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Gastautor

Zum Begriff von Religion und Weltanschauung: Kein Ausschluss von der Pedelec-Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns sehr, einen weiteren Gastbeitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu dürfen. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn und Wissenschaftlicher Beirat des Projekts Juraexamen.info. 

Das BVerwG (8 C 9.21 – Urteil vom 06. April 2022) urteilte grundrechtfreundlich: Eine Gemeinde darf die Bewilligung einer finanziellen Zuwendung, mit der umweltpolitische Zielsetzungen verfolgt werden, nicht davon abhängig machen, dass die Antragsteller eine Erklärung zur Distanzierung von der Scientology-Organisation abgeben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Erklärungen zur Weltanschauung einzufordern, sei keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, so dass es bereits an einer Zuständigkeit der Beklagten fehle. Werde eine solche Erklärung verlangt und an deren Verweigerung der Ausschluss von der Förderung geknüpft, greife dies gezielt in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Der Eingriff sei schon mangels einer gesetzlichen Grundlage verfassungswidrig. Schließlich verstoße die Vorgehensweise der Beklagten gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Sie stelle eine unzulässige Differenzierung dar, weil sie den Kreis der Förderberechtigten nicht sachgerecht abgrenze, sondern nach Kriterien, die mit dem Förderzweck in keinem Zusammenhang stehen.

Mit dem Ergebnis mag man leben können und das ist vielleicht auch richtig. Die Ausführungen zur Religion- und Weltanschauungsfreiheit lassen aufhorchen. Es wirft die ganz grundlegende Frage auf: Was ist eine Religion? Was ist eine Weltanschauung? Das BAG hat bereits vor vielen Jahren verneint, dass Scientology eine Religion ist (BAG, Beschl. v. 22.3.1995 – 5 AZB 21/94, NJW 1996, 143; Thüsing, ZevKR 2000, 592 – auch rechtsvergleichend). Das BVerwG hat schon in der Vergangenheit tendenziell großzügiger argumentiert: (BVerwG, Urt. v. 14.11.1980 – 8 C 12/79, NJW 1981, 1460; BVerwG, Beschl. v. 16.2.1995 – 1 B 205/93,  NVwZ 1995, 473; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.8.1994 – Bs III 326/93, NVwZ 1995, 498). Für die Religion gibt das Grundgesetz keine Legaldefinition. Das ist verständlich, eignet sich doch der Typus der Religion kaum für eine subsumtionsfähige Definition und wird man doch in den meisten Fällen intuitiv wissen, ob eine bestimmte Überzeugung und Weltsicht eine Religion ist oder nicht. In Bezug auf die Scientology Church versagt diese Intuition: Ob es sich hier um eine Religion handelt, ist fraglich. Deutsche und englische Gerichte verneinen, französische und US-amerikanische Gerichte bejahen dies (Regina v. Registrar General, Ex parte Segerdal (1970) 2 QB 697; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 – 7 C 20/04, NJW 2006, 1303; Hernandez v. Commissioner, 490 U.S. 680, 109 S.C. 2136 (1989); Lyon, 28.7.1997, D. 1997, IR, 197 f.).

Das BVerfG hat eine solche Definition ebenfalls nicht formuliert. Einiges ist heute vielleicht überholt. Das BVerfG stellte schon vor einiger Zeit fest, das Grundgesetz habe „nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf der Basis gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat“ (BVerfG, Beschl. v. 8.11.1960 – 1 BvR 59/56, NJW 1961, 211). Diese stark auf die christlich-abendländische Geschichte bezogene Beschreibung der Religionsausübungsfreiheit findet Entsprechungen in vereinzelten Äußerungen des älteren Schrifttums, die Religionsfreiheit wird allgemein als Schutz allein des christlichen Bekenntnisses verstanden. Das BVerfG hat sich jedoch schon 1975 von dem oben zitierten Diktum erkennbar distanziert (BVerfGE, Beschl. v. 17.12.1975 – 1 BvR 63/68, NJW 1976, 947) und auch im Schrifttum wird der ausschließliche Schutz des Christentums und christlicher Religionsgesellschaften nicht mehr vertreten. Allgemein anerkannt ist, dass das Grundgesetz keine unterschiedliche Wertigkeit der Religionen kennt; für den neutralen Staat und den Schutz der Religion ist es nicht entscheidend, was für eine Religion eine Gemeinschaft verkündet, sondern nur, dass sie eine verkündet. Dies schließt indes nicht aus, den Religionsbegriff vor dem Hintergrund der christlichen Gesellschaft zu sehen, in der die Idee der Religionsfreiheit entstand. Die ganz hL – in der heutigen Rspr. findet sich nichts Gegenteiliges – betont demgegenüber, dass der Religionsbegriff des Grundgesetzes nicht aus einem christlichen Blickwinkel bestimmt werden dürfe und verlangt eine Interpretation dieser verfassungsrechtlichen Begriffe nach allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten. Dementsprechend dürfe sich das Verfassungsrecht bei der Begriffsbestimmung auch nicht an den Aussagen einzelner Theologen über Wesen und Entstehung von Religion orientieren.

Vielleicht lassen sich aber doch Indizien einer Religion festmachen, die heute in ihrer Gesamtschau dann doch durch typologische Betrachtung eine Gemeinschaft Religion oder Nicht-Religion sein lassen (s. MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 1 Rn. 28-32):

Daneben steht die Weltanschauung: Religion und Weltanschauung liegen dicht beieinander und beides wird durch das Grundgesetz geschützt. Daher mag es müßig sein, beide Phänomene voneinander zu sondern. Dennoch: Klassisches Abgrenzungskriterium von Religion und Weltanschauung ist die Annahme, dass Religion sich auf Transzendenz bezieht, Weltanschauung dagegen ein rein diesseitig ausgerichtetes Phänomen ist. Liegen die Gründe für unser Geworfensein in diese Existenz in einer Wirklichkeit, die unserer wahrnehmbaren Welt vorgelagert ist, oder nicht? Diese Auffassung steht und fällt mit der Bestimmung eines nicht einfacheren Begriffes als des Religionsbegriffes, mit der Antwort auf die Frage, was Transzendenz ist. Hier hat gerade die Religionswissenschaft der letzten Jahrzehnte eine Aufweichung starrer Begriffe und Unterscheidungen bewirkt. Die Gedanken Emmanuel Lévinas und seine Idee von der Transzendenz in der Immanenz mögen hier nur beispielhaft angeführt werden. Daher wird heute verstärkt das rein subjektive Kriterium des Selbstverständnisses der jeweiligen Gemeinschaft als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal angesehen. (MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 1 Rn. 34). Fest steht damit jedoch: Auch die Weltanschauung braucht eine umfassende Seinsdeutung. Weltanschauung ist nicht jede Weltsicht säkularer Art, sondern sie muss sich am gleichen umfassenden Anspruch wie die religiöse Überzeugung messen lassen, und sie muss auf die grundlegenden Fragen des Woher und Wohin menschlicher Existenz antworten. Sie muss Konsequenzen haben für das Verhalten des Menschen in dieser Welt. Wo eine Lehre lediglich Teilaspekte des Lebens beleuchtet, mag diese eine Lebensmaxime sein, nicht aber Weltanschauung. Weltanschauung ist das Analogon zur Religion, wenn auch mit säkularen Wurzeln. Deshalb wäre Scientology aus den gleichen Gründen, warum sie keine Religion ist, auch keine Weltanschauung. Die in eine entgegengesetzte Richtung weisende verwaltungsgerichtliche Rspr. vermag nicht zu überzeugen und behandelt die Frage der Eingruppierung von Scientology nur am Rande (VGH München, Beschl. v. 14.2.2003 – 5 CE 02.3212, NVwZ 2003, 998; VGH Mannheim, Urt. v. 12.12.2003 – 1 S 1972/00, NVwZ-RR 2004, 904; OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2004 – 12 LA 410/03, NVwZ-RR 2004, 884).

Die Entscheidung ist also spannend. Wenn nicht nur die Pressemitteilung, sondern die Entscheidungsgründe veröffentlicht sind: Lesen!

11.04.2022/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-04-11 08:45:002022-08-03 08:34:37Zum Begriff von Religion und Weltanschauung: Kein Ausschluss von der Pedelec-Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology
Redaktion

Öffentliches Recht II – Oktober 2020 – Berlin/Brandenburg

Berlin, Brandenburg, Examensreport

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zu einer Examensklausur im Öffentlichen Recht, die im Oktober 2020 in Berlin und Brandenburg gestellt wurde. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie ihr es getan habt.
 
Die Stadt S betreibt mehrere öffentliche Schwimmbäder, deren Benutzung mit einer formell rechtmäßigen „Bade- und Benutzungsordnung“ geregelt ist. In dieser Ordnung heißt es u.a.:

5.1 Das Baden ist nicht gestattet, soweit Personen an ansteckenden Krankheiten oder    offenen Wunden leiden (z.B. Hautausschlag).
5.2 Beim Baden ist es untersagt, lange Badebekleidung (Neoprenanzug, Badeshirts,       Burkini) zu tragen. Eine Ausnahme gilt für das Tragen eines Burkinis während des     schulischen Schwimmunterrichts.
5.3 Bei Zuwiderhandlungen darf der Badegast dem Gelände verwiesen werde.

Die 38-jährige, streng gläubige, französische Muslimin F lebt in S und möchte mit einem Burkini baden gehen. F empfindet die islamischen Bekleidungsvorschriften, wonach Frauen ab dem zehnten Lebensjahr ihren Körper (u.a. Arme, Beine, Haare) vor den Blicken von Männern verbergen sollen, als für sich bindend. Sie hält die Badeordnung für rechtswidrig.
Die Stadt S hält dem Ansinnen der M entgegen, dass die Maßnahme dem Gesundheitsschutz anderer Badegäste diene. Außerdem sei nicht nur das Tragen von Burkinis, sondern das Tragen jeglicher langer Badebekleidung unzulässig. Zulässig sind danach Bikini, Badeanzug, Herren Bade Slip oder Badehose. Außerdem würden mittlerweile – was zutrifft – auch andere, nicht religiöse Personen Burkinis tragen.
M erhebt vor dem OVG ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO. Das OVG entscheidet, dass die Badeordnung rechtmäßig sei. Die zulässige Revision zum BVerwG wird ebenfalls als unbegründet abgewiesen und der M am 21.01.2020 zugestellt. Das BVerwG weist darüber hinaus auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hin, wonach es muslimische Mädchen im Schwimmunterricht teilnehmen können, wenn sie einen Burkini tragen. Dies diene dazu, einer Ausgrenzung der Betroffenen entgegenzuwirken und eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu fördern.
M fühlt sich in ihren Grundrechten  aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Weiter könne es nicht sein, dass Schulmädchen einen Burkini tragen dürfen, M aber nicht.
M erhebt Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil des BVerwG. Dafür schickt sie ein Fax am 21.02.2020 an das BVerfG, welches dort auch am selben Tag eingeht. Aufgrund eines, für M nicht erkennbaren, Defekts des Empfangsgerätes beim BVerfG druckt das Gerät aber nur viele leere Seiten aus. Trotzdem ist erkennbar, dass das Fax von M stammt. Weiter schickt M das unterschriebene Original der Verfassungsbeschwerde am 21.02.2020 per Post los. Das Schreiben kommt am 24.02.2020 beim BVerfG an.
Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk:
1. Die Fallfrage ist umfassend zu klären, gegebenenfalls ist ein Hilfsgutachten zu erstellen.
2. Europarecht ist bei Beantwortung der Frage nicht zu berücksichtigen.

07.12.2020/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2020-12-07 09:00:252020-12-07 09:00:25Öffentliches Recht II – Oktober 2020 – Berlin/Brandenburg
Lena Bleckmann

OVG Hamburg: Verbot der Vollverschleierung in der Schule

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Die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG ist bei Klausurstellern stets beliebtes Prüfungsthema, nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Fallgestaltungen und der zumeist erforderlichen genauen Abwägung mit gegenläufigen Belangen. Neue Rechtsprechung zum Thema sollte daher besonders Examenskandidaten bekannt sein.
Doch auch für die jüngeren Semester lohnt sich die Lektüre des hier besprochenen Urteils des OVG Hamburg (Az. Beschl. v. 20.12.2019, Az. 1 Bs 6/20): Mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und Fragen der tauglichen Ermächtigungsgrundlage werden insbesondere Fragen des allgemeinen Verwaltungsrechts relevant.
Sachverhalt: (verkürzt und abgewandelt)
Eine 16-jährige Schülerin nahm am Schulunterricht ihrer Berufsschule in Hamburg nur vollverschleiert teil, d.h. sie trug während des Unterrichts einen Gesichtsschleier (Niquab), der nur die Augen ausspart. Auch nach mehrmaliger Aufforderung durch Lehrkräfte und Schulleitung, während der Unterrichtszeiten keinen Gesichtsschleier zu tragen, erschien die Schülerin mit unveränderter Bekleidung zum Unterricht.
Daraufhin forderte die Schulaufsichtsbehörde in einem Bescheid die Mutter der Schülerin dazu auf, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter künftig ohne Gesichtsschleier zur Schule erscheint. Ihre Tochter sei schulpflichtig und es sei Aufgabe der Mutter, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter regelmäßig am Unterricht teilnehme. Die Teilnahme erfordere aber, dass eine volle Kommunikation und aktive Mitwirkung am Unterrichtsgeschehen möglich sei, was der Gesichtsschleier aber verhindere. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Dies sei aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Erfüllung der Schulpflicht erforderlich.
Gegen diesen Bescheid legte die Mutter fristgerecht den (unterstellt) erforderlichen Widerspruch ein und stellte einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Sie trägt vor, das Tragen des Schleiers sei Ausdruck der religiösen Überzeugung ihrer Tochter und werde von ihr als verpflichtendes religiöses Gebot angesehen. Auch fehle eine gesetzliche Grundlage für das Verbot der Vollverschleierung im Rahmen des Schulunterrichts.
Wie wird das Gericht über den zulässigen Antrag entscheiden?
Entscheidung
Es handelt sich vorliegend um einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO. Dies folgt daraus, dass die Antragstellerin in der Hauptsache im Wege einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vorgehen müsste und der Widerspruch aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat.

Anm.: Ein Antrag nach § 123 VwGO ist demgegenüber subsidiär, § 123 Abs. 5 VwGO. In der Klausur sind die verschiedenen Möglichkeiten vorläufigen Rechtsschutzes kurz voneinander abzugrenzen, wobei in Fällen wie diesem die Zuordnung zu § 80 V VwGO recht eindeutig ist, sodass die Ausführungen nicht zu lang sein sollten.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere hinreichend begründet gemäß den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO.

Beachte: Für die formelle Rechtmäßigkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es nicht darauf an, dass die Begründung inhaltlich tragfähig ist. Entscheidend ist allein, dass die Beweggründe der Behörde in einer auf den Einzelfall bezogenen Art und Weise, d.h. nicht nur durch Wiederholung des Gesetzestextes oder Verwendung bloßer Floskeln, dargelegt sind.

Daher hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur Erfolg, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin dem Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache – d.h. kurzgefasst, der Antrag hat Erfolg, wenn der Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.

Anm.: In der Klausur sollte hier auf die richtige Terminologie geachtet werden: Geprüft wird nicht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Vielmehr nimmt das Gericht eine eigene Interessenabwägung vor und ist dabei nicht an die Angaben der Behörde gebunden.

Das OVG Hamburg verneint hier bereits das Bestehen einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage.Nach § 41 Abs. 1 S. 1 HmbSG sei es zwar möglich, an die Erziehungsberechtigten bei mehrfacher Nichtteilnahme am Unterricht durch schulpflichtige Schüler eine sog. Schulbesuchsverfügung zu erlassen. Nicht eindeutig ist hierbei aber, was unter „Teilnahme“ am Unterricht zu verstehen ist, insbesondere ob dies nur die körperliche Anwesenheit oder auch die aktive Mitwirkung am Unterricht erfordert (siehe hierzu Rz. 14 ff. der Entscheidung).
Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass schon eine Nichtteilnahme vorliegt, wenn der Schüler zwar körperlich anwesend ist, aber nicht aktiv am Unterrichtsgeschehen mitwirkt, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, wenn jemand einen Gesichtsschleier trägt: Die Antragsgegnerin trägt zwar vor, durch die Verschleierung sei eine Kommunikation nicht möglich, sodass schon von einer Nichtteilnahme am Unterricht auszugehen sei. Dem hält das OVG Hamburg entgegen:
„Infolge der beim Niqab noch freien Augen ist durchaus eine nonverbale Kommunikation über einen Augenkontakt möglich; auch eine Gestik (z.B. Melden, Nicken mit dem Kopf oder Schütteln des Kopfes) ist, wenn auch in eingeschränkter Weise, möglich (dieses – wohl aufgrund der Annahmen aus einem konkreten Bezugsfall – eher verneinend: Thorsten Anger, Islam in der Schule, Diss. jur., 2003, S. 199 ff.). Im übrigen ist weder substantiiert geltend gemacht worden noch ersichtlich, dass eine NiqabTrägerin nicht verbal mit Gesprächspartnern, seien es Lehrer oder Mitschüler, kommunizieren könnte.“ (Rz. 18)
Somit ist die Voraussetzung der mehrfachen Nichtteilnahme am Unterricht nicht erfüllt und § 41 Abs. 1 S. 1 HmbSG scheidet als Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid aus.

Anm: Das VG Hamburg war zusätzlich noch davon ausgegangen, dass hier die unzuständige Behörde gehandelt hatte. Ob dem tatsächlich so ist, wird in der Entscheidung des OVG Hamburg bezweifelt (Rz. 9 ff.), konnte aber offen bleiben, da inzwischen jedenfalls die zuständige Widerspruchsbehörde einen Widerspruchsbescheid erlassen hatte.

Die Antragsgegnerin stützte den Bescheid hilfsweise auf die polizeiliche Generalklausel (§ 3 Abs. 1 SOG) und sah in dem „Nichtgelingen einer schulischen Qualifikation“ und der Wahrscheinlichkeit der späteren Inanspruchnahme von Sozialleistungen eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Indes ist schon zu bezweifeln, ob die Voraussetzungen der Norm bei Nichterreichen eines Schulabschlusses überhaupt erfüllt wären. Jedenfalls würde dies jedoch gerade auf einem Ausschluss vom Unterricht aufgrund der Vollverschleierung beruhen – ob ein solcher möglich ist, ist aber gerade fraglich. Im Übrigen scheidet ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel auch aufgrund der Spezialität des HmbSG aus.
Weitere Reglungen kommen hier nicht in Betracht, sodass eine Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid nicht besteht.
In der Ausgangsentscheidung ist das VG Hamburg weiterhin darauf eingegangen, ob nach der jetzigen Rechtslage unmittelbar von der Tochter eine Teilnahme am Schulunterricht ohne Gesichtsschleier verlangt werden könnte. Dies wurde mit überzeugenden Argumenten verneint und auch vom OVG nicht beanstandet:
Zwar bedarf nicht jede Regelung durch Lehrkräfte im Schulbetrieb einer expliziten gesetzlichen Grundlage. Insbesondere soweit Grundrechte der Schüler betroffen sind, ist jedoch die Wesentlichkeitstheorie zu beachten, nach der der parlamentarische Gesetzgeber insbesondere grundrechtsrelevante Fragestellungen selbst zu regeln hat. (Anm: in der Klausur sollte hier kurz auf die Geltung von Grundrechten in Sonderstatusverhältnissen eingegangen werden)
„„Wesentliche Entscheidungen“ zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie den grundrechtsrelevanten Bereich betreffen und wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind (BVerfG, Beschluss vom 20.10.1981, a.a.O., juris Rn. 44). Insbesondere bedarf die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage“ (VG Hamburg, Az. 2 E 5812/19, Rz. 53).
Das Tragen des Gesichtsschleiers während des Unterrichts weist Grundrechtsrelevanz im Hinblick auf die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG der Schüler auf. In deren Schutzbereich wird eingegriffen, wenn der Betroffene gegen ein religiöses Verhaltensgebot, dass aus seiner Sicht zwingenden Charakter hat, verstoßen würde. Hierfür kommt es nicht darauf an, dass eine Vielzahl von Anhängern desselben Glaubens das Gebot für zwingend erachtet:
„Insoweit sind jedoch auch minder verbreitete religiöse Bekleidungsvorschriften zu beachten, die der oder die Betroffene für sich für verbindlich hält. Deshalb kann auch das Tragen einer Bedeckung in Form des Niqabs, d.h. eines Gesichtsschleiers, wie sie heute noch im Jemen und Saudi-Arabien verbreitet ist und von fundamentalistischen Muslimen gefordert bzw. empfohlen wird (…)dem Schutz der Religionsfreiheit unterfallen.“ (VG Hamburg, Az. 2 E 5812/19, Rz. 48).
Vorliegend war davon auszugehen, dass es sich bei den Bekleidungsvorschriften aus Sicht der 16-jährigen Schülerin um ein imperatives Gebot handelte. Verlangt man von ihr, ohne den Gesichtsschleier zum Unterricht zu erscheinen, um ihre Schulpflicht zu erfüllen, so handelt es sich um eine grundrechtsrelevante und damit wesentliche Entscheidung. Zu fordern ist daher eine spezielle Rechtsgrundlage, die im Hamburger Schulgesetz gegenwärtig nicht existiert. Nach jetziger Rechtslage wäre die Anordnung, ohne Gesichtsschleier zum Unterricht zu erscheinen, daher rechtswidrig.
Ob ein entsprechendes Gesetz verfassungskonform wäre, war hier nicht zu entscheiden.
Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin als Adressatin des Verwaltungsakts jedenfalls in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Anfechtungsklage wäre somit erfolgreich.Eine weitere Interessenabwägung ist nicht erforderlich – am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheids besteht kein schützenswertes Interesse. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt, das Gericht wird gem. § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen.
Was bleibt?
Das Urteil bietet einen idealen Ausgangspunkt für eine Klausur im Verwaltungsrecht, um die Grundlagen des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz zu prüfen. Besondere Schwierigkeiten insbesondere im Hinblick auf den Aufbau als auch auf die Ermächtigungsgrundlage ergeben sich daraus, dass die Mutter der Schülerin, nicht aber die Schülerin selbst Adressatin des Bescheids ist. Zuletzt werden auch grundrechtliche Fragestellungen relevant, sodass es sich in jedem Fall lohnt, sich mit der Entscheidung auseinanderzusetzen.

25.02.2020/1 Kommentar/von Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lena Bleckmann2020-02-25 08:53:512020-02-25 08:53:51OVG Hamburg: Verbot der Vollverschleierung in der Schule
Redaktion

Schema: Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit, Art. 4 I, II GG

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Schema: Art. 4 I, II GG – Religions-, Weltanschauungs-, und Gewissensfreiheit

A. Schutzbereich

I. Glaubensfreiheit, Art. 4 I Fall 1, II GG

= Freiheit, einen Glauben oder eine Weltanschauung zu bilden und zu haben (forum internum) sowie seine religiöse bzw. weltanschauliche Überzeugung kundzutun, zu praktizieren und ihnen entsprechend zu handeln (forum externum).

– Auch negative Glaubensfreiheit.
– Geschützt ist auch die kollektive Religionsausübung nach weiterer Maßgabe derArt. 136 ff. WRV, die nach Art. 140 GG in die Verfassung inkorporiert werden.
– Eine Religion ist eine Gesamtsicht, auf die Welt die umfassend den Sinn der Welt und des Lebens erklärt und dabei eine irgendwie geartete Gottesvorstellung voraussetzt. Eine Weltanschauung ist auf innerweltliche Bezüge beschränkt.

II. Gewissensfreiheit, Art. 4 I Fall 2 GG
= Freiheit des Einzelnen, eine Entscheidung, die an den Kategorien „Gut“ und „Böse“ orientiert ist zu treffen und ihr entsprechend zu handeln.

–  Prozess, ein bestimmtes Gewissen zu bilden und danach zu entscheiden, sowie das Recht, sein Gewissen nach außen hin zu verwirklichen.

B. Eingriff

  • Jedes staatliche Handeln, das den Einzelnen zu einem Handeln oder Unterlassen verpflichtet, das gegen ein Ge- oder Verbot seines Glaubens verstößt oder ihn dazu zwingt, entgegen seiner Gewissensentscheidung zu handeln.
  • Erforderlich ist, dass der Betroffene die Verhaltensregel für sich als binden erfährt und er nicht ohne innere Not von ihr abweichen kann. Nicht erforderlich ist, dass die Regel von einer Mehrheit in der Gesellschaft oder der Religionsgemeinschaft ebenfalls als hindern empfunden wird.

C. Einschränkungsmöglichkeit

  • Grds. vorbehaltlos gewährleistet, Einschränkungen sind nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts durch oder aufgrund eines Gesetzes möglich.
  • Nach einer mM steht die Glaubensfreiheit unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze aus Art. 140 iVm Art. 136 I WRV. Nach dem BVerfG wird Art. 136 I WRV aber von Art. 4 GG überlagert. Zudem besteht kein Grund, die Glaubensfreiheit anders zu behandeln als die Gewissensfreiheit, die unstreitig nicht unter einem Gesetzesvorbehalt steht.

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

16.06.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-06-16 10:00:562017-06-16 10:00:56Schema: Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit, Art. 4 I, II GG
Lukas Knappe

BVerfG: Notwendigkeit von Ausnahmen vom Stillegebot am Karfreitag

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat in einem am heutigen Tage veröffentlichen Beschluss ( 1 BVR 458/10) , die Befreiungsfestigkeit des besonderen Stilleschutzes am Karfreitag für unvereinbar mit den Grundrechten erklärt. Zwar sei ein besonderer äußerer Ruhe- und Stilleschutz grundsätzlich nicht unverhältnismäßig, für besondere Fallgestaltungen, in denen eine dem gesetzlichen Stilleschutz zuwiderlaufende Veranstaltung aber dem Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) oder der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) unterfalle, müsse der Gesetzgeber Ausnahmemöglichkeiten vorsehen. Der Schutz stiller Feiertage ist somit weiterhin zulässig, muss allerdings insbesondere im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte aus Art. 4 und 8 GG durch Ausnahmeregelungen auch angemessen ausgestaltet sein.

Sachverhalt

Dem Beschluss liegt die Verfassungsbeschwerde einer als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannten Körperschaft des öffentlichen Recht zugrunde, die sich ausweislich ihres Grundsatzprogramms als Gemeinschaft versteht, die die Interessen und Rechte von Konfessionslosen auf der Basis der Aufklärung und des weltlichen Humanismus vertritt. Die Gemeinschaft tritt dabei unter anderem für eine strikte Trennung von Kirche und Staat an. Für den Karfreitag des Jahres 2007 hatte der Beschwerdeführer  zu einer eintrittspflichtigen Veranstaltung in einem Münchener Theater aufgerufen, die unter dem Motto „Religionsfreie Zone München 2007“ stand und unter anderem Filmvorführungen („Atheistische Filmnacht“/„Freigeister-Kino“), ein Pralinenbuffet sowie Erläuterungen der Anliegen und die Vorstellung der Ziele der Weltanschauungsgemeinschaft umfasste. Untersagt wurde allerdings die zum Abschluss der Veranstaltung geplante „Heidenspaß-Party“, die der Beschwerdeführer als „Freigeister-Tanz“ mit einer Rockband angekündigt hatte.

Nach Ansicht der Ordnungsbehörde hätte der letzte Veranstaltungsteil gegen die Vorschriften des Bayerischen Feiertagsgesetzes (FTG) verstoßen. Dieses bestimmt den Karfreitag als „stillen Tag“, an dem über den allgemeinen Sonn- und Feiertagsschutz hinaus öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen, die den ernsten Charakter des Tages nicht wahren, sowie musikalische Darbietungen jeder Art in Räumen mit Schankbetrieb verboten sind. Anders als bei den übrigen stillen Tagen, sind Befreiungsmöglichkeiten von diesem Handlungsverboten indes ausgeschloßen. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsbehelfe blieben erfolglos.

Erwägungen des BVerfG

I. Betroffene Grundrechte

Die Ausgestaltung des Ausgestaltung des Karfreitags als stiller Feiertag greift jedenfalls in die grundgesetzlich gewährleistete allg. Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) sowie die  Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein, da die werktägliche Geschäftigkeit an diesem Tag grundsätzlich zu ruhen hat. Darüber hinaus betont das BVerfG, dass in besonders gelagerten Fallgestaltungen wie hier, auch die Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG) und die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 I, II GG), in Form der Weltanschauungsfreiheit, berührt sein können.

2. Rechtfertigung

Diese grundrechtsbeschränkenden Wirkungen sind dem Grunde nach aber durch die verfassungsrechtliche Regelung zum Sonn- und Feiertagsschutz in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV gerechtfertigt, da sie lediglich einen äußeren Ruherahmen schaffen und gerade keine innere Haltung vorschreiben.

a) Gemäß der durch Art. 140 GG inkorporierten Regelung des Art. 139 WRV bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Art. 139 WRV enthält also einen staatlichen Schutzauftrag zur Gewährleistung von Feiertagen. Die Auswahl der Feiertage sowie deren konkrete Ausgestaltung obliegt damit dem Gesetzgeber. Art. 139 WRV beinhaltet somit eine gesetzgeberische Ausgestaltungsbefugnis. Ziel der Regelung sind zunächst die persönliche Ruhe, die Erholung sowie die Zerstreuung.. Gleichzeitig soll aber allen Menschen unabhängig von ihrer religiösen Bindung, in den Worten des BVerfG auch die Möglichkeit zur „seelischen Erhebung“ gegeben werden.

Die Auswahl des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag stützt sich somit auf die in Art. 139 WRV vorgesehene Ausgestaltungsbefugnis und ist überdies auch nicht neutralitätswidrig, da der Gesetzgeber dazu befugt ist, auch solche Tage auszuwählen, die aufgrund von Traditionen, kultureller oder weltanschaulich-religiöser Prägung für große Bevölkerungsteile wichtig sind. Darüber hinaus rechtfertigt Art. 139 WRV i.V.m. Art. 140 GG auch die besondere Unterschutzstellung eines ganz bestimmten Feiertages, da der Gesetzgeber zur näheren Ausgestaltung der Feiertage befugt ist und er dementsprechend die Möglichkeit hat, bestimmten Feiertagen eine besonderes Gewicht einzuräumen und über die Arbeitsruhe hinaus auch einen besonderen äußeren Ruhe- und Stilleschutz zu schaffen. Dabei unterliegt die Ausgestaltung aber den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

b) Nach Auffassung des BVerfG ist die hier in Rede stehende Feiertagsregelung aber aufgrund des Fehlens einer Ausnahmeregelung für besonders gelagerte Ausnahmefälle als unverhältnismäßig einzuordnen: Dabei betonen die Richter allerdings, dass eine Regelung, die das Ziel verfolgt, einen Rahmen bereitzustellen, um sich an kulturelle, geschichtliche und religiöse Grundlagen zu erinnern, aber nicht per se als unverhältnismäßig zu betrachten ist. So komme dem Ruheschutz an Sonn- und Feiertagen ein besonderes Gewicht zu, da dieser durch die Verfassung selbst auferlegt ist und die belastenden Wirkungen, die von dem besonderen Stilleschutz ausgehen, angesichts der Begrenztheit der stillen Feiertage, auch nur von begrenztem Gewicht seien. In Fällen, in denen jedoch andere Grundrechte als die allg. Handlungsfreiheit sowie die Berufsfreiheit berührt sind – insbesondere die Versammlungsfreiheit sowie die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – ist nach Auffassung der Richter allerdings eine Ausnahme geboten:

Das Verbot stößt hier nicht allein auf ein schlichtes wirtschaftliches Erwerbsinteresse oder allein auf ein Vergnügungs- und Erholungsinteresse von Veranstaltern, Künstlern und potenziellen Besuchern, sondern betrifft wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit als wesentliches Element „demokratischer Offenheit“ (vgl. BVerfGE 69, 315 <346>) die Teilhabe am öffentlichen Meinungsbildungsprozess und damit eine ihrerseits für das Gemeinwesen gewichtige grundrechtliche Gewährleistung. Die Durchführung solcher Veranstaltungen stellt den grundsätzlichen Ruhe- und Stilleschutz am Karfreitag nicht gleichermaßen in Frage und hat ein anderes Gewicht. Entsprechendes gilt für Veranstaltungen, die dem Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, insbesondere auch in der Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit, unterfallen. In diesen Fällen kann sich der besondere Schutz der stillen Tage gegenüber den betroffenen Grundrechten nur nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall durchsetzen. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, in welchem Umfang die Veranstaltung zu konkreten Beeinträchtigungen führt. Auch hier kann im Einzelfall der Ruhe- und Stilleschutz überwiegen und erlaubt dann diese Beschränkungen. Es ist in diesen Fällen jedoch ein schonender Ausgleich zu suchen, der möglichst alle Interessen zur Geltung bringt.

3. Anwendung im konkreten Einzelfall

Die hier vom  Beschwerdeführer geplante „Heidenspaß-Party“ hätte nicht versagt werden dürfen.

a) Zum einen ordnet das BVerfG – obgleich durchaus Zweifel daran bestehen  –  die Party dem  Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in ihrer Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit zu, da es sich beim Beschwerdeführer um eine Weltanschauungsgemeinschaft handele und vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1, 2 GG nicht nur kultische Handlungen sowie die Beachtung und Ausübung religiöser Gebote und Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern und andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens sowie allgemein die Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses geschützt seien, wobei es maßgeblich auf die Eigendefinition und das Selbstverständnis der jeweiligen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ankomme. Der Beschwerdeführer habe hier als atheistische Weltanschauungsgemeinschaft geltend gemacht, dass der Wunsch, am Karfreitag zu tanzen, Element der aktiven Betätigung seines weltanschaulichen Bekenntnisses sei, welches maßgeblich von einer Gottlosigkeit geprägt sei so dass der „Freigeister-Tanz“ im Hinblick auf den ersten Teil der Veranstaltung noch als weltanschauliche Ausrichtung verstanden werden könne. Das BVerfG   überträgt damit seine weite Rechtsprechung zur Religionsausübungsfreiheit auch auf das Forum Externum der Weltanschauungsfreiheit.  Der Beschluss verdeutlicht damit erneut, dass maßgeblich für Art. 4 Abs. 1, 2 GG das ist, was nach dem subjektiven Empfinden als Ausübung der Glaubens- bzw. Weltanschauungsfreiheit anzusehen ist.

b) Darüber hinaus kommt dem Beschwerdeführer nach Auffassung des BVerfG trotz des Zweifels, ob es sich bei der Party im Schwerpunkt nicht um eine  Vergnügungsveranstaltung handelt, auch der Schutz der Versammlungsfreiheit zu. So erstrecke sich der Schutzbereich auch auf solche Veranstaltungen, die  ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen würden, sofern diese  Mittel zur kommunikativen Entfaltung gezielt eingesetzt werden, um auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sollen solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst, wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden. Bei der hier in Rede stehenden Party ist nach Auffassung der Richter zu berücksichtigen, dass diese in ein Gesamtkonzept eingebettet war, das gewichtige Elemente der Meinungskundgabe enthielt und  sie somit als provokative Kundgabe der Zielsetzung der Gemeinschaft, eine strikte Trennung von Kirche  und Staat zu erreichen, angelegt war.

c) Sofern man wie das BVerfG die Party dem Schutzbereich von Art. 4 I, II GG sowie Art. 8 I GG zuordnet, hätten die Behörden eine Abwägung im Einzelfall vornehmen und eine Befreiung erteilen müssen. Dafür spricht, dass die Veranstaltung in einem geschlossenen Raum stattfinden sollte und an dem konkreten Ort auch nur geringe Auswirkungen auf den öffentlichen Ruhe- und Stillecharakter des Tages gehabt hätte. Zudem hätte die Ordnungsbehörden auch gerade die Möglichkeit gehabt, dies durch Auflagen sicherzustellen. Schließlich  konnte die Veranstaltung angesichts des thematischen Bezuges auch gerade nur an dem entsprechenden Tag abgehalten werden.

 
 

01.12.2016/0 Kommentare/von Lukas Knappe
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Lukas Knappe

BVerfG: Unzulässigkeit eines pauschalen Kopftuchverbots für Lehrkräfte – Der Streit über das Kopftuch in Klassenzimmern geht in die zweite Runde in Karlsruhe

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Ein landesweites pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in deutschen Klassenzimmern ist verfassungswidrig. Komme es in bestimmten Schulen oder Schulbezirken durch das Tragen des Kopftuchs nicht zu einer hinreichend konkreten Gefährdung bzw. Störung des Schuldfriedens oder der staatlichen Neutralität, bestehe kein anerkennenswertes Bedürfnis, religiöse Bekundungen durch Lehrer allgemein aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Der Erste Senat hat mit dieser Entscheidung eine Abkehr von der ersten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats aus dem Jahr 2003 vorgenommen und im Rahmen der erforderlichen verfassungsrechtlichen Abwägung die Glaubensfreiheit muslimischer Lehrerinnen in der Schule deutlich stärker gewichtet als bislang. Die Gerichtsentscheidung ist mittlerweile in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte über Religion, Einwanderung und Integration geraten: Während das Urteil nach einigen Stimmen die Integration und Gleichberechtigung der Religionen fördere (Prantl auf SZ-Online), stehen andere dem Urteil verhaltener gegenüber und betonen demgegenüber die religiöse und weltanschauliche Neutralität der Schule sowie die negative Religionsfreiheit der Schüler und befürchten, dass der Streit um das Kopftuch von nun an unmittelbar in die Schule und damit auch das Klassenzimmer verlagert werde (Wefing auf Zeit-Online). Vereinzelt wird das Urteil auch schärfer und polemischer kritisiert: So wertet beispielsweise der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, den Beschluss als Zeichen von „höchstrichterlicher Ignoranz“ (Interview auf FR-Online). Im Folgenden soll daher eine Darstellung der wesentlichen Argumentationslinien des Gerichts erfolgen.

A. Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung des BVerfG waren zwei Verfassungsbeschwerden zweier Lehrkräfte muslimischen Glaubens gegen letztinstanzlich ergangenen arbeitsgerichtlichen Urteile, die die Zulässigkeit von arbeitsrechtlichen Sanktionen des Landes NRW gegenüber den Beschwerdeführerinnen infolge des religiös motivierten Tragens von Kopfbedeckungen im Schuldienst bestätigten.

Grundlage für diese arbeitsrechtlichen Maßnahmen des Landes sowie die Entscheidungen der Arbeitsgerichte bildeten die Regelungen im Schulgesetz (SchulG) NRW über die Zulässigkeit und Grenzen religiöser Bekundungen durch im Schulwesen beschäftigte Personen. Die maßgebliche Vorschrift des § 57 Abs. 4 SchulG NRW lautet:

Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich- demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.

I. Verfahren der Beschwerdeführerin zu I

Bei der ersten Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Sozialpädagogin muslimischen Glaubens, die seit ihrem 17. Lebensjahr aus religiösen Gründen das Kopftuch trägt und seit 1997 beim Land NRW angestellt und an einer Gesamtschule beschäftigt ist, wo sie insbesondere mit der Schlichtung von Schulkonflikten befasst ist. Nach Inkrafttreten der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW wurde sie von der Schuldbehörde aufgefordert das Kopftuch während ihrer dienstlichen Tätigkeit in der Schule abzulegen. Die betroffene Beschwerdeführerin kam der Aufforderung nach, bedeckte allerdings in der Folge ihr Haar, den Haaransatz sowie die Ohren vollständig durch eine Ersatzbekleidung in Form einer rosafarbenen Baskenmütze. Die Schulbehörde erteilte der Beschwerdeführerin daraufhin eine Abmahnung und drohte zugleich eine Kündigung an, da die betroffene Lehrkraft durch das Tragen religiös motivierter Kopfbekleidung den Schulfrieden gefährde. Darüber hinaus begründete die Behörde die arbeitsrechtlichen Maßnahmen mit dem Argument, dass durch das Tragen des Kopftuchs bei den Schülern sowie deren Eltern der Eindruck entstehen könne, dass die Betroffene nicht die Werte der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung teile.

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren bestätigten die Arbeitsgerichte die Entscheidung der Schuldbehörde und werteten das Verhalten der Beschwerdeführerin als bewusste religiöse Kundgabe im Sinne des § 57 Abs. 4 SchulG NRW, die geeignet sei, den Schuldfrieden zu stören, da es auf die Deutung durch die Schüler oder die Eltern aus der Sicht eines objektiven Beobachters ankomme. Dem Einwand, dass die betroffene Lehrkraft das Kopftuch abgelegt habe und es sich bei der Ersatzbekleidung lediglich um eine rosafarbene Baskenmütze handle, entgegneten die Gerichte mit der Argumentation, dass das Verhalten bei einer objektiven Betrachtung dennoch als religiös motiviert anzusehen sei, da durch die Mütze Haare, Haaransatz und Ohren vollständig bedeckt würden und die Wollmütze offenkundig das bislang von der Lehrkraft getragene Kopftuch ersetzen solle. Nach Ansicht der Gerichte könne das Verbot durch die ihrer Auffassung nach verfassungsrechtlich zulässige Norm des § 57 SchulG gerechtfertigt werden, da der Gesetzgeber eine Einschätzungsprägorative habe und dementsprechend auch weit reichende Regelungen treffen könne, um den Schulfrieden und die religiöse Neutralität zu sichern. Darüber hinaus sei § 57 Abs. 4 SchulG auch nicht deshalb verfassungsrechtlich unzulässig, weil die Norm in Satz 3 eine Darstellung christlicher sowie abendländischer Bildungs- und Kulturwerte zulasse. Eine religiöse Ungleichbehandlung liege nämlich deswegen nicht vor, weil die Darstellung derartiger Werte mit einer Erörterung und Diskussion verbunden sei und daher nicht mit der Kundgabe eines individuellen religiösen Bekenntnisses gleichzusetzen sei, die durch die Norm verhindert werden solle. Zudem bezeichne der Begriff des „Christlichen“ – unabhängig von seiner Herkunft aus dem religiösen Bereich – Werte, die aus der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangen seien und auch dem Grundgesetz zugrunde liegen.

II. Verfahren der Beschwerdeführerin zu II

Bei der Beschwerdeführerin zu II. handelt es sich ebenfalls um eine muslimische Lehrkraft, die aufgrund für verbindlich erachteter religiöser Vorschriften ein Kopftuch trägt und dieses auch im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit nicht ablegt. Die Betroffene war als Lehrerin beim Land NRW angestellt und unterrichtete an verschiedenen Schulen muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache an dem stets nur muslimische Schüler teilnahmen. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit hatte es bislang nie Beanstandungen wegen ihres Kopftuchs gegeben. Nach einer Information durch den Schulleiter, dass mit dem Inkrafttreten der Regelung des § 57 SchulG NRW das Tragen des Kopftuchs nicht mehr mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar sei, hielt die Beschwerdeführerin jedoch weiter an der religiös motivierten Bekleidung fest. In der Folge wurde sie durch ihrer Arbeitgeber, das Land NRW, allerdings mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen abgemahnt. Die Beschwerdeführerin kam jedoch auch dieser Aufforderung nicht nach und wurde schlussendlich aus dem Schuldienst entlassen. Die gegen die Kündigung eingelegten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg, da die Arbeitsgerichte auch diese arbeitsrechtlichen Maßnahmen des Landes NRW bestätigten.

B. Rechtliche Würdigung durch das BVerfG

I. Verfassungsgerichtlicher Prüfungsmaßstab

Zu beachten ist, dass bei beiden Verfahren unmittelbarer Angriffsgegenstand der Verfassungsbeschwerde eine mögliche Grundrechtsverletzung durch die letztinstanzliche arbeitsgerichtliche Entscheidung ist. Die Verfassungsbeschwerden richten sich folglich gegen Akte der rechtsprechenden Gewalt in Form von Gerichtsurteilen, so dass es sich um sogenannte Urteilsverfassungsbeschwerden handelt (vertiefend zur Kontrolldichte der verfassungsgerichtlichen Prüfung Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 178ff.). Zwar nimmt das BVerfG grundsätzlich eine umfassende Prüfung der behaupteten Grundrechtsverletzung vor, hat dabei allerdings nicht die Funktion einer Superrevisionsinstanz (BVerfGE 1, 418 (420); 18, 85 (92)), die die Urteile der Fachgerichte auf ihre Vereinbarkeit mit dem einfachen Recht kontrolliert. Das BVerfG ist vielmehr in seinen Kompetenzen auf eine Überprüfung spezifischen Verfassungsrechts, also grundrechtsrelevante Fehler, beschränkt. Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts ist beim außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde folglich nicht einer Kontrolle durch das BVerfG zugänglich. So führt das BVerfG in seiner maßgeblichen Entscheidung auch aus:

Andererseits würde es dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte dieses ähnlich wie eine Revisionsinstanz die unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen um deswillen in Anspruch nehmen, weil eine unrichtige Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen… Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. (BVerfGE 18, 85 (92)).

II. Eröffnung des Schutzbereich

1. Besonderheiten von Sonderrechtsverhältnissen

Fraglich ist allerdings, ob sich die beiden Lehrkräfte im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit überhaupt auf grundrechtlich gewährleistete Freiheiten berufen und somit ein Recht auf Tragen des Kopftuchs herleiten können. Dagegen könnte sprechen, dass es sich bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation um ein sogenanntes Sonderrechtsverhältnis handelt, bei dem eine besondere Beziehung des Betroffenen zum Staat besteht, die hinsichtlich ihrer Intensität vom gewöhnlichen Staat-Bürger-Verhältnis abweicht (Instruktiv zu den Problemen derartiger Sonderstatutverhältnisse v. Kielmannsegg, Das Sonderstatutverhältnis, in: JA 2012, 881ff.). Charakteristikum derartiger Sonderstatutverhältnisse ist gerade eine Eingliederungslage, bei der die Betroffenen eine besonders enge Beziehung zum Staat aufweisen. So handeln beispielsweise Lehrer im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit als Amtsträger und treten folglich als Teil der staatlichen Organisation auf. Als typische Sonderrechtsverhältnisse sind vor allem das Beamten-, Soldaten-, Schülern- oder Strafgefangenenverhältnis zum Staat zu identifizieren. Hier waren die betroffenen Lehrkräfte zwar nicht verbeamtet, sondern lediglich Angestellte im öffentlichen Dienst, allerdings ist auch diese Beziehung von den dargelegten Besonderheiten gekennzeichnet. Bis zur Strafgefangenenentscheidung des BVerfG sollten die Grundrechte nach der von der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik übernommenen Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis in derartigen Verhältnissen nur eingeschränkt Geltung finden, so dass insbesondere der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes nicht zur Anwendung kommen sollte. In seiner Entscheidung in BVerfGE 33, 1 ff. hat das BVerfG jedoch bereits in den Leitsätzen festgestellt, dass aufgrund der in Art. 1 Abs. 3 GG angeordneten lückenlosen Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt, die Grundrechte auch in Sonderrechtsverhältnisses nur durch oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar sind. Lehrerinnen geben somit ihre Grundrechte nicht an der Tür zum Klassenzimmer ab, sondern können sich daher auch gegenüber dem Land auf ihre grundrechtlich geschützten Freiheiten berufen. Das BVerfG geht daher in seinem Beschluss vom 27. Januar auch nur noch kurz auf diese Besonderheiten ein:

Die Beschwerdeführerinnen können sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Die Grundrechtsberechtigung der Beschwerdeführerinnen wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt….

 

2. Gewährleistungsumfang von Art. 4 GG

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisten nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und der sich dieser Auslegungsvariante anschließenden Literatur das einheitliche Grundrecht der Glaubensfreiheit (BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106); 33, 23 (30); zuletzt BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10 – Rn. 85. Aus der Literatur dazu nur Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 4 Rn.10. Vgl. zur Gegenansicht, die die Freiheitsrechte in mehrere Einzelgrundrechte untergliedern will, u.a. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 5ff. und Muckel, in: Berl. Kommentar GG, Art. 4 Rn. 33).

Der Schutzbereich der Glaubensfreiheit wird dabei denkbar weit verstanden, so nicht das Forum Internum, also die Möglichkeit, einen Glauben zu bilden und zu haben, sondern auch das Forum Externum gewährleistet ist, so dass auch die Freiheit seinen Glauben auszuleben, geschützt wird (Tillmanns, Die Religionsfreiheit, Jura 2004, 619 (622)). Die vorherrschende Meinung legt die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Glaubensfreiheit dabei derart extensiv aus, dass jedes religiös oder weltanschaulich motivierte Handeln vom Schutzbereich erfasst ist: So enthält Art. 4 GG das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. An diese Leseart knüpft das BVerfG auch im vorliegenden Beschluss an und stellt das religiös motivierte Tragen eines Kopftuches unter den Schutz des Grundrechts der Glaubensfreiheit.

Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236 (247 f.); 108, 282 (298 f.)). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als „richtig“ oder „falsch“ zu bezeichnen;…

Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, aber auch für das Tragen einer sonstigen Bekleidung, durch die Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen.

 

III. Grundrechtseingriff

Das BVerfG ordnet die auf § 57 Abs. 4 SchulG gestützte und von den Arbeitsgerichten bestätigte Untersagung des Kopftuchs, in Verbindung mit den getroffenen arbeitsrechtlichen Sanktionen, vor dem Hintergrund der von beiden Frauen für verbindlich erachteten Glaubensvorschriften als besonders schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG gewährleistete Grundrecht der Glaubensfreiheit ein.

Die Beschwerdeführerinnen berufen sich nicht nur auf eine religiöse Empfehlung, deren Befolgung für die einzelnen Gläubigen disponibel oder aufschiebbar ist. Vielmehr haben sie plausibel dargelegt, dass es sich für sie – entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam… – um ein imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt, das zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität berührt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), so dass ein Verbot dieser Bedeckung im Schuldienst für sie sogar den Zugang zum Beruf verstellen kann (Art. 12 Abs. 1 GG). Dass auf diese Weise derzeit faktisch vor allem muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Pädagoginnen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den schulischen Bereich mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre.

 

IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Möglicherweise könnte der Eingriff in die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Lehrerinnen allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

 1. Schrankenproblematik des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

Problematisch ist jedoch, dass das Grundrecht der Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG keinen geschriebenen Gesetzesvorbehalt enthält, dem Wortlaut nach folglich vorbehaltlos gewährleistet ist. Fraglich ist somit, inwieweit das Grundrecht der Glaubensfreiheit überhaupt einschränkbar ist. Bei der Beantwortung dieser Frage besteht in der Staatsrechtslehre grundsätzlich Einigkeit darüber, dass auch ein dem Wortlaut nach vorbehaltlos garantiertes Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet werden kann. Im Rahmen von Art. 4 GG ist jedoch umstritten, unter welchen Voraussetzungen eine solche Einschränkung möglich ist:

Eine heute nur noch vereinzelt vertretene Meinung spricht sich für das Modell einer Schrankenleihe aus und will die Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) durch die Schranke des Art. 2 Abs.1 GG einschränken, während zur Begrenzung der Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG herangezogen werden soll (vgl. dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 90, 114). Dieser Anspricht steht allerdings entschieden die Spezialität der Einzelfreiheitsrechte entgegen, die jeweils einer eigenen Schrankenregelung unterliegen. Darüber hinaus birgt eine Schrankenleihe insbesondere die Gefahr, die sich aus dem GG ergebende Schrankensystematik zu nivellieren (Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 4 Rn. 85).

Das BVerwG und ein immer größer werdender Anteil der Literatur vertreten demgegenüber die Auffassung, dass das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG iVm. Art. 136 Abs. 1 WRV einem geschrieben Gesetzesvorbehalt unterliege und daher unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gestellt werde (vgl. dazu BVerwGE 112, 227 (231ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 28; Mager, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 48ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 4 Rn.87f.). Zur Begründung wird insbesondere das Argument herangezogen, dass wenn nach Maßgabe des Art. 136 Abs.1 WRV die staatsbürgerlichen Rechtspflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt oder bedingt werden, diese auch als Schranken der Religionsfreiheit wirken müssten.

Das BVerfG und die sich seiner Rechtsprechung anschließende Literatur lehnen hingegen seither die Anwendbarkeit des Art. 136 Abs. 1 WRV als Schranke ab und sehen die Norm aufgrund der besonderen Bedeutung der Glaubensfreiheit vielmehr als durch Art. 4 GG überlagert an. Stattdessen könne ein Eingriff in das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit vielmehr nur durch verfassungsimmanente Schranken, also durch das Wertesystem des GG selbst, gerechtfertigt werden (BVerfGE 28, 243 (261); 33, 23 (33); Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 136 WRV Rn. 54; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn.111f.). Zwischen den sich widerstreitenden Verfassungsgütern sei schließlich im Wege der praktischen Konkordanz ein möglichst schonender und wechselseitiger Ausgleich herbeizuführen.

(Anmerkung in einer Klausur müsste man argumentativ zu den beiden Ansichten Stellung beziehen. Vgl. dazu überblicksartig Epping, Grundrechte, Rn. 316ff.).

Das BVerfG hält auch im vorliegenden Beschluss an dieser Auffassung fest und zählt den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 GG) – der unter Wahrung der Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates zu erfüllen ist -, die durch Art. 4 Abs.1, 2 GG gewährleistete negative Glaubensfreiheit der Schüler sowie das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, 2 GG als verfassungsimmanente Schranken auf, als deren Ausprägung § 57 Abs. 4 SchulG NRW angesehen werden könne:

Einschränkungen dieses Grundrechts müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 (260 f.); 41, 29 (50 f.)…). Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht…

 

2. Schranken-Schranken

Zwar ist mit § 57 Abs. 4 SchulG NRW eine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Lehrerinnen gegeben, allerdings muss diese selbst verfassungskonform sein und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen.

a) Zweck und Geeignetheit der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW

Das durch § 57 Abs. 4 SchulG etablierte Verbot äußerer religiöser Bekunden verfolgt nach Ansicht des BVerfG einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck:

 Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern, gegenläufige Grundrechte von Schülern und Eltern zu schützen und damit Konflikten in dem von ihm in Vorsorge genommenen Bereich der öffentlichen Schule von vornherein vorzubeugen (vgl. LTDrucks 14/569, S. 7 ff.). Gegen diese Zielsetzungen ist von Verfassungs wegen offensichtlich nichts zu erinnern.

Darüber hinaus ist das lückenlose Verbot auch ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung der verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Lehrkräfte.

b) Erforderlichkeit der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW

Fraglich ist jedoch, ob die Regelung im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch erforderlich war. Dies ist entsprechend dem Gebot des geringsten Eingriffs dann der Fall, wenn kein milderes Mittel existiert, welches den mit der Regelung verfolgten Zweck ebenso gut bzw. effektiv verwirklichen kann (Hufen, §9 Rn.21). Unter mehreren gleich geeigneten Mitteln muss der Staat folglich das mildeste Mittel wählen. Das BVerfG äußert in seinem Beschluss bereits Zweifel hinsichtlich der Erforderlichkeit der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW, die nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bereits die abstrakte Eignung äußerer religiöser Bekundungen zur Gefährdung des Schulfriedens genügen lässt, belässt es jedoch bei einer Andeutung und führt diese nicht weiter aus, da die Regelung in der maßgeblichen Deutung durch die Gerichte im Fall von für verbindlich erachteten religiösen Bekleidungsvorschriften jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinn einzuordnen sei.

c) Angemessenheit der Regelung

Das BVerfG erachtet die durch die Verbotsnorm des § 57 Abs. 4 SchulG NRW getroffene Regelung mithin nicht mehr für angemessen: Nach Ansicht des BVerfG erfordert nämlich ein angemessener Ausgleich der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen für den Fall, dass das grundrechtlich geschützte Verhalten der Lehrkräfte auf ein für verbindlich erachtetes religiöses Gebot zurückzuführen ist, dahingehend eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm des § 57 Abs. 4 SchulG NRW, dass zumindest eine konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss. Zwar seien bei der Prüfung der Angemessenheit auch gegenläufige verfassungsrechtlich geschützten Positionen, wie die negative Glaubensfreiheit der Schüler, das elterliche Erziehungsrecht oder die Pflicht zur religiösen Neutralität des Staates zu berücksichtigen, allerdings müsse der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprägorative insbesondere auch die Grenze der Zumutbarkeit berücksichtigen. Keine dieser der Glaubensfreiheit gegenläufigen Positionen sei allerdings derart hoch zu gewichten, dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot des Tragens religiös konnotierter Bekleidung rechtfertigen könne, wenn diese Bekleidung nachvollziehbar auf ein als bindend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei.

 aa ) Negative Glaubensfreiheit

Die negative Glaubensfreiheit… gewährleistet die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; … Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 (15 f.)). In einer unausweichlichen Situation befinden sich Schülerinnen und Schüler zwar auch dann, wenn sie sich infolge der allgemeinen Schulpflicht während des Unterrichts ohne Ausweichmöglichkeit einer vom Staat angestellten Lehrerin gegenüber sehen, die ein islamisches Kopftuch trägt. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist allerdings danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund einer eigenen Entscheidung von einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin oder einer pädagogischen Mitarbeiterin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 108, 282 (305 f.)).

…Solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Schülerinnen und Schüler werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird…

 

bb) Elterliches Erziehungsrecht

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG … umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten … Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen … Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus …

Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht danach nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler nicht beeinträchtigt ist.

cc) Staatlicher Erziehungsauftrag und Pflicht zur religiösen Neutralität

Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Betätigung der positiven Glaubensfreiheit der Pädagoginnen durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht generell entgegen…

Das Grundgesetz begründet für den Staat … die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität… Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten…und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren … Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen…

Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung…Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen…mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren…

Dies gilt auch für den … Bereich der Schule…Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte… nicht ohne Weiteres ausgeschlossen.

 

dd) Verfassungskonforme Auslegung des § 57 Abs. 4 SchulG

Davon ausgehend ist das… an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW genannten Schutzgüter anknüpfende strikte und landesweite Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgerinnen nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Denn mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen ist – anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist (vgl. BVerfGE 93, 1 (15 ff.)) – keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Pädagoginnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerinnen einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leisten…

Anders verhält es sich dann, wenn das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt. Dies wäre etwa in einer Situation denkbar, in der – insbesondere von älteren Schülern oder Eltern – über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags ernsthaft beeinträchtigte, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte. Bei Vorliegen einer solchermaßen begründeten hinreichend konkreten Gefahr ist es den grundrechtsberechtigten Pädagoginnen und Pädagogen mit Rücksicht auf alle in Rede und gegebenenfalls in Widerstreit stehenden Verfassungsgüter zumutbar, von der Befolgung eines nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots Abstand zu nehmen, um eine geordnete, insbesondere die Grundrechte der Schüler und Eltern sowie das staatliche Neutralitätsgebot wahrende Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags sicherzustellen. Aber auch dann wird die Dienstbehörde im Interesse des Grundrechtsschutzes der Betroffenen zunächst eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit mit in Betracht zu ziehen haben.

Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden. Einer solchen Situation kann der Gesetzgeber insoweit auch vorbeugend … durch bereichsorientierte Lösungen Rechnung tragen… Solange der Gesetzgeber dazu aber keine differenziertere Regelung trifft, kann eine Verdrängung der Glaubensfreiheit von Lehrkräften nur dann als angemessener Ausgleich der in Rede stehenden Verfassungsgüter in Betracht kommen, wenn wenigstens eine hinreichend konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden belegbar ist.

Infolge dessen, dass der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der beiden Lehrkräfte nach Ansicht der die Entscheidung tragenden Richter nicht gerechtfertigt werden kann, ist die Verfassungsbeschwerde mithin begründet.

C. Religionsrechtliche Gleichbehandlung

Bislang weniger beachtet wurden auch die Aussagen zum Paritätsgrundsatz im Beschluss des Ersten Senats. So stellt nach Ansicht des Senats die Privilegierungsbestimmung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NRW zugunsten der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte eine nicht zu rechtfertigende und damit gleichheitswidrige Benachteiligung aus Gründen des Glaubens und der religiösen Anschauungen dar:

Eine solche Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Werden äußere religiöse Bekundungen durch das pädagogische Personal in der Schule untersagt, so muss dies grundsätzlich unterschiedslos geschehen.

Tragfähige Gründe für eine Benachteiligung äußerer religiöser Bekundungen, die sich nicht auf christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen zurückführen lassen, sind nicht erkennbar. Soweit von einem bestimmten äußeren Verhalten etwa eine besondere indoktrinierende Suggestivkraft ausgehen kann, wird dem ohne Weiteres durch das Verbot des Satzes 1 des § 57 Abs. 4 SchulG NW in der von Verfassungs wegen gebotenen einschränkenden Auslegung Rechnung getragen… Ebenso wenig ergeben sich für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags, wie er in Art. 7 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen umschrieben ist, rechtfertigt es nicht, Amtsträger einer bestimmten Religionszugehörigkeit bei der Statuierung von Dienstpflichten zu bevorzugen….

Eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW, wie sie das Bundesarbeitsgericht zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Benachteiligung aus religiösen Gründen seinen Entscheidungen zugrunde gelegt hat, ist nicht möglich. Sie würde die Grenzen verfassungskonformer Norminterpretation überschreiten und wäre mit der richterlichen Gesetzesbindung nicht vereinbar (Art. 20 Abs. 3 GG)….Das Bundesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, dass die „Darstellung“ christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte im Sinne des Satzes 3 nicht gleichzusetzen sei mit der „Bekundung“ eines individuellen Bekenntnisses im Sinne des Satzes 1. Zudem bezeichne der Begriff des „Christlichen“ eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche.

Zwar mag der unterschiedliche Sprachgebrauch in Satz 1 („Bekundungen“) und Satz 3 („Darstellung“) einen Ansatz für die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung bieten…..Gleichwohl wurde ebenso wie von den Gesetzesinitiatoren auch im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Absicht gehegt, jedenfalls keine Regelung zu treffen, die beispielsweise Lehrerinnen das Unterrichten in einem Ordenshabit verbietet oder das Tragen der jüdischen Kippa untersagen sollte (LTDrucks 14/569, S. 9). Insofern folgerichtig hat der Gesetzgeber die Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ausdrücklich auf das Bekundungsverbot des Satzes 1 bezogen und diese gesetzgebungstechnisch als Ausnahme konstruiert. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass Satz 3 in seinem Wortlaut zwar den Erziehungsauftrag der Landesverfassung insgesamt erwähnt, dann aber nur die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen vom Verhaltensgebot des Satzes 1 ausnimmt. Die im Wortlaut der Verfassungsbestimmung des Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW daneben ausdrücklich erwähnte Offenheit auch für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen wird indessen außer Acht gelassen und nicht mehr aufgeführt. All das verdeutlicht, dass die vom Bundesarbeitsgericht gefundene einschränkende Auslegung der Vorschrift deren normativen Gehalt im Grunde neu bestimmt und damit auch den im Gesetzgebungsverfahren klar erkennbar hervorgetretenen Willen des Gesetzgebers nicht mehr trifft. Dieser Wille hat sich nicht durch die vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte Erörterung der Möglichkeit einer anderen Auslegung verändert; diese lässt lediglich erkennen, dass der Landtag sich des verfassungsrechtlichen Risikos bewusst war.

D. Sondervotum der Richter Schluckebier und Herrmanns

Der Beschluss des ersten Senats des BVerfG wird allerdings von zwei Richtern nicht mitgetragen, die ihre abweichende Position hinsichtlich des Ergebnisses sowie der Begründung der Entscheidung in einem Sondervotum darlegen und dem Senat darin insbesondere vorwerfen, die der Glaubensfreiheit der Pädagoginnen entgegenstehenden verfassungsrechtlich geschützten Positionen – die negative Glaubensfreiheit der Schüler, das elterliche Erziehungsrecht sowie der staatliche Erziehungsauftrag, der unter Beachtung der Pflicht zur religiösen Neutralität durchzuführen ist – nicht hinreichend berücksichtigt zu haben. Gerade wenn die mit dem Tragen religiös motivierter Bekleidung verbundene Bekundungswirkung wie hier eine besondere Intensität erlange, sei die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs.4 SchulG NRW verfassungsrechtlich gerade nicht geboten.

I. Zum Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers

Zum einen stehe dem Gesetzgeber nach dem ersten „Kopftuch-Urteil“ des Zweiten Senats des BVerfG ein weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Konfliktlage zu, der der Entscheidung hätte zugrunde gelegt werden müssen und die der Senat stattdessen für nicht entscheidungserheblich erachtet habe:

Die bekenntnisoffene öffentliche Gemeinschaftsschule ist durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen … gekennzeichnet, deren Freiheitsgewährleistung im Alltag auch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung umfasst. Der Erziehungsauftrag des Staates, den er in fördernder und wohlwollender Neutralität gegenüber den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Richtungen wahrzunehmen hat, erfordert im Blick auf Pädagogen, die in der Schule von ihrer individuellen Glaubensfreiheit Gebrauch machen, in der Ausgestaltung einen angemessenen und schonenden Ausgleich zwischen den betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen. Diesen Ausgleich hat in den wesentlichen Fragen der Gesetzgeber vorzugeben. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war davon auszugehen, dass das Grundgesetz den Ländern im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit belässt; auch in Bezug auf die weltanschaulich-religiöse Ausprägung der öffentlichen Schulen hat Art. 7 GG danach die weitgehende Selbstständigkeit der Länder und im Rahmen von deren Schulhoheit die grundsätzlich freie Ausgestaltung der Pflichtschule im Auge… Diese den Ländern bisher zugestandene weitgehende Gestaltungsfreiheit für das Schulwesen schließt nach dem Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282ff. ) bei der Ausgestaltung des Erziehungsauftrags die Möglichkeit ein, der staatlichen Neutralität im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte … von vornherein zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 282 (310)). Es ist demnach zunächst Sache des Landesgesetzgebers, darüber zu befinden, wie er den schonenden Ausgleich bei der Gestaltung des Erziehungsauftrags im multipolaren Grundrechtsverhältnis der Schule findet…

Im Rahmen dieser gesetzgeberischen Einschätzungsprägorative habe der Gesetzgeber auch die Möglichkeit, bereits vorbeugend einer religiösen Beeinflussung durch Lehrkräfte entgegenzutreten, um potentielle Konflikte zu verhindern. Ein derartiger Gestaltungsspielraum stehe zudem auch im Einklang mit den zu berücksichtigenden Vorgaben der EMRK, da der EGMR den Mitgliedstaaten ebenfalls einen erheblichen Beurteilungsspielraum zugestanden habe.

II. Zur Verhältnismäßigkeit der Regelung

Darüber wird von den dissertierenden Richtern auch die vom Senat vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung angegriffen. Nach Ansicht der Richter Schluckebier und Herrmanns werden insbesondere die der Glaubensfreiheit der Lehrerinnen entgegenstehenden Grundrechte der Schüler sowie der Eltern nicht ausreichend berücksichtigt. In ihrem Sondervotum setzen sie sich daher insbesondere mit der besonderen Stellung des Lehrers sowie dem Abhängigkeitsverhältnis der Schüler auseinander:

 Damit ist die Betroffenheit von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern in ihrer negativen Glaubensfreiheit sowie im Elterngrundrecht nur unzureichend erfasst und gewichtet. Diese Bewertung halten wir für nicht realitätsgerecht. Sie vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Das Maß der Betroffenheit unterscheidet sich grundlegend von dem, das beim Zusammentreffen verschiedener religiöser Bekenntnisse und Bekundungen im gesellschaftlichen Alltag gegeben ist… In jedem Falle sind solche Berührungen in der Regel nur punktuell und nicht von nennenswerter Dauer. Schon das unterscheidet sie von der Begegnung und Konfrontation in der Schule, der die Schüler sich nicht entziehen können und bei der die Nichtteilnahme am Unterricht sogar sanktioniert ist. Schüler können also hier den Lehrpersonen und ihren Überzeugungen nicht aus dem Weg gehen. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, zu erziehen, zu beraten, zu beurteilen, zu beaufsichtigen und zu betreuen (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Daraus erhellt sich auch das besondere Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schülern und Pädagogen, die über die Versetzung und einen erfolgreichen Schulabschluss mitbefinden. Sie können schon deshalb nicht mit beliebigen Personen aus der Gesellschaft verglichen werden, die von den Schülerinnen und Schülern lediglich angeschaut werden und deren Auffassung diese ertragen müssen; vielmehr treten sie in der Schule als Autoritätsperson auf

Den Pädagogen kommt in der Schule im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern zudem eine Vorbildfunktion zu. Die gewollte erzieherische Einwirkung löst in der Regel bei Schülern und mittelbar auch bei deren Eltern irgendeine Form der Reaktion aus. Von religiösen Bekundungen durch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung geht – abhängig auch von dem Alter der betroffenen Schülerinnen und Schüler – nicht zwingend, aber jedenfalls nicht ausschließbar eine gewisse appellative Wirkung aus, sei es in dem Sinne, dass dieses Verhalten als vorbildhaft und befolgungswürdig verstanden und aufgenommen, sei es, dass es entschieden abgelehnt wird…Deren Verhalten, aber auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher auch einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind …

Das Tragen religiös konnotierter Kleidung durch Pädagogen kann schließlich zu Konflikten innerhalb der Schülerschaft und unter den Eltern führen und sie befördern, zumal wenn die Betroffenen möglicherweise … verschiedenen Glaubensrichtungen angehören, in denen unterschiedliche Anschauungen über das „richtige“ glaubensgeleitete Verhalten herrschen. Auch wenn solche religiösen Bekundungen nicht zwingend zu einer Beeinträchtigung der negativen Glaubensfreiheit und des Elterngrundrechts führen müssen, so besteht doch in dieser Hinsicht ein erhebliches Risiko. Der Gesetzgeber darf deshalb den Schutz dieser Grundrechte mit beträchtlichem Gewicht in die Abwägung einstellen.

Die Richter mahnen zudem an, dass der Senat bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter der Wahrung der Pflicht zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität zu erfolgen habe, nicht hinreichend die besondere Stellung der Pädagogen als Amtsträger berücksichtigt habe:

Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Diese sind seine Repräsentanten. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität. Für den Pädagogen in der Schule als Individuum ist es deshalb anders als für das Individuum in ausschließlich gesellschaftlichen Zusammenhängen geboten, bei religiösen Bekundungen Zurückhaltung zu üben, wenn seine Überzeugung bei der Wahrnehmung des staatlichen Erziehungsauftrags mit den Grundrechten anderer kollidieren kann…

 

E. Schlussbemerkung

Das BVerfG hat die Glaubensfreiheit muslimischer Lehrkräfte gestärkt und stärker gewichtet als bislang. Zwar sprechen sehr gute und gewichtige Gründe für die Entscheidung des Senats, allerdings hätte die Entscheidung wohl noch stärker argumentativ angereichert werden müssen, da sich Senat im Gegensatz zum Sondervotum der dissentierenden Richter kaum mit der besonderen Stellung von Lehrern sowie den Besonderheiten des Schüler-Lehrer-Verhältnisses auseinandersetzt und dazu Stellung bezieht. Auch die Befürchtung, dass nun tatsächlich der Streit um das Kopftuch unmittelbar Einzug in das Klassenzimmer erhält, kann ein in der Abwägung zu berücksichtigendes Argument sein. Zudem hat sich der Senat im Beschluss kaum mit der Reichweite der gesetzgeberischen Einschätzungsprägorative und der Entscheidung des Zweiten Senats aus dem Jahr 2003 befasst, die dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum einräumte. Gerade die Ausgestaltung derartiger „prekärer Beziehungen“ sowie die Ausgestaltung der weltanschaulichen und religiösen Neutralität des Staates ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. Es handelt sich um hochkomplexe Wertungsfragen, die zuvörderst Aufgabe des Gesetzgebers sind und auf die sich oftmals nur schwer „eine“ Antwort finden lassen wird. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung rechtspolitisch ein positives Signal der Integration sowie der Gleichberechtigung der Religionen.

Unter verfassungsprozessualen Gesichtspunkten wird man wohl davon ausgehen müssen, dass der Zweite Senat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 mit der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für ein abstrakt-generelles Verbot auch implizit davon ausging, dass eine solche Regelung abstrakter Gefahren auch verhältnismäßig und somit verfassungskonform ist. Dies hat der Erste Senat nun offenkundig für jeden Fall einer abstrakten Gefahr anders beurteilt. Vor diesem Hintergrund ist mittlerweile auf dem Verfassungsblog eine lesenswerte Debatte zwischen Christoph Möllers und Mathias Hong darüber entstanden, ob es sich bei dem nun getroffenen Beschluss des Ersten Senats um eine Abweichung im Sinne des § 16 BVerfGG handelt, die eine Entscheidung des Plenums erforderlich gemacht hätte.

Die Argumentationslinie des Senats sollte zur juristischen Allgemeinbildung gehören und daher jedem Jura-Studenten geläufig sein. Dies zeigt gerade auch die Aktualität der gesellschaftlichen Debatte über die Auswirkungen der Entscheidung. Die Entscheidung wird künftig ganz sicher in juristischen Prüfungen verwendet werden.

08.04.2015/10 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2015-04-08 08:32:592015-04-08 08:32:59BVerfG: Unzulässigkeit eines pauschalen Kopftuchverbots für Lehrkräfte – Der Streit über das Kopftuch in Klassenzimmern geht in die zweite Runde in Karlsruhe
Dr. Marius Schäfer

OLG Hamm: Glaubens- und Gewissensfreiheit entschuldigt keine Sachbeschädigung

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Das OLG Hamm hat am 26. Februar 2015 eine für Studenten und Examenskandidaten nicht zu verachtende Entscheidung (5 RVs 7/15) getroffen, die so auch ohne weiteres Teil einer Klausur oder mündlichen Prüfung sein könnte, denn hier ergeben sich sowohl strafrechtliche als auch grundrechtliche Fragestellungen, die sich ganz wunderbar in einem eher unbekannteren Straftatbestand verknüpfen lassen.
 
Sachverhalt
Die 39-jährige und aus Marokko stammende Angeklagte suchte wegen ihrer Promotionstätigkeit häufig die Bibliothek der Universität Duisburg-Essen auf. Ab Ende Mai 2013 fand in dieser Bibliothek eine Ausstellung statt, in der mehrere von Studenten hergestellte Collagen präsentiert wurden. Ein Teil dieser Collagen bestand im Wesentlichen aus Bildern und Texten des von der israelischen Autorin Rutu Modan stammenden Comicromans „Exit wounds“. Abgebildet war u.a. auch eine Straßenszene, bei der im Vordergrund eine Gruppe von Personen stand, die Schilder mit hebräischen Schriftzeichen, ein Schild mit der Aufschrift „Stop the occupation“ sowie ein solches mit arabischen Schriftzeichen, welche in einen Sack gesteckt wurden, hochhielten.
Nachdem die Angeklagte bereits aus ähnlichem Grunde zuvor schon ein in der Bibliothek angebrachtes Poster eigenmächtig abgehangen hatte, sah sie sich auch in Bezug auf das von der Collage dargestellte Motiv in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Sie führte aus, dass dieses Schild nicht, wie zunächst denkbar, die Worte „Beendet die Besatzung“ zeige, sondern schon nach Veränderung eines Buchstabens die Worte „Nieder mit Allah“ darstelle. Da ein Bibliotheksmitarbeiter auf ihr Verlangen hin die Entfernung der Collage ablehnte und demgegenüber lediglich anbot, die fragliche Stelle mit einem Stück Papier zu überkleben, wurde die Angeklagte selbst tätig, ergriff eine Schere und schnitt die von ihr beanstandete Stelle aus der Collage eigenhändig heraus.
Das AG Essen verurteilte die Studentin darauf hin wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung gemäß § 304 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Die gegen dieses Urteil von der Angeklagten eingelegte Berufung verwarf das LG Essen als unbegründet. Schließlich legte die Angeklagte Revision beim OLG Hamm ein.
 
Frage 1
Zunächst war hier überhaupt die Frage zu klären, welcher Straftatbestand überhaupt einschlägig ist, denn § 304 Abs. 1 StGB verlangt im objektiven Tatbestand u.a. das Vorhandensein einer öffentlichen Sammlung, was die Angeklagte hinsichtlich der in der Bibliothek ausgestellten Collage aber vor Gericht angezweifelt hatte, weil die Benutzung der Bibliothek, was zutrifft, von einer Erlaubnis abhängig ist. Außerdem könnte fraglich sein, ob das Plakat zu den nach § 304 Abs. 1 StGB geschützten Objekten zählt.
 
Frage 2
Im Hinblick auf die mit grundrechtlichen Aspekten verbundene Fragestellung dieses Falles musste das OLG Hamm schließlich entscheiden, ob die von Art. 4 Abs. 1 GG garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit eine Sachbeschädigung entschuldigen kann, mithin also vorliegend einen Entschuldigungsgrund darzustellen vermag.
 
Rechtliche Würdigung durch das OLG Hamm
Mit den folgenden Ausführungen soll nunmehr dargestellt werden, inwiefern das OLG Hamm eine rechtliche Würdigung zu den oben aufgeworfenen Fragen vorgenommen hat.
 
Tatbestandsmäßigkeit des § 304 StGB
Der Straftatbestand des § 304 StGB schützt grundsätzlich öffentliche Interessen in Form des Nutzungsinteresses an öffentlichen Sammlungen. Die Tathandlung der Beschädigung einer in der Universitätsbibliothek ausgestellten Collage ist gemäß § 304 Abs. 1 GG strafbar, wenn diese ein Bestandteil einer öffentlichen Sammlung ist.
Öffentlich im Sinne des § 304 StGB ist eine Sammlung dann, wenn diese allgemein zugänglich ist, d.h. grundsätzlich jedermann Zutritt zu dieser hat. Zwar ist die Benutzung der Universitätsbibliothek gemäß der geltenden Benutzungsordnung, hinsichtlich der sich der Benutzer überdies zu unterwerfen hat, von einer Erlaubnis oder sonst von Bedingungen (vorherige Zulassung nach Antrag) abhängig, doch ist dieses Kriterium vorliegend nicht entscheidend. Die Eigenschaft einer öffentlichen Sammlung ergibt sich vielmehr daraus, dass der Kreis der Benutzer zum einen nicht von vorneherein auf bestimmte Personen bzw. Behördenangehörige begrenzt ist, denn nach der Benutzungsordnung wird im Einzelnen nicht festgelegt, welche und wie viele Personen zur Benutzung zugelassen werden. Zum anderen wird der Zutritt zur Universitätsbibliothek, bei Erfüllung der Zulassungsbedingungen, regelmäßig gewährt. Nach diesen Gesichtspunkten handelt es sich bei der Ausstellung in der Universitätsbibliothek um eine öffentlich zugängliche Sammlung.
Die Collage müsste auch zu den geschützten Gegenständen im Sinne des § 304 StGB gehören. Dies ist dann der Fall, wenn die Sache durch Widmung des hierzu Berechtigten die in Abs. 1 vorausgesetzte Zweckbestimmung gegeben wird. Vorsicht ist an dieser Stelle geboten, denn auf das Eigentum oder ein persönliches bzw. dingliches Nutzungsrecht kann es nicht ankommen, denn bei § 304 StGB handelt es sich nicht um ein Eigentumsdelikt. Dadurch, dass die von Studenten hergestellte Collage als Kunstgegenstand und im Einvernehmen mit den zuständigen Gremien der Universität in den Räumen der dortigen Bibliothek ausgestellt worden sind, wird diese durch Widmung auch zum Bestandteil einer öffentlichen Sammlung.
Durch die bewusste Zerstörung der Collage bestehen an der Tatbestandsmäßigkeit des § 304 StGB daher keine Zweifel.
 
Wirkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG)
Ob sich dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 GG bei Begehungsdelikten zumindest ein strafrechtlicher Entschuldigungsgrund entnehmen lässt, ist umstritten. Zuerst sollte aber innerhalb des Entschuldigungstatbestandes dargelegt werden, was von Art. 4 GG grundsätzlich geschützt und umfasst wird, bevor diskutiert wird, inwiefern die Beschädigung der Collage dadurch entschuldigt werden könnte.
Dem Grunde nach handelt es sich bei den verschiedenen Schutzbereichen des Art. 4 GG um ein umfassendes Grundrecht mit einem einheitlichen Schutzbereich auf Glaubensfreiheit, und zwar in den Ausprägungen der Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit. Glaubensfreiheit bedeutet dabei die Freiheit, sich eine religiöse oder auch areligiöse Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seins-Schichten zu bilden. Hingegen wird das Gewissen vom BVerfG als „real erfahrbares seelisches Phänomen, dessen Forderungen … unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind“ definiert. Eine „Gewissensentscheidung“ soll daher jede ernste sittliche, d.h. an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, sein. Der Schutz des Grundrechtes vollzieht sich durch eine umfassende Gewährleistung des forum internum (persönliche Überzeugung) in positiver und negativer Form. Daneben besteht aber auch ein Schutz des forum externum (Ausübung in Form einer Kundgabe) anhand des Bekenntnisses sowie des dementsprechenden Handelns.
Zu beachten ist daraufhin, dass Art. 4 GG nicht nur den Gesetzgeber in die Pflicht nimmt, sich bereits beim Erlass von Strafvorschriften auf die Pönalisierung eindeutig sozialschädlicher Verhaltensweisen zu beschränken, um die weltanschauliche und religiöse Neutralität zu wahren, sondern dass sich im Rahmen der Anwendung von Strafvorschriften zwischen den widerstreitenden Grundrechtspositionen auch nur dann eine praktische Konkordanz herstellen lässt, wenn sich die Berücksichtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Rahmen der Anerkennung eines Entschuldigungsgrundes vollzieht. Gegenüberzustellen sind an diesem Punkt also die Freiheit des Gewissenstäters sowie die von der verletzten Strafvorschrift geschützten Grundrechtspositionen anderer. Dies folgert die Literatur aus den grundgesetzlichen Vorgaben, da Art. 4 Abs. 1 GG auch die Freiheit der Gewissensbetätigung schützt und zudem lediglich verfassungsimmanenten Schranken unterliegt, welche sich aus den Grundrechten Dritter und dem grundgesetzlichem Wertesystem ergeben. Allerdings verbietet sich eine allzu uferlose Anwendung der Glaubens- und Gewissensfreiheit als Entschuldigungsgrund, sodass diese von vorneherein nur auf echte Gewissensentscheidungen sowie auf Eingriffe von geringfügigem Ausmaße beschränkt bleibt.
Das OLG Hamm konnte oben anstehende Erwägungen jedoch im Ergebnis außer Acht lassen, denn der Betätigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit kann des Weiteren nur dann ein strafbarkeitsauschließender Vorrang zukommen, wenn für den Gewissenstäter keine weitere Möglichkeit mehr bestand, seine Gewissensentscheidung straffrei umzusetzen. Im vorliegenden Fall hatte sich die Angeklagte eben darüber hinweggesetzt, indem sie die ihr angebotene und zweckmäßige Möglichkeit des Überklebens der Collage missachtete und das Plakat eigenmächtig zerschnitt. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit kann aber nicht so weit reichen, fremde Interessen wie das öffentliche Nutzungsinteresse im Sinne des § 304 StGB derart zu beeinträchtigen, urteilte das OLG Hamm.
 
Ergebnis
Die Beschädigung der in der Universitätsbibliothek ausgestellten Collage, die als Bestandteil einer öffentlichen Sammlung anzusehen ist, ist im Sinne von § 304 StGB als gemeinschädliche Sachbeschädigung strafbar. Weiterhin ergibt sich, dass sich vorliegend aus dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG kein Entschuldigungsgrund für eine solche Beschädigung ableiten lässt, wenn wie hier die Möglichkeit bestanden hat, die Glaubens- und Gewissensentscheidung straffrei auf andere Weise (wie hier durch das Überkleben) umzusetzen. Das OLG Hamm verwarf die Revision der Angeklagten daher zu Recht als offensichtlich unbegründet (siehe § 349 Abs. 2 StPO).
 

02.04.2015/1 Kommentar/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2015-04-02 13:30:062015-04-02 13:30:06OLG Hamm: Glaubens- und Gewissensfreiheit entschuldigt keine Sachbeschädigung
Dr. David Saive

Islamgesetz in Deutschland?

Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Das Österreichische Parlament hat Ende Februar ein neues Islamgesetz beschlossen. Es ist die erste Novellierung der seit 1912 geltenden Regelungen.[1]
Ursprünglich wurde ein solches Gesetz notwendig, da mit der Annexion Bosnien und Herzegowinas an das K.u.K. Österreich-Ungarn erhebliche Teile muslimischer Bevölkerungsgruppen in das K.u.K. integriert werden mussten.[2] Überarbeitet wurde das geltende Recht, weil die damals getroffenen Regelungen einfach nicht mehr zeitgemäß waren, obschon sich die Inhalte der ersten und jetzigen Diskussionen betreffend des Islamgesetzes sich durchaus glichen.
Anbetracht dieser Entwicklungen in unserem Nachbarland lohnt sich ein näherer Blick auf das neue Gesetz. Schließlich wurden auch in Deutschland Stimmen laut, dass es solchen Gesetzes bedarf, bzw. die Warnung vor einem solchen. Eine nähere Betrachtung lohnt sich auch schon deswegen, da noch einmal wichtige Fragen der Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG aufgegriffen werden.
 
 II. Möglichkeiten in Deutschland
Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob ein solches Gesetz in Deutschland überhaupt denkbar wäre. Daher unterziehen wir das Islamgesetz aus Österreich einer fiktiven Normenkontrolle in Deutschland. Abgestellt werden soll dabei lediglich auf die materielle Verfassungsmäßigkeit.
 
1. Materielle Verfassungsmäßigkeit
a) Schutzbereich der Religionsfreiheit
Der Schutzbereich der Religionsfreiheit gem. Art. 4 I, II GG umfasst folgendes:
Zum einen wird die Freiheit, sich eine eigene religiöse Überzeugung zu bilden geschützt (forum internum). Dies meint nichts anderes als den Schutz vor staatlicher Indoktrination.[3]
Zum anderen wird die Freiheit, seinen Glauben auch nach außen auszuleben, von dem Schutzbereich der Religionsfreiheit mit eingeschlossen (forum externum). Sie umfasst „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“ (ständige Rechtsprechung des BVerfG).
 
b) Eingriff in Schutzbereich durch Islamgesetz
 Sodann stellt sich die Frage, ob ein gedachtes Islamgesetz in Deutschland nach österreichischem Vorbild einen Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit darstellen würde.
 
Besonderer Augenmerk in der aktuellen Diskussion wird dabei auf den Verbot der Auslandsfinanzierung gelegt. In § 6 II IslGiÖ heißt es hierzu:
(2) Die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder hat durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw. ihre Mitglieder im Inland zu erfolgen.
 
Die so organisierten Muslime werden durch diese Regelung in ihrer Freiheit beschränkt, die Finanzierung ihrer Tätigkeiten selbst zu bestimmen. Es  müssen jedoch Mieten bezahlt, Informationspapiere erstellt und verteilt sowie geistliches Personal bereitgestellt werden, usw… Daher bedarf es jeder (religiösen) Gemeinschaft an finanziellen Mitteln, damit sie überhaupt in der Lage ist, ihrem Auftrag nachzukommen. Die Religionsausübung als solche wird aber durch die Verwehrung der Beschaffung von finanziellen Mitteln beeinträchtigt, sodass durch die Beschränkung der freien Mittelwahl ein tauglicher Eingriff in die Religionsfreiheit vorliegt.
 
c) Rechtfertigung des Eingriffs
 Die Religionsfreiheit ist ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Ein Eingriff in die Religionsfreiheit kann daher nur durch andere Grundgesetze gerechtfertigt werden, vgl. Art. 137 III 1. Satz WRV (i.V.m. Art. 140 GG):
 
 (3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.
 
Durch diese Formulierung wird ein Sonderrecht für eine bestimmte Religionsgemeinschaft explizit ausgeschlossen.[4] Mithin würde ein solches Vorhaben in Deutschland scheitern.
 
2. Alternative Durchführungswege in Deutschland – Verleihung des Körperschaftsstatus
Da ein Islamgesetz in der vorliegenden Form nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob andere Möglichkeiten ersichtlich sind, den Islam in das bundesrepublikanische System einzugliedern (Hierzu bereits ein ausführlicher Beitrag unsererseits).
In Frage käme, den Islam, wie andere Religionsgemeinschaften in Deutschland, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. Die Voraussetzungen hierfür finden sich ebenfalls in Art. 137 VIII WRV, der gem. Art. 140 GG Teil unserer Grundrechtsordnung ist:
 
 (8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
 
Es ist daher Sache der Länder, einzelne Religionsgemeinschaften, o.Ä. zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu ernennen.[5] Sollte ein Bundesland eine solche Gemeinschaft ernannt haben, gilt dieser Status auch für alle anderen Bundesländer, allerdings können die körperschaftlichen Rechte nur in dem betreffenden Bundesland erhoben werden.[6]
 
Generell müssen jedoch drei Kriterien erfüllt sein (vgl. Art 137 V WRV):

  1. Gewähr der Dauer, also langfristiges Bestehen der Gemeinschaft (in der Zukunft)
  2. Verfassung der Gemeinschaft i.S.d. tatsächlichen Beschaffenheit der Gemeinschaft
  3. Erhebliche Mitgliederanzahl

Liegen diese Voraussetzungen vor, kann eine Gemeinde zur Körperschaft des öffentlichen Rechts ernannt werden.
 
a) Problem: Verschiedene Glaubensrichtungen
 Es gibt jedoch ein ganz entscheidendes Problem, mit dem sich auch schon die Österreicher 1912 konfrontiert sahen: Es gibt nicht die eine Strömung innerhalb des Islams, die alle anderen unter sich vereint. Die einzelnen Richtungen sind teilweise nicht nur grundverschieden, sondern auch untereinander verfeindet (bspw. Schiiten und Sunniten). Den Islam als Ganzes zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu ernennen, ist daher schlichtweg unmöglich.
Zum Vergleich (selbstverständlich ist es kaum möglich Religionen untereinander zu vergleichen, es soll hier auch nur auf ein besseres Verständnis für die Sensibilität des Themas geschaffen werden):
Es gibt auch in Deutschland keine Körperschaft, die alle Christen unter einem Dach vereint. So gelten bspw. Katholiken und Evangelische Kirchen jeweils als getrennte Körperschaften.
 
b) Möglicher Lösungsansatz – Ernennung einzelner Glaubensströmungen
 Ein Lösungsvorschlag könnte z.B. die Ernennung einzelner Glaubensströmungen innerhalb des Islam zur Körperschaft des öffentlichen Rechts sein. So wurde bereits 2013 in Hessen die dort ansässige Ahmadiyya-Gemeinde zur Körperschaft des öffentlichen Rechts ernannt.[7] Im Jahr darauf wurde der Ahmadiyya-Gemeinde in Hamburg dieser Status zu Teil.[8] Dies ist allerdings auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft durchaus kontrovers diskutiert worden. Möglicherweise würde die weitere Ernennung anderer Glaubensströmungen diesen Diskurs etwas entschärfen und der weiteren Integration des Islam dienen.
 
3. Stellungnahme
 Dieser Artikel soll lediglich die Möglichkeiten aufzeigen, die in Österreich umgesetzten Regelungen auch in Deutschland einzuführen. Keineswegs soll die zu Recht geführte, kontroverse Debatte hierdurch ersetzt bzw. beantwortet werden. Eine solch aktuelle Debatte könnte jedoch durchaus Thema einer Examensklausur werden. Allein deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit der grundgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit.
 
 
____________________________________________________________________________________
[1] Volltext unter: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00069/fname_367084.pdf, abgerufen am 09.03.2015.
[2] Interessante Lektüre zu diesem Thema: Potz, Richard, .SiAK-Journal 2013, S.45-54.
[3] BeckOK GG, Germann, Art. 4, Rn.23.
[4] BeckOK GG, Germann, Art. 4, Rn.42.
[5] Eine solche landesrechtliche Konkretisierung stellt z.B. das Gesetz über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 15. Oktober 1973 in Hamburg dar.
[6] Maunz/Dürig GG, Korioth,  Art. 137 WRV,Rn.72.
[7] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-06/islam-kirche-hessen-koerperschaft, abgerufen am 09.03.2015.
[8] http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Jetzt-ist-der-Islam-in-Hamburg-angekommen,ahmadiyya102.html, abgerufen am 09.03.2015.

09.03.2015/0 Kommentare/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2015-03-09 14:09:402015-03-09 14:09:40Islamgesetz in Deutschland?
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG: Keine Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen (Schwarze Magie / Burkini)

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Verwaltungsrecht

Das BVerwG hat vor Kurzem zwei äußerst examensrelevante Urteile gefällt, die sich mit der Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen staatlichen Bildungsauftrag sowie elterlichem Erziehungsrecht beschäftigen. Wer sich in den nächsten Zeit für die mündliche Prüfung im ersten oder zweiten Staatsexamen meldet, sollte sich einmal intensiver mit den Sachverhalten auseinandergesetzt haben. Darüber hinaus liefen die den Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalte bereits in einer Reihe von Staatsprüfungen (siehe zuletzt im Juni 2013 im ersten Staatsexamen in NRW). Aus diesem Grund muss das verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis, das diesen Fällen zugrunde liegt, auch für Klausurkonstellationen beherrscht werden.
Der Fall Krabat
Wir berichteten bereits im Jahr 2011 über eine Entscheidung des OVG Münster (Urteil vom 22.12.2011 – 19 A 610/10; siehe dazu unseren Beitrag hier). In der Sache ging es um die Frage, ob die Kläger, bekennende Zeugen Jehovas, ihren Sohn von einer Unterrichtsveranstaltung befreien konnten. Die Eltern wollten nicht, dass ihr Sohn im Rahmen einer Unterrichtsstunde den Film „Krabat“ besucht. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch des Autors Ottfried Preußler. Die Eltern monierten, dass der Film unter anderem Praktiken schwarzer Magie zeige und dass ihr Glaube ihnen verbiete, sich mit schwarzer Magie zu befassen.
Das OVG Münster konstatierte seinerzeit, dass die Eltern in diesem Fall berechtigt waren, das Kind von der Unterrichtsveranstaltung fernzuhalten. Das BVerwG hob diese Entscheidung nunmehr auf (Urteil vom 11.09.2013 – 6 C 12.12; siehe dazu auch die entsprechende Pressemitteilung des BVerwG). Die Schule habe mit der Filmvorführung nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot verstoßen, bei der Ausgestaltung des Unterrichts Neutralität in religiöser Hinsicht zu wahren. Eine Unterrichtsbefreiung sei aus religiösen Gründen nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich. Sonstige Beeinträchtigungen religiöser Vorstellungen seien grundsätzlich als typische, von der Verfassung von vornherein einberechnete Begleiterscheinung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags und der seiner Umsetzung dienenden Schulpflicht hinzunehmen. Für eine Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen sei es erforderlich, dass den religiösen Belangen des Betroffenen eine besonders gravierende Beeinträchtigung drohe und der schulische Wirkungsauftrag im Vergleich hierzu lediglich nachrangig berührt werde.
Der Burkini-Fall
Am gleichen Tag, an dem eine Entscheidung in der o.g. Sache gefällt wurde, urteilte das BVerwG, dass muslimische Schülerinnen regelmäßig keine Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht verlangen können. Dies ergebe sich deshalb, da ihnen die Möglichkeit offen stehe, einen sogenannten Burkini zu tragen. Der Burkini (auch Burqini oder Bodykini) ist ein zweiteiliger Schwimmanzug für muslimische Frauen. Er ist aus Elastan gefertigt, hat eine integrierte Kopfbedeckung und erfüllt die Anforderungen des Hidschab (so Wikipedia). Die vorgenannte Linie zugunsten des staatlichen Erziehungsauftrages führt sich hier also fort.
Das BVerwG führt in seiner entsprechenden Pressemitteilung aus:

 Das Tragen eines Burkini war der Klägerin zumutbar. Die Klägerin hat nicht hinreichend verdeutlichen können, dass und inwiefern die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht bei Anlegen eines Burkini die aus ihrer Sicht maßgeblichen muslimischen Bekleidungsvorschriften verletzt hätte. Eine Befreiung war auch nicht deshalb geboten, weil sie im Schwimmunterricht den Anblick männlicher Mitschüler in Badekleidung hätte auf sich nehmen müssen. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter – einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung – konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind. Die Schulpflicht steht nicht unter dem Vorbehalt, dass die Unterrichtsgestaltung die gesellschaftliche Realität in solchen Abschnitten ausblendet, die im Lichte individueller religiöser Vorstellungen als anstößig empfunden werden mögen. Die Gefahr zufälliger Berührungen mit männlichen Mitschülern hätte durch eine entsprechend umsichtige Unterrichtsdurchführung seitens der Lehrer sowie durch eigene Vorkehrungen der Klägerin auf ein hinnehmbares Maß reduziert werden können.

14.09.2013/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-09-14 09:27:582013-09-14 09:27:58BVerwG: Keine Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen (Schwarze Magie / Burkini)
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit weiterführenden Hinweisen

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

In den letzten Tagen sind erneut eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch die verwaltungsgerichtliche Judikatur gegangen (siehe zur Examensrelevanz der aktuellen Judikatur hier). Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Problemkreisen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist es zumindest denkbar, dass die folgenden Sachverhalte zu gegebener Zeit auch als Aufhänger in Klausuren für das erste sowie zweite Staatsexamen Eingang finden werden.
Da die Pressemitteilungen der genannten Fälle die jeweils einschlägige Problematik bereits ausreichend erläutern, werden im Folgenden lediglich Auszüge aus den respektiven Mitteilungen zitiert, wobei jeweils am Ende auf weiterführende Lektüre hingewiesen wird.
VG Neustadt: Gewerberechtliche Untersagung einer „Seitensprungagentur“ (Beschluss vom 21.12.2012 – 4 L 1021/12.NW)

Der Antragsteller betrieb in Ludwigshafen eine sogenannte Seitensprungagentur nebst Partnervermittlung, ohne das Gewerbe angemeldet zu haben. Kunden übergab er gegen Entgelt eine Liste mit Telefonnummern von angeblich an Seitensprüngen oder einer näheren Beziehung interessierten Frauen. In der Folgezeit beschwerte sich bei der Stadt eine Frau über zunehmende telefonische Belästigungen von Männern. Sie habe dem Antragsteller ihre Daten nicht zur Verfügung gestellt. Eine Bundeszentralregisterauskunft ergab, dass der Antragsteller im Zeitraum 1997 – 2011 in 13 Fällen zu Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt worden war. Die Stadt untersagte diesem daraufhin wegen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit die Ausübung der Seitensprungagentur und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Bei der Ausübung einer «Seitensprungagentur» handelt es sich nach dem VG wegen der Schutzbedürftigkeit der Kunden und der Missbrauchsanfälligkeit um ein nach der Gewerbeordnung besonders überwachungsbedürftiges Gewerbe („Vermittlung von Eheschließungen, Partnerschaften und Bekanntschaften“, vgl. § 38 Abs. 1 Nr. 3 GewO). Nach dem Gesamteindruck des bisherigen Verhaltens des Antragstellers fehle diesem jedoch die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung eines solchen Gewerbes. Er sei in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zwar hätten die meisten der 13 im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten keinen Gewerbebezug. In ihrer Häufigkeit zeigten diese aber, dass der Antragsteller dazu neige, in strafbewehrter Weise die Rechtsordnung zu verletzen. Durch das bisherige gewerbliche Verhalten des Antragstellers sieht das VG die sich aufdrängende Prognose eines künftig rechtswidrigen Verhaltens bei der Ausübung des Gewerbes bestätigt. So habe er den Gewerbebetrieb erst angemeldet, nachdem ihn die Stadt dazu aufgefordert habe. Aus den Akten ergebe sich ferner, dass der Antragsteller Telefonnummern von Damen an potentielle Kunden weitergegeben habe, die ihm diese nicht zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt hätten.

Anmerkung: Das Gewerberecht ist äußerst häufig Gegenstand von Examensklausuren. Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der hiesigen Entscheidung, empfiehlt sich insofern die Lektüre des „Mini-Crashkurses Gewerbeordnung“. Im Übrigen ergingen erst kürzlich andere äußerst examensrelevante Entscheidungen zum Rechtsbegriff der Zuverlässigkeit – dies jedoch in einem anderen Kontext, nämlich dem Schornsteinfegerrecht, siehe dazu hier).
VGH Mannheim: Disziplinarische Maßnahme gegen Pfarrer gerichtlich nicht überprüfbar (Beschluss vom 18.12.2012 – 4 S 1540/12)

Einem katholischen Pfarrer im Ruhestand wurde vorgeworfen, in den 1960er Jahren sexuelle Handlungen an Minderjährigen vorgenommen zu haben. Der Bischof erteilte ihm mit Dekret vom 22.06.2011 nach kanonischem Recht einen Verweis und fügte dem eine Buße hinzu. Insoweit erlegte er dem Antragsteller eine 20-prozentige Kürzung seiner Bezüge auf.
Das Gericht nahm an, dass die kirchenrechtliche Gehaltskürzung als disziplinarische Maßnahme nach kanonischem Recht nicht der Kontrolle durch ein staatliches Gericht unterliegt. Zwar sei es den öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften überlassen, für Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen ihrer Beamten und Seelsorger den Rechtsweg zu staatlichen Verwaltungsgerichten wie bei Klagen staatlicher Beamter zu eröffnen. Eine solche kirchenrechtliche Rechtswegzuweisung gebe es hier aber nicht. Den Kirchen sei das Recht zur eigenständigen Ordnung und Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet. Soweit dieses Selbstbestimmungsrecht reiche, unterlägen sie nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Das gelte insbesondere für die Art und Weise, in der die Kirche ihren geistlich-religiösen Auftrag auffasse und erfülle. Insoweit gehöre auch das Dienstrecht der Geistlichen zum Kernbereich innergemeinschaftlicher Angelegenheiten der Kirchen. Diesbezügliche Entscheidungen der Kirchen und Kirchengerichte seien von den staatlichen Gerichten hinzunehmen.
Auch die Justizgewährungspflicht des Staates und das Rechtsstaatsprinzip ermächtigten staatliche Gerichte nicht, über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden, heißt es im Beschluss weiter. Denn die nach kanonischem Recht als Werk der Caritas auferlegte Buße in Gestalt einer Gehaltskürzung sei eine solche rein innerkirchliche Maßnahme als Folge eines innerkirchlichen Pflichtenverstoßes des Antragstellers. Das Disziplinarrecht der Kirchen wurzele als Teil ihres Amtsrechts in ihrem geistlichen Wesen und bilde einen Kern ihres Selbstbestimmungsrechts.

Anmerkung: Der hier dargestellte Sachverhalt eignet sich – aufgrund der Verneinung des Verwaltungsrechtswegs – weniger für eine Examensklausur. Wahrscheinlicher ist, dass dieser Sachverhalt im Rahmen von mündlichen Prüfungen abgefragt wird. Die Entscheidung ist insofern besonders interessant, da im Querschnitt noch weitere aktuelle Entwicklungen, etwa im kirchlichen Arbeitsrecht, in das Gespräch mit einfließen können (siehe dazu hier). Gleichzeitig bietet sich der Fall für den Prüfer als Eingangstor an, um verwaltungs- sowie verfassungsrechtliche Fragestellungen rund um die Religionsfreiheit zu erörtern (siehe dazu aktuell etwa hier).
VG Neustadt: Zur Entziehung der Fahrerlaubnis in einem Sonderfall (Urteil vom 18.12.2012 – 1 L 986/12.NW)

Der Antragsteller besitzt nur die Fahrerlaubnis für die Klassen M, L und S […]. Er fährt dementsprechend ein Elektrofahrzeug, dessen Geschwindigkeit auf 45 km/Std. beschränkt ist. Nach einem Unfallgeschehen mit dem Fahrzeug im Straßenverkehr wurde er mit rechtskräftigem Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt wegen Verkehrsunfallflucht und fahrlässiger Körperverletzung. Im Verkehrszentralregister wurden dafür 12 Punkte eingetragen und er nach dem im Punktesystem vorgesehenen Maßnahmenkatalog verwarnt. Die Straßenverkehrsbehörde forderte ihn darüber hinaus auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen und entzog ihm, nachdem er das Gutachten nicht vorlegte, die Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung zum Führen von Fahrzeugen im Straßenverkehr und ordnete den sofortigen Vollzug an.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Behörde das medizinisch-psychologische Gutachten nicht rechtmäßig angefordert, deshalb dürfe sie aus der unterbliebenen Vorlage des Gutachtens nicht den Schluss ziehen, dass der Antragsteller zum Führen von Fahrzeugen ungeeignet sei. Bei der Anordnung des Gutachtens habe sie ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt und sei nicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls eingegangen. Diese bestünden hier darin, dass der Antragsteller im Unterschied zum Regelfall eines Kraftfahrers nur deutlich in der Geschwindigkeit reduzierte Fahrzeuge führen dürfe und nach seinen Angaben zudem nur einen eingeschränkten örtlichen Bereich befahre. Außerdem sei bei der Ermessensausübung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er durch die Verwarnung und den Strafbefehl nachdrücklich im Hinblick auf seine Pflichten als Verkehrsteilnehmer ermahnt worden sei. Der Gesetzgeber gehe grundsätzlich davon aus, dass die abgestuften Maßnahmen nach dem Punktekonto im Verkehrszentralregister ausreichend seien, auch dies habe in die Ermessenserwägungen mit einbezogen werden müssen.

Anmerkung: Fälle zur Entziehung des Führerscheins werden durchaus Gegenstand von Examensklausuren. Zum Verständnis des einschlägigen Rechtsrahmens, der FeV sowie dem StVG, sei aus diesem Grund auf einen weiterführenden Beitrag verwiesen.

11.01.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-01-11 15:30:092013-01-11 15:30:09Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit weiterführenden Hinweisen
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle verwaltungsrechtliche Themen

Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verwaltungsrecht

In den letzten Tagen sind eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch Presse und Judikatur gegangen. Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Problemkreisen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist bei den folgenden Sachverhalten zumindest denkbar, dass diese – wenigstens als Aufhänger – auch in Klausuren Eingang finden.
Di Fabio: Beamtenstreik ist und bleibt rechtswidrig

Das Streikverbot für Beamte duldet nach Ansicht des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio keine Ausnahmen. Warnstreik-Aktionen von verbeamteten Lehrern im Jahr 2010 seien mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht vereinbar und Sanktionen des Dienstherren gegen die Betroffenen deshalb rechtens, sagte di Fabio am 31.10.2012 in Berlin bei der Präsentation eines vom dbb Beamtenbund und Tarifunion in Auftrag gegebenen Gutachtens (Quelle: Beck aktuell). Wir berichteten bereits ausführlich über die höchst examensträchtige Problematik des Streikrechts von Beamten (siehe dazu unbedingt hier).

VerfGH Bayern: Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern zulässig

Der bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat ein Volksbegehren der Freien Wähler gegen die Studiengebühren in Bayern zugelassen und folgt dabei der Argumentation der Antragsteller, dass «Haushaltsfragen» nicht das Thema seien (Quelle: Beck aktuell). Fragestellungen rund um Volksentscheide und plebleszitäre Elemente der Demokratie waren bereits mehrfach Aufhänger für Examensklausuren (siehe zu diesen Themen deshalb umfassender hier).

VG Gießen: Verbot einer Tanzveranstaltung am Karfreitag rechtmäßig

Das VG Gießen hat entschieden, dass die Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 03.04.2012, mit dem eine vom Kläger angemeldete „Tanzdemo“ unter dem Motto „Tanzen gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen“ verboten worden war, rechtens war (siehe zu dieser Entscheidung die umfassende Pressemitteilung des Gerichts). Eine ähnliche Fragestellung, die auch bereits Gegenstand von Examensklausuren war, wurde im Jahr 2009 vom BVerfG entschieden (siehe dazu unseren Beitrag hier).

04.11.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-11-04 11:26:542012-11-04 11:26:54Aktuelle verwaltungsrechtliche Themen
Dr. Stephan Pötters

Berliner Gesetzgeber reagiert auf BVerfG-Urteil: Nur noch zwei verkaufsoffene Sonntage

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Advent, Advent – kein Ladenlicht brennt?
Bereits vor einiger Zeit hatten wir über die recht klausurrelevante Entscheidung des BVerfG zum Berliner Ladenöffnungsgesetz berichtet, das nach Ansicht der Karlsruher Richter gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit und die Weimarer Kirchenartikel verstößt.
Zur Erinnerung: Das BVerfG entschied, dass die Regelung mit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm Art. 140 GG und Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) unvereinbar sei. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG werde in seiner Bedeutung als Schutzverpflichtung des Gesetzgebers durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für den Sonn- und Feiertagsschutz aus Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) konkretisiert, der neben seiner weltlich-sozialen Bedeutung in einer religiös-christlichen Tradition wurzele. Danach sei ein Mindestniveau des Schutzes der Sonntage und der gesetzlich anerkannten kirchlichen Feiertage durch den Gesetzgeber zu gewährleisten.
Reaktion des Gesetzgebers – verfassungskonform?
Der Berliner Gesetzgeber hat nun reagiert und erlaubt nur noch eine Öffnung an zwei Adventssonntagen. Dies dürfte nun wohl verfassungskonform sein, auch wenn es weiterhin einige Ausnahmen und zahlreiche weitere verkaufsoffene Sonntage geben wird.
Ob man die Meinung des BVerfG in unserer säkularen Welt teilen möchte, ist natürlich eine ganz andere Frage. Aber der Wortlaut des GG (bzw hier in erster Linie der Wortlaut des „inkorporierten“ Art. 139 WRV) spricht wohl eine recht eindeutige Sprache.

12.10.2010/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2010-10-12 08:37:352010-10-12 08:37:35Berliner Gesetzgeber reagiert auf BVerfG-Urteil: Nur noch zwei verkaufsoffene Sonntage

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