Der Autor Roy Dörnhofer war als Richter und Staatsanwalt tätig, unter anderem im Rahmen einer Abordnung am Oberlandesgericht Dresden in einem Zivilsenat für Handels-, Gesellschafts-, Baurecht und Notarhaftung. Er verfasst nun Fallsammlungen zum BGB, Handels- und Gesellschaftsrecht in der Form von ebooks, die auf Amazon.de erhältlich sind. Vorliegend veröffentlichen wir den ersten Teil seines Artikels „Die befreiende Schuldübernahme und ihre Abgrenzung zu verwandten Konstellationen“. Der zweite Teil folgt in den nächsten Tagen.
Die befreiende Schuldübernahme, Teil 1
Zwei neuere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12.4.2012 – VII ZR 13/11 zur Schuldübernahme; BGH, Urteil vom 1.2.2012 – VIII ZR 307/10 zur Vertragsübernahme) geben Anlass, die befreiende Schuldübernahme näher zu betrachten. Es sollen dabei Anhaltspunkte für eine Abgrenzung von anderen Beteiligungen Dritter auf der Schuldnerseite sowie Auslegungshilfen bei den gängigen Arten der Schuldsicherung gegeben werden. Die Schuldübernahme und die ihr verwandten Konstellationen – wie z.B. die Vertragsübernahme, der Schuldbeitritt und die Bürgschaft – gehören zum Pflichtstoff der Universitätsausbildung und haben durchaus Examensrelevanz. Insbesondere bei den oft in Klausuren geprüften Bürgschaftsfällen stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Parteien nicht etwa ein anderes Sicherungsmittel vereinbaren wollten.
I. Schuldübernahme, §§ 414, 415 BGB
Bei der befreienden Schuldübernahme handelt es sich um das Gegenstück zur Forderungsabtretung nach §§ 398 ff. BGB. Ein Dritter übernimmt hier die Schuld des ursprünglichen Schuldners, ohne dass er aber zur Vertragspartei wird (das Gesetz bezeichnet die Parteien als Schuldner, Dritter und Gläubiger).
Ähnlich der Abtretung führt der Übernahmevertrag zu einer Änderung der Forderung und stellt somit eine abstrakte Verfügung über diese dar. Zu beachten ist dabei, dass dieser Verfügung ein schuldrechtlicher Vertrag entweder zwischen dem alten Schuldner und dem Dritten oder dem Dritten und dem Gläubiger zugrunde liegt, der einen Rechtsgrund für die Verfügung darstellt, sodass eine Kondiktion der Übernahmeverpflichtung im Wege der ungerechtfertigten Bereicherung erfolgen kann
. Nach der umstrittenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht es den Parteien frei, den Verpflichtungs- und Verfügungsvertrag zu einem einheitlichen Geschäft gem. § 139 BGB zu verbinden, sodass beide vom selben Mangel betroffen und deshalb nichtig sein können
. Ebenso ist es möglich, dass beide Geschäfte infolge einer Fehleridentität unwirksam sind.
1. Begründung
Die Schuldübernahme kann auf zwei Arten begründet werden, wobei in jedem Fall eine Zustimmung des Gläubigers erforderlich ist. Denn ihm soll kein neuer Schuldner aufgezwungen werden, zumal die Leistungsfähigkeit des Schuldners für ihn von besonderer Bedeutung ist.
Sofern die zugrunde liegende Schuld formbedürftig ist, muss auch der im Übrigen formfreie Übernahmevertrag der gesetzlich vorgeschriebenen Form genügen
. Wenn z.B. die Übereignung eines Grundstücks geschuldet ist, muss die Form des § 311b I BGB auch für die Schuldübernahme beachtet werden.
a) Vertrag zwischen Gläubiger und Übernehmer, § 414 BGB
Zunächst kann die Schuldübernahme durch einen Vertrag des Dritten mit dem Gläubiger erfolgen. Eine Ansicht in der Literatur will dem ursprünglichen Schuldner dabei ein Recht zur Zurückweisung nach § 333 BGB analog geben, da auch bei einem Erlass nach § 397 BGB das Mitwirken des Schuldners nötig sei
. Nach herrschender Meinung bedürfe es jedoch keiner Mitwirkung des alten Schuldners, und er solle auch kein Widerspruchsrecht nach § 333 BGB analog haben, denn auch im Fall der schuldbefreienden Leistung eines Dritten nach § 267 I 2 BGB könne der Gläubiger gegen den Willen des Schuldners die Leistung annehmen.
b) Vertrag zwischen Schuldner und Übernehmer, § 415 BGB
Des Weiteren kann die Schuldübernahme zunächst ohne Mitwirkung des Gläubigers zwischen dem Schuldner und dem Dritten vereinbart und dann die Genehmigung des Gläubigers gem. § 184 I BGB eingeholt werden. Nach der ganz herrschenden Verfügungstheorie ist in dem Vertrag zwischen dem bisherigen Schuldner und dem Dritten die Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 185 II 1 BGB über die Forderung des Gläubigers zu sehen, zu der Letzterer seine Genehmigung erteilen kann.
Über den Wortlaut der Vorschrift des § 415 BGB hinaus ist zudem eine vorherige Einwilligung des Gläubigers nach § 183 BGB möglich.
Der Übernahmevertrag ist dann bis zur Genehmigung schwebend unwirksam und kann bis zur Mitteilung an den Gläubiger wieder geändert oder sogar aufgehoben werden, § 415 I 3 BGB. Sollte der Gläubiger seine Genehmigung verweigern, ist kein wirksamer Übernahmevertrag gegeben, weshalb auch eine spätere Genehmigung nicht mehr möglich ist, § 415 II 1 BGB. Des Weiteren kann dem Gläubiger eine Frist zur Erteilung der Genehmigung gesetzt werden, § 415 II 2 BGB.
Sofern die Schuldübernahme wegen der fehlenden Genehmigung des Gläubigers unwirksam ist, kann nach der Auslegungsregel des § 415 III 2 BGB im Zweifel im Verhältnis zwischen Schuldner und Übernehmer eine Erfüllungsübernahme § 329 BGB vorliegen. Dabei hat nur der alte Schuldner im Innenverhältnis einen Anspruch gegen den neuen Schuldner auf Erfüllung der Verpflichtung, nicht aber der Gläubiger.
Die Genehmigung durch den Gläubiger kann auch durch konkludentes Handeln erfolgen, wobei jedoch nicht leichtfertig ein Entlassungswille hinsichtlich der Haftung des alten Schuldners angenommen werden darf.
In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass allein das Ausstellen einer Rechnung aus einem Werkvertrag auf einen Dritten und die Bezahlung durch diesen nicht für eine solche Genehmigung des Gläubigers ausreichen.
Das Gericht führt dazu aus (Rn. 7):
“Die befreiende Schuldübernahme ist ein ungewöhnliches und bedeutsames Rechtsgeschäft. Sie enthält in untrennbarer Verknüpfung die Verpflichtung des Übernehmers und die Verfügung über die Forderung des Gläubigers. In aller Regel hat sie eine solche Bedeutung, dass kein Gläubiger ohne weiteres auf seinen bisherigen Schuldner verzichten wird. Ein hierauf gerichteter Wille des Gläubigers kann nur dann angenommen werden, wenn er deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist oder wenn die Umstände den in jeder Hinsicht zuverlässigen Schluss darauf zulassen (…) Wegen der regelmäßig für den Gläubiger nachteiligen Folgen sind an seine Erklärung strenge Anforderungen zu stellen (…) Ein Schluss auf den Entlassungswillen des Gläubigers ist nur unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, insbesondere der wirtschaftlichen Interessen der Parteien und des Zwecks der Vereinbarung, zulässig (…)”
Angesichts dieser Rechtsprechung dürfte also unter Berücksichtigung der Interessen des Gläubigers bei der Auslegung im Zweifel keine befreiende Schuldübernahme vorliegen.
2. Rechtsfolgen
Der Dritte tritt an die Stelle des bisherigen Schuldners, der damit von seiner Verpflichtung frei wird. Der Gläubiger kann somit nur noch von dem neuen Schuldner die Leistung verlangen. Dabei ist zu beachten, dass der Gläubiger nunmehr das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Beitretenden übernimmt. Hierin zeigt sich ein großer Nachteil für den Gläubiger, weshalb im Falle von Unklarheiten bei der Auslegung der Erklärungen der Vertragsparteien vorrangig ein Schuldbeitritt anzunehmen sein dürfte
, denn dadurch geht der Gläubiger kein weiteres Risiko der Verwirklichung seines Anspruchs ein.
Um einem leicht entstehenden Missverständnis vorzubeugen, soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass der Übernehmende nicht in die Stellung eines Gläubiger einrückt, sondern nur zum Schuldner wird. Sofern er auch Rechte aus dem Vertrag herleiten und damit Vertragspartei werden will, müsste er eine Vertragsübernahme vereinbaren, die weiter unten erörtert wird.
Dem Übernehmer stehen sodann Einwendungen und Einreden zu, die er gegen den Gläubiger geltend machen kann. Diese können aus drei Beziehungen entstehen.
a) Aus dem ursprünglichen Schuldverhältnis, § 417 I 1 BGB
Dem neuen Schuldner stehen die Einwendungen und Einreden aus dem Schuldverhältnis zwischen dem alten Schuldner und dem Gläubiger zu, § 417 I 1 BGB. Allerdings kann der Übernehmer mit einer dem Altschuldner zustehenden Forderung nicht aufrechnen, da keine Gegenseitigkeit vorliegt, § 417 I 2 BGB. Auch die Gestaltungsrechte aus dem ursprünglichen Schuldverhältnis – wie etwa der Rücktritt und die Anfechtung – bleiben beim Altschuldner.
b) Aus der Schuldübernahme
Daneben kann der neue Schuldner aber auch die Einwendungen und Einreden aus der Schuldübernahme selbst gegenüber dem Gläubiger erheben.
Erwähnenswert ist der Sonderfall, dass der neue Schuldner bei einem Übernahmevertrag mit dem alten Schuldner nach § 415 I 1 BGB seine Erklärung wegen arglistiger Täuschung anficht, § 123 I BGB. Nach der herrschenden Meinung
wirkt die Anfechtung auch gegenüber dem Gläubiger, wobei die Anfechtungserklärung gegenüber dem Altschuldner abgeben werden muss, § 143 I BGB. Da der Altschuldner selbst die Täuschung vorgenommen hat, ist keine Täuschung durch einen Dritten nach § 123 II BGB gegeben, weshalb die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von der Täuschung nicht nötig sind.
Demgegenüber ist im Fall eines Übernahmevertrags zwischen dem Neuschuldner und dem Gläubiger gem. § 414 BGB nach allgemeiner Meinung der Altschuldner als Dritter iSd. § 123 II BGB anzusehen, sodass es auf die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers ankommt.
c) Aus dem Verhältnis zwischen Altschuldner und Übernehmer, § 417 II BGB
Etwaige Einwendungen und Einreden aus dem der Schuldübernahme zugrunde liegenden Schuldverhältnis zwischen dem neuen und dem alten Schuldner kann der Übernehmer dem Gläubiger nicht entgegenhalten, § 417 II BGB. Eine Ausnahme liegt im Fall eines einheitlichen Rechtsgeschäfts nach § 139 BGB oder der Fehleridentität vor, wie eingangs erwähnt.