als die kartenausstellende Bank stets an den berechtigten Karteninhaber übereignen will (s. hierzu auch OLG Köln v. 09.07.1991 – Ss 624/90, NJW 1992, 125, 127). Insofern könnte man lediglich überlegen, ob der T als Vertreter der F das Angebot auf Übereignung angenommen hat. Dies wird man aufgrund der entsprechenden Vollmacht aber nicht hinsichtlich des Mehrbetrags annehmen dürfen. Mithin ist eine fremde bewegliche Sache gegeben.
b) Indem der T den Mehrbetrag behalten hat, ist auch die Manifestation des Zueignungswillens zu bejahen.
c) T handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
d) T ist nach § 246 I StGB strafbar.
 
6. Betrug, §§ 263 I, 13 I StGB
Überdies kommt eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen gemäß §§ 263 I, 13 I StGB gegenüber und zu Lasten der F in Betracht.
a) Im Rahmen des objektiven Tatbestandes müsste T über Tatsachen getäuscht haben. Vorliegend verschwieg der T der F, dass er einen absprachewidrig einen Mehrbetrag abgehoben hat. Man könnte überlegen, ob der T dadurch, dass er der F den absprachegemäß abgehobenen Betrag gegeben hat, schlüssig erklärt hat, dass er keinen Mehrbetrag abgehoben hat. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hier aber eindeutig in der Nichtaufklärung, also in einem Unterlassen. Die erforderliche Garantenpflicht ergibt sich aus der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht im Rahmen des Auftrags nach § 666 BGB. Indem der T es unterlassen hat, die F über die Abhebung des Mehrbetrags aufzuklären, hat er ihre Fehlvorstellung aufrechterhalten, dass er nur den dem Auftrag entsprechenden Betrag abgehoben hat. Im Nichtgeltendmachen der Forderung liegt ein Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, mithin die Vermögensverfügung. Aufgrund der Unkenntnis hat F auch ihre Forderung nicht geltend gemacht, sodass kein wirtschaftliches Äquivalent, also ein Schaden, gegeben ist. Damit hat T den objektiven Tatbestand verwirklicht.
b) Er handelte auch vorsätzlich und in der Absicht rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherung.
c) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
d) T hat sich nach §§ 263 I, 13 I StGB strafbar gemacht.
 
Fall 2:
T fragt seine Freundin F, ob er sich kurzfristig ihre EC-Karte ausborgen könnte. Er wolle damit kein Geld abheben, sondern nur in seinem Freundeskreis den Unterstellungen entgegentreten, er sei pleite und seine EC-Karte sei eingezogen worden. F ist bereit, T diesen Gefallen zu tun und gibt ihm zu diesem Zweck ihre Geldbörse, in der neben der EC-Karte nur noch ein Zettel mit der PIN-Nummer ist. Wie von Anfang an geplant, geht T mit der Karte zum Geldautomaten und hebt 1000 Euro ab. Strafbarkeit des T?

 
1. Betrug, § 263 I StGB
Indem der T der F sagte, er wolle mit der Karte nur angeben und kein Geld abheben, und diese ihm daraufhin die Karte aushändigte, könnte er sich wegen Betruges gegenüber und zu Lasten der F gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht haben.
a) T täuschte die F über die Tatsache, dass er von vornherein mit der Karte Geld abheben wollte, wodurch bei dieser eine Fehlvorstellung, mithin ein Irrtum, erregt wurde. Durch die Übergabe der Geldbörse, die die EC-Karte und die PIN enthielt, nahm sie auch eine Handlung vor, die sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkte, sodass auch eine Vermögensverfügung vorliegt.
b) Fraglich ist allerdings, ob schon zu diesem Zeitpunkt ein Vermögensschaden gegeben ist. Das ist insoweit problematisch, als es zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einer Geldabhebung durch den T gekommen ist. Es könnte aber bereits eine konkrete Vermögensgefährdung vorliegen, die mit einer Vermögensschädigung gleichzustellen ist. Wie eine solche zu bestimmen ist, ist umstritten.
aa) Teilweise wird eine konkrete Vermögensgefährdung erst angenommen, wenn der Eintritt des Vermögensschadens nur noch vom Zufall abhängt. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Täter selbst noch Handlungen vornehmen muss, um den Schaden herbeizuführen (so etwa Schönke/Schröder, § 263 StGB, Rn. 143 f.). Hier muss der T noch am Geldautomaten Geld abheben, um den Vermögensschaden herbeizuführen, sodass nach dieser Ansicht eine konkrete Vermögensgefährdung noch nicht angenommen werden kann.
bb) Man könnte aber auch die konkrete Vermögensgefährdung dann bereits bejahen, wenn die wesentliche Zugriffsschwelle des Täters überschritten ist. Das wird man bei der Erlangung der EC-Karte samt PIN bejahen müssen, sodass nach dieser Ansicht eine konkrete Vermögensgefährdung gegeben ist.
cc) Die unterschiedlichen Ergebnisse erfordern die Entscheidung des Streits. Die besseren Gründe sprechen für die erste Ansicht: Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist eine restriktive Auslegung geboten. Zudem würde, wenn man die Anforderungen lockern würde, die Grenze zum Versuch unbillig verschoben. Daher ist zu diesem Zeitpunkt noch keine konkrete Vermögensgefährdung anzunehmen, die einem Vermögensschaden gleichsteht.

Anmerkung: Mit guten Argumenten ist eine andere Ansicht hier natürlich ebenso gut vertretbar.

dd) Durch die Erlangung der Karte hat sich T noch nicht nach § 263 I StGB strafbar gemacht.
 
2. Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB durch das Geldabheben kommt nicht in Betracht, da T kein berechtigter Karteninhaber ist und daher kein tauglicher Täter sein kann.
 
3. Computerbetrug, § 263a I StGB
Fraglich ist, ob eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nach § 263 I Var. 3 StGB besteht.
a) Auch hier geht es wieder um die Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der unbefugten Verwendung. Da hier der täuschungsäquivalenten Auslegung gefolgt wird, stellt sich die Frage, ob sich das Geldabheben des T als täuschungsgleich darstellt. Dies ist der Fall: Einen hypothetischen Bankangestellten würde T über seine generelle Befugnis zur Benutzung der Karte täuschen, sodass ein unbefugtes Verwenden der Daten anzunehmen ist.
b) Hierdurch beeinflusste er das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs und führte einen Vermögensschaden i.H.v. 1000 Euro herbei.
c) Dies tat er auch vorsätzlich und in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
d) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
e) T hat sich nach § 263 I Var. 3 StGB strafbar gemacht.
 
4. Untreue, § 266 I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 I StGB scheidet mangels Vermögensbetreuungspflicht aus.
 
5. Erschleichen von Leistungen, § 265a I StGB
Mangels Erschleichen hat sich der T beim Geldabheben auch nicht nach § 265a I StGB strafbar gemacht.
 
6. Diebstahl, § 242 I StGB
Ebenso scheitert eine Strafbarkeit nach § 242 I StGB, da aufgrund der äußerlich funktionsgemäßen Bedienung ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank vorliegt.
 
7. Betrug, § 263 I StGB
Indes ist dann mit der Erlangung des Geldes ein Vermögensschaden eingetreten, mithin ein vollendeter Betrug (hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen s.o.) gegeben.
 
8. Unterschlagung, § 246 I StGB
Eine Unterschlagung durch dieselbe Handlung muss dann konsequenterweise ausscheiden, da eine durch Betrug erlangte Sache nicht gleichzeitig unterschlagen werden kann.
 
C) Zusammenfassung
Bei der ersten Auseinandersetzung mit der Problematik stellt sich diese oftmals als schwierig und kompliziert dar. Dabei hilft es, eine Ordnung in zeitlicher Hinsicht (Erlangung der Karte, Verwendung der Karte, Erlangung des Geldes) und hinsichtlich der Person des Handelnden (Karteninhaber/Nichtberechtigter) vorzunehmen. Als Faustformeln – die natürlich nicht auf jede Abwandlung passen – kann man sich folgendes merken:

  • Beim berechtigten Karteninhaber treten bezüglich der Erlangung der Karte regelmäßig keine Probleme auf. Bei der Verwendung der Karte kann er sich nach § 266b StGB strafbar machen, aber nur, wenn der Karte insofern eine Garantiefunktion zukommt. Eine Strafbarkeit nach § 263a I Var. 3 StGB scheidet dagegen nach der täuschungsäquivalenten Auslegung regelmäßig aus, da nur die generelle Befugnis zur Benutzung der Karte geprüft wird. Ebenso zu prüfen sind § 266 I StGB, § 265a I StGB, § 242 I StGB und § 246 I StGB, die aber – jedenfalls in den klassischen EC-Karten-Fällen – in der Regel abzulehnen sind.
  • Handelt der Nichtberechtigte, kann bezüglich der Erlangung der Karte § 263 I StGB (wie in Fall 2) oder § 242 I StGB zu prüfen sein. Der Nichtberechtigte kann sich nicht nach § 266b StGB strafbar machen; hier erscheint im Einzelfall allenfalls eine Teilnahme möglich. Bei § 263a I Var. 3 StGB kommt es hinsichtlich des Merkmals unbefugt darauf an, ob der berechtigte Karteninhaber dem Nichtberechtigten die Karte zur Verwendung überlassen hat. Ist das der Fall, scheidet eine Strafbarkeit auch dann aus, wenn der Nichtberechtigte absprachewidrig einen Mehrbetrag abhebt, denn der Umfang der Berechtigung im Innenverhältnis wird von der Bank nicht geprüft. Ist er jedoch nicht zur Verwendung befugt, kommt eine Strafbarkeit nach § 263a StGB in Betracht. § 266 StGB und § 265a StGB sind zu prüfen, aber in der Regel nicht einschlägig. Gleiches gilt für § 242 I StGB. Anknüpfend an die Erlangung des Geldes kann oftmals noch ein Schwerpunkt in der Prüfung einer Unterschlagung oder eines Betrugs (ggf. durch Unterlassen) liegen.

 

21.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-03-21 10:44:112019-03-21 10:44:11Klassiker des Strafrechts: EC-Karten-Fälle
Dr. Yannik Beden, M.A.

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)

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Sowohl während des Studiums, als auch in der Vorbereitung auf Examensklausuren oder die mündliche Prüfung: Nur wer die aktuelle Rechtsprechung im Blick hat, ist auf neue Sachverhaltskonstellationen gut vorbereitet. Für das dritte Quartal 2018 haben wir euch im Zivilrecht und Öffentlichen Recht bereits die prüfungsrelevantesten Gerichtsentscheidungen präsentiert. Zur Vervollständigung unseres Quartalsberichts werden im nachstehenden Beitrag die wichtigsten Urteile und Beschlüsse zum materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht besprochen:
I. Materielles Strafrecht
1. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 201/18 zu den Rücktrittsanforderungen bei beendetem Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB
Die Entscheidung des Ersten Senats betraf den Rücktritt vom versuchten Mord, §§ 211, 22, 23 StGB sowie der versuchten Brandstiftung mit Todesfolge, §§ 306c, 22, 23 StGB. Im zu entscheidenden Fall setzte der Angeklagte – ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – ein mehrstöckiges Wohnhaus in Brand, um dadurch einen Feuerwehreinsatz auszulösen und im Anschluss an der Bekämpfung des Feuers mitzuwirken. Damit wollte der Täter die auszulobende Einsatzvergütung erlangen, um seine schlechte finanzielle Situation aufzubessern. Der Täter wirkte dabei nicht vor Ort, sondern verrichtete seine Dienste in der Funkzentrale. Der BGH sah hierdurch die Voraussetzungen des Rücktritts vom beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB nicht erfüllt. Eine – für einen wirksamen Rücktritt notwendige – eigene Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich ist, habe der Täter durch sein Verhalten nicht in Gang gesetzt:

„Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein Rücktritt vom Versuch gem. § 24 Absatz I 1 Var. 2 StGB schon dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gem. § 24 Absatz I 2 StGB gilt für diesen Fall nicht. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.“

2. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 47/18 zum Totschlag in besonders schwerem Fall
Die bisherige Rechtsprechung zur Frage, wann von einem besonders schweren Fall eines Totschlags i.S.v. § 212 Abs. 2 StGB ausgegangen werden kann, wurde vom BGH nochmals bestätigt. Es handelt sich um ein Problem der Strafzumessung, welches grundsätzlich eine Würdigung und Abwägung aller Einzelfallumstände bedarf. Im Ausgangspunkt nimmt die Rechtsprechung erst dann einen besonders schweren Fall an, wenn das Verschulden des Täters ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders nach § 211 StGB. Dieses Verständnis liegt bereits aufgrund des gleichen Strafmaßes (lebenslange Freiheitsstrafe!) nahe. Im Einzelnen führte das Gericht aus:

„Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind“

Sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht bedarf es jedoch mehr als einer bloßen Möglichkeit, dass der Täter gleichermaßen wie ein Mörder hätte handeln können. Für den vom Dritten Senat zu entscheidenden Fall bedeutete das:

„Daraus, dass „zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen in Betracht“ kommen, die Mordmerkmale ausfüllen könnten, ergibt sich indes noch keine Nähe zu diesen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die subjektive Tatseite. So vermochte die Strafkammer keine Feststellungen zu den „Vorstellungen und Motiven“ des Angeklagten zu treffen. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, dass eine Nähe zu den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe oder der Verdeckungsabsicht bestehe. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Da die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass das Kind zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mehr arglos war, kann nicht ohne Weiteres von einer Nähe zu heimtückischem Handeln ausgegangen werden.“

Deutlich wird, dass der BGH für das Merkmal der „Nähe zum Mord“ äußerst hohe Anforderungen stellt. In der Klausur bedeutet das, dass in Ermangelung eines Mordmerkmals tendenziell von einem „normalen“ Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB und nicht von einem besonders schweren Fall ausgegangen werden sollte.
3. BGH Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18 zur Strafvereitelung durch einen Strafverteidiger – § 258 StGB
Im streitgegenständlichen Verfahren teilte der Strafverteidiger der Ermittlungsbehörde wahrheitswidrig mit, dass die gesuchten Unterlagen sich in der Garage seines Mandanten befänden, obwohl sich tatsächlich noch wesentliche Teile der Dokumente in den Räumlichkeiten des Strafverteidigers befanden. Zudem erklärte der Strafverteidiger nach einer Sichtung seiner Büroräume, im Rahmen derer beweiserhebliche Materialien gefunden wurden, dass er über keine weiteren Beweismittel dieser Art verfüge, obwohl er jedenfalls über einen weiteren Ordner mit wichtigen Beweisurkunden verfügte. Der BGH entschied hier:

„Eine Strafvereitelung in diesem Sinn kann auch durch Vereitelung des staatlichen Beschlagnahmezugriffs auf Beweisgegenstände durch einen Strafverteidiger begangen werden. So gehen etwa wahrheitswidriges Bestreiten des Besitzes gesuchter Beweisurkunden und ein falscher Hinweis auf einen anderweitigen Belegenheitsort zur Vereitelung eines bevorstehenden Beschlagnahmezugriffs über die Grenzen zulässiger Strafverteidigung hinaus. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch der Abschluss des staatlichen Strafverfahrens für geraume Zeit verzögert wird und der Strafverteidiger absichtlich oder wissentlich handelt.
[…]
Anders liegt es, wenn durch die Ermittlungsbehörde oder das Strafgericht die Herausgabe solcher Beweismittel, die nicht originär durch die Verteidigung hervorgebracht wurden, verlangt (§ 95 Abs. 1 StPO) oder deren Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO) angestrebt wird. In diesem Fall darf der Verteidiger solche Beweismittel, die nicht spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er sie verborgen hält oder falsche Angaben zum Belegenheitsort macht. In Bezug auf solche Beweismittel, namentlich „verfängliche Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
[…]
Der Verteidiger darf „Überführungsstücke“, auf die ein staatlicher Beschlagnahmezugriff zielt, nicht in seinen Räumen verstecken. Sein Mandat soll nicht dazu genutzt werden können, gesuchten Beweisgegenständen „Asyl“ zu gewähren. Erst recht gestattet keine der Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 53, 97, 160a, 148 StPO es dem Strafverteidiger, falsche Angaben über seinen Besitz an Beweisgegenständen zu machen.“

4. BGH Urt. v. 15.5.2018 – 2 StR 152/18 zur Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung nach § 228 StGB
Wird in eine Körperverletzung eingewilligt, ist die Tat nur rechtswidrig, wenn sie trotz Einwilligung gegen die „guten Sitten“ verstößt. Dieses äußert weit gefasste Merkmal konkretisierte der BGH erneut. Für die ex-ante zu bestimmende Sittenwidrigkeit sei vordergründig auf die Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen. Die Tat müsse in Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers „nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheinen“. Viel ist damit freilich noch nicht gesagt, da auch der Begriff der Hinnehmbarkeit vieles bedeuten kann. Der BGH grenzt allerdings ein: Ebenso wie die Zwecksetzung der Tat sei unbeachtlich, welche gesellschaftliche Vorstellung über die Tat vorliegen mögen.

„Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann. Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden.“ 

5. BGH Beschl. v. 12.6.2018 – 3 StR 171/17 zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug (Nachtrag zu Quartal 2/2018)
Besondere Prüfungsrelevanz dürfte die Entscheidung des BGH zu den Grundsätzen des subjektiven Schadenseinschlags bei § 263 StGB haben. Das Gericht konkretisierte die Anforderungen an den persönlichen Schadenseinschlag: Ausgehend vom Grundsatz, dass ein Vermögensschaden trotz objektiver Gleichwertigkeit der Gegenleistung auch vorliegen kann, wenn diese für das Opfer unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse subjektiv wertlos ist, stellte der Dritte Senat nun fest:

„Insofern kann als Schaden die gesamte Leistung des Gesch. anzusehen sein, wenn die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkeiten wieder veräußern kann“  

Da im streitgegenständlichen Verfahren die verkauften Geräte nur mit „erheblichen Verlusten“ hätten weiterveräußert werden können, nahm der BGH einen persönlichen Schadenseinschlag und mithin einen Vermögensschaden an. Eine ausführliche Besprechung dieses besonders prüfungsrelevanten Urteils findet sich im hierzu erstellen Beitrag von Sebastian Rombey.
II. Strafprozessrecht
1. BGH Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 46/18 zur Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten
Die Entscheidung behandelt die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit bei einem Angeklagten, dessen geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte eingeschränkt ist. Der 5. Strafsenat geht von einer Verhandlungsunfähigkeit erst aus, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfe – also insbesondere einem Verteidiger – eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidungen über die wesentlichen Belange seiner Verteidigung sowie eine sachgerechte Wahrnehmung der ihm zustehenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist. Dabei geht es vor allem um solche Verfahrensrechte, die der Angeklagte selbst, d.h. persönlich wahrnehmen muss. Danach soll es speziell für das Revisionsverfahren ausreichen, wenn der Beschwerdeführer zumindest zeitweilig zur Konsensfindung mit seinem Verteidiger darüber, ob das Rechtsmittel aufrechterhalten oder zurückgenommen werden soll, in der Lage ist.

„Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angekl. in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Angekl. auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angekl., deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Besch. hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Angekl. Auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlichen Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist“

2. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 42/18 zur Selbstbelastungsfreiheit, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO
Äußert sich der Angeklagte nicht zu den Gründen seines Aufenthalts am Ort seiner polizeilichen Festnahme und stellt das erkennende Gericht sowohl in seiner Beweiswürdigung, als auch seiner rechtlichen Würdigung ausdrücklich hierauf ab, wird das Schweigen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, sein Schweigerecht mithin konterkariert. Dies verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gem. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO:

„Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Absatz 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. So liegt der Fall aber hier.
Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“


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23.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-10-23 09:30:292018-10-23 09:30:29Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)
Dr. Sebastian Rombey

BGH: Neues zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug

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Der Betrug gehört nicht zuletzt auf Grund der massenhaften Problemstellungen, die sich um die Auslegung der Norm ranken, zu den meistgeprüften Delikten des StGB. Erst vor kurzem hat sich der III. Strafsenat des BGH (Beschl. v. 12.06.2018 – 3 StR 171/17, NStZ-RR 2018, 283) mit der Problematik des subjektiven Schadenseinschlags befasst und dem Problemfeld eine weitere Feinheit hinzugefügt, die wegen ihrer erwartbaren Examensrevanz im Folgenden kurz dargestellt werden soll. Doch der Reihe nach:
I. Sachverhalt (dem Beschluss des BGH entnommen und vereinfacht)
Die Angeklagten hatten über verschiedene Firmen insgesamt 272 private Anleger mit einem Gesamtschaden von 10,5 Mio. € betrogen, indem sie Module von Solarparks sowie Zubehörteile an private Anleger veräußerten und eben diese Solarmodule anschließend von den privaten Anlegern gegen einen garantierten Pachtzins zurückpachteten. Dabei täuschten sie die Privatanleger in zweifacher Hinsicht:

  • Zum einen hinsichtlich des garantierten Pachtzinses, der über die zu erzielende Einspeisevergütung von vornherein nicht zu erwirtschaften war.
  • Zum anderen darüber, dass Solaranlagenteile veräußert wurden, die in Wahrheit gar nicht existent waren.

Gleichzeitig wurde den privaten Anlegern suggeriert, es handele sich um eine sichere Investition („safe-invest“), da durch den Kauf der Module eine Miteigentümerstellung entstehe, die ein Insolvenzrisiko minimiere bzw. ausschließe.
II. Entscheidung des BGH
In Rede stand hier eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB, indem diese die privaten Anleger in der oben beschriebenen Art und Weise in zweifacher Hinsicht getäuscht haben könnten.
Tatbestandlich lagen in objektiver Hinsicht eine (oben näher beschriebene) zweifache Täuschung durch die Angeklagten sowie ein kausal darauf beruhender Irrtum der privaten Anleger vor. Die zur Abgrenzung von Fremd- und Selbstschädigungsdelikten jedenfalls in den Betrugstatbestand unstreitig hineinzulesende irrtumsbedingte Vermögensverfügung der privaten Anleger bestand in der (überhöhten) Kaufpreiszahlung für die existenten und nicht existenten Solarmodule sowie Zubehörteile. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand indes die Frage, ob ein Vermögensschaden vorlag, der nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung zu ermitteln ist. Bei Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der wirtschaftlich betrachtet unmittelbar vermögensmindernde Verfügung muss sich ein negativer Saldo ergeben, der nicht nur ein gleichwertiges Äquivalent kompensiert wird.
Vorliegend kann an die Zahlung des Kaufpreises für die Solarmodule und Zubehörteile angeknüpft werden. Denn unabhängig von der Frage, ob die Privatanleger tatsächlich (Mit-)Eigentum an den Solarmodulen erlangt haben oder nicht, wäre der Wert dieser Solarmodule und Zubehörteile ohnehin nicht mit dem Kaufpreis zu saldieren gewesen. Denn auch wenn beim Kauf eines Gegenstandes grundsätzlich nach dem objektiven Wert desselben zu fragen ist, muss – so der BGH – auch der subjektive Wert des Erlangten für den Verletzten berücksichtigt werden: „Ist nach dem Urteil eines objektiven Dritten eine (möglicherweise objektiv werthaltige) Gegenleistung des Täuschenden bei normativer Betrachtung unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse des Gesch. sowie der von ihm verfolgten Zwecke subjektiv wertlos, begründet dies einen Vermögensschaden in voller Höhe des zur Erlangung der Gegenleistung Aufgewandten […]“ – der berühmte subjektive Schadenseinschlag. Doch nun zur Feinheit des Falles: So kann „als Schaden die gesamte Leistung des Gesch. anzusehen sein, wenn die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkeiten wieder veräußern kann […].“
Zur Vertiefung: Ein subjektiver Schadenseinschlag liegt nach der Rechtsprechung also mit anderen Worten dann vor, „wenn

  • dem Opfer Mittel entzogen werden, die für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner sonstigen Verbindlichkeiten sowie für eine angemessene Wirtschafts- und Lebensführung unerlässlich sind,
  • das Opfer zu weiteren vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird
  • oder das Opfer die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck
  • oder in anderer zumutbarer Weise

verwenden kann.“ (BGH, Beschl. v. 11.6.2015 − 2 StR 186/15, NStZ 2016, 149; s. zu der Problematik auch ausführlich Schmidt, NJW 2015, 284). Indiz hierfür kann die leichte Wiederveräußerbarkeit sein.
Genau diese Voraussetzungen sah der BGH im vorliegenden Fall als gegeben an. Die Parteien hatten hier ein „safe-invest“ vereinbart, in dessen Rahmen die Solarmodule samt Zubehör über einen längeren Zeitraum an die Angeklagten zurückgepachtet werden sollten und auf diese Weise über den Pachtzins ein Gewinn erwirtschaftet werden sollte. Dies trat indes nicht ein, da die Angeklagten die vertraglich vorausgesetzten Bedingungen nicht geschaffen hatten. Da den privaten Anlegern keine anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten für die Solarmodule und Zubehörteile offenstanden – die Privatanleger konnten die auf den Grundstücken installierten Solaranlagen nämlich wegen Insolvenz der von den Angeklagten betriebenen Gesellschaften und mangels vertraglicher Beziehung zu den Grundstückseigentümern nicht weiterverwenden und auch eine Veräußerung war nach Aufbau und Anschluss der Anlagen  auf den besagten Grundstücken nur mit erheblichen Verlusten möglich – lag ein Vermögensschaden vor.
An diesem Ergebnis vermögen auch die Pachtzinsen als mögliche Kompensation des Schadens nichts mehr zu ändern. Dies deshalb, weil die Pachtzinsen – wie der III. Strafsenat zu Recht feststellt – wirtschaftlich wertlos waren, hingen die Pachtzinsen einschließlich der versprochenen Rendite doch allein von betrügerisch zu erlangenden, zukünftigen Einnahmen der Angeklagten ab. Insoweit hatte der BGH bereits in einer früheren Entscheidung klargestellt, dass die Gelder eines Täters, die aus dessen Anlagebetrug stammen und an das Tatopfer zurückfließen, allein Auswirkungen auf die Strafzumessung entfalten, nicht aber bei der Höhe des eingetretenen Vermögensschadens Berücksichtigung finden können: „In solchen Wiedergutmachungsfällen ist es bei mehreren Tatopfern mit Blick auf die Strafbemessung grundsätzlich geboten, die Geldrückflüsse den einzelnen Geschädigten individuell zuzuordnen. In Fällen, in denen die Rückzahlungen ausschließlich aus deliktisch erlangten Mitteln stammen und allein der Aufrechterhaltung des betrügerischen Anlagesystems dienten, bedarf es einer solchen indiviuell-konkreten Zuordnung jedoch nicht.“ (BGH, Beschl. v. 02.03.2016 – 1 StR 433/15, NStZ 2016, 409).
Demnach ist der Betrugstatbestand in objektiver Hinsicht erfüllt. Am Vorliegen des subjektiven Tatbestands, der Rechtswidrigkeit sowie der Schuld bestehen keine Bedenken, sodass sich die Angeklagten im Ergebnis des Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. In einer Klausur wäre neben der mittäterschaftlichen Zurechnung der objektiven Tatbeiträge über § 25 Abs. 2 StGB zudem noch an die Annahme verschiedener besonders schwere Fälle des § 263 Abs. 3 StGB (Nr. 1: gewerbs- und bandenmäßig sowie Nr. 2: Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes) zu denken.

04.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-10-04 09:00:152018-10-04 09:00:15BGH: Neues zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug
Dr. Yannik Beden, M.A.

Die 15 wichtigsten Definitionen beim Betrug – § 263 StGB

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Für eine gute Klausur im Strafrecht ist es unabdingbar, Definitionen der Tatbestandsmerkmale schnell und sicher abrufen zu können. Insbesondere im schriftlichen Examen kommt den Vermögensdelikten eine hohe Prüfungsrelevanz zu. Dabei steht oftmals der Betrug nach § 263 StGB im Fokus. Hier werden von Prüflingen nicht nur Grundkenntnisse, sondern auch vertieftes Wissen zu Sonderproblemstellungen erwartet. Eine erfolgreiche Fallbearbeitung setzt in jedem Fall voraus, die nachstehenden Begriffe einordnen und definieren zu können:
(1) Tatsachen
sind alle der Vergangenheit oder Gegenwart zugehörigen Zustände und Ereignisse, die objektiv bestimmbar und dem Beweis zugänglich sind. Werturteile (insbesondere Meinungsäußerungen) fallen nicht unter den Tatsachenbegriff.
(2) Täuschung
bedeutet, dass der Täter bewusst irreführend auf das Vorstellungsbild des Opfers einwirkt. Dies kann durch das Vorspiegeln von Tatsachen, aber auch einem Unterdrücken oder Verändern wahrer Gegebenheiten erfolgen (vgl. BeckOK/Beukelmann, StGB, 38. Ed. Stand 01.05.2018, § 263 Rn. 9). Die Täuschung kann sowohl explizit, als auch konkludent erfolgen. Auch eine Täuschung durch Unterlassen ist tatbestandlich möglich.
(3) Irrtum
über Tatsachen ist das Auseinanderfallen von der subjektiven Vorstellung des Täters und der objektiven Wirklichkeit. Zweifel beseitigen die Annahme eines Irrtums solange nicht, wie das Opfer die Wahrheit der behaupteten Tatsachen für möglich hält und deswegen aufgrund der List des Täters trotzdem die Vermögensverfügung trifft (vgl. BGH Urteil v. 5.12.2002 – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313).
(4) Vermögensverfügung
ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das unmittelbar eine Vermögensminderung bei dem Getäuschten selbst oder einer dritten Person herbeiführt.
(5) Juristischer Vermögensbegriff
ist streng am Zivilrecht orientiert und zählt zum tatbestandlich umfassten Vermögen alle rechtlich geschützten Güter und Rechte einer Person, ungeachtet des wirtschaftlichen Wertes.
(6) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff
definiert das strafrechtlich geschützte Vermögen wirtschaftlich faktisch: Geschützt werden alle Rechtspositionen, die in Geld messbar sind, sodass das Vermögen die „Summe aller geldwerten Güter nach Abzug der Verbindlichkeiten“ ist (ausführlich Schilling, NStZ 2018, 316). Vertritt man den wirtschaftlichen Vermögensbegriff in seiner Reinform, ist jedes wirtschaftlich messbare Vermögen geschützt, unabhängig davon, ob es legal oder illegal gehandelt wird. Auch widerrechtlich Erlangtes fällt unter diesen Vermögensbegriff.
(7) Juristisch-ökonomischer Vermögensbegriff
knüpft an den wirtschaftlichen Vermögensbegriff an und schränkt diesen ein: Geschützt ist alles, was in Geld messbar ist und der rechtlichen Verfügungsmacht einer Person unterliegt. Geschützt wird demnach nicht, was nach der (außerstrafrechtlichen) Rechtsordnung missbilligt wird (vgl. K/N/P/Kindhäuser, StGB, 5. Auflage 2017, § 263 Rn. 30 m.w.N.).
(8) Schadensgleiche Vermögensgefährdung
stellt dann einen Vermögensnachteil dar, wenn bereits die konkrete Gefahr des Verlustes das Vermögen mindert, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist.
(9) Stoffgleichheit
zwischen dem Vermögensvorteil des Täters und dem Vermögensschaden des Opfers besteht, wenn Vorteil und Schaden auf der identischen Verfügung beruhen und der Vorteil, der den Täter bereichern soll, unmittelbar zur Schädigung des Vermögens führt.
(10) Individueller Schadenseinschlag
besteht in Fällen, bei denen trotz objektiver Wertgleichheit der entstehenden (vertraglichen) Ansprüche ein Vermögensschaden des individuellen Opfers eintritt. Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit wird in strafrechtlich relevanter Weise insbesondere geschädigt, wenn:
(a) die angebotene Leistung vom Tatopfer nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann,
(b) das Tatopfer durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder
(c) das Tatopfer infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsmäßigen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschafts- oder Lebensführung unerlässlich sind (grundlegend BGH Beschluss v. 16.8.1961 – 4 StR 166/61, NJW 1962, 309)
(11) Soziale Zweckverfehlung
führt zu einem Vermögensschaden, wenn das Opfer durch Täuschung zur Hingabe eines Vermögenswertes veranlasst wird und dabei um die fehlende geldwerte Äquivalenz weiß, der mit der Hingabe verfolgte, sozial anerkannte Zweck jedoch verfehlt wird. Der Unterschied zum individuellen Schadenseinschlag liegt darin, dass dieser ein ausgeglichenes Austauschverhältnis aufweist (vgl. MüKo/Hefendehl, StGB, 2. Auflage 2014, § 263 Rn. 709).
(12) Absicht rechtswidriger Bereicherung
besteht, wenn der Täter beabsichtigt, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Bereicherung muss als Vermögensvorteil im Sinne einer günstigeren Gestaltung der wirtschaftlichen Vermögenslage des Täters angestrebt werden (vgl. hierzu BGH Urteil v. 3.5.1988 – 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623).
(13) Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils
besteht, wenn dem Täuschenden kein wirksamer, fälliger und einredefreier Anspruch gegen den Geschädigten auf den angestrebten Vorteil zusteht.
(14) Gewerbsmäßig i.S.v. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB
handelt der Täter, wenn er die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht unbedeutende Einnahmequelle von erheblicher Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
(15) Wirtschaftliche Not i.S.v. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 StGB
besteht, wenn der Geschädigte in eine bedrängende Lage geraten ist, aufgrund derer für ihn oder unterhaltspflichtige Personen der notwendige Lebensunterhalt ohne ein Hinzutun Dritter nicht mehr sichergestellt ist (vgl. MüKo/Hefendehl, StGB, 2. Auflage 2014, § 263 Rn. 856).

23.07.2018/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-07-23 10:00:322018-07-23 10:00:32Die 15 wichtigsten Definitionen beim Betrug – § 263 StGB
Redaktion

Schema: Betrug, § 263 StGB

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Betrug, § 263 StGB

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand

a) Täuschung über Tatsachen

– Täuschung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, sofern das jeweilige Verhalten einen Erklärungswert besitzt. Maßstab ist die Verkehrsauffassung.

– Eine Täuschung durch Unterlassen kommt nur in Betracht, sofern den Täuschenden eine Aufklärungspflicht (im Sinne einer Garantenstellung) trifft.

b)  Täuschungserfolg: Irrtum

– Der Irrtum muss durch die Täuschungshandlung entstanden oder durch sie unterhalten worden sein.

– Sog. sachgedankliches Mitbewusstsein ist ausreichend.

c)  (Irrtumsbedingte) Vermögensverfügung

– Die Vermögensverfügung muss unmittelbar durch den Irrtum veranlasst worden sein.

– Es muss eine Vermögensminderung eingetreten sein.

– Umstritten ist der Begriff des Vermögens (der Streit über den Vermögensbegriff ist nur im Rahmen der Vermögensverfügung zu prüfen, wenn unklar ist, ob das vom Opfer Hingegebene unter den Begriff fällt. Wenn dies unproblematisch der Fall ist, ist der Streit erst beim Vermögensschaden zu führen).

– Juristisch-Ökonomischer Vermögensbegriff: Unter den Begriff des Vermögens fallen nur Güter, die wirtschaftlich werthaltig sind und vollständig von der Rechtsordnung geschützt werden.

– Rein wirtschaftlicher Vermögensbegriff: Alle wirtschaftlich werthaltigen Güter einer Person fallen unter den Begriff „Vermögen“.

– Modifizierter wirtschaftlicher Vermögensbegriff (h.M.): Alle wirtschaftlichen Güter einer Person fallen grundsätzlich unter den Vermögensbegriff, jedoch sind gewisse Einschränkungen erforderlich, insbesondere bei strafbaren Dienstleistungen und strafbar produzierten Sachen.

– Ein Verfügungsbewusstsein ist nur in Fällen des Sachbetruges erforderlich (h.M.).

– Die Verfügung ist insbesondere in Drei-Personen-Verhältnissen problematisch, hier ist eine Abgrenzung zu § 242 StGB erforderlich:

– Befugnistheorie: Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte die Befugnis hatte, wirksam zu Lasten des Geschädigten über dessen Vermögen zu verfügen.

– Theorie der faktischen Nähe: Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte faktisch in der Lage war, über das Vermögen des Geschädigten zu verfügen.

– Lagertheorie: Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte „im Lager“ des Geschädigten steht, also eine gewisse Obhutsbeziehung zu dessen Vermögen inne hatte.

d)  Vermögensschaden

– Prüfung, ob dem Opfer ein ausgleichendes Äquivalent für den Vermögensabfluss zugeflossen ist.

– Das vorliegen eines Äquivalents bestimmt sich nach objektiven Kriterien unter Korrektur durch die individuelle Vereinbarung der Parteien.

– Ggf. sog. „individueller Schadenseinschlag“.

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands

b) Absicht stoffgleicher Bereicherung
Eigen- oder Drittbereicherung möglich.

c) Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung

d) Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung.

II. Rechtswidrigkeit


III. Schuld


IV. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle, § 263 III StGB

 

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

15.12.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-12-15 10:00:572016-12-15 10:00:57Schema: Betrug, § 263 StGB
Gastautor

BGH: Zur Strafbarkeit von Abofallen im Internet

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Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Rechtsanwältin Sandra Knaudt, LL. M. veröffentlichen zu können.
Ihr Beitrag bespricht eine kürzlich ergangene Entscheidung des BGH, in dieser nun erstmals bestätigt, dass bereits das Betreiben einer Abofalle im Internet als versuchter Betrug gemäß §§ 263 I, 22 StGB strafbar ist. Bei Abofallen handelt es sich um unseriöse Seiten im Internet, die durch ihre Gestaltung darauf angelegt sind, Verbraucher über eine kostenpflichtige Nutzung zu täuschen und diese dadurch zu unbewussten Zahlungen zu veranlassen.
I. Sachverhalt
Der Entscheidung des BGH vom 05.03.2014 – 2 StR 616/12 lag dabei das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 18.06.2012 – 5-27 KLs 12/08 mit folgendem Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte war Inhaber einer Firma, die mehrere Internetseiten, unter anderem einen Routenplaner, betrieb. Die Seiten waren dabei so gestaltet, dass sich eine Kostenpflichtigkeit für den Nutzer, insbesondere die Verpflichtung zum Abschluss eines drei- oder sechsmonatigen Abos für die Nutzung, nicht ohne Weiteres ergab. Der Anmeldebutton war mit einer Teilnahme an einem Gewinnspiel kombiniert. Bei der Anmeldemaske die mit einem kleinen Sternchen versehen war, wurde der Nutzer dazu aufgefordert seine Emailadresse, seine Wohnanschrift und sein Geburtsdatum anzugeben. Anschließend musste er noch zwei Häkchen zur Akzeptanz der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zur Teilnahme am Gewinnspiel setzen. Unmittelbar darunter befand sich der eigentliche „Anmeldebutton“ mit dem die Webseite für den Nutzer bildlich endete. Erst mit einigem Abstand darunter und nur beim weiteren Scrollen zu entdecken befand sich ein klein gedruckter Text mit dem Sternchen, der die entsprechenden Preisangaben und Informationen über den Vertragsabschluss enthielt. Nach Anmeldung verschickte die Firma des Angeklagten an die Nutzer Zahlungsaufforderungen und Mahnschreiben.
II. Handhabung in der Klausur
In der Klausur ist bei der Lösung zu beachten, dass der BGH bereits das Erstellen und Betreiben einer Abofalle als strafbar eingestuft hat und hier nicht der Fall eines konkret geschädigten Verbrauchers geprüft wurde. Der BGH kam dabei zu dem Ergebnis, dass bereits das Betreiben einer entsprechenden Seite im Internet den Tatbestand des versuchten Betrugs gemäß §§ 263 I, 22 StGB erfüllt, weshalb bei dieser Fallkonstellation in der Klausur der Versuchs- und nicht der Vollendungsaufbau zu wählen ist.
Die Schwerpunkte sind dabei an folgenden Stellen zu setzen:
1. Vorliegen einer Täuschung
Der Betrug setzt tatbestandlich zunächst das Vorliegen einer Täuschung voraus. Täuschen ist das bewusst irreführende Einwirken auf das Vorstellungsbild des Gegenübers.
Bei den sogenannten Abofallen ist es bereits fraglich, ob ohne Weiteres von einer Täuschung ausgegangen werden kann. Üblicherweise enthalten die entsprechenden Internetseiten irgendwo einen Hinweis auf die Kostenpflichtigkeit des Angebots. Man könnte deswegen davon ausgehen, dass Verbraucher, die diesen aufgrund von Unaufmerksamkeit übersehen, selbst dafür verantwortlich sind und von einem täuschenden Einwirken des Betreibers der Internetseite nicht ausgegangen werden kann.
Der BGH sieht die Täuschungshandlung allerdings nicht in der Unterlassung der Aufklärung über die entstehenden Kosten, sondern in dem Verschleiern der entstehenden Kostenpflicht durch den bewusst gewählten Aufbau der Internetseite.
Noch deutlicher werden die Voraussetzungen für die Annahme einer Täuschung in dem Beschluss des OLG Frankfurts vom 17.12.2010 – 1 Ws 29/09 dargestellt, der in diesem Zusammenhang äußerst lesenswert ist. Das OLG stellt im Rahmen der Prüfung der Täuschung darauf ab, ob der Hinweis auf die Kostenpflicht für den Nutzer der Internetseite bereits bei Aufruf der Seite deutlich erkennbar ist. Ist dies nicht der Fall liegt nach der Auffassung des OLG ein konkludentes Miterklären der Unentgeltlichkeit und somit eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB vor, die auch nicht durch die Erkennbarkeit des Irrtums bei sorgfältiger Lektüre ausgeschlossen wird.
In dem Beschluss heißt es wörtlich:

„Erkennbarkeit der Täuschung bei hinreichend sorgfältiger Prüfung oder Leichtgläubigkeit des potenziellen Opfers schließt eine Täuschung im Sinne von § 263 StGB nicht aus, wenn der Täter die Eignung der Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die Irrtumserregung nicht nur die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist.“

2. Aufgrund der Täuschung kausaler Irrtum
Kausal durch die Täuschung müssten die Nutzer der Internetseite einem Irrtum erlegen sein.  Ein Irrtum ist jede Fehlvorstellung des Gegenübers.
Der BGH ist in seiner Entscheidung der Auffassung, dass es vorliegend am Nachweis der Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum fehlt, da nicht belegt werden konnte, dass die Verschleierung der Webseite ursächlich für das Übersehen der Zahlungspflicht war. Der BGH nimmt aufgrund des Fehlens dieses objektiven Tatbestandsmerkmals nur eine Strafbarkeit wegen versuchten und nicht wegen vollendeten Betrugs an.
In seiner Entscheidung heißt es:

„(…) im Hinblick darauf, dass die Ursächlichkeit der Handlung für einen konkreten Irrtum eines Kunden nicht nachgewiesen sei, (wird) nur wegen versuchten Betrugs verurteilt.“

3. Vorliegen eines Vermögensschadens
Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Prüfung des Vermögensschadens. Ein Vermögensschaden ist dann anzunehmen, wenn eine Wertminderung des Vermögens gegeben ist. Nach der Differenzhypothese ist ein Vergleichen der Vermögenslage mit und ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses vorzunehmen, wobei der Vergleich von Leistung und Gegenleistung nach der objektiv-individuellen Theorie erfolgt.
Bei der Annahme eines Vermögensschadens kommt es nach der Entscheidung des BGH auf zwei wesentliche Punkte an. Zunächst einmal müssen durch Nutzung der Seite bestehende oder auch nur scheinbare Verbindlichkeiten gegen den Nutzer begründet werden, was bei Abofallen unproblematisch zu bejahen ist, jedenfalls dann, wenn der Betreiber der Webseite den Nutzer mit einer Zahlungsaufforderung anschreibt.
Daneben muss die Nutzungsmöglichkeit für den Nutzer wertlos sein, was der BGH in diesem Urteil nicht weiter ausführt. Näher konkretisiert wird das Vorliegen des Vermögensschadens in der obigen Fallkonstellation in dem Beschluss des OLG Frankfurts. Die Wertlosigkeit der erhaltenen Nutzungsmöglichkeit wird dabei dadurch begründet, dass es sich bei den angebotenen Leistungen um solche handelt, die der Nutzer lediglich einmalig, allenfalls gelegentlich nutzt und ein entsprechendes Abo nicht benötigt. Zudem unterstellt das OLG wären die entsprechenden Leistungen auch unentgeltlich im Netz zu erhalten oder der einmalige käufliche Erwerb einer entsprechenden Software für den Nutzer wirtschaftlich sinnvoller.
III. Fazit
Der Schwerpunkt der Prüfung ist somit eindeutig im objektiven Tatbestand zu setzen. Hier muss darauf eingegangen werden, dass trotz Angabe der Zahlungsverpflichtung der Aufbau der Seite entscheidend ist für die Prüfung des Vorliegens der Täuschung und ob sich das dem Nutzer der Website darstellende Bild dazu eignet die Kostenpflicht zu verschleiern.
Im Rahmen des Irrtums ist, wenn man der Ansicht des BGH folgt, die fehlende Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum aufzuzeigen und eine Vollendung des Betrugs abzulehnen. Bei der Prüfung des Vermögensschadens muss darauf eingegangen werden, dass bereits die nur scheinbar bestehende Verbindlichkeit als Belastung ausreichend ist, dass die erhaltene Gegenleistung für den Nutzer wertlos ist und die Zahlungsverpflichtung wertmäßig nicht ausgleicht.
Da die Probleme hier schwerpunktmäßig im objektiven Tatbestand liegen, empfiehlt es sich in der Klausur mit der Prüfung der Strafbarkeit des vollendeten Betrugs gemäß § 263 I BGB zu beginnen und die Probleme dort umfangreich darzustellen mit dem Ergebnis, dass aufgrund des Fehlens der Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum der objektive Tatbestand nicht erfüllt ist. In einem zweiten Schritt ist dann in die Versuchsprüfung gemäß § 263 I, 22 StGB zu wechseln und diese nach dem bekannten Schema durchzuführen.

26.03.2014/10 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-03-26 08:00:022014-03-26 08:00:02BGH: Zur Strafbarkeit von Abofallen im Internet
Tom Stiebert

OLG Hamm: Neues zur Abgrenzung Diebstahl/Betrug/Computerbetrug

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT

Einen Fall mit sehr hoher Examensrelevanz hat das OLG Hamm mit einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 8.8.2013 (5 RVs 56/13) entschieden (Näheres dazu hier). Es geht hierbei um die äußerst relevante, und den meisten in der allgemeinen Konstellation wahrscheinlich bekannte Abgrenzung von Diebstahl und (Computer)Betrug.
I. Sachverhalt
Es ging dabei um folgende Konstellation:
Der Angeklagte bezahlte in einem Supermarkt eine Zeitschrift im Wert von 5 Euro lediglich mit 2 Euro. Dies erreichte er durch folgenden Trick: Er scannte an der Selbstbedienungskasse des Ladens nicht den korrekten Strichcode, sondern einen aus einer anderen Zeitschrift (im Wert von 2 Euro) herausgerissenen Strichcode ein und bezahlte folglich auch nur die angeforderten 2 Euro.
Fraglich war dabei, ob es sich hierbei um einen Diebstahl oder einen (Computer)Betrug handelt.
 
II. Entscheidung des OLG Hamm
1. Allgemeines
Fraglich war dabei, ob es sich bei der Handlung an der Kasse um einen Diebstahl § 242 BGB oder um einen Computerbetrug nach § 263a StGB gehandelt hat.
Entscheidend ist daher, ob im konkreten Fall eine Wegnahme (dann Diebstahl) oder eine Vermögensverfügung (dann Computerbetrug) vorgelegen. Nicht in Betracht kommt im konkreten Fall ein „einfacher“ Betrug iSd. § 263 StGB. Dieser unterscheidet sich vom Computerbetrug darin, dass nicht eine natürliche Person getäuscht wird und verfügt, sondern lediglich der Kassenautomat und folglich also der Datenverarbeitungsvorgang (einscannen des Barcodes und anschließende Ausgabe des Preises) von der Einwirkung bzw. Täuschung betroffen ist.
Entscheidende Frage ist also, ob die Zeitschrift dem Kunden (aufgrund der Täuschung bzw. der Einwirkung in den Datenverarbeitungsvorgang) wirksam übereignet wird (dann kann nur ein Computerbetrug vorliegen) oder ob der Kunde durch die Handlung nicht fremden Gewahrsam bricht und neuen Gewahrsam begründet, ohne dass dies dem Willen eines hinter dem Kassenautomaten stehenden Menschen entspricht.
2. Vorliegen Übereignung
Entscheidend ist also zunächst, ob eine wirksame Übereignung durch den Ladeninhaber in Form der Benutzung des Kassenautomatens mit einem falschen Barcode vorgelegen hat. Hier muss zwangsläufig auf den Willen des berechtigten Eigentümers der Zeitschriften und nicht auf den Automaten abgestellt werden. Die Übereignung fordert nach § 929 BGB die Einigung und Übergabe. Eine für die Einigung notwendige Willenserklärung kann nur eine natürliche Person abgeben. Eine wirksame Übereignung scheidet hier mangels Abgabe eines Übereignungsangebots durch den Berechtigten aus:

Die Zeitschriften seien ihm nicht übereignet worden, weil er diese zuvor nicht mit den ihnen zugewiesenen Strichcodes eingescannt habe. Zu den tatsächlich eingescannten Preisen habe der Geschäftsinhaber nicht verkaufen wollen. Beide Zeitschriften habe der Angeklagte auch ohne Einverständnis des Geschäftsinhabers mitgenommen. Nachdem er zuvor einen nicht zu den Zeitschriften passenden Strichcode eingescannt hatte, seien die Bedingungen für einen vom Geschäftsinhaber gebilligten Gewahrsamswechsel beim Passieren der Kasse nicht erfüllt gewesen.

Entscheidend ist hier der Wille des Ladeninhabers, der nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist. Möchte er ein konkretes Produkt stets an denjenigen Kunden übereignen, der irgendeinen Barcode einscannt (und entsprechend bezahlt) oder nur an denjenigen, der den richtigen Barcode einscannt (und den entsprechenden Preis bezahlt). Dabei darf aber auch nicht vernachlässigt werden, dass er sich bei dem Einsatz des Automaten nicht widersprüchlich verhalten darf. Sein Wille ist zumindest dahin auszulegen, dass er bei (formell) ordnungsgemäßer Nutzung des Automaten auch die Ware übereignen will. Wird der Automat als „getäuscht“ (hierfür gibt es gerade den § 263a StGB) darf er sich nicht darauf berufen, er wolle in einem solchen Fall nicht übereignen.
Gleichwohl geht sein Wille aber allein dahin, diejenige Ware zu übereignen, die dem entsprechenden Barcode zugeordnet ist. Im konkreten Fall will er also – durch den Einsatz des Automaten – allein eine Zeitschrift für 2 Euro übereignen; nicht aber die Zeitschrift für 5 Euro. Anders wäre die Situation nur dann, wenn er beispielsweise das Computerprogramm manipuliert und der Automat folglich „denkt“, dass es sich um einen Barcode für die 5-Euro-Zeitschrift handelt. Dies liegt hier aber gerade nicht. Der Automat „denkt“ es handle sich um eine 2-Euro-Zeitschrift; nur diesbezüglich liegt folglich ein Übereignungsangebot vor. Die 5 Euro teure Zeitschrift wird folglich nicht wirksam übereignet.
3. Folge fehlender Übereignung
Bei § 263 StGB würde es folglich an einer Vermögensverfügung fehlen. Der Computerbetrug ist sehr eng mit dieser Regelung verwandt, so dass eine Strukturgleichheit zu fordern ist. Dabei tritt Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs  an die Stelle des Irrtums und der dadurch hervorgerufenen Vermögensverfügung (BeckOK/Beckemper, § 263a, Rn. 37). Das Ergebnis dieser Beeinflussung muss zudem vermögensrelevant sein und sich unmittelbar vermögensmindernd auswirken. Eine solche Beeinflussung, die sich vermögensmindernd auswirkt, liegt nach Ansicht des OLG gerade nicht vor:

Der Tatbestand des § 263 a StGB erfordert daher, dass die Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs unmittelbar eine vermögensrelevante Disposition des Computers verursacht.  Die Vermögensminderung muss unmittelbar, d.h. ohne weitere Zwischenhandlung des Täters, des Opfers oder eines Dritten durch den Datenverarbeitungsvorgang selbst eintreten. Daran fehlt es, wenn durch die Manipulation der Datenverarbeitung nur die Voraussetzungen für eine vermögensmindernde Straftat geschaffen werden, z.B. beim Ausschalten oder Überwinden elektronischer Schlösser. Hier führt das Einscannen des Strichcodes der „WAZ“ allein zu der Anzeige eines im Verhältnis zu den tatsächlich ausgewählten Zeitschriften geringeren Kaufpreises. Diese Anzeige bewirkt noch keinen verfügungsähnlichen Vorgang, der sich als unmittelbare Vermögensbeeinträchtigung darstellte. Die nachfolgende Mitnahme der Zeitschriften wird durch den Datenverarbeitungsvorgang als solchen weder ermöglicht noch erleichtert.

4. Überdies: Fehlende Tathandlung des § 263a StGB
Die Diskussion, welche Tathandlung des § 263a StGB verwirklicht ist, muss deshalb hier nicht geführt werden. Dennoch empfiehlt es sich in der Klausur hierauf zumindest kurz einzugehen, um ein vollständiges Ergebnis zu haben. Das OLG subsumiert hier sehr anschaulich die einzelnen Varianten des § 263a Abs. 1 StGB:

Das unrichtige Gestalten eines Programms (1. Var.) setzt das Neuschreiben, Verändern oder Löschen ganzer Programme oder jedenfalls von Programmteilen voraus . Nichts davon geht mit dem Einscannen des „WAZ“-Strichcodes einher.
Das Verwenden unrichtiger oder unvollständiger Daten (2. Var.) erfasst Fälle, in denen eingegebene Daten in einen anderen Zusammenhang gebracht oder unterdrückt werden, wobei eine Programmgestaltung unrichtig bzw. unvollständig ist, wenn sie bewirkt, dass die Daten zu einem Ergebnis verarbeitet werden, das inhaltlich entweder falsch ist oder den bezeichneten Sachverhalt nicht ausreichend erkennen lässt, den Computer also gleichsam „täuscht“ . Vorliegend wird über das Einlesen des Strichcodes der Kaufpreis einer Ausgabe der „WAZ“ richtig und vollständig angezeigt, diesen Kaufpreis hat der Angeklagte auch bezahlt.
Das Merkmal der unbefugten Verwendung von Daten (3. Var.) ist nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, „betrugsspezifisch“ auszulegen ; unbefugt ist die Verwendung danach dann, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Insoweit muss auf das Vorstellungsbild einer natürlichen Person abgestellt werden, die sich ausschließlich mit den Fragen befasst, die auch der Computer „prüft“ . Da das Lesegerät einer Selbstbedienungskasse lediglich den in dem Strichcode festgelegten Kaufpreis anzeigt, ohne zu prüfen, ob auch tatsächlich die dem Strichcode zugewiesene Ware bezahlt und mitgenommen wird, würde auch ein „fiktiver Kassierer“ nur eine derart eingeschränkte Prüfung vornehmen und deshalb über den eingelesenen Preis der „WAZ“ nicht getäuscht.
Das sonstige unbefugte Einwirken auf den Ablauf (4. Var.) erfasst – im Sinne eines Auffangtatbestandes – solche strafwürdige Maßnahmen, die nicht unter Var. 1 bis 3 fallen, jedoch beinhaltet das Einscannen des Strichcodes der „WAZ“ keine Einwirkung auf den Ablauf, d.h. auf das Programm oder den Datenfluss.

5. Prüfung des Diebstahls
Es bleibt aber die Vollendung eines Diebstahls. Der Kunde hat hier eine fremde bewegliche Sache weggenommen, also den Gewahrsam gegen den Willen des Berechtigten gebrochen. Eine Übereignung lag nach dem oben Gezeigten gerade nicht vor. Die weiteren Voraussetzungen des Diebstahls sind auch erfüllt, sodass sich der Kunde nach § 242 StGB strafbar gemacht hat. In der Klausur wäre hier natürlich eine etwas ausführlichere prüfung geboten.
6. Überdies Urkundsdelikte
Zudem liegt eine Urkundenunterdrückung durch das Abtrennen des Barcodes von der günstigeren Zeitschrift vor (§ 274 StGB). Eine Urkundenfälschung in Form des Herstellens einer unechten Urkunde scheidet aus, da die Zeitschrift nicht mit dem Barcode fest verbunden wurde und damit keine neue, unechte Urkunde hergestellt wurde.
 
III. Examensrelevanz
Der Fall ist aufgrund seiner Aktualität von äußerst großer Examensrelevanz und ergänzt damit die bisherigen Supermarkt- und Selbstbedienungsfälle (bspw. SB-Tankstelle). Die Wertungen des Falles sollten auf jeden Fall beherrscht werden. Bedeutend ist auch, dass die zivilrechtlichen Wertungen auch im Strafrecht eine bedeutende Rolle spielen. Hier ist eine saubere Darstellung gefordert.
 

09.10.2013/8 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-10-09 13:58:502013-10-09 13:58:50OLG Hamm: Neues zur Abgrenzung Diebstahl/Betrug/Computerbetrug
Christian Muders

Strafrechts-Klassiker: Der Provisionsvertreter-Fall

Klassiker des BGHSt und RGSt, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht

BGH, Urteil v. 28.11.1967 – 5 StR 556/67 (= BGHSt 21, 384 ff.)

Wenn ein Provisionsvertreter jemanden durch Täuschung zu einer Bestellung veranlaßt und sich von seiner Firma Provision für den angeblich ordnungsmäßigen Auftrag zahlen läßt, so kann darin ein Betrug zum Nachteil sowohl des Kunden als auch der Firma liegen.

1. Der Sachverhalt
Der A verkaufte als Provisionsvertreter der Firma F Waren-, insbesondere Zigarettenautomaten. Um seine Umsätze zu steigern, griff er zu allerhand unsauberen Tricks. So spiegelte er Frau W und dem Invaliden B vor, es handele sich nicht um einen Kauf-, sondern nur um einen Automaten-Aufstellvertrag. Dem Gelderheber Kl nannte er günstigere Zahlungsbedingungen für den Kaufpreis. Von dem Tankstelleninhaber Kü nahm er über den Kauf eines Automaten unter einem Vorwand zwei Vertragsurkunden auf, die er beide an F einreichte. Den Arbeiter U täuschte er über die Ausstattung und den Wert des zu bestellenden Zigarettenautomaten. Alle geschlossenen Verträge reichte A zum Zwecke der Auszahlung einer Provision bei der F ein. In der Folgezeit nahm keiner der fünf Personen den Automaten ab. Gegen Kü erging Versäumnisurteil. U zahlte eine Vergleichssumme i.H.v. 820 DM. Die Bemühungen der Firma F, von Frau W und von B Zahlung zu erlangen, blieben erfolglos. Kl hatte die Bestellung alsbald zurückgenommen.
2. Die Kernfrage
Beim Provisionsvertreter-Fall geht es im Wesentlichen um zwei Kernfragen, die beide beim Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) angesiedelt sind: 1.) Erleiden die Besteller der Automaten überhaupt einen Schaden, wenn sie den Preis, den die Ware tatsächlich wert ist, an die Firma F zahlen müssen? 2.) Wie verhält sich die Täuschung beim Verkauf der Warenautomaten an die Kunden zu dem Provisionsverlangen des A gegenüber der F?
3. Das sagt der BGH
Der BGH hat sowohl einen Betrug zu Lasten der Kunden als auch einen weiteren Betrug zu Lasten der Firma F angenommen.
a) Das Gericht beschäftigt sich dabei zunächst mit dem Betrug zu Lasten der Firma F durch das Einreichen der abgeschlossenen Verträge:

Wie die Strafkammer mit Recht annimmt, hat der Angeklagte die Firma F betrügerisch geschädigt oder im Falle Kl zu schädigen versucht, indem er ihr „einen scheinbar ordnungsgemäßen, in Wahrheit aber mit einem Makel behafteten Vertrag zum Zwecke der Auszahlung einer Provision einreichte, obwohl er mit einer Anfechtung des Kaufvertrages“ rechnete (UA S. 8/9, 11, 14, 18, 23). Der Firma F gelang es zwar, von dem Arbeiter U auf Grund des Vertrages eine größere Zahlung zu erhalten. Dadurch wurde aber ihr Schaden, der in der festgestellten Auszahlung einer Provision für einen wirtschaftlich minderwertigen Kaufvertrag lag, nur nachträglich wieder beseitigt.

b) Sodann bejaht der BGH entgegen der Meinung der Revision und übereinstimmend mit der Vorinstanz auch einen Vermögensschaden und damit eine Verwirklichung des § 263 StGB zu Lasten der Kunden des A. Der Senat beschäftigt sich dabei zunächst mit den Verträgen, die von Frau W und B abgeschlossen wurden und bei denen A vorgetäuscht hatte, dass es sich nicht um Kauf-, sondern Automaten-Aufstellungsverträge handele:

Frau W und B wollten keinen Warenautomaten erwerben und bezahlen. Das Landgericht nimmt ohne Rechtsirrtum an, daß er „für sie keinen Wert hatte“ (UA S. 7, 11). Es hält dabei nicht etwa unrichtigerweise „die persönliche Einschätzung des Schadens durch den Getäuschten“ für maßgebend, sondern nimmt erkennbar an, daß der Getäuschte bei seinen persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen „die Sache nach der Auffassung eines sachlichen Beurteilers nicht oder nicht im vollen Umfange für den von ihm vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden“ konnte (BGHSt 16, 321, 325/326).

Sodann wendet sich das Gericht dem Vertragsschluss zu Lasten von Kü (dem ein zweiter Vertrag aufgedrängt wurde) sowie U zu, welchem A eine von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichende Ausstattung der Zigarettenautomaten versprochen hatte:

Dasselbe gilt für Kü, der für einen zweiten Automaten ersichtlich keine Verwendung hatte. Für U war, wie der Urteilszusammenhang, insbesondere der gezahlte hohe Abstand, ergibt, der Zigarettenautomat ohne Schächte unbrauchbar.

Schließlich beschäftigt sich das Gericht mit dem Vertragsschluss zu Lasten des Kl, dem A vorgespiegelt hatte, wenn die Einnahmen aus dem Automaten nicht ausreichten, um die Raten aufzubringen, würden sich diese automatisch verringern.

Das Landgericht sieht den Vermögensschaden rechtlich zutreffend darin, daß die im Vertrage niedergelegten Abzahlungsraten den Käufer Kl zu stark belasteten. Es glaubt ersichtlich seiner Aussage, er habe monatlich etwa 800 DM verdient, eine Familie mit vier Kindern ernähren müssen und Verpflichtungen durch den Bau eines Eigenheimes gehabt; er sei daher nicht in der Lage gewesen, monatlich 141,50 DM auf den Automaten abzuzahlen, und habe das dem Angeklagten mehrfach gesagt. Wie sich aus diesen Feststellungen ergibt, hätte die Einhaltung der festgesetzten Raten dem Käufer Kl die Mittel entzogen, „die für die Aufrechterhaltung einer seinen Verhältnissen angemessenen Wirtschafts- und Lebensführung unerläßlich“ waren (BGHSt 16, 321, 328).

c) Zuletzt nimmt sich der BGH noch der Frage an, ob von einem Vermögensschaden bzw. einer hierauf bezogenen Bereicherungsabsicht zugunsten der Firma F auch dann ausgegangen werden kann, wenn die Kunden – wie hier – größtenteils überhaupt keine Zahlungen auf die abgeschlossenen Verträge geleistet haben. Der Senat führt hierzu aus:

Die Einwendungen der Revision übersehen, daß es sich in allen fünf Fällen um Eingehungsbetrug handelt, der Vermögensschaden also schon in der Begründung der Verpflichtung lag. (…) Dieser Verpflichtung entsprach die Forderung, die der Angeklagte zugunsten der Firma F durch den Vertrag begründen wollte, auf dessen Abschluß sie keinen Anspruch hatte. Seine Absicht war also, einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, der die Kehrseite des Vermögensschadens der Besteller war (BGHSt 6, 115, 116; BGH NJW 1961, 684).

Insofern lässt es das Gericht ebenfalls nicht gelten, dass die Verträge der Geschädigten durch Täuschung erschlichen waren, so dass sich diese – zivilrechtlich betrachtet – jederzeit ihrer Verbindlichkeiten durch Erklärung einer Anfechtung (§§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB) hätten entledigen können:

Die Verträge waren zwar wegen arglistiger Täuschung anfechtbar, und der Angeklagte rechnete, wie festgestellt, mit einer Anfechtung. Das schließt aber weder den Vermögensschaden der Kunden noch die Absicht des Angeklagten aus, die Firma F zu Unrecht zu bereichern. Denn beim Eingehungsbetrug bleibt die Anfechtbarkeit des Geschäfts außer Betracht. Sonst gäbe es diese Art des Betruges gar nicht. Überdies waren die anfechtbaren Verträge für die Firma F zwar nicht die dafür gezahlten Provisionen wert, aber wirtschaftlich nicht gänzlich wertlos. Denn es bestand die Möglichkeit, daß die Anfechtung des einen oder anderen Vertrages erfolglos war oder überhaupt unterblieb, weil der Besteller keine ausreichenden Beweismittel hatte oder zu haben glaubte. Er konnte sich aus einem solchen Grunde auch bereit finden, eine Abstandssumme zu zahlen, wie der Arbeiter U es tat. Nach dem Urteilszusammenhang war es auch die Absicht des Angeklagten, der Firma F eine solche, wenn auch schwache, Rechtsposition und damit die Aussicht zu verschaffen, nachträglich wenigstens teilweise den Schaden wieder auszugleichen, den er ihr betrügerisch zugefügt hatte.

4. Fazit
Der Provisionsvertreter-Fall ist einer der ewigen Kernfälle zum Betrug, den jeder Student und Referendar kennen sollte. Dabei ist die Verwirklichung des § 263 Abs. 1 StGB zu Lasten des Chefs des A, der Firma F, relativ unproblematisch, sofern man – wie hier der BGH – argumentiert, dass die Verträge, welche der F als Ausgleich für die geleisteten Provisionszahlungen zugewandt werden sollten, aufgrund der drohenden Anfechtung durch die Kunden wirtschaftlich wertlos bzw. in ihrem Wert jedenfalls stark gemindert waren – so würde auch niemand auf die Idee kommen, von einem anderen eine Forderung, die diesem gegenüber einem Dritten zusteht, aufzukaufen (vgl. §§ 433, 453 BGB), wenn letzterer seine Verbindlichkeit durch Anfechtung jederzeit problemlos aus der Welt schaffen kann. Demgegenüber weist der dem A ebenfalls angelastete, vorgelagerte Betrug gegenüber den Kunden mehr Schwierigkeiten auf, die im Folgenden daher nochmals kurz anhand der einzelnen Prüfungsmerkmale angerissen werden sollen:
a) Hierbei sind zunächst die Merkmale der Täuschung und des Irrtums des jeweiligen Opfers unproblematisch. Die sich anschließende Vermögensverfügung durch den einzelnen Kunden ist hingegen dann, wenn überhaupt keine Zahlungen von diesen an die Firma F geleistet wurden, nicht so einfach zu begründen. Insofern könnte man, da immerhin die Tathandlung des „Täuschens über Tatsachen“ durch den A bereits vollzogen war, auch an einen lediglich versuchten Betrug denken, der gem. § 263 Abs. 2 StGB auch mit Strafe bedroht ist. Die Rspr. kommt mithilfe der Rechtsfigur der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ demgegenüber sogar zu einem vollendeten Betrug, indem sie argumentiert, dass in einem Fall, in dem das Opfer einen Vertrag mit Vorleistungspflicht eingeht, bereits in der Verbindlichkeit, die nach Vertragsschluss drohend über dem Kunden schwebt, ein grundsätzlich jederzeit realisierbarer Vermögensabfluss liegt. Die Prüfung einer solchen schadensgleichen Vermögensgefährdung, die bereits von ihrem Wortlaut her den Fokus auf die Frage des „Schadens“ legt, wird man konsequenterweise aber schon bei der vorgelagerten Frage der Vermögensverfügung ansetzen müssen, die – abzüglich der Frage nach einer Kompensation des durch die Verfügung eingetretenen, wirtschaftlichen Verlustes – bereits den Grundstein für die erst hiernach zu beantwortende Frage nach dem Vermögensschaden bildet.
b) Beim zuletzt genannten Prüfungspunkt, dem Vermögensschaden, weicht der BGH sodann unter mehrfachem Verweis auf BGHSt 16, 321, 325 ff. von dem Grundsatz ab, dass sich ein Vermögensschaden allein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt. Unter dieser Prämisse könnte man nämlich durchaus argumentieren, dass der Vermögensverlust, der für den einzelnen Kunden durch die Verbindlichkeit i.F. der Kaufpreisforderung zu Gunsten der F entsteht, durch die Forderung auf Lieferung eines wertgleichen Zigarettenautomaten wieder in Ausgleich gebracht wird, so dass von einem negativen Saldo zu Lasten der Besteller nicht gesprochen werden kann. Vorliegend nimmt der BGH indes zwei Ausnahmen von einer rein wirtschaftlichen Betrachtung an, die gemeinhin unter dem Oberbegriff des sog. „individuellen Schadenseinschlags“ gefasst werden: Das Gericht verweist hierfür einerseits darauf, dass einige Kunden die Automaten „nicht oder nicht im vollen Umfange für den von ihm vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden“ konnten, andererseits stellt es – im Fall von Kl – fest, dass diesem durch die tatsächlich fällig werdenden Raten Mittel entzogen wurden, „die für die Aufrechterhaltung einer seinen Verhältnissen angemessenen Wirtschafts- und Lebensführung unerläßlich“ waren.
c) Ein im Urteil ebenfalls explizit angesprochener Streitpunkt bildet schließlich die Frage nach der subjektiven Bereicherungsabsicht des A: Hier kann jedenfalls bei der Prüfung des Betrugs zu Lasten der Kunden nicht unmittelbar auf die von A erwartete Provisionszahlung – als Gegenstand seiner Eigenbereicherungsabsicht – abgestellt werden, da diese nicht durch die Kunden, sondern seinen Arbeitgeber, die Firma F, geleistet wird; der Schaden der Kunden ist also nicht „stoffgleich“ zu der von A erstrebten Eigenbereicherung, was jedoch, da der Betrug kein bloßes Vermögensschädigungs-, sondern vielmehr ein Vermögensverschiebungsdelikt darstellt, erforderlich wäre, um den Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB auch im Hinblick auf die abgeschlossenen Kaufverträge begründen zu können. Demgemäß bleibt hier nur die Variante der Drittbereicherungabsicht übrig, da die Verbindlichkeiten der Kunden, die deren Vermögensverfügung und -schaden zugrundelegen, unmittelbar die F als Inhaber der entsprechenden Forderungen begünstigen. Wenn der BGH insoweit argumentiert, dass immerhin die Möglichkeit bestand, dass die Anfechtung des einen oder anderen Vertrages erfolglos blieb, weil die Besteller keine ausreichenden Beweismittel zum Nachweis der Täuschung vorweisen konnten, so erscheint dies im Hinblick auf das kognitive Element des dolus directus 1. Grades, das nicht höher als beim dolus eventualis zu liegen braucht und also die bloße Möglichkeit der schlussendlichen Erfüllung der Kaufpreisforderung durch die Kunden ausreichen lässt, durchaus überzeugend. Nicht angesprochen wird vom Gericht demgegenüber das voluntative Element dieser Vorsatzform, wonach der Täter eine Eigen- bzw. Drittbereicherung erstreben, dieses also sein zwingendes Ziel sein muss. Ein solches Erstreben des A zugunsten der F könnte man hier mit der Begründung in Frage stellen, dass es ihm maßgeblich auf seine eigene Provision, nicht unbedingt die Drittbereicherung seiner Firma, ankam. Geht man aber mit dem BGH davon aus, dass bereits im Vertragsschluss die Vermögensverfügung und – mangels ausreichender Kompensation – auch der Schaden der Opfer zu sehen ist, so ist die hieraus als Kehrseite resultierende Bereicherung der F jedenfalls notwendiges Zwischenziel des A auf dem Weg zu seiner eigenen Vermögensmehrung: Denn nur aufgrund der eingereichten Verträge, welche die Bereicherung der F begründen, konnte auch A auf Auszahlung der von ihm ins Auge gefassten Provisionsbeträge hoffen. Solche notwendigen Bedingungen auf dem Weg zum Endziel des Täters werden aber von diesem regelmäßig ebenso erstrebt wie das Endziel selbst.

05.01.2013/2 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-01-05 11:00:302013-01-05 11:00:30Strafrechts-Klassiker: Der Provisionsvertreter-Fall
Christian Muders

Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht

Im Folgenden eine Übersicht über in letzter Zeit in Zeitschriften veröffentlichte interessante Entscheidungen von Obergerichten in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschl. v. 14.2.2012 – 3 StR 392/11 (= NStZ 2012, 627 f. = StV 2012, 465 f.)
– Kein Raub bzw. räuberische Erpressung bei der gewaltsamen Wegnahme eines Mobiltelefons zur bloßen Durchsuchung des Speichers und dem anschließenden Kopieren einzelner Daten –
1. Es liegt keine für einen Raub erforderliche Zueignungsabsicht vor, wenn der Täter ein Mobiltelefon gewaltsam an sich bringt, um im Speicher des Geräts nach Beweisen für die Art der Beziehung zwischen dem Geschädigten und der Schwester einer dritten Person zu suchen. Gleiches gilt für das Kopieren gefundener Daten, da dies nicht zu deren Verbrauch führt.
2. Ebenfalls fehlt es in diesem Fall an einer Bereicherungsabsicht i.S.d. räuberischen Erpressung, da der bloße Besitz einer Sache nur dann einen Vermögensvorteil darstellt, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt.
II. BGH, Urt. v. 27.6.2012 – 2 StR 79/12 (= NStZ 2012, 629 f. = wistra 2012, 385 f.)
– Zum Vermögensschaden beim Betrug –
1. Wird bei einem Kauf über Umstände getäuscht, die den Verkehrswert der Sache maßgeblich mitbestimmen, erleidet der dadurch zum Kaufabschluss bewogene Kunde einen Betrugsschaden regelmäßig nur dann, wenn die Sache objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist. Unerheblich ist demgegenüber regelmäßig, ob die gelieferte Ware von geringerem Wert ist als die vertraglich vereinbarte.
2. Daher ist beim Fehlen einer vom Verkäufer fälschlich zugesicherten Eigenschaft der Kaufsache der Käufer nicht stets und ohne Rücksicht darauf, ob die Sache trotz Fehlens der zugesicherten Eigenschaft den vereinbarten Preis wert ist, durch den Abschluss des Vertrages betrügerisch geschädigt (hier: Kauf von Plagiatsfelgen, die als Originalfelgen ausgegeben wurden).
III. OLG Celle, Beschl. v. 23.7.2012 – 31 Ss 27/12 (StraFo 2012, 419 ff. = DAR 2012, 644 ff.)
– Zur Rechtswidrigkeit einer Diensthandlung i.S.d. § 113 StGB bei einer Verkehrskontrolle –
Eine Diensthandlung ist rechtswidrig im Sinne von § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB, wenn Polizeibeamte einen Betroffenen falsch belehrt haben (konkret: Belehrung über eine allgemeine Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO, wenn tatsächlich der Verdacht einer Trunkenheitsfahrt besteht).
VI. OLG Hamm, Urt. v. 21.8.2012 – III-4 Rvs 42/12 (= wistra 2012, 447 f.)
– Untreue und Irrtum über das Einverständnis des Vermögensinhabers –
1. Der Tatbestand der Untreue setzt einen gravierenden Pflichtenverstoß voraus, der durch das Einverständnis des Vermögensinhabers mit dem Handeln des Täters entfällt.
2. Ein Irrtum des Täters über das Einverständnis ist Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB.
(Anm.: Das OLG nutzt in der Entscheidung teilweise auch den Begriff der „Einwilligung“, offenbar als Synonym – dies ist in der Prüfung strikt zu vermeiden!)

02.12.2012/2 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-12-02 12:00:522012-12-02 12:00:52Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Dr. Christoph Werkmeister

VG Berlin: Aufenthaltsverbot für Hütchenspieler

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Verwaltungsrecht

 

Das VG Berlin entschied mit Beschluss vom 30.08.2012 – VG 1 L 196.12 einen Sachverhalt, der sicherlich auch bald in Examensklausuren eine Rolle spielen wird. In der Sache ging es um ein polizeirechtliches Aufenthaltsverbot gegenüber einem Hütchenspieler. Bejaht wurde die Möglichkeit des polizeirechtlichen Einschreitens mit der Begründung, dass das Hütchenspielen eine Straftat darstellen würde.
Sachverhalt

Der Polizeipräsident in Berlin verhängte gegenüber dem A für einen Zeitraum von zwölf Monaten ein Aufenthaltsverbot für verschiedene Straßen und Plätze in Berlin-Mitte, nachdem dieser mehrfach bei der Durchführung eines sog. Hütchenspiels angetroffen worden war. Das Hütchenspiel wird laut Wikipedia folgendermaßen definiert:

Der Hütchenspieler stellt direkt auf dem Asphalt oder auf einer mobilen Unterlage, die beim Erscheinen der Polizei in Sekunden abgebaut werden kann, beispielsweise einem Pappkarton, drei gleichartige „Hütchen“ auf, häufig halbierte Walnussschalen, Schubfächer von Streichholzschachteln oder Kronenkorken. Mit einem dieser Hütchen bedeckt er einen kleinen Gegenstand, etwa eine Stanniolkugel oder eine Erbse, und vertauscht dann mehrfach und mit einer gewissen Geschwindigkeit die Plätze der Hütchen untereinander. Anschließend wird ein Zuschauer animiert, einen zuvor festgelegten Betrag darauf zu setzen, dass er nach der letzten Verschiebung noch weiß, unter welchem der Hütchen sich der Gegenstand befindet. Hat der Mitspieler richtig getippt, erhält er seinen Einsatz vom Spielemacher verdoppelt zurück, ansonsten verliert er ihn.

Hütchenspielen als Betrug?

Die Polizei führte aus, sie könne dem A zur Verhütung von Straftaten untersagen, sich in einem bestimmten Gebiet innerhalb von Berlin aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass er dort eine Straftat begehen werde. Das VG führte aus, dass diese Einschätzung der Polizei nicht zu beanstanden sei.

Das Hütchenspiel könne nach Auffassung des VG Berlin als Straftat angesehen werden, so dass eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne anzunehmen war. Betroffen ist im vorliegenden Fall nämlich die objektive Rechtsordnung, namentlich die Vorschrift des § 263 Abs. 1 StGB. Das VG Berlin führte aus, dass beim Hütchenspielen dem Opfer vorgespiegelt werde, es nehme an einem langsam gespielten Geschicklichkeitsspiel teil. In Wahrheit täusche der Hütchenspieler aber über den Charakter des Spiels, denn sobald der Teilnehmer seinen Einsatz aus der Hand gegeben habe, werde gezielt so schnell gespielt, dass das Spiel allenfalls noch als Glücksspiel einzuordnen sei. Es liege deshalb im Ergebnis ein Betrug vor. Im Übrigen führte das VG aus, dass auch die Zeitdauer von zwölf Monaten zur Gefahrenabwehr erforderlich und angemessen sei.
Examensrelevanz
Die Entscheidung ist insbesondere deshalb examensrelevant, da im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Klausur eine vertiefte strafrechtliche Prüfung vorgenommen werden muss. Derartige Fallgestaltungen waren bereits öfters Gegenstand von Examensklausuren. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, den Sachverhalt im Rahmen einer straßen- und wegerechtlichen Klausur zu stellen. Hier wäre dann darüber zu entscheiden, inwiefern das spontane Anbieten eines Hütchenspiels eine Sondernutzung darstellt bzw. ob hierfür eine Sondernutzungserlaubnis erteilt werden könnte. Sofern man den Betrugstatbestand wie das VG Berlin bejaht, wäre letztere in jedem Falle zu versagen.
 

15.09.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-09-15 14:00:512012-09-15 14:00:51VG Berlin: Aufenthaltsverbot für Hütchenspieler
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