Die Krise in Rumänien ist momentan in der Presse allgegenwärtig. Für den unbefangenen Beobachter passen die Entwicklungen dort – insbesondere die Entlassung des Präsidenten durch das Parlament ohne rechtliche Grundlage – eher in eine entfernte Bananenrepublik als in einen EU-Mitgliedsstaat. Was für Mittel bestehen aber, auf Rumänien einzuwirken? Was kann die EU, was kann Deutschland tun?
Grundsätzlich darf sich ein Staat nicht in die Belangen eines anderen einmischen. Dem steht der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) entgegen. Damit gilt im Prinzip: Was in Rumänien geschieht – ob dort demokratische oder rechtsstaatliche Strukturen bestehen oder nicht – ist eine innere Angelegenheit, in die sich andere Staaten nicht einmischen dürfen.
Das gilt jedoch insbesondere dann nicht, wenn Rumänien sich selbst völkerrechtlich zu Mindeststandards verpflichtet hat. Dies hat es namentlich durch den Beitritt in die EU und zu der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) getan. Die EU hat mit Kommission und Gerichtshof stärkere Institutionen zur Durchsetzung ihres Rechts als die EMRK mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Deshalb hat der ähnliche, aber vielleicht nicht ganz vergleichbare Fall Ungarns auf der Ebene der EU gespielt und deshalb liegt auch im Falle Rumäniens das Hauptaugenmerk auf dem Handeln der EU Kommission (ZEIT: „EU-Kommission schaltet sich in Machtkampf ein„). Entsprechend betrachtet dieser Artikel nur das Recht der EU und blendet die EMRK aus.
Die EU-Kommission hat insbesondere als wichtiges Mittel der Rechtsdurchsetzung das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258f. AEUV zu Gebote (hier gibt es Details ). Voraussetzung für dieses ist allerdings das Vorliegen einer Vertragsverletzung. Liegt diese in der illegalen Entlassung des Präsidenten?
Automatisch stellt diese jedenfalls keine Vertragsverletzung dar. Man muss vielmehr eine konkrete Norm, die verletzt wurde, benennen können. Im Falle Ungarns hat die EU insbesondere eine Verletzung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art. 47 der Grundrechtscharta) gerügt. Zwar gilt auch dieses nur für die Verletzung von Rechtspositionen, die von EU-Recht garantiert werden. Wenn jedoch in einem Land nur ein Gerichtswesen besteht, muss dieses ingesamt den Vorgaben des Art. 47 genügen. Er ist also eine Norm, welche das Justizsystem insgesamt europäischen Vorgaben unterwirft. Anders wäre das freilich, wenn ein Land zwei separate Justizsystem schaffen wollte, nämlich eines für Rechtsschutz im Anwendungsbereich des Unionsrechts und ein anderes für „rein nationales“ Recht..
I. Art. 47 GRC – Unabhängigkeit der Justiz?
Im Fall Rumäniens wird auch auf die Unabhängigkeit der Justiz abgestellt, da der dortige Präsident als Verfechter derselben gab und der Angriff auf ihn in Zusammenhang mit Versuchen interessierter Kreise gesehen wird, die Justiz wieder ihrer Kontrolle zu unterstellen (vgl. etwa „Rumänien: So sprechen Putschisten“ in der FAZ). Es ist allerdings schwierig, hier den Zusammenhang nachzuweisen. Ich denke nicht, dass dies auf der Grundlage der bisherigen Ereignisse, die keinerlei unmittelbaren Bezug zur Justiz haben, gelingen wird. Somit stellt sich die Frage, ob die illegale Amtsenthebung (ich unterstelle das entsprechend den Presseberichten) des Präsidenten EU-Recht auf andere Weise verletzt.
II. Art. 2 EU – Rechtsstaatlichkeit, Demokratie
In Betracht kommt insbesondere eine Verletzung der grundlegenden Werte der Union, wie sie in Art. 2 EUV niedergelegt sind:
Artikel 2 [Grundlegende Werte]
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
Diese Rechte gelten nicht nur im Anwendungsbereich des Unionsrechts sondern für die gesamte Rechtsordnung der Mitgliedsstaaten (s. KOM(2003) 606 endgültig vom 15. 10. 2003; Calliess/Ruffert, Art. 7 EUV Rn. 4 mwNM vgl. auch Calliess/Ruffert, Art. 2 Rn. 10). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut („allen Mitgliedsstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam..“) wie auch aus dem Zweck, eine gemeinsame Wertgrundlage der Union zu schaffen. Auch das Sanktionsverfahren nach Art. 7 – dazu sogleich – deutet darauf hin.
Zunächst könnte man in der Amtsenthebung eine Verletzung demokratischer Grundsätze sehen, da der Präsident unmittelbar vom Volk gewählt wurde, seine illegale Amtsenthebung dessen Willen konterkariert. Außerdem sind auch rechtsstaatlichen Grundsätze gefährdet.
Freilich führt noch nicht jede illegale Handlung gleich zur Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit eines Staates und verstößt damit gegen Art. 2 EUV. Ansonsten wäre jede Rechtsüberschreitung durch einen einzelnen Polizisten gleich eine Verletzung der grundlegenden Werte der Union. Art. 2 ist daher erst verletzt wenn es insgesamt zu einem Absinkden des rechtsstaatlichen bzw. demokratischen Niveau eines Staates unter das europäische Mindestmaß kommt – denn es sind eben grundlegende Werte, was eine institutionelle Betrachtung erfordert: Erst wenn das Rechtssystem eines Landes insgesamt nicht mehr rechtsstaatlich ist, kann man von einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips sprechen. In diesem Sinne verlangt auch Art. 7 für Sanktionen stets die „schwerwiegende Verletzung“ der Werte.
Im Falle Rumäniens freilich kann man eine schwerwiegende Verletzung durchaus bejahen. Zwar ist das Handeln gegen den Präsidenten soweit bekannt einmalig – gleichzeitig jedoch handelt es sich um einen exzeptionell schweren Verstoß. Er hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die Machtbalance und damit auf das politische Leben in Rumänien, es handelt sich um einen öffentlichen und besonders dreisten Verstoß. Insgesamt ist er M.E. mithin geeignet, die Rechtsstaatlichkeit Rumäniens und die Einhaltung des Demokratieprinzips insgesamt in Frage zu stellen (a.A. natürlich genauso vertretbar..).
III. Durchsetzung – Art. 7 EU und Artt. 258f. AEUV
Mithin kann der Verstoß also Grundlage entweder für ein Vorgehen nach Art. 7 EU sein oder aber für ein – daneben anwendbares (vgl. Calliess/Ruffert, Art. 7 Rn. 29) – Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258f. AEUV. Das Verfahren nach Art. 7 ist allerdings äußerst schwerfällig. Ich denke nicht, dass es irgendwohin gelangen wird. Auch ein Vertragsverletzungsverfahren wird nicht nötig sein. Wie im Falle Ungarns wird die Drohung damit bereits dafür sorgen, dass in Rumänien wieder Rechtsstaatlichkeit hergestellt wird.