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Schlagwortarchiv für: Beamtenrecht

Dr. Lena Bleckmann

Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Soldaten und Soldatinnen dürfen bei Tinder nicht zu offensiv nach Sexualkontakten suchen. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.5.2022 über die Rechtsbeschwerde einer Bataillonskommandeurin der Bundeswehr entschieden. Bislang liegt allein die Pressemitteilung des Gerichts vor (PM. Nr. 34/2022 v. 25.5.2022). In der öffentlichen Debatte ist die Entscheidung aber bereits präsent – daher hier die wichtigsten Eckpunkte und Fragestellungen.

I. Worum geht es?

Die Bataillonskommandeurin (ein Bataillon ist nach der Definition des Dudens eine Truppenabteilung bzw. ein Verband mehrerer Kompanien oder Batterien, der Kommandeur bzw. die Kommandeurin führt diesen Verband) Anastasia B. ist innerhalb der Bundeswehr und darüber hinaus bekannt. Sie ist offen trans*. In ihrem privaten Tinder-Profil verwendete sie den Text „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“ Das Profil enthielt dabei ihren Vornamen und ein Bild, auf dem sie selbst deutlich zu erkennen war.  Hieran anknüpfend erhielt sie einen disziplinarrechtlichen Verweis. Der Verweis ist der förmliche Tadel eines bestimmten pflichtwidrigen Verhaltens eines Soldaten, siehe § 23 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung. Die Tinder-Nutzung in ihrer konkreten Ausgestaltung wurde mithin als Verletzung der Dienstpflichten gewertet. Diese Bewertung wurde durch das Truppendienstgericht und nunmehr auch – wenn auch mit leicht abweichender Begründung – durch das Bundesverwaltungsgericht gebilligt.

II. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts

Während das Truppendienstgericht noch  mit dem guten Ruf der Bundeswehr argumentierte, der durch ein entsprechendes Auftreten der Bataillonskommandeurin beeinträchtigt werden soll, geht das BVerwG davon aus, dass aus den privaten Aktivitäten der Soldatin auf dem Datingportal in der Öffentlichkeit keine Rückschlüsse auf die Bundeswehr als Ganzes gezogen werden können.

Auch betont das BVerwG das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Hierzu gehöre auch, dass der Einzelne über seine geschlechtlichen Beziehungen frei bestimmen und sich für ein promiskuitives Sexualverhalten entscheiden könne. Ein solches Verhalten muss auch nicht allein in der engsten persönlichen Lebenssphäre stattfinden: Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung besteht nach den Ausführungen des BVerwG über die Intimsphäre hinaus auch in der Privat- und ebenso in der Sozialsphäre des Einzelnen. Der Schutz erstrecke sich auch darauf, im Internet Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen. Dieser grundrechtliche Schutz war vom Truppendienstgericht nicht ausdrücklich berücksichtigt worden.

Das BVerwG gelangt am Ende aber trotzdem nicht zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz. Zur Begründung der Berechtigung des Verweises als disziplinarische Maßnahme verweist das Gericht auf die auch außerhalb des Dienstes bestehende Wohlverhaltenspflicht eines Soldaten. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 Soldatengesetz muss das Verhalten des Soldaten „dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert“. Das Auftreten der Bataillonskommandantin im Internet wird der Achtung und dem Vertrauen, die der Dienst erfordert, nach Ansicht des BVerwG nun wohl nicht gerecht. Aufgrund der „besonders hervorgehebenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen“ scheint das Gericht erhöhte Anforderungen an das Auftreten in der Öffentlichkeit auch im privaten Kontext zu stellen. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlange, dass die Betroffene bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nehme. Sie müsse daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Die von der Soldatin verwendete Profilbeschreibung erwecken nun aber nach Ansicht des Gerichts gerade Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität. Der Onlineauftritt stellt nach dieser Bewertung mithin einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und damit einen tauglichen Gegenstand einer Disziplinarmaßnahme, namentlich des Verweises als mildester Maßnahme dar.

 III. Ausblick

Die Pressemitteilung ist ausgesprochen kurz gehalten. Die wesentlichen Erwägungen des BVerwG lassen sich ihr zwar entnehmen, dennoch ist die ausführliche Entscheidungsbegründung mit Spannung zu erwarten. Der Verweis auf die dienstliche und außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht von Soldaten findet sich in der jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte insbesondere im Hinblick auf politische Äußerungen, die Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen lassen (siehe etwa BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385; Beschl. v. 10.10.2019 – 2 WDB 2/19, NVwZ-RR 2020, 694; OVG Münster, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 B 1756/21, BeckRS 2022, 1160; VG Stuttgart, Beschl. v. 9.3.2022 – 14 K 5778/21, BeckRS 2022, 5547) oder auf von Soldaten verübte Straftaten (BVerwG, Urt. v. 10.2.2022 – 2 WD 1.21, BeckRS 2022, 11476; Urt. v. 14.10.2021 – 2 WD 26.20, BeckRS 2021, 41961).

Ob die sexuelle Promiskuität sich hier ohne weiteres einreiht, etwa mit antisemitischen oder beleidigenden Äußerungen, Körperverletzungen oder anderen Straftaten gleichgesetzt werden kann, darf durchaus bezweifelt werden. Zwar erfordert ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nicht, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wird (BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385 (Rn. 40)). Ein Soldat müsse sich insbesondere dann in seinem privaten Verhalten mäßigen, wenn dabei ein besonderer Bezug zur Dienstausübung, d.h. zu seinem militärischen Auftrag, zu seinen Kameraden oder zur Bundeswehr besteht (siehe ebenda). Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ durch das BVerwG legt weiterhin nahe, dass ein besonderer Bezug zur Dienstausübung – der im hiesigen Fall gerade fehlt – keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht ist. In der Gesamtabwägung scheint es dennoch geboten, zu berücksichtigen, ob und inwiefern ein Bezug des privaten Verhaltens zum Dienst des Soldaten steht. Je weniger verwerflich das private Verhalten, desto höhere Anforderungen wird man an den Dienstbezug stellen müssen.

Ob das Verhalten der Bataillonskommandantin im vom BVerwG zu entscheidenden Fall nun überhaupt als verwerflich einzustufen ist und (bejahendenfalls) in welchem Maße dem so ist, ist eine Frage, deren Beantwortung sich ganz maßgeblich an den moralischen Wertvorstellungen des Betrachters orientiert. Anders als etwa im Hinblick auf rechtsradikale Äußerungen dürfte die Bewertung auch in der politischen Mitte hier je nach Kreis der Befragten ausgesprochen unterschiedlich ausfallen. Konservativere Beobachter mögen argumentieren, das mit der festen Partnerschaft zweier Personen einhergehende Wertekonzept sei ebenso in der Verfassung verankert, wie die freiheitlich demokratische Grundordnung. Offen ausgelebtes, sexuell promiskuitives Verhalten könnte dann als mit den geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen unvereinbar eingeordnet werden. Dann ist wohlgemerkt eine Abwägung dieser Verfassungswerte mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorzunehmen. Angehörige des progressiveren Lagers und insbesondere jüngere Personen, die mit der Nutzung von Dating-Apps womöglich eher vertraut und an einen promiskuitiven Lebensstil einiger Nutzer gewissermaßen gewöhnt sind – mag es auch nicht ihrem eigenen Lebensentwurf entsprechen –, werden hier wohl toleranter, jedenfalls gleichgültiger sein. Der Schluss vom Sexualleben auf die fehlende charakterliche Integrität wird gerade in diesen Kreisen eher verwundern und vielfach Anstoß finden. In den Ausführungen des BVerwG in der aktuellen Pressemitteilung wirkt dieser Schluss tatsächlich etwas eilig. Gerade in diesem Punkt sind jedoch die ausführlichen Entscheidungsgründe abzuwarten – sie werden zeigen, inwiefern die Erwägungen des Gerichts in verschiedenen Gesellschaftsgruppen anschlussfähig sind.

Entscheidungen wie die vorliegende, die von moralisch-sittlichen Wertvorstellungen geprägt sind, sind immer nur eine Momentaufnahme dahingehend, welche Vorstellungen zur Zeit der Entscheidung vorherrschend sind. Diese Problematik ist aus dem Zivilrecht im Hinblick auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit bekannt. Sittliche Vorstellungen unterliegen einem steten Wandel – ein Wandel in verschiedene Richtungen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach gesellschaftlicher Schicht. Es ist gut denkbar, dass die Einschätzung zutrifft, ein allzu öffentlich ausgelebter, sexuell promiskuitiver Lebensstil sei mit dem in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschenden Wertefundament nicht vereinbar, und dass die Anhänger dieser Wertvorstellung auch von einem solchen Lebensstil auf die Integrität und die Eignung des Betroffenen für bestimmte Tätigkeiten schließen. Es ist jedoch ebenso denkbar, dass die Bewertung in fünf oder auch zehn Jahren ganz anders ausfallen würde – dann müsste auch die Entscheidung in einem Fall wie dem hier besprochenen eine andere sein.

02.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-06-02 08:39:002022-08-03 08:31:47Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten
Dr. Patrick Christian Otto

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Einführung von Altershöchstgrenzen im Öffentlichen Dienst

Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Wir freuen uns Euch heute einen Gastbeitrag von Patrick Otto vorstellen zu können. Patrick studiert Rechtswissenschaften in Hannover und ist studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde). Er behandelt in seinem Gastbeitrag die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einführung von Altershöchstgrenzen im Öffentlichen Dienst anhand einer Besprechung von BVerfG, Beschl. v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12.
 
 I. Einführung
Das Berufsbeamtentum genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert und erfreut sich großer Nachfrage (vgl. etwa http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/junge-studenten-ziehen-eine-stelle-beim-staat-der-freien-wirtschaft-vor-13028053.html). Dies liegt vor allem daran, dass Beamten die Vorteile aus den hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gem. Art. 33 V GG zugutekommen, die diesen u.a. eine Vollalimentation, eine lebenslange Beschäftigung sowie eine Pensionszahlung nach dem aktiven Dienst sichern. Um in den Genuss dieser Vorzüge zu kommen, muss der Beamte jedoch zunächst in das öffentliche Amt berufen werden, wofür der Staat selbst Hürden aufstellt, denn er muss der Bestenauslese des Art. 33 II GG standhalten (Berufung nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung). Dennoch kann einem Bewerber auch dann der Zugang zum öffentlichen Amt verwehrt werden, wenn dieser zwar alle Voraussetzungen des Art. 33 II GG erfüllt, jedoch schlichtweg zu alt ist. Genau diese beamtenrechtlichen Altersgrenzen sind inzwischen in erheblichem Maße in der öffentlichen Diskussion.
Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Europäisierung durch das Verbot der Altersdiskriminierung sowie das AGG, das auch auf den öffentlichen Dienst Anwendung findet (vgl. § 24 AGG), hat sich hierbei ein neues Problemfeld herauskristallisiert. Während die grundsätzliche Zulässigkeit von Altersgrenzen im Öffentlichen Dienst wegen des angemessenen Verhältnisses von aktiver Dienstzeit und Pensionslastzeit breit konsentiert ist, streitet man vor allem um die exakten Einstellungshöchstgrenzen. Genau in diese Kerbe schlägt auch die hier vorliegende Entscheidung des BVerfG, die sich anhand des Nordrhein-Westfälischen Beamtenrechts mit den dortigen Höchstgrenzen befasst. Sie ist zwar nicht Pflichtfachstoff für die Erste Juristische Prüfung, jedoch werden in ihr auch wichtige Themen des Pflichtstoffes behandelt. In hohem Maße ausbildungsrelevant sind hier vor allem die sehr dezidierten Ausführungen des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Determinanten der Verordnungsermächtigung an die Exekutive. Diese sind keinesfalls spezifisch für das Beamtenrecht, sondern lassen sich auf alle anderen Klausursachverhalte übertragen, in denen danach gefragt ist, ob eine Entscheidung der Exekutive überlassen werden darf.
 
II. Sachverhalt und Entscheidungsmaximen des BVerfG
 Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren – zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – Verfassungsbeschwerden gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund von Höchstaltersgrenzen. Sie sind angestellte Lehrkräfte im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehren die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl sie das 40. Lebensjahr bereits vollendet und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung überschritten haben. Die Ablehnung der Verbeamtung auf Probe fußt in beiden Fällen auf den §§ 6 I, 52 I sowie 84 II der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen 2009. In beiden Fällen erhoben die Beschwerdeführer Klage, welche in allen Instanzen erfolglos blieb. Nach den jeweiligen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 26.3.2012 – 2 B 26.11 sowie BVerwG, Urt. v. 23.2.2012 – 2 C 79.10) erhoben sie Verfassungsbeschwerde. Der Zweite Senat des BVerfG judizierte, dass die §§ 6 I, 52 I sowie 84 II LVO NRW wegen nicht hinreichender Verordnungsermächtigung in § 5 Abs. 1 LBG NRW verfassungswidrig und nichtig sind. Daher verwies das BVerfG beide Sachen an das Bundesverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurück. Die Entscheidung erging mit 7:0 Stimmen, sodass keine Sondervoten angefertigt wurden. Richter Maidowski durfte aufgrund bundesverwaltungsgerichtlicher Mitwirkung sein Richteramt gem. § 18 I Nr. 2 BVerfGG nicht ausüben.
 
III. Begründung der Entscheidung
Zur Begründung ihrer Entscheidung rekurrierten die Verfassungsrichter vor allem auf die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Verordnungsermächtigung und würdigten diese im Lichte des Art. 33 II GG. Zunächst folgern sie aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, dass die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen seien und dies besonders dann gelte, wenn die Verwirklichung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten betroffen ist. Nur dadurch könne ein hohes Maß an Transparenz sowie die Beteiligung einer parlamentarischen Opposition sichergestellt werden. Als Ergebnis dieses Prozesses müsse aus der Verordnungsermächtigung aus Sicht des Bürgers hervorgehen, was diesem gegenüber zulässig sein soll. Dies gelte auch unmittelbar für den Landesgesetzgeber. Fernerhin führte das BVerfG aus, dass gerade im Bereich des Beamtenrechts der Großteil der Regelungen direkt vom Parlament erlassen werden müsse. Deshalb sei es auch Aufgabe des Parlaments, die Abwägung zwischen dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 II GG und den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gem. Art. 33 V GG selbst vorzunehmen. Ausnahmen vom Leistungsgrundsatz müssten aus diesem Grund zwingend durch Parlamentsgesetz vorgesehen sein. Auf den Fall übertragen sehen die Verfassungsrichter die Ermächtigungsgrundlage des Art. 5 I 1 LBG NRW als nicht hinreichend bestimmt an. Die Norm selbst beinhalte zunächst zwar zahlreiche Vorgaben zur Laufbahnverordnung und gebe insofern prima facie ein enges Korsett für die Verordnung vor. Das BVerfG stellt dennoch fest, dass sich der Landesgesetzgeber in NRW einer parlamentarischen Leitentscheidung entzogen habe, sodass die Regelung den Anforderungstrias des Art. 80 I 2 GG (Inhalt, Zweck und Ausmaß) nicht gerecht werde. Dies wird damit begründet, dass der Art. 5 I 1 LBG NRW an keiner Stelle konkrete Vorgaben für die Altershöchstgrenzen enthalte, sondern nur generell vorgebe, dass die Altershöchstgrenzen in der Verordnung zu regeln sind. Insoweit sei der Exekutive Tür und Tor geöffnet. Auch eine systematische Auslegung sowie ein Blick in den Gesetzgebungsmaterialien führten zu keinem anderen Ergebnis. Damit sei die Norm trotz ihrer zahlreichen Regelungen eben doch verfassungswidrig, da dieser eine wichtige Regelungsbereich der Altershöchstgrenzen nicht konkret vorgegeben wurde.
Im letzten Abschnitt der Entscheidung wird trotz der bereits fehlenden Bestimmtheit der Verordnung, die schon für sich genommen zur Verfassungswidrigkeit führt, umfangreich thematisiert, ob und in welchen Bereichen der Gesetzgeber Altersgrenzen für die Beamteneinstellung festsetzen darf. Dies geschieht vor allem deshalb, um die vorhandenen Unsicherheiten zu beseitigen. Hierzu wird ausgeführt, subjektive Zulassungsvoraussetzungen seien im Grundsatz nicht zu beanstanden, da Art. 33 II GG keinen Anspruch auf Zugang zu einem öffentlichen Amt verschaffe. Daher seien auch Höchstaltersgrenzen für den Zugang grundsätzlich zulässig, da sie an die physische Leistungsfähigkeit anknüpften und diese ab einem gewissen Alter nicht mehr in der erforderlichen Weise gegeben sei. Dies gelte wiederum nicht per se, sondern nur für ausgewählte Berufsgruppen (etwa Militär, Polizeivollzugsdienst, Feuerwehr). Folglich komme dieser Grund bei der vorliegenden Entscheidung zu Lehrkräften nicht zum Tragen, gleichwohl jedoch das Lebenszeit- und das Alimentationsprinzip aus Art. 33 V GG, welche als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums anerkannt sind und daher Verfassungsrang aufweisen. Der Gewährleistungsgehalt des Lebenszeitprinzips umfasst, wie der Name schon nahelegt, dass Beamte auf Lebenszeit berufen werden, also etwaige Befristungen grundsätzlich unzulässig sind. Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Staat dazu für den angemessenen Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Somit genießen Beamte im Vergleich zu Angestellten deutliche Vorzüge. Angestellte sind etwa kündbar und ihr Gehalt ist, mit Ausnahme von Mindestentgelten aus Tarifverträgen oder dem gesetzlichen Mindestlohn, nicht gesetzlich garantiert.
Dem Lebenszeit- und dem Alimentationsprinzip liegt neben dem Schutz und der Versorgung der Beamten die Vorstellung zugrunde, dass diese möglichst lange aktiv im Amt bleiben sollen, um durch ihre Arbeitskraft dem Dienstherrn nützlich zu sein. Deshalb sei es stets erforderlich, die praktische Konkordanz zwischen Art. 33 II GG sowie Art. 33 V GG herzustellen, wobei dem Gesetzgeber hierbei ein Gestaltungsspielraum zukomme. Aus dem bereits Gesagten ergebe sich folglich die Pflicht für den Gesetzgeber, eine umfassende Gesamtwürdigung zwischen Art. 33 II GG und Art. 35 V GG vorzunehmen und zu einer verhältnismäßigen Lösung zu kommen.
 
1.  Würdigung der Judikatur durch den Verfasser
 Die Judikatur des BVerfG vermag sowohl in Bezug auf die unzureichende Bestimmtheit von § 5 I 1 LBG NRW im Speziellen wie auch zur Zulässigkeit von Altershöchstgrenzen für die Verbeamtung auf Probe im Allgemeinen zu überzeugen. Es ist zutreffend, dass an die Verordnungsermächtigung im grundrechtsrelevanten Bereich erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Überließe man es dort der Exekutive, die maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen, so führte dies einerseits zu einem Mangel an Demokratie und andererseits zur Unterbindung eines erforderlichen parlamentarischen Diskurses. So zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass die Regierungsfraktionen unangenehmen Diskussionen im Parlament gerne aus dem Weg gehen, um sie dann durch Verordnungsermächtigung gewissermaßen „im Hinterzimmer“ von der Regierung selbst regeln zu lassen.
Dieser äußerst fragwürdigen Praxis wird durch die erneute höchstrichterliche Klarstellung Einhalt geboten. Somit ist die Entscheidung nicht nur vor dem Hintergrund von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehr zu begrüßen, sondern ebenso aus der individuellen Sicht des Bürgers. Für diesen sind parlamentarische Prozesse aufgrund der Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung und der stärkeren medialen Berichterstattung wesentlich besser nachzuvollziehen, als Prozesse der Exekutive, bei denen der Bürger häufig nur das Ergebnis sieht. Summa summarum ist die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur daher in der Argumentation und im Ergebnis richtig und überzeugend. Einzige Kritikpunkte sind, dass die Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 5 I 1 LBG NRW zu knapp ausfällt und dafür ein zu starker Schwerpunkt auf allgemeine Ausführungen gelegt wird. Hier hätte das BVerfG etwa auch noch teleologisch damit argumentieren können, dass es auch Sinn und Zweck des § 5 I 1 LBG NRW im Allgemeinen ist nur zu bestimmen, was zu regeln ist, aber selbst in keiner seiner zahlreichen Alternativen abschließende Entscheidungen trifft.
 
 2. Resümee
Die vorliegende Entscheidung ist ein erneuter Beweis dafür, dass ein Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Verfassungsgericht vorhanden ist, welches das BVerfG auszutarieren versucht. Während das Parlament häufig aufgrund der leichteren Entscheidungsstrukturen und der vermeintlich höheren Expertise wichtige Entscheidungen der Exekutive überlässt, ist das Verfassungsgericht stets darum bemüht, möglichst viele Entscheidungen beim Parlament direkt zu belassen und an die Verordnungsermächtigung strenge Bedingungen zu stellen. Vorliegend beweist das BVerfG wiederum erneut, dass es den Intentionen des Bundes- und vieler Landesgesetzgeber, wichtige Fragen nicht mehr im Parlament zu entscheiden, mit fundierter Argumentation entgegenzutreten weiß. Dabei stellt es unmissverständlich klar, dass die Verordnungsermächtigung nur in engen Grenzen möglich ist und stets einer umfassenden Abwägung der Interessenlage bedarf. Gleichwohl wird die Entscheidung den Konflikt zwischen Gesetzgeber und Parlament wohl nicht endgültig lösen können. Es ist daher auch für die Zukunft davon auszugehen, dass die Strömung der Gesetzgeber hin zur Verordnungsermächtigung weiter anhalten wird. Zusammenfassend empfiehlt es sich deshalb für Studierende die Judikatur des BVerfG sowie die Praxis des Bundes- und der Landesgesetzgeber zur Verordnungsermächtigung im Blick zu behalten.

19.11.2015/1 Kommentar/von Dr. Patrick Christian Otto
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Patrick Christian Otto https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Patrick Christian Otto2015-11-19 15:40:132015-11-19 15:40:13Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Einführung von Altershöchstgrenzen im Öffentlichen Dienst
Dr. Christoph Werkmeister

OVG Münster: Ablehnung tätowierter Polizeibewerber

Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Das OVG Münster hat kürzlich über einen äußerst examensrelevanten Sachverhalt entschieden (Urteil vom 26.09.2014 – 6 B 1064/14). In der Sache ging es um die Ablehnung von Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst aufgrund von großflächigen Tätowierungen, die sich nicht durch (Sommer-)Uniformen verdecken ließen.
Im zu entscheidenden Fall wurde die Ablehnung des Bewerbers damit begründet, dass er an den Unterarmen tätowiert war, und dies, obwohl der Bewerber durchaus bereit gewesen wäre, im Sommer langärmelige Uniformhemden zu tragen. Das in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beklagte Land NRW argumentierte, dass die Legitimation und Autorität von Polizeivollzugsbeamten durch die Tätowierungen beeinträchtigt sei. Das OVG Münster bestätigte diese Rechtsauffassung, da das Land als Dienstherr berechtigt sei, Vorgaben für die äußere Erscheinung im Dienst zu machen.
In eine andere Richtung ging hingegen ältere Rechtsprechung des VG Aachen, wobei allerdings ein grundsätzlicher Ausschluss vom Auswahlverfahren aufgrund der Tätowierungen in Frage stand (siehe dazu hier). Die Entscheidung des VG Aachen zeigt aber, dass die in dem Fall durchzuführende Abwägung der Grundrechte des Bewerbers mit der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes durchaus auch anders ausfallen kann. Wir hatten seinerzeit ausführlich zu der Entscheidung und den jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen berichtet. Die Lektüre des vorstehend verlinkten Beitrags sei aufgrund der hohen Examensrelevanz dringend empfohlen.

04.10.2014/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2014-10-04 14:05:482014-10-04 14:05:48OVG Münster: Ablehnung tätowierter Polizeibewerber
Dr. Marius Schäfer

VG Aachen: Teilnahme an Auswahlverfahren für Polizeidienst auch mit Unterarm-Tätowierungen

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht

Sachverhalt (verkürzt)
Das VG Aachen hat mit noch nicht veröffentlichtem Urteil (1 K 1518/12) vom 29.11.2012 entschieden, dass ein Bewerber, welcher sich für den Vorbereitungsdienst im Rahmen der Einstellung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst beworben hat, nicht schon deshalb als für den Polizeidienst ungeeignet abgelehnt bzw. nicht schon von vornherein vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden darf, weil dieser an beiden Armen große Tätowierungen von der Schulter bis zu den Unterarmen aufweist. Die Teilnahme am Auswahlverfahren ist für jeden Bewerber Voraussetzung für dessen Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst und das am 01.09.2012 beginnende Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. In diesem Sinne folgt das Urteil einer Entscheidung (1 L 277/12) gleichen Rubrums vom 31.07.2012, welche durch das VG Aachen bereits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 I 2 VwGO erfolgt ist.
Rechtliche Würdigung
Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zur Geeignetheit eines Beamten aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes häufen sich in den letzten Jahren, sodass damit fast zwangsläufig auch eine gewisse Klausurrelevanz verbunden ist. Es gilt hier stets die Grundrechte des Beamten – oder in diesem Falle des Bewerbers – in Einklang mit den im öffentlichen Dienst vorherrschenden Strukturprinzipien zu bringen.
In diesem Fall könnten der Einstellung eines auffällig tätowierten Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst die in Art. 33 GG verankerten Strukturprinzipien des öffentlichen Dienstrechts entgegenstehen. Betroffen ist, mit der Berücksichtigung für das Auswahlverfahren und der vom Kläger beabsichtigten Einstellung in den Polizeivollzugsdienst, insbesondere der Zugang zu einem öffentlichen Amt. Zwar enthält das in Art. 33 II GG begründete Leistungsprinzip für jeden Bewerber in diesem Zusammenhang das Recht, bei seiner Bewerbung um ein öffentliches Amt allein nach den hier genannten Voraussetzungen – d.h. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung – beurteilt und unter gleichen Zugangsmöglichkeiten eingestellt zu werden,[1] doch bleibt insofern fraglich, inwieweit das äußere Erscheinungsbild des Klägers diesem eine Eignung für das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis versagen könnte. Vom Begriff der Eignung umfasst sind die Persönlichkeit sowie auch solche charakterlichen Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind.[2] Zu beachten ist dabei, dass die Auswahlkriterien des Art. 33 II GG in gleicher Weise auch für ein vorgeschaltetes Auswahlverfahren gelten, mit dem der Dienstherr das Vorliegen der Eignungsvoraussetzungen möglichst zuverlässig in Erfahrung bringen möchte.[3]
So führte das Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP) aus, dass eine deutlich sichtbare Tätowierung nicht mit der Neutralität eines Polizeibeamten in Einklang zu bringen sei. Ausgehend von einem Erlass des Innenministeriums aus dem Jahre 1995, welche durch einen weiteren Erlass im August des Jahres 2012 bestätigt wurde, stellten derartige Tätowierungen, die beim Tragen von Hemden mit kurzen Ärmeln zu sehen seien, mithin einen Eignungsmangel dar. Von daher berief sich die Einstellungsbehörde darauf, dass der Kläger anhand seines äußeren Erscheinungsbildes nicht dem in Art. 33 II GG enthaltenen Leistungsprinzip gerecht werde und sich somit auch nicht für einen Zugang zum Polizeivollzugsdienst qualifizieren könne.
Gegenüber einem so begründeten, generellen Ausschluss vom Auswahlverfahren zur Einstellung in den Vorbereitungsdienst des Polizeivollzuges, können die Grundrechte des Bewerbers allerdings nicht unbeachtet bleiben. Zum einen könnte sich der Kläger auf sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG berufen, denn dessen erkennbare Tätowierungen sind gerade ein nach außen kundgegebener Ausdruck seiner Persönlichkeit. Andererseits könnte der Bewerber auch geltend machen, dass eine verfassungsrechtlich unzulässige Vorenthaltung des in Art. 12 I GG verbürgten Grundrechts auf freie Wahl des Berufes bzw. des in Art. 33 II GG grundrechtsgleich gewährleisteten Rechts auf Zugang zu einem öffentlichem Amt verletzt wurde, indem die Einstellungsbehörde die Eignung des Bewerbers fehlerhaft beurteilt hat und diesem so die Teilnahme am erforderlichen Auswahlverfahren versagt hat. Diese verfassungsrechtliche Gewährleistung ist überdies auch einfachgesetzlich in den §§ 8, 9 BeamtStG i.V.m. § 15 III 1 LBG NRW enthalten.
Unter dem Aspekt, dass eine Einschränkung von Grundrechten möglich ist, um die Funktionsfähigkeit des Polizeivollzugsdienstes zu erhalten, ist sodann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellen, um die Grundrechte des Bewerbers in Einklang mit den Strukturprinzipien des Beamtentums zu bringen. Insoweit könnte der Einstellungsbehörde bei der Beurteilung hinsichtlich der Eignung eines an beiden Armen tätowierten Bewerbers, eine ermessensfehlerhafte Entscheidung im Rahmen des Auswahlermessens zur Last zu legen sein.
Die Versagung der Teilnahme am Auswahlverfahren müsste einen legitimen Zweck verfolgen und an sich auch geeignet sein, diesen legitimen Zweck zu erreichen. Sinngemäß stellt die Einstellungsbehörde hier darauf ab, dass vor allem Polizeibeamten eine Geltung in der Öffentlichkeit zukomme, dessen Auftreten es erforderlich mache, eine gewisse Neutralität und Einheitlichkeit des Staates und seiner Beamten zu bewahren und auszudrücken. Der Respekt gegenüber einem Polizeibeamten könnte von daher vermindert sein, wenn dieser deutlich sichtbare Tätowierungen zur Schau stellt und so eine überzogene Individualität nach außen Preis gibt, mit dem die Toleranz anderer übermäßig beansprucht wird. Um jedoch die Funktionstüchtigkeit des Polizeivollzugsdienstes dahingehend zu sichern, dass den Beamten in der Öffentlichkeit das gleiche Maß an erforderlicher Geltung zukommt, erscheint es durchaus als geeignet, tätowierten Bewerbern bereits die Teilnahme am Auswahlverfahren zu versagen. Allerdings dürfen darüber hinaus keine milderen aber gleich geeigneten Mittel zur Verfügung stehen oder eine unzureichende Abwägung mit den Grundrechten des Bewerbers erfolgt sein.
Das VG führte im Ergebnis hierzu aus, dass eine generelle Versagung der Teilnahme, mit ablehnendem Bescheid des LAFP, zu beanstanden sei, soweit die Behörde die Prüfung einer Entscheidungsrelevanz der individuellen Tätowierung nicht vorgenommen hat. Vielmehr müsse aus einer solchen Einzelprüfung hervorgehen, dass es dem Bewerber an einer geeigneten Persönlichkeit oder charakterlichen Eigenschaft mangele. Es gehe aus dem Bescheid insofern nicht klar hervor, inwieweit es diesbezüglich überhaupt an der Eignung des Bewerbers fehle, zumal das Grundrecht des Bewerbers aus Art. 2 I GG nicht hinreichend beachtet wurde, denn eine Versagung – unter Verweis auf einen 15 Jahre alten Erlass – werde dem vollzogenen gesellschaftlichen Wandel hinsichtlich der Akzeptanz von Tätowierungen in der Öffentlichkeit nicht mehr in anzustellendem Maße gerecht. Schließlich komme auch ein milderes Mittel in Betracht, welches vorrangig zu berücksichtigen wäre, um dem Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Beamten sowie der Funktionsfähigkeit des Polizeivollzugsdienstes gerecht zu werden: Der Dienstherr kann den Beamten auch im Sommer anweisen, ein Hemd mit langen Ärmeln zu tragen, um so die Tätowierungen ggf. zu verdecken. Damit ist es nicht erforderlich, dem Bewerber im vorgeschalteten Auswahlverfahren eine Teilnahme hieran zu versagen, ohne hinreichende Versagensgründe für dessen Eignung darzulegen, welche sich nicht von vornherein aus dessen auffälliger Tätowierung ergeben. Generell könne eine solche Tätowierung nicht als Eignungsmangel herangezogen werden, sodass sich das Auswahlermessen des LAFP jedenfalls dahingehend reduziere, den Kläger zumindest zum Auswahlverfahren zuzulassen.
Bewertung
Eine Entscheidung des VG Aachen, welche im Ergebnis überzeugt und sich ohne weiteres in einer Klausur wiederfinden könnte. Angesichts der Abwägung der Grundrechte des Bewerbers mit der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sollte das Augenmerk in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere auf den gesellschaftlichen Wert der Tätowierung als Ausdruck des Persönlichkeitsrechtes nach Art. 2 I GG sowie die Möglichkeit eines Eignungsmangels im Sinne des Art. 33 II GG gelegt werden.



[1] Jarass/Pieroth, Art.33, Rn. 7.
[2] Sachs, Art. 33, Rn. 28.
[3] OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 – 6 B 48/07.

19.12.2012/1 Kommentar/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2012-12-19 10:00:412012-12-19 10:00:41VG Aachen: Teilnahme an Auswahlverfahren für Polizeidienst auch mit Unterarm-Tätowierungen
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG: Mindestalter für den Einstieg in eine Beamtenlaufbahn ist verfassungswidrig

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Verfassungsrecht
Das BVerwG entschied kürzlich einen Sachverhalt, der ohne weiteres Eingang in verfassungsrechtlich geprägte Klausuraufgaben finden könnte (Az. 2 C 74.10, 2 C 75.10). In concreto hat das BVerwG entschieden, dass eine Vorschrift in einer beamtenrechtlichen Laufbahnverordnung, die eine Mindestaltersgrenze – hier 40 Jahre – für einen Aufstieg in eine höhere Laufbahn vorschreibt, verfassungswidrig sei.
Sachverhalt
Zwei Steuerhauptsekretärinnen in einer Landesfinanzverwaltung war die Zulassung zum Aufstieg in eine höhere Laufbahnebene verweigert worden, weil sie noch nicht 40 Jahre alt waren. Gestützt wurde diese Entscheidung u.a. auf eine Rechtsverordnung, die die Laufbahnzulassungsvoraussetzungen und auch die hier relevante Altersgrenze regelte.
Entscheidung
Die Vorinstanz zum BVerwG hatte zur Begründung u.a. ausgeführt, die im Streitfall maßgebliche Mindestaltersregelung sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Verordnungsgeber bewege sich mit der Annahme, dass Lebensältere im Sinne von „gestandenen“ Männern und Frauen mit einer verfestigten Persönlichkeit eher als Vorgesetzte akzeptiert würden als Lebensjüngere, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums.
Das BVerwG stellte dementgegen fest, dass ihre Nichtberücksichtigung wegen Nichterreichens der Altersgrenze rechtswidrig war. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG habe jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift würden darüber hinaus auch Auswahlentscheidungen im Vorfeld der Verleihung eines öffentlichen Amtes unterfallen, sodass auch Fälle wie der hiesige, wo es um die Zulassung zu einer Ausbildung für einen Laufbahnaufstieg ging, erfasst seien.
Ein Bewerber könne bei einer solchen Auswahlentscheidung nur dann wegen seines zu geringen Alters abgelehnt werden, wenn deswegen eine Beurteilung seiner Bewährung (noch) nicht möglich sei. Vom Lebensalter seien grundsätzlich keine Rückschlüsse auf die Eignung für das angestrebte Amt möglich. Ebenfalls unzulässig seien zudem längere (als zur Beurteilung der Bewährung des Bewerbers nötige) Mindestwartezeiten, die der Bewerber im Beamtenverhältnis oder in seinem bisherigen Amt verbracht haben muss; denn auch diese zielen nach Auffassung des BVerwG darauf ab, ältere Bewerber den jüngeren vorzuziehen,unabhängig davon, wer der bessere ist.
Examensrelevanz
Die Entscheidung des BVerwG ist deshalb examensrelevant, weil der Prüfling sich mit altbekannten Problemen wie der Ungleichbehandlung wegen des Alters in einem ungewöhnlicheren Kontext, nämlich dem des Art. 33 Abs. 2 GG, beschäftigen muss.
Darüber hinaus basiert die fragliche Rechtslage hier auf einer Rechtsverordnung, also einer von der Exekutive erlassenen Norm i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG. In dieser Hinsicht ist es für den Klausurersteller ein leichtes, noch weitere Probleme in den Sachverhalt einzubauen; genannt sei hier etwa die Einhaltung der Grenzen des Art. 80 ABs. 1 GG im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der einschlägigen Rechtsverordnung.
Mitunter ließe sich der hier gestellte Fall zudem auch in einem zivilrechtlichen Kontext erörtern. Zu fragen wäre dann nach Verstößen gegen das AGG und den daraus resultierende Ansprüche der Betroffenen (s. instruktiv zur Prüfung von AGG-Tatbeständen hier).

29.09.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-09-29 15:00:522012-09-29 15:00:52BVerwG: Mindestalter für den Einstieg in eine Beamtenlaufbahn ist verfassungswidrig
Dr. Christoph Werkmeister

Kein Ausgleich für von Beamten zu viel geleistete Arbeitszeit

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Verwaltungsrecht

Das VG Koblenz entschied mit Urteil vom 29.03.2012 (Az. 6 K 1067/11.KO) einen äußerst examensrelevanten Sachverhalt zur Frage, inwiefern Beamte für zu viel geleistete Arbeitszeit eine Vergütung verlangen können.
Sachverhalt
Die L war eine verbeamtete Grundschullehrerin. Sie ist nunmehr im Ruhestand. Der L standen in ihrem letzten Dienstjahr gemäß der Lehrkräftearbeitszeitverordnung eine Altersermäßigung von drei Stunden pro Woche zu. D.h., die L musste in ihrem letzten Dienstjahr drei Wochenstunden weniger als die Jahre zuvor arbeiten. Dieser wurde aufgrund eines Versehens allerdings nicht bei der Stundeneinteilung berücksichtigt. Die L meldete diesen Fehler im Dienstplan allerdings nicht, sondern arbeitete auch in ihrem letzten Dienstjahr die volle Stundenzahl weiter.
Die L verlangte nunmehr, nachdem sie in den Ruhestand versetzt wurde, einen finanziellen Ausgleich für die wöchentlich zu viel gearbeiteten Stunden.
Rechtliche Würdigung
Das VG Koblenz stellte fest, dass eine wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand versetzte verbeamtete Grundschullehrerin keinen finanziellen Ausgleich für in ihrem letzten Dienstjahr zu viel unterrichtete Stunden beanspruchen könne. Für eine solche Zahlung fehle es bereits an einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage (Az.: 6 K 1067/11.KO).
Das VG vertrat in Anlehnung an die neueste Rechtsprechung des BVerwG weiterhin, dass Beamte bei derartigen Sachverhalten in der Pflicht wären, Ansprüche auf einen zeitlichen Ausgleich gegenüber dem Dienstherrn geltend zu machen. Ein finanzieller Ausgleich komme nur dann in Betracht, wenn der Beamte nach Stellung des vorgenannten Antrags dennoch Mehrarbeit leisten muss.
Ein Ausgleich von vorher erbrachter Zuvielarbeit sei nach Auffassung des VG demgegenüber nicht angemessen. Die L hätte sich also vorher bei ihrem Dienstherrn melden müssen. Ein Verlangen auf finanziellen Ausgleich entgegen diesen Grundsätzen widerspreche zudem dem Grundsatz von Treu und Glauben. Dies begründet sich daraus, weil dem Dienstherrn ein berechtigtes Interesse zusteht, nicht nachträglich mit außergewöhnlich hohen Ausgleichsforderungen belastet zu werden. Der L sei es in dem von der Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme geprägten Beamtenverhältnis zuzumuten, ihr Begehren auf Gewährung eines (zeitlichen) Ausgleichs frühzeitig zum Ausdruck zu bringen. Dies sei insbesondere deshalb der Fall, da das Stellen eines Antrags bzw. eine Meldung des Fehlers im Dienstplan ohne großen Aufwand zu bewerkstelligen ist.

21.04.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-04-21 10:33:382012-04-21 10:33:38Kein Ausgleich für von Beamten zu viel geleistete Arbeitszeit
Nicolas Hohn-Hein

OVG NRW: Uneingeschränktes Streikverbot für Beamte in Deutschland

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Thematisch passend zu den derzeit laufenden Warnstreiks der Angestellten im öffentlichen Dienst (Bus- und Bahn) in verschiedenen Großstädten hat sich das OVG NRW gestern mit der Frage auseinandergesetzt, ob Beamten in Deutschland ein Streikrecht zusteht (OVG NRW, 3d A 317/11.O – Beschluss vom 7.03.2012). Die Urteilsbegründung liegt derzeit noch nicht vor, folgt im Ergebnis aber der bisherigen höchstrichterlichen Rechtssprechung (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 11.06.1958 – 1 BvR 1/52, 46/52 -, BVerfGE 8, 1, 17; BVerwG, Urteil vom 03.12.1980 – 1 D 86/79 -, BVerwGE 73, 97 ff.). Kommentare sind wie immer ausdrücklich erwünscht.
Sachverhalt (verkürzt)
Die verbeamtete Lehrerin L ist mit ihrer derzeitigen Berufssituation unzufrieden. Sie beschließt daher, am 28.01.2009, 05.02.2009 und 10.02.2009 ohne Genehmigung des Dienstherrn (Land NRW) an Warnstreiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilzunehmen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Unterricht kann sie an diesen Tagen nicht erteilen. In der Folge wird ihr vom Land NRW durch eine Disziplinarverfügung eine Geldbuße in Höhe von 1.500 EUR auferlegt.
L ist erbost. Sie beruft sich auf die EMRK und die Rechtssprechung des EGMR zum Beamtenrecht, wonach ihr ein Streikrecht zustehe. Die Geldbuße sei „völlig rechtswidrig“.
Art. 11 EMRK, Art. 9 Abs. 3 GG als Anknüpfungspunkt
Ausgangspunkt für die Prüfung sind die jeweiligen Normen des GG und der EMRK zur Koalitionsfreiheit, Art. 11 EMRK und Art. 9 Abs. 3 GG. Hiernach ist zunächst jeder berechtigt, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen und die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses bestehenden Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. L beruft sich auf die „EMRK und die Rechtsprechung des EGMR“. Hiernach gilt die Koalitionsfreiheit auch dann, wenn auf Seiten des Arbeitgebers der Staat steht. Der Staat muss Tätigkeiten der Gewerkschaften zulassen und ermöglichen. Das Streikrecht für Angehörige des öffentlichen Dienstes darf zwar beschränkt, nicht aber völlig ausgeschlossen werden (EGMR, 6.2.1976, EGMR-E 1, 172 – Schmidt u. Dahlström/Schweden; EGMR, 27. 6. 2002, Nr. 38190/97 – Federation of Offshore workers‘ trade unions/Norwegen für Ölarbeit). Da bei der Auslegung des Grundgesetztes die Wertungen der EMRK und des EGMR zu berücksichtigen sind, soweit dem nicht wichtige Prinzipien des deutschen Verfassungsrechts entgegenstehen, müssen diese Grundsätze auch für Art. 9 Abs. 3 GG gelten.
Beschränkung durch Art. 11 Abs. 2 S.2 EGMR?
Art. 11 Abs. 2 EGMR sieht in besonderen Ausnahmefällen eine Beschränkung der in Abs. 1 genannten Rechte vor. Es besteht allerdings Einigkeit darüber, dass dies nur unter äußerst engen Voraussetzungen möglich ist (Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 11, Rz. 35). Der Begriff der „Staatsverwaltung“ wird eng ausgelegt. Hier könnte wohl – in einer Klausur – vertreten werden, dass, auch mit Blick auf Satz 1, nur solche Angehörige des öffentlichen Dienstes gemeint sind, die für die Funktionweise des Staates und seiner demokratischen Ordnung unerlässlich sind, sodass ein Streik zu erheblichen Erschütterungen im Staatsgefüge führen würde (a.A. vertretbar). Ob dies auch auf Lehrer zutrifft, ist wahrscheinlich eher zweifelhaft. Das EGMR hat diese Frage jedenfalls bisher offen gelassen (EGMR, 22.11.2001, 39799/98 NJW 2002, 3087 – Volkmer/Deutschland)
Einschränkung über Art. 33 Abs. 5 GG – Grundsätze des Berufsbeamtentums
Das OVG ist offensichtlich einen anderen – direkteren – Weg gegangen und hat die Einschränkung der EMRK mit der Anwendbarkeit der Grundsätze zum Berufsbeamtentum gemäß Art. 33 Abs. 5 GG begründet. Die EMRK stehen nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht über dem Grundgesetz, sondern mit den Bundesgesetzen auf einer Stufe. Daher müsse sich Art. 11 EMRK an Art. 33 Abs. 5 GG messen lassen. Um aus der Pressemitteilung zu zitieren:

Die in Art. 11 EMRK und in Art. 9 Abs. 3 GG geregelte Koalitionsfreiheit werde durch die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt, so dass Beamten in der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf deren Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn und vor dem Hintergrund der Erhaltung der Funktionsfähigkeit staatlichen Handelns ein Streikrecht nicht zustehe. Dieses Streikverbot gelte unabhängig davon, welche konkrete Funktion der einzelne Beamte ausübe, denn allein der Status als Beamter sei entscheidend.

Damit hat das OVG NRW zum Ausdruck gebracht, dass es für die Anwendung von Art. 33 Abs. 5 GG hinsichtlich Art. 11 Abs. 1 EMRK nicht darauf ankommt, welche Funktion, d.h. welches Amt der Beamte im Einzelfall innehat oder wie bedeutend sein Fernbleiben von Dienst für die Funktionsweise des Verwaltungsapparates hat. Die Vorinstanz (VG Kassel) war der Auffassung, dass Art. 33 Abs. 5 GG selbst im Lichte der EMRK einschränkend dahingehend ausgelegt werden müsse, dass auch Beamten ein Streikrecht haben. Dem tritt das OVG NRW entgegen. Ein Hergebrachter Grundsatz i.S.v. Art. 33 V GG ist nicht jede überkommene beamtenrechtliche Detailregelung; vielmehr „kann es sich nur um jenen Kernbereich von Strukturprinzipien handeln, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraumes, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“ (Battis, BBG, § 4, Rz. 4). Zu den hergebrachten Grundsätzen zählt nach Ansicht des OVG und in Fortführung der höchstrichterlichen Rechtsprechung damit auch das besondere Verhältnis des Beamten zum seinem Dienstherrn (Stichwort: Sonderrechtsverhältnis), dem Staat, und die besondere Verantwortung für die Allgemeinheit bzw. für die Funktionsfähigkeit des Staatsapparates. Ein Streik und streikähnliche Handlungsweisen („Dienst nach Vorschrift“ o. ä.) zur Verfolgung von Beschäftigungsbelangen oder -interessen ist den Beamten daher verwehrt; denn ein derartiger „Arbeitskampf“ würde sich letztlich gegen den Gesetzgeber oder die gesetzlich festgelegte Rechtsstellung des Beamten richten (Badura in: Maunz/Dürig, GG, Art. 33, Rz. 58. Auch hier lässt sich mit Sicherheit ohne weiteres das Gegenteil vertreten, zumal die L lediglich an drei Unterrichtstagen fehlte und „schwere Beeinträchtigungen“ für den ordnungsgemäßen Ablauf des Schulbetriebs allem Anschein nicht gegeben waren.
Fazit
Schöne Entscheidung, die gewiss bald Eingang in Klausuren und mündliche Prüfungen finden wird. Es lässt sich nicht nur abprüfen, in welchem Verhältnis die EMRK und der EGMR zu den Normen des GG stehen, sondern es ist auch eine gute Argumentation hinsichtlich Art. 33 Abs. 5 GG gefragt. Auf das Ergebnis, ob ein Streikrecht in Frage kommt, wird es dabei wohl weniger ankommen, das zeigt schon die Uneinigkeit der Rechtsprechung der letzten Jahre. Vielmehr sollte man sich mit den wesentlichen Grundsätzen im Beamtenrecht und Art. 33 GG wenigstens einmal beschäftigt haben. Zudem ist der Prüfling gezwungen, einen Blick in Art. 11 EMRK zu riskieren.
In rechtlicher Hinsicht wird abzuwarten sein, ob möglicherweise das BVerfG das letzte Wort haben wird. Ein uneingeschränktes Streikverbot für Beamte ist jedenfalls ein klarer Bruch mit der sich aus der Rechtssprechung des EGMR abzeichnenden Tendenz, nach der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst „normalen“ Angestelltenverhältnisse zunehmend angeglichen werden.

08.03.2012/3 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
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