• Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Art. 5 GG

Schlagwortarchiv für: Art. 5 GG

Gastautor

BVerfG: Zur Strafbarkeit wegen Beleidigung durch „FCK BFE“ und ähnliche Abkürzungen

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verfassungsrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Martha Wendt veröffentlichen zu können. Die Autorin studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und der Sciences Po Paris. Zurzeit absolviert sie ein LL.M.-Studium an der Universität Cambridge.
 
In einer aktuellen Entscheidung (Beschl. v. 20.12.2020 – Az.: 1 BvR 842/19) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) per Beschluss eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich der Beschwerdeführer gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) aufgrund des Zurschaustellens eines Pullovers mit dem Schriftzug „FCK BFE“ gewendet hatte. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 (Beschl. v. 26.2.2015 – Az.: 1 BvR 1036/14) hatte das BVerfG – auch per Beschluss – einer ähnlichen Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung aufgrund des Tragens eines Ansteckers mit der Buchstabenkombination „FCK CPS“ als „offensichtlich begründet“ stattgegeben. Ähnlich entschied es 2016 und 2017 in zwei Entscheidungen zur Abkürzung „A.C.A.B“ (Beschl. v. 17.5.2016 – Az.: 1 BvR 257/14; Beschl. v. 16.1.2017 – Az.: 1 BvR 1593/16). Eine weitere Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Verurteilung wegen Beleidigung aufgrund eines A.C.A.B.-Aufdrucks richtete, nahm das Gericht 2017 hingegen wiederum nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 13.6.2017 – Az.: 1 BvR 2832/15). Es stellt sich somit die Frage, worauf sich die unterschiedliche Bewertung dieser Fälle gründet, die das BVerfG als „erheblich anders“ einstuft (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2020, Rz. 10 – FCK BFE). Diese Fragestellung ist sowohl für Examenskandidaten als auch für Studierende der unteren Semester von hoher Prüfungsrelevanz.
 
I. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer, der nach Feststellungen des Amtsgerichts Göttingen der „linken Szene“ angehörte, hatte in der Vergangenheit bereits verschiedene Auseinandersetzungen mit der örtlichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, kurz BFE. Im Oktober 2017 demonstrierten er und andere Teilnehmer unter dem Motto „Kein Platz für Neonazis in Göttingen“ aus Anlass eines Strafverfahrens gegen einen Angehörigen der rechtsextremen Szene. Dabei trug er „gut sichtbar“ einen Pullover mit der Aufschrift „FCK BFE“. Beamte der BFE forderten den Beschwerdeführer mehrfach unter Verweis auf eine mögliche Strafbarkeit auf, die Aufschrift zu bedecken. Nachdem der Beschwerdeführer nicht reagierte, ordnete ein Beamter die Beschlagnahme des Pullovers an und forderte den Beschwerdeführer auf, den Pullover auszuziehen. Als dieser der Aufforderung nachkam, stellte sich heraus, dass der Beschwerdeführer unter dem Pullover ein T-Shirt mit identischem Aufdruck trug, was vom Beschwerdeführer spöttisch kommentiert wurde. Der Beschwerdeführer wurde später aufgrund dieses Vorfalls vom AG Göttingen wegen Beleidigung verurteilt. Die Sprungrevision blieb erfolglos. Mit der Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer, dass sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht hinreichend gewürdigt worden sei.
 
II. Verfassungsrecht vs. Strafrecht
Thematisch behandelt der Fall sowohl verfassungsrechtliche als auch strafrechtliche Fragen. Er könnte also in einer Prüfungssituation sowohl aus strafrechtlicher Sicht gestellt werden („Prüfen Sie die Strafbarkeit von A nach dem StGB“) als auch aus verfassungsrechtlicher Sicht („Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg“). Die Perspektive ist eine andere, beide Prüfungen kommen aber letztlich zum selben Schluss. Für den Prüfling ist allen voran entscheidend, die Erkenntnisse aus dem Beschluss des Verfassungsgerichts auf die Prüfung übertragen zu können. Hierbei soll die folgende Erläuterung eine Hilfestellung bieten, wobei hier der strafrechtliche Aufbau als Ausgangspunkt gewählt wird. Auf eine Besonderheit bei der verfassungsrechtlichen Prüfung soll jedoch zum Schluss kurz hingewiesen werden.
 
III. Prüfung der Strafbarkeit wegen Beleidigung
1. Tathandlung
Die Beleidigung setzt als erstes Tatbestandsmerkmal die Kundgabe der eigenen Miss- oder Nichtachtung voraus. In der zugrundeliegenden Entscheidung gingen die Gerichte einhellig davon aus, dass die Abkürzung „FCK BFE“ als „Fuck Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ zu verstehen sei. Diese Auslegung liegt auf einer Linie mit früheren Entscheidungen zur Abkürzung „FCK CPS“, bei welcher die Gerichte außerdem hervorgehoben hatten, dass die Abkürzung „mittlerweile einem großen Personenkreis bekannt sei“. Das Wort Fuck bringe auch keine bloße Kritik zum Ausdruck, sondern werde „als Schmäh- oder Schimpfwort verwendet, das eine verächtliche Geringschätzung der so titulierten Person unmittelbar ausdrücke“ (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2020, Rz. 3 – FCK BFE). Bei der Abkürzung A.C.A.B. wurde die Bedeutung in früheren Entscheidungen teilweise noch ausführlicher diskutiert. Letztendlich lehnten die Gerichte aber Deutungen als fernliegend ab, wonach A.C.A.B. für „Acht Cola, Acht Bier“, „Autonome Chaoten argumentieren besser” (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.6.2008 – 1 Ss 329/08) oder „All CATS are BEAUTIFUL“ (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.6.2017, Rz. 4 – A.C.A.B.) stehen sollte.
 
2. Tatobjekt und -erfolg
Im nächste Prüfungsschritt zeigt sich nun der Dreh- und Angelpunkt des Falles: Es geht um die Frage, gegen wen die mögliche Beleidigung gerichtet ist. Hier wird prinzipiell zwischen drei möglichen Konstellationen unterschieden: Beleidigung von Einzelpersonen, von Personengesamtheiten oder Einzelpersonen unter Kollektivbezeichnung (dazu Geppert, NStZ 2013, 553 (556 ff.)). Die Gerichte mussten sich hier folglich damit auseinandersetzen, an wen sich das „FCK BFE“ richten sollte. Dabei stellten sie zunächst fest, dass dem Beschwerdeführer bewusst gewesen sei, dass sich Beamte der örtlichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit sowie andere mit der Bedeutung des Kürzels vertraute Polizeibeamte vor Ort befinden würden. Der Beschwerdeführer hatte nichtsdestotrotz argumentiert, dass seine Äußerung nicht auf die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Göttingen oder deren Beamte gerichtet gewesen wäre, sondern allgemein auf solche Einheiten bezogen gewesen sei. Dies überzeugte die Gerichte jedoch angesichts der Umstände des Falles nicht. Insbesondere die „gerade die BFE Göttingen betreffende Vorgeschichte“ und das Verhalten bei und nach der Anordnung, den Pullover auszuziehen, sprächen gegen die Argumentation des Beschwerdeführers. In der Feststellung, dass die Aussage an eine spezielle örtliche Einheit der Polizei gerichtet sei, unterscheidet sich der Fall nun beispielsweise von dem Fall des (anlasslosen) Tragens eines „FCK CPS“ Ansteckers in der Öffentlichkeit. In der Entscheidung aus dem Jahr 2015 hatte das BVerfG zunächst erklärt, dass eine auf ein Kollektiv bezogene Aussage unter Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein kann. Schränkte dies jedoch zugleich ein:

Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht.
(BVerfG, Beschl. v. 26.2.2015, Rz. 17 – FCK CPS; ebenso BVerfG, Beschl. v. 17.5.2016, Rz. 16 – A.C.A.B.)

Eine allgemeine politische Stellungnahme zur Institution der Polizei und ihrer gesellschaftlichen Funktion ist daher durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2020, Rz. 10 – FCK BFE). Unzulässig ist es nach Ansicht des Gerichts ebenfalls, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Aussage als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil diese eine Teilgruppe der Gruppe bildet (BVerfG, Beschl. v. 26.2.2015, Rz. 17 – FCK CPS). Entscheidend ist nach der Überzeugung des Gerichts eine personalisierende Zuordnung (BVerfG, Beschl. v. 26.2.2015, Rz. 18 – FCK CPS). Ebenso hatte das Gericht auch bereits in der A.C.A.B.-Entscheidung aus 2016 entschieden (BVerfG, Beschl. v. 17.5.2016, Rz. 17 – A.C.A.B.). Es ist also zunächst einmal für die Prüfung unerheblich, welche Abkürzung hier verwendet wird: Wie schon die unterschiedliche Bewertung in den „A.C.A.B.“‑Entscheidungen zeigt, können die Ausdrücke „A.C.A.B.“, „FCK CPS“ und „FCK BFE“ alle je nach Situation entweder straffreie Meinungsäußerungen sein oder strafbare Beleidigungen. Hier kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an. Für die Strafbarkeit entscheidend ist, ob ein individueller Bezug einer solchen Aussage zu einer bestimmten Einheit oder einzelnen Beamten hergestellt wird (ebenso Geppert, NStZ 2013, 553 (558 f.)). Der bloße Aufenthalt im öffentlichen Raum beispielsweise beim Spazierengehen, bei dem es zu einem zufälligen Zusammentreffen mit Polizeibeamten kommt, reicht hierfür nicht aus. Anders kann der Fall aber liegen, wenn die despektierliche Aussage bewusst auf Veranstaltungen zur Schau gestellt wird, in denen mit einem Zusammentreffen mit der Polizeieinheit gerechnet wird – wie im aktuellen Fall – oder sich der Äußernde bewusst in die Nähe der Polizei begibt, um diese mit seiner Parole zu konfrontieren (BVerfG, Beschl. v. 17.5.2016, Rz. 17 – A.C.A.B.) oder mit dem Finger auf bestimmte Beamte deutet (OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.6.2008 – Az.: 1 Ss 329/08). Der Grad ist hier zuweilen sehr schmal. Denn nicht ausreichen soll nach Ansicht des BVerfG in der A.C.A.B.-Entscheidung von 2016 wiederum die bloße Tatsache, dass dem Beschwerdeführer bewusst war, dass Einsatzkräfte der Polizei anwesend sein würden, wenn dieser sich nicht bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte begeben habe (BVerfG, Beschl. v. 17.5.2016, Rz. 17 – A.C.A.B.). Hier gilt es in der Prüfung also genau mit dem Sachverhalt zu arbeiten. Aus der bisherigen Rechtsprechung lassen sich aber immerhin einige Faktoren herausarbeiten, die für die personalisierende Zuordnung von Relevanz sein können. So können etwa vorangegangene Auseinandersetzungen mit der Polizei (wobei hier aber einschränkend sowohl ein zeitlicher als auch ein örtlicher bzw. sachlicher Zusammenhang gefordert werden sollte), die (mehrfache) Weigerung, die Äußerung nach Aufforderung zu verdecken, der Anlass oder die Art, wie die Aussage kundgegeben wird, bei der Beurteilung eine Rolle spielen. Denkbar wäre auch, dass etwa die Sichtbarkeit und Größe einer verschriftlichten Äußerung (Plakat, Anstecker, Aufdruck etc.) eine Rolle spielen. Unter Umständen ergibt sich die Personalisierung auch erst aus der Kombination verschiedener Faktoren.
Nicht ganz eindeutig ist, ob sich die aktuelle Entscheidung lediglich auf die Beleidigung einzelner Mitglieder des Kollektivs BFE bezieht oder auch auf eine Beleidigung der BFE Göttingen als Personengesamtheit. Im Lichte der früheren Entscheidungen betrachtet, deutet die Formulierung eher auf die Annahme einer Beleidigung einzelner Mitglieder des Kollektivs hin. Denkbar wäre hier aber beides (auch kumulativ, vgl. LG Mannheim, Urt. v. 17.4.1996 – Az.: (10) 5 Ns 16/94).
Für die Beleidigungsfähigkeit einer Personengesamtheit wird allgemein vorausgesetzt, dass diese einen einheitlichen Willen bilden kann und eine rechtlich anerkannte Funktion in der Gesellschaft erfüllt. Sie muss eine eigene Verbandsehre haben. Das wird etwa für die Bundeswehr angenommen, scheitert aber bei „der“ Polizei daran, dass diese keinen einheitlichen Willen bilden kann (vgl. BayObLG, Urt. v. 30.6.1989 – Az.: RReg. 3 St 66/89; ebenso Geppert, NStZ 2013, 553 (557)). Für eine bestimmte Polizeieinheit gilt das aber nicht (vgl. LG Mannheim, Urt. v. 17.4.1996 – Az.: (10) 5 Ns 16/94) und so kann auch davon ausgegangen werden, dass die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Göttingen zur einheitlichen Willensbildung durchaus fähig ist. Hier könnte man folglich davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer aufgrund früherer Auseinandersetzungen mit der BFE Göttingen diese als Einheit ablehnt und damit in ihrer Verbandsehre angreifen wollte. In diesem Fall ist die Abgrenzung der einzelnen Einheit Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine beleidigungsfähige Personenmehrheit vorliegt.
Ebenso gut könnte man auch argumentieren, dass der Beschwerdeführer die einzelnen am Polizeieinsatz vor Ort beteiligten Beamten, die zur BFE gehören, beleidigen wollte. In diesem Fall ist die Eingrenzung jedenfalls im Rahmen der oben erörterten Prüfung der personalisierenden Zuordnung nach der vom BVerfG postulierten „je-desto“-Prüfung relevant. In beiden Fällen kommt man zur Beleidigungsfähigkeit des Adressaten.
 
3. Subjektiver Tatbestand und Rechtfertigung
Nach Ansicht des Tatgerichts handelte der Beschwerdeführer auch vorsätzlich. Bei der Prüfung von Ehrdelikten mit einem Bezug zur Meinungsfreiheit sollte man schließlich immer an den besonderen Rechtfertigungsgrund nach § 193 StGB denken. Die Rechtfertigung scheidet aber bei reiner Diffamierung oder Schmähkritik aus. Das Tatsachengericht sah hier in diesem Sinne „keinerlei sachbezogenen Beitrag im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung“ und schloss daher eine Rechtfertigung aus.
Somit kommt man insgesamt im aktuellen „FCK BFE“-Fall zu einer Strafbarkeit wegen Beleidigung.
 
IV. Exkurs zur verfassungsrechtlichen Prüfung
Verfassungsrechtlich soll an dieser Stelle nur auf eine Besonderheit beim Prüfungsmaßstab des BVerfG bei derartigen Konstellationen noch einmal gesondert eingegangen und hingewiesen werden. Prinzipiell gilt, dass ein Rechtsträger sich nur noch durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG gegen ein Urteil zur Wehr setzen kann, wenn der ordentliche Rechtsweg erschöpft ist.  Allerdings handelt es sich hierbei um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, mit dem lediglich die spezifische Verletzung von Grundrechten gerügt werden kann. „Das BVerfG ist kein Superrevisionsgericht“ – ein Satz, der wohl jedem Juristen in Fleisch und Blut übergeht. Das heißt, es findet grundsätzlich keine Prüfung der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht statt, sondern es wird lediglich geprüft, ob ein Gericht die Reichweite eines Grundrechtes prinzipiell verkannt hat. Bei den Kommunikationsgrundrechten nach Art. 5 (vor allem der Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit) gilt es nach der Rechtsprechung des BVerfG allerdings eine Besonderheit zu beachten. Hier prüft das BVerfG auch, ob die Gerichte die Meinungsäußerung richtig ausgelegt haben. So verstoße

die Verurteilung wegen einer Äußerung schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind.
(st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.1976 – Az.: 1 BvR 460/72)

Das bedeutet bezogen auf die aktuelle Problematik des Beleidigungsadressaten:

[…] insoweit ist, wenn der sprachliche Zusammenhang und die außertextlichen Begleitumstände des konkreten Einzelfalls eine Deutung zulassen, welche die inkriminierte Äußerung als eine vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckte allgemeine oder anlassbezogene Kritik an dem Kollektiv selbst ohne erkennbar ehrverletzenden Bezug zu einzelnen individualisierbaren Angehörigen des Kollektivs erscheinen lassen, dieser grundrechtsschonenden, bereits die objektive Tatbestandsmäßigkeit der Beleidigung entfallen lassenden Deutungsvariante grundsätzlich und regelmäßig der Vorzug zu geben.
(OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.7.2012 – Az.: 1 (8) Ss 64/12 – AK 40/12)

Die Meinungsfreiheit kann im Rahmen der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 185 StGB folglich an zwei Stellen relevant werden: Zunächst und vorrangig bei der Auslegung des Tatbestands. Und zum anderen im Rahmen der Prüfung der Rechtfertigung nach § 193 StGB.
 
IV. Fazit
Der aktuelle Beschluss des BVerfG zu „FCK BFE“ reiht sich in eine Folge kontinuierlicher Entscheidungen ein. Es handelt sich um einen „Klassiker“, bei dem der Prüfling jedoch besonders genau auf die Details des Sachverhalts achten sollte. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung die personalisierende Zuordnung. Unter Berücksichtigung dieser Unterscheidung überrascht es folglich keineswegs, dass die auf den ersten Blick ähnlich wirkenden Sachverhaltskonstellationen zum „FCK CPS“-Anstecker und zum „FCK BFE“-Pullover hier unterschiedlich bewertet wurden.

04.02.2021/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-02-04 09:00:382021-02-04 09:00:38BVerfG: Zur Strafbarkeit wegen Beleidigung durch „FCK BFE“ und ähnliche Abkürzungen
Gastautor

Aktuelles zur Meinungsfreiheit und „Hass im Netz“

Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Alina Marko veröffentlichen zu können. Alina Marko ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht der Universität Bonn (Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider).
Das Thema „Hass im Netz“ ist regelmäßig Teil aktuellen Tagesgeschehens. Zuletzt hat das Bundeskabinett Maßnahmen beschlossen, nach denen fragwürdige Äußerungen nicht lediglich zu löschen, sondern auch an die Strafverfolgungsbehörden zu melden sind. Ein Gesetzentwurf zur Umsetzung dieses Maßnahmenpaketes wurde bereits auf den Weg gebracht (BR-Drs. 87/20). Dabei kommt kontinuierlich die Frage auf, welche Äußerungen noch von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasst sind bzw., ob Eingriffe in sie gerechtfertigt werden können. Im September letzten Jahres löste der Beschluss des LG Berlin, der die Bezeichnung einer Bundespolitikerin als – unter anderem – „Stück Scheiße“ oder „Geisteskranke“ nicht als strafbare Beleidigung wertete (LG Berlin, Beschluss vom 09.09.2019 – 27 AR 17/19, MMR 2019, 754 ff.), eine breite Fach- und Mediendiskussion aus. In dem Verfahren wollte die Politikerin erreichen, dass Facebook personenbezogene Daten von 22 Nutzern herausgeben darf, um wiederrum im nächsten Schritt zivilrechtlich gegen diese Nutzer vorgehen zu können. Im Januar dieses Jahres half das Landgericht ihrer Beschwerde zwar teilweise ab – sechs von 22 geprüften Kommentaren wurden nun doch als Beleidigung bewertet –, die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Über die 16 Fälle, in denen der Beschwerde nicht abgeholfen wurde, wird nun das Kammergericht als Beschwerdeinstanz zu befinden haben. Es zeigt sich, wie umstritten die Einordnung des noch vom Schutzumfang der Meinungsfreiheit Umfassten ist und, dass die Betrachtung dieses Problemfeldes großer Sorgfalt bedarf. Die Meinungsfreiheit hat einen besonders hohen Stellenwert in der Gesellschaft, da ihr neben Individualschutz eine objektiv-rechtliche Leitbildfunktion in der Demokratie zukommt. Der Schutzumfang der Meinungsfreiheit sollte Examenskandidaten nicht nur in der Grundrechtsprüfung im öffentlichen Recht bekannt sein. Von Bedeutung ist er ebenfalls sowohl im Rahmen von Beleidigungsdelikten im Strafrecht, als auch etwa bei Schadensersatz-, Unterlassungs-, Widerrufs-, Berichtigungs- und Ersatzansprüchen im Zivilrecht.
I. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit
Gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Fall GG hat „jeder“ das Recht, seine Meinung frei zu äußern, sodass persönlich natürliche Personen sowie – bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG – auch juristische Personen und Personenvereinigungen vom Schutzbereich umfasst sind. Organträger in ihrer amtlichen Eigenschaft können sich allerdings nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. In Fällen staatlicher Informationsarbeit können sie beispielsweise auf ihre verfassungsunmittelbare Aufgabe zur Staatsleitung zurückgreifen.
Sachlich geschützt wird sowohl positiv die Äußerung der Meinung als auch negativ das Recht, seine Meinung nicht zu äußern, wobei Meinungen durch ein Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung oder sonstigen sozialen Kommunikation sind. Aufgrund ihrer Subjektabhängigkeit gibt es keine wahren oder unwahren Meinungen. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Äußerung rational, emotional, begründet oder grundlos ist und, ob sie von anderen als wertvoll eingeschätzt wird. Meinungen sind Ausdruck individueller Anschauung. Auch polemische oder verletzende Formulierungen sind zunächst nicht dem Schutzbereich des Grundrechts entzogen (vgl. z. B.  BVerfG, Beschluss v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 u. 1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303 – „Soldaten sind Mörder“). Liegt ein meinungsbildender Charakter vor, wird auch die kommerziellen Zwecken dienende Wirtschaftswerbung geschützt (z. B. Schock- oder Imagewerbung, vgl. BVerfG, Urt. v. 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95 u. 1787/95, NJW 2001, 591). Wer auf Internetplattformen eigene Meinungen verbreitet, muss sich diese, aber auch Kommentare Dritter zurechnen lassen.
Von Meinungsäußerungen abzugrenzen sind Tatsachenbehauptungen. Im Gegensatz zu Werturteilen sind diese wahr oder falsch und damit dem Beweis zugänglich. Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit sind Tatsachenbehauptungen insoweit erfasst, als dass sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind. Sogar unrichtige Tatsachenbehauptungen werden geschützt, wenn diese unbewusst oder fahrlässig erfolgen. Wurde eine unwahre Tatsache allerdings bewusst geäußert oder ist sie erwiesenermaßen unwahr, unterfällt sie – da die nichts zur verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung beitragen kann – nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
II. Eingriff
Ein Eingriff liegt grundsätzlich in jeder Anordnung der öffentlichen Gewalt, die die Meinungsäußerung oder -verbreitung verbietet, behindert, sanktioniert, unmöglich macht oder faktisch unterbindet (moderner Eingriffsbegriff). Hervorzuheben ist, dass Eingriffe durch zivilrechtliche Verurteilungen zur Unterlassung einer Aussage, zur Zahlung von Schmerzensgeld oder auch durch strafrechtliche Verurteilungen wegen Beleidigungen erfolgen können.
III. Rechtfertigung
Die Rechtfertigung orientiert sich grundsätzlich an dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG (sog. Schrankentrias). Dabei sind die Schranken nicht grenzenlos, sondern ihrerseits sog. Schranken-Schranken unterworfen. Bei der Prüfung der Meinungsfreiheit gilt für die Schranken-Schranken speziell die Wechselwirkungslehre, die letztlich als „Frühform“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen ist. Legitime Beschränkungsziele stellt insbesondere der in der Schrankentrias erwähnte Jungend- und Ehrschutz dar, darüber hinaus aber auch jedes andere öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist.
1. Allgemeine Gesetze
Der Begriff der allgemeinen Gesetze ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass sie für eine Vielzahl von Fällen gelten. Welche Anforderungen an sie zu stellen sind, ist seit Weimarer Zeiten umstritten. Nach der Abwägungslehre ist ein Gesetz allgemein, wenn das von ihm geschützte Rechtsgut wichtiger ist als die Meinungsfreiheit. Die Sonderrechtslehre erkennt Gesetze, die sich nicht gegen die Meinungsäußerung als solche oder gegen eine bestimmte Meinung richten, als allgemeine Gesetze an. Problematisch am ersten Ansatz ist, dass konkrete Äußerungsinhalte in die Abwägung einfließen könnten; am zweiten Ansatz, dass extrem radikale Meinungsäußerungen nie verboten werden könnten. Diesen Gefahren wirkt das Bundesverfassungsgericht mit der Kombinationslehre entgegen und bestimmt allgemeine Gesetze als solche, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten, sondern die dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen.
2. Jugendschutz
Die Einschränkungsmöglichkeiten des Jugend- und Ehrschutzes erweisen sich nur als klarstellend und müssen deshalb ebenfalls die Anforderungen der allgemeinen Gesetze erfüllen.
Hinsichtlich der Einstufung von Äußerungen als „jugendgefährdend“ und dem Thema „Hass im Netz“ entschied das Bundesverfassungsgerichts zuletzt, dass es nicht genügt, Äußerungen im Internet pauschal als „jugendgefährdend“ zu werten (BVerfG, Beschluss v. 27.8.2019 – 1 BvR 811/17, NJW 2019, 3567). Obwohl auf einer Internetpräsenz drastische und schwer tolerierbare Meinungsäußerungen zur Flüchtlingspolitik abgegeben wurden, sei eine einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit der Bedeutung der beanstandeten Äußerungen erforderlich. Fachgerichten obliegt es, Auslegungskriterien zugrunde zu legen, die der Bedeutung der Jugendschutzmaßnahmen für Internetangebote im Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen. Die hier in Rede stehende, angegriffene Entscheidung des AG Berlin-Tiergarten (AG Berlin-Tiergarten (Urt. v. 10.10.2016 – [327 OWi] 3034 Js – OWi 3211/16[187/16]) genügte diesen Anforderungen jedenfalls nicht, indem in ihr pauschal festgestellt wurde, dass eine Jugendgefährdung aus grob vereinfachten Darstellungen, Slogans und Kommentaren folge, die geeignet seien, ein überzogen simplifiziertes Weltbild zu fördern und zur undifferenzierten Ablehnung ganzer Bevölkerungsgruppen und aggressiver Feindseligkeit gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten beizutragen.
3. Ehrschutz
Das Recht der persönlichen Ehre findet seine verfassungsrechtliche Verankerung im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und wird einfachgesetzlich durch zivil- und strafrechtliche Vorschriften konkretisiert. Der sachliche Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst das Recht auf Selbstentfaltung und Selbstdarstellung. Herabsetzende Äußerungen, die geeignet sind, den Betroffenen in ein schlechtes Licht zu rücken oder seine Persönlichkeitsentfaltung in sonstiger Weise erheblich zu beeinträchtigen, greifen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Persönlichkeitsrechtsverletzungen können im Zusammenhang mit Satire sowie dem häufig verwendeten Begriff der „Schmähkritik“, einem Thema das durch das „Schmähgedicht“ von Jan Böhmermann befeuert wurde, entstehen. Bei der Deutung einer Meinungsäußerung als Schmähkritik ist allerdings große Sorgfalt geboten. Sogar überzogene und ausfällige Kritik ist nicht als Schmähkritik zu beurteilen, sofern sie anlassbezogen ist. Geht es aber nicht mehr um die Auseinandersetzung in einer Sache, sondern um die bloße Diffamierung einer Person, handelt es sich um Schmähkritik, bei der der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegt. Vertretbar ist auch die Beurteilung, dass Schmähkritik gar nicht erst in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt, weil sie nicht der Auseinandersetzung in der Sache dient und es deshalb auch gar nicht erst einer Abwägung bedarf. Hinsichtlich Jan Böhmermanns „Schmähgedicht“, in dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beispielsweise als „Ziegenficker“ bezeichnet wurde, untersagte das LG Hamburg die weitere Verbreitung von Teilen des Gedichts (LG Hamburg, Urt. v. 10.02.2017 – 324 O 402/16, BeckRS 2017, 101443). Die vom Beklagten vorgetragene Absicht zur Präsentation des Gedichtes, nämlich im Rahmen seiner Satiresendung „N. M. R.“ einen satirischen Diskurs über die tatsächlichen Grenzen des Ehrenschutzes in Deutschland zu gestalten, führe nicht zur Zulässigkeit der fraglichen Passagen. Das „Gedicht“ bleibe auch ohne die untersagten Passagen als kritische Auseinandersetzung mit dem Kläger verständlich. Während Böhmermann gegen diese zivilrechtliche Entscheidung Verfassungsbeschwerde einlegte, unterblieb eine Strafverfolgung, da die zuständige Staatsanwaltschaft jedenfalls keinen Vorsatz erkennen konnte. Im Fall der Satire ist die Prüfung des Vorsatzes insbesondere problematisch, weil der Täter annehmen könnte, der andere werde die Äußerung ebenfalls nur als Scherz verstehen (kritisch zum Fall Böhmermann z. B. Fahl, NStZ 2016, 313 (317)).
4. Verfassungsimmanente Schranken
Wird Art. 5 GG zweckentfremdet, können auch andere Normen des Grundgesetzes die Meinungsäußerungsfreiheit limitieren. Mit § 130 Abs. 4 StGB, der die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellt, sich damit gegen eine konkrete Überzeugung richtet und daher kein allgemeines Gesetz darstellt, billigte das Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts ausnahmsweise Sonderstrafrecht (BVerfG, Beschluss vom 4. 11. 2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47 – „Wunsiedel“).
IV. Schlussfolgerung
Das Bundesverfassungsgericht lässt eine unachtsame Auseinandersetzung mit der Meinungsfreiheit von Fachgerichten nicht zu. Auszulegen ist eine Äußerung nicht Wort für Wort, sondern im Gesamtkontext. Herabsetzungen können bei isolierter Betrachtung vergleichbar erscheinen, aufgrund des Gesamtzusammenhangs aber unterschiedlich zu bewerten sein. Allerdings setzt eine zulässige Meinungsäußerung stets die Auseinandersetzung in der Sache voraus. Wie auf Grundlage dieser Maßstäbe z. B. die Feststellung des LG Berlin, der in Bezug auf einen anderen Post abgegebene Kommentar „Schlampe“ sei nicht eine von der Äußerung im kommentierten Post losgelöste, primär auf eine Diffamierung der Person gerichtete Äußerung, ist daher zu hinterfragen.
 

23.03.2020/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-03-23 09:00:192020-03-23 09:00:19Aktuelles zur Meinungsfreiheit und „Hass im Netz“
Redaktion

BVerfG zum Rundfunkbeitrag – Vorschriften zur Erhebung des Rundfunkbeitrages für die Erstwohnung und im nicht privaten Bereich sind verfassungsgemäß

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Michael Klaus veröffentlichen zu können. Der Autor hat an der Rheinischen Friedrich-Wilhlems-Universität Bonn Jura studiert und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Kölner Wirtschaftskanzlei.
Mit  Urteil  vom 18. Juli 2018 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Vorschriften zur Erhebung des Rundfunkbeitrages für die Erstwohnung und im nicht privaten Bereich verfassungsgemäß sind. Mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar ist allerdings,  dass auch für Zweitwohnungen ein Rundfunkbeitrag zu leisten ist. 
I. Gesetzgebungskompetenz der Länder, Art. 70, 105 GG
Umstritten war bereits die Gesetzgebungskompetenz der Länder zur Erhebung des Rundfunkbeitrages. Anders als für Steuern, deren Kompetenzgrundlagen in den Art. 105 ff. GG geregelt sind, wird die Kompetenz für die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben von derjenigen für die jeweilige Sachmaterie umfasst.[1]  Mangels Kompetenzgrundlage der Länder für eine „Rundfunksteuer“ in Art. 105ff. GG war im vorliegenden Fall eine Gesetzgebungskompetenz der Länder folglich nur dann zu bejahen, wenn der Rundfunkbeitrag als  eine nichtsteuerliche Abgabe (in Gestalt einer sog. Vorzugslast) qualifiziert  werden  konnte[2].
Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 AO sind Steuern „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand  zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein […].“  An diese  Definition knüpft nach Rechtsprechung des BVerfG auch das GG an, so dass für die verfassungsrechtliche  Beurteilung  auf  § 3 Abs. 1 AO zurückgegriffen werden kann.[3]
Die Steuer unterscheidet sich von der nichtsteuerlichen Abgabe in Gestalt der sog. Vorzugslast grundlegend dadurch, dass die Abgabe vom Typ „Steuer“ nicht für die Erbringung oder das Anbieten einer staatlichen Gegenleistung erhoben wird[4].  Die nichtsteuerlichen  Abgaben  in  Gestalt  sog. Vorzugslasten sind  demgegenüber entweder mit der Erbringung einer individuellen staatlichen Gegenleistung (so bei der Gebühr) oder mit der individuellen Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer öffentlichen Leistung (so beim Betrag) verknüpft.  Während die Steuer also der Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts dient, sollen durch Vorzugslasten die Kosten gedeckt werden, die die Gewährung  einer  staatlichen Leistung verursacht (Kostendeckung).[5]  Zugleich wird hierdurch der individuell-zurechenbare Vorteil des Einzelnen, der aus der Leistung gezogen wird, abgegolten (Vorteilsabschöpfung).[6]  Daneben können weitere Zwecke treten.[7]
Die Beschwerdeführer haben insbesondere geltend gemacht, dass nach der Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags dieser nicht mehr nur dann anfällt, wenn aufgrund eines vorhandenen Empfangsgerätes auch tatsächlich die Möglichkeit der Inanspruchnahme besteht, sondern die Abgabenpflicht nach § 2 Abs. 1 bzw. § 5 Abs. 1 RBStV (Rundfunkbeitragsstaatsvertrag) jeden trifft,  der eine Wohnung bzw. eine Betriebsstätte im Geltungsgebiet des Rundfunkstaatsvertrages trifft.  Durch den bloßen Bezug an die Wohnung (bzw. Betriebsstätte)  sei die beitragspflichtige Gruppe mit der Allgemeinheit (nahezu) identisch und betreffe schon keinen abgrenzbaren Personenkreis.  Zudem werde mit dem Rundfunkbeitrag kein besonderer wirtschaftlicher Nutzen, sondern ein allgemeiner Vorteil abgegolten.  Der Rundfunkbeitrag stelle sich daher als (kompetenzwidrige) Steuer dar. 
Das BVerfG hat diese Bedenken in seinem Urteil verworfen.  Zunächst stellt das Gericht fest, dass das maßgebliche Kriterium für die abgabenrechtliche Qualifizierung die Finanzierungsfunktion sei:
„Maßgeblich für die Qualifizierung einer Abgabe als Steuer oder nichtsteuerliche Abgabe ist die Ausgestaltung des betreffenden Gesetzes. Die kompetenzrechtliche Einordnung einer Abgabe als Steuer oder nichtsteuerliche Abgabe richtet sich nicht nach ihrer gesetzlichen Bezeichnung, sondern nach ihrem tatbestandlich bestimmten materiellen Gehalt. Dabei ist keine ausdrückliche Bezugnahme auf die Leistung im Abgabentatbestand erforderlich, sondern es genügt, dass – erforderlichenfalls im Wege der Auslegung – erkennbar ist, für welche öffentliche Leistung die Abgabe erhoben wird und welche Zwecke der Gesetzgeber mit der Abgabenbemessung verfolgt.“[8]
Hieraus folgt dann für den Rundfunkbeitrag, dass dieser auch im abgabenrechtlichen Sinne als Beitrag zu bewerten sei:
 „Der Rundfunkbeitrag wird für die Möglichkeit erhoben, das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu empfangen, und dient gemäß § 1 RBStV der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Aufkommen aus dem Rundfunkbeitrag steht den Landesrundfunkanstalten und in dem im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag  bestimmten  Umfang  dem  ZDF,  dem Deutschlandradio sowie den Landesmedienanstalten zu (§ 10 Abs. 1 RBStV). Es fließt nicht in den allgemeinen Haushalt. Die Abgabe dient vielmehr der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und wird damit für einen besonderen Finanzbedarf erhoben.[9]
Dementsprechend  könne „auch eine unbestimmte Vielzahl oder gar alle Bürgerinnen und Bürger […] zu Beiträgen herangezogen werden, sofern ihnen jeweils ein Vorteil individuell-konkret zugerechnet werden kann und soweit dessen Nutzung realistischerweise möglich erscheint.“[10]
II. Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG
Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG war problematisch, ob ein sachlicher Grund für die Belastung durch Rundfunkbeitrag bestand.
1. Notwendigkeit eines individuell- zurechenbaren Vorteils
Art. 3 Abs. 1 GG  gewinnt  im abgabenrechtlichen Kontext besonderes Gewicht als „Gebot der Belastungsgleichheit“[11].  Da der Beitragspflichtige i.d.R. zugleich Steuerzahler ist, muss ein individuell- zurechenbarer Vorteil beim Beitragspflichtigen eingetreten sein. Andernfalls fehlt es bereits an einem sachlichen Grund, der die zusätzliche Belastung des Beitragspflichtigen gegenüber dem nicht Beitragspflichtigen rechtfertigten könnte.  Werden Beiträge erhoben, verlangt daher Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll.[12]  
Grundlegend wurde gegen die gesetzliche Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags eingewandt, dass eine (faktisch) unbestimmte Anzahl von Bürgern herangezogen wird und eine klare Abgrenzung damit von vornherein nicht mehr möglich sei. Damit fehle es bereits an einem klar abgrenzbaren individuellen Vorteil, der abzugelten wäre.
Das BVerfG hat sich dieser Argumentation nicht angeschlossen. Die Heranziehung einer unbestimmten Anzahl von Personen schließe es noch nicht per se aus, dass ein individuell-konkret zurechenbarer Vorteil bei einer Vielzahl von Personen vorliege (siehe bereits oben).  Aufgrund der umfassenden Heranziehung (nahezu) aller Bürger, ist aber fraglich, worin der individuell-konkret zurechenbare Vorteil gesehen werden kann.
Das BVerfG  stellt  klar,  dass ein solcher Vorteil kann noch nicht darin gesehen kann, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der gesamten Gesellschaft nutzt und in besonderem Maße  die Grundlagen der Informationsgesellschaft fördert und einen wichtigen Beitrag zur Integration und Teilhabe an demokratischen, kulturellen und wirtschaftlichen Prozessen leistet.  Der Rundfunkbeitrag stellt  keine durch Vorzugslasten nicht  finanzierbare „Demokratieabgabe“ [13] dar.
Erforderlich –aber auch ausreichend- ist vielmehr die Möglichkeit, dass (auch) für den konkret abgabepflichtigen Bürger  eine  realistische  Möglichkeit zur Nutzung der öffentlichen Leistung oder Einrichtung besteht und der Empfang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen Vorteil für den Bürger darstellt.
Ein  realisierbarer  Vorteil des Einzelnen kann zwar nicht in einer Steigerung des Gebrauchswertes der Wohnung durch die Empfangsmöglichkeit gesehen werden, da die Rundfunksempfangsmöglichkeit personenbezogen ist und es somit an einer zwingenden Verknüpfung der staatlichen Leistung mit der Raumeinheit der Wohnung.[14]  Das  Gericht  sieht  aber  in  der  Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Bürger den entscheidenden Vorteil, dass dieser ihm die Möglichkeit gewährt „authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten“[15]  zu  erhalten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk stelle daher „ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht“[16] zur Versorgung mit Informationen durch kommerzielle Anbieter dar.  Diese Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks habe gerade im Hinblick auf die Digitalisierung –und damit einhergehend auch die Verbreitung von Falschinformationen- besonderes Gewicht gewonnen.[17]  Auch an der Realisierbarkeit dieses Vorteils hat das Gericht aufgrund der Möglichkeit des Rundfunkempfangs grundsätzlich im gesamten Bundesgebiet keine Zweifel.[18]  
Bei der Bestimmung der Zurechenbarkeit des individuellen Vorteils kann sich der Gesetzgeber auf einen weiten Entscheidungsspielraum berufen. Insofern war die Anknüpfung an die Wohnungsinhaberschaft ein vertretbares Zurechnungskriterium. Ihr liegt die nicht zu beanstandende und durch statistische Erhebungen gedeckte Erwägung zugrunde, dass die Adressaten des Programmangebots den Rundfunk typischerweise in der Wohnung empfangen können und nutzen und dass deshalb das Innehaben einer solchen Raumeinheit ausreichende Rückschlüsse auf die Nutzungsmöglichkeit als abzugeltenden Vorteil zulässt.[19]
2. Wahrung der Lastengleichheit
Art. 3 Abs. 1 GG verlangt im Abgabenrecht eine gleichheitsgemäße Belastung entsprechend der Leistungsfähigkeit des Abgabenschuldners.[20]  Das Gericht hatte sich insbesondere mit dem Argument auseinandersetzen, dass der Beitrag nur einmal pro Wohnung erhoben wird, so dass Mehrpersonenhaushalte weniger stark als Einzelhaushalte belastet werden. Das BVerfG begründet die Verfassungsmäßigkeit dieser Ungleichbehandlung indes mit einem „weiten Einschätzungsspielraum“ des Gesetzgebers und der geringen Höhe der finanziellen Mehrbelastung von Einpersonenhaushalten. [21]
3. Wahrung des Gleichheitssatzes in besonderen Konstellationen
a) Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen verfassungswidrig
Hingegen verstößt die Bemessung des Beitrags bei Zweitwohnungen gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit.  Dies folgt daraus, dass denknotwendig das Rundfunkangebot von einer Person nur an einem Ort wahrgenommen werden kann:
„Nach der derzeit geltenden Rechtslage wird der Zweitwohnungsinhaber für denselben Vorteil doppelt herangezogen. Der Vorteil ist personenbezogen in dem Sinne, dass es auf denjenigen Vorteil aus dem Rundfunkempfang ankommt, den die Beitragspflichtigen selbst und unmittelbar ziehen können. Das Rundfunkangebot kann aber von einer Person auch in mehreren Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal genutzt werden. Das Innehaben weiterer Wohnungen erhöht den Vorteil der Möglichkeit zur privaten Rundfunknutzung nicht, und zwar unabhängig davon, wie viele Personen in den jeweiligen Wohnungen zusammenwohnen […]. Nach der derzeitigen Regelung ist mit der Heranziehung einer Person in der Erstwohnung der Vorteil abgeschöpft, und kommt insoweit eine erneute Heranziehung einer Zweitwohnung nicht in Betracht.“[22]
Diese doppelte Belastung von Personen mit Zweitwohnung könne auch nicht durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung oder zur Verhinderung von einer Missbrauchs- und Umgehungsgefahr gerechtfertigt werden.[23]  Letztere drohe schon nicht, da der Beitragspflichtige  unabhängig von der zusätzlichen Präsenz von Zweitwohnungsinhabern gem. § 2 RBStV zur Zahlung des Rundfunkbeitrags verpflichtet bleibe. [24]
b) Rundfunkbeitragspflicht für Betriebsstätten und für nicht zu ausschließlich privaten Zwecken genutzte Kraftfahrzeuge verfassungsgemäß
Hinsichtlich der Beitragspflicht für Betriebsstätten und für nicht ausschließlich privat genutzte Kraftfahrzeuge  sieht das BVerfG durch den Empfang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen Vorteil darin, dass durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Informationen verbreitet werden, die einen betrieblichen bzw. unternehmerischen Bezug aufweisen:
„Die Beitragsschuldner können sich aus dem Rundfunkangebot Informationen für den Betrieb beschaffen sowie das Rundfunkangebot zur Information oder Unterhaltung ihrer Beschäftigten und ihrer Kundschaft nutzen[…]. Durch die Möglichkeit, Rundfunk in betrieblich genutzten Kraftfahrzeugen zu empfangen, erwächst dem Betriebsstätteninhaber ein zusätzlicher erwerbswirtschaftlicher Vorteil, der anders ausgeprägt ist als der Nutzungsvorteil innerhalb der Betriebsstätte. Er bezieht sich zum einen auf Teile des Rundfunkprogramms, deren Nutzungsvorteil sich spezifisch während der Nutzung eines Kraftfahrzeugs realisieren lässt (etwa der Empfang von Verkehrsmeldungen).  Zum anderen wird im Vergleich zu den Betriebsstätten von der Möglichkeit des Rundfunkempfangs in einem Kraftfahrzeug in einem gesteigerten Maß Gebrauch gemacht. Diese anders gelagerte Ausprägung des Nutzungsvorteils besteht etwa in Unternehmen mit Außendienstmitarbeitern.“[25]
Schließlich ist nach Ansicht des Gerichts die Zurechenbarkeit gegeben. Dem Gesetzgeber kommt hinsichtlich der Frage der Zurechenbarkeit eines individuellen Vorteils ein weiter Spielraum zu, der im vorliegenden Fall nicht überschritten war, da sowohl in Betriebsstätten als auch in betrieblich genutzten Kraftfahrzeugen üblicherweise Rundfunknutzung stattfindet.[26]
III. Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 GG
Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 GG durch „Zwangsinformation“ seitens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verneint das BVerfG zu Recht, da die Rundfunkbeitragspflicht keinen Zwang zur Konfrontation mit den über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreiteten Informationen begründet, so dass es jedenfalls an einem Eingriff fehlt.“[27]
IV. Fazit und Ausblick
Damit sind die stark  umstrittenen verfassungsrechtlichen Fragen geklärt.  Das Urteil bietet sich vor allem gut für eine mündliche Prüfung  an, da hier juristisches Allgemeinwissen, wie z.B. die Unterscheidung von Steuer und Beitrag, abgefragt werden kann. 
Ob der Rundfunkbeitrag darüber hinaus auch mit dem Unionsrecht vereinbar ist, ist noch offen. Das BVerfG konnte (und musste) sich in dem Urteil nur mit der Frage auseinander setzen, ob die Nichtvorlage an den EuGH durch das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verletzt.[28] Allerdings hat  das  Landgericht Tübingen mehrere Zwangsvollstreckungsverfahren ausgesetzt und den EuGH im Wege einer Vorlage gefragt, ob der Rundfunkbeitrag eine unionsrechtswidrige Beihilfe darstellt.[29]  Eine Entscheidung des EuGH ist somit noch zu erwarten.
 
 Fußnoten:  
[1] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Rn. 51.          
[2] Die Sachmaterie des öffentlich-rechtlichen rechtlichen Rundfunks fällt  nach ständiger Rechtsprechung in die ausschließliche Landesgesetzgebung, vgl. BVerfGE 12, 205, 225ff.; BVerfG, Urt. v. 18. Juli 2018- 1 BvR 1675/16 – Rn. 51.
[3] BVerfG,   Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Rn. 53.
[4] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Rn. 53f.; vertiefend hierzu Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 20. Auflage, Rn. 104ff.             
[5] Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 20. Auflage, Rn. 106.         
[6] Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 20. Auflage, Rn. 106.         
[7] Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 20. Auflage, Rn. 106.
[8] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Rn. 56.
[9]  BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Rn. 59.         
[10] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Leitsatz Nr. 2.    
[11] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 65 m.w.N.
[12] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 66.  
[13] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 75
[14] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 100.             
[15] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 80.
[16] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 80.
[17] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 79f.
[18] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 82.
[19] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 87.  
[20] Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 20. Auflage, Rn. 174.                   
[21] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 104f.
[22] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 107.
[23] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 108ff.                             
[24] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 110.
[25] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 113f.
[26] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 117.             
[27] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16- Rn. 135.             
[28] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 – Rn. 138ff.
[29] LG Tübingen, Beschl. v. 03.08.2017, Az. 5 T 246/17 u. a.
 

07.08.2018/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2018-08-07 08:55:132018-08-07 08:55:13BVerfG zum Rundfunkbeitrag – Vorschriften zur Erhebung des Rundfunkbeitrages für die Erstwohnung und im nicht privaten Bereich sind verfassungsgemäß
Tom Stiebert

BVerfG: Meinungsfreiheit schützt auch emotional zugespitzte Äußerungen

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer aktuellen Entscheidung vom 29.4.2016 (1 BvR 2844/13) der Frage gewidmet, wie weit der Schutz der von Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit reicht. Die Frage der Reichweite des Schutzbereichs dieses Grundrechts und die Möglichkeit der Rechtfertigung sind vom zweiten Semester an bis zu den Examensklausuren von immens höher Bedeutung und sollte daher wiederholt werden.
I. Sachverhalt
Der Sachverhalt knüpft an den Freispruch eines bekannten ehemaligen Wettermoderators (hier: der Kläger) in einem Verfahren wegen Vergewaltigung im Jahr 2011 an. Im Zuge dessen kam es zu Äußerungen des vermeintlichen Opfers der Vergewaltigung (hier: die Beschwerdeführerin).

Am Tag des Freispruchs sowie am Tag darauf äußerten sich der Strafverteidiger und der für das Zivilverfahren mandatierte Rechtsanwalt des Klägers in Fernsehsendungen über die Beschwerdeführerin. Etwa eine Woche nach der Verkündung des freisprechenden Urteils erschien in einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift ein dreiseitiges Interview mit dem Kläger unter der Überschrift „Mich erpresst niemand mehr“,

Über die Beschwerdeführerin äußerte er hierin zudem:

Ich weiß, ich habe mich mies benommen. Ich habe Menschen verarscht. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Aber das, was die Nebenklägerin mit mir gemacht hat, als sie sich den Vorwurf der Vergewaltigung ausdachte – das ist keine Verarsche. Das ist kriminell. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. (…) Ich habe keinen Sprung in der Schüssel. Viel interessanter wäre doch zu erfahren, was psychologisch in der Frau vorging, die mich einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe.

Daraufhin reagierte die Beschwerdeführerin mit einem Interview in einer Illustrierten, das eine Woche nach oben genanntem Interview erschien. Hierin äußerte sie sich sowohl unter Bezug auf die vermeintliche Tat als auch mit Bezug zum Kläger als vermeintlichen Täter:

Das Gericht unterstellt mir mit diesem Freispruch, dass ich so dumm und so niederträchtig sein könne, eine solche Vergewaltigungsgeschichte zu erfinden (…). Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe. Ich bin keine rachsüchtige Lügnerin.

(…) Fast unerträglich aber war für mich, die Aussagen der [vom Kläger] bezahlten Gutachter in der Presse lesen zu müssen. Diese Herren erklären vor Gericht, die Tat könne sich nicht so abgespielt haben, wie es die Nebenklägerin, also ich, behauptet – und man selbst sitzt zu Hause, liest das und weiß ganz genau: ES WAR ABER SO! (…)

Zu den Aktivitäten des Klägers im Internet:

Ja, das kann er. Andere beschimpfen und bloßstellen (…) In seinen Augen hat er in der besagten Nacht ja nichts falsch gemacht. Er hat nur die Machtverhältnisse wieder so hergestellt, wie sie seiner Meinung nach richtig sind.

Der im Strafprozess freigesprochene Kläger begehrte nun von der Beschwerdeführerin Unterlassung der dargelegten Äußerungen. Eine entsprechende Klage vor dem LG war erfolgreich; die hiergegen durch die Beschwerdeführerin eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos.

II. Lösung des BVerfG

Das BVerfG hatte hier nun zu prüfen, ob bei der Gewährung des Unterlassungsanspruchs § 1004 BGB durch die Gerichte eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (hier von Art. 5 GG) vorgelegen hat, weil die Bedeutung dieses Grundrechts bei der Prüfung nicht hinreichend beachtet wurde. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht hier bejaht.

a) Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst auch Tatsachenbehauptungen. Diese sind aus Sicht des BVerfG Voraussetzung der Bildung von Meinungen und daher auch vom grundrechtlichen Schutz erfasst. Dies scheidet nur dann aus, wenn ein Meinungsbezug vollständig fehlt. Zudem entfällt ein Schutz bei einer unwahren Tatsache, da diese gerade kein schützenswertes Gut darstellen. Hier ist die Unwahrheit – trotz des Freispruchs des Klägers – aber nicht erwiesen. Im Strafverfahren konnte nicht geklärt werden, ob die Angaben der Beschwerdeführerin oder die des Klägers der Wahrheit entsprechen. Insofern war der Schutzbereich eröffnet.
b) Hierin wurde auch eingegriffen, indem die Verbreitung untersagt wurde.
c) Der Eingriff ist auch nicht gerechtfertigt.
Eine Schranke liegt in Gestalt des § 1004 BGB zwar vor:

Die Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Zivilrechtliche Grundlage zur Durchsetzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Wege eines Unterlassungsanspruches ist hier § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 823 BGB.

Deren Anwendung ist hier aber nicht verhältnismäßig.

Die sich gegenüberstehenden Positionen sind in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalles in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen jeweils angemessen Rechnung trägt.

Das Bundesverfassungsgericht nimmt hier eine sehr übersichtliche und strukturierte Verhältnismäßigkeitsprüfung vor die nachfolgend dargestellt wird:
Zunächst wird der Inhalt Äußerung problematisiert. Eine die öffentlichen Interessen betreffende Äußerung ist dabei stärker zu schützen:

Von Bedeutung ist […], ob die Äußerung lediglich eine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen betrifft oder ob von der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>). Allerdings beschränkt sich die Meinungsfreiheit nicht allein auf die Gewährleistung eines geistigen Meinungskampfs in öffentlichen Angelegenheiten […]. Die Meinungsfreiheit ist als individuelles Freiheitsrecht folglich auch um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet und umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen.

Zudem betont dass BVerfG, dass die Maßstäbe an die Prüfung der Angemessenheit dann andere sind, wenn die Äußerung durch vorherige Verlautbarungen faktisch „provoziert“ wurde:

Zu berücksichtigen ist weiter, dass grundsätzlich auch die überspitzte Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung unterliegt (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>). Dabei kann insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 24, 278 <286>). Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert (vgl. BVerfGE 12, 113 <131>; 24, 278 <286>; 54, 129 <138>).

Diese Abwägungsgesichtspunkte wurden aus Sicht des BVerfG vom LG und OLG verkannt. Hauptkritikpunkt ist dabei, dass die Gerichte die Meinungsäußerung auf die Verlautbarung einer rein sachlichen Darstellung des Geschehens beschränkt werden soll. Diese Einschränkung ist aus Sicht des BVerfG gerade nicht geboten. Auch emotionale Faktoren sind zu beachten:

Indem die Gerichte aber davon ausgingen, dass sich die Beschwerdeführerin auf die Wiedergabe der wesentlichen Fakten und eine sachliche Darstellung des behaupteten Geschehens zu beschränken habe, verkennen sie die durch das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten. Diese Auffassung übersieht auch das öffentliche Interesse an einer Diskussion der Konsequenzen und auch Härten, die ein rechtsstaatliches Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann. Zudem haben die Gerichte in die erforderliche Abwägung nicht den Druck eingestellt, der auf der Beschwerdeführerin lastete und sie dazu brachte, das Ergebnis des weithin von der Öffentlichkeit begleiteten Prozesses kommunikativ verarbeiten zu wollen.

Dies gilt erst Recht im Hinblick auf die vorhergehende Äußerung des Klägers:

Das Oberlandesgericht geht insoweit zwar zutreffend davon aus, dass der Beschwerdeführerin ein „Recht auf Gegenschlag“ zusteht. Die Gerichte verkennen aber, dass sie dabei nicht auf eine sachliche, am Interview des Klägers orientierte Erwiderung beschränkt ist, weil auch der Kläger und seine Anwälte sich nicht sachlich, sondern gleichfalls in emotionalisierender Weise äußerten. Der Kläger, der auf diese Weise an die Öffentlichkeit trat, muss eine entsprechende Reaktion der Beschwerdeführerin hinnehmen.

Aus diesem Grund liegt eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit vor. Die Bedeutung der Grundrechte wurde hier verkannt.
III. Examensrelevanz
Die Bedeutung der Konstellation für das Examen ist offensichtlich: Die Meinungsfreiheit ist ein häufig und gern geprüftes Grundrecht, dass sich ob seiner praktischen Relevanz und ob seiner ausdifferenzierten Inhalte sehr gut für eine Klausur eignet.
Am Beschluss des BVerfG lässt sich zudem die Systematik der Prüfung sehr gut nachvollziehen. Zum einen wird deutlich, dass das BVerfG allein eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch das Urteil prüft (ob also beim Urteil zentrale Wertungen verkannt wurden) zum anderen zeigt das Gericht hier auch sehr gut, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung – trotzdem sie häufig als „schwammig“ empfunden wird – an harte Kriterien und Tatsachen anzuknüpfen hat. Gerade dies bringt in der Klausur hohe Punktzahlen.
 

02.05.2016/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-05-02 13:00:142016-05-02 13:00:14BVerfG: Meinungsfreiheit schützt auch emotional zugespitzte Äußerungen
Jennifer Eggenkämper

EuGH: Parodien mit diskriminierender Aussage sind unzulässig

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Der EuGH hat mit Urteil vom 3.9.2014 (C-201/13) entschieden, dass der Rechteinhaber an einem parodierten Werk verlangen kann, dass sein Werk nicht mit der Parodie in Verbindung gebracht wird, wenn diese eine diskriminierende Aussage enthält. Zudem nahm er in seinem Urteil Stellung zu den wesentlichen Merkmalen einer Parodie.
Hintergrund
Nach der Richtlinie über das Urheberrecht 2001/29/EG hat der Urheber das ausschließliche Recht, die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe seines Werkes zu erlauben. Die Mitgliedsstaaten können jedoch erlauben, dass ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches genutzt wird. Belgien hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Sachverhalt
Johan Deckmyn, ein Mitglied der flämischen Partei Vlaamse Belang, verteilte auf einem Neujahrsempfang der Stadt Gent Kalender für das Jahr 2011. Auf der Vorderseite der Kalender war eine Karikaturzeichnung abgebildet. Die dieser zugrunde liegende Originalzeichnung von Willy Vandersteen mit dem Titel „De Wilde Weldoener“ (Der wilde Wohltäter) zeigt eine mit Münzen um sich werfende Comicfigur. Um diese herum befinden sich mehrere Personen, die die Münzen aufsammeln. In der streitgegenständlichen Karikatur, die mit dem gleichen Titel überschrieben war, wurde diese Comicfigur durch den Bürgermeister der Stadt Gent ersetzt, während die anderen Personen durch verschleierte Personen farbiger Hautfarbe ersetzt wurden.
Die Erben von Vandersteen sowie weitere Inhaber von Rechten an der Zeichnung erhoben Klage gegen Deckmyn und den Vrijheidsfonds (Organisation, die die Partei finanziert), weil sie durch die Zeichnung und deren öffentliche Wiedergabe ihre Urheberrechte verletzt sahen. Vor Gericht trugen die Beklagten vor, die streitgegenständliche Zeichnung sei eine politische Karikatur und folglich eine Parodie, so dass die von der Richtlinie für das Urheberrecht 2001/29/EG für diese Art von Werken geschaffene Ausnahmeregelung anzuwenden sei.Die Kläger waren der Ansicht, eine Parodie selbst müsse von Ursprünglichkeit zeugen. Außerdem enthalte die Zeichnung eine diskriminierende Aussage.
Die erste Instanz sah das streitgegenständliche Werk als Parodie und daher als von der Meinungsfreiheit geschützt an. Das zuständige Rechtsmittelgericht bat den EuGH nun darum, die Voraussetzungen zu präzisieren, die ein Werk erfüllen muss, um als Parodie eingestuft werden zu können.
Entscheidung
Der EuGH entschied, dass der Begriff der Parodie entsprechend seinem Sinn nach den gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Richtlinie 2001/29/EG verfolgt werden. Die wesentlichen Merkmale eine Parodie bestünden zum einen darin, an ein bestehendes Werk zu erinnern, von dem sie sich wahrnehmbar unterscheiden muss. Zum anderen darin, einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen. Eine Parodie müsse entgegen der Ansicht der Kläger jedoch keinen anderen eigenen ursprünglichen Charakter haben als den, gegenüber dem ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen. Es sei auch weder erforderlich, dass die Parodie einem anderen als dem Urheber des ursprüngliches Werkes zugeschrieben werden kann, noch dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder das parodierte Werk nennt.
Bei der Anwendung dieser Ausnahmeregelung müsse jedoch ein angemessener Interessenausgleich zwischen den Interessen und Rechten der Rechteinhaber auf der einen Seite und des Rechts auf freie Meinungsäußerung der Person, die sich auf diese Ausnahme beruft, auf der anderen Seite sichergestellt werden. Enthält eine Parodie eine rassistische oder sonstige diskriminierende Aussage, haben die Rechteinhaber an dem zugrunde liegenden Werk grundsätzlich ein schützenswertes Interesse daran, dass ihr Werk nicht mit dieser Aussage in Verbindung gebracht wird.
Die Beurteilung, ob im konkreten Einzelfall bei der Anwendung der Ausnahmeregelung ein angemessener Interessenausgleich gewahrt wird, sei Sache des belgischen Gerichts.
Fazit
Auch wenn der EuGH die Entscheidung, ob die streitgegenständliche Karikatur nun diskriminierend ist oder nicht, dem Rechtsmittelgericht überlässt, ist davon auszugehen, dass er von einer Diskriminierung ausgeht. Auch wenn diese Entscheidung im vorliegenden Fall angemessen erscheint, ist dies vor dem Hintergrund nicht unproblematisch, dass die überspitzte Darstellung von Menschen oder gesellschaftlichen Zuständen grade das Wesen einer von dem Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) geschützten Karikatur ausmacht, die sich oftmals am Rande des guten Geschmacks bewegt.

08.09.2014/5 Kommentare/von Jennifer Eggenkämper
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Jennifer Eggenkämper https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Jennifer Eggenkämper2014-09-08 09:00:202014-09-08 09:00:20EuGH: Parodien mit diskriminierender Aussage sind unzulässig
Christian Muders

LG Tübingen: Keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Wikipedia-Artikel

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht, ZPO

Anm. zu LG Tübingen, Urteil v. 18.06.2012 – 7 O 525/10
1. Um was geht es?
Geklagt hatte ein außerplanmäßiger Professor an der Universität Tübingen gegen die Wikimedia-Foundation Inc., eine Stiftung nach dem Recht des amerikanischen Bundesstaates Florida, die in San Francisco ansässig ist. Anlass war ein Beitrag auf der deutschen Internetseite der Beklagten, in welchem sowohl über den Kläger selbst als auch über dessen berufliches Wirken berichtet wird. Insbesondere wird dort auf seinen Lebenslauf, seine Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen und seine Schriften Bezug genommen. Einer Veröffentlichung dieses Beitrages hatte der Kläger im Vorfeld nicht zugestimmt und forderte mit Schreiben vom 25.10.2010 die Beklagte auf, den Beitrag zu entfernen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Hierauf reagierte die Beklagte nicht. Da der Kläger der Auffassung war, er werde durch den Eintrag in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, erhob er vor dem LG Tübingen Klage mit dem Antrag, es zu unterlassen, auf der Internetseite über seine persönlichen Daten zu berichten.
2. Was sagt das Gericht?
Das Gericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
a) Zulässigkeit
Dabei ist es zunächst auf seine internationale Zuständigkeit eingegangen und hat diese unter Hinweis auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bejaht:

Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Begehungsort ist dabei sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, wobei neben Ansprüchen auf Schadensersatz auch Unterlassungsansprüche erfasst werden. Zur Entscheidung über Klagen wegen der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen sind die deutschen Gerichte nach § 32 ZPO dann international zuständig, wenn die beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland aufweisen und eine Kollision der widerstreitenden Interessen im Inland tatsächlich schon eingetreten sein kann oder noch eintreten kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Kenntnisnahme der Veröffentlichung im Inland im Gegensatz zur bloßen Abrufbarkeit der Veröffentlichung näher liegt und die vom Kläger behauptete Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch eine Kenntnisnahme auch im Inland eintreten kann. Aufgrund des Wirkens des Klägers im Inland liegt eine Kenntnisnahme des Eintrages im Inland deutlich näher als eine solche im Ausland. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Internetseite vor allem in Hinblick auf seine Stellung als außerplanmäßiger Universitätsprofessor und seine anstehenden Bewerbungen im Inland abgerufen wird.

b) Begründetheit
Im Folgenden hat das LG Tübingen allerdings einen materiellen Anspruch auf Unterlassung bzw. Beseitigung des Wikipedia-Artikels abgelehnt und insoweit dem Vortrag des Klägers bereits die Schlüssigkeit abgesprochen.
aa) Hierbei bejaht das Gericht zunächst die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und verweist dazu auf die Regelungen des EGBGB:

Auf die geltend gemachte Rechtsverletzung ist deutsches Recht anwendbar. Das anwendbare Recht ergibt sich aus den Art. 40 ff. EGBGB, denn außervertragliche Schuldverhältnisse sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. g der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM II-VO) vom Anwendungsbereich der ROM II-VO ausgenommen. Art. 40 EGBGB unterfällt dabei auch der Persönlichkeitsschutz einschließlich der sich daraus herleitenden Unterlassungsansprüche. Der Kläger übte jedenfalls sein Bestimmungsrecht aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB in der Klageschrift aus. Er berief sich in dieser ausdrücklich auf deutsche Normen. Zudem trug er vor, dass er im Inland außerordentlicher Professor ist, sich neu bewerben will und die Internetseite mit dem betreffenden Eintrag in Deutschland abrufbar ist, die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts also im Inland eintritt.

bb) Eine mögliche Anspruchsgrundlage für den Kläger erblickt das Gericht sodann in dem sog. „quasinegatorischen“ Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch analog § 1004 i.V.m. § 823 BGB. Von der erstgenannten Norm werden ihrem Wortlaut nach zwar nur Beeinträchtigungen des Eigentumsrechts (abzüglich des Entzugs, für welchen § 985 BGB gilt) erfasst, nach wohl allgemeiner Ansicht sind indes auch sonstige absolute Rechte in entsprechender Anwendung der Vorschrift vor Verletzungen geschützt. Denn es erscheint widersinnig, bei erfolgtem Eingriff zwar einen grundsätzlichen Anspruch des Geschädigten auf Naturalrestitution zu bejahen, ihm aber das Recht zu verwehren, bereits (zuvor) den drohenden Eingriff selbst abwehren zu können. Hierbei nimmt das Gericht zunächst das Vorliegen eines Eingriffs in ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht des Klägers an und zwar in Gestalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, welches durch die Veröffentlichung personenbezogener Daten tangiert werde:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist, sichert dem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (vgl. Palandt/Sprau, 71. Auflage 2012, § 823, Rn.112). Hieran anknüpfend ist vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Dieses verleiht dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Hierunter fällt auch das Recht des Klägers grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, ob und welche Informationen über seine Person auf der streitigen Internetseite der Beklagten veröffentlicht werden. (…) Infolge des Bereithaltens der beanstandeten Inhalte zum Abruf im Internet liegt auch ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers durch die Beklagte vor. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass er über den Eintrag auf der Seite http://de.wikipedia.org und darüber, ob dessen persönliche Daten wie Beruf, Lebenslauf und Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen, veröffentlicht werden, nicht selbst entschieden hat. Vielmehr stellte die Beklagte den Eintrag ohne sein Mitwirken ein und dieser ist grundsätzlich jedem interessierten Internetnutzer zugänglich.

cc) Im Folgenden verneint die Kammer allerdings eine Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs. Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich – was etwa auch für das Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gilt – um ein sog. Rahmenrecht, welches erst durch die Rechtsanwendung im Einzelfall konturiert werden kann. Wichtigste Konsequenz hieraus ist, dass bei einem tatbestandsmäßigen Verhalten, also einem bejahten Eingriff in das geschützte Rechtsgut, die Rechtswidrigkeit nicht indiziert wird, so dass bei einem Fehlen besonderer Rechtfertigungsgründe stets von einem grundsätzlich schadensersatzpflichtigen Unrecht auszugehen wäre. Vielmehr ist die Rechtswidrigkeit bei solchen Rahmenrechten immer positiv zu begründen, indem eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Parteien erfolgt. Hier ist auf Seiten des Beeinträchtigenden insbesondere die Intensität des festgestellten Eingriffs zu berücksichtigen, auf Seiten des Eingreifenden ist zu fragen, ob dieser rechtlich besonders geschützte Interessen geltend machen kann. Bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht kommen insoweit v.a. die grundgesetzlich verbürgte Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit in Betracht.
(1) Das LG Tübingen prüft im Folgenden daher zunächst die Folgen der Veröffentlichung für den Kläger, denen es aber einen nur geringen Beeinträchtigungsgrad zuspricht:

Weder entfaltet der abrufbereite Eintrag über den Kläger eine erhebliche Breitenwirkung, noch ist er Anknüpfungspunkt, um den Kläger sozial auszugrenzen oder zu isolieren. Dies gilt sowohl bezüglich seiner persönlichen Daten wie Beruf oder Lebenslauf als auch hinsichtlich der Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen. Der Inhalt des Eintrages besteht zwar aus persönlichen Inhalten, es werden jedoch lediglich bestimmte zutreffende Stationen oder Vorgänge im Leben des Klägers beschrieben. Die Inhalte sind ferner zwar abrufbereit im Internet verfügbar, allerdings werden diese nur dann zur Kenntnis genommen, wenn sich ein Nutzer aktiv informieren möchte. Anders als beispielsweise bei einer Zeitungsveröffentlichung ist hier nicht von einer breiten Ausstrahlungswirkung des Beitrages auszugehen, mit welchem potentiell die gesamte Bevölkerung informiert werden soll, sondern hier beschränkt sich die Kenntnisnahme auf Personen, welche den Kläger kennen und sich über ihn informieren möchten. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger durch den Beitrag sozial ausgegrenzt oder isoliert zu werden droht.

(2) Auf der anderen Seite sieht das LG die Veröffentlichung der Wikimedia Foundation auf der deutschsprachigen Internetseite sowohl vom Schutzbereich der grundgesetzlichen Informations- als auch der Pressefreiheit erfasst:

Auf Seiten der Beklagten ist ferner zu berücksichtigen, dass es sich bei Wikipedia um eine weltweite freie Online-Enzyklopädie handelt (…). Insofern besteht ein erhebliches öffentliches Interesse nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG, 10 Abs. 1 S. 1 EMRK an den von der Beklagten bereitgehaltenen Einträgen, um sich umfassend informieren zu können. (…) Weiterhin kann die Beklagte die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG für sich in Anspruch nehmen. Diese schützt grundsätzlich die Verbreitung von Informationen, wobei unter anderem auch das Recht eingeräumt wird, wahre Tatsachen zu publizieren. Mit dieser Gewährleistung korrespondiert insbesondere das Interesse der Öffentlichkeit an einer ausreichenden Versorgung mit Informationen. Zudem kommt diesen beiden Rechten schon aufgrund ihres Charakters als demokratische Grundrechte ein hoher Stellenwert zu, sodass gewichtige Gründe erforderlich sind, welche ein Überwiegen eines kollidierenden Rechtsgutes rechtfertigen.

(3) Schlussendlich betont das Gericht nochmals die geringe Intensität des Eingriffs beim Kläger:

Jedenfalls aber muss beachtet werden, dass es sich bei den Einträgen jeweils um wahre Tatsachen handelt und der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nur als sehr gering zu qualifizieren ist. Er ist lediglich der Sozialsphäre zuzuordnen, denn hier ist nur der Bereich des menschlichen Lebens betroffen, in dem sich der Betroffenen als Teil einer sozialen Gesellschaft zeigt und wahrgenommen wird. Äußerungen, welche diese Sphäre betreffen, sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen, denn das Persönlichkeitsrecht verleiht seinem Träger keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist. Zu den hinzunehmenden Folgen gehören auch solche Beeinträchtigungen des Einzelnen, die sich aus nachteiligen Reaktionen Dritter auf die Offenlegung der wahren Tatsachen ergeben (BVerfG, NJW 2011, 47; BVerfG NJW 1998, 2889).

dd) Im Anschluss an diese Prüfung setzt sich das Gericht noch ausführlich mit der Frage auseinander, ob die Beklagte hypothetisch überhaupt als „Störer“ im Hinblick darauf in Betracht kommt, dass nicht sie selbst, sondern die Nutzer der Plattform die Artikel im Internet einstellen und verändern. Angesprochen ist damit die Frage der Passivlegitimation, auch wenn diese bei Verneinung eines rechtswidrigen Eingriffs eigentlich dahinstehen kann. Die Kammer geht dabei ausführlich auf die spezielle Norm des § 10 TMG ein, wonach eine Verantwortlichkeit von Dienstanbietern i.S.d. § 2 TMG solange nicht besteht, wie sie keine Kenntnis von einer Rechtsverletzung haben bzw. – nur bei SE-Ansprüchen – ihnen keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung offensichtlich wird. Jedenfalls mit der erfolglosen Aufforderung des Klägers an die Wikimedia Foundation vom 25.10.2010, den Beitrag zu entfernen, dürfte allerdings die geforderte Kenntnis bei der Beklagten vorliegen.
3. Warum ist die Entscheidung interessant?
a) Die Entscheidung betrifft allgemeine Fragen des quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs und ist insofern für Klausur oder mündliche Prüfung durchaus geeignet. Der Reiz liegt dabei nicht zuletzt auch in der Gelegenheit, übergreifende rechtliche Zusammenhänge, namentlich den Einfluss der Grundrechte als „objektive Werteordnung“, bei der Beurteilung zivilrechtlicher Fragen abprüfen zu können. Hinzu kommt die Beschäftigung mit speziellen Fragen des Internetrechts, namentlich die Anwendung der Norm des § 10 TMG.
b) Im Hinblick auf den Inhalt der Entscheidung ist zunächst auf einen Widerspruch des LG Tübingen zwischen Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung hinzuweisen: Nimmt das Gericht nämlich an, dass es bereits an einem schlüssigen Vortrag des Anspruchs fehlt, ist streng genommen auch die Zuständigkeit des Spruchkörpers nach § 32 ZPO zu verneinen: Denn nach dieser Vorschrift ist ein Gericht nur dann zuständig, wenn an dessen Ort eine „unerlaubte Handlung“ begangen wurde. Das tatsächliche Vorliegen einer solchen Handlung ist damit streng genommen bereits für die Frage der Zuständigkeit entscheidend, nicht nur für die Frage der Begründetheit des Anspruchs, so dass es sich sozusagen um ein „doppelfunktionales Merkmal“ handelt. Bei solchen Merkmalen wird im Rahmen der Zulässigkeit gemeinhin aber wenigstens gefordert, dass der Kläger die Tatsachen, welche das Vorliegen einer unerlaubten Handlung begründen sollen, schlüssig darlegt, während erst die Frage des tatsächlichen Vorliegens (bei Bestreiten des Gegners) ein Problem der Sachentscheidung, also der Begründetheit ist (vgl. Musielak-Heinrich, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 32 Rn. 19; MüKo/ZPO-Patzina, 4. Aufl. 2013, § 32 Rn. 39, jew. m.w.N.). Da das Gericht vorliegend bereits eine schlüssige Darlegung der anspruchsbegründenden Tatsachen verneint, wäre insofern tatsächlich durch Prozessurteil zu entscheiden gewesen, d.h. die Kammer hätte die Klage mangels eigener Zuständigkeit (schon) als unzulässig abweisen müssen.
c) Daneben erscheint auch die Ansicht des Gerichts zweifelhaft, wonach im Rahmen der Abwägung des Eingriffs u.a. das Grundrecht der Pressefreiheit zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen sein soll. Denn die Wikimedia Foundation ist als Stiftung eine juristische Person, die aber nur nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsträger sein kann. Die vorgenannte Norm begrenzt die Grundrechtsfähigkeit indes ausdrücklich auf inländische juristische Personen, d.h. solche, die ihren tatsächlichen Sitz im Inland haben, was im Hinblick auf das Diskriminerungsverbot nach Art. 18 AEUV allenfalls bezüglich Vereinigungen im EU-Ausland durchbrochen wird, zu denen eine Körperschaft mit Sitz in Amerika aber jedenfalls nicht zählt. Demgemäß bleibt von der Grundrechtsargumentation des LG Tübingen eigentlich nur die von diesem ebenfalls in Bezug genommene Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG übrig, welche das Gericht nicht auf die Beklagte selbst, sondern (allgemein) Dritte bezieht, die sich über deren Plattform informieren wollen. Ebenfalls in Erwägung zu ziehen ist zudem ein Schutz nach Art. 10 EMRK, der die Meinungsfreiheit grundsätzlich auf alle Personen, auch juristische Vereinigungen, erstreckt, die von der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates betroffen werden (vgl. dazu Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 1 Rn. 16) – auf die Frage, ob es sich hierbei um eine in- oder ausländische juristische Person handelt, kommt es also grundsätzlich nicht an.
d) Zu denken ist schließlich daran, den Schutz der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht auf die Beklagte selbst, sondern die beteiligten Nutzer zu projizieren  welche die Artikel bei Wikipedia hochladen und gestalten: Ist nämlich bereits deren Verhalten unter dem Grundrecht der Pressefreiheit zulässig, kann die Beklagte kaum eine „mittelbare“ Verhinderungspflicht dergestalt treffen, demselben Einhalt zu gebieten. Allerdings wird auch die Eigenschaft des einzelnen „Wikipedianers“ als presseberechtigter Grundrechtsträger mit dem Argument in Frage gestellt, dass bei Wikipedia keine einzelnen Autoren für einen Beitrag verantwortlich seien, sondern die Artikel Produkt eines „Schwarms“ seien, der weder durch die Vor- noch Nachkontrolle einer zentralen Redaktion begleitet werde (so Ziegelmayer, LTO v. 13.12.2012). Diese Annahme ist indes nicht unangreifbar, denn die Organisation von Wikipedia ist durchaus in grobe personelle Hierarchien – namentlich durch sog. Administratoren – gegliedert, welche über die Vorgänge auf der Plattform wachen, und der Begriff des „Schwarms“ ist selbstverständlich nur ein Bild für den Schaffensprozess, das aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass durchweg grundrechtsberechtigte Personen aus Fleisch und Blut die einzelnen Artikel gestalten und verändern. Nimmt man dennoch an, dass aufgrund der vorgebrachten Argumente das Grundrecht der Pressefreiheit insgesamt zu versagen ist, bleibt jedenfalls die allgemeine Meinungsfreiheit zugunsten der einzelnen Nutzer übrig, deren Schutzbereich unabhängig von organisatorischen Vorkehrungen im vorgenannten Sinne besteht (so auch Ziegelmayer, a.a.O.).

22.12.2012/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-12-22 12:00:082012-12-22 12:00:08LG Tübingen: Keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Wikipedia-Artikel
Dr. Johannes Traut

BGH: Post muss NPD Publikation verteilen

Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht, Zivilrecht

Heute hat der BGH entschieden, dass die Deutsche Post AG die Publikation „Klartext“ der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag als Postwurfsendung verteilen muss (BGH, Urteil vom 20.9.2012 – I ZR 116/11, hier die Pressemitteilung, auf der diese Nachricht beruht und aus der die Zitate stammen).
Die Entscheidung selbst (I.) ist wegen der Verortung im Regulierungsrecht weniger prüfungsrelevant, dafür umso mehr für die WG-Diskussion geeignet und damit Teil der juristischen Allgemeinbildung. In abgewandelter Form eignet sich der Sachverhalt jedoch hervorragend für die mündliche Prüfung. (II.).
I. BGH: Anspruch aus § 3 PUDLV
Das Postregulierungsrecht findet sich im PostG und der Postdienstleistungsverordnung (PUDLV), wobei europarechtliche Vorgaben zu beachten sind. Entscheidendes Element des Regulierungsrechts ist die Vorgabe gem. §§ 11ff PostG, dass ein Mindestangebot an Postdienstleistungen nach § 4 Nr. 1 flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden muss (Universaldienst, vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 PostG). Zum Anbieten eines solchen Universaldienstes können Postunternehmen verpflichtet werden (vgl. § 13 Abs. 2 S. 1 PostG). In Deutschland ist momentan die Deutsche Post AG als einziges Postunternehmen zum Universaldienst verpflichtet.
Damit haben Kunden ihr gegenüber aus § 3 PUDLV im Rahmen der Gesetze und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Anspruch auf Erbringung der vom Universaldienst (vgl. § 4 Nr. 1 PostG) erfassten Leistungen. Der BGH zitiert übrigens in seiner Pressemitteilung fälschlicherweise § 2 PUDLV; seine Ausführungen passen dazu aber nicht und er gibt selbst am Ende der Pressemitteilung den Text von § 3 PUDLV wieder, es wird sich also um einen Tippfehler handeln.
Der BGH hat festgestellt, dass die Beförderung der NPD-Sendung vom Universaldienst erfasst ist. Was genau hierunter fällt, ist im Grundsatz eine Frage des Postregulierungsrechts und daher nicht weiter für das Examen oder sonst verallgemeinerungsfähig.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die hier nachgefragte Leistung eine solche Universaldienstleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) […] darstellt. Bei der Publikation handelt es sich um eine periodisch erscheinende Druckschrift, die zu dem Zweck herausgegeben wird, die Öffentlichkeit über Tagesereignisse, Zeit­ oder Fachfragen durch presseübliche Berichterstattung zu unterrichten. […] Den Einwand der Deutschen Post, dass es sich bei der in Rede stehenden Publikation nicht um eine periodisch erscheinende Druckschrift handelt, hat der BGH nicht gelten lassen. Ausreichend hierfür ist, dass die Druckschrift nach ihrer Aufmachung – anders als ein Flugblatt – auf das für eine Zeitung oder Zeitschrift übliche periodische Erscheinen angelegt ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie trotz dieser Aufmachung nur gelegentlich publiziert werden soll. […] Auch der Umstand, dass die fraglichen Druckschriften nicht adressiert sind, steht der Einordnung als Universaldienstleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 PUDLV, § 4 Nr. 1 Buchst. c PostG […] nicht entgegen. Soweit der Empfängerkreis hinreichend bestimmt ist, unterliegt die Beförderung von nicht adressierten Sendungen keinen für die Beklagte unzumutbaren Schwierigkeiten und trägt dem Bedürfnis Rechnung, auch die Beförderung von Massendrucksachen zu ermöglichen, die sich an eine Vielzahl von Empfängern richten.

Wichtig ist dann aber, dass der BGH klarstellt, dass dieser – dem Gesetzeswortlaut nach klar gegebene – Anspruch auch für die NPD gilt. Er stellt klar, dass auch rechtsradikale, aber nicht verbotene Gruppierungen in gleichem Maße ihre Meinung verbreiten können wie andere. Es besteht insofern eine aus Art. 5 GG herzuleitende staatliche Pflicht zur Neutralität. Diese muss bei der Auslegung der vom Staat auferlegten Verpflichtungen zum Universaldienst beachtet werden. In der Sache geht es also um die mittelbare Geltung der Grundrechte auch im Zivilrecht. Flankierend kann auch auf die Wertung der Art. 3 Abs. 3 GG (keine Diskriminierung wegen politischer Anschauung) und Art. 21 GG (Parteiverbot nur durch BVerfG) verwiesen werden. All das spielt auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Kündigungen wegen NPD-Mitgliedschaft im Arbeitsrecht eine Rolle.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts darf der Umstand, dass die Publikation der Werbung für die Politik und Arbeit der Klägerin dient, auf die Entscheidung keinen Einfluss haben. Die Einordnung als Universaldienst verfolgt mit dem dadurch bestimmten Beförderungszwang das Ziel, zur Förderung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit Erzeugnisse der Presse dem Empfänger so günstig wie möglich zuzuführen. Die Pressefreiheit begründet für den Staat jedoch eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Um die flächendeckende Grundversorgung mit Postdienstleistungen sicherzustellen, sieht die gesetzliche Regelung vor, dass die Lizenzträger, zu denen die Deutsche Post zählt, verpflichtet sind, bestimmte Postdienstleistungen, sogenannte Universaldienstleistungen, zu erbringen. […] Ausgeschlossen wäre die Beförderung allerdings dann, wenn besondere Ausschlussgründe vorliegen, etwa weil der Inhalt der Publikation gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PUDLV) oder rassendiskriminierendes Gedankengut enthält (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 PUDLV). Dazu hatte die Deutsche Post jedoch nichts vorgetragen.

Die Meinungs- und Pressefreiheit findet wiederum gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PUDLV ihre Schranke in dem Verstoß gegen Strafgesetze und den Rechten anderer.
Noch ein Wort aber zur Natur und Intensität der Grundrechtsbindung hier: Es handelt sich M.E. um die „normale“ mittelbare Drittwirkung, wie sie auch einem gänzlich privaten Unternehmen gegenüber bestehen würde. Die Fraport-Grundsätze (dazu sogleich, II.) sind nur bei Unternehmen, die sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befinden, anwendbar. Allenfalls ergibt sich hier aus funktionalen Gesichtspunkten (Anbieten von „Daseinsvorsorge“) eine etwas stärkere mittelbare Drittwirkung der Grundrechte. Dies gälte dann aber auch für rein Private, welche die gleiche Funktion ausüben (vgl. zu diesem funktionalen Ansatz meinen Beitrag zur Fraport-Entscheidung, Link unten unter II).
II. Ohne Regulierungsrecht: Anspruch auf Beförderung gegenüber öffentlichen Unternehmen?
Wandelt man den Fall nur leicht ab, eignet er sich hervorragend für die mündliche Prüfung im öffentlichen Recht. Geht man davon aus, dass kein spezielles Regulierungsrecht existiert und dass die Anteile der Deutschen Post AG mehrheitlich von der öffentlichen Hand gehalten werden (was tatsächlich nicht mehr der Fall ist), können in der mündlichen Prüfung die in der Fraport-Entscheidung entwickelten Grundsätze zur unmittelbaren Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen abgeprüft werden.
Als Folgefragen kommen dann etwa noch in Betracht: zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Anspruch? Wohl eher ersteres, weil die Leistungen auf zivilrechtlicher Grundlage angeboten werden und außerdem die Post zivilrechtlich verfasst ist (AG). Dann: zivilrechtlicher Kontrahierungszwang unmittelbar aus den Grundrechten oder über Umweg des § 242 BGB? Was ist mit der Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 ParteiG (wohl eher nicht, Post als zivilrechtliche AG kein Träger öffentlicher Gewalt)?

20.09.2012/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-09-20 10:31:402012-09-20 10:31:40BGH: Post muss NPD Publikation verteilen
Dr. Christoph Werkmeister

Tai Chi und Kung Fu als Kunst i.S.d. Art. 5 Abs. 3 GG

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht
Das SG Mainz beschäftigte sich im Rahmen eines kürzlich erschienenen Urteils (vom 26.03.2012, Az. S 1 R 340/09) mit der Frage, inwiefern das Lehren von Tai Chi und Kung Fu Kunst darstellen kann:

Der Kläger unterrichtet in Schulen und Sporthallen die aus der chinesischen Kampfkunst abgeleiteten Bewegungsmethoden. Er hat argumentiert, er sei ein nicht versicherungspflichtiger Künstler, weil im Zentrum der von ihm gelehrten Übungen Formen stehen, die sich aus mehreren Bildern und Einzelbewegungen zusammensetzen und die Darbietungen in Gruppen mit Ballettaufführungen vergleichbar seien.
Das SG Mainz hat sich dem nicht angeschlossen.
Nach Auffassung des Sozialgerichts hat der Gesetzgeber den Begriff der Kunst nicht abschließend definiert. Was als Kunst zu bewerten sei, sei […] deshalb unter Berücksichtigung […] der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu bestimmen. Danach sei Kunst das, was Ergebnis eines kreativen Prozesses sei und von der jeweiligen Gesellschaft als Kunst anerkannt werde. Bei darstellender Kunst werde zwischen den Hauptsparten Theater, Tanz und Film unterschieden. Unter Anwendung dieser Kriterien sei der vom Kläger erteilte Unterricht nach seinem Gesamtbild mehr dem Unterricht eines Fitness- und Gymnastiklehrers als der Tätigkeit eines Künstlers zuzuordnen. Es handele sich nicht um „Lehre von Kunst“, weil Thai Chi und Kung Fu überwiegend pädagogische, therapeutische, gymnastische und meditative Elemente hätten. So seien diese Bewegungsformen beispielsweise in China eine Art Volkssport, dessen Ziel es sei, auf Körper und Seele der Menschen positive Auswirkungen zu erzielen. Die Art der Bewegungsabläufe habe zwar bei beiden Ausübungsformen künstlerische Elemente. Dies sei jedoch – ähnlich wie bei der rhythmischen Sportgymnastik – nicht ausreichend, um den Unterricht oder Aufführungen von Tai Chi und Kung Fu als darstellende Kunst zu bewerten.

Im Ergebnis wurde der Thai Chi-Lehrer damit etwa wie ein Aerobiclehrer behandelt. Je nach Sachvortrag kann sich jedoch anderes ergeben. Ich gehe davon aus, dass insbesondere schauspielartige Kung Fu-Vorstellungen mit weniger Problemen unter Art. 5 Abs. 3 GG zu fassen sein könnten.

27.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-27 09:30:512012-03-27 09:30:51Tai Chi und Kung Fu als Kunst i.S.d. Art. 5 Abs. 3 GG
Dr. Simon Kohm

Kurzüberblick: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Mit einer besonders examensrelevanten Thematik hatte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom heutigen Tage (22.02.2011), Az. 1 BvR 699/06 zu befassen. Der Fall könnte 1:1 als Examensklausur im Öffentlichen Recht gestellt werden.
Zum Sachverhalt: Die Betreibergesellschaft des Frankfuter Flughafes Fraport AG (zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand)  hatte der Beschwerdeführerin gegenüber ein „Flughafenverbot“ erteilt; Meinungskundgabe und Demonstrationen wurden untersagt. Das Verbot bezog sich dabei auch auf die Bereiche des Flughafens, die frei zugänglich sind und in denen sich hauptsächlich Restaurants, Geschäfte oder ähnliche Einrichtungen befanden. Konkret hat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einer drohenden Abschiebung Flugblätter verteilt, um der Sache damit öffentlich gehör zu verschaffen. Der BF wurde daraufhin ihre Tätigkeit auf dem Flughafengelände untersagt. Der zivilgerichtliche Rechtsschutz der BF (AG, LG, BGH) blieb in der Folge ohne Erfolg. Die Befugnis zur Untersagung folge vorliegend aus § 858 ff., 903, 1004 BGB und damit dem Hausrecht der Betreibergesellschaft. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die BF eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG.
Wir hatten bereits über den Fall berichtet, vorliegend soll die Argumentation des BVerfG nachvollzogen werden: Das BVerfG hat vorliegend entscheiden, dass die BF in ihrem Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt ist.
Das  BVerfG führt aus, dass die Fraport AG der Grundrechtsbindung unterliege. Allein die Tatsache, dass hier privatrechtliche Nutzungsverhältnisse geschaffen würden, können zu keinem anderen Ergebnissen führen (keine Flucht ins Privatrecht). Die Fraport sei gem. Art. 1 Abs. 3 an die Grundrechte gebunden. Das gelte auch für gemischwirtschaftliche Unternehmen (vorliegend 70% Staatseigentum). Erforderlich sei allerdings, dass das Unternehmen von der öffentlichen Hand beherrscht werde. Entscheidend dafür seien die Mehrheitsverhältnisse und die Eingriffsmöglichkeiten. Hier müsste auf den Sachverhalt Bezug genommen werden. Ohne zu tief ins Gesellschaftsrecht einzusteigen, kann dies bei einer Quote von 70% sicher bejaht werden. Bezug genommen werden muss also nicht auf die mittelbare Wirkung der Grundrechte.
Zum Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG führt das BverfG aus, dass das Versammlungsrecht grundsätzlich für die Meinungsbildung in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung unerlässlich ist. Geschützt sie die gemeinsame (körperliche) Meinungsäußerung nach außen. Dazu gehöre auch das Recht, Ort, Zeit und Art und Weise der Kundgabe selbst wählen zu dürfen. Indes müsse nicht zu jedem beliebigen Ort Zugang verschafft werden. Dies gilt insbesondere für solche Örtlichkeiten, die der Allgemeinheit nicht offen stehen oder schon auf Grund ihrer Natur her nicht geeignet sind, Versammlungen aufzunehmen. Das BverfG hält aber explizit fest, dass Versammlungen an den Orten erlaubt sein müssen, an denen ein allgemeiner, öffentlicher Verkehrs auszumachen sei. Entscheidend für diese Abgrenzung sei das „Leitbild des öffentlichen Forums“, so das BVerfG. Es komme also darauf an, ob der besagte Ort dazu genutzt werde, allgemeine Kommunikation auszutuschen bzw. dass dort gerade eine solche Kommunikation stattfinde. Dies sei dann der Fall, wenn durch die Schaffung von Örtlichkeiten wie Geschäften oder Gastronomie ein Umfeld geschaffen werden, dass zum Flanieren einlade. Hier werde ein Ort der Begegnung und Kommunikation geschaffen.
Im konkreten Fall bejaht der Senat diese Voraussetzungen, jedenfalls für die genannten öffentlich zugänglichen Bereiche. Die Sicherheitsbereiche seien hier ausgeschlossen. Überzeugend ist dabei vor allem die Bezugnahme des Senats auf die Werbung des Flughafens:
„City in the City“, „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“
Hier wir bewusst ein Raum der Begegnung und Kommunikation geschaffen, der auch öffentlich zugänglich ist. Damit sieht das BVerfG vorliegend den Schutzbereich des Grundrechts als berührt an. Noch einmal herausgestellt werden muss die Problematik: Dass es sich hier bei der Kundgabe von Meinungen und dem Verteilen von Flugblättern grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG handelte, ist wohl unstreitig. Einzig und allein der Ort, an dem diese stattfinden sollte, musste vorliegend näher beleuchtet werden.
Ansonsten hält das BVerfG fest:

  • Die Ermächtigungsgrundlagen des BGB können vorliegend als gesetzliche Grundlage dienen. Bei der Auslegung sind allerdings die Grenzen des Art. 8 Abs. 1 GG zu beachten.
  • Es liegt eine Versammlung „unter freiem Himmel vor“. Zu den Räumlichkeiten hat ein allgemeines Publikum Zugang.
  • Auch Art. 5 Abs. 1 GG sieht das BVerfG vorliegend als verletzt an. Das individuelle Recht der Meinungskundgabe stehe jedem Bürger grundsätzlich dort zu, wo er sich gerade befinde. Die Schutzbereichsberührung sei darin zu sehen, dass der BF der Zugang zum Flughafen untersagt werde, wenn sie dort (im Flughafen) Flugblätter verteile und damit ihre Meinung kundtue.

Eine überzeugende und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, wie ich finde. Es lohnen sich einmal die Originalausführungen des BVerfG (Rn. 61 f.). Die Examensrelevanz ist als hoch zu bezeichnen.

22.02.2011/1 Kommentar/von Dr. Simon Kohm
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Simon Kohm https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Simon Kohm2011-02-22 12:29:092011-02-22 12:29:09Kurzüberblick: BVerfG zu Versammlungen auf Flughäfen
Dr. Stephan Pötters

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) vs. APR (Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG) – BVerfG-Entscheidung zu Kürzungen personenbezogener Fremdbeiträge

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Art. 5 GG vs. APR – Ein klassisches Spannungsfeld!
Es gibt mittlerweile unzählige Entscheidungen des BVerfG und der Instanzgerichte, bei denen die Meinungs- oder die Pressefreiheit mit Persönlichkeitsrechten kollidiert. In diesem klassischen Spannungsfeld wurde nun eine weitere Problemkonstellation durch das BVerfG höchstrichterlich entschieden. Im Beschluss vom 25.07.2009  (1 BvR 134/03) ging es um die Frage, inwiefern das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR, Art. 2 Abs.1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG) durch das Abdrucken einer gekürzten Fassung eines personenbezogenen Fremdbeitrags verletzt werden kann, wenn durch die Kürzungen der Fremdbeitrag zulasten der dargestellten Person in seinem Sinngehalt verfälscht wird. Dies ist ein häufig auftretendes Problem: Viele Personen der Zeitgeschichte („Promis“, Politiker etc.) fühlen sich oft falsch zitiert oder beklagen, dass sie unvollständig zitiert wurden, sodass eine Aussage absichtlich zugespitzt oder aus dem Kontext gerissen werde.
Der Sachverhalt
Der Entscheidung des BVerfG lag folgender Sachverhalt zugrunde: In einer Börsenzeitschrift wurden unter der Rubrik «Meinungen – Presseschau – Nachrichten» Berichte anderer Presseorgane abgedruckt, die als Fremdbeiträge gekennzeichnet wurden. Dort wurden auch Ausschnitte aus einer Tageszeitung publiziert, die sich mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens wegen des Verdachts verbotener Insidergeschäfte und des Betruges zum Nachteil von Kapitalanlegern befasste. Das Verfahren wurde jedoch sehr bald aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Das Landgericht Hamburg verurteilte die Börsenzeitschrift zur Unterlassung der mit dem Bericht verbundenen Tatsachenbehauptungen und Unterstellungen sowie Schadensersatz. In zweiter Instanz bestätigte das OLG Hamburg dieses Urteil,  in dritter Instanz wies das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg die Berufung zurück.  Die Börsenzeitschrift erhob gegen diese Entscheidungen (Urteils-)Verfassungsbeschwerde. Sie berief sich auf eine Verletzung ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG).
BVerfG: Entscheidungen der Instanzgerichte verfassungskonform
Das BVerfG nahm diese Verfassungsbeschwerde nicht einmal zur Entscheidung an. Die Meinungs- und die Pressefreiheit seien nicht verletzt. Die Instanzgerichte hätten richtigerweise im Rahmen der Prüfung des Verschuldens (beim Schadensersatzanspruch) hervorgehoben, dass die Börsenzeitschrift durch die Kürzung wichtiger Passagen den Sinngehalt des Ursprungsbeitrages verfälscht habe. Dadurch habe sie grob die ihr obliegenden pressemäßigen Sorgfaltspflichten verletzt.
Jedoch: Bedenken bzgl. einer uneingeschränkten Verbreiterhaftung
Gleichwohl äußerte sich das BVerfG auch kritisch zu den angegriffenen Entscheidungen. Soweit die Verurteilung zu Unterlassung und Schadensersatz auf eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung gestützt wurde, bestünden verfassungsrechtliche Bedenken. Die wichtigen Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 I GG dürfen nicht durch allzu hohe Sorgfaltsanforderungen in Form von Recherchepflichten eingeschränkt werden. Eine ausdrückliche Kennzeichnung eines Beitrags als gekürzter Fremdbericht könne im Einzelfall durchaus ausreichen, um den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen. Die Verwednung von Fremdberichten im Rahmen eines Pressespiegels o.ä. sei ein wichtiges und klassisches Instrument der Öffentlichkeitsarbeit.

12.08.2009/1 Kommentar/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-08-12 10:48:232009-08-12 10:48:23Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) vs. APR (Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG) – BVerfG-Entscheidung zu Kürzungen personenbezogener Fremdbeiträge

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • OLG Karlsruhe: Medizinische Instrumente als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB
  • VG Berlin zum Carsharing: Gemeingebrauch oder Sondernutzung?
  • Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Charlotte Schippers

OLG Karlsruhe: Medizinische Instrumente als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht BT, Uncategorized

Körperverletzungsdelikte, gerade auch die Qualifikationen des § 224 StGB sind ein Dauerbrenner im Examen, sodass ihre Beherrschung und die Kenntnis aktueller Rechtsprechung essentielle Voraussetzung für eine gute Bearbeitung der Strafrechtsklausur […]

Weiterlesen
10.08.2022/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2022-08-10 06:51:242022-08-10 06:51:25OLG Karlsruhe: Medizinische Instrumente als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB
Philip Musiol

VG Berlin zum Carsharing: Gemeingebrauch oder Sondernutzung?

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Das VG Berlin hatte am 01.08.2022 über einen Eilantrag von zwei Carsharing-Unternehmen zu entscheiden (Az. 1 L 193/22). Inhaltlich befasst sich die Entscheidung mit der Frage, ob es sich beim […]

Weiterlesen
08.08.2022/1 Kommentar/von Philip Musiol
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Philip Musiol https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Philip Musiol2022-08-08 07:02:162022-08-08 07:02:18VG Berlin zum Carsharing: Gemeingebrauch oder Sondernutzung?
Yannick Peisker

Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht, Versammlungsrecht

Das BVerwG (Az. 6 C 9.20) befasste sich erneut mit dem Umfang der prüfungsrelevanten Versammlungsfreiheit. Es hatte zu prüfen, ob auch die infrastrukturellen Einrichtungen eines Protestcamps dem Schutzgehalt des Art. […]

Weiterlesen
05.08.2022/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2022-08-05 06:26:052022-08-05 08:15:59Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen