Wir freuen uns heut einen Gastbeitrag von David Ullenboom veröffentlichen zu können. Der Autor ist derzeit Referendar am LG Münster.
I. Einführung
Ein kürzlich in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) erschienener Artikel (Duckenbrodt, NJW 2013, S. 2390 ff.) gibt Anlass, sich einmal eingehender mit der Berechnung sog. Rückwärtsfristen zu beschäftigen. Die korrekte Komputation derartiger Fristen wird – in gewissem Gegensatz zu ihrer nicht unerheblichen Praxisrelevanz – bislang in Rechtsprechung und Lehre eher stiefmütterlich behandelt. Dieser Beitrag verfolgt das Anliegen, ein wenig „Licht ins Dunkel zu bringen“.
II. Rückwärtsfristen – Begriff und Abgrenzung
Die §§ 186 ff. BGB sind direkt nur auf sog. Vorwärtsfristen anwendbar, bei welchen der Fristbeginn feststeht und ein in der Zukunft liegendes Fristende berechnet werden soll (vgl. Palandt-Ellenberger, 72. Auflage 2013, § 187, Rn. 4). Ein typisches Beispiel ist etwa die Berechnung der regelmäßigen Verjährungsfrist gem. §§ 195, 199 I BGB.
Nach allgemeiner Meinung sind die §§ 186 ff. BGB aber analog auch auf sog. Rückwärtsfristen anwendbar (vgl. Duckenbrodt, NJW 2013, S. 2393 m. w. N.). Bei diesen steht spiegelbildlich zu den Vorwärtsfristen ein bestimmter Endzeitpunkt in der Zukunft fest. Von diesem zukünftigen Endzeitpunkt ausgehend soll nun auf einen bestimmten Zeitpunkt rückwärts gerechnet werden, bis zu welchem eine bestimmte Handlung noch rechtzeitig vorgenommen werden darf. Solche Rückwärtsfristen finden sich bunt verstreut über die gesamte Zivilrechtsordnung. Wichtige Beispiele sind etwa die Fristen in § 123 I AktG (Frist für Einberufung der Hauptversammlung), § 132 I 1 ZPO (zivilprozessuale Schriftsatzfristen), § 5 III UmwG (Zuleitung des Verschmelzungsvertrages an Eigentümerversammlung). Im Bereich vertraglich vereinbarter Fristen ist insbesondere die Vereinbarung von Kündigungsfristen in Miet-/Pacht-/Leasing- und Versicherungsverträgen zu nennen (z. B. Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Ende des Jahres).
III. Zweck der Fristenregelung der §§ 186 ff. BGB
Die §§ 187, 188 BGB schreiben für die Berechnung von Tag-, Wochen- und Monatsfristen die sog. Zivilkomputation fest, wonach die Frist nur nach vollen und nicht nach „angebrochenen“ Tagen zu berechnen ist. Im Unterschied zur sog. Naturalkomputation, welche für Stunden- und Minutenfristen gilt und bei welcher von Augenblick zu Augenblick gerechnet wird, z. B. Mittwoch 15 Uhr bis Donnerstag 15 Uhr = 24 Stunden (vgl. dazu Palandt-Ellenberger, 72. Auflage 2013, § 187 Rn. 1).
Die Zivilkomputation gesetzlicher, richterlicher und vertraglich vereinbarter Fristen in den §§ 186 ff. BGB ist relativ kompliziert. Insbesondere die Kern-Normen der §§ 187, 188 BGB statuieren eine von feinsinnigen Unterscheidungen geprägte „Berechnungsformel“.
Markiert ein in den Lauf eines Tages fallendes Ereignis bzw. Zeitpunkt den Fristbeginn, dann wird dieser Ereignistag bei der Berechnung nicht mitgerechnet (§ 187 I BGB). Fällt das Ereignis bspw. auf den 1.7. dann beginnt die Frist am 2.7. um 0 Uhr. Die Frist endet in diesem Fall gem. § 188 II 1, 1. Fall BGB mit Ablauf des Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung (z. B. Montag, Dienstag etc.) oder seine Zahl (z. B. 1. eines Monats) dem Ereignistag entspricht. Eine Wochenfrist würde im obigen Beispiel also am 8.7. um 24 Uhr enden, eine Monatsfrist am 1.8 um 24 Uhr.
Markiert der Beginn eines Tages den Fristbeginn, ist dieser erste Tag im Unterschied zu § 187 I BGB voll mitzurechnen (§ 187 II BGB). Beginnt die Frist also mit Beginn des 1.7., dann markiert der 1.7. um 0 Uhr auch zivilkomputatorisch den Fristbeginn. Gem. § 188 II 1, 2. Fall BGB endet die Frist nun an demjenigen Tag, welcher dem Tag vorangeht, welcher durch seine Bennennung oder seine Zahl diesem ersten Tage entspricht. Die Wochenfrist würde in obigem Beispiel also am 7.7.um 24 Uhr enden. Die Monatsfrist würde am 31.7. um 24 Uhr enden.
Den §§ 187, 188 BGB liegt der Gedanke zugrunde, dass demjenigen, welcher eine Frist zu wahren hat, die volle Frist unabhängig vom genauen Zeitpunkt des Eintritts des fristenauslösenden Ereignisses zur Verfügung stehen soll (vgl. Duckenbrodt, NJW 2013, S. 2393). Bspw. sollen demjenigen, der eine Ereignisfrist i. S. v. §§ 187 I, 188 II 1, 1. Fall BGB von zwei Wochen zu wahren hat, die vollen zwei Wochen zur Verfügung stehen, unabhängig davon um wieviel Uhr das fristenauslösende Ereignis am Ereignistag eintritt (bspw. Zustellung eines Urteils um 8 Uhr Morgens oder um 16 Uhr nachmittags). Deshalb ist hier der „angebrochene“ Ereignistag nicht mitzurechnen, die Frist beginnt erst mit dem nächsten vollen Tag.
Konsequenterweise ist im Falle einer Nicht-Ereignisfrist i. S. v. §§ 187 II, 188 II 1, 2. Fall BGB der Anfangstag mitzurechnen, weil dem Fristwahrer hier der gesamte erste Tag (ab 0 Uhr) zur Verfügung steht. Beim Fristende muss deshalb gem. § 188 II 1, 2. Fall wieder ein Tag abgezogen werden, denn bspw. vom 1.7.-8.7. stünden dem Fristwahrer im Falle einer Wochenfrist sonst systemwidrig 8 Tage zur Verfügung.
Diese Systematik muss man sich bei der analogen Anwendung der §§ 186 ff. auf Rückwärtsfristen vor Augen halten.
IV. Berechnung von Rückwärtsfristen analog §§ 186 ff. BGB
Auch im Falle von Rückwärtsfristen kann zwischen Ereignisfristen, bei welchen der Endzeitpunkt durch ein punktuelles Ereignis bestimmt wird (z. B. Abhaltung der Hauptversammlung im Falle der §§ 123 I AktG, 5 III UmwG) und Nicht-Ereignisfristen, bei welchen der Endzeitpunkt durch Ablauf eines bestimmten Tages bestimmt wird (z. B. Kündigungsfrist von 6 Wochen zum 31.12.), unterschieden werden. Klar machen muss man sich zu Beginn einen wichtigen Unterschied zur Fristenberechnung von Vorwärtsfristen: Bei den Vorwärtsfristen errechnet man einen Zeitraum, innerhalb dessen der Fristwahrer eine bestimmte Handlung rechtzeitig vornehmen kann. Bei den Rückwärtsfristen hingegen berechnet man spiegelbildlich einen Zeitraum, innerhalb dessen der Fristwahrer eine bestimmte Handlung nicht mehr rechtzeitig vornehmen kann. Eine Handlung ist also nur rechtzeitig, wenn sie vor dem rückwärts berechneten „Fristbeginn“ liegt (das deutet bereits Pletsch, VersR 2006, S. 484 an).
1. Ereignisfrist
a) Wird der feststehende Endzeitpunkt durch ein punktuelles Ereignis bestimmt (z. B. §§ 123 I AktG, 5 III UmwG), so ist analog § 187 I BGB dieser Tag bei der Berechnung nicht mitzurechnen (Krause, NJW 1999, S. 1448; Duckenbrodt, NJW 2013, S. 2392; Staudinger-Repgen, Neubearbeitung 2009, § 187 Rn. 7). Soll beispielsweise der Verschmelzungsvertrag im Falle des § 5 III UmwG mit einer Frist von 1 Monat vor Abhaltung der Hauptversammlung am 15.12. dem Betriebsrat zugeleitet werden, dann beginnt die Frist analog § 187 I BGB am 14.12, weil der Ereignistag (Abhaltung der Hauptversammlung) nicht mitgerechnet wird.
b) Etwas komplizierter ist nun die Bestimmung des durch Rückwärtsrechnung zu ermittelnden Fristendes bis zu welchem der Verschmelzungsvertrag zugeleitet worden sein muss. Legt man § 188 II 1, 1. HS BGB zugrunde, wäre Fristende der 15.11., weil dieser Tag nach seiner Zahl dem Ereignistag entspricht. Zu beachten ist nun aber, dass § 188 II 1, 1. HS. nun genau umgekehrt bzw. spiegelbildlich anzuwenden ist (Krause, NJW 1999, S. 1449; Staudinger-Repgen, Neubearbeitung 2009, § 187 Rn. 7; Pletsch, VersR 2006, S. 484)). D. h. dass die Frist, innerhalb derer eine Zuleitung an die Hauptversammlung nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann, analog § 188 II 1, 1. HS. nicht erst „mit Ablauf“ des 15.11. endet, sondern bereits mit Beginn des 15.11. um 0 Uhr. Die Zuleitung des Verschmelzungsvertrages an den Betriebsrat hat also bis zum 14.11. um 23 Uhr 59 zu erfolgen.
c) Dass die Zuleitung richtigerweise nur bis zum 14.11. und nicht, wie § 188 II 1, 1. HS. nahe legt, bis zum 15.11. erfolgen kann, zeigt sich auch, wenn man sich erneut Sinn und Zweck der Fristenregelung der §§ 186 ff. BGB in Erinnerung ruft. Während es bei der Berechnung von Vorwärtsfristen darum ging, dass der Fristwahrer die Frist in jedem Fall voll ausschöpfen kann (s. o.). Geht es bei den Rückwärtsfristen nun spiegelbildlich dazu darum, dass derjenige, in dessen Interesse die Frist besteht, die Frist voll ausnutzen kann. Z. B. der Betriebsrat hat einen vollen Monat Zeit, den Verschmelzungsvertrag zu prüfen; der Vermieter hat die volle Kündigungsfrist, um sich um eine Weitervermietung zu bemühen.
d) Die Plausibilität des gefundenen Ergebnisses wird deutlich, wenn man die Gegenprobe macht und die Anzahl der vollen Tage manuell auszählt. Würde man im obigen Beispiel eine Zuleitung an den Betriebsrat bis zum 15.11. um 23 Uhr 59 zulassen, stünde dem Betriebsrat in diesem ungünstigen Fall nicht die volle Monatsfrist zur Verfügung, sondern ein Tag weniger vom 16.11. bis zum 14.12. (am „angebrochenen“ 15.12. findet ja bereits die Hauptversammlung statt!).
2. Nicht-Ereignisfrist
a) Wird der feststehende Endzeitpunkt durch den Ablauf eines Tages bestimmt (z. B. Kündigungsfrist von 1 Monat zum 31.8.; der Vertrag endet dann am 31.8. um 24 Uhr!), dann ist nun zunächst analog § 187 II BGB dieser Tag bei der Berechung der Frist einzurechnen (ebenso Erman-Maier-Reimer, 13. Auflage 2011, § 187 Rn. 8; a. A. wohl Staudinger-Repgen, Neubearbeitung 2009, § 187 Rn. 7, welcher Kündigungsfrist als Ereignisfrist behandelt und in dem Vertragsende das fristenauslösende Ereignis erblickt). D. h. „Fristbeginn“ wäre im obigen Beispiel der 31.8. um 24 Uhr (nicht 0 Uhr, da in die Vergangenheit zurückgerechnet wird!).
b) Noch komplizierter als bei der Ereignisfrist wird nun die Berechnung des rückwärts zu berechnenden Fristendes, bis zu welchem rechtzeitig gekündigt werden kann. § 188 II 1, 2. Fall BGB ist in diesem Fall wiederum umgekehrt bzw. spiegelbildlich anzuwenden.
– Ebenso wie im Falle des §§ 187 I, 188 II 1, 1. Fall BGB beginnt die Frist nun nicht „mit Ablauf“ des errechneten Tages, sondern mit dessen Beginn (s. o.)
– Des Weiteren ist analog § 188 II 1, 2. Fall BGB der dem errechneten Tag „vorangehende“ Tag ein im Kalender später liegender und nicht früher liegender Tag, da die Berechnung ja rückwärts erfolgt.
c) Im obigen Beispiel endet die Frist also mit Beginn des Tages, der dem Tag rückwärts gerechnet „vorangeht“, welcher durch seine Zahl dem Anfangstag entspricht. Dem Anfangstag entspricht im obigen Beispiel bei einer Monatsfrist der 31.7. Der „vorangehende“ Tag ist der 1.8. Die Frist, innerhalb derer eine Kündigung nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann, endet folglich mit Beginn des 1.8. um 0 Uhr. Die Kündigung muss daher bis spätestens am 31.7. um 23 Uhr 59 erklärt werden (ebenso Erman-Maier-Reimer, 13. Auflage 2011, § 187 Rn. 8; Pletsch, VersR 2006, 485).
d) Dass auch hier die Kündigung richtigerweise nur bis zum Ablauf des 31.7. und nicht, wie eine direkte Anwendung des § 188 II 1, 2. Fall BGB nahelegt, etwa bis zum Ablauf des 1.8. möglich ist (der dem 31.7. „vorangehende“ Tag!), ist wieder mit Sinn und Zweck der Fristenregelung der §§ 186 ff. BGB zu erklären (s. bereits oben). Auch dies wird wiederum deutlich, wenn man hier die Probe aufs Exempel macht und die Anzahl der vollen Tage auszählt. Würde man auf den 1.8. abstellen, dann würde dem Vermieter/Verpächter eine Ausschöpfung der Monatsfrist verwehrt, weil ihm nicht die volle Monatsfrist, sondern ein Tag weniger zur Verfügung stehen würde, um einen Nachmieter etc. zu suchen.
V. Fazit
Die Berechnung von Rückwärtsfristen analog §§ 186 ff. BGB ist sehr fehlerträchtig, weil die Vorschriften des BGB zur Fristenberechnung nur mit erheblichen Modifikationen auf Rückwärtsfristen angewandt werden können. Um eine korrekte Zivilkomputation sicherzustellen, empfiehlt es sich, sich an Sinn und Zweck des feinjustierten Fristenregimes zu orientieren. Dies führt zu einer entsprechenden Anwendung des § 187 I und II BGB und zu einer spiegelbildlichen Anwendung des § 188 II 1 BGB.
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