Gestern (Urteil v. 26.9.2012, VIII ZR 330/11) hat der BGH entschieden, dass der Vermieter ein berechtigtes Interesse gem. § 573 Abs. 1 BGB an der Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum auch dann hat, wenn er seiner Frau in der Wohnung eine Rechtsanwaltskanzlei einrichten möchte. Hier Pressemitteilung, auf der diese Mitteilung beruht.
Dieses Interesse ist „aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit nicht geringer zu bewerten als der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gesetzlich geregelte Eigenbedarf des Vermieters zu Wohnzwecken.“
Darüber hinaus sichert der BGH sein Ergebnis mit dem Hinweis ab, dass dies umsomehr gelte, als dass sich „die selbst genutzte Wohnung des Vermieters und die vermietete Wohnung in demselben Haus befinden.“
Einordnung und Klausurtechnik
Eine Entscheidung mit Examensgarantie. Lässt sich ohne weiteres in jede mietrechtliche Klausur einbauen. Wichtig ist dann, sauber die Auslegung hinzubekommen. Das könnte etwa wie folgt geschehen:
Wortlaut: Spricht weder für noch gegen den Vermieter. „Berechtigtes Interesse“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in beide Richtungen ausgelegt werden kann.
Systematik: Spricht prima facie gegen den Vermieter, Umkehrschluss aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt nahe. Aber lässt sich mit dem Argument abschwächen, dass er ersichtlich nicht abschließend ist, sondern nur Regelbeispiel. Als solches kann man dann aber auch vergleichbare Fälle von § 573 Abs. 1 BGB erfasst sehen. Gelingt also der Nachweis, dass der hiesige Fall vergleichbar ist, so hilft die Systematik sogar dem Vermieter.
Telos: In diesem Sinne ist der Telos besonders relevant. § 573 Abs. 1 BGB soll einen Ausgleich zwischen den Interessen von Vermieter und Mieter ermöglichen. Die Interessen des Vermieters sind insbesondere dann berechtigt, wenn sie sich auf Wertungen der Rechtsordnung zurückführen lassen; gleichermaßen kann der Mieter auch nur anerkannte Interessen entgegenhalten.
Das „berechtigte“ Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 BGB ist daher als unbestimmter Rechtsbegriff Einfallstor für die mittelbare Wirkung der Grundrechte, da diese als objektive Wertordnung von der Rechtsordnung anerkannte Interessen bereitstellen. Diese müssen dann in der Klausur offengelegt und diskutiert werden.
- Art. 14 GG des Mieters auf der einen Seite – dazu die Rspr. des BVerfG, BVerfG WM 1993, 377, die auch dem Mieter einen grundrechtlichen „Eigentumsschutz“ angedeihen lässt). Ergänzend vielleicht noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), weil Frage der persönlichen Lebensgestaltung.
- Art. 14 GG des Vermieters sowie hier auch noch Art. 12 GG (auch für nahe Angehörige, insofern ist wegen Art. 6 GG auch das Berufen auf „fremde“ Interessen zulässig). Bei Wohnnutzung kann man auch hier noch ergänzend das APR, ebenso wie bei Mieter Frage der persönlichen Lebensgestaltung.
Im Ergebnis sollte man dann dem BGH folgen und die Kündigung zulassen. Dafür spricht insbesondere das vom BGH angebrachte Argument, die Berufsfreiheit sei nicht geringer zu werten als das Eigentumsrecht. M.E. kann man dann auch anführen, dass man schon aus Gründen der Gleichbehandlung die in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB niedergelegte Wertentscheidung des Gesetzgebers auch auf § 573 Abs. 1 BGB für den Fall der Berufsfreiheit übertragen muss.