Sachverhalt
Der Fall ging durch die Medien: In Bad Reichenhall war das Dach einer Eissporthalle unter der Last von Schneemassen eingestürzt und hatte die Besucher unter sich begraben. 15 Besucher – überwiegend Kinder – fanden den Tod; sechs weitere Besucher wurden schwer verletzt. Der BGH (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 – 1 StR 272/09) hatte nun über die Strafbarkeit eines angeklagten Diplomingenieurs zu entscheiden, der zuvor ein Gutachten über den Zustand des Daches erstellt hatte und darin die Stadt nicht hinreichend vor den Gefahren gewarnt hatte.
Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung?
Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Strafvorwurf war ein Unterlassen: Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe bei der Erledigung dieses Auftrags unterlassen, die Träger des Daches umfassend aus nächster Nähe („handnah“) zu betrachten. Die für eine Unterlassensstrafbarkeit erforderliche Garantenstellung nach § 13 Abs. 1 StGB resultierte hier aus der Verantwortung des Angeklagten als sachverständiger Gutachter. Es war gerade seine Verpflichtung, auf entsprechende Gefahren hinzuweisen.
Problem: Kausalität
Problematisch war allein die Frage der hypothetischen Kausalität (Quasi-Kausalität). Bei einem Unterlassensdelikt müsste die gebotene Rettungshandlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert haben.
Das Landgericht hatte dies noch verneint. Nach seiner ansicht verblieben erhebliche Zweifel, dass die Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall Warnhinweise des Angeklagten zum Anlass für weitere Maßnahmen genommen hätten. Dies folge aus der bisherigen Untätigkeit der Stadt. Diese habe trotz schon früher erfolgter Anregungen, vertiefte Untersuchungen zu veranlassen, und trotz sonstiger Warnhinweise zur Tragfähigkeit des Vordachs des Eingangsbereichs nichts unternommen.
Ganz anders sah dies der BGH: Gebotene Hinweise auf Mängel in der Dachkonstruktion wären für die Stadt geradezu ein Alarmsignal für die mangelnde Tragfähigkeit des Hallendachs gewesen. Das Landgericht habe deshalb nicht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall trotz solcher Warnhinweise keine Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenquelle ergriffen hätten.
BGH, Urteil vom 12. 01.2010 – 1 StR 272/09
LG Traunstein, Urteil vom 18. 11.2008 – 2 KLs 200 Js 865/06
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