Nach 20 Jahren haben die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen. Medienberichten zufolge haben die Taliban nun auch den Präsidentenpalast in Kabul besetzt und damit die letzte Großstadt, die zuvor noch in der Kontrolle der bisherigen Regierung stand, eingenommen. Daher verwundert es wenig, dass westliche Staaten mit Hochdruck versuchen, ihre Staatsbürger, Diplomaten und Ortskräfte zu evakuieren. Das Bundesministerium der Verteidigung hat bekanntgegeben, dass es das Auswärtige Amt bei der Rückführung deutscher Staatsbürger und weiterer zu Schützender aus Afghanistan nach Deutschland unterstützen werde. Dafür würden einsatzbereite Kräfte bereitgehalten und schnellstmöglich erste Kräfte in Marsch gesetzt. Noch am Montag (16.08.2021) sollen die Fallschirmjäger der Bundeswehr nach Kabul fliegen.
Zwar haben sich die Jusitizprüfungsämter bei der Prüfung von Fragen rund um die auswärtige Gewalt, also in der Schnittstelle zwischen Staats- und Völkerrecht, in der jüngeren Vergangenheit zurückgehalten. Angesichts der aktuellen Geschehnisse dürfte dieser Themenkomplex jedoch in nächster Zeit, insbesondere auch in mündlichen Prüfungen, wieder an Bedeutung gewinnen. Hier dürfte bereits derjenige, der über ein grobes Grundverständnis über den verfassungsrechtlichen Rahmen verfügt, aus der Masse der Prüfungsteilnehmer hervorstehen. Andererseits sind derartige Grundkenntnisse, da im Bereich des Wehrverfassungsrecht vieles im Grundgesetz überhaupt nicht oder wenn überhaupt nur kursorisch geregelt ist, zwingend erforderlich, um Prüfungsaufgaben aus diesem Bereich sachgerecht bewältigen zu können.
Daher soll im Folgenden die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Evakuierungsaktion beleuchtet werden.
A. Rechtsausführungen
Das Vorgehen der Bundesregierung wäre verfassungsmäßig, wenn es sich auf eine verfassungsrechtliche Grundlage stützen lässt und auch die sonstigen Beschränkungen, die das Grundgesetz an derartige Aktionen stellt, eingehalten werden.
I. Verfassungsrechtliche Grundlage
Die Entscheidung der Bundesregierung müsste auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestützt sein.
Art. 24 Abs. 2 GG kommt vorliegend als Rechtsgrundlage nicht in Betracht, da von dieser Norm lediglich Einsätze im Rahmen eines „Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ erfasst sind. Die Evakuierungsaktionen der unterschiedlichen Staaten werden jedoch jeweils autonom koordiniert und durchgeführt. Eine Mitwirkung in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit wie den Vereinten Nationen oder der NATO erfolgt nicht.
Allerdings enthält Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG eine Kompetenzzuordnung im Rahmen der auswärtigen Gewalt. Nach dieser Vorschrift bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes. Vorliegend steht jedoch nicht der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags in Rede. Allerdings folgert das Bundesverfassungsgericht aus der Existenz des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, dass Akte der auswärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG nicht erfasst werden, grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet sind:
Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann auch nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden muß […]. Auch insoweit kommt eine analoge oder erweiternde Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht […].
(BVerfG, Urt. v. 12.07.1994 – 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93, BVerfGE 90, 286 [358])
Dafür, dass Akte der auswärtigen Gewalt grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet sind, spricht zudem, dass der Bundesminister für Verteidigung gem. Art. 65a GG die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte innehat.
Mithin war die Bundesregierung zur Anordnung der Evakuierungsmission befugt.
II. Beschränkung durch Art. 87a Abs. 2 GG
Mit ihrer Entscheidung zur bewaffneten Evakuierung könnte sich die Bundesregierung jedoch über die Beschränkungen des Art. 87a Abs. 2 GG hinweggesetzt haben.
1. Anwendbarkeit auf Auslandseinsätze
Dies wirft zunächst die Frage auf, ob Art. 87a Abs. 2 GG überhaupt auf Auslandseinsätze Anwendung findet, was innerhalb der Literatur seit jeher umstritten ist. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG Bindungswirkung entfalten würde, existiert zu dieser Frage nicht. In seiner Adria/Somalia-Entscheidung (BVerfG, Urt. v. 12.07.1994 – 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93, BVerfGE 90, 286) ist das Bundesverfassungsgericht der Beantwortung dieser Frage vielmehr aus dem Weg gegangen. Ob Art. 87a Abs. 2 GG vorliegend Anwendung findet, ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln.
Grund und Grenze der Auslegung werden durch den Wortlaut einer Vorschrift gesetzt. Art. 87a Abs. 2 GG spricht aber lediglich vom Einsatz von Streitkräften. Inwieweit diese Norm neben Inlandseinsätzen auch Auslandseinsätze erfasst, lässt sich ihr nicht entnehmen. Die Wortlautauslegung erweist sich insofern als nicht ergiebig.
Für eine enge Auslegung des Art. 87a Abs. 2 GG könnte jedoch dessen systematischer Zusammenhang sprechen: Zum einen behandeln die Absätze 3 und 4 des Art. 87a GG ebenfalls ausschließlich den Einsatz der Streitkräfte im Inland; Art. 87a Abs. 3 und 4 GG normieren nämlich die Voraussetzungen, unter denen die Streitkräfte innerhalb des Bundesgebiets zum Schutz ziviler Objekte sowie zur Verkehrsregelung eingesetzt werden dürfen. Zum anderen befindet sich Art. 87a Abs. 2 GG im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes, der die amtliche Überschrift „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“ trägt. Art. 87a GG befindet sich somit in einem Bereich, der die Abgrenzung der Zuständigkeiten des Bundes von denen der Länder behandelt (Sachs/Kokott/Hummel, 9. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 11). Die systematische Auslegung deutet somit darauf hin, dass Art. 87a Abs. 2 GG nur für Inlandseinsätze Einschränkungen normiert.
In eine andere Richtung könnte jedoch die teleologische Auslegung weisen: Es leuchtet nämlich nicht ein, weshalb der Grundgesetzgeber lediglich den Einsatz der Streitkräfte innerhalb des Bundesgebiets einem strikten Regelungsvorbehalt unterworfen haben sollte. Schließlich führt gerade der Einsatz der Streitkräfte im Ausland regelmäßig zu weitreichenderen Folgen im Vergleich zu einem bloßen Inlandseinsatz. In diesem Zusammenhang konstatiert Epping überspitzt, aber zu Recht: „Mit Blick auf die jüngere deutsche Vergangenheit würde es geradezu seltsam anmuten, wenn im GG zwar der Einsatz von Soldaten zur Verkehrsregelung einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung für wert befunden wurde (Art. 87a Abs. 3), indes der für Deutschland hochsensible Bereich des Außeneinsatzes allein dem Völkerrecht überlassen bliebe.“ (BeckOK GG/Epping, 47. Ed. 2021, Art. 87a Rn. 19)
Vertreter der engen Auslegung bemühen hingegen die Entstehungsgeschichte des Art. 87a Abs. 2 GG. Denn die Diskussion um die Einführung der Notstandsverfassung 1968 habe sich auf den Einsatz der Bundeswehr im Innern konzentriert (Sachs/Kokott/Hummel, 9. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 14). Andererseits wird darauf hingewiesen, dass die Entstehungsgeschichte nicht so eindeutig sei, wie die Gegenansicht anführt. So wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Neufassung des 87a GG nicht lediglich den auf Inlandseinsätze bezogenen Art. 143 GG a.F. ersetzen, sondern vielmehr eine umfassende Regelung des Einsatzes von Streitkräften treffen. Insoweit seien Inlandseinsätze lediglich mitgeregelt worden (von Münch/Kunig/Aust, 7. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 41; von Mangoldt/Klein/Starck/Müller-Franken, 7. Aufl. 2018, Art. 87a Rn. 73). Letztlich ermöglicht also auch die historische Auslegung keinen eindeutigen Schluss.
Insbesondere aufgrund des starken teleologischen Arguments ist im Einklang mit der herrschenden Meinung (von Münch/Kunig/Aust, 7. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 40 ff.; BeckOK GG/Epping, 47. Ed. 2021, Art. 87a Rn. 19; Dreier/Heun, 3. Aufl. 2018, Art. 87a Rn. 16; Jarass/Pieroth/Kment, 16. Aufl. 2020, Art. 87a Rn. 8; von Mangoldt/Klein/Starck/Müller-Franken, 7. Aufl. 2018, Art. 87a Rn. 72 ff.) davon auszugehen, dass sich Art. 87a Abs. 2 GG auch auf Auslandseinsätze erstreckt.
2. „Einsatz“ i.S.d. Art. 87a Abs. 2 GG
Die Beschränkungen des Art. 87a Abs. 2 GG kämen zudem nur dann zur Anwendung, wenn es sich bei der streitgegenständlichen Evakuierung auch um einen Einsatz im Sinne dieser Norm handelt.
Unter einem Einsatz der Bundesverwehr kann dabei nicht jede beliebige Verwendung der Streitkräfte gefasst werden. Verteilt ein Bundeswehrsoldat beispielsweise Kugelschreiber in einem Impfzentrum oder beteiligen sich die Streitkräfte bei Bergungs- und Aufräumarbeiten nach einer Naturkatastrophe, wie dies zuletzt nach der Flutkatastrophe in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geschehen ist, so sind die Einschränkungen des Art. 87a Abs. 2 GG unstreitig nicht zu beachten.
Vielmehr versteht die herrschende Meinung – mit geringen Differenzen im Detail – unter einem Einsatz i.S.d. Art. 87a Abs. 2 GG die Verwendung der Streitkräfte als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Wie das Bundesverfassungsgericht betont, „liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden“ (BVerfG, Beschl. 03.07.2012 – 2 PBvU 1/11, BVerfGE 132, 1 [20]; Beschl. v. 20.03.2013 – 2 BvF 1/05, BVerfGE 133, 241 [269 f.]).
Die deutschen Staatsbürger, Diplomaten sowie Ortskräfte sollen unter dem Schutz von bewaffneten Soldaten in ein sicheres Drittland ausgeflogen werden. Zwar ist der Einsatz von Waffen nicht beabsichtigt. Nötigenfalls wird jedoch auch Waffengewalt zum Schutz der zu Evakuierenden sowie der Soldaten eingesetzt. Nicht zuletzt soll durch die nach außen deutlich erkennbare Bewaffnung auch ein gewisses Droh- und Einschüchterungspotential hervorgerufen werden, um Angriffen präventiv vorzubeugen.
Mithin handelt es sich bei der Evakuierungsaktion um einen Eingriff, bei dem die Beschränkungen des Art. 87a Abs. 2 GG zu beachten sind.
3. Zulässigkeit des Einsatzes
Der Einsatz ist nach Art. 87a Abs. 2 GG nur dann zulässig, wenn er der Verteidigung dient oder das Grundgesetz diesen ausdrücklich zulässt. Bewaffnete Evakuierungsaktionen lässt das Grundgesetz nicht ausdrücklich zu. Fraglich ist somit, ob die Evakuierungsaktion unter den Begriff der „Verteidigung“ subsumiert werden kann.
Möglicherweise entspricht der Begriff der Verteidigung in Art. 87a Abs. 2 GG dem in Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG legaldefinierten Begriff des Verteidigungsfalls. Der Verteidigungsfall tritt demnach ein, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Allerdings wird heute einhellig von einem weiten Verteidigungsbegriff ausgegangen. Der Verteidigungsfall gem. Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG wird demnach nur als ein Unterfall eines weiteren Verteidigungsbegriffs angesehen. Dafür spricht bereits der Wortlaut des Art. 87a GG, der zwischen der „Verteidigung“ (Art. 87a Abs. 2 GG) und dem „Verteidigungsfall“ (Art. 87a Abs. 2 GG) differenziert. Auch das Gebot der Völkerrechtsfreundlichkeit spricht für diese Auslegung. Neben der Landesverteidigung wird also auch die Bündnisverteidigung gem. Art. 5 NATO-Vertrag sowie die individuelle und kollektive Selbstverteidigung gem. Art. 51 UN-Charta erfasst (BVerwG, Urt. v. 26.09.2006 – 2 WD 2/06, NVwZ-RR 2007, 257 [259]; Sachs/Kokott/Hummel, 9. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 23 f.; Jarass/Pieroth/Kment, 16. Aufl. 2020, Art. 87a Rn. 11).
Bei der Evakuierungsaktion handelt es sich jedoch weder um Landes- noch Bündnisverteidigung. Innerhalb der Literatur wird streitig beurteilt, ob auch die sog. Personalverteidigung vom Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG umfasst ist.
Nach einem Teil der Literatur lasse sich der Einsatz der Streitkräfte zur Rettung deutscher Staatsangehöriger nicht mit dem Begriff der Verteidigung vereinbaren (von Münch/Kunig/Aust, 7. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 50; Dreier/Heun, 3. Aufl. 2018, Art. 87a Rn. 17; Jarass/Pieroth/Kment, 16. Aufl. 2020, Art. 87a Rn. 12). Der verfassungsrechtliche Verteidigungsauftrag sei schon im Ansatz an die völkerrechtlichen Grundsätze und Grenzen eines Militäreinsatzes gebunden. Teilweise wird auf das unbefriedigende Auslegungsergebnis sogar hingewiesen und dem verfassungsändernden Gesetzgeber geraten, solche Rettungsoperationen auf eine sichere verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen (von Münch/Kunig/Aust, 7. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 50).
Die Gegenansicht erkennt demgegenüber in derartigen Konstellationen einen Fall der sog. „Personalverteidigung“, der vom Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG erfasst sei (Maunz/Durig/Depenhauer, 94. EL 2021, Art. 87a Rn. 108; Ladiges JuS 2019, 598 [602], Sachs/Kokott/Hummel, 9. Aufl. 2021, Art. 87a Rn. 26). Begründet wird diese Ansicht insbesondere mit der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herrührenden Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Staatsangehörigen.
Zu klären ist damit, welcher Ansicht zu folgen ist. Mit dem Begriff der „Verteidigung“ wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber zwar das Handeln der Streitkräfte auf die Defensive beschränken. Allerdings wurde bewusst ein offener Verteidigungsbegriff gewählt; eine Definition findet sich im Grundgesetz nicht (Ladiges JuS 2019, 598 [602]). Somit bewegen sich zwar beide Ansichten in dem vom Wortlaut gesteckten Rahmen. Letztlich verdient vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Wertung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie der Tatsache, dass das menschliche Leben in der Verfassungsordnung einen Höchstwert darstellt, die Ansicht den Vorzug, die auch den Einsatz der Streitkräfte zur Rettung deutscher Staatsangehöriger unter den Begriff der Verteidigung i.S.d. Art. 87a Abs. 2 GG subsumiert.
Demzufolge erweist sich die Rettungsaktion als nach Art. 87a Abs. 2 GG zulässig.
4. Zwischenergebnis
Die Bundesregierung hat die Einschränkungen des Art. 87a Abs. 2 GG gewahrt.
III. Beschränkung durch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt
Möglicherweise hätte die Bundesregierung vor dem Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung die Zustimmung des Bundestags einholen müssen.
Der sog. wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt besagt, dass der Gesetzgeber für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten hat. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist demnach nur aufgrund einer konstitutiven, grundsätzlich vorher zu erteilenden Zustimmung des Bundestags möglich.
Ausdrücklich geregelt ist der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt zwar nicht. Er folgt jedoch bereits aus der Wesentlichkeitstheorie, wonach das Parlament alle wesentlichen, insbesondere grundrechtlich relevanten, Fragen selbst und in hinreichend bestimmter Weise regeln muss. Denn nur im parlamentarischen Verfahren ist die hinreichende Beteiligung der unmittelbar demokratisch legitimierten Bundestagsabgeordneten sowie die Information der Öffentlichkeit gewährleistet. Auslandseinsätze der Bundeswehr stellen derartige wesentliche Entscheidungen, die einer parlamentarischen Entscheidung bedürfen, dar. Ein solcher Parlamentsvorbehalt entspricht zudem der deutschen Verfassungstradition seit 1918. Schließlich sehen eine Reihe von wehrrechtlichen Vorschriften, die mit der Grundgesetzergänzung von 1956 in das Grundgesetz eingefügt worden sind, eine verstärkte parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte und des Regierungshandelns im militärischen Bereich vor. Ausdruck eines ausgeprägten Systems der parlamentarischen Kontrolle sind insbesondere Art. 45a, 45b und Art. 87a Abs. 1 S. 2 GG (BVerfG, Urt. v. 12.07.1994 – 3/92 u.a., NJW 1994, 2207 [2217]).
Im vorliegenden Fall wurde jedoch keine vorherige parlamentarische Zustimmung eingeholt. Das Bundesverfassungsgericht erkennt allerdings eine Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Einholung der vorherigen Zustimmung an:
Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte darf die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Deshalb ist die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muß jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt.
(BVerfG, Urt. v. 12.07.1994 – 3/92 u.a., NJW 1994, 2207 [2218])
Im Fall der Afghanistan-Rückholung hat sich die Situation vor Ort unvorhersehbarer Weise innerhalb weniger Tage dramatisch verändert. Um die Leben der noch in Afghanistan befindlichen Staatsangehörigen nicht weiter zu gefährden, war eine schnelle Entscheidung erforderlich. Wäre vorab noch die Entscheidung des Bundestags eingeholt worden, wäre die Erreichung der Ziele der Rettungsmission gefährdet gewesen.
Somit bestand Gefahr im Verzug, weshalb die vorherige parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich war. Jedoch ist der Bundestag unverzüglich über den Einsatz zu informieren; auf Beschluss des Bundestags wären die Streitkräfte zudem ggf. zurückzuholen.
Mithin verstieß die Bundeswehr mit dem Einsatzbefehl auch nicht gegen den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt.
IV. Ergebnis
Damit erweist sich die von der Bundesregierung gestartete Rückholaktion nach hier vertretener Rechtsansicht als verfassungsmäßig.
B. Summa
Bei der Beantwortung der Frage, ob Evakuierungsaktionen auf ausländischem Territorium verfassungsmäßig sind, muss man – wie so oft bei Fragen, die die auswärtige Gewalt betreffen – einige Stolpersteine überwinden. Dies insbesondere deshalb, weil das meiste im Grundgesetz ausdrücklich entweder überhaupt nicht oder nur lückenhaft geregelt ist. Ausgangspunkt ist dabei stets Art. 59 Abs. 2 S. 1, dem sich im Umkehrschluss entnehmen lässt, dass Akte der auswärtigen Gewalt, soweit sie nicht von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG erfasst werden, grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Bundesregierung zugeordnet sind. Im Folgenden ist sodann zu untersuchen, ob auch die Beschränkungen des Art. 87a Abs. 2 GG sowie des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gewahrt wurden.
In der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus 1994 haben die Karlsruher Richter angemerkt, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibe, „die Voraussetzungen eines solchen Notfall und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln“ (BVerfG, Urt. v. 12.07.1994 – 3/92 u.a., NJW 1994, 2207 [2218]). Der Bundestag hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts schließlich im Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG), welches 2005 in Kraft getreten ist, kodifiziert. Eine Änderung der materiellen Rechtslage wollte der Gesetzgeber nicht herbeiführen. Vielmehr wurde in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass die „Rechte des Deutschen Bundestages, die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert sind, […] weder ausgeweitet noch eingeschränkt“ werden (BT-Drucks. 15/2742, S. 4). Es versteht sich von selbst, dass bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Auslandseinsatzes nicht auf das ParlBG rekurriert werden darf, da Verfassungsrecht nicht am Maßstab des einfachen Rechts ausgelegt wird.