Wie freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Philipp Karl veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat erfolgreich in Mannheim absolviert.
Gegenstand des Beitrags ist der Fall um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Dieser hat nicht nur eine breite öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, sondern wirft auch einige problematische Rechtsfragen auf (zur Chronologie des Geschehens siehe hier). Diese Kombination macht den Fall, auch wenn er mittlerweile nicht mehr tagesaktuell ist, sicherlich reizvoll für die mündliche Prüfung.
Auf die Strafbarkeit von Amtsträgern, die den ehemaligen Abgeordneten Edathy (angeblich) vor strafrechtlichen Ermittlungen warnten, wurde hier bereits an anderer Stelle eingegangen (Der Fall Edathy im Prüfungsgespräch).
Im Folgenden geht es um strafprozessuale Probleme, die durch den Fall Edathy aufgeworfen werden.
Im Einzelnen wird auf die Begründung eines Anfangsverdachtes mit straflosem Verhalten, die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO eingegangen.
Der Anfangsverdacht aufgrund straflosen Verhaltens
Besonders Interessant in rechtlicher Hinsicht ist, ob überhaupt ein ausreichender Verdachtsgrad als Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Durchführung der Wohnungsdurchsuchung vorlag.
Sowohl die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, als auch die Wohnungsdurchsuchung (§102 StPO) bedürfen des Vorliegens eines Anfangsverdachtes.
Der Anfangsverdacht wird als die nach kriminalistischer Erfahrung aufgrund begründeter Tatsachen bestehende Wahrscheinlichkeit verstanden, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist.
Der ehemalige Abgeordnete Edathy hatte sich zugegebenermaßen kostenpflichtig Bild- und Filmmaterial beschafft, welches von einer kanadischen Webseite angeboten wurde. Streitig blieb allein die rechtliche Einordnung des Materials. Es handelte sich wohl um Material, das nicht eindeutig als kinderpornografisch eingestuft werden konnte, sondern sich im Grenzbereich der Strafbarkeit befand.
Es können nämlich nicht jegliche Abbildungen nackter Kinder unter das Tatbestandsmerkmal der kinderpornographischen Schrift subsumiert werden. Nach der bis zum 27. Januar 2015 geltenden Fassung des § 184b StGB war es erforderlich, dass die Abbildungen sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Als sexuelle Handlung eines Kindes in diesem Sinne wurde von der Rechtsprechung auch die Einnahme einer unnatürlichen geschlechtsbezogenen Körperhaltung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll, erfasst.
Die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung wird nunmehr ausdrücklich durch den § 184b Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB n.F. unter Strafe gestellt, ohne dass damit allerdings, wegen der nach alter Rechtslage in diesem Sinne bereits vorgenommenen Gesetzesauslegung, eine Erweiterung der Strafbarkeit verbunden ist.
Die Abbildung nackter Personen in natürlichen oder vermeintlich natürlichen Lebenssituationen war und ist daher nicht ohne weiteres dazu geeignet eine Strafbarkeit nach § 184b StGB zu begründen. Der mit Wirkung vom 27. Januar 2015 neu geschaffene § 201a Abs. 3 StGB n.F. konnte wegen des Rückwirkungsverbotes auf den fraglichen Tatzeitraum ohnehin keine Anwendung finden.
Wenn nun der Besitz von Abbildungen, die keinen strafbaren Inhalt haben, in Frage steht, besteht nach kriminalistischer Erfahrung dennoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand, der sich kostenpflichtig den Besitz an Abbildungen von nackten Kindern verschafft, aufgrund vermuteter sexueller Neigungen, auch im Besitz strafrechtlich relevanten Bild- und Filmmaterials sein könnte.
Anfangsverdacht wegen straflosen Verhaltens
Hieran schließt sich die Frage an, ob ein Anfangsverdacht auch auf strafloses Verhalten gestützt, von einem legalen Verhalten also auf ein illegales Verhalten geschlossen werden darf.
Wegen der Folgen, die sich für Betroffene allein aus einem bestimmten Tatverdacht, unabhängig davon, ob sich dieser später bewahrheitet, ergeben können, ist die Beantwortung dieser Frage für den Betroffenen von erheblicher Bedeutung.
Im Hinblick auf die tiefgreifenden Grundrechtseingriffe, zu welchen die Strafverfolgungsbehörden durch die Annahme eines Anfangsverdachtes ermächtigt werden, kann zur Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes die durch den Gesetzgeber vorgenommene Grenzziehung nicht außer Betracht bleiben.
Es ist Sache des Gesetzgebers im Rahmen der durch die Verfassung vorgegebenen Schranken die für ein geordnetes Zusammenleben als erforderlich erachteten Handlungsanweisungen in Gesetzesform zu konkretisieren und dabei die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten zu ziehen. Innerhalb der hiernach gezogenen Grenzen muss der Einzelne, unabhängig von gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die nicht im Gesetz ihren Niederschlag gefunden haben, darauf vertrauen dürfen von staatlicher Einflussnahme verschont zu bleiben.
Andernfalls würde strafloses Verhalten wegen bloßer Wahrscheinlichkeiten unter Generalverdacht gestellt, was zur Folge hätte, dass aufgrund vielfältigen, scheinbar neutralen, Verhaltens ein Anfangsverdacht mit entsprechendem Begründungsaufwand hergeleitet werden könnte.
Dies bedeutet nicht, dass ein an sich strafloses Verhalten für die Annahme eines Anfangsverdachtes bedeutungslos wäre. Es kann als Indiz in eine zur Begründung des Anfangsverdachts vorzunehmende Gesamtabwägung einbezogen werden. Unzulässig ist es aber den Anfangsverdacht für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat, ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte, allein auf erlaubtes Verhalten zu stützen.
Solche weiteren Anhaltspunkte sah das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 969/14), welches im Rahmen einer von dem Beschuldigten unter anderem gegen die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung erhobenen Verfassungsbeschwerde zu entscheiden hatte, darin begründet, dass es sich bei dem von dem Beschuldigten bestellten Bild- und Filmmaterial eben nicht um eindeutig legales Material gehandelt habe, sondern das Material entweder bereits strafrechtlich relevant gewesen sei oder sich jedenfalls in einem Grenzbereich zur Strafbarkeit befunden habe. Das die Wohnungsdurchsuchung anordnende Gericht sei damit zur Begründung des Anfangsverdachtes gerade nicht davon ausgegangen der Beschuldigte habe sich ausschließlich legal verhalten.
Es handele sich um Grenzfälle, die schwierige rechtliche Wertungen erfordern. Diese Grenzziehung bei seinen Bestellungen zielsicher einzuhalten dürfte für den Beschuldigten schwer möglich gewesen sein, zumal der kanadische Anbieter auf seiner Webseite auch eindeutig strafrechtlich relevantes Material vertrieb. In solchen Grenzfällen sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die darauf gestützte kriminalistische Erfahrung zur Begründung des Tatverdachtes heranzuziehen.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft
Sehr umstritten ist auch die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Hannover im „Fall Edathy“ (siehe zum Beispiel hier) gewesen.
Die Weitergabe persönlichkeitsrechtsrelevanter Informationen an die Presse bedarf als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Ermächtigungsgrundlage.
Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, welche die Strafverfolgungsbehörden dazu ermächtigen persönlichkeitsrechtsrelevante Informationen an die Presse weiterzugeben, ist in der StPO nicht zu finden.
Es gibt kein Recht der Strafverfolgungsbehörden zur Medienarbeit, sondern es wird stattdessen eine Pflicht zur Auskunftserteilung an die Presse in den jeweiligen Landespressegesetzen statuiert (im Fall der Staatsanwaltschaft Hannover: § 4 Niedersächsisches Pressegesetz)
Die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit ergibt sich daher erst mittelbar aus dem Informationsauftrag gegenüber der Presse und ist kein Selbstzweck um beispielsweise Imagewerbung zu betreiben.
Die Rechtmäßigkeit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist im Lichte des Gesetzeszwecks zu beurteilen.
Das Informationsrecht der Presse und die damit notwendigerweise einhergehende Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur Informationserteilung, gelten nämlich nicht grenzenlos. Es kollidiert insoweit das Grundrecht der Pressefreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht desjenigen, der von den Informationen betroffen wird. Um die berührten Grundrechte in einen gerechten Ausgleich zu bringen, bedarf es einer umfassenden Güterabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände.
Dies kommt auch in Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) zum Ausdruck, wonach für jeden Einzelfall zu prüfen ist, ob das Berichterstattungsinteresse die berührten Persönlichkeitsrechte überwiegt.
Zu berücksichtigen sind einerseits die erheblichen Folgen für den Beschuldigten, die mit einer Berichterstattung über den Tatvorwurf einhergehen können. Trotz der bis zu einer Verurteilung geltenden Unschuldsvermutung, ist gerade bei Vorwürfen im Bereich der Kinderpornografie, allein mit dem Tatvorwurf eine Stigmatisierung verbunden, die selbst dann nicht vollständig beseitigt werden kann, wenn sich der Vorwurf letztlich als unzutreffende erweist. Bei bestimmten Ämtern wird unter Umständen allein schon durch den Tatvorwurf der öffentliche Druck so groß sein, dass ein Rücktritt, bevor die Vorwürfe abschließend bewertet werden konnten, unausweichlich ist.
Öffentlich ist grundsätzlich nur die Hauptverhandlung (§ 169 GVG), während das vorgelagerte Ermittlungsverfahren nichtöffentlich ausgestaltet ist.
Ein die Belange des Persönlichkeitsschutzes überwiegendes Interesse der Presse bereits in diesem frühen Verfahrensstadium mit Hilfe staatlicher Informationen berichten zu können, kann sich aus der Schwere der Tat, des Verdachtsgrades und der Stellung des Beschuldigten im öffentlichen Leben ergeben. Ist eine öffentliche Berichterstattung hiernach zulässig, werden regelmäßig gleichwohl Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der zu erteilenden Informationen geboten sein. Dies gilt zum einen hinsichtlich Informationen, die Rückschlüsse auf die Person des Beschuldigten ermöglichen und zum anderen hinsichtlich Informationen zur Art und zum Inhalt des konkreten Tatvorwurfes.
Eine Berichterstattung, welche die Identifizierung des Beschuldigten ermöglicht, ist nur bei sog. Personen der Zeitgeschichte zulässig. Aufgrund der Stellung des Beschuldigten Edathy, als bundesweit bekannter Innenpolitiker, war eine identifizierende Berichterstattung grundsätzlich zulässig. Die Art und der Zeitpunkt der Informationserteilung sind jedoch problematisch.
Die Öffentlichkeit wurde umfassend unterrichtet, bevor die Staatsanwaltschaft selbst ein abschließendes Urteil über die Strafbarkeit des Bildmaterials getroffen hatte. Dabei war bereits mit der Information über den Inhalt der Bilder eine maximale Schädigung des Beschuldigten in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden, weil diese über Personen in herausgehobenen öffentlichen Stellungen ihr Urteil nicht allein in juristischen, sondern vor allem in moralischen Kategorien fällt.
Man mag den Besitz solcher Bilder mit guten Gründen für moralisch verwerflich, generell strafwürdig und den Besitzer solcher Bilder für charakterlich ungeeignet zur Wahrnehmung wichtiger politischer Aufgaben halten. Solange der Gesetzgeber hieraus aber nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen hat, muss derjenige, der sich auf dem Boden des geltenden Rechts bewegt hat, sein erlaubtes Verhalten nicht auf staatliche Veranlassung hin zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung machen lassen. Eine moralische Aufarbeitung ist jedenfalls nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden.
Auch wenn die Staatsanwaltschaft Hannover letztlich bestimmte Bilder als strafrechtlich relevant einstufte und darauf ihre Anklage stützte, so hätte es Zurückhaltung hinsichtlich der öffentlichen Information über den Tatvorwurf bedurft. Die abschließende strafrechtliche Bewertung eines Sachverhaltes ist Sache des gesetzlichen Richters. Dies kommt auch in Nr. 23 RiStBV zum Ausdruck, wonach die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen darf. Dies gilt umso mehr, als es sich scheinbar um Bildmaterial aus einem strafrechtlichen Randbereich, also nicht um eindeutig strafbares Verhalten handelte. Kommt das Gericht in einem solchen Fall später zu dem Ergebnis der Inhalt des Bildmaterials sei nicht strafbar, so ist dem Beschuldigten bereits ein nicht mehr zu reparierender Schaden entstanden.
Es ist zwar nachvollziehbar, dass seitens der mit den Ermittlungen befassten Staatsanwaltschaft das Bedürfnis bestand das eigene Vorgehen, welches massiver Kritik ausgesetzt war, mit Details zu dem Tatvorwurf zu rechtfertigen. Diesem Zweck ist die Öffentlichkeitsarbeit der Strafermittlungsbehörden nach der gesetzlichen Konzeption allerdings nicht zu dienen bestimmt.
Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO
Letztlich kam es zu keinem Urteil gegen Sebastian Edathy, da das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen die Zahlung von 5000 € eingestellt wurde. Die von der StPO vorgesehenen Möglichkeit der Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen dient der Prozessökonomie, zum anderen aber auch den Interessen des Beschuldigten, dem die Belastungen einer öffentlichen Hauptverhandlung erspart bleiben, ohne dass mit der Verfahrenseinstellung eine Schuldfeststellung verbunden ist.
Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO kommt nur bei Vergehen in Betracht und ist für diejenigen Fälle gedacht, in denen zwar im Gegensatz zu § 153 StPO ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, dieses aber durch Auflagen oder Weisungen im Sinne des nicht abschließenden Katalogs des § 153a Abs. 1 S. 2 StPO beseitigt werden kann, wobei allerdings die Schwere der Schuld der Einstellung nicht entgegenstehen darf.
Wenngleich mit der Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO keine Schuldfeststellung verbunden ist, so verbleibt für den Betroffenen, dennoch ein bitterer Beigeschmack. Er musste sich die Verfahrenseinstellung mittels der Erfüllung von Auflagen oder Weisungen „erkaufen“, was eigentlich der Unschuldsvermutung, welche mangels Schuldfeststellung fort gilt, widerspricht und öffentlich den Eindruck eines Schuldeingeständnisses erweckt. Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu der Verfahrenseinstellung tatsächlich von einem Schuldeingeständnis abhängig gemacht. Ein Geständnis wirkt sich zwar anerkanntermaßen strafmildernd aus, sodass es denkbar erscheint, dass durch ein Schuldeingeständnis das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung so weit herabgesetzt wird, dass der Anwendungsbereich des § 153a StPO erst eröffnet wird. Allerdings war im konkreten Verfahren nicht die Tatsache des Besitzverschaffens und des Besitzes des konkreten Bild- und Filmmaterials streitig, sondern es ging lediglich um die rechtliche Bewertung des unstreitigen Sachverhalts. Das „Schuldeingeständnis“ des Angeklagten hat in einem solchen Fall keinen Mehrwert, da es für die Frage, ob sich der Angeklagte schuldig im Sinne der angeklagten Tat gemacht hat, keine Aussage trifft.
Man muss die Verfahrenseinstellung nicht gutheißen, unter Berücksichtigung der strafgerichtlichen Praxis ist sie allerdings nachvollziehbar und beruht nicht auf einem „Promi-Bonus“.
Folgende Gründe können für eine Anwendung des § 153a StPO im konkreten Fall angeführt werden:
- Es handelte sich um eine vergleichsweise niedrige Anzahl von Bild- und Filmdateien, deren Besitz angeklagt wurde
- Es handelte sich scheinbar um Bilder im Grenzbereich zur Strafbarkeit
- Der angeklagte Tatzeitraum lag bereits mehrere Jahre zurück
- Der Angeklagte war vorher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten
- Die berufliche und private Existenz des Angeklagten wurden bereits durch das Ermittlungsverfahren, die Anklage und die begleitende Berichterstattung zerstört
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kam für den Fall einer Verurteilung daher nur eine Strafe im unteren Bereich des auf den fraglichen Tatzeitraum anwendbaren Strafrahmen des § 184b Abs. 4 StGB a.F. von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe in Betracht.