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Schlagwortarchiv für: Berufsfreiheit

Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Uncategorized, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

In der nordrhein-westfälischen Stadt K befindet sich ein insbesondere bei jungen Menschen beliebtes Ausgehviertel mit mehreren Bars und Diskotheken. Seit mehreren Jahren kommt es in dem Viertel in den Abendstunden jedoch vermehrt zu Gewalttaten durch teils alkoholisierte Besucher des Viertels. Im Wege dieser zunehmend auch unter dem Einsatz von Messern, in einzelnen Fällen sogar Waffen, begangenen Straftaten, in deren Folge mehrere Personen teils erhebliche Verletzungen erlitten haben. Im Juni 2024 kommt es schließlich zu einer weiteren  unter dem Einsatz eines Messers begangenen Straftat bei der das Opfer aufgrund der erlittenen Verletzungen zu Tode kommt.

Die Stadt K möchte der als unerträglich empfundenen eskalierenden Gewalt in dem Viertel in Reaktion auf das jüngste Ereignis schließlich begegnen. Eine vonseiten der Stadt in Auftrag gegebene Untersuchung zeigt dabei, dass auch in Zukunft in dem Ausgehviertel mit Straftaten unter dem Einsatz von Waffen und Messern zu rechnen ist. Der Rat der Stadt K erlässt daraufhin gestützt auf § 42 V WaffG eine Verordnung, die eine Waffen- und Messerverbotszone (WM-VO) für das betreffende Viertel vorsieht. Zuvor hatte die Landesregierung ihre Ermächtigung aus § 42 V WaffG durch eine ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Delegationsverordnung) auf den Landesinnenminister übertragen. Dieser hatte seinerseits die Gemeinden in einer ebenfalls ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Subdelegationsverordnung) zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt. Die Verordnung wird dabei vom Rat in einer Sitzung in Juli 2024 ordnungsgemäß mehrheitlich beschlossen und tritt im August 2024 in Kraft.

Als die in den Geltungsbereich der WM-VO wohnhafte A von dem Erlass der WM-VO erfährt ist sie empört. Die A ist selbstständig als Köchin tätig. Im Wege ihrer Tätigkeit bietet sie Kochkurse an, bei denen sie ihren Kunden insbesondere Schneidetechniken für exotische Früchte und Fleisch vorführt. Da sie über keine eigenen Räumlichkeiten verfügt bietet sie die Kurse ausschließlich in den Wohnungen ihrer Kunden an. Zu den Kochkursen bringt die A neben den von ihr genutzten auch hochwertige Küchenmesser für ihre Kunden mit. Diese können die so genutzten Messer im Anschluss an die Kochkurse jeweils auch bei A erwerben. A sieht nach dem Inkrafttreten der WM-VO keine Möglichkeit mehr, mitsamt ihrer Küchenmesser aus ihrer in dem räumlichen Geltungsbereich der WM-VO belegenen Wohnung zu ihren Kunden zu gelangen, von denen viele ebenfalls in dem in der WM-VO benannten Stadtviertel wohnen. Daraufhin kontaktiert A die Kunden, die in dem Monat nach dem Inkrafttreten der WM-VO Kochkurse bei ihr gebucht haben und weist diese daraufhin, dass sie sich angesichts der WM-VO außer Stande sehe, ihre Messer zu den Kochkursen mitzubringen. Daraufhin stornieren sämtliche Kunden die bereits gebuchten Kochkurse. Der A entgeht hierdurch ein aus den Kochkursen erzielter Gewinn von 5000€. Die durch den Inhalt der WM-VO ohnehin schon verärgerte A sieht sich durch diese in ihrer beruflichen Freiheit verletzt. Sie will die aus ihrer Sicht rechtswidrige Verordnung nicht einfach hinnehmen und wendet sich zunächst an die Stadt. Nachdem diese ihr Vorbringen abgewiesen hat wendet sie sich an einen Rechtsanwalt, der in ihrem Namen im September 2024 einen formgerechten Antrag auf Rechtsschutz vor dem OVG Münster erhebt.

Das Verfahren vor dem OVG Münster findet Anfang 2025 statt. Der Rechtsanwalt der A führt darin aus, dass die Stadt K für den Erlass einer solchen Verordnung  schon nicht zuständig gewesen sei. Die Verordnung sei aber auch schon rechtswidrig, weil sie entgegen § 42 V 3 WaffG auch keine Ausnahmen von dem Verbot des Mitführens von Waffen- und Messern vorsehe. Die WM-VO verletze die A zudem in ihren Grundrechten.

Der von der Stadt K ebenfalls ordnungsgemäß bestellte Rechtsanwalt erwidert daraufhin, dass die Stadt K durch den Landesinnenminister zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt gewesen sei. Die Verordnung sei auch rechtmäßig gewesen. Der Antrag der A sei aber schon unzulässig, da der Rat der Stadt die WM-VO bereits vor der mündlichen Verhandlung im Januar 2025 wieder aufgehoben habe. Auch werde die Stadt K keine weitere Verordnung gleichen Inhalts erlassen. Der Kontrollaufwand habe sich für die Stadt als nicht darstellbar erwiesen. Der Antrag sei daher abzuweisen.

Auszug aus der WM-VO:

§ 1 [Geltungsbereich]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern ist auf den in den nachfolgend bestimmten Straßen, Wegen oder Plätzen des benannten Stadtteils von 18:00 bis 04:00 Uhr verboten.

§ 2 [Anwendungsbereich]
Der Anwendungsbereich wird hinreichend bestimmt beschrieben. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 3 [Begriffe]
Die für die WM-VO relevanten Begriffe werden definiert. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 4 []

§ 5 [Ordnungswidrigkeiten]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern in dem Geltungsbereich dieser Verordnung stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 52 Abs. Nr. 23 WaffG dar, die entsprechend nach § 52 Abs. 2 WaffG mit einer Geldbuße bis zu 10.000€  geahndet werden kann.

Frage 1:

Ist der Antrag der A vor dem OVG Münster zulässig?

Frage 2:

Unterstellt der Antrag ist zulässig, wäre er auch begründet?

Frage 3:

Verletzte die Verordnung die A während der Zeit ihrer Geltung in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG?

Bearbeitervermerk:
  1. § 42 WaffG ist verfassungsgemäß.
  2. Auf die § 42 V Nr. 2-4 WaffG ist bei der Bearbeitung nicht zu einzugehen.
  3. Auf die Durchführungsverordnung zum WaffG ist nicht einzugehen.
  4. Die Rechtmäßigkeit der Delegations- und Subdelegationsverordnung ist bei der Bearbeitung nicht zu prüfen.
09.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-09 08:30:382025-05-12 15:15:39Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW
Sören Hemmer

BVerfG zur Beteiligung von VeranstalterInnen von Großveranstaltungen an Polizeieinsatzkosten

Aktuelles, BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht

Am 14.01.2025 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenerhebung für Polizeikosten bei Hochrisikospielen der Fußballbundesliga zurückgewiesen (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22). Das Urteil hat nicht nur eine breite öffentliche Debatte bedient, sondern erscheint auch aus der spezifischen Perspektive des juristischen Studiums und der Examensvorbereitung relevant. Der folgende Beitrag macht sich daher zur Aufgabe, den Sachverhalt und die wesentlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts mit einem besonderen Blick auf die juristische Ausbildung zu besprechen.

I. Der Sachverhalt (verkürzt)

Die Urteilsverfassungsbeschwerde betrifft die Erhebung einer Gebühr gegenüber der Beschwerdeführerin wegen eines als besonders gefahrgeneigt eingestuften Fußballbundesligaspiels.

In dem Bestreben, die Kostenbelastung des Landes für Polizeieinsätze bei gewinnorientierten Großveranstaltungen zu senken (vgl. Bremische Bürgerschaft Drs. 18/1201), wurde § 4 BremGebBeitrG im Jahr 2014 um folgenden Absatz 4 ergänzt:

„(4) Eine Gebühr wird von Veranstaltern oder Veranstalterinnen erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5 000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird. Die Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht. Der Veranstalter oder die Veranstalterin ist vor der Veranstaltung über die voraussichtliche Gebührenpflicht zu unterrichten. Die Gebühr kann nach den tatsächlichen Mehrkosten oder als Pauschalgebühr berechnet werden.“

Ebenso wurde die Anlage zur Kostenverordnung für die innere Verwaltung (InKostV) um eine entsprechende Nr. 120.60 (a.F., nunmehr Nr. 120.61) ergänzt. Zudem sieht § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG vor, dass Kosten aus Billigkeitserwägungen erlassen, nicht festgesetzt oder erstattet werden können.

Die Beschwerdeführerin ist eine GmbH und einhundertprozentigen Tochter des DFL Deutsche Fußballliga e.V. mit Sitz in Deutschland. Sie ist innerhalb der Organisation des Fußballprofisports für die Verlegung von Spielen aus Sicherheitsgründen zuständig; für Sicherheitsmaßnahmen in den Stadien trägt der jeweilige Verein die Verantwortung.

Vor einem für den 19.04.2015 angesetzten Bundesligaspiel zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im Bremer Weserstadion unterrichtete die Polizei Bremen die Beschwerdeführerin von ihrer voraussichtlichen Gebührenpflicht gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG. Am Spieltag waren 969 PolizeibeamtInnen im Einsatz, die zahlreiche polizeiliche Maßnahmen – unter anderem circa 90 Ingewahrsamnahmen und 150 Platzverweise für das gesamte Stadtgebiet – vornahmen. Im Anschluss forderte die Polizei Bremen mit Bescheid vom 18.08.2015 Gebühren in Höhe von 425.718,11 € von der Beschwerdeführerin.

Seit dem Erlass des ersten Bescheids wurden auf Grundlage des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG durchschnittlich bei einem Spiel pro Saison Gebühren in durchschnittlicher Höhe von 334.000 € gefordert. Die Beschwerdeführerin nahm jeweils Regress beim SV Werder Bremen.

In der Saison 2022/2023 wurden insgesamt 52 von 612 Begegnungen der 1. und 2. Bundesliga als Hochrisikospiele eingeordnet. Dabei lag der örtliche Schwerpunkt der im Zusammenhang mit diesen Spielen begangenen Straftaten vor allem im Bereich des Stadions, des Stadionvorfelds und in den Bahnhöfen.

Nachdem die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 18.08.2015 erfolglos den Verwaltungsrechtsweg beschritten hatte, hat sie Urteilsverfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenregelung selbst.

(Auf eine nähere Darstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrensverlaufs wird an dieser Stelle unter Verweis auf BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22 Rn. 10 ff. verzichtet.)

II. Die Entscheidung des BVerfG

1. In Betracht kommen nur Verletzungen in die Berufsfreiheit und in den allgemeinen Gleichheitssatz

Schon in der Erörterung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde beschränkt das Bundesverfassungsgericht seine weitere Prüfung auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit komme in jeweiliger Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG eine Grundrechtsverletzung in Betracht. Im Übrigen fehle es an einem hinreichend substantiierten Vortrag (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG).

Im Einzelnen:

Hinsichtlich Art. 14 Abs. 1 GG folgt das Bundesverfassungsgericht seiner ständigen Rechtsprechung, nach der die Auferlegung von Geldleistungspflichten nicht an Art. 14 Abs. 1 GG, sondern Art. 2 Abs. 1 GG zu messen sei, weil die Eigentumsfreiheit nicht das Vermögen als solches schütze (BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994 – 1 BvL 19/90, BVerfGE 91, 207 (220 f.)).

Hinweis: Hier stellt das Bundesverfassungsgericht freilich im Weiteren nicht auf die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern die Berufsfreiheit ab.

Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG (Einzelfallgesetzgebung) scheide unter Verweis auf die angegriffenen Entscheidungen aus. So hat zuvor das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

„Es liegt kein unzulässiges Einzelfallgesetz vor. Der Wortlaut des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ist abstrakt formuliert und knüpft allgemein an den Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte bei bestimmten gewinnorientierten Großveranstaltungen an. Dass die Regelung derzeit offenbar nur die Veranstalter von sog. Hochrisiko-Spielen der Fußball-Bundesliga betrifft und dies auch im Gesetzgebungsverfahren im Vordergrund stand, ändert nichts an ihrem generellen Charakter. Die gesetzliche Regelung eines Einzelfalles ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird; Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG will verhindern, dass der Gesetzgeber willkürlich aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herausgreift und zum Gegenstand einer Sonderregel macht (BVerfG, Urteil vom 10. März 1992 – 1 BvR 454/91 u.a. – BVerfGE 85, 360 <374> m.w.N.). Hiervon kann bei der vorliegenden Gebührenregelung keine Rede sein.“ (BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 19, NJW 2019, 3317 (3319)).

Schließlich ließ das Bundesverfassungsgericht die Rüge einer im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG unzureichenden Kontrolle der Richtigkeit der polizeilichen Prognose des Gewaltpotenzials durch das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht an den Darlegungsanforderungen scheitern.

Hinweis: In der Klausur werden all diese Ausführungen im Prüfungspunkt „Beschwerdebefugnis“ erwartet.

2. Gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit
a) Eingriff in den Schutzbereich

Vor keine großen Probleme sieht sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage gestellt, ob in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG zu erkennen ist.

Die Organisation von Fußballbundeligaspielen sei grds. geschützt, da die Veranstalterinnen und Veranstalter diese Tätigkeit in Gewinnerzielungsabsicht ausüben. Geschützt sei – in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG auch für juristische Personen – das Ergreifen und Ausüben eines Berufes als einheitliches Grundrecht, wobei Beruf als jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen sei.

In dieses Grundrecht werde durch die Auferlegung von Geldleistungspflichten eingegriffen, soweit diese:

„in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (vgl. BVerfGE 98, 83 <97>; 113, 128 (145); 124, 235 <242>; 161, 63 <89 Rn. 43> – Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; BVerfGE 162, 325 <346 Rn. 79> – Zinsen Kernbrennstoffsteuer). Dies ist anzunehmen, wenn die Geldleistungspflichten einen spezifischen Einfluss auf die berufliche Tätigkeit ausüben und zu einer Veränderung der Rahmenbedingungen der Berufsausübung führen (vgl. zu Abgaben BVerfGE 95, 267 <302>; 98, 218 <258>; 111, 191 <213 f.>; 113, 128 <145>; 161, 63 <90 Rn. 47>; stRspr)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 55).

Eine spezifische Beeinflussung der beruflichen Tätigkeit könne hier erkannt werden, denn die Gebührenpflicht für Hochrisikospiele knüpfe an einen bestimmten Ausschnitt der Tätigkeit an und erhöhe die finanzielle Belastung erheblich.

Hinweis: Hier liegen tatsächlich nicht die Schwierigkeiten des Falles. In einer entsprechenden Klausur mag es geboten sein, einen weiteren Satz zu der abstrakten Umschreibung eines Eingriffs zu verlieren. Insgesamt sollten die Ausführungen an diesen Stellen jedoch knapp gehalten werden.

b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Der Eingriff ist jedoch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit

In formeller Hinsicht kann sich das Bundesverfassungsgericht auf Ausführungen zur Gesetzgebungskompetenz beschränken. Das Land Bremen habe sich hier auf Art. 70 Abs. 1 GG stützen können, denn die Kompetenz für die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben werde von der Sachmaterie – allgemeines Polizeirecht – umfasst. Mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werde eine Gebühr und keine Steuer erhoben (dazu noch unter III.).

Wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen Steuer und Gebühr sei dabei, ob eine Geldforderung zur allgemeinen Finanzbedarfsdeckung des Gemeinwesens (vgl. § 3 Abs.1 AO) oder

„aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder eine sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden (vgl. BVerfGE 149, 222 <250 Rn. 55>) und insbesondere dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken oder deren Vorteil (vgl. BVerfGE 93, 319 <347>) oder deren Wert auszugleichen (vgl. BVerfGE 50, 217 <226>; 85, 337 <346>; 91, 207 <223>; 92, 91 <115>; 93, 319 <347>; 110, 370 <388>; 132, 334 <349 Rn. 49>; 137, 1 <18 Rn. 43>)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 61).

Letzteres sei hier der Fall, denn die Norm erlege konkret die Kosten eines polizeilichen Mehraufwands bei der Durchführung entsprechend gefahrenträchtiger Veranstaltungen auf.

Hinweis: Für die Examensprüfung sollten voneinander abgrenzende Definitionen zu den Begriffen Steuern, Beiträge und Gebühren bekannt sein.

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Bundesverfassungsgericht sieht § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG auch als materiell verfassungsgemäß an, denn sie sei verhältnismäßig. Insofern verfolge die Norm einen legitimen Zweck in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise und sie genüge den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots.

Hinweis: Vertretbar ist auch, die hinreichende Bestimmtheit eines Gesetzes als eigenen Prüfungspunkt außerhalb der Verhältnismäßigkeit zu untersuchen (vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129).

(1) Legitimer Zweck, Geeignetheit und Erforderlichkeit

Das Bundesverfassungsgericht erkennt in dem Bestreben, Mehrkosten der benannten Veranstaltungen nach der mittelbar angegriffenen Norm auf Veranstalterinnen und Veranstalter abzuwälzen, einen legitimen Zweck. Gebühren können sich so in ihrer Ausgleichsfunktion rechtfertigen.

Dieser Zweck könne auch im Sachgebiet des Polizeirechts herangezogen werden. Dass kein solches Gebührenerhebungsverbot bestehe, gründet das Bundesverfassungsgericht auf vier Argumenten:

Erstens sei ein sachgebietsbezogenes Gebührenerhebungsverbot im Grundgesetz an keiner Stelle erwähnt. Zweitens sei mit Blick auf die Gerichtsgebühren anerkannt, dass auch staatliche Kernaufgaben nicht zwingend gebührenfrei zu erbringen sind. Drittens sei anerkannt, dass Gebühren auch dort erhoben werden können, wo eine staatliche Handlungspflicht besteht, etwa im Fall des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Das gelte – viertens – selbst dort, wo ein verfassungsrechtlicher Anspruch Einzelner auf eine staatliche Gewährleistung existiere; ansonsten sei wiederum die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Gerichtsgebühren durch Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG in Frage gestellt.

Mit der Regelung des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werde ein Mehraufwand der Polizeitätigkeit finanziert, indem die Allgemeinheit entlastet und NutznießerInnen und VerursacherInnen belastet werden. Das Gesetz sei damit in Hinblick auf den genannten Zweck förderlich und damit geeignet.

In Ermangelung eines milderen staatlichen Mittels, dass die Allgemeinheit von jenen Mehrkosten befreit, sei die Regelung auch erforderlich.

(2) Angemessenheit

Einen Schwerpunkt seiner Ausführungen legt das Bundesverfassungsgericht auf die Angemessenheit der Regelung. Dabei stellt es zunächst die grundrechtliche Belastung und den Zweck in ihrem jeweiligen Gewicht gegenüber (a), um anschließend beides hinsichtlich des Grundes (b) und der Bemessung (c) der Gebühr unter maßgeblicher Berücksichtigung des Wesens einer Gebühr als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung in ein Verhältnis zu stellen und auf dieser Grundlage eine Gesamtschau der Angemessenheit vorzunehmen (d).

(a) Grundrechtsbelastung und Zweck der Regelung

Strukturiert legt das Bundesverfassungsgericht zunächst dar, was es überhaupt in Verhältnis zu setzen gilt.

Auf der einen Seite stehe ein Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) von einigem Gewicht, denn:

  • Gebühren können eine beträchtliche Höhe erreichen, allerdings nur bei grds. gewinnorientierten Veranstaltungen.
  • die Belastung finde zwar ihren Anlass in dem Verhalten der Veranstaltenden, die insofern auch gerade von dem Derby-Charakter von Hochsicherheitsspielen profitieren, die Gefahrgeneigtheit sei dennoch für Veranstaltende nur begrenzt steuerbar, denn sie liege teilweise außerhalb des eigenen Einflussbereichs.
  • Die Höhe der Gebühr stehe nicht in Relation zum Gewinn, sodass erstere letztere auch übersteigen könne, wobei die Möglichkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG zu berücksichtigen sei.

Auf der anderen Seite stehe eine gerechte Kostenverteilung von Hochrisiko- gegenüber „normalen“ Bundesligaspielen als erheblich bedeutsamer Zweck für das Gemeinwesen und den sozialen Frieden. Hier berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht auch, dass an der gefahrgeneigten Veranstaltung wiederum ein erhebliches Gemeinwohlinteresse („Integrationsleistung des Fußballs“) bestehen könne. Dafür, dass die Wirtschaftlichkeit und damit die Fortexistenz der Fußballbundesliga in Frage gestellt werde, bestehe allerdings kein Anhaltspunkt.

Hinweis: Gelegentlich gerät die Angemessenheitsprüfung von Bearbeitenden einer Klausur bereits an diesem Punkt in Schieflage. Nicht immer sind hier ausführliche Darstellungen erforderlich, wenn sich schon aus den Ausführungen unter „Eingriff in den Schutzbereich“ und „legitimer Zweck“ hinreichend ergibt, was gegeneinander abzuwägen ist. Dessen sollte sich aber in jedem Fall vergegenwärtigt werden.

(b) Verhältnismäßigkeit der Gebührenauferlegung dem Grunde nach

Zur Gebührenregelung dem Grunde nach führt das Bundesverfassungsgericht aus, diese sei nur dann angemessen, wenn sie auch tatsächlich als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung erhoben wird. Hier stehe der Gesetzgebung ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu, dieser sei aber jedenfalls überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorzug und der/dem Abgabepflichtigen mehr erkennbar sei.

Eine Zurechenbarkeit der Mehrkosten gegenüber den Veranstaltenden rechtfertige sich aus einer Gesamtschau mehrerer Gesichtspunkte der Veranlassung und Begünstigung.

Zum einen sei der Mehraufwand durch diejenigen, die eine entsprechende Veranstaltung durchführen, veranlasst. Sie nehmen so begrenzte öffentliche Ressourcen in deutlich übermäßigem Umfang in Anspruch und begründen damit ein Näheverhältnis zu der erbrachten Leistung, dass weder durch die Rechtmäßigkeit der Veranstaltung, noch die Unerwünschtheit des Polizeieinsatzes unterbrochen werde. In jedem Fall seien die staatlichen Ressourcen gebunden, denn die Wahrnehmung der Aufgabe des Schutzes der öffentlichen Sicherheit stehe nicht zur Disposition. Auch bei wertender Betrachtung bestehe eine Zurechenbarkeit, denn:

„Die Nähe zum gebührenpflichtigen Mehraufwand wird im vorliegenden Fall auch durch den besonderen Umfang des Aufwands begründet, der in abgrenzbarer Weise durch die Veranstaltung und gerade nicht durch die Allgemeinheit verursacht wird. Die Gefahrenträchtigkeit und die mit der Veranstaltung erzielten Gewinne sind überdies auch in der den Veranstalterinnen und Veranstaltern bekannten und von ihnen gewollten Attraktivität der durchgeführten Veranstaltung miteinander verknüpft“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 96).

Hier vergleicht das Bundesverfassungsgericht die „Normallage“ in einer Stadt und die Lage bei „normalen Spielen“ mit derjenigen bei Hochrisikospielen. Eine besondere Gefahrenträchtigkeit von letzteren sei plausibel und werde durch langjährige Erfahrungen gestützt.

Zum anderen liege bei den Veranstaltenden ein Nutznießen von dem polizeilichen Mehraufwand vor. Müsste eine Veranstaltung andernfalls wegen ihrer Gefahrgeneigtheit untersagt werden, beruhe ihre Durchführbarkeit auf dem besonderen polizeilichen Aufwand.

Die Auferlegbarkeit der Kosten setze auch nicht eine Verantwortlichkeit auf Primärebene, also auf der Ebene der Gefahrenabwehr an sich, voraus, denn beide Ebenen seien an unterschiedlichen Zwecken ausgerichtet, sodass ein Gleichlauf nicht zwingend sei.

Mit Blick auf die Durchführung der Veranstaltung in Kenntnis ihrer Gefahrenträchtigkeit und das Nutznießen der Veranstaltenden in Form der Durchführbarkeit der Veranstaltung aufgrund des polizeilichen Mehraufwands stehe einer Zurechenbarkeit schließlich auch nicht entgegen, dass dazwischen ein freiverantwortliches Handeln Dritter stehen könne.

(c) Verhältnismäßigkeit der Gebührenbemessung

Auch in der Gebührenbemessung sei gegen § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG im Ergebnis nichts zu erinnern. Maßgeblich sei dabei der Zweck der Belastung durch die Abgabe: Es solle ein durch eine öffentlich-rechtliche Leistung vermittelter Vorteil bzw. eine Nutzungsmöglichkeit abgegolten werden. Es müsse auch kein Gemeinwohlabschlag vorgenommen werden. Wiederum verweist das Bundesverfassungsgericht auf die vorangegangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts:

„Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht für bestimmte Fallgestaltungen einen (Gemeinwohl-)Abschlag verlangt. So hat es etwa zum Straßenreinigungsrecht entschieden, dass es sich unter keinem vernünftigen Gesichts punkt als sachgerecht erweist und es daher gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn Kosten, die die Befriedigung des Allgemeininteresses betreffen, allein den Anliegern aufgebürdet werden […] Der Unterschied zu den vorgenannten Fallgestaltungen liegt aber darin, dass es bei § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG um einen polizeilichen Mehraufwand geht, der ausschließlich aufgrund einer privatnützigen, gewinnorientierten Veranstaltung entsteht“ (BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 78 f.; NJW 2019, 3317 (3325)).

Zudem bliebe es in Anwendungsfällen von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ohnehin nur um die Auferlegung der Mehrkosten. Das allgemeine Teilhabeinteresse an einem Fußballspiel werde daher durch die öffentliche Hand finanziert.

(d) Gesamtschau der Angemessenheit

Auch in einer Gesamtschau sei die Regelung nicht unangemessen. Die Gebühr erschwere den Gebrauch entsprechender Freiheitsrechte nicht unzumutbar („erdrosselnde Wirkung“). Auf atypische Fälle könne im Wege einer Billigkeitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG reagiert werden.

(3) Bestimmtheitsgrundsatz

Schließlich erkennt das Bundesverfassungsgericht auch keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteter Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit. Die Norm werfe keine Auslegungsprobleme auf, die nicht mit den herkömmlichen juristischen Methoden zu bewältigen seien und es genüge, wenn der Umfang der Abgabenlast im Groben vorherzusehen ist, was im Falle von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG gegeben sei, zumal eine entsprechende Prognose vorab gemäß S. 3 der Vorschrift mitzuteilen sei.

3. Gerechtfertigte Ungleichbehandlung

Das Bundesverfassungsgericht erkennt ebenfalls keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Insofern bedürfen Differenzierungen der Rechtfertigung. Dahingehend seien zwei Vergleichsgruppen in den Blick zu nehmen: Einerseits werde unter Veranstaltenden je nach Gewinnorientierung ihrer Veranstaltung differenziert, andererseits danach, ob an ihrer Veranstaltung mindestens 5.000 Personen zeitgleich teilnehmen.

Beide Differenzierungen seien an einem Maßstab einer gelockerten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu messen, wie aus der ständigen Rechtsprechung zu den Rechtfertigungsanforderungen einer Ungleichbehandlung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG und in Ansehung der hiesigen Beeinträchtigung der Berufsfreiheit folge:

„Differenzierungen bedürfen […] stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 Rn. 121> m.w.N.; 148, 147 <183 f. Rn. 94>; 161, 63 <134 f. Rn. 166>; 167, 163 <235 f. Rn. 174>; stRspr). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind, oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 f. Rn. 122>; 149, 222 <253 f. Rn. 64>; 158, 282 <327 f. Rn. 111>; 161, 63 <134 f. Rn. 166>; stRspr)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 117).

Gemessen daran, seien die Differenzierungen in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG zu rechtfertigen. Die Differenzierung nach Gewinnorientierung diene gerade dem Zweck, die besonderen Kosten an die Stelle zu verlagern, die aus der Quelle des zusätzlichen Aufwands einen finanziellen Vorteil ziehe. Die Differenzierung nach Veranstaltungsgröße wirke sowohl auf die Begrenzung der Kostenauferlegung auf Fälle besonderer Gefahrenträchtigkeit – kleinere Veranstaltung, weniger gefahrenträchtig – als auch auf den Zweck der Verlagerung von Kosten an Stellen, die einen besonderen Vorteil aus einem Mehraufwand ziehen – kleinere Veranstaltungen, weniger Gewinn – hin.

Hinweis: Grob fehlerhaft wäre es hingegen, eine Differenzierung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen, weil andere Bundesländer keine mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG vergleichbare Regelung vorsehen. Die kompetenziellen Grenzen der Länder in der föderalen Struktur sind zu achten: Jedes Land hat als eigener Träger öffentlicher Gewalt den Gleichheitssatz nur innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs zu gewährleisten (BVerfG, Beschl. v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (158)).

4. Auslegung und Anwendung von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG

Die Verfassungsgemäßheit der Anwendung der Regelung in dem der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Fall wird festgestellt.

III. Ausblick

1. Die grundlegende Problematik der Gebührenregelung

Das grundlegende Problem, welches bei der Gebührenerhebung für Maßnahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr gegenüber VeranstalterInnen gesehen wird, sei noch einmal skizziert:

Der Finanzverfassung des Grundgesetzes liegt, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Prinzip des Steuerstaates zu Grunde. Die Finanzierung staatlicher Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden muss in erster Linie aus dem Ertrag der in Art. 105 ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolgen. Das steht nichtsteuerlichen Abgaben nicht schon von vornherein entgegen, diese bedürfen jedoch einer besonderen Rechtfertigung und müssen sich in ihrer Art von der voraussetzungslos auferlegten und geschuldeten Steuer deutlich unterscheiden (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1995 – 2 BvR 413/88, 1300/93, NVwZ 1996, 469 (470 f.).

Für die hier besprochene Gebührenregelung ist dabei zweierlei zu berücksichtigen: Erstens ist die Gefahrenabwehr staatliche Kernaufgabe (BVerfG, Beschl. v. 04.04.2006 – 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320 (346); Siegel, DÖV 2014, 867; Böhm, NJW 2015, 3000 (3001)). Zweitens sind VeranstalterInnen von Bundesligaspielen auf primärer Ebene, also der Ebene der Gefahrenabwehr selbst, nach hM als NichtstörerInnen anzusehen, denn selbst die Figur der ZweckveranlasserInnen vermag nicht derart weit zu tragen (Siegel, DÖV 2014, 867 (868 f.); Böhm, NJW 2015, 3000 (3001); ausführlich Heise, NVwZ-Extra 5/2015, abrufbar unter https://rsw.beck.de/zeitschriften/nvwz/nvwz-extra-aufs%C3%A4tze-online, letzter Abruf am 26.01.2025; zumindest zweifelnd auch Mitteilung des Senats, LT-Drs. 18/1501, S. 10). In der Literatur wird so vertreten, durch § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werden die besonderen Anforderungen an die Erhebung von Gebühren nicht erfüllt, indem der Staat sich von Einzelnen für die Erfüllung seiner allgemein bestehenden Aufgaben individuell bezahlen lasse (Leines, Die Kostentragung für Fußballeinsätze anlässlich von Fußballspielen, 2018, S. 281 ff.; Böhm, NJW 2015, 3000 (3002)).

2. Zur Entscheidung an sich

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungskonformität von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG rekurriert in der Begründung in einem erheblichen Maße auf den Anwendungsfall von „Hochrisikospielen“ in der Fußballbundesliga. Dem ist zuzugeben, dass die Liste von Veranstaltungen, die in Gewinnorientierung durchgeführt werden, vergleichbare Massen bewegen und dabei eine Gefahrengeneigtheit besitzen, wie vom Bundesverfassungsgericht hier aus dem Charakteristikum der Rivalität zweier Mannschaften, dem ausgelassenen Feiern und dem Alkoholkonsum einem Teil der Begegnungen der Fußballbundesliga attestiert (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 98), nicht unendlich lang sein dürfte (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 19; NJW 2019, 3317 (3319)).

Gerade hier knüpfen jedoch kritische Stimmen in Reaktion auf das Urteil an. Schon der Profifußball empfindet sich in der Entscheidung nicht hinreichend gesehen: Der DFB verwies in einer Stellungnahme auf Vereine der 3. Liga und den Regionalligen. Für sie könne in solchen Gebührenbescheiden eine Existenzgefährdung und ein massiver Wettbewerbseingriff liegen. Demgegenüber sei der Beitrag, den der Fußball für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leiste, finanziell nicht aufzuwiegen (DFB, Polizeikosten bei Hochrisikospielen: DFB bedauert Urteil des BVerfG, 14.01.2025, abrufbar unter https://www.dfb.de/news/polizeikosten-bei-hochrisikospielen-dfb-statement-zum-bverfg-urteil, letzter Abruf am 25.01.2025).

Nicht überraschen darf, dass das Bundesverfassungsgericht zu Erwägungen des gesellschaftlichen Werts und der Integrationsfunktion des Fußballs zwar keine konsequente Ablehnung, jedoch Zurückhaltung gezeigt hat. Aus dem Grundgesetz, konkret Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip), folgt zwar auch eine Garantie der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Diese zu konkretisieren, ist aber Aufgabe der Gesetzgebung. Hier hat das Bundesverfassungsgericht einen weiten Gestaltungsspielraum zu respektieren (BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL1, 3, 4/09. BVerfGE 125, 175 (222, 224 f.); Beschl. v. 23.07.2014 – 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13, BVerfGE 137, 34 (72 ff.)).

Die Sorge, dass eine Regelung entsprechend § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG auch in anderen Fußballwettbewerben Anwendung finden würde, ist insoweit berechtigt, als auch in der 3. Liga im Schnitt 9.707 ZuschauerInnen die Spiele in der vergangenen Saison besucht haben (3. Liga Saisonreport 2023/2024, S. 14, abrufbar unter https://www.dfb.de/ePaper/DFB-Saisonreport-3-Liga-202324/, letzter Abruf am 25.01.2025). Freilich bewegen sich diese Bedenken derweil weitgehend im Bereich des Hypothetischen, denn für Fälle außerhalb Bremens ist vorgeschaltet, dass und inwiefern sich andere Länder eine § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG vergleichbare Gebührenregelung geben werden. Inwiefern von den Voraussetzungen, die das Bremer Gesetz vorsieht, abgewichen werden kann bzw. diese unterschritten werden können, folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne Weiteres. Zumindest jedoch ist betont, dass stets nur über die Mehrkosten eines besonderen Aufwands hervorgehobener Veranstaltungen entschieden wurde (vgl. dazu Heise, NVwZ 2015, 262 (267)).

Erwähnt werden soll schließlich noch, dass die Benennung der DFL als Veranstalterin gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG nicht unumstritten ist. Teilweise wird vertreten, der Gebührenbescheid sei – wenn überhaupt – an den jeweiligen Heimverein zu richten, da dieser die Organisation vor Ort vornehme (Böhm, NJW 2015, 3000 (3003 f.); Leines, Die Kostentragung für Polizeieinsätze anlässlich von Fußballspielen, 2018, S. 197 ff.).

3. Aus der Perspektive des Studiums

Für einschlägige Klausuren ist entscheidend, sich in einer strukturierten Verhältnismäßigkeitsprüfung mit dem Zweck von Gebühren im Allgemeinen, dem Verhältnis des Staates zu seiner Aufgabe der Gefahrenabwehr im Kontext der Kostentragung und den konkret tangierten Belangen Einzelner auseinanderzusetzen und dabei den Gestaltungsspielraum, der der Gesetzgebung belassen ist, zu achten. Darüber hinaus ist vieles vertretbar, wie schon die Diskussion im Vor- und Nachgang der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufzeigt.

04.02.2025/0 Kommentare/von Sören Hemmer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Sören Hemmer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Sören Hemmer2025-02-04 09:00:002025-06-03 08:53:27BVerfG zur Beteiligung von VeranstalterInnen von Großveranstaltungen an Polizeieinsatzkosten
Redaktion

Berufsfreiheit (Art. 12 I GG)

Karteikarten, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Uncategorized, Verfassungsrecht

I. Schutzbereich

1. Persönlicher Schutzbereich

→ Deutschengrundrecht, Art 116 GG

2. Sachlicher Schutzbereich

→ Beruf: jede auf Dauer angelegte, der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dienenden Betätigung

II Eingriff

→ Subjektiv oder objektiv berufsregelnde Tendenz

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

1. Schranke

→ Regelungsvorbehalt gem. Art. 12 I 2 GG

2. Schranken-Schranke

→ Verhältnismäßigkeit

Drei-Stufen-Theorie:

  1. Stufe: Berufsausübungsregelung
  2. Stufe: Subjektive Berufswahlregelung
  3. Objektive Berufswahlregelung
23.10.2023/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2023-10-23 10:00:002023-10-19 12:49:52Berufsfreiheit (Art. 12 I GG)
Simon Mantsch

VG Berlin über gesetzliches Staatsmonopol zu Gunsten der Errichtung und des Betriebes von Krematorien

Aktuelles, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Darf es in einem Bundesland ein gesetzliches Staatsmonopol geben, das die Errichtung und den Betrieb von Krematorien durch Private de facto verbietet oder verstößt dies vielmehr gegen die die durch Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit? Mit dieser examensrelevanten Fragestellung hatte sich das VG Berlin jüngst zu befassen (Urt. v. 12.9.2023 – 21 K 227/20).

I. Der Sachverhalt (leicht abgewandelt)

X und die vermögensverwaltende GmbH P betrieben in der Rechtsform einer KG mehrere Krematorien in verschiedenen Bundesländern. Sie wollen ihr Geschäft nunmehr auch in Berlin ausüben. Zu diesem Zweck beantragt die ordnungsgemäß vertretene KG die Erteilung einer Baugenehmigung. Diese wurde jedoch mit dem Argument nicht erteilt, dass der nach dem Berliner Bestattungsgesetz (BestattG BE) erforderliche „Antrag auf Übertragung der Errichtung und des Betriebs einer Feuerbestattungsanlage“ nicht gestellt worden sei und angesichts des gegenwärtig fehlenden Bedarfs an Krematorien in Berlin wohl auch nicht positiv beschieden werden könne. Die KG entschied sich daraufhin gleichwohl, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Er wurde jedoch mit Verweis auf das Vorhandensein der landeseigenen Krematorien und des dadurch fehlenden Bedarfs abgelehnt.

Verärgert über die Vorgänge entschließt sich X zum Ausscheiden aus der Gesellschaft. Da die KG mit nur einem Gesellschafter nicht weiter bestehen kann, kommt es zur liquidationslosen Vollbeendigung. Die KG erlischt. Das Gesellschaftsvermögen ist jedoch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den zuletzt verbliebenen Gesellschafter, die vermögensverwaltende GmbH P, übergegangen. Sie verfolgt das Geschäft fort und möchte gerichtlich festgestellt wissen, dass es einer Übertragung nach dem Berliner Bestattungsgesetz überhaupt nicht bedarf, da § 18 BestattG BE wohl kaum mit Art. 12 GG vereinbart werden könne. Schließlich werde Privaten die Einrichtung und der Betrieb von Krematorien de facto untersagt. Nur im Wege der Beleihung könnte ihr nach § 18 Abs. 4 BestattG BE die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gestattet werden, wobei es eine solche im Land Berlin kein einziges Mal gebe. Selbst aus den Gesetzgebungsmaterialien gehe – was zutrifft – hervor, dass man dem Grunde nach von einem Staatsmonopol ausgehe und nur in seltenen Fällen eine Übertragung der Aufgabe auf Private für legitim halte. Nur hilfsweise verlangt P daher, dass der von der KG gestellte und negativ beschiedene Antrag, der nach der Liquidation ja sicherlich als ihr eigener Antrag gelte, neu beschieden wird. Schließlich würde sie ja auch – was der Wahrheit entspricht – alle Vorgaben des BestattG BE beachten. Wenn man ihr gleichwohl die Einrichtung und den Betrieb des Krematoriums verbiete, so wäre das doch offensichtlich ermessensfehlerhaft. Das bloße Argument, dass die landeseigenen Krematorien eine ausreichende Kapazität absichern, könne ja wohl kaum tragfähig sein.

Die Stadt Berlin tritt dem entgegen. Zum einen fehle es der klagenden P am Rechtsschutzbedürfnis. Sie selbst habe schließlich nie einen Antrag gestellt. Der von der KG gestellte Antrag könne nicht einfach auf P „umgemünzt“ werden, da bei der Entscheidung über den Antrag auch personenbezogene Gründe immer eine Rolle spielen und beim Wechsel der Rechtspersönlichkeit daher immer eine neue Beurteilung seitens der Behörde von Nöten sei, die aber wiederum einen neuen Antrag voraussetzt. Darüber hinaus sei der Betrieb von Krematorien eine landeseigene Aufgabe, die nicht „einfach so“ einem Privaten übertragen werden könne. Es gehe schließlich auch um den Seuchenschutz und den würdevollen Umgang mit Toten, der nur bei staatlichem Betrieb hinreichend gesichert ist. Vor allem aber sei es beachtlich, dass P überhaupt nicht vorhabe, das Krematorium selbst zu betreiben. Sie sei schließlich bloß vermögensverwaltend und wolle – was der Wahrheit entspricht – für den Betrieb des Krematoriums eine eigene Gesellschaft einsetzen. Es kann daher nur richtig sein, dass P die Einrichtung und der Betrieb des Krematoriums untersagt wurde.

Wie wird das Gericht über Haupt- und Hilfsantrag entscheiden?

§ 18 Berliner Bestattungsgesetz (BestattG BE) lautet wie folgt:

§ 18

Bestattungsort

(1) Erdbestattungen dürfen nur auf öffentlichen (landeseigenen und nichtlandeseigenen) Friedhöfen vorgenommen werden. Die zuständige Behörde kann Ausnahmen zulassen.

(2) Abweichend von der Pflicht nach § 10 Satz 1, in einem Sarg zu bestatten, können Leichen aus religiösen Gründen auf vom Friedhofsträger bestimmten Grabfeldern in einem Leichentuch ohne Sarg erdbestattet werden. Die Leiche ist auf dem Friedhof bis zur Grabstätte in einem geeigneten Sarg zu transportieren.

(3) Bei Feuerbestattungen dürfen Einäscherungen in den Krematorien des Landes Berlin vorgenommen werden. Für die Beisetzung von Aschen Verstorbener gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Die für die Errichtung und den Betrieb von Krematorien zuständige Senatsverwaltung kann mit Zustimmung der Senatsverwaltung für Finanzen und im Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Inneres die Errichtung und den Betrieb einzelner Feuerbestattungsanlagen widerruflich einem privaten Rechtsträger übertragen.

II. Die Entscheidung (leicht abgewandelt)

1. Hauptantrag der Klage

Der Hauptantrag der Klage, der auf die Feststellung gerichtet ist, dass es einer Übertragung nach dem Berliner Bestattungsgesetz überhaupt nicht bedarf, wird Erfolg haben, wenn er zulässig und begründet ist.

a) Zulässigkeit

An der Zulässigkeit des Hauptantrags bestehen keine Zweifel. Insbesondere kann P nicht die Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO entgegengehalten werden. Für die Frage der Notwendigkeit einer Übertragung gibt es – genau wie für die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit – keine andere statthafte Klageart.

b) Begründetheit

Begründet wäre die Klage darüber hinaus, wenn es zur Errichtung und zum Betrieb des Krematoriums keiner Übertragung bedürfte. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE mit Art. 12 GG nicht in Einklang zu bringen wäre, weil es ein nicht zu rechtfertigendes Staatsmonopol legitimieren würde.

aa) Der Wortlaut der Norm und auch die Gesetzgebungsmaterialen hierzu sprechen dafür, dass man von der Einführung der Vorschrift und ihrer späteren Änderung von einer Etablierung bzw. Aufrechterhaltung eines Staatsmonopols ausging.

bb) Fraglich erscheint jedoch, ob ein derartiges Staatsmonopol mit dem (einheitlichen) Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist oder ob P dadurch vielmehr in ihren Rechten verletzt wird. Das Grundrecht schützt dabei sowohl die Freiheit der Berufswahl, die Freiheit der Berufsausübung, als auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Jedenfalls kann sich P als inländische juristische Person des Privatrechts auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Schließlich ist die Berufsfreiheit gem. Art. 19 Abs. 3 GG ihrem Wesen nach auch auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar. Die Statuierung eines Staatsmonopols bedingt zudem auch einen Eingriff – es handelt sich gar um die wohl schärfste Form der Beschränkung. P wird, wie jedem anderen Privaten auch, der Zugang zum Beruf des Bestatters, zu dem eben auch die Einäscherung gehört, faktischunmöglich gemacht. Es handelt sich mithin um eine objektive Berufswahlregelung, die bei Zugrundelegung der im Apotheken-Urteil vom BVerfG entwickelten Drei-Stufen-Theorie nur bei schwersten Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zu legitimieren wäre. Dem Gesetzgeber kommt bei der zu ergreifenden Maßnahme zwar eine Einschätzungsprärogative zugute, die ihn jedoch nicht dazu legitimiert, seine Entscheidungen auf offensichtlich fehlerbehafteten Grundlagen aufzubauen. Genauso wenig kann er eine Maßnahme allgemeingültig damit begründen, dass Gefahren bestehen. Vielmehr müssen die kausalen Zusammenhänge, die die Maßnahme überhaupt erfordern, substantiiert dargelegt werden.

Der Landesgesetzgeber verfolgt mit § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE ein legitimes und gewichtiges Ziel. In Rede steht schließlich der Schutz der Würde von Verstorbenen. Diese dürfen aufgrund eines über den Tod hinausgehendem postmortalem Persönlichkeitsschutz keinem menschenunwürdigen Umgang preisgegeben werden dürfen. Auch die Einhaltung der Vorschriften über die Feuerbestattung in § 20 BestattG BE ist ein legitimes Ziel, um den Betrieb von Krematorien zu regulieren. Schließlich soll die dort angeordnete gerichtliche Leichenschau vor der Einäscherung zur Verbrechensaufklärung beitragen. Es soll insoweit abgesichert werden, dass Leichen nicht ohne weiteres eingeäschert und alle auf eine Straftat hindeutenden Indizien dadurch irreversibel vernichtet werden. Nicht angezeigt ist hingegen, wieso diese Ziele nur dadurch erreicht werden können, dass Krematorien staatlich betrieben werden. Es gibt weder Anzeichen, noch einen irgendwie gearteten Erkenntnissatz, dass Private eine Feuerbestattung nicht ebenso würdevoll, als auch den bestattungsrechtlichen Vorschriften entsprechend, durchführen könnten. So erklärt sich auch, dass sowohl die Errichtung, als auch der Betrieb von Krematorien durch Private in anderen Bundesländern beanstandungsfrei abläuft. Ebenso wenig ist angezeigt, dass die Versorgung des Bundeslandes Berlins mit Krematoriumsplätzen nicht mehr hinreichend gesichert ist, wenn Krematorien auch privat betrieben werden. Folglich fehlen auch jedwede Anzeichen für eine irgendwie geartete Seuchengefahr. Ein Staatsmonopol zu Gunsten der Errichtung und des Betriebes von Krematorien ist mit dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG somit nicht zu vereinbaren.

cc) Aus diesem Befund allein folgt jedoch noch nicht die Verfassungswidrigkeit von § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Norm einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich wäre. Sowohl dem Wortlaut des § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE, als auch dem hierzu ergangenen Gesetzgebungsmaterial fehlt es aber an der hinreichenden Eindeutigkeit dahingehend, dass die private Errichtung von Krematorien und deren Betrieb „um jeden Preis“ zu vermeiden sind. Die Norm kann infolgedessen verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass es sich – wie etwa auch bei der Baugenehmigung – nur um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt. Private bedürfen insoweit nur einer bestattungsrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Krematoriums. Eine derartige Interpretation mag zwar auf den ersten Blick dazu führen, dass die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Genehmigung zu erteilen sind, nicht ersichtlich sind und die Vorschrift daher zu unbestimmt ist. Gleichwohl können der Vorschrift im Systemkontext mit den anderen Vorschriften des BestattG BE die notwenigen Konturen abgenommen werden. Die Genehmigung ist demnach dann zu erteilen, wenn der potentielle private Errichter bzw. Betreiber eines Krematoriums die bestattungsrechtlichen Vorgaben einhält.

dd) Die insoweit vorzunehmende verfassungskonforme Auslegung bedingt jedoch, dass es nach wie vor einer Übertragung bzw. Genehmigung zur Errichtung bzw. zum Betrieb eines Krematoriums bedarf. Der Feststellungsantrag ist somit unbegründet.

c) Ergebnis

Der Hauptantrag der Klage ist somit zulässig, aber unbegründet. Es bestehen keine Erfolgsaussichten.

2) Hilfsantrag der Klage

Der Hilfsantrag der Klage auf Neubescheidung wird Erfolg haben, wenn er zulässig und begründet ist.

a) Zulässigkeit

aa) Statthaft für das Begehren (§ 88 VwGO) auf Neubescheidung ist die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE verleihen nach der vorstehend geschilderten verfassungskonformen Auslegung auch ein subjektives Recht, das P jedenfalls möglicherweise zustehen könnte. Sie ist somit auch nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Die Durchführung eines Vorverfahrens war nach § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwGO entbehrlich.

bb) Dem Rechtsschutzbedürfnis könnte jedoch entgegenstehen, dass P nie selbst einen Antrag auf Übertragung der Errichtung und des Betriebs eines Krematoriums gestellt hat. Womöglich ist P jedoch in die Rechte und Pflichten des von der KG eingeleiteten Verwaltungsverfahrens eingetreten. Die KG hat schließlich einen Antrag gestellt, der ablehnend beschieden wurde. Ein derartiges Eintreten könnte jedoch nur dann angenommen werden, wenn es sich bei der KG und P um eine identische Rechtspersönlichkeit handelt oder aber P öffentlich-rechtliche Rechtsnachfolgerin der KG ist.

Das Vorliegen einer identischen Rechtspersönlichkeit gilt es jedoch unterdessen abzulehnen. Es hat eben nicht nur ein identitätswahrender Formwechsel der Gesellschaft stattgefunden. Vielmehr wurde die ehemals bestehende KG durch den Austritt des vorletzten Gesellschafters vollständig aufgelöst. Das Gesellschaftsvermögen ist derweil auf P als einzig verbliebene Gesellschafterin übergegangen. Es handelt sich folglich um zwei verschiedene Rechtspersönlichkeiten.

Mit Blick auf eine etwaige öffentlich-rechtliche Rechtsnachfolge muss differenziert werden. Es gibt Entscheidungen über Genehmigungen, die allein sachbezogen erteilt werden und daher auch ohne weiteres nachfolgefähig sind. Anders ist dies hingegen bei Entscheidungen über Genehmigungen, deren Erteilung nicht nur auf Sachgründen beruht, sondern bei denen auch personenbezogene Gründe eine Rolle spielen. Zu jenen Gründen zählen etwa Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit, die Zuverlässigkeit oder die Sachkunde. Derartige Entscheidungen über Genehmigungen können nicht ohne weiteres übergehen. Im Falle der Übertragung nach § 18 Abs. 4 BestattG BE stehen jedoch auch solche Faktoren in Rede: Es geht eben auch darum, ob die antragstellende Person die persönliche Eignung besitzt, einen würdevollen Umgang mit sterblichen Überresten und ein gesundheitlich unbedenkliches Vorgehen bei der Verbrennung zu gewährleisten. Auch die Unumkehrbarkeit des vorzunehmenden Prozesses gebietet ist, die Übertragbarkeit der Entscheidung auf einen anderen Rechtsträger nicht ohne weiteres hinzunehmen. Vielmehr muss der ganz konkrete Rechtsträger in den Blick genommen werden. Folglich ist eine öffentlich-rechtliche Rechtsnachfolge nicht anzunehmen.

Gleichwohl kann das Resultat aus vorstehenden Erkenntnissen nicht automatisch die Annahme sein, dass ein Rechtsschutzbedürfnis von P nicht besteht. Der Antrag wurde für den Fall der KG beschieden. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass ein neuer Antrag der P eine andere behördliche Entscheidung nach sich zieht. Dies verleitet zu der Annahme, dass es sich um eine bloße Förmelei handeln würde, wollte man der P ihr Rechtsschutzbedürfnis dadurch absprechen wollen, dass sie keinen Antrag auf Übertragung gestellt hat, deren Ergebnis bereits zum jetzigen Zeitpunkt klar vorgezeichnet ist. Das Rechtsschutzbedürfnis muss in diesem Fall daher grundsätzlich angenommen werden.

Nichts desto trotz kann kein vollumfängliches Rechtsschutzbedürfnis der P bejaht werden. P beabsichtigt schließlich nur die Errichtung des Krematoriums, den Betrieb desselbigen beabsichtigt sie hingegen auszulagern. Es ist insoweit kein eigenes Interesse der P dahingehend dargetan, dass sie selbst durch das Ausbleiben einer positiven Bescheidung über den Betrieb des Krematoriums betroffen wäre. Sie kann folglich diesbezüglich auch kein Rechtsschutzinteresse haben. Das notwendige Rechtsschutzbedürfnis besteht folglich in dieser Hinsicht nicht.

cc) Die Klageantrag ist folglich nur insoweit zulässig, als er die Verpflichtung zu einer ermessensfehlerfreien Bescheidung des auf Übertragung der Errichtung eines Krematoriums gerichtete Begehren der P zum Gegenstand hat.

b) Begründetheit

Begründet wäre der Hilfsantrag überdies, wenn P tatsächlich ein Anspruch auf Übertragung der Errichtung eines Krematoriums zustünde. Wie vorstehend bereits erörtert, normiert § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE keinen eigenen originären Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein Anspruch auf Übertragung besteht. Vielmehr kommt es darauf an, ob auf der Rechtsfolgenseite das in § 18 Abs. 4 BestattG BE vorgesehene Ermessen richtig ausgeübt wurde. Von der Beklagten werden Anträge auf Übertragung mit dem Argument abgelehnt, dass durch zwei landeseigene Krematorien ausreichende Kapazitäten bestünden. Darüber hinaus sei der Betrieb von Krematorien eine landeseigene Aufgabe, weil der Seuchenschutz und der würdevolle Umgang mit Toten durch einen Privaten nicht hinreichend gesichert wäre. Diese Erwägungen können eine ablehnende Entscheidung jedoch nicht begründen. Soweit die Beklagte argumentiert, dass es sich ausschließlich um eine landeseigene Aufgabe handelt, wird dies schon der notwendigen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift nicht gerecht. Aber auch für eine Bedürfnisprüfung lässt die Vorschrift keinen Raum. Es wurde bereits an anderer Stelle erörtert, dass eine Übertragung zu erteilen ist, wenn der private Errichter des Krematoriums die bestattungsrechtlichen Vorgaben einhält. Die Beklagte hätte also zu beurteilen, ob etwa die Räumlichkeiten geeignet sind, den Anforderungen des Bestattungsgesetzes gerecht zu werden und ob der Würde des Verstorbenen hinreichend Rechnung getragen wird. Das Vorhandensein landeseigener Krematorien vermag jedoch nicht begründen zu können, wieso die P den bestattungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht werden sollte. Vielmehr werden diese, wie von P zutreffend geschildert, vollumfänglich gewahrt. Die Beklagte hat insoweit zweck- und sachfremde Erwägungen angestellt, die einen Ermessensfehlgebrauch nach§ 114 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VwGO begründen.

c) Ergebnis

Der Hilfsantrag ist, soweit er zulässig ist, auch begründet. P hat nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ihres auf Übertragung der Errichtung gerichteten Begehrens.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des VG Berlin bringt viele Probleme mit, die sich ideal in einer Examensklausur verarbeiten lassen. Die Entscheidung erscheint in Teilen aber durchaus brisanter, als bisher geschildert. Das VG Berlin hat das Verfahren nämlich ursprünglich ausgesetzt und dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin vorgelegt, da es von der Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 3, 4 BestattG BE überzeugt war. Dieses hat die Vorlage aber als unzulässig abgewiesen (Beschl. v. 19.4.2023 – VerfGH 69/2). Danach kam die Kehrtwende. Entgegen seiner ursprünglichen Auffassung ist das VG Berlin nun nichtmehr von der Verfassungswidrigkeit der Norm, sondern von ihrer Zugänglichkeit zu einer verfassungskonformen Auslegung überzeugt. Die Argumentation, mit der es eine verfassungskonforme Auslegung ermöglicht, ist dabei aber durchaus angreifbar. Eine solche ist schließlich nur dann möglich, wenn nicht der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers oder die gesetzliche Entstehungsgeschichte dem entgegensteht (BVerfG, Beschl. v. 30.3.1993 – 1 BvR 1045/89, NJW 1993, 2861, 2863; BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11, NVwZ 2015, 510 Rn. 86). Das VG Berlin führt aber in Rn. 21 seines Urteils selbst aus, dass sich der „Entstehungsgeschichte […] deutlich der Wille des Gesetzgebers entnehmen [lässt], Feuerbestattungen als Verwaltungsmonopol beizubehalten“. Wenn das Gericht bei diesem Befund aber gleichwohl eine verfassungskonforme Auslegung für möglich erachtet, die sich dann zwangsläufig über diesen „deutlichen“ Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, erscheint dies durchaus beachtlich. Hier könnte man überzeugend sicherlich auch anderes argumentieren.

Die Entscheidung sollte jedenfalls Anlass geben, sich nochmals mit Fragen der verfassungskonformen Auslegung, der Klagehäufung, der Ermessensfehlerlehre und vor allem auch mit Art. 12 GG zu befassen.

06.10.2023/1 Kommentar/von Simon Mantsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2023-10-06 10:36:002023-10-06 10:36:01VG Berlin über gesetzliches Staatsmonopol zu Gunsten der Errichtung und des Betriebes von Krematorien
Dr. Lena Bleckmann

COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein

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Kaum ein Thema hat in der vergangenen Woche die Diskussion um neue Präventionsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 so dominiert wie die Beherbergungsverbote. Diese wurden von einigen Bundesländern aufgrund stark ansteigender Fallzahlen eingeführt, andere wiederum verweigerten vergleichbare Maßnahmen. Nicht nur diese Uneinheitlichkeit stand in der Kritik – auch die Wirksamkeit solcher Beherbergungsverbote zur Pandemiebekämpfung wurde bezweifelt.
Nun liegen erste Eilentscheidungen der zuständigen Gerichte vor, und es zeigt sich: Einheitlichkeit wird auch die Rechtsprechung hier vorerst nicht herbeiführen. Im Folgenden sollen die aktuellen Entscheidungen des VGH Mannheim, des OVG Lüneburg sowie des OVG Schleswig-Holstein in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Examensrelevanz – für Klausuren wie mündliche Prüfungen – liegt auf der Hand.
I. VGH Mannheim: Beherbergungsverbot außer Vollzug gesetzt
In Baden-Württemberg wurde die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land- oder Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik aufgehalten haben oder dort ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten wurde, durch § 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot untersagt. Eine Ausnahme sollte nur möglich sein, wenn die betroffenen Gäste einen negativen Coronatest vorlegen konnten, der nicht älter als 48 Stunden ist. Die Reisebeschränkung soll nach Angaben der Landesregierung der Eindämmung des Pandemiegeschehens dienen.
Hiergegen wendete sich eine Familie aus dem Kreis Recklinghausen, in dem die kritische Marke bereits überschritten wurde, mit einem Eilantrag. Die Familie hatte einen mehrtägigen Urlaub in Baden-Württemberg gebucht und wollte diesen auch antreten.

Anmerkung: Das Land Baden-Württemberg hat in § 4 AGVwGO von der Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht, die Normenkontrolle auch gegen im Rang unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschriften zuzulassen. Bei dem Eilantrag gegen die Verordnung handelt es sich daher um einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen.

Das Gericht gab dem Antrag statt. Dies begründete es vorwiegend mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG. Der Eingriff in den Schutzbereich steht hier außer Frage. Kernstück der Prüfung dürfte die Verhältnismäßigkeit eines Verbots sein. Zugunsten der Verordnung ist hier – wie so häufig zur Rechtfertigung von Präventionsmaßnahmen in Zeiten der Pandemie – anzuführen, dass das Beherbergungsverbot dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient, da es Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit einer Großzahl von Personen abwenden soll und der Bewahrung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems dient. Gegen die Verhältnismäßigkeit eines Beherbergungsverbots spricht jedoch nach der Argumentation des VGH Mannheim ganz entscheidend, dass innerdeutsche Urlaubsreisen sowie der Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben bisher kein Treiber der Pandemie gewesen sind. Dies seien vielmehr Feiern in größeren Gruppen sowie der Aufenthalt in engen Räumen. Ein Zusammenhang zwischen der Beherbergung und einem besonders hohen Infektionsrisiko bestehe nicht, zumal in Beherbergungsbetrieben nicht zwangsläufig eine größere Zahl von Menschen aufeinandertreffen würde. Dass daher gerade Beherbergungsbetriebe im Gegensatz zu Bars und Vergnügungsstätten Beschränkungen unterworfen werden sollen, erschließe sich nicht.
Hieran soll auch die Befreiungsmöglichkeit aufgrund eines negativen Coronatests nichts ändern: Ob ein solcher in der vorgegebenen Zeit überhaupt erlangt werden könne, sei nicht gesichert. Den Betroffenen sei es daher nicht zumutbar, sich auf diese Möglichkeit der Befreiung verweisen zu lassen.
Insgesamt wurde das baden-württembergische Beherbergungsverbot daher mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen: VGH Mannheim, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
II. OVG Lüneburg: Niedersächsisches Beherbergungsverbot ebenfalls außer Vollzug gesetzt
Ähnlich entschied das OVG Lüneburg zum niedersächsischen Beherbergungsverbot. Dieses war in § 1 der Niedersächsischen Corona-Berherbergungs-Verordnung vorgesehen. Der Betreiber eines Ferienparks wendete sich wiederum mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen das Verbot und hatte Erfolg.
Das niedersächsische Verbot ist nach Ansicht des OVG Lüneburg bereits zu unbestimmt, da es Personen „aus“ Risikoverbieten erfasse, ohne zu präzisieren, ob sie dort ihren Wohnsitz haben oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten.
Weiterhin bezweifelte das Gericht die Notwendigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme:

 „Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, „triftiger Reisegrund“ und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten.“ (OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020).

Im Übrigen argumentierte das Gericht vergleichbar dem VGH Mannheim mit dem fehlenden Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben und dem Infektionsgeschehen. Das Verbot stelle insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber nach Art. 12 GG dar, der auch nicht durch die geltenden Ausnahmen so abgemildert werde, dass eine Verhältnismäßigkeit der Regelung bestehe. Auch hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit, innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen negativen Coronatest zu erlangen, entspricht die Argumentation des Gerichts der das VGH Mannheim.
Auch das niedersächsische Beherbergungsverbot wurde daher vorläufig außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
III. OVG Schleswig-Holstein: Beherbergungsverbot bleibt in Kraft
Anders entschied demgegenüber das Schleswig-Holsteinsche Oberverwaltungsgericht. Vor dem Hintergrund der stark ansteigenden Infektionszahlen sah sich das Gericht nicht in der Lage, das dort geltende Beherbergungsverbot außer Vollzug zu setzen. Dies könnte zu einem unkontrollierten Anreisen von Touristen nach Schleswig-Holstein führen, was die öffentliche Gesundheit gefährden würde. Im Rahmen der Folgenabwägung müsse eine Entscheidung daher zugunsten des Beherbergungsverbots ausfallen.
(Siehe zum Ganzen die Zusammenfassung der FAZ , eine Pressemitteilung des Gerichts steht noch aus).
IV. Ausblick
Wie so oft zeigt sich: Mit guter Argumentation sind verschiedene Lösungen vertretbar. Die Entscheidungen sollten Studenten wie Examenskandidaten Anlass geben, die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie die Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu wiederholen. Ein Augenmerk sollte auch auf den Unterschieden, die sich aus der Situation des Antragstellers ergeben, liegen: Während das baden-württembergische Verbot an Art. 11 GG gemessen wurde, kam es in Niedersachsen auf die Vereinbarkeit mit Art. 12 GG an. 
Im Übrigen sollte im Hinblick auf anstehende Klausuren und mündliche Prüfungen die aktuelle Rechtsprechung zum Pandemiegeschehen im Blick gehalten werden – an den Beherbergungsverboten zeigt sich besonders deutlich, dass sich diese hervorragend in juristische Prüfungen einbinden lässt. 

16.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-10-16 09:15:592020-10-16 09:15:59COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein
Tobias Vogt

800 qm Grenze für Ladenöffnungen verfassungswidrig! Oder doch nicht?

Examensvorbereitung, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Zum Schutz vor einer weiteren Verbreitung des Covid-19 Virus wurden auf Landesebene Verordnungen erlassen, die nur eine Öffnung von Läden mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 qm erlauben. Größere Geschäfte müssen geschlossen bleiben. Aufsehen erregten die Beschlüsse des VG Hamburg sowie des BayVGH, die die entsprechenden Regelungen als verfassungswidrig einstuften. Jedoch judizierten mittlerweile das OVG NRW, OVG Niedersachen, das OVG Berlin-Brandenburg sowie das OVG Hamburg, die die 800 qm Beschränkung nicht beanstandeten. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über diese teils divergierenden Entscheidungen geben, die sich aufgrund ihrer Aktualität und ihrem Schwerpunkt in der Prüfung von Art. 12 und Art. 3 des GG hervorragend für eine Examensklausur oder mündliche Prüfung eignen.
I. Woher stammt die 800 qm Grenze?
Als die Verordnungen mit der Beschränkung der Ladenöffnung auf Verkaufsflächen von bis zu 800 qm bekannt gemacht worden sind, löste dies in vielen Teilen der Bevölkerung Verwunderung aus: Warum gerade 800 qm? Die auf den ersten Blick völlig willkürlich gesetzte Grenze hat ihren Ursprung im öffentlichen Baurecht. Dort gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Betriebe mit Verkaufsflächen mit mehr als 800 qm als großflächige Einzelhandelsbetriebe im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10/04). Der Gesetzgeber greift also auf eine anerkannte Begrenzung zurück. Offen bleibt jedoch – zunächst – die Frage ob diese aus dem Baurecht stammende Grenze zulässigerweise auf das Gebiet des Infektionsschutzes übertragen werden kann.
II. Aktuelle Rechtsprechung
Mit dieser Frage hatten sich in den letzten Wochen auch schon mehrere Gerichte im Rahmen von Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz auseinanderzusetzten. Daher zunächst eine (knappe) Darstellung einiger dieser Beschlüsse:
VG Hamburg, Beschluss vom 21.04.2020 (AZ.: 3 E 1675/20)
Das VG Hamburg sah in der 800 qm Grenze einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit. Sie verneinte schon die Geeignetheit der 800 qm Grenze, den Zwecken des Infektionsschutzes zu dienen und führte hierzu aus: „Für die Annahme […], dass von großflächigen Einzelhandelsgeschäften eine hohe Anziehungskraft für potentielle Kunden mit der Folge ausgeht, dass allein deshalb zahlreiche Menschen die Straße der Innenstadt und die Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs benutzen werden, liegt keine gesicherte Tatsachenbasis vor.“ Die aus dem Baurecht resultierenden Grundsätze können laut VG Hamburg nicht übertragen werden, da sie einer geordneten Stadtentwicklungsplanung und nicht dem Infektionsschutz dienen.
Der Beschluss des VG Hamburg wurde eine Woche später vom OVG Hamburg aufgehoben:
OVG Hamburg, Beschluss vom 30.04.2020 (Az.: 5 Bs 64/20)
Das OVG Hamburg stufte nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung die Beschränkung der Verkaufsfläche auf 800 qm als rechtmäßig ein. Nach Ansicht des OVG Hamburg weist auf den weiten Entscheidungsspielraum des Verordnungsgebers hinsichtlich Geeignetheit und Erforderlichkeit von Maßnahmen hin, der insbesondere bei der Beurteilung komplexer Gefahrenlagen wie der aktuellen Gefahren aufgrund des neuartigen Coronavirus bestehe. Die Einschätzung des Verordnungsgebers, eine Beschränkung der zulässigen Verkaufsfläche auf 800 qm trage maßgeblich zum Gesundheitsschutz bei, sei nachvollziehbar und stichhaltig. Die Stadt Hamburg dürfe davon ausgehen, dass anhand einer typisierenden Betrachtung von großflächigen Einzelhandelsgeschäften eine große Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausgehe und dies wiederum die Infektionsgefahr verstärke. Es bestünde zudem ein erhöhter Kontrollaufwand hinsichtlich der Einhaltung von Hygienemaßnahmen. Eine vollständige Öffnung des Einzelhandels könne zudem suggerieren, die Corona-Krise sei nun überwunden.
So entschieden im Ergebnis und mit ähnlicher Begründung auch das OVG Niedersachsen, Beschluss vom 27.04.2020 (Az.: 13 MN 98/20), OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.04.2020 und 29.04.2020 (Az.: OVG 11 S 28/20 und OVG 11 S 30.20 sowie OVG 11 S 31.20) und das OVG NRW, Beschluss vom 29. April 2020 (Az.: 13 B 512/20.NE).
BayVGH, Beschluss vom 27.04.2020 (Az.: 20 NE 20.793)
Der bayrische Verfassungsgerichtshof ordnete die Regelungen zur Ladenöffnung als unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ein. Im Wesentlichen stütze er dies jedoch nicht auf die 800 qm Grenze an sich, sondern darauf, dass nach der von ihm geprüften Verordnung bestimmte Einzelhandelsbetriebe wie Buchhandlungen oder Fahrradläden unabhängig von der Größe ihrer Verkaufsfläche öffnen dürfen. Diese Ungleichbehandlung sei aus infektionsschutzrechtlicher Sicht nicht gerechtfertigt.
III. Vorgehensweise in einer Prüfung
In einer Klausur dürfte es sich anbieten, zunächst die Vereinbarkeit der Verkaufsflächenbeschränkung mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG und sodann die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen.
Hinsichtlich Art. 12 GG ist dabei auf eine saubere Prüfung anhand der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei-Stufen-Theorie zu achten. Die Verkaufsflächenbeschränkung stellt hiernach eine Berufsausübungsbeschränkung dar, die durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls als legitimen Zweck gerechtfertigt werden kann.
Die Geeignetheit der Verkaufsflächenregelung kann nicht mit überzeugenden Gründen abgelehnt werden. Der Beschluss des VG Hamburg dient hier als Negativbeispiel, welchen Fehler man in einer Klausur nicht machen darf. Zur Feststellung der Geeignetheit einer Maßnahme ist es gerade nicht erforderlich, dass die Erreichung des Zwecks feststünde oder jedenfalls eine gesicherte Tatsachenbasis bestünde. Die Maßnahme muss nur geeignet sein, den Zweck zu fördern. Der Gesetzgeber genießt hierbei grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative. Gerade bei der Beurteilung einer komplexen Gefahrenquelle wie einer Pandemie und einer damit verbundenen dringenden Gefahr besteht ein weiter Entscheidungsspielraum. Ausreichend ist dann, dass die Erwägungen des Gesetzgebers nachvollziehbar sind.
In der Prüfung der Angemessenheit sollte darauf hingewiesen werden, dass – auch wenn es sich um eine bloße Berufsausübungsbeschränkung handelt – die Beschränkung der Verkaufsfläche immense wirtschaftliche Folgen haben kann und aufgrund dieser Eingriffsintensität eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn angezeigt ist. Die Beschränkung dient jedoch dem Schutz von Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen durch die drohenden weitere Verbreitung des Coronavirus. Der Staat hat insoweit eine aus Art. 2 Abs. 2 GG resultierende Schutzpflicht. Vieles spricht hier im Ergebnis für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme – insbesondere, da nach den Regelungen der entsprechenden Verordnungen jedem Betrieb die Ladenöffnung durch Begrenzung der aktuell genutzten Verkaufsfläche auf 800 qm ermöglicht wird.
Einen Schwerpunkt der Prüfung wird die Vereinbarkeit der Begrenzung auf 800 qm mit Art. 3 Abs. 1 GG sein. Dieser verbietet wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln.
Zunächst ist die Ungleichbehandlung anhand einer Vergleichsgruppe darzulegen. Die Vergleichsgruppe sind hier Einzelhandelsbetriebe. Diese werden ungleich behandelt, da nur Läden mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 qm öffnen dürfen.
Zur Rechtfertigung bedarf es eines sachgerechten, vernünftigen Grundes. Die Ungleichbehandlung darf nicht willkürlich sein. Der Gesetzgeber hat hier auf ein im Baurecht anerkanntes Kriterium zurückgegriffen. Zu diskutieren ist an dieser Stelle die Frage, ob die Erwägungen des Bauplanungsrechts auf das Infektionsschutzrecht übertragbar sind. Ansonsten wäre das Unterscheidungskriterium sachfremd und damit in Hinblick auf die konkrete Maßnahme willkürlich. Es sprechen hier wohl die besseren Gründe für eine sachgerechte Übertragung der aus dem Bauplanungsrecht resultierenden Bewertungen auch auf den Infektionsschutz. Denn die Einordnung und gesonderte Behandlung von Läden mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 qm als großflächige Einzelhandelsbetriebe beruht auf der Annahme, dass solche Einzelhandelsbetriebe aufgrund ihres typischerweise breit aufgestellten Sortiments eine besonders große Anzahl an Kunden anziehen. Der Umstand, wie viele Personen sich zu einem bestimmten Laden begeben, hat auch hinsichtlich des Infektionsschutzes tragende Bedeutung. So besteht anerkanntermaßen bei einer größeren Ansammlung von Menschen ein höheres Infektionsrisiko. Auch wenn nicht in jedem Fall eine solche verstärkte Anziehungswirkung aufgrund einer Ladenfläche von mehr als 800 qm besteht, so ist  aufgrund der Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung und der Dringlichkeit der Maßnahmen eine pauschalisierte Betrachtung zulässig. Das OVG NRW begründet die Zulässigkeit einer pauschalen Betrachtungsweise so: „Durchgreifende Bedenken bestehen gegenwärtig auch nicht deshalb, weil der Verordnungsgeber pauschal auf die Verkaufsflächengröße abstellt, ohne vorab zu ermitteln, ob von Handelseinrichtungen mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 qm generell oder im Einzelfall wegen ihrer Anziehungskraft besondere Infektionsrisiken ausgehen. Abgesehen davon, dass wegen des akuten Handlungsbedarfs die Einholung aufwändiger und validierter Gutachten kurzfristig kaum möglich wäre, ist das Kriterium der Verkaufsfläche im Sinne des Einzelhandelserlasses NRW für die Betroffenen Geschäftsinhaber und Ordnungsbehörden verständlich und handhabbar. Die mit dem alleinigen Abstellen auf die Verkaufsfläche verbundene Typisierung erscheint zudem für die Wirksamkeit der Beschränkungen wesentlich.“
Die vom BayOVG beanstandete Ungleichbehandlung hinsichtlich einiger privilegierter Einzelhandelsbranchen wie Buch- und Fahrradläden dürfte dagegen in der Tat unzulässig sein, wenn nicht Gründe ersichtlich sind, aus denen sich ergibt, dass die generelle Annahme einer verstärkten Anziehungskraft bei einer größeren Verkaufsfläche hier nicht zutreffend sei.
IV. Fazit
Die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der zulässigen Verkaufsfläche im Einzelhandel auf 800 qm ist anhand von Art. 12 GG und Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen.
Vieles spricht für die Zulässigkeit dieser Beschränkung
Entscheidend für die Beurteilung des Vorliegens eines erforderlichen sachlichen Grundes zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ist die Frage der Übertragbarkeit der 800 qm Grenze aus dem Bauplanungsrecht. Da die im Bauplanungsrecht anerkannte Annahme, dass typischerweise von Verkaufsflächen über 800 qm eine erhöhte Anziehungskraft auf Kunden ausgeht, ist auch für den Infektionsschutz von Belang, sodass die Ungleichbehandlung wohl gerechtfertigt sein dürfte.
Dagegen dürfte die Privilegierung von bestimmten Einzelhandelsgeschäften gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
Entscheidend wird in der Klausur wie so oft eine fundierte Begründung sein.

05.05.2020/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-05-05 10:00:352020-05-05 10:00:35800 qm Grenze für Ladenöffnungen verfassungswidrig! Oder doch nicht?
Dr. Lena Bleckmann

BVerfG: Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß

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Der vergangene Woche veröffentlichte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen in Hessen (Az. 2 BvR 1333/17) hat viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Mit den Grundrechten der Religions- und Berufsfreiheit werden absolute Klassiker des Verfassungsrechts relevant – die Kenntnis der Entscheidung dürfte daher in Zukunft sowohl von Examenskandidaten, als auch von jüngeren Semestern erwartet werden. Nicht zuletzt macht auch die Abgrenzung zu anderen Fällen des Kopftuchverbots die Entscheidung besonders interessant für Klausuren und mündliche Prüfungen.
Sachverhalt (gekürzt und abgewandelt)
A ist deutsche Staatsbürgerin und seit 2017 Rechtsreferendarin im Land Hessen. In der Öffentlichkeit trägt sie ein Kopftuch, was sie als Ausdruck ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung und Neutralität versteht.
Rechtsreferendare in Hessen werden in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis berufen. Für sie gelten im Wesentlichen die Vorschriften für Beamte auf Widerruf (§ 27 I 2 JAG Hessen), insbesondere auch § 45 HGB, der lautet:

1Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. 2Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. 3Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen.

Aus einem diesbezüglich ergangenen Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz folgte, dass Referendarinnen, die während der Ausbildungszeit ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeiten ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden können. Das heißt insbesondere, dass sie bei Verhandlungen nicht auf der Richterbank, sondern nur im Zuschauerraum sitzen dürfen, keine Sitzungsleitung oder Beweisaufnahme durchführen, Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen oder Anhörungsausschutzsitzungen leiten können.Ursprünglich war vorgesehen, dass entsprechende Teile der Ausbildung, die so nicht abgeleistet werden konnten, mit „ungenügend“ bewertet wurden. Dies wurde in der Folgezeit geändert, vielmehr sollte der Umstand fortan keinen Einfluss auf die Gesamtbewertung haben, sondern der entsprechende Abschnitt schlicht als „konnte nicht erbracht werden“ gekennzeichnet werden.
Nachdem A bereits 2017 mit einer Beschwerde und einem Eilantrag gem. § 32 BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war, klagte sie erfolglos vor den Verwaltungsgerichten. Gegen die Entscheidung des VGH Kassel legte sie Verfassungsbeschwerde ein.
Entscheidung
Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der A nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG, §§ 90 ff. BVerfGG wirft keine großen Probleme auf: A ist als natürliche Person und Grundrechtsträgerin beschwerdefähig und kann geltend machen, durch das Urteil des VGH Kassel als Akt öffentlicher Gewalt möglicherweise selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihrer Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG sowie ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG und ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG verletzt zu sein. Der Rechtsweg ist erschöpft und der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt. Das BVerfG bejaht auch nach Abschluss der betroffenen Ausbildungsabschnitte ausdrücklich das Rechtsschutzbedürfnis aufgrund der Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Von der form- und fristgerechten Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist auszugehen.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn A durch das letztinstanzliche Urteil in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wurde.
Hierbei ist wie stets darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht keine Superrevisionsinstanz ist. Es überprüft im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde die Entscheidung des Fachgerichts nicht auf die Vereinbarkeit mit dem einfachen Recht, sondern nur im Hinblick auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.

Beachte: Die Urteilsverfassungsbeschwerde ist zweistufig zu prüfen, wobei der Bearbeiter sich von vorneherein über die Schwerpunktsetzung im Klaren sein sollte. Zumeist wird das Hauptproblem entweder auf der Stufe des zugrundeliegenden Gesetzes liegen, oder aber auf der Stufe des Einzelaktes. Dies sollte aus der Klausur klar hervorgehen. Im vorliegenden Fall liegt der Schwerpunkt erkennbar bei der Normprüfung.

I. Verletzung der Religionsfreiheit
A könnte in ihrem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG verletzt sein. Das ist der Fall, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt, der nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.
1. Eingriff in den Schutzbereich
Das BVerfG bejaht unproblematisch einen Eingriff in den Schutzbereich:

„Die der Beschwerdeführerin auferlegte und vom Verwaltungsgerichtshof bestätigte Pflicht, bei Tätigkeiten, bei denen sie als Repräsentantin des Staates wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden könnte, die eigene Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen, greift in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte individuelle Glaubensfreiheit ein. Sie stellt die Beschwerdeführerin vor die Wahl, entweder die angestrebte Tätigkeit auszuüben oder dem von ihr als verpflichtend angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten.
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze.“ (Rz. 77, 78; Verweise im Zitat ausgelassen).

Insbesondere kann sich A auch im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses auf ihre Grundrechte berufen – sie ist durch das Verbot in ihrer persönlichen Rechtsstellung betroffen, insoweit gelten die Grundrechte auch in Sonderstatusverhältnissen. Auch steht dem Grundrechtsschutz nicht entgegen, dass im Islam unterschiedliche Ansichten zu Bekleidungsvorschriften vertreten werden.
2. Rechtfertigung
Der Eingriff könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Das ist der Fall, wenn das Grundrecht beschränkbar ist und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit („Schranken-Schranken“) eingehalten wurden.
Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist vorbehaltslos gewährleistet. Eine Beschränkung ist dennoch aufgrund verfassungsimmanenter Schranken, namentlich Grundrechten Dritter oder sonstige Werte von Verfassungsrang, möglich. Auch die Beschränkung aufgrund verfassungsimmanenter Schranken bedarf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.
Als einschränkendes Gesetz kommt hier § 27 I 2 JAG i.V.m. § 45 HBG in Betracht. An dessen formeller Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Zweifel. Hinsichtlich der Bestimmtheit der Norm führt das BVerfG aus:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehlt die notwendige Bestimmtheit nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn die Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können. Es ist in erster Linie Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen. Dass dies vorliegend nicht möglich wäre, ist nicht erkennbar. Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, es könne anhand des § 45 Satz 2 HBG nicht definiert werden, worin die „objektive Eignung“ eines muslimischen Kopftuchs bestehe, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung des Beamten zu beeinträchtigen oder den religiös-weltanschaulichen Frieden zu gefährden, macht sie inhaltlich nicht geltend, dass die Norm zu unbestimmt sei, sondern, dass deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Hiermit stellt sie nicht die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage, sondern die der Rechtsanwendung infrage.“ (Rz. 85, Verweise im Zitat ausgelassen).

Das Gesetz dürfte auch nicht gegen Grundrechte verstoßen.

Beachte: Hierbei handelt es sich um eine einzelaktsunabhängige Grundrechtsprüfung. Die Frage ist, ob das Gesetz schon von sich aus in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreift und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit beachtet.

§ 27 I 2 JAG i.V.m. § 45 HBG greift durch das Verbot, religiöse Symbole zu tragen, schon von sich aus in den Schutzbereich der Religionsfreiheit ein. Dies könnte jedoch zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts erfolgen. Als kollidierende Verfassungsgüter kommen die Neutralitätspflicht des Staates, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht.
Zur Neutralitätspflicht führt das BVerfG aus:

„Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist.“ (Rz. 87, Verweise im Zitat ausgelassen).
Hierbei entspricht die Verpflichtung des Staates zur Neutralität einer Verpflichtung seiner Amtsträger: Der Staat kann nur durch seine Amtsträger handeln, sodass diese das Neutralitätsgebot zu wahren haben, soweit ihr Handeln dem Staat zugerechnet wird.
Hier ist eine besondere Betrachtung des Einzelfalls erforderlich. Nicht jede Handlung eines staatlich Bediensteten ist dem Staat in gleicher Weise zuzurechnen. Daher wurde ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an einer bekenntnisfreien Schule als verfassungswidrig erachtet: Ein solches Bekenntnis wird dem Staat nicht zwingend als eigenes zugerechnet (siehe hierzu BVerfGE 138, 296). Die Situation vor Gericht ist indes besonders dadurch geprägt, dass der Staat dem Bürger klassisch-hoheitlich gegenübertritt. Auch ist eine besondere Formalität und Konformität dadurch gegeben, dass die Richter eine Amtstracht tragen.
„Das unterscheidet die formalisierte Situation vor Gericht, die den einzelnen Amtsträgern auch in ihrem äußeren Auftreten eine klar definierte, Distanz und Gleichmaß betonende Rolle zuweist, vom. Aus Sicht des objektiven Betrachters kann insofern das Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Richterin oder eine Staatsanwältin während der Verhandlung als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat zugerechnet werden.“ (Rz. 90, Verweise im Zitat ausgelassen).

Als weiteres Gut von Verfassungsrang ist die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und insoweit insbesondere das Vertrauen der Bürger in die Justiz zu berücksichtigen. Zwar sein ein absolutes Vertrauen nicht zu erreichen, der Staat habe sich jedoch um Optimierung zu bemühen.

„Auch wenn das religiöse Bekenntnis einzelner Amtsträger allein nicht gegen deren sachgerechte Amtswahrnehmung spricht, kann die erkennbare Distanzierung des einzelnen Richters und der einzelnen Richterin von individuellen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen bei Ausübung ihres Amtes zur Stärkung des Vertrauens in die Neutralität der Justiz insgesamt beitragen und ist umgekehrt die öffentliche Kundgabe von Religiosität geeignet, das Bild der Justiz in ihrer Gesamtheit zu beeinträchtigen, das gerade durch eine besondere persönliche Zurücknahme der zur Entscheidung berufenen Amtsträger geprägt ist.“ (Rz. 92, Verweise im Zitat ausgelassen).

Durch religiöse Symbole im Gerichtssaal kann außerdem die negative Religionsfreiheit Dritter beeinträchtigt sein. Diese umfasst u.a. die Freiheit, sich religiösen Handlungen eines fremden Glaubens zu entziehen und ist beeinträchtigt, wenn der Einzelne sich ohne Entziehungsmöglichkeit solchen Bekenntnissen ausgesetzt sieht.

„Der Gerichtssaal stellt einen solchen Raum dar, in dem der Anblick religiöser Symbole im vorgenannten Sinne unausweichlich sein kann, wenn der Staat ihre Verwendung nicht untersagt. Hiermit kann für einzelne Verfahrensbeteiligte eine Belastung einhergehen, die einer grundrechtlich relevanten Beeinträchtigung gleichkommt“ (Rz. 95).

Nicht beeinträchtigt ist nach dem BVerfG hingegen das Gebot der Unparteilichkeit der Richter: Das Tragen eines religiösen Symbols genüge für sich genommen nicht aus, Zweifel an dessen Objektivität zu begründen. Auch bestehe kein genereller Schutzanspruch für den gesellschaftlich-religiösen Frieden, der es gebiete, Richtern das Tragen religiöser Symbole zu untersagen.
Die widerstreitenden Verfassungsgüter sind im Wege praktischer Konkordanz zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Zu berücksichtigen ist der hohe Wert der Glaubensfreiheit der Amtsträger. Zugunsten der A ist zu bedenken, dass es keinen anderen Weg gibt, das zweite juristische Staatsexamen zu erreichen, als den Vorbereitungsdienst abzuleisten. Auch ist das Tragen des Kopftuchs für sie nicht bloß eine Option, sondern wird von ihr als imperatives religiöses Gebot empfunden. Demgegenüber streitet zugunsten der Verfassungsmäßigkeit der Regelung, dass sich das Verbot auf einzelne Tätigkeiten beschränkt. Auch wird bei den betroffenen Tätigkeiten die Justiz als solche nach außen verkörpert, sodass die Werte, die das Grundgesetz insoweit vorsieht, besonders zu achten sind. (Siehe für die ausführliche Abwägung die Rz. 101 ff. der Entscheidung). Letztlich kommt dem Gesetzgeber in diesem Bereich eine Einschätzungsprärogative zu:

„Hiervon ausgehend ist der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs und die ihm zugrundeliegende Auslegung von § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG in Verbindung mit § 45 HBG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der konkreten Ausgestaltung des verfahrensgegenständlichen Verbots kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen vorliegend ein derart überwiegendes Gewicht zu, das verfassungsrechtlich dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren“ (Rz. 102).

Insoweit ist der Eingriff in die Religionsfreiheit gerechtfertigt.
II. Verletzung sonstiger Grundrechte
Zu einem Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG führt das BVerfG aus:

„Das gegen die Beschwerdeführerin ausgesprochene und im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren bestätigte Verbot, die genannten sitzungsdienstlichen Aufgaben mit Kopftuch wahrzunehmen, greift in diesen Gewährleistungsgehalt ein. Die Ausbildungsfreiheit garantiert aber keinen weitergehenden Schutz als die schrankenlos gewährleistete Religionsfreiheit. Selbst unter der Annahme, dass im Einzelfall die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen wäre, wenn ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot in Frage steht, wären die vom Landesgesetzgeber verfolgten Ziele der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates, der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und des Schutzes der negativen Religionsfreiheit Dritter besonders gewichtige Gemeinschaftsbelange, die die Regelung rechtfertigen.“ ( Rz. 110).

Ebenso ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus den gleichen Gründen gerechtfertigt.
Das Gesetz erweist sich insgesamt als verfassungsgemäß. Auch das Urteil des VGH Kassel beruht auf einer verfassungskonformen Anwendung des Gesetzes. A ist durch das Urteil nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Folgen für die Ausbildung
Die Entscheidung des BVerfG könnte weitgehend ohne Abwandlungen so als Klausur gestellt werden. Dem Bearbeiter bietet sich ein weiter Argumentationsspielraum und die Möglichkeit, den sicheren Umgang mit der Urteilsverfassungsbeschwerde und dem Grundrecht der Religionsfreiheit unter Beweis zu stellen.
Insbesondere in Abgrenzung zu früheren Entscheidungen (z.B. Kopftuchverbot für Lehrerinnen) dürfte vorliegendes Urteil relevant werden, sodass sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Argumenten anbietet. Die Entscheidung ist konkret auf Rechtsreferendarinnen bezogen – indes dürfte ähnliches für Richterinnen und Staatsanwältinnen gelten. Entsprechende Entscheidungen bleiben abzuwarten.

02.03.2020/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-03-02 08:30:452020-03-02 08:30:45BVerfG: Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß
Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Luftverkehrssteuer verfassungskonform

Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat mit Urteil vom 5.11.2014 – 1 BvF 3/11 entschieden, dass die ab dem 1.1.2011 in Deutschland geltende Luftverkehrssteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Fall beinhaltet verschiedene rechtliche Aspekte, die sowohl in Gänze als auch in Teilen in einer Examensklausur oder einer mündlichen Prüfung geprüft werden könnten. Zudem kann der Fall als kleines verfassungsrechtliches Repititorium dienen.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Das Luftverkehrsteuergesetz begründet eine Steuerpflicht für die in Deutschland ab dem 1. Januar 2011 startenden Abflüge von Fluggästen, die von einem gewerblichen Luftverkehrsunternehmen transportiert werden, nicht aber für private Flüge und Frachtflüge. Von der Besteuerung ausgenommen sind ferner Flüge zu hoheitlichen, militärischen und medizinischen Zwecken, Versorgungsflüge von und zu Nordseeinseln sowie Transit- und Transferflüge. Neben der Erzielung von Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro jährlich soll die Abgabe nach der Gesetzesbegründung lenkend wirken, indem sie Anreize für ein umweltgerechteres Verhalten im Bereich des Flugverkehrs setzt. Die Regierung des Landes Rheinland-Pfalz hat das Luftverkehrsteuergesetz im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zur Prüfung gestellt.

Zweck der Regelung ist – neben der Generierung von Einnahmen – der Schutz der Umwelt; durch die Steuer und die hierdurch steigenden Preise erhofft man sich eine Lenkungswirkung für weniger Flüge und somit weniger Ausstoß von CO2.
II. Rechtsfragen
1. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
Zunächst müsste das Luftverkehrssteuergesetz der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfallen. Neben den aus dem ersten Semester bekannten Zuständigkeitregelungen der Art. 70 ff. GG finden sich für die Steuergesetzgebung in Art. 105 GG besondere Kompetenzzuweisungen. Für die Luftverkehrssteuer ergibt sich die Zuständigkeit aus Art. 105 Abs. 1 Alt. GG i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG. Danach stehen dem Bund

die Straßengüterverkehrsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuern,

zu. Fraglich war, ob unter den Begriff des „sonstigen motorisierte Verkehrsmittel“ auch Flugzeuge fallen. Dies bestätigte das BVerfG überzeugend. In einer Prüfung müsste hier kurz argumentiert werden, dass mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 das Steuersetzungsrecht für das gesamte motorisierte Verkehrswesen dem Bund übertragen werden sollte. Hierfür spricht, dass eine je nach Bundesland differierende Luftverkehrssteuer wenig zielführend wäre.
2. Verstoß gegen Art. 80 GG durch Rechtsverordnungsermächtigung
In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob die in § 11 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz vorgesehene Rechtsverordnungsermächtigung den Anforderungen des Art. 80 GG genügt. Danach können qua Rechtsverordnung die Steuersätze jeweils mit Wirkung zu Beginn eines Kalenderjahres unter Berücksichtigung der Vorjahreseinnahmen aus dem Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten prozentual abgesenkt werden. Da sich in § 11 Abs. 2 S. 2 eine genaue Berechnungsmethode findet, erlaubt die Rechtsverordnung keine Entscheidung über „Ob“ und „Wie“ der Steuer, sondern vielmehr wird nur eine jährliche Neuberechnung ermöglicht. Der Exekutive bleibt also kein freier Entscheidungsspielraum wie hoch die Steuer nun ausfallen soll – was mit dem in Art. 80 GG zum Ausdruck kommenden Demokratieprinzip auch nicht vereinbar wäre.
3. Verstoß gegen Art. 3 GG wegen Beschränkung auf gewerbliche Passagierflüge
Das Luftverkehrssteuergesetz normiert nur eine Steuer auf gewerbliche Passagierflüge, weswegen ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Steuerfreiheit von nicht-gewerblichen Passagierflügen sowie gewerblichen Frachtflügen in Betracht kommt. Bei Festlegung des tertium comparationes, also des Oberbegriffs zur Feststellung einer Ungleichbehandlung, wird man eine Vergleichbarkeit von gewerblichen und nicht-gewerblichen Flügen schon ablehnen müssen.
Hinsichtlich der Unterscheidung von Passagierflügen und Frachtflügen führt das BVerfG in der Pressemitteilung aus:

Mit der Belastung von gewerblichen Passagierflügen hat der Gesetzgeber den Steuergegenstand in verfassungsgemäßer Weise gewählt. Der Gesetzgeber war nicht aus Gleichheitsgründen gehalten, zugleich auch den privaten Flugverkehr und Frachtflüge mit der Luftverkehrsteuer zu belegen. Wegen seines weitgehenden, demokratisch legitimierten Spielraums bei der Auswahl von Steuergegenständen wird der Gesetzgeber vom Gleichheitssatz nicht gezwungen, nach einer einmal getroffenen Entscheidung für ein bestimmtes Steuerobjekt zugleich auch alle ähnlichen, für den Steuerzweck ebenfalls geeigneten Steuerobjekte in die Belastung einzubeziehen. Erst nachdem der Steuergegenstand ausgewählt ist, unterliegt der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Steuergesetzes engeren Bindungen aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt damit nicht vor. Das BVerfG verneint schon eine Ungleichbehandlung, so dass es auf eine Rechtfertigung nach Willkür- oder Neuer Formel nicht mehr ankommt.
4. Verstoß gegen Art. 3 GG wegen Ausnahme von Inselflügen und militärischen Flügen
Auch hinsichtlich der getroffenen Ausnahmen verneint das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Insoweit nimmt es allerdings an, dass eine zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vorliegt, die dann nach der Willkürformel (also mit Sachgrund) gerechtfertigt werden kann.

Die vom Luftverkehrsteuergesetz bestimmten Ausnahmen von der Steuerbelastung werden durch stichhaltige Sachgründe getragen. Die Steuerentlastung von Inselflügen sichert die Daseinsvorsorge für die Inselbewohner. Die Befreiung von Flügen zu militärischen und anderen hoheitlichen Zwecken rechtfertigt sich bereits aus dem gewählten Gegenstand der Besteuerung. Das Umsteigerprivileg soll die deutschen Flughäfen als internationale Drehkreuze schützten, indem sie in dieser Funktion einer geringeren Belastung unterliegen.

5. Verstoß gegen Art. 3 GG wegen Berechnung des Steuertarifs
Besonders interessant sind die Ausführungen des BVerfG zum Gleichheitssatz hinsichtlich der Berechnung der Luftverkehrssteuer. Diese richtet sich nicht nach der tatsächlichen Flugstrecke, sondern nach der Distanz zum größten Verkehrsflughafen des Ziellandes. Hierdurch kommt es zwangsläufig zu Verzerrungen bei der Berechnung, die aber laut BVerfG aus Vereinfachungsgründen zulässig seien:

Ungleiche Belastungen, die dadurch entstehen, dass die Höhe des Steuertarifs an den größten Verkehrsflughafen des Ziellandes statt an den tatsächlichen Zielflughafen anknüpft, führen nicht zur Unvereinbarkeit des vom Gesetzgeber bestimmten Steuermaßstabes mit Art. 3 Abs. 1 GG. Der für die Besteuerung maßgebliche Flughafen des Ziellandes mit dem größten Verkehrsaufkommen gibt nur bei wenigen sehr großen Ländern oder beim Flug in überseeische Territorien einiger Länder den Distanzmaßstab nicht korrekt wieder. Diese geringen Verwerfungen sind aus Vereinfachungsgründen gleichheitsrechtlich noch tragbar.

An dieser Stelle kann man mit guten Argumenten anderer Auffassung sein. Zwar gilt grundsätztlich, dass die Vereinfachung ein zulässiges Mittel bei der Berechnung eines Steuertarifs sind. Diese muss aber grosso modo die tatsächlichen Umstände wiederspiegeln. Ob dies bei Flügen in große, überseeische Staaten noch der Fall ist, kann angezweifelt werden. Man denke nur an die USA (Flug nach LA, Steuertarif New York –> günstiger für Flugunternehmen) oder Russland (Flug nach Wladiwostok, Steuertarif Moskau). Hier ist dann Argumentationskunst gefragt.
6. Verstoß gegen Art. 12 GG
Hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Berufsfreiheit kann sich kurz gefasst werden.
Für die Flugpassagiere hat die Besteuerung schon keine berufsregelnde Tendenz.
Für die Flugunternehmen liegt zwar ein Eingriff in die Berufsausübung vor („Wie“ = Stufe 1 der 3-Stufen-Lehre), der aber mit dem Aspekt des in Art. 20a GG als Verfassungsziel benannten Umweltschutzes gerechtfertigt werden kann.
III. Fazit
Das Luftverkehrssteuergesetz ist also verfassungskonform. Es stellen sich einige Einzelprobleme, die in eine Klausur oder mündliche Prüfung Einzug halten können. An einigen Stellen kann man mit guten Argumenten anderer Meinung sein, jedoch sollten die Besonderheiten der verfassungsrechtlichen Prüfung von Steuergesetzen bekannt sein.

14.11.2014/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-11-14 12:00:392014-11-14 12:00:39BVerfG: Luftverkehrssteuer verfassungskonform
Zaid Mansour

OVG Münster: Tätowierverbot von Tieren rechtmäßig

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Das OVG Münster hat kürzlich eine auf § 16a Satz 1 TierSchG gestützte behördliche Untersagungsverfügung, wonach ein Pony nicht mit der „Rolling-Stones-Zunge“ tätowiert werden darf, für rechtmäßig erklärt (Urteil v. 10.08.2012 – Az. 20 A 1240/11) und damit in der Sache den Beschluss des VG Münster (siehe dazu hier) bestätigt.
Der Kläger hatte ein Gewerbe für die Tätigkeit „Tatooservice für Tiere“ angemeldet und durch die Anfertigung einer Skizze auf dem rechten Oberschenkel des Ponys bereits teilweise umgesetzt. Die zuständige Behörde hatte ihm daraufhin per Ordnungsverfügung untersagt Tiere zu tätowieren oder tätowieren zu lassen. Die dagegen gerichtete Klage hatte vor dem OVG Münster keinen Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht folgte im Ergebnis der Auffassung des VG Münster (Beschluss v. 04.10.2010 – Az. 1 L 481/10), wonach das Tätowieren von Tieren mit dem Tierschutzrecht grundsätzlich nicht zu vereinbaren ist, es sei denn, das Tätowieren ist für Kennzeichnungszwecke erforderlich. § 1 Satz 2 TierSchG statuiert zunächst den Grundsatz, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen darf. Eine für den vorliegenden Fall möglicherweise einschlägige Ausnahme von dem Grundsatz aus § 1 Satz 2 TierSchG findet sich in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG.

(3) Eine Betäubung ist ferner nicht erforderlich
[…]
7. für die Kennzeichnung von Schweinen, Schafen, Ziegen und Kaninchen durch Ohrtätowierung, für die Kennzeichnung anderer Säugetiere innerhalb der ersten zwei Lebenswochen durch Ohr- und Schenkeltätowierung sowie die Kennzeichnung landwirtschaftlicher Nutztiere einschließlich der Pferde durch Ohrmarke, Flügelmarke, injektiertem Mikrochip, ausgenommen bei Geflügel, durch Schlagstempel beim Schwein und durch Schenkelbrand beim Pferd.

Eine ausschließlich modebedingte Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes eines Tieres, die nicht zum Zwecke der Kennzeichnung erfolgt, erfüllt den o.g. Ausnahmetatbestand nicht und stellt insoweit keinen vernünftigen Grund i.S.d. § 1 Satz 2 TierSchG dar. Ferner verstößt das ausschließlich der optischen Veränderung des Tieres dienende Tätowieren gegen § 6 Abs. 1 TierSchG. Danach ist das vollständige oder teilweise Zerstören von Gewebe eines Wirbeltieres verboten, wenn und soweit kein Ausnahmefall i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG gegeben ist.
Auch aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 TierSchG ergibt sich kein die Schmerzzufügung gestattender vernünftiger Grund.

(2) Eine Betäubung ist nicht erforderlich,
1. wenn bei vergleichbaren Eingriffen am Menschen eine Betäubung in der Regel unterbleibt oder der mit dem Eingriff verbundene Schmerz geringfügiger ist als die mit einer Betäubung verbundene Beeinträchtigung des Befindens des Tieres, […].

Dazu führte das VG Münster seinerzeit aus:

„Zwar erfolgen Tätowierungen am Menschen im Regelfall ohne Betäubung, was allerdings nicht bedeutet, dass der mit derartigen Eingriffen in die Haut verbundene Schmerz bei einem Tier zu vernachlässigen ist. […] Im Gegensatz zu einem Tier können sich Menschen auf die mit einer Tätowierung, die sie freiwillig vornehmen lassen, verbundenen Schmerzen einstellen. Anders als ein Tier können sie die Prozedur jederzeit unter- oder abbrechen lassen. Das Tier ist jedoch dem Willen des Tätowierers unterworfen.“

Ob und inwieweit das OVG Münster der Sichtweise des VG Münsters gefolgt ist, wonach die Tätigkeit „Tatooservice für Tiere“ als solche in grundrechtlicher Hinsicht wegen Art. 20a GG nicht in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG falle, kann derzeit nicht beantwortet werden, da die Urteilsgründe noch nicht vorliegen. Die aus Art. 20a GG resultierenden tierschutzrechtlichen Erwägungen können ebenso gut im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung fruchtbar gemacht werden, ohne die Eröffnung des Schutzbereichs der Berufsfreiheit generell zu versagen. Das dem Schutz der Tiere vor Schmerzen Vorrang gegenüber den wirtschaftlichen Interessen des Klägers zukommt, ist für den vorliegenden Fall im Ergebnis richtig und nicht zu beanstanden. Eine aus Tierschutzerwägungen erwachsende Schutzbereichsverkürzung erscheint indes nicht angezeigt. Einen ausführlicheren Beitrag zum normativen Inhalt von Art. 20a GG finden Sie hier. Ein Prüfungschema mit den wesentlichen examensrelevanten Problemen der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG finden Sie hier.

15.08.2012/2 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-08-15 10:40:562012-08-15 10:40:56OVG Münster: Tätowierverbot von Tieren rechtmäßig
Dr. Stephan Pötters

Ehec-Epidemie: Zulässigkeit staatlicher Warnungen

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Leitentscheidungen des BVerfG: Osho und Glykol
Die Ehec-Epidemie stellt einen aktuellen Anlass dar, um sich mit der verfassungsrechtlichen Problematik staatlichen Informationshandelns auseinanderzusetzen. Zur Zulässigkeit staatlicher Warnungen gibt es wichtige und stark umstrittene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Allen voran sind hier die Fälle „Osho“ (BVerfG v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279) und „Glykol“ (BVerfG v. 26.06.2002 – 1 BvR 558, 1428/91, BVerfGE 105, 252) zu nennen.  Bei dem ersten Fall ging es um negative Äußerungen von Bundes- und Landesregierungen zur sog. Osho-Bewegung, der letztere betrifft eine Warnung vor glykolhaltigem Wein.  Grade die Glykol-Entscheidung passt quasi 1:1 auf die Warnungen im Zusammenhang mit der Ehec-Epidemie. In beiden Fällen geht es um den Schutz von Verbrauchern vor gesundheitsschädlichen Lebensmitteln.
Leitlinien der Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht ist im Hinblick auf staatliches Informationshandeln großzügig. In der Regel wird bei sachgemäßer Information bereits ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG verneint, obwohl in der Regel nicht unerhebliche Konsequenzen für die Ausübung mancher Berufe bestehen – man denke etwa nur an einen Gurkenbauern oder Sprossenimporteur im Hinblick auf die Ehec-Krise oder an einen Weinbauern im Glykol-Fall. Nach der Glykol-Rechtsprechung beeinträchtigen „marktbezogene Informationen des Staates […] den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung sind dabei das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen.“
Auch was das Vorliegen einer staatlichen Ermächtigungsgrundlage betrifft, sind die Leitlinien in Osho und Glykol großzügig: „Die Bundesregierung ist auf Grund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden kann. Für das Informationshandeln der Bundesregierung im Rahmen der Staatsleitung bedarf es über die Zuweisung der Aufgabe der Staatsleitung hinaus auch dann keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung, wenn es zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt.“
Kritik seitens der Literatur
Von Seiten der Literatur wird diese Rechtsprechung überwiegend stark kritisiert (s. etwa jüngst Schoch, NVwZ 2011, 193).  So wird nicht zu Unrecht bemängelt, dass sich  diese Urteile nicht stimmig in die übliche Eingriffsdogmatik einfügen. Der weite Eingriffsbegriff/ die Lehre vom funktionalen Schutzbereich würde in solchen Fällen eigentlich das Vorliegen eines (mittelbaren) Eingriffs bejahen.  Auch ist es einmalig, dass Aufgabennormen (hier: Aufgabe der Staatsleitung) für eine Beschränkung grundrechtlich geschützten Handelns ausreichen.  Ein Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis ist idR gerade nicht möglich. Dies stellt eine Ausnahme vom Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes dar (kritisch hierzu Lepsius, JZ 2004, 350, 351).


Literaturhinweise zur Vertiefung:
– lesenswerter, kritischer Beitrag: Schoch, NVwZ 2011, 193
– s. ferner Möller, NJW 2005, 1973; Murswiek, NVwZ 2003, 1; Lepsius, JZ 2004, 350, 351
– klausurmäßige Bearbeitung der Problematik bei Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, Fall 3, S. 58-69

06.06.2011/4 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2011-06-06 22:52:592011-06-06 22:52:59Ehec-Epidemie: Zulässigkeit staatlicher Warnungen
Dr. Stephan Pötters

BVerfG billigt das neue bayerische Rauchverbot

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Bayern setzt Vorgaben des BVerfG um
Mit einem Beschluss vom 10.09.2009 hat das BVerfG (1 BvR 2054/09) eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue bayerische Rauchverbot nicht zur Entscheidung angenommen. Das Rauchverbot verletze weder die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) noch den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 I GG). Das neue Rauchverbot wurde zum 1.8.2009 durch ein Gesetz eingeführt, dass auf den klangvollen Namen „Gesetz zur Änderung des Gesundheitsschutzgesetzes“ hört.
Nach diesem Gesetz  ist das Rauchverbot auf alle Gaststätten ausgedehnt worden, sodass kein Konflikt mehr mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Berufsfreiheit besteht (s. zur Vorgängerregelung die vieldiskutierte Entscheidung des BVerfG, Urteil vom 30.07.2008, NJW 2008, 2409).  Die Vorgängerregelung war auf öffentlich zugängliche Gaststätten beschränkt. Weiterhin besteht jetzt die Option,  in vollständig abgetrennten Nebenräumen das Rauchen zuzulassen, wenn diese Räume deutlich als Raucherräume gekennzeichnet sind und die Belange des Nichtraucherschutzes dadurch nicht beeinträchtigt werden.
Außerdem – und das ist zur Oktoberfest-Zeit natürlich besonders wichtig – gilt das Rauchverbot nicht in Bier-, Wein- und Festzelten, die nur vorübergehend betrieben werden. Das kann man wohl damit rechtfertigen, dass hier die Bediensteten keiner Dauerbelastung ausgesetzt sind. Bedenklich ist diese Regel aber meines Erachtens schon. Eine weitere Ausnahme besteht für Einraumgaststätten, denn dies war ein wesentlicher Grund für die Verfassungswidrigkeit der Vorgängerregelung.
Examensrelevanz
Die Entscheidung gibt Anlass, sich mit dem wichtigen Urteil des BVerfG zum Rauchverbot ( vom 30.07.2008, NJW 2008, 2409) noch einmal zu beschäftigen. Dieses war bereits Gegenstand von Examensklausuren und wird sich meines Erachtens als Klassiker der BVerfG-Rspr zur Berufsfreiheit etablieren. Alkohol und Tabak beschäftigen immer wieder die Gerichte – nicht zuletzt auch auf europäischer Ebene (Cassis de Dijon, Brasserie du Pêcheur und andere französische Getränke, Tabakwerbeverbot, Konsumentombudsmannen, etc.).
Verfassungsbeschwerden rund um Art. 12 I GG und Art. 3 I GG sind gerade für das erste Examen immer gern gesehen. Dort dürfen dann u.a. die Stichworte „Drei-Stufen-Lehre“ und „Prüfungsmaßstab bei Art. 3 I GG“ erörtert werden.

02.10.2009/1 Kommentar/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-10-02 12:58:512009-10-02 12:58:51BVerfG billigt das neue bayerische Rauchverbot
Dr. Gerrit Forst

Arbeitnehmerdatenschutz: Videoüberwachung am Arbeitsplatz

Arbeitsrecht, Zivilrecht

Lidl soll seine Arbeitnehmer per Videokamera ausgespäht haben. Damit hat der Arbeitnehmerdatenschutz einen aktuellen Aufhänger, der sich im Schwerpunkt und in der mündlichen Prüfung bemerkbar machen kann.  Die Videoüberwachung von Arbeitnehmern hat schon mehrfach das BAG beschäftigt, zuletzt im August 2008.
Gesetzliche Grundlagen
Maßgeblich für die Zulässigkeit der Videoüberwachung ist zunächst die EG-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG. Diese ist allerdings „technologieneutral“ verfasst, so dass sich für die Videoüberwachung keine Besonderheiten ergeben. Die Richtlinie wurde in Deutschland mit dem BDSG umgesetzt.
Im Datenschutzrecht geht es häufig darum, widerstreitende Grundrechtspositionen in praktische Konkordanz zu bringen (dadurch lässt sich auch die Grundrechtsdogmatik sehr gut anhand diese Themas abprüfen). Dabei  geraten regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer sowie das Eigentumsrecht und die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers in Konflikt. In Fällen, die das BAG zu entscheiden hatte, waren zudem Briefsendungen abhanden gekommen, so dass das Gericht auch das Postgeheimnis der Postkunden in die Abwägung mit einbeziehen musste.
Auf einfachgesetzlicher Ebene regeln § 6b BDSG und §§ 32, 38 BDSG die Videoüberwachung. Dabei ist die Unterscheidung zwischen der Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum und im nicht öffentlich zugänglichen Raum grundlegend.
Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum
§ 6b BDSG erfasst die Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum, er gilt auch für Arbeitsplätze, sofern diese im öffentlich zugänglichen Raum belegen sind. Öffentlich zugänglich ist ein Raum, wenn er durch den Berechtigten einem unbestimmten oder nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis zur tatsächlichen Nutzung eröffnet worden (gewidmet) ist. Erfasst sind beispielsweise Bahnhöfe, Banken, Bibliotheken, Einzelhandelsgeschäfte, Friseursalons, Fußgängerzonen, Kaufhäuser, Kinos, Museen, Parkplätze, Parks, Restaurants, Tankstellen, Spielhallen, Stadien sowie Straßen und Wege. Eine Videoüberwachung ist hier zulässig, soweit sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Nach § 6b Abs. 2 BDSG ist die Videoüberwachung kenntlich zu machen, so dass eine heimliche Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum stets rechtswidrig ist.
Videoüberwachung im nicht öffentlich zugänglichen Raum
Im nicht öffentlich zugänglichen Raum will das BAG die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung ausschließlich (!) am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen (BB 2008, 2743, 2746, 2747) und nicht auf die §§ 32, 28 BDSG abstellen. Damit käme es zu einer unmittelbaren Grundrechtswirkung zwischen Privaten, die ganz überwiegend abgelehnt wird. Richtig ist es, auf die §§ 32, 28 BDSG abzustellen. § 32 BDSG ist lex specialis für den Arbeitnehmerdatenschutz. Daneben kann nach Auffassung der Bundesregierung § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG Anwendung finden (BT-Drucks. 16/13657, S. 34 f.). Praktisch bedeutsam ist vor allem die heimliche Videoüberwachung von Arbeitnehmern zur Feststellung von Straftaten, die eine Kündigung rechtfertigen. Sedes materiae hierzu ist § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG. Dieser kodifiziert nach Auffassung der Bundesregierung die Rechtsprechung des BAG in den Fällen NZA 2003, 1193 und BB 2008, 2743 (BT-Drucks. 16/13657, S. 35). Danach ist die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.
Betriebsrat ist zu beteiligen
Zu beachten ist, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG der Einführung einer Videoüberwachung im Betrieb zustimmen muss. Bei einer Regelung durch Betriebsvereinbarung haben die Parteien das APR der Arbeitnehmer nach § 75 Abs. 2 BetrVG zu beachten (dazu BAG NZA 2004, 1281; NJOZ 2005, 2708; BB 2008, 2743).
Rechtsfolgen unzulässiger Videoüberwachung
Beachtet der Arbeitgeber diese Grundsätze nicht, besteht im Kündigungsschutzprozess ein Beweisverwertungsverbot für die Videoaufzeichnung (str.). Ferner können dem Arbeitnehmer Abwehr- und Unterlassungsansprüche nach §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog i.V.m. §§ 6b, 28, 32 BDSG zustehen. Zudem besteht die Gefahr einer Verwirklichung des Straftatbestandes des § 201a StGB.
Rechtsprechung: BAG, NZA 2003, 1193; NZA 2004, 1281; NJOZ 2005, 2708; BB 2008, 2743.
Literatur: Forst, RDV 2009, 204 ff.
S. auch:
Arbeitnehmerdatenschutz: Neuer § 32 BDSG tritt am 1.9.2009 in Kraft
§ 32 BDSG tritt heute in Kraft

Arbeitnehmerdatenschutz: Blutentnahme bei Bewerbern?

22.07.2009/4 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-07-22 08:26:092009-07-22 08:26:09Arbeitnehmerdatenschutz: Videoüberwachung am Arbeitsplatz
Dr. Stephan Pötters

Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Apothekenurteil (BVerfGE 7, 377)

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Schon gelesen?

Leitsätze:
1. In Art. 12 Abs. 1 GG wird nicht die Gewerbefreiheit als objektives Prinzip der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung proklamiert, sondern dem Einzelnen das Grundrecht gewährleistet, jede erlaubte Tätigkeit als Beruf zu ergreifen, auch wenn sie nicht einem traditionell oder rechtlich fixierten „Berufsbild“ entspricht.
2. Der Begriff „Beruf“ in Art. 12 Abs. 1 GG umfasst grundsätzlich auch Berufe, die Tätigkeiten zum Inhalt haben, welche dem Staate vorbehalten sind, sowie „staatlich gebundene“ Berufe. Jedoch enthält Art. 33 GG für Berufe, die „öffentlicher Dienst“ sind, in weitem Umfang Sonderregelungen.
3. Wenn eine Tätigkeit in selbständiger und in unselbständiger Form ausgeübt werden kann und beide Formen der Ausübung eigenes soziales Gewicht haben, so ist auch die Wahl der einen oder anderen Form der Berufstätigkeit und der Übergang von der einen zur anderen eine Berufswahl im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG.
4. Inhalt und Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG lassen sich schon durch eine Auslegung, die dem Sinn des Grundrechts und seiner Bedeutung im sozialen Leben Rechnung trägt, weitgehend sachgemäß bestimmen; es bedarf dann nicht des Rückgriffs auf die Schranke des Wesensgehalts (Art. 19 Abs. 2 GG).
5. Die Regelungsbefugnis nach Art. 12 Abs. 1 Satz GG erstreckt sich auf Berufsausübung und Berufswahl, aber nicht auf beide in gleicher Intensität. Sie ist um der Berufsausübung willen gegeben und darf nur unter diesem Blickpunkt allenfalls auch in die Freiheit der Berufswahl eingreifen. Inhaltlich ist sie umso freier, je mehr sie reine Ausübungsregelung ist, umso enger begrenzt, je mehr sie auch die Berufswahl berührt.
6. Das Grundrecht soll die Freiheit des Individuums schützen, der Regelungsvorbehalt ausreichenden Schutz der Gemeinschaftsinteressen sicherstellen. Aus der Notwendigkeit, beiden Forderungen gerecht zu werden, ergibt sich für das Eingreifen des Gesetzgebers ein Gebot der Differenzierung etwa nach folgenden Grundsätzen:
a) Die Freiheit der Berufsausübung kann beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen; der Grundrechtsschutz beschränkt sich auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen.
b) Die Freiheit der Berufswahl darf nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert. Ist ein solcher Eingriff unumgänglich, so muss der Gesetzgeber stets diejenige Form des Eingriffs wählen, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt.
c) Wird in die Freiheit der Berufswahl durch Aufstellung bestimmter Voraussetzungen für die Aufnahme des Berufs eingegriffen, so ist zwischen subjektiven und objektiven Voraussetzungen zu unterscheiden: für die subjektiven Voraussetzungen (insbesondere Vor- und Ausbildung) gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinn, dass sie zu dem angestrebten Zweck der ordnungsmäßigen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen. An den Nachweis der Notwendigkeit objektiver Zulassungsvoraussetzungen sind besonders strenge Anforderungen zu stellen; im allgemeinen wird nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diese Maßnahme rechtfertigen können.
d) Regelungen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG müssen stets auf der „Stufe“ vorgenommen werden, die den geringsten Eingriff in die Freiheit der Berufswahl mit sich bringt; die nächste „Stufe“ darf der Gesetzgeber erst dann betreten, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit dargetan werden kann, dass die befürchteten Gefahren mit (verfassungsmäßigen) Mitteln der vorausgehenden „Stufe“ nicht wirksam bekämpft werden können.
7. Das Bundesverfassungsgericht hat zu prüfen, ob der Gesetzgeber die sich hiernach ergebenden Beschränkungen seiner Regelungsbefugnis beachtet hat; wenn die freie Berufswahl durch objektive Zulassungsvoraussetzungen eingeschränkt wird, kann es auch prüfen, ob gerade dieser Eingriff zum Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts zwingend geboten ist.
8. Auf dem Gebiet des Apothekenrechts entspricht der Verfassungslage gegenwärtig allein die Niederlassungsfreiheit, verstanden als das Fehlen objektiver Beschränkungen der Zulassung.
Bedeutung:
(s. hierzu: https://de.wikipedia.org/wiki/Apothekenurteil)
In diesem frühen und für die weitere Dogmatik prägenden Urteil legte das BVerfG die Grundsteine für seine spätere Rechtsprechung zu Art. 12 I GG. Nach dem BVerfG gewährleistet dieser Artikel ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit. Daraus schlussfolgert es, dass – eigentlich entgegen dem Wortlaut – nicht nur Eingriffe in die Berufsausübung (Art. 12 I S. 2 GG), sondern auch in die Berufswahl (Art. 12 I s. 1 GG) möglich sein sollen. Weiterhin begründet das BVerfG in diesem Urteil seine Drei-Stufen-Theorie (s. insb. Leitsatz Nr. 5 und 6). Danach ist zwischen Eingriffen in die Berufsausübung (1. Stufe = niedrigste Eingriffsintensität) und subjektiven (2. Stufe) und objektiven (3. Stufe) Zulassungsschranken zu differenzieren. Je nach Eingriffsintensität/Stufe steigen die Anforderungen an eine etwaige Rechtfertigung. Letztlich handelt es sich bei der Drei-Stufen-Theorie jedoch „nur“ um eine spezielle Ausprägung bzw. eine Daumenregel für die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Schranken-Schranke. Wenn bspw. das gesetzgeberische Ziel auch durch einen Eingriff auf einer niedrigeren Stufe hätte verwirklicht werden können, so ist regelmäßig die Erforderlichkeit zu verneinen. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung müssen je nach Stufe gewichtige oder weniger gewichtige Ziele den Eingriff rechtfertigen.

26.04.2009/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-04-26 12:58:062009-04-26 12:58:06Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Apothekenurteil (BVerfGE 7, 377)
Dr. Stephan Pötters

Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Numerus Clausus (BVerfGE 33, 303)

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Schon gelesen?

Leitsätze:
1. Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung absoluter, durch Erschöpfung der gesamten Ausbildungskapazität gekennzeichneter Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung (hier: absoluter numerus clausus für das Medizinstudium).
2. Aus dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip folgt ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium. Dieses Recht ist durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes einschränkbar.
3. Absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung sind nur verfassungsmäßig,
a) wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden und
b) wenn die Auswahl und Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen.
4. Die wesentlichen Entscheidungen über die Voraussetzungen für die Anordnung absoluter Zulassungsbeschränkungen und über die anzuwendenden Auswahlkriterien hat der Gesetzgeber selbst zu treffen. Die Hochschulen können zur Regelung der weiteren Einzelheiten innerhalb bestimmter Grenzen ermächtigt werden.
5. § 17 des hamburgischen Universitätsgesetzes vom 25. April 1969 ist insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar, als der Gesetzgeber seinerseits für den Fall absoluter Zulassungsbeschränkungen keine Bestimmungen über Art und Rangverhältnis der Auswahlkriterien getroffen hat.
6. Art. 3 Abs. 2 des bayerischen Zulassungsgesetzes vom 8. Juli 1970 ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit Studienbewerbern mit bayerischem Wohnsitz, die einen in Bayern oder an einer der nächsterreichbaren Bildungseinrichtungen von Nachbarländern erworbenen Vorbildungsnachweis besitzen, generell und auch für den Fall absoluter Erschöpfung der Ausbildungskapazitäten ein Studium an heimatnahen Universitäten ermöglicht werden soll und zu diesem Zweck eine Vergünstigung hinsichtlich des durch den Eignungsgrad bestimmten Zulassungsranges gewährt wird.
7. Zur gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern für die Verteilung aller freien Studienplätze durch eine überregionale Stelle unter Anwendung einheitlicher Auswahlkriterien.
Bedeutung:
Dieses Urteil gilt als eine der wichtigsten Entscheidungen zur Leistungsdimension (status positivus) der Grundrechte. Diese sind eigentlich nach ihrer ursprünglichen Konzeption Abwehrrechte (status negativus) des Einzelnen gegen den Staat. Bei den Leistungsrechten ist zwischen originären Leistungsrechten (Anspruch auf Schaffung neuer staatlicher Leistungen, z.B. Art. 6 IV GG) und derivativen Teilhaberechten (d.h. gerechte Teilhabe an den vorhandenen Kapazitäten).
Das BVerfG leitete im Numerus-Clausus-Urteil aus der Berufsfreiheit (i.V.m. Art. 3 I GG und dem Sozialstaatsprinzip) einen Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium ab, s. Leitsatz Nr. 2. Es handelt sich in erster Linie um ein derivatives Teilhaberecht. Es steht unter dem Vorbehalt des Möglichen. Ein Anspruch besteht grds. nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten (vgl. Leits. 3a).

26.04.2009/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-04-26 12:51:142009-04-26 12:51:14Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Numerus Clausus (BVerfGE 33, 303)

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