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Schlagwortarchiv für: Arbeitsplatz

Dr. Deniz Nikolaus

EGMR: Das sichtbare Tragen eines Kruzifix am Arbeitspatz ist von der Religionsfreiheit grundsätzlich geschützt

Rechtsprechung, Startseite

Der EGMR (ECHR 012 (2013)) hat am 15.01.2013 entschieden, dass das sichtbare Tragen eines Kruzifixes am Arbeitsplatz grundsätzlich von der Religionsfreiheit geschützt ist. Dies ist nur im Einzelfall, nämlich dann, wenn die Religionsfreiheit mit kollidierenden Rechten anderer nicht in Einklang zu bringen ist, anders. Während eine British-Airways-Stewardess bei der Arbeit eine Kette mit Kreuz tragen darf, ist dies einer Krankenschwester nach Ansicht des Gerichts vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit indessen nicht zwingend zu gestatten. Mit Eintritt der Rechtskraft wird diese Entscheidung für alle 46 Mitgliedsländer des Europarates, die die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert haben, bindend. Gerügte Staaten sind angehalten, ihre Gesetze entsprechend zu ändern und anzupassen.
Die (noch nicht im Volltext vorliegende) Entscheidung steht im Einklang mit der Kruzifix-Entscheidung des EGMR aus dem Jahre 2011, in der die Straßburger Richter Kreuze in italienischen Klassenräumen für zulässig hielten (wir berichteten dazu hier, zu Kopftuch und anderen religiösen Bekleidungsstücken, siehe hier).
Sachverhalt
Geklagt hatten zwei praktizierende Christinnen britischer Staatsangehörigkeit. Eine davon war Angestellte des Bodenpersonals der Fluggesellschaft British Airways und die andere Krankenschwester in einem Krankenhaus. Beide sahen sich durch eine Anordnung ihres Arbeitgebers, ihre Kruzifixe bei der Arbeit unter der Kleidung zu tragen, in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Die Kleiderordnung der Fluggesellschaft British Airways sah eine Uniform vor und untersagte den Mitarbeitern, Schmuck oder jegliche religiöse Symbole ohne Erlaubnis offen zu tragen. Dagegen erlaubte die Fluggesellschaft muslimischen Frauen oder Sikhs, ein Kopftuch beziehungsweise einen Turban in den Farben der Uniform zu tragen.
Im Fall der Krankenschwester verboten die einschlägigen Bestimmungen das Tragen von Schmuck im Krankenhaus aus gesundheitlichen und sicherheitsrechtlichen Gründen, da die Patienten sich bei unbedachten Bewegungen an der Kette verletzen oder bei offenen Wunden infizieren könnten.
Beide Klägerinnen behaupteten, das sichtbare Tragen des Kreuzes sei ein wichtiger Bestandteil der Manifestation ihres Glaubens. Sie fühlten sich daher durch das Verbot diskriminiert.
Entscheidung
Der EGMR entschied im Fall der Flugbegleiterin, dass das Verbot der Fluggesellschaft,keine sichtbaren Kreuze tragen zu dürfen, einen Verstoß gegen Artikel 9 (freedom of religion) EMRK darstellt. Die Richter wogen die Religionsfreiheit der Mitarbeiterin und das (von der Fluggesellschaft vorgebrachte) entgegenstehende Interesse, ein bestimmtes öffentliches Image zu wahren, gegeneinander ab und entschieden zu Gunsten der Klägerin. Ihren religiösen Glauben nach außen zu manifestieren überwiege im Lichte der Religionsfreiheit das (grundsätzlich ebenfalls anzuerkennende) Interesse der Fluggesellschaft. Die Richter sprachen der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 2000 Euro zu.
Anders lag nach Ansicht des Gerichts der Fall der christlichen Krankenschwester. Hier stehe der Religionsfreiheit der Klägerin der Schutz der Gesundheit der Patienten gegenüber. Es bestünde nämlich die (aus Sicht der Klinikleitung begründete) Gefahr, dass sich die (vornehmlich älteren) Patienten an dem offen getragenen Kreuz verletzen könnten. Insoweit überwiegt nach Ansicht des Gerichts der Gesundheitsschutz die durch Artikel 9 in Verbindung mit Artikel 14 (prohibition of discrimination) EMRK geschützte Religionsfreiheit der Krankenschwester.
Kruzifix-Entscheidung des BVerfG
Um die Entscheidung in den nationalen Kontext einordnen zu können, soll an dieser Stelle auf die aufsehenerregende Kruzifix-Entscheidung des BVerfG vom 10. August 1995 (BVerfGE 93, 1) eingegangen werden. Hier wurde der Verfassungsbeschwerde dreier minderjähriger schulpflichtiger Kinder und ihrer Eltern stattgegeben, die sich gegen die Anbringung von Kruzifixen und Kreuzen in bayrischen Klassenzimmern gewandt hatten. Die Anbringung von Kruzifixen beruhte auf einer Rechtsverordnung für die Volksschulen in Bayern (VSO) dessen einschlägiger Teil in § 13 Abs. 1 S. 2 wie folgt lautete:

…In jedem Klassenzimmer ist ein Kreuz anzubringen…

Daraufhin hielt das BVerfG in seinem Leitsatz fest:

Die staatlich angeordnete Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG.

Der Senat des BVerfG stellte vorerst auf die Verletzung der Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ab. Zur Freiheit der positiven Ausübung umfasse die Glaubensfreiheit aber auch, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese negative Freiheit beziehe sich ebenfalls auf Glaubenssymbole. Dem Staat sei durch Art. 4 Abs. 1 GG eine Pflicht auferlegt, Einzelnen oder religiösen Gemeinschaften einen Betätigungsraum zur Entfaltung zu sichern und vor Angriffen konkurrierender Religionsgruppen zu schützen. Allerdings entfalte Art. 4 Abs. 1 GG keinen Anspruch des Einzelnen darauf, durch staatliche Hilfe seiner religiösen Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Dies folge aus dem Grundsatz staatlicher Neutralität. Der Staat könne die friedliche Koexistenz nur bewahren, wenn er in Glaubensfragen Neutralität bewahre. Dieses Gebot fände seine Grundsätze neben Art. 4 Abs. 1 GG auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 11 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV.
Im Anschluss daran erwog das BVerfG die Verletzung der Glaubensfreiheit durch § 13 Abs. 1 S. 3 VSO. Die staatliche Anbringung des Kreuzes führe dazu, dass die Schüler ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert seien und gezwungen würden, „unter dem Kreuz zu lernen“ (Kreuz als Zwangselement). Das Kreuz (mit oder ohne Korpus) sei das spezifische Glaubenssymbol der Christen und nicht nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur. Für Nichtchristen und Atheisten sei das Kreuz gerade wegen der Bedeutung Symbol der „missionarischen Ausbreitung“ bestimmter Glaubensüberzeugungen. Ein staatliches Bekenntnis zu diesem Glaubensinhalt berühre daher die Religionsfreiheit.
Im dritten Teil befasste sich das BVerfG mit einer möglichen Rechtfertigung. Da das Grundrecht auf Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet wird, muss sich die Einschränkung aus der Verfassung selbst ergeben. Als Erstes wurde eine Rechtfertigung aus Art. 7 Abs. 1 GG (staatliche Schulhoheit) angesprochen. Art. 7 Abs. 1 GG erteile dem Staat ein Erziehungsauftrag unabhängig von den Eltern. Problematisch hierbei ist jedoch, dass in der Schule unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Überzeugungen der Schüler und ihrer Eltern intensiv aufeinander treffen. Um diesen Konflikt zwischen verschiedenen Grundrechtsträgern zu lösen, zieht das BVerfG den Grundsatz der „praktischen Konkordanz“ heran. Dieser Grundsatz fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet werden darf, sondern dass alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Ein solcher Ausgleich könne aber nicht dazu führen, dass alle kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen abgestreift werden. Allerdings sei es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, allen Erziehungsvorstellungen voll Rechnung zu tragen. Das Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit sei mithin vom Landesgesetzgeber unter Berücksichtigung des Toleranzgebotes zu lösen. Dem Landesgesetzgeber sei die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht verboten. Voraussetzung sei jedoch, dass damit nur das unerlässliche Minimum an Zwangselementen verbunden ist. Im vorliegenden Fall überschreite die staatlich angeordnete Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern die Grenzen religiös-weltanschaulicher Ausrichtung der Schule. Art. 7 Abs. 1 GG als Einschränkung der Glaubensfreiheit wurde daher im Ergebnis verneint.
Weiterhin wurde auch eine Rechtfertigung der Anbringung der Kreuze aufgrund der positiven Glaubensfreiheit der Eltern und Schüler christlichen Glaubens abgelehnt. Gerade das Grundrecht der Glaubensfreiheit bezwecke in besonderem Maße den Schutz von Minderheiten, so dass es keine Bedeutung habe, dass die Anhänger christlichen Glaubens im Klassenzimmer in der Mehrheit seien.
Fazit
Diese Entscheidung des BVerfG ist nicht als Widerspruch zu den Entscheidungen des EGMR zu betrachten. Als säkularer Staat ist Deutschland grundsätzlich religionsfreundlich, sog. „offene Neutralität“. Jedoch wurde die Neutralität vom Gericht nicht, wie teilweise angenommen, im Sinn eines Laizismus gedeutet, der die Entfernung aller religiösen Elemente aus dem öffentlichen Leben verlangt. Es wurde ausdrücklich anerkannt, dass religiöse Bezüge auch in den Bereich des öffentlichen Schulwesens hineinwirken können. Das Gericht hat sich nur von der staatlich angeordneten Anbringung von Kreuzen ohne Ausgleichsregelung distanziert, nicht von Kreuzen in Klassenzimmern generell.
Wie die aktuelle Entscheidung des EGMR noch einmal verdeutlicht, gilt auch in Europa auf Grundlage der EMRK die Religionsfreiheit. Sie ist sowohl von den Mitgliedsstaaten als auch von den Staatsangehörigen (namentlich in Person der Arbeitgeber) zu achten. Allerdings gilt die Religionsfreiheit auch insoweit nicht uneingeschränkt. Insbesondere wenn höherrangige Interessen wie gesundheitliche und sicherheitsrechtliche Aspekte entgegenstehen, kann diese eingeschränkt werden. Pauschale Verbote, Religionssymbole am Arbeitsplatz sichtbar zu tragen, verstoßen aber grundsätzlich gegen Artikel 9 EMRK.
 

22.01.2013/1 Kommentar/von Dr. Deniz Nikolaus
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Deniz Nikolaus https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Deniz Nikolaus2013-01-22 10:00:422013-01-22 10:00:42EGMR: Das sichtbare Tragen eines Kruzifix am Arbeitspatz ist von der Religionsfreiheit grundsätzlich geschützt
Dr. Deniz Nikolaus

BAG: Zulässigkeit der verdeckten Videoüberwachung am Arbeitsplatz

Arbeitsrecht, Rechtsprechung, Referendariat, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Urteil vom 21.06.2012 – 2 AZR 153/11 Stellung zu der Frage genommen, unter welchen Voraussetzungen die heimliche Videoüberwachung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zulässig ist. In den Entscheidungsgründen wird Stellung genommen erstens zu den Voraussetzungen eines Kündigungsgrundes, zweitens zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung durch den Arbeitgeber und drittens zum Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes bei einer Videoüberwachung im Hinblick auf § 6b Abs. 2 BDSG.

Die Frage der Zulässigkeit einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz stellt sich in einer Klausur bei der Prüfung eines wirksamen Kündigungsgrundes. Wenn die Videoüberwachung unzulässig ist und das einzige Beweisstück für die Verfehlung darstellt, so darf der Arbeitgeber diese nicht im Prozess verwerten und die Kündigung ist unwirksam.

1. Sachverhalt

Die Klägerin arbeitete seit 1990 als Verkäuferin bei der Filiale des beklagten Einzelhandelsunternehmens. Da im Bereich „Tabakverkauf“ Inventurdifferenzen auftraten, ließ die Beklagte für drei Wochen mit Zustimmung des Betriebsrats eine verdeckte Videoüberwachung unter anderem im Kassenbereich durchführen. Die Aufzeichnungen ergaben, dass die Klägerin an zwei Tagen nach Geschäftsschluss Zigaretten entwendete. Nach Anhörung des Betriebsrates kündigte ihr die Beklagte. Hiergegen erhob die Klägerin rechtzeitig Klage und bestritt die ihr vorgeworfenen pflichtwidrigen Handlungen.

Vor dem BAG streiten die Parteien nunmehr über die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

2. Verhaltensbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt

Das BAG hat festgestellt, dass im vorliegenden Fall die ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt war.

[Zur Erinnerung: grundsätzlich ist bei einer ordentlichen Kündigung ein Kündigungsgrund entbehrlich. Anderes gilt aber, wenn die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) erfüllt sind. Ist das KSchG anwendbar, muss die Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Hierunter fällt auch ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund. Bei der Prüfung der verhaltensbedingten Kündigung ist dann an erster Stelle abstrakt zu prüfen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers grundsätzlich dazu geeignet ist, eine Kündigung auszusprechen. Auf zweiter Stufe folgt eine Interessenabwägung, in der die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls einbezogen werden müssen. Die Prüfung der verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung folgt damit dem Prüfungsschema der außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB. Der wesentliche Unterschied zur außerordentlichen Kündigung ist, dass die Gründe bei der ordentlichen Kündigung nicht so schwer sein müssen. Da die außerordentliche Kündigung als „ultima-ratio“ Maßnahme zu verstehen ist, muss der wichtige Grund so schwer wiegen, dass dem Arbeitgeber noch nicht einmal das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Im Gegensatz dazu ist eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung schon dann sozial gerechtfertigt, wenn ein verständig urteilender Arbeitgeber bei Abwägung der wechselseitigen Interessen kündigen würde. Maßstab ist insoweit das Prognoseprinzip. Eine negative Prognose liegt vor, wenn die Vertragsstörung so geartet war, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig seine Vertragsplichten nicht ordnungsgemäß erfüllen.]

Das BAG führte auf erster Stufe aus, dass die Klägerin durch die heimliche Wegnahme der Zigaretten am Arbeitsplatz eine rechtswidrige und vorsätzliche Handlung unmittelbar gegen das Vermögen der Arbeitgeberin begangen habe. Sie habe in schwerwiegender Weise die schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt und das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht. Ein solches Verhalten sei daher grundsätzlich geeignet, eine Kündigung auszusprechen. Dieses Verhalten sei sogar dann zum Ausspruch einer Kündigung geeignet, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem geringfügigen Schaden geführt hat. Maßgebend sei der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (dies entspricht der ständigen Rechtsprechung, wie auch im Fall „Emmely“ – BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 Rn. 27-  wo die Klägerin in unzulässiger Weise Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro einlöste, siehe hierzu auch hier).

Auf zweiter Stufe stellte der Senat fest, dass das Verhalten der Klägerin auch unter Berücksichtigung einer Interessenabwägung dazu geeignet war, die Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe heimlich und vorsätzlich das in sie gesetzte Vertrauen als Verkäuferin zu einer Schädigung des Vermögens der Beklagten missbraucht. Eine Wiederherstellung des Vertrauens sei auch angesichts der unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit der Klägerin von 18 Jahren und des geringen Wertes der entwendeten Gegenstände nicht zu erwarten. Dem Senat kommt es vorliegend entscheidend darauf an, wie die schädigende Handlung durchgeführt wurde. Er führt aus:

„Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt auf Heimlichkeit angelegt ist – […} – oder nicht.“

Weil das Verhalten der Klägerin „auf Heimlichkeit angelegt“ war, wertete das BAG die Interessen der Beklagten am Ausspruch der Kündigung als höherrangig.

Exkurs: Mit dieser Entscheidung hält der Senat an seiner im Fall „Emmely“ (BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09) eingeschlagenen Linie fest. Hiernach sind rechtswidrige Handlungen gegen das Vermögen des Arbeitgebers nur abstrakt auf erster Stufe geeignet, eine Kündigung auszusprechen. Auf zweiter Stufe muss trotz der schweren Verfehlung eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Siehe dazu hier.

3. Voraussetzungen für eine heimlichen Videoüberwachung durch den Arbeitgeber

Der Senat hat die Frage, ob den Videoaufzeichnungen ein prozessuales Verwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinem Persönlichkeitsrecht der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entgegenstand, nicht abschließend beantwortet. Hinsichtlich dieser Frage hat der Senat den Fall zurück an das Landesarbeitsgericht verwiesen. Dennoch wurden Ausführungen zu den Kriterien einer zulässigen Videoüberwachung gemacht.

Im Rahmen der Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung ist danach grundsätzlich zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Es ist also eine Abwägung zwischen den Interessen an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (siehe hierzu Palandt, § 823 BGB Rn. 112) vorzunehmen. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Das BAG hat sich – einer früheren Entscheidung folgend (BAG, 27. März 2003, 2 AZR 51/02) – auf Kriterien berufen, nach denen eine heimliche Videoüberwachung durch den Arbeitgeber gerechtfertigt (und deshalb zulässig) ist. Dies ist der Fall, wenn:

  • der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht
  • weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzige verbleibende Mittel darstellt und
  • sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.

Diese Kriterien hat das BAG dahingehend ergänzt, dass der Verdacht sich gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten muss. Auch darf der Verdacht keine allgemeine Mutmaßung darstellen, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich jedoch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein.

Aufgrund der Zurückweisung muss das Landesarbeitsgericht nun feststellen, ob die von der Beklagten vorgetragene Inventurdifferenz tatsächlich vorgelegen hat. Auch muss geklärt werden, auf welche Tatsache sich der Verdacht gründete, dass Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluss auf die behauptete Inventurdifferenten gehabt hätten und welcher eingrenzbare Kreis von Mitarbeitern von diesem Verdacht betroffen war. Auch muss beurteilt werden, ob nicht weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung in Betracht gekommen wären.

4. Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum, § 6b Abs. 2 BDSG

Darüber hinaus stellte das BAG ausdrücklich fest, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht schon aus einer Verletzung des Gebots des § 6b Abs. 2 BDSG folgt. Siehe zu Videoauszeichnung im öffentlich zugänglichen Raum bereits hier.

Zwar schreibt § 6b Abs. 2 BDSG vor, dass bei der Beobachtung von öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen sind. Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, dass die verdeckte Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ausnahmslos unzulässig sei. Vielmehr will das BAG die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung ausschließlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen. Das Kennzeichnungsgebot sei weder nach verfassungskonformer Auslegung im Lichte der grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG  noch nach der Gesetzesbegründung Voraussetzung für die materiell rechtliche Zulässigkeit der Videoüberwachung.

[Das BAG hat auch klar gestellt, dass sich ein Beweisverwertungsverbot nicht aus dem am 01.09.2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ergebe, weil die Videoaufzeichnung im vorliegenden Fall aus dem Jahr 2008 stammte. In einer Klausur neueren Datums sollte jedoch auf diese Norm eingegangen werden. Danach ist eine personenbezogene Datenerhebung zur Aufdeckung von Straftaten nur dann zulässig wenn:

„tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“

Diese Regelung erscheint enger als die des § 6b Abs. 2 BDSG.  Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Voraussetzungen der Videoüberwachung aufgrund dieser Vorschrift verschärfen wird. Aufschlussreich zur Auslegung des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ist der in Kürze erscheinende Beitrag in der EzA von Thüsing/Pötters, Anmerkung zu BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 153/11.]

5. Fazit

Die Entscheidung des BAG bestätigt die kündigungsschutzrechtlichen Maßstäbe bei einer verhaltensbedingten Kündigung, die im Fall einer rechtswidrigen Handlung gegen das Vermögen des Arbeitgebers gelten. Der Senat hält an seiner im Fall „Emmely“ eingeschlagenen Linie fest, wonach bei rechtswidrigen Handlungen gegen das Vermögen des Arbeitgebers auf zweiter Stufe trotz der schweren Verfehlung eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.

Im Hinblick auf die heimliche Videoüberwachung hat sich das BAG auf Kriterien berufen, die eine Überwachung zulässig machen. Zwar ist eine heimliche Videoüberwachung nicht grundsätzlich unzulässig, jedoch sind die Kriterien aufgrund des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers sehr scharf, so dass nur in seltenen Fällen eine Videoüberwachung als zulässig zu beurteilen ist. Daneben wurde klargestellt, dass § 6b Abs. 2 BDSG einer heimlichen Videoüberwachung am Arbeitsplatz nicht entgegensteht. Vielmehr will das BAG die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung ausschließlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen.

Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss der § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG auf die Rechtsprechung des BAG in diesem Zusammenhang haben wird.

19.10.2012/1 Kommentar/von Dr. Deniz Nikolaus
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Deniz Nikolaus https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Deniz Nikolaus2012-10-19 15:03:532012-10-19 15:03:53BAG: Zulässigkeit der verdeckten Videoüberwachung am Arbeitsplatz

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