Die Regierungsbildung im Bund zieht sich hin, eine klare Koalition hat sich noch nicht gefunden. Diesen Zustand hat der Bundespräsident bereits Anfang letzter Woche zum Anlass genommen, die Chefs der im Bundestag vertretenen Parteien zu Vieraugengesprächen einzuladen (Spiegel online vom 25.9.2013, „Schwierige Regierungsbildung: Gauck lädt Parteichefs zu Vieraugengespräch ein“). Dieser Vorgang wurde von Beobachtern als „außergewöhnlich“ eingestuft (Spiegel online a.a.O.).
Darf der Bundespräsident die Parteien zu Konsultationen bitten?
Auch wenn das Vorgehen des Bundespräsidenten außergewöhnlich gewesen sein mag, zulässig ist es sicherlich, mit den Parteien vor dem Zusammentritt eines neuen Bundestages über die Regierungsbildung zu konsultieren. Das GG enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung. Gerade im Bereich der Wahl des Bundeskanzlers kommt dem Bundespräsidenten jedoch eine wichtige Rolle zu, mit der auch das Recht zur Durchführung von Konsultationen einhergehen dürfte.
Insbesondere muss er nach Art. 63 Abs. 1 GG beim ersten Zusammentritt des neuen Bundestages – zu diesem Zeitpunkt ist das Amt des Bundeskanzlers vakant, vgl. Art. 69 Abs. 2 GG – dem Bundestag einen Vorschlag zur Wahl des Bundeskanzlers machen. Allein schon dafür ist es jedenfalls zweckmäßig, dass der Bundespräsidenten die Mehrheitsverhältnisse im Vorhinein sondiert, um einen aussichtsreichen Kandidaten vorschlagen zu können (vgl. Epping, in: BeckOK-GG, Art. 63 Rn. 3 m.w.N.). Viel spricht dafür, dass der Bundespräsident sogar nur einen jedenfalls aussichtsreichen Kandidaten vorschlagen darf. Insbesondere die Systematik spricht für eine Orientierung an dem voraussichtlichen Willen der Mehrheit des Parlaments. Denn scheitert die Wahl des vom Bundespräsidenten vorgeschlagenen Kandidaten, kann das Parlament selbst einen solchen aus seiner Mitte wählen (Art. 63 Abs. 3 GG). Das Parlament, nicht der Bundespräsidenten bestimmt also über die Person des Bundeskanzlers. Das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten kann also mithin nicht den Sinn haben, einen eigenen politischen Kandidaten durchzudrücken oder die Auswahlentscheidung des Parlaments zu beschränken. Es soll lediglich möglichst schnell zu einer stabilen Regierung führen (Epping, in: BeckOK-GG, Art. 63 Rn. 3).
Konsultationen sind daher, zumindest empfehlenswert und Ausdruck „politischer Klugheit und politischem Takt“ (Herzog, in Maunz/Dürig, Art. 63 Rn. 18). Übliche Staatspraxis war insofern zumeist, dass Gespräche zwischen dem Bundespräsidenten und den Fraktionsführungen stattgefunden, um die Mehrheitsfähigkeit einzelner Kandidaten zu erkunden. Bundespräsident Gauck hat dem vorgegriffen, indem er sich bereits vor der Bildung der Fraktionen mit den Parteivorsitzenden traf. Auch das ist aber von dem Zweck des Art. 63 Abs. 1 GG, zu einer möglichst effizienten Regierungsbildung zu kommen, gedeckt. Denn Voraussetzung für eine solche ist auch, regierungsfähige Mehrheiten zu bilden. Allerdings dürfte der Gegenstand der Gespräche beschränkt sein. So erscheint es mit der eigentlich unpolitischen Rolle des Bundespräsidenten kaum vereinbar, wenn er sich in die Details der Koalitionsverhandlungen einmischt.
Von daher dürfte auch eine Rechtspflicht zu Konsultationen nicht bestehen. Der Bundespräsident ist seinem Wesen nach unpolitisch und muss sich nicht in die Fragen des politischen Alltages begeben. Da der Bundestag ohnehin unabhängig von dem Vorschlag des Bundespräsidenten seinen Kandidaten durchsetzen kann, bedarf es eines „passenden“ Vorschlages des Bundespräsidenten nicht zwingend (vgl. auch Epping, in: BeckOK-GG, Art. 63 Rn. 4).
Ausübung des Vorschlagsrechts
Den Bundespräsidenten trifft die Pflicht, einen aussichtsreichen Kandidaten vorzuschlagen. Einige gehen noch weiter und vertreten, der Bundespräsident müsse den von der Mehrheitsfraktion oder der gebildeten Koalition favorisierten Kandidaten vorschlagen. Das wird jedoch von der hM abgelehnt, soweit verdichte sich die Pflicht des Bundespräsidenten, einen mehrheitsfähigen Kandidaten vorzuschlagen, nicht. Er habe vielmehr einen Beurteilungsspielraum. Daher käme dem Vorschlagsrecht gerade in Zeiten unklarer Mehrheiten eine erhebliche Bedeutung zu (zu all dem Epping, in: BeckOK-GG, Art. 63 Rn. 3 m.w.N. auch zur Gegenansicht).
Das dürfte zurzeit der Fall sein, wie ein Blick auf die aktuell möglichen Vorschläge zeigt. In Betracht kommen dürften:
- Im Falle der Bildung einer Koalition, die eine Kanzlermehrheit hat deren Kandidaten.
- Frau Merkel. Sie ist die Kandidatin der größten Koalition, es bedarf nur weniger Überläufer bräuchte, um sie bereits im ersten Wahlgang zu wählen. Außerdem kann man in dem Wahlergebnis einen klaren Regierungsauftrag sehen.
- Peer Steinbrück. Dies liegt weniger nah, könnte aber vertretbar sein, da insgesamt eine „linke“ Mehrheit besteht.
Weiterer Ablauf der Wahl des Bundeskanzlers
Wird der vom Bundespräsidenten vorgeschlagene Kandidat mit den Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages („Kanzlermehrheit“) gewählt, muss der Bundespräsident ihn ernennen (Art. 63 Abs. 1 GG). Diese Entscheidung ist gegenzeichnungsfrei (Art. 58 S. 2 GG), dem Bundespräsident kommt aber kein Ermessen zu. Kommt es dazu nicht, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen (Art. 63 Abs. 3 GG). Erforderlich ist also auch hierfür die Kanzlermehrheit, die Entscheidung ist ebenfalls gegenzeichnungsfrei.
Kommt diese nicht innerhalb von vierzehn Tagen zu Stande, findet unverzüglich ein weiterer Wahlgang statt, in dem gewählt wird, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt (einfache Mehrheit). Erreicht der Kandidat in diesem Wahlgang die Kanzlermehrheit, muss der Bundespräsident ihn ernennen (Art. 63 Abs. 3 S. 2 GG). Ansonsten kann er ihn binnen sieben Tagen ernennen oder er muss den Bundestag auflösen (Art. 63 Abs. 3 S. 3 GG). Hier kommt dem Bundespräsidenten also ausnahmsweise ein politisches Ermessen zu, welche Variante er wählt. Er muss sich allerdings für eine entscheiden. Entsprechend Sinn und Zweck des Art. 63 GG ist Leitlinie für die Ermessensausübung die Frage, ob eine handlungsfähige Minderheitsregierung zu Stande kommen wird. Dabei ist etwa zu berücksichtigen, dass sie insbesondere bei der Gesetzgebung beeinträchtigt sein kann. Ob letztlich eine ausreichend handlungsfähige Regierung bestehen wird, ist eine politische Prognoseentscheidung des Bundespräsidenten, die gerichtlich nicht überprüfbar ist (vgl. insgesamt Epping, in: BeckOK-GG, Art. 63 Rn. 28f.). Auch diese Entscheidungen des Bundespräsidenten sind gegenzeichnungsfrei (Art. 58 S. 2 GG).
Entscheidet sich der Bundespräsident für die Auflösung des Parlamentes, bleibt der mit einfacher Mehrheit gewählte Bundeskanzler zunächst geschäftsführend im Amt (vgl. Art. 69 Abs. 2 GG).