BAG, Urteil vom 31. 07. 2014 – 2 AZR 505/13
Vorinstanz: LAG Hamm, Urteil vom 15.03.2013 – 13 Sa 6/13
Es wird auf den Begriff Wahlbewerber eingegangen und den damit verbundenen besonderen Kündigungsschutz, sowie ab wann kritische Äußerungen von Arbeitnehmern im Internet einen Sachverhalt darstellen, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung eines „Wahlbewerbers.“
Die Beklagte ist ein Unternehmen welches Verpackungen herstellt. Auf Einladung der Gewerkschaft ver.di fand eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes statt. Die Parteien sind sich einig, dass es zu keiner wirksamen Wahl des Kläger gekommen ist.
Zwei Wochen nach dem gescheiterten Wahlvorhaben stellte die Gewerkschaft Antrag vor dem Arbeitsgericht einen Wahlvorstand zu bestellen. Der Kläger wurde in der Antragsschrift vorgeschlagen. Einige Tage später gab der Kläger in einem vom ver.di aufgezeichneten Video eine Erklärung mit folgenden Inhalt ab: Es gebe im Betrieb „Probleme“. An einzelnen Maschinen fehlten Sicherheitsvorkehrungen. Man könne „fast behaupten“, keine Maschine“ sei „zu 100% ausgerüstet“. Das Problem sei, „dass keine Fachkräfte vorhanden“ seien und „das Beherrschen der Maschinen nicht 100% erfüllt“ werde. Dieses Video wurde ins Internet gestellt und war auch auf „YouTube“ zu sehen. Der Kläger verbreitet es zudem über das soziale Netzwerk Facebook. Daraufhin kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos.
Der Kläger hat form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht erhoben. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht als Vorinstanzen haben die fristlose Kündigung als wirksam erachtet.
Begründetheit der Kündigungsschutzklage?
A. Zulässigkeit (+)
B. Begründetheit
Die Kündigungsschutzklage ist begründet, wenn die Kündigung unwirksam war.
I. Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (+)
Arbeitnehmereigenschaft (+)
II. Ordnungsgemäße Kündigungserklärung (+)
1. Ausreichend bestimmt, bedingungsfeindlich
2. Eindeutige Festlegung der Art (ordentliche/außerordentliche)
3. Schriftformerfordernis §§ 623, 126 BGB mit eigenhändiger Unterschrift des Kündigungsberechtigten (Ausschluss der elektronischen Form E-Mail, Fax!)
4. Zugang (+)
5. Präklusionsfrist, §§ 4 Abs. 1, 13 Abs. 1 KSchG
Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang erhoben werden, ansonsten greift die Fiktionswirkung des § 7 KSchG ein und die Kündigung gilt als von Anfang an rechtswirksam.
III. Allgemeine Unwirksamkeitsgründe, §§ 134, 138, 242 BGB (-)
IV. Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG; § 103 Abs. 1 BetrVG
Gem. § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitgliedes eines Wahlvorstandes vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigen Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt wird.
P: Wer ist Wahlbewerber i.S.d. § 15 Abs. 3 KSchG?
Fraglich ist, was unter einem Wahlbewerber i.S.d. § 15 Abs. 3 KSchG zu verstehen ist. Ob dadurch nur Wahlbewerber für das Amt des Betriebsrats oder auch „Wahlbewerber“ für den Wahlvorstand erfasst werden.
Untere Wahlbewerber sind wählbare (§§ 7, 8 BetrVG) Arbeitnehmer zu verstehen, die für ein Betriebsratsamt kandidieren. Diese können ordentlich nicht gekündigt werden, § 15 Abs. 3 KSchG. Wahlbewerber ist, wer in eine Vorschlagsliste aufgenommen wurde und die erforderliche Mindestanzahl von Stützunterschriften bzw. die Stützung von einer Gewerkschaft vorweisen kann. Nicht dagegen gemeint sind dagegen Bewerber für den Wahlvorstand. Diese fallen nicht unter § 15 Abs. 3 KSchG.
„Arbeitnehmer, die für das Amt des Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl kandidieren oder vorgeschlagen werden, sind keine Wahlbewerber im gesetzlichen Sinne. Das ergibt die Auslegung der einschlägigen Vorschriften“. (vgl. BAG Pressemittelung Nr. 38/14 zum BAG Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13).
Daher greift in diesem Fall kein besonderer Kündigungsschutz ein. Eine ordentliche Kündigung ist ebenfalls weiterhin möglich.
Exkurs: Was macht ein Wahlvorstand überhaupt?
- Der Wahlvorstand sorgt für eine ordnungsgemäße Durchführung einer Betriebsratswahl, (§ 1 Abs. 1 WO).
- Der Wahlvorstand hat die Wahl unverzüglich einzuleiten, § 18 Abs. 1 S. 1 BetrVG
- Beantragung der Feststellung der Betriebseigenschaft nach § 18 Abs. 2 BetrVG beim zuständigen Arbeitsgericht
- Nach Abschluss der Wahl nimmt der Wahlvorstand öffentlich die Auszählung der Stimmen vor, stellt deren Ergebnis in seiner Niederschrift fest und gibt es den Arbeitnehmern des Betriebs bekannt und übermittelt dies der Gewerkschaft, § 18 Abs. 3 BetrVG
V. Ordnungsgemäße Betriebsratsbeteiligung
Der Betriebsrat muss nicht Zustimmen nach § 103 BetrVG bzw. die Zustimmung musste nicht durch das Arbeitsgericht ersetzt werden. Eine Anhörung nach Maßgabe des § 102 BetrVG war ausreichend – mangels besonderen Kündigungsschutzes.
VI. Außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB
Eine außerordentliche Kündigung wird immer in zwei Schritten geprüft zunächst wird geprüft, ob ein Sachverhalt vorliegt, der einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB darstellt, sodann wird in einem zweiten Schritt wird eine Interessenabwägung vorgenommen.
1. Frist, § 626 Abs. 2 BGB (+)
Eine außerordentliche Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des Kündigungsberechtigten erfolgen.
2. Wichtiger Grund
Hier kritisierte der Kläger seinen Arbeitgeber wegen nicht optimalen Arbeitsabläufen und nicht optimaler Arbeitssicherheit im Internet (auf YouTube und Facebook). Dieses Video wurde von einer Gewerkschaft aufgenommen und ins Internet gestellt. Der Kläger verbreitete das Video zudem auf Facebook. Das BAG verneinte hier bereits das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinn von § 626 BGB.
„Auch im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsratswahl dürfe ein Arbeitnehmer nicht wissentlich falsche, geschäftsschädigende Behauptungen über die betrieblichen Verhältnisse aufstellen und über digitale Medien verbreiten lassen. Sachliche Kritik an den betrieblichen Gegebenheiten sei jedoch erlaubt“ (vgl. BAG Pressemittelung Nr. 38/14 zum BAG Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13).
3. Interessenabwägung
Zu einer Interessenabwägung kam es gar nicht mehr, da bereits kein wichtiger Grund vorlag.
C. Ergebnis
Die außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB wegen Äußerungen auf Youtube ist unwirksam (-).
Diese Kündigungsschutzklage ist zulässig und begründet.
Anmerkung:
In diesem Fall hat das BAG zurückverwiesen an das LAG zur Klärung der weiteren Frage, ob eine weitere ausgesprochene ordentliche (verhaltensbedingte) Kündigung wegen verspäteten Arbeitsbeginn des Klägers wirksam ist. Da kein besonderer Kündigungsschutz für den Kläger bestand konnte der Arbeitgeber während des Prozesses eine ordentliche Kündigung aussprechen. Vor einer verhaltensbedingten Kündigung kann im Einzelfall eine vorherige Abmahnung erforderlich sein.
D. Fazit
Sonderkündigungsschutz greift ein für Kandidaten des Betriebsratamtes – nicht jedoch für Kandidaten des Wahlvorstandes. Mitglieder des Wahlvorstandes genießen erst Sonderkündigungsschutz ab ihrer Bestellung. Im Übrigen sollte man mit Kritik gegenüber dem Arbeitgeber im Internet vorsichtig sein und auf eine innerbetriebliche Klärung zurückgreifen (z.B. Kummerkasten, Beschwerdestelle, Betriebsrat §§ 84, 85 BetrVG etc.)