Sachverhalt (vereinfacht)
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes.
Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit bundesweiten Niederlassungen sog. Vertriebsdirektionen.Der Kläger ist 1957 geboren und ausgebildeter Versicherungskaufmann. Er ist seit 1973 bei der Beklagten tätig. Der Kläger war zeitweise als Kundenberater eingesetzt. Zuletzt war er in der Vertriebsdirektion M tätig, der ca. 80 Mitarbeiter zugeordnet sind. Nebenberuflich ging er einer Außendiensttätigkeit auf Provisionsbasis nach. 2007 entschied sich die Beklagte, den „dezentralen Innendienst“ bundesweit „zu schließen“. Es wurde mit dem Gesamtbetriebsrat ein Sozialplan vereinbart.
Der Betriebsrat wurde nach Maßgabe des § 102 BetrVG zur Kündigung des Klägers angehört. Mit Schreiben vom 26. Juni 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2008.
Der nach § 102 BetrVG angehörte Betriebsrat ist der Meinung, dass es bei der beabsichtigten Beendigungskündigung seiner Zustimmung nach § 103 BetrVG bedürfe. Im Übrigen widersprach der Betriebsrat der Kündigung, mit der Begründung der Kläger könne eine Tätigkeit als „Außendienstmitarbeiter/Organisationsleiter“ in der Vertriebsdirektion übernehmen. Der Kläger bekundete gegenüber der Beklagten sein Interesse an einer Weiterbeschäftigung und verwies auf seine Bereitschaft „über die Modalitäten einer Weiterbeschäftigung zu verhandeln“.
Der Kläger ist der Meinung, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 KSchG nicht vorliegen und dass die Beklagte nicht ihrer Pflicht nachgekommen sei ihm in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen, obwohl geeignete Arbeitsplätze vorhanden seien z.B. die des Betriebsdirektors oder eines Agenturleiters.
Der Kläger hat daraufhin fristgerecht Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht erhoben.
Zulässigkeit und Begründetheit der Kündigungsschutzklage?
A. Zulässigkeit
I. Rechtswegeröffnung
Die Rechtswegzuständigkeit zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG, weil eine Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber über das Bestehen oder Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses vorliegt.
II. Örtliche Zuständigkeit
Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1a ArbGG ist das Arbeitsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer seine Arbeit üblicherweise seine Arbeit verrichtet.
III. Instanzielle Zuständigkeit
In erster Instanz ist grds. das Arbeitsgericht zuständig, § 1 ArbGG i.V.m. § 8 Abs. 1 ArbGG. (Dreistufiger Aufbau der Arbeitsgerichtbarkeit: Arbeitsgerichte, Landesarbeitsgerichte, Bundesarbeitsgericht)
IV. Verfahrensart
Das Arbeitsgericht entscheidet hier im Urteilsverfahren gem. § 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG und nicht im Beschlussverfahren, da keine Kollektivrechte geltend gemacht werden, denn es wird nicht um Rechte gestritten, die alle Arbeitnehmer im Betrieb betreffen, sondern um das Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Arbeitsverhältnisses.
V. Antrag
Punktuelle Feststellungsklage gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 495 Abs. 1 ZPO ; § 256 Abs. 1 ZPO. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Präklusionsgefahr der §§ 4,7 KSchG.
VI. Ergebnis
Die Kündigungsschutzklage ist zulässig.
B. Begründetheit
Die Kündigungsschutzklage ist begründet, wenn die Kündigung sich als unwirksam erweist.
I. Form
Die Formvorschriften einer Kündigung wurden eingehalten.
1. Schriftform, §§ 623, 126 Abs. 1 BGB (+)
2. Unterschrieben vom Kündigungsberechtigten (+)
II. Zugang (+)
III. Präklusion, §§ 7, 4 KSchG
Die Drei-Wochen-Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage ab Zugang der Kündigungserklärung wurde eingehaltengen, so dass keine Wirksamkeitsfiktion gem. §§ 7, 4 KSchG eingetreten ist.
IV. P: Ordnungsgemäße Betriebsratsbeteiligung
Fraglich ist, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt wurde.
1. Mitbestimmung bei Kündigungen, § 102 BetrVG
Grundsätzlich muss vor jeder Kündigung (Probezeitkündigung, Änderungskündigung, Beendigungskündigung) der Betriebsrat – soweit vorhanden- angehört werden, vgl. § 102 BetrVG. Da Betriebsräte einen besonderen Kündigungsschutz besitzen, darf Ihnen grundsätzlich nur außerordentlich gekündigt werden nach § 15 Abs. 1 Hs. 2 KSchG. Es gilt dann als Maßstab für die Betriebsratsbeteiligung, § 103 BetrVG.
2. Außerordentliche Kündigungen und Versetzung in besonderen Fällen, § 103 BetrVG
Wenn ein wichtiger Grund (vgl. § 626 BGB) vorliegt, der den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds berechtigt, muss der Arbeitgeber zunächst noch die ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats einholen, bevor er die Kündigung aussprechen darf, vgl. § 103 Abs. 1 BetrVG.
Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds verweigert, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats beantragen. Gleiches gilt, wenn der Betriebsrat innerhalb von drei Tagen ab Zugang des Zustimmungsantrags keine Erklärung abgegeben hat, denn in diesem Fall gilt die Zustimmung des Betriebsrats als verweigert.
Anmerkung: Achtung Präklusionsfrist!
Hat der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds nicht erteilt und spricht der Arbeitgeber dennoch die Kündigung aus, ist diese ohne weiteres unwirksam. Allerdings muss das Betriebsratsmitglied auch die Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Betriebsrats innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht geltend machen. Sonst gilt die Kündigung als wirksam (Wirksamkeitsfiktion, §§ 7, 4 KSchG).
3. Ausnahme: Ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG, § 102 BetrVG
„Für die Anhörung des Betriebsrates zu einer auf § 15 Abs. 5 KSchG gestützte Kündigungen gelten die allgemeinen, zu § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers ist subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nicht alle objektiven kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen nennen, sondern nur die aus seiner Sicht für die Kündigung auschlaggebenden Umstände mitteilen“.
Um zu beurteilen, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt wurde, ist zunächst die Frage zu klären, ob der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG eingreift.
V. Allgemeiner Kündigungsschutz (-)
Allgemeine Kündigungsschutzgründe wie z.B. §§ 134, 138, 242 BGB liegen nicht vor.
VI. Besonderer Kündigungsschutz § 15 KSchG (soweit keine Ausnahme greift)
Hier hat die Beklagte gegenüber dem klagenden Betriebsratsmitglied eine ordentliche Kündigung ausgesprochen. Grundsätzlich kann nach § 15 Abs. 1 Hs. 2 KSchG einem Betriebsratsmitglied nur aus wichtigen Grund (außerordentlich) gekündigt werden. Der besondere Kündigungsschutz eines Betriebsratsmitglieds greift mit Beginn der Amtszeit ein und entfaltet noch ein Jahr nach Beendigung der Amtszeit eine Nachwirkung (§ 21 BetrVG, § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG ).
1. Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz:
Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz sind in den §§ 15 Abs. 4, 15 Abs. 5 KSchG geregelt, sowie in den Fällen, in denen die Beendigung der Mitgliedschaft in der Arbeitnehmervertretung auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht, vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 Hs. 2. In diesem Fall hatte die Beklagte einen Fall von § 15 Abs. 5 KSchG geltend, eine sog Betriebsteilstilllegung.
Anmerkung:
Um die Härte für Personen mit besonderen Kündigungsschutz zu mildern, die nur aufgrund einer außerordentlichen Kündigung gekündigt werden können wird in solchen Fällen oft eine außerordentliche Kündigung mit „sozialer Auslauffrist“ ausgesprochen.
2. Voraussetzungen, § 15 Abs. 5 KSchG
a) Betriebsabteilung
„Eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG ist ein räumlich und organisatorisch abgetrennter Teil eines Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs besteht.“
b) P: Fremdvergabe: Stilllegung/Verkleinerung des Betriebsteils
Es ist stets abzugrenzen, ob eine tatsächliche Stilllegung einer Abteilung erfolgt ist oder von einer Verkleinerung des Betriebes auszugehen ist.
„Eine Stilllegung setzt voraus, um die Gefahr einer Austauschkündigung auszuschließen, dass die „Fremdvergabe“ tatsächlich zur Aufgabe der Arbeitgeberstellung der Beklagten bei der Erledigung der betreffenden Arbeiten geführt hat“.
Anmerkung: in der Originalentscheidung wurde zur weiteren Feststellung von Tatsachen, ob ein Fall des § 15 Abs. 5 KSchG vorliegt an das Landesarbeitsgericht zurück verwiesen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO)
c) Anspruch auf Weiterbeschäftigung in einer anderen Betriebsabteilung
Grundsätzlich hat ein Betriebsratsmitglied Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz in eine andere Betriebsabteilung unter Umständen sogar unter Freikündigung eines anderen Arbeitsplatzes. Sinn- und Zweck ist die Erhaltung des Gremiums Betriebsrates und dessen Funktionsfähigkeit, vgl. § 15 Abs. 5 Hs. 2 KSchG.
Hier jedoch bedurfte es keiner näheren Ausführungen zur Möglichkeit, den Kläger auf einen anderen „freizumachenden“ Arbeitsplatz zu besetzten, da kein vergleichbarer Arbeitsplatz vorhanden war. Die vom Kläger vorgeschlagenen Positionen waren alle „höherwertig“ dies wird u.a. abgegrenzt anhand der Gehaltsgruppierung .
d) Ergebnis
Kein Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung oder „Freikündigung“ in eine andere Betriebsabteilung, da kein entsprechender Platz vorhanden ist.
e) P: Anspruch auf höherwertigen Arbeitsplatz bei fachlicher Qualifikation
Teilweise wird die Auffassung vertreten, die nach § 15 Abs. 5 bestehende Übernahmepflicht sei nicht auf gleich- oder geringwertige Arbeitsplätze beschränkt. Um dem Betriebsratsmitglied im kollektiven Interesse die Beschäftigung zu sicheren, sei danach zu fragen, oder Mandatsträger aufgrund seiner tatsächlichen fachlichen Qualifikation in der Lage sei, einen Arbeitsplatz in einer anderen Betriebsabteilung zu besetzten. Beim Vorliegen dieser Voraussetzungen sei der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, dem Betriebsratsmitglied den höherwertigen Arbeitsplatz anzubieten. Da der Gesetzestext auch keine solche Einschränkung vorgibt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 13.11.2007 – 1 Sa 914/06).
aa) Schutzzweck § 15 KSchG – „Kein Anspruch auf Beförderung“
Dagegen spricht der Rechtscharakter des § 15 KSchG, welcher nur auf eine Bestandsicherung und einer Benachteiligungsverbot abziele. Eine Begünstigung aufgrund des Amtes sei nicht vom Schutzzweck erfasst. Weiter dient § 15 KSchG dem Bestandsschutz des Mandatsträgers nicht aber dem Arbeitsentgeltschutz, für den Fall, dass dieser auf einen Arbeitsplatz übernommen wird, für den schlechtere oder völlig andere Bedingungen gelten.
bb) Keine Begünstigung durch das Betriebsratsamt, § 78 S. 2 Hs. 1 BetrVG
Hinzu kommt, dass Betriebsratsmitglieder nach § 78 S. 2 Hs. 1 BetrVG wegen ihrer Tätigkeit nicht begünstigt werden dürfen. Dies gilt nach § 78 S. 2 Hs. 2 auch für die berufliche Entwicklung.
cc) Ergebnis
Kein Anspruch auf die „Freikündigung“ eines höherwertigen Arbeitsplatzes.
4. Ergebnis
Es lag ein Kündigungsgrund nach § 15 Abs. 5 KSchG vor. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht nicht. Der Maßstab der Betriebsratsbeteiligung für eine Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG richtet nicht nach § 103 BetrVG, d.h. der Betriebsrat musste nur Angehört werden und nicht der Kündigung zustimmen. Folglich war die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG auch ordnungsgemäß.
C. Ergebnis
Die Kündigung ist wirksam. Die Kündigungsschutzklage ist zulässig aber unbegründet.
D. Fazit
In besonderen Fällen ist eine ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes nach Maßgabe § 15 Abs. 4, Abs. 5 zulässig, wenn ein Betriebsteil stillgelegt wird und eine anderweitige gleichwertige Beschäftigung bzw. eine Änderungskündigung zu schlechteren Bedingungen nicht möglich ist. Bei einer ordentlichen Kündigung nach § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG eines Betriebsratsmitgliedes richtet sich die Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG.