Heute hat der BGH entschieden, dass die Deutsche Post AG die Publikation „Klartext“ der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag als Postwurfsendung verteilen muss (BGH, Urteil vom 20.9.2012 – I ZR 116/11, hier die Pressemitteilung, auf der diese Nachricht beruht und aus der die Zitate stammen).
Die Entscheidung selbst (I.) ist wegen der Verortung im Regulierungsrecht weniger prüfungsrelevant, dafür umso mehr für die WG-Diskussion geeignet und damit Teil der juristischen Allgemeinbildung. In abgewandelter Form eignet sich der Sachverhalt jedoch hervorragend für die mündliche Prüfung. (II.).
I. BGH: Anspruch aus § 3 PUDLV
Das Postregulierungsrecht findet sich im PostG und der Postdienstleistungsverordnung (PUDLV), wobei europarechtliche Vorgaben zu beachten sind. Entscheidendes Element des Regulierungsrechts ist die Vorgabe gem. §§ 11ff PostG, dass ein Mindestangebot an Postdienstleistungen nach § 4 Nr. 1 flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden muss (Universaldienst, vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 PostG). Zum Anbieten eines solchen Universaldienstes können Postunternehmen verpflichtet werden (vgl. § 13 Abs. 2 S. 1 PostG). In Deutschland ist momentan die Deutsche Post AG als einziges Postunternehmen zum Universaldienst verpflichtet.
Damit haben Kunden ihr gegenüber aus § 3 PUDLV im Rahmen der Gesetze und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Anspruch auf Erbringung der vom Universaldienst (vgl. § 4 Nr. 1 PostG) erfassten Leistungen. Der BGH zitiert übrigens in seiner Pressemitteilung fälschlicherweise § 2 PUDLV; seine Ausführungen passen dazu aber nicht und er gibt selbst am Ende der Pressemitteilung den Text von § 3 PUDLV wieder, es wird sich also um einen Tippfehler handeln.
Der BGH hat festgestellt, dass die Beförderung der NPD-Sendung vom Universaldienst erfasst ist. Was genau hierunter fällt, ist im Grundsatz eine Frage des Postregulierungsrechts und daher nicht weiter für das Examen oder sonst verallgemeinerungsfähig.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die hier nachgefragte Leistung eine solche Universaldienstleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) […] darstellt. Bei der Publikation handelt es sich um eine periodisch erscheinende Druckschrift, die zu dem Zweck herausgegeben wird, die Öffentlichkeit über Tagesereignisse, Zeit oder Fachfragen durch presseübliche Berichterstattung zu unterrichten. […] Den Einwand der Deutschen Post, dass es sich bei der in Rede stehenden Publikation nicht um eine periodisch erscheinende Druckschrift handelt, hat der BGH nicht gelten lassen. Ausreichend hierfür ist, dass die Druckschrift nach ihrer Aufmachung – anders als ein Flugblatt – auf das für eine Zeitung oder Zeitschrift übliche periodische Erscheinen angelegt ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie trotz dieser Aufmachung nur gelegentlich publiziert werden soll. […] Auch der Umstand, dass die fraglichen Druckschriften nicht adressiert sind, steht der Einordnung als Universaldienstleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 PUDLV, § 4 Nr. 1 Buchst. c PostG […] nicht entgegen. Soweit der Empfängerkreis hinreichend bestimmt ist, unterliegt die Beförderung von nicht adressierten Sendungen keinen für die Beklagte unzumutbaren Schwierigkeiten und trägt dem Bedürfnis Rechnung, auch die Beförderung von Massendrucksachen zu ermöglichen, die sich an eine Vielzahl von Empfängern richten.
Wichtig ist dann aber, dass der BGH klarstellt, dass dieser – dem Gesetzeswortlaut nach klar gegebene – Anspruch auch für die NPD gilt. Er stellt klar, dass auch rechtsradikale, aber nicht verbotene Gruppierungen in gleichem Maße ihre Meinung verbreiten können wie andere. Es besteht insofern eine aus Art. 5 GG herzuleitende staatliche Pflicht zur Neutralität. Diese muss bei der Auslegung der vom Staat auferlegten Verpflichtungen zum Universaldienst beachtet werden. In der Sache geht es also um die mittelbare Geltung der Grundrechte auch im Zivilrecht. Flankierend kann auch auf die Wertung der Art. 3 Abs. 3 GG (keine Diskriminierung wegen politischer Anschauung) und Art. 21 GG (Parteiverbot nur durch BVerfG) verwiesen werden. All das spielt auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Kündigungen wegen NPD-Mitgliedschaft im Arbeitsrecht eine Rolle.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts darf der Umstand, dass die Publikation der Werbung für die Politik und Arbeit der Klägerin dient, auf die Entscheidung keinen Einfluss haben. Die Einordnung als Universaldienst verfolgt mit dem dadurch bestimmten Beförderungszwang das Ziel, zur Förderung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit Erzeugnisse der Presse dem Empfänger so günstig wie möglich zuzuführen. Die Pressefreiheit begründet für den Staat jedoch eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Um die flächendeckende Grundversorgung mit Postdienstleistungen sicherzustellen, sieht die gesetzliche Regelung vor, dass die Lizenzträger, zu denen die Deutsche Post zählt, verpflichtet sind, bestimmte Postdienstleistungen, sogenannte Universaldienstleistungen, zu erbringen. […] Ausgeschlossen wäre die Beförderung allerdings dann, wenn besondere Ausschlussgründe vorliegen, etwa weil der Inhalt der Publikation gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PUDLV) oder rassendiskriminierendes Gedankengut enthält (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 PUDLV). Dazu hatte die Deutsche Post jedoch nichts vorgetragen.
Die Meinungs- und Pressefreiheit findet wiederum gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PUDLV ihre Schranke in dem Verstoß gegen Strafgesetze und den Rechten anderer.
Noch ein Wort aber zur Natur und Intensität der Grundrechtsbindung hier: Es handelt sich M.E. um die „normale“ mittelbare Drittwirkung, wie sie auch einem gänzlich privaten Unternehmen gegenüber bestehen würde. Die Fraport-Grundsätze (dazu sogleich, II.) sind nur bei Unternehmen, die sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befinden, anwendbar. Allenfalls ergibt sich hier aus funktionalen Gesichtspunkten (Anbieten von „Daseinsvorsorge“) eine etwas stärkere mittelbare Drittwirkung der Grundrechte. Dies gälte dann aber auch für rein Private, welche die gleiche Funktion ausüben (vgl. zu diesem funktionalen Ansatz meinen Beitrag zur Fraport-Entscheidung, Link unten unter II).
II. Ohne Regulierungsrecht: Anspruch auf Beförderung gegenüber öffentlichen Unternehmen?
Wandelt man den Fall nur leicht ab, eignet er sich hervorragend für die mündliche Prüfung im öffentlichen Recht. Geht man davon aus, dass kein spezielles Regulierungsrecht existiert und dass die Anteile der Deutschen Post AG mehrheitlich von der öffentlichen Hand gehalten werden (was tatsächlich nicht mehr der Fall ist), können in der mündlichen Prüfung die in der Fraport-Entscheidung entwickelten Grundsätze zur unmittelbaren Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen abgeprüft werden.
Als Folgefragen kommen dann etwa noch in Betracht: zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Anspruch? Wohl eher ersteres, weil die Leistungen auf zivilrechtlicher Grundlage angeboten werden und außerdem die Post zivilrechtlich verfasst ist (AG). Dann: zivilrechtlicher Kontrahierungszwang unmittelbar aus den Grundrechten oder über Umweg des § 242 BGB? Was ist mit der Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 ParteiG (wohl eher nicht, Post als zivilrechtliche AG kein Träger öffentlicher Gewalt)?