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Schlagwortarchiv für: Anfechtung

Alexandra Alumyan

BGH: Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben

Aktuelles, BGB AT, Erbrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Eine gut gemeinte Geste, die aber in einem juristischen Fiasko enden kann: Nach dem Ableben des Erblassers geht das Vermögen des Verstorbenen auf seine Erben über, welche – statt das Erbe anzunehmen – sich auch überlegen könnten, das Erbe zugunsten der nächstberufenen Erben auszuschlagen. Selbst wenn der Erbe dabei eine klare Vorstellung von der Funktionsweise der §§ 1922 ff. BGB zu haben meint, so herrscht und realisiert sich oft das Risiko, dass die Erbschaft letztlich einer ganz anderen Person anfällt, die sodann hoch erfreut ihren Erbschein abholen darf, während sich der Ausschlagende vor Ärger die Hände vors Gesicht schlägt. Dieses Szenario wirft eine entscheidende Frage auf, die seit geraumer Zeit sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur intensiv diskutiert wird: Kann in solchen Fällen die Ausschlagungserklärung des Erben aufgrund eines Irrtums über die Person des nächstberufenen Erben angefochten werden?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erstmals in seinem Beschluss vom 22. März 2023 – IV ZB 12/22 zu dieser Frage Stellung bezogen und eine klare Absage erteilt.

A. Sachverhalt (gekürzt)

Im zugrundeliegenden Sachverhalt geht es darum, dass die Kinder des verstorbenen Erblassers ihr Erbe ausschlugen, mit dem Ziel, dass deren Mutter – die Ehefrau des Erblassers und Miterbin der Kinder – Alleinerbin wird. Zur Erbmasse gehörte ein Haus, dessen Alleineigentümerin die Mutter werden sollte. Im Zuge des Erbscheinverfahrens stellte sich aber überraschenderweise heraus, dass der Erblasser noch Halbgeschwister hatte und damit nicht die Mutter, sondern eben jene Familienmitglieder von der väterlichen Seite die nächstberufenen Erben seien. Daraufhin fochten die Kinder des Erblassers ihre Ausschlagungserklärungen wegen Rechtsfolgenirrtums gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB an. Sie haben zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung gedacht, dass die gesamte Erbschaft an die übrigbleibende Miterbin, die Mutter, gehen würde. Ein Erbanfall bei den der Kernfamilie unbekannten Halbgeschwistern war nicht gewollt und sollte durch eine Anfechtung rückgängig gemacht werden.

B. Rechtliche Aufarbeitung

Die Streitfrage bildet einen Schnittpunkt der prüfungsrelevanten Gebiete des BGB AT und des Erbrechts. Dieser Beitrag soll ein Grundverständnis für die Ausgangspunkte des Streits und seine Lösungsansätze schaffen.

I. Erbrechtliche Grundlagen

Nach dem deutschen Erbrecht fällt der Nachlass zunächst gem. §§ 1922 Abs. 1, 1942 Abs. 1 BGB dem Erben an (Anfall) und kann sodann von diesem angenommen oder ausgeschlagen werden, gem. § 1943 Hs. 1 BGB. Zum Erbnachlass gehören alle übertragbaren Rechtspositionen des Erblassers, also etwa positive Vermögenswerte, z.B. das Eigentum an einem Grundstück, wie auch negative Vermögenswerte, z.B. Schulden. Eine Annahme bewirkt, dass der Nachlass auf den Erben übergeht und dieser infolge der Gesamtrechtsnachfolge Eigentümer der Nachlassgegenstände wird. Der Annahme steht es gleich, wenn der Erbe innnerhalb von sechs Wochen nicht ausschlägt – die Erbschaft geht dann automatisch auf ihn über. Dahingegen führt eine Ausschlagung dazu, dass der Erbe seine Erbenposition verliert und bei der Neuverteilung der Erbschaft nicht berücksichtigt wird. Er wird dann so behandelt, als hätte er nie gelebt. Die Erbfolge kann der Erblasser primär selbst, z.B. indem er ein Testament schreibt, bestimmen (gewillkürte Erbfolge). Liegt eine solche Willensbekundung des Erblassers nicht vor, dann bestimmt sich die Erbfolge nach dem Gesetz, §§ 1924 ff. BGB (gesetzliche Erbfolge). Die Annahme- sowie die Ausschlagungserklärung sind Willenserklärungen, die nach den §§ 119 ff. BGB angefochten werden können.

II. Anfechtung und Rechtsfolgenirrtum

Mithilfe der Anfechtung können Willenserklärungen „rückgängig“ gemacht werden. Ist die Anfechtung erfolgreich, so werden alle rechtlichen Wirkungen, die die Willenserklärung ausgelöst hat, ex tunc beseitigt – die Willenserklärung wird rückwirkend nichtig (ausführlich zu den Voraussetzungen der Anfechtung). Der Anfechtende hat jedoch nur dann ein Anfechtungsrecht, wenn auch ein Anfechtungsgrund vorliegt. Die für die Ausschlagung tauglichen Anfechtungsgründe werden in den §§ 119-123 BGB normiert. Im Erbrecht finden sich daneben auch spezielle Anfechtungsgründe (§§ 2078 ff., 2281 ff., 2308 BGB), die aber keine Anwendung auf die Ausschlagungserklärung finden (vgl. MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 1954 Rn. 3).

Im heutigen Fall steht der Rechtsfolgenirrtum im Mittelpunkt:

„Ein Rechtsfolgenirrtum im engeren Sinne, der einen Unterfall des Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt.1 BGB darstellt, liegt dann vor, wenn die Willenserklärung nicht die vom Erklärenden gewollten, sondern andere, davon wesentlich abweichende Rechtsfolgen nach sich zieht, an die der Erklärende überhaupt nicht gedacht und nicht beabsichtigt hat“ (BGH, Beschl. v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BeckRS 2006, 10938 Rn. 19 mwN).

Allerdings berechtigt nicht jeder Irrtum über eine Rechtsfolge zur Anfechtung. So ist nach ständiger Rechtsprechung der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urt. v. 29.6.2016 – IV ZR 387/15, NJW 2016, 2954 Rn. 11 mwN).

Diese (im Übrigen streitige!) Abgrenzung soll insbesondere dafür sorgen, dass der mit der Willenserklärung angestrebte Erfolg nicht mit etwaigen weiteren, vom Erklärenden beabsichtigten Zielen unzulässigerweise vermischt wird. Im Allgemeinen Teil des BGB sieht der Gesetzgeber einzig für den Fall des Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB die Anfechtung wegen Motivirrtums vor (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 108).

III. Irrtum über die Person des Nächstberufenen

Zurück zum Fall: Die Kinder haben ihre Ausschlagungserklärungen angefochten und erklärten, sie hätten sich über die Rechtsfolgen ihrer Erklärungen geirrt, da sie davon ausgingen, dass die übrig gebliebene Miterbin, also ihre Mutter, erben würde, nicht hingegen die unbekannten Halbgeschwister des Erblassers. Diese Vorgehensweise wird auch „lenkende Ausschlagung“ genannt, weil die Ausschlagenden durch ihre Erklärung versuchen, den Anfall der Erbschaft gezielt bei einer anderen Person zu bewirken, den Anfall des Erbrechts auf eine bestimmte Person mithin „lenken“.

Nach obiger Definition kann ein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum nur angenommen werden, wenn ein Irrtum über eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung besteht.

Die streitrelevanten Normen sind § 1953 Abs. 1 und 2 BGB:

(1) Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt.

(2) Die Erbschaft fällt demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall gilt als mit dem Erbfall erfolgt.

Unstreitig ist, dass es sich beim Verlust des Erbrechts (Abs. 1) um eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung handelt. Ob auch der Anfall der Erbschaft an die nächstberufene Person eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung darstellt und damit die Anfechtbarkeit wegen Rechtsfolgenirrtums eröffnet ist, ist dagegen zweifelhaft. Der Meinungsstreit hat – nicht zuletzt aufgrund der Komplexität und Einzigartigkeit erbrechtlicher Fallkonstellationen – etliche Rechtsauffassungen zugelassen, die sich im Folgenden hauptsächlich in zwei Strömungen bündeln lassen:

1. Erste Auffassung: Beachtlicher Rechtsfolgenirrtum

Nach einer Auffassung kann ein Irrtum über den Nächstberufenen einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum darstellen: Nicht nur der Wegfall der Erbschaft beim Ausschlagenden, sondern auch der Anfall der Erbschaft beim konkreten Nächstberufenen sei eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung, wenn es dem Ausschlagenden darauf ankommt, dass die Erbschaft infolge seiner Ausschlagung einer bestimmten Person unmittelbar anfällt. Ein ungewolltes Ergebnis in der Erbrechtsnachfolge könne entsprechend durch eine Anfechtung der Ausschlagungserklärung korrigiert werden.

2. Zweite Auffassung: Unbeachtlicher Motivirrtum 

Eine andere Auffassung hingegen nimmt einen unbeachtlichen Motivirrtum an. Die unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung sei lediglich der Verlust der eigenen Erbenposition, während der Anfall der Erbschaft beim konkreten Nächstberufenen eine mittelbare, zusätzliche Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung darstelle. Damit sei ein Irrtum über die Person des Nächstberufenen unbeachtlich, soweit der Ausschlagende weiterhin den wesentlichen Inhalt seiner Erklärung („mit der Ausschlagung verliere ich meine Position als Erbe“) nicht verkennt. Eine fehlgeschlagene Lenkung sei daher nicht anfechtungsfähig.


3. Streitentscheid

Vertreter der ersten Auffassung führen (ohne sie abschließend aufzuzählen) folgende Argumente an:

Arg. 1: Kein erbenloser Nachlass

Der Wegfall der Erbschaft beim Ausschlagenden und der Anfall der Erbschaft beim Nächstberufenen stehen in einem engen sachlichen Wirkungszusammenhang: Wenn eine Person die Erbschaft ausschlägt, gibt es immer einen Nachfolger, der in die Rechtsposition des Ausschlagenden rückt. Es gibt keinen „erbenlosen Nachlass“ – Wegfall und Anfall seien daher „zwei Seiten derselben Medaille“ und können nicht in eine unmittelbare und mittelbare Rechtsfolge künstlich aufgespalten werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2019 – I 2 Wx 166/17, BeckRS 2019, 11301 Rn. 20).

Arg. 2: Zeitgleicher Wegfall und Anfall

Das Prinzip des Vonselbsterwerbs führe außerdem dazu, dass alle Wirkungen der Ausschlagung gleichzeitig und unmittelbar eintreten, damit also auch der Wegfall und Anfall der Erbschaft (OLG Frankfurt, Beschl. v. 6.2.2021 – 21 W 167/20, NJW-RR 2021, 800 Rn. 24). Wer konkret die Person des Nächstberufenen ist, stehe schon zum Zeitpunkt der Ausschlagung fest. Es sei unschädlich, dass diese Person zunächst ermittelt werden muss und dafür eine komplexe Subsumtion anderer Vorschriften oder eine anspruchsvolle Auslegung des hinterlassenen Testaments bewältigt werden müssen (Keim, ZEV 2020, 393, 400). Das Ergebnis dieser Erbenermittlung sei lediglich die nachträgliche Feststellung der Erbfolge, die aber schon zeitgleich zur Ausschlagung vorlag. Daher sei neben dem Wegfall auch der Anfall der Erbschaft eine unmittelbare Folge der Ausschlagung.

Arg. 3: Unzulässige Privilegierung des „error in negotio“-Irrenden

In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung über Fälle entschieden, in denen der Ausschlagende über das Mittel der Ausschlagung an sich schon irrte, weil er dachte, dass die Ausschlagungserklärung ein Instrument der unmittelbaren Eigentumsübertragung sei. Die Rechtsprechung sah darin einen beachtlichen Inhaltsirrtum, error in negotio (so OLG Hamm, Beschl. v. 21.4.2022 – 15 W 51/19, BeckRS 2022, 14901, und OLG Schleswig, Beschl. v. 11.5.2005 – 3 Wx 70/04, BeckRS 2005, 30356208). Nimmt die Rechtsprechung in der besprochenen Konstellation aber keinen beachtlichen Irrtum an, so komme es zu einem ungerechten Ergebnis: Der Ausschlagende, der einem error in negotio unterliegt, habe das Institut der Ausschlagung „am gründlichsten“ verkannt, denn er irrt bereits über den Geschäftstyp der Ausschlagungserklärung an sich (vgl. Anm. Muscheler, ZEV 2020, 152, 156; Keim, ZEV 2020, 393, 400) und würde unzulässigerweise demjenigen gegenüber privilegiert, der die Ausschlagung von seinem Wesen her grundsätzlich erkannt hat, aber über eine ihrer Rechtsfolgen irrt. Die Anfechtungsmöglichkeit müsste konsequenterweise auch dem über den Nächstberufenen Irrenden eröffnet sein, der das Erbrecht jedenfalls „besser“ verstanden hat.


Der BGH positioniert sich auf Seiten der zweiten Auffassung, die eine Anfechtung wegen Irrtums über die nächstberufene Person verneint. Gegen die Anfechtbarkeit sprechen unter anderem folgende Argumente:

Arg. 1: Wortlaut und Systematik

Der BGH betrachtet zunächst den Wortlaut und die Systematik der Norm im Erbrecht. Dabei tenoriert er, dass Abs. 2 in seinem Wortlaut nicht unmittelbar regelt, wer die nächstberufene Person sein soll. Eine konkrete Bestimmung des Nächstberufenen erfolgt erst über die allgemeinen Regeln zur gesetzlichen Erbfolge (§§ 1924 ff. BGB) oder, wenn der Fall einer gewillkürten Erbfolge vorliegt, über die Testamentsauslegung (§§ 2069, 2094 BGB) (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 21). Die Regelungen zur Ermittlung der konkreten Person sind also systematisch von § 1953 BGB getrennt. Dem BGH zufolge sei § 1953 Abs. 2 BGB daher lediglich eine Vorgabe für die weitere Rechtsanwendung und stelle noch keine Grundlage für die Anfechtung dar (so auch KG Berlin, Beschl. v. 11.7.2019 – 19 W 50/19, BeckRS 2019, 36694, Rn. 27).

Arg. 2: Sinngehalt des Wortes „ausschlagen“

Aus der Perspektive eines juristischen Laien ließe sich das Wort „Ausschlagung“ als Mittel des Verlusts des Erbrechts verstehen, nicht aber als Mittel des Erwerbs einer anderen Person (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 22). Sofern sich der Ausschlagende im Klaren über die Rechtsfolge des Verlusts ist, so entspricht auch der innere Wille dem äußeren Tatbestand der Erklärung – ein Rechtsfolgenirrtum sei dann ausgeschlossen (OLG Schleswig, Beschl. v. 11.5.2005 – 3 Wx 70/04, BeckRS 2005, 30356208).

Arg. 3: Historie

Ein Blick in die Entstehungsgeschichte des BGB zeige ferner, dass die Anfechtungsmöglichkeiten tendenziell strenger bewertet werden sollen, so der BGH. Der Erbe habe die Verantwortung, im Rahmen seiner Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Erbschaft vorher selbst die Umstände des Erbfalls rechtlich einzuschätzen und letztlich die vollständige Kenntnis über die Rechtswirkungen der Erklärung zu erlangen (vgl. §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V S. 272). Aufgrund dieser Verantwortung soll er nicht wegen seiner eigenen Unzuverlässigkeit nachträglich doch „die Rechte derjenigen, an welche in Folge seiner Ausschlagung ein Anfall erfolgt sei“ in Frage stellen können (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 26).

Der historische Gesetzgeber habe außerdem absichtlich nur begrenzt Möglichkeiten für die Anfechtung aufgrund Motivirrtums zugelassen: Die Konzeption der Anfechtungsgründe war durchaus streitig und die Gesetzgeber kamen letztendlich zu dem Kompromiss, den Kreis der relevanten Irrtümer nur auf solche zu begrenzen, die den Erklärungsvorgang selbst und nicht die Willensbildung, d.h. das Motiv, betreffen (vgl. Staudinger/Singer, Neubearb. 2021, BGB § 119 Rn. 2; Lange, ZEV 2023, 270, 273).

Arg. 4: Rechtssicherheit

Auch aus Rechtssicherheitsgründen sei, laut BGH, eine engere Auslegung angebracht: Nach dem Anfall der Erbschaft beginnt der Schwebezustand, der spätestens durch die Annahmefiktion gem. § 1943 Hs. 2, 1944 Abs. 1 BGB bereits nach sechs Wochen beendet wird. Eine Anfechtung führt dazu, dass die sechswöchige Frist von neu an zu laufen beginnt und der Schwebezeitraum sich damit erheblich verlängert. Eine solche Verlängerung widerspricht aber dem Interesse an einer zeitlichen Begrenzung der unklaren Erbrechtslage. Der Rechtssicherheit missfällt daher eine Erweiterung der Anfechtungsgründe (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 25).

C. Einordnung der Entscheidung

Der Streit um die Einordnung des Irrtums über die Person des Nächstberufenen hat die Entstehung weiterer interessanter Ansätze provoziert, auf deren Abhandlung im vorliegenden Rahmen verzichtet wird, obgleich sie nicht weniger spannend sind, z.B. ob der Ausschlagungserklärung möglicherweise eine stillschweigend beigefügte Gegenwartsbedingung (§ 1947 BGB) anhaftet, die bei Nichteintritt des vorgestellten Erfolges die Unwirksamkeit der Ausschlagungserklärung herbeiführt, oder ob in der Konstellation nicht schon ein Irrtum über den Geschäftstyp (error in negotio), ein Unterfall des Inhaltsirrtums, vorliegt, der anerkanntermaßen zur Anfechtung berechtigt, sofern der Ausschlagende davon ausgeht, dass er durch seine Erklärung eine unmittelbare Vermögensübertragung bewirkt.

Eine ausführliche Untersuchung des Streitstandes verdeutlicht, dass der bisherigen Rechtsprechung ausreichend differenzierte Kriterien zur eindeutigen Einordnung des Irrtums als beachtlichen Rechtsfolgenirrtum fehlten und zumeist auf eine wertungsmäßige Einzelfallbetrachtung zurückgegriffen werden musste. Und während das Problem ein sehr erbrechtsspezifisches zu sein scheint, führt es uns Studierenden eine immer wiederkehrende Herausforderung der Rechtswissenschaft vor Augen: Abstrakt gesehen stehen sich in diesen Entscheidungen stets der Rechtsverkehr und die Privatautonomie gegenüber. Im Sinne eines Interessenausgleichs ist zwischen beiden Seiten die goldene Mitte zu finden – dies kann jedoch sehr schwierig sein, wenn der Mensch, der im Rechtsverkehr Erklärungen abgibt, stets unausgesprochene Hintergedanken hegt und für ihn entscheidende Motive an seine Erklärung knüpft, die für die Außenwelt unzugänglich sind und ihr daher unerkennbar bleiben. Wenn aber die Willenserklärung in den Rechtsverkehr gelangt ist und dieser auf ihre Wirksamkeit und Endgültigkeit vertraut, so stellt sich die Rechtswissenschaft zu Recht die Frage, ob es für die Willenserklärung wirklich „einen Weg zurück“ geben sollte.

03.11.2023/2 Kommentare/von Alexandra Alumyan
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2023-11-03 09:16:362023-11-03 23:00:17BGH: Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben
Redaktion

Anfechtung (§ 142 I BGB)

BGB AT, Karteikarten, Rechtsgebiete, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

I. Anfechtungsgrund

  1. 119 BGB: Inhalts-/Erklärungsirrtum (I), Eigenschaftsirrtum (II)
  2. 120 BGB: Falsche Übermittlung
  3. 123 BGB: Arglistige Täuschung/ widerrechtliche Drohung

II. Anfechtungserklärung, § 143 BGB

III. Richtiger Anfechtungsgegner

IV. Anfechtungsfrist

  1. 121 BGB: bei §§ 119, 120 BGB unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern)
  2. 124 BGB: bei § 123 BGB binnen eines Jahres

 V. Kein Ausschluss

→ Bestätigung, § 144 BGB

VI. Rechtsfolgen

  1. 142 I BGB: Nichtigkeit ex tunc → rückwirkend
  2. 122 BGB: Schadensersatz
  3. Rückabwicklung gem. §§ 812 ff. BGB
18.10.2023/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2023-10-18 07:47:072023-10-18 07:47:10Anfechtung (§ 142 I BGB)
Dr. Melanie Jänsch

OLG Frankfurt zur Auslegung beim Vertragsschluss über eBay: Kein Auto für 1€

BGB AT, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Das OLG Frankfurt hat mit Hinweisbeschluss vom 14.05.2020 (Az.: 6 U 155/19) festgestellt, dass ein Verkäufer, der einen Pkw versehentlich zum Sofortkauf-Preis von einem Euro auf eBay einstellt, dem Käufer keinen Schadensersatz leisten muss. Die Internetplattform eBay ist nicht nur eines der beliebtesten Examensthemen im BGB AT und Schuldrecht, sondern findet – da diverse Probleme des Vertragsschlusses, des Schuldrecht AT oder des Gewährleistungsrechts abgeprüft werden können – auch immer wieder Einzug in Zwischenprüfungsklausuren. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, Grundprobleme des Zivilrechts unter Fokussierung des Vertragsschlusses bei eBay darzustellen und zu erläutern.
 
A) Sachverhalt
Auf der Internetauktionsplattform eBay bot der V einen BMW 318d, Erstzulassung April 2011, Laufleistung 172.000 km, mit einem Wert von ca. 13.000 Euro an. Nach ausführlicher Beschreibung des Fahrzeugs und der Ausstattung formulierte er: „Preis: Euro 1,00“ sowie: „Fahrzeug muss innerhalb drei Tagen noch Auktionsende – vom Höchstbietenden abgeholt und bar vor Ort gezahlt werden…, Sofortkaufangebote sind gerne erwünscht.“ Versehentlich legte der V den Preis von einem Euro jedoch nicht als Starpreis der Auktion, sondern als Sofortkauf-Preis fest. Der K stieß auf das Inserat, bot einen Euro und erhielt automatisiert den Zuschlag. Vor regulärem Ende der Auktion beendete der V manuell die Auktion und wies den K darauf hin, dass der Preis von einem Euro als Start- und nicht als Sofortkaufpreis gemeint gewesen sei. Zu einem Verkauf für einen Euro sei er keinesfalls bereit. K sah dies nicht ein; schließlich sei die Summe von einem Euro ausdrücklich als Sofortkauf-Preis und nicht als Gebotsuntergrenze ausgewiesen. Er begehrt nunmehr Schadensersatz in Höhe von 13.000 Euro, die er für ein vergleichbares Fahrzeug aufbringen müsste.
 
B) Rechtsausführungen
Die Entscheidung des Landgerichts (Urt. v. 18.07.2019, Az. 2-20 O 77/18), das die Klage abgewiesen hatte, ist rechtskräftig, nachdem der klagende Käufer nach einem Hinweisbeschluss des OLG Frankfurt (Hinweisbeschl. v. 14.05.2020, Az. 6 U 155/19) seine Berufung zurückgenommen hatte. Doch der Reihe nach:
 
I. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB
Den Verkäufer trifft die Pflicht, die von ihm angebotene Ware zu liefern. Er hat den Kaufgegenstand gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB zu übergeben und zu übereignen. Tut er dies nicht, so kann der Käufer unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB verlangen. Der Schaden bemisst sich nach der Differenzhypothese und beträgt grundsätzlich den Wert des Kaufgegenstandes abzüglich des Kaufpreises. Ein Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz statt der Leistung in Höhe von 13.000 Euro könnte sich also aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ergeben.
 
Achtung: Zwar geht es hier um einen Kaufvertrag, jedoch greift – mangels Anwendungsbereichs – nicht das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht. Damit ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB hergeleitet werden kann, ist ein Mangel bei Gefahrübergang erforderlich. Im vorliegenden Fall geht es aber um eine Nichtleistung vor Gefahrübergang, sodass die Grundsätze des Schuldrecht AT Anwendung finden.
 
1. Schuldverhältnis
Dies setzt zunächst das Vorliegen eines Schuldverhältnisses voraus. Vorliegend kommt ein vertragliches Schuldverhältnis in Form eines Kaufvertrags i.S.v. § 433 BGB in Betracht. Ein solcher verlangt eine Einigung, also zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen. Ein Vertragsschluss bei eBay richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen, d.h. ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme gemäß den §§ 145 ff. BGB zustande – nicht etwa durch Zuschlag nach § 156 BGB, da eBay-Auktionen keine Versteigerungen i.S.d. Norm darstellen. Dabei handelt es sich bereits bei dem Erstellen einer Auktion auf eBay bzw. beim Einstellen eines Sofortangebots um ein verbindliches Angebot, das durch die Bestellung des Kunden angenommen wird, so dass in diesem Moment der Vertrag geschlossen ist (also unmittelbar bei der Option „Sofort-Kaufen“) oder mit Zeitablauf einer Auktion zustande kommt (s. zum Zustandekommen eines Vertrags über die Sofort-Kaufen-Option auch unseren Beitrag). Dies ergibt sich aus den AGB von eBay, die zwar zwischen Käufer und Verkäufer nicht unmittelbar gelten, aber nach h.M. bei der Auslegung der Willenserklärungen zu berücksichtigen sind (s. hierzu BGH, Urt. v. 15.2.2017, Az.: VIII ZR 59/16).
Nach diesen Maßstäben hat der V zweifelsohne durch Einstellen des Autos auf der Plattform eBay ein verbindliches Angebot abgegeben. Jedoch ist problematisch – und Schwerpunkt der vorliegenden Entscheidung –, ob er ein Angebot für einen Sofortkauf des Pkw für einen Euro oder für die Option „Auktion“ mit dem Startgebot in Höhe von einem Euro abgegeben hat. Die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen erfolgt gemäß §§ 133, 157 BGB nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizonts; das heißt, zu prüfen ist, wie sich das Angebot aus der Sicht eines verständigen, objektiven Betrachters darstellt. Hiervon ausgehend durfte der K die Preisangabe von einem Euro nach Ansicht des OLG Frankfurt nicht als Angebot zum Sofortkauf-Preis von einem Euro auffassen. Das Gericht erachtet die Auslegung der Willenserklärung des V nach dem objektiven Empfängerhorizont insofern als „eindeutig“: Er müsse sich nicht daran festhalten lassen, dass ihm bei der Eingabe seines Angebots ein Fehler unterlaufen sei, indem er versehentlich den Sofortkauf-Preis und nicht den Starpreis der Auktion festgelegt habe. Vielmehr sei aus dem Kontext klar ersichtlich, dass eine Versteigerung gewollt gewesen sei. Damit liege schon kein Sofortkauf-Angebot vor, das angenommen werden könnte.
 
Anmerkung: Unterstellt man eine wirksame Einigung, wäre in einem zweiten Schritt eine mögliche Nichtigkeit nach § 142 Abs. 1 BGB infolge einer Anfechtung seitens des V zu prüfen. Dass wirksam angefochten werden könnte, hat auch das OLG Frankfurt betont: Indem V gegenüber dem K erklärt habe, dass der Preis als Startpreis, nicht als Sofortkauf-Preis gemeint gewesen sei und die Transaktion abgebrochen habe, habe er konkludent die Anfechtung erklärt. In einer Klausur wäre sodann schwerpunktmäßig zu diskutieren, welcher Anfechtungsgrund – Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB oder Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB – in Betracht kommt. Geklärt werden müsste also, ob der Fehler bereits auf der Ebene der Willensbildung (dann Inhaltsirrtum) oder bei der Vornahme der Erklärungshandlung, also etwa durch Vertippen / Verklicken (dann Erklärungsirrtum), erfolgt ist – hierzu bedürfte es ergänzender Hinweise im Sachverhalt. Auch über den Schadensersatzanspruch des § 122 Abs. 1 BGB könnte dann aber keine Zahlung der 13.000 Euro verlangt werden, denn hiernach wird lediglich das negative und nicht das positive Interesse ersetzt.
 
2. Zwischenergebnis
Mithin liegt schon kein wirksamer Kaufvertrag und damit kein Schuldverhältnis zwischen den Parteien vor.
 
II. Ergebnis
Ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB scheidet infolgedessen aus.
 
C) Fazit
In summa: Wenn ein eBay-Verkäufer ein Auto zum Sofortkauf für einen Euro anbietet, muss er dem Verkäufer keinen Schadensersatz leisten, sofern nach der Auslegung der Willenserklärung vom objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB offensichtlich ist, dass es sich um ein Auktionsstartgebot und nicht um einen Sofortkauf-Preis handelt. Wer sich in einer entsprechenden Klausur also direkt auf die Anfechtung der Willenserklärung stürzt, der verkennt, dass der Auslegung stets  Vorrang gebührt. Ergibt diese bereits einen Versteigerungswillen, verbleibt für die Anfechtung kein Raum. Unklar bleibt freilich, ab welchem Preis auf einen „offensichtlichen“ Versteigerungswillen trotz versehentlicher Wahl der Sofortkauf-Option zu schließen ist, ist doch – auch vom BGH –anerkannt, dass durch die Nutzung der Plattform eBay ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bewusst in Kauf genommen wird (hierzu beispielhaft BGH, Urt. v. 12.11.2014, Az.: VIII ZR 42/14).
 

23.07.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-07-23 08:35:432020-07-23 08:35:43OLG Frankfurt zur Auslegung beim Vertragsschluss über eBay: Kein Auto für 1€
Dr. Melanie Jänsch

BGB AT Basics: Der Tatbestand einer Willenserklärung

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Zentrales Element der Rechtsgeschäftslehre und regelmäßig Dreh- und Angelpunkt einer BGB AT-Klausur ist der Begriff der Willenserklärung. Aber nicht nur in den unteren Semestern ist eine sichere Beherrschung sämtlicher Problemkonstellationen rund um die Willenserklärung schon für das Bestehen der Klausur unentbehrlich. Als Grundbaustein des Zivilrechts bedarf es eines vertieften Verständnisses, um auch anspruchsvollere Klausuren in höheren Semestern lösen zu können. Im Rahmen des folgenden Grundlagenbeitrags soll daher der Tatbestand der Willenserklärung erläutert und auf klassische Probleme, die bei den jeweiligen Merkmalen auftreten können, eingegangen werden.
 
Eine Willenserklärung ist eine private Willensäußerung, die unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Sie ist notwendiger Bestandteil eines jeden Rechtsgeschäfts und in einen objektiven (äußeren) Tatbestand – die Erklärung – und einen subjektiven (inneren) Tatbestand – den Willen – aufzuteilen. Genauer: Im Rahmen des objektiven Tatbestands der Willenserklärung ist erforderlich, dass eine Erklärungshandlung vorliegt und sich ein objektiv erkennbarer Rechtsbindungswille offenbart sowie dass die Erklärung objektiv auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet sein soll. Auch der subjektive Tatbestand wird in drei Bestandteile gegliedert: den Handlungswillen, das Erklärungsbewusstsein und den Geschäftswillen, wobei der Geschäftswille unumstritten nicht zu den zwingendenMerkmalen einer wirksamen Willenserklärung zählt. Verbildlichen lässt sich der Tatbestand der Willenserklärung wie folgt:

 
Anmerkung: Die Begrifflichkeiten variieren in vielen Lehrbüchern. Letztlich ist die konkrete Bezeichnung der Elemente insbesondere im äußeren Tatbestand aber unerheblich; wichtig ist, dass sich im Wege objektiver Betrachtungsweise ergibt, dass der Erklärende ein bestimmtes Rechtsgeschäft abschließen will.
 
I. Äußerer / objektiver Tatbestand der Willenserklärung
Im Rahmen des äußeren Tatbestands ist erforderlich, dass sich aus objektiver Betrachtung ergibt, dass der Erklärende ein konkretes Rechtsgeschäft abschließen möchte. Dies bedingt, dass eine Erklärungshandlung vorliegt, objektive Kriterien auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens schließen lassen und das Verhalten objektiv auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Die Voraussetzungen sind allesamt zwingende Wirksamkeitserfordernisse. Mit anderen Worten: Ist eines dieser Elemente nicht gegeben, liegt keine Willenserklärung vor. Im Einzelnen:
 
1. Erklärungshandlung
Zunächst muss es sich bei dem Handeln des Erklärenden um potentiell willensgesteuertes Tun handeln. Anders formuliert ist notwendig, dass nach objektiver Betrachtung das Vorliegen eines Handlungswillens anzunehmen ist. Hieran wird die Annahme einer Willenserklärung in den wenigsten Fällen scheitern, da nahezu jedes Verhalten hierunter subsumiert werden kann.
 
2. Rechtsbindungswille
Weiterhin ist – und das ist in der Klausur meistens weitaus problembehafteter – zwingend erforderlich, dass ein objektiv erkennbarer Rechtsbindungswille gegeben ist. Ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, beurteilt sich danach, ob der andere Teil unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Es ist also maßgebend, ob anhand objektiver Kriterien aufgrund der Erklärungen und des sonstigen Verhaltens der Parteien der Wille, eine rechtsgeschäftliche Bindung einzugehen, festgestellt werden kann. Der Begriff „Wille“ ist insofern irreführend, da gerade nicht auf subjektive Komponenten abzustellen, sondern eine objektive Betrachtung gemäß §§ 133, 157 BGB zugrunde zu legen ist.  
 
a) Abgrenzung invitatio ad offerendum und offerta ad incertas personas
Die Abgrenzung der invitatio ad offerendum von der offerta ad incertas personas erfolgt anhand des Rechtsbindungswillens.
Eine invitatio ad offerendum stellt keine Willenserklärung, sondern – so sagt es schon der Name – eine bloße Aufforderung zur Abgabe eines Angebots dar. Klassische Klausurkonstellationen sind hierbei die Auslage von Waren im Schaufenster oder Laden, Katalog- oder Zeitungsinserate oder das Hochstellen von Waren auf eine Verkaufshomepage (Achtung: Bei eBay gelten andere Grundsätze!). In einem solchen Verhalten kann nicht der Wille gesehen werden, einen Vertrag herbeiführen zu wollen, denn der konkrete Gegenstand kann nur einmal übereignet werden bzw. weitere Gegenstände der gleichen Art und Güte stehen möglicherweise nicht in entsprechender Menge zur Verfügung. Somit würde der Erklärende vertragsbrüchig und sich schadensersatzpflichtig machen. Zudem will er sich – etwa, um die Bonität seines Vertragspartners prüfen zu können – regelmäßig offenhalten, über die Person seines Vertragspartners zu entscheiden. Daher fehlt es in solchen Konstellationen am objektiv erkennbaren Rechtsbindungswillen.
Ein weiterer Klassiker, bei dem das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens zu verneinen ist, ist der Aufruf des Auktionators bei einer Versteigerung zur Abgabe eines Gebotes. Dies ergibt sich schon aus dem Sinn und Zweck einer Versteigerung: Der Versteigerer will sich vorbehalten, mit dem Höchstbietenden einen Vertrag zu schließen. Das schließt es aus, dass er ein verbindliches Angebot in einer bestimmten Höhe macht. Genau das bestimmt auch das Gesetz in § 156 S. 1 BGB: Danach kommt der Vertrag bei einer Versteigerung erst mit dem Zuschlag zustande. Die Gebote stellen also Angebote und der Zuschlag die Annahme dar. Ein Angebot ist in dem Aufruf des Auktionators somit nicht zu sehen. Er möchte lediglich zur Abgabe von Geboten einladen (invitatio ad offerendum). Daher ist die Erklärung objektiv (§§ 133, 157 BGB) nicht dahin gehend zu verstehen, dass der Auktionator bereits ein verbindliches Angebot abgeben will, das mit dem Handheben eines Teilnehmers unmittelbar angenommen werden kann und zum Vertragsschluss führt. Es fehlt auch hier der Rechtsbindungswille.
Dagegen handelt es sich bei einer offerta ad incertas personas um ein Angebot an einen unbestimmten Personenkreis. Hierbei verfügt der Erklärende über einen Rechtsbindungswillen, lediglich die Bestimmung des konkreten Vertragspartners fehlt. Offertas ad incertas personas werden beispielsweise angenommen beim Aufstellen eines Warenautomaten oder der Bereitstellung einer Beförderungsmöglichkeit im ÖPNV.
 
b) Abgrenzung Vertrag und Gefälligkeitsverhältnis
Der Rechtsbindungswille stellt des Weiteren das Abgrenzungskriterium dar, um einen Vertrag von einem reinen Gefälligkeitsverhältnis zu unterscheiden. Ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, bestimmt sich wiederum anhand eines Bündels objektiver Kriterien. So formuliert der BGH: „Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Zusage des Leistenden verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen ein rechtlicher Bindungswille zugrunde gelegt werden. Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel bei dem sogenannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im rein gesellschaftlichen Verkehr oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein.“ (Urt. v. 21.06.2012 – III ZR 290/11, BeckRS 2012, 14989, Rn. 14)
 
3. Auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet
Ferner ist die Bezeichnung bestimmter Rechtsfolgen für eine Willenserklärung notwendig. Das heißt, vom objektiven Empfängerhorizont muss auf einen Geschäftswillen des Erklärenden zu schließen sein. Hieran fehlt es beispielsweise, wenn sich die Erklärung als widersprüchlich oder unvollständig erweist.
 
II. Innerer / subjektiver Tatbestand der Willenserklärung
Der innere Tatbestand der Willenserklärung lässt sich aufgliedern in den Handlungswillen, das Erklärungsbewusstsein und den Geschäftswillen.
 
1. Handlungswille
Der Handlungswille bezeichnet den Willen, überhaupt eine Handlung vorzunehmen. Er liegt dann vor, wenn das Verhalten bewusst gesteuert wird und nicht aus einem bloßen Reflex resultiert. Kein Handlungswille liegt dementsprechend bei vis absoluta oder Bewegungen im Schlaf vor. Als einziger Bestandteil im Rahmen des inneren Tatbestands ist der Handlungswille unumstritten zwingend erforderlich für eine wirksame Willenserklärung.
 
2. Erklärungsbewusstsein
Unter Erklärungsbewusstsein ist das Bewusstsein zu verstehen, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben. Will der Erklärende zwar eine Handlung vornehmen, ist sich aber ihrer Rechtserheblichkeit nicht bewusst, fehlt es am Erklärungsbewusstsein.

Ein absoluter Klassiker zum fehlenden Erklärungsbewusstsein ist der Fall der Trierer Weinversteigerung: Hier besucht der ortsunkundige O eine Weinversteigerung in Trier. Nach Aufruf eines Gebotes durch den Auktionator erkennt der O unter den anderen Besuchern einen Freund, dem er zuwinkt. Daraufhin wird ihm der Zuschlag für den aktuellen Posten Wein erteilt und der Auktionator verlangt von O Zahlung.

Umstritten sind – und das gehört zu den absoluten Klassikern des BGB AT – die Folgen eines fehlenden Erklärungsbewusstseins. Ob trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins eine Willenserklärung vorliegen kann, wird uneinheitlich beurteilt.
 
a) Subjektive Willenstheorie
Nach einer Ansicht muss der Erklärende den Erklärungstatbestand mit aktuellem Erklärungsbewusstsein gesetzt haben: Der Erklärende muss also das Bewusstsein gehabt haben, eine Willenserklärung – wenn auch mit anderem Inhalt – abzugeben. Fehlt das Erklärungsbewusstsein, will er also überhaupt keine Willenserklärung abgeben, so fehlt der innere Erklärungstatbestand; es liegt nach dieser Ansicht dann überhaupt keine Willenserklärung vor.
Für die subjektive Willenstheorie werden die folgenden Argumente vorgebracht:

  • Bewerte man eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Erklärung als Willenserklärung, so verletze dies die Privatautonomie. Wenn jemand überhaupt nicht rechtsgeschäftlich tätig werden wolle, dürfe sein Verhalten nicht als Willenserklärung gewertet werden.
  • § 118 BGB ordnet für den einzigen gesetzlich geregelten Fall fehlenden Erklärungsbewusstseins die Nichtigkeit an. Aus dieser Regelung ergebe sich, dass sogar derjenige, der bewusst den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung setzt, eine von vornherein unwirksame Erklärung abgebe. Erst rechtmüsse eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Erklärung unwirksam sein, wenn der äußere Erklärungstatbestand unbewusst gesetzt werde.

 
b) Objektive Erklärungstheorie
Nach einer weiteren Ansicht kommt es alleine auf das objektiv Erklärte an. Demnach wäre bei fehlendem Erklärungsbewusstsein die Willenserklärung wirksam, aber analog § 119 Abs. 1 BGB anfechtbar.
 
Anmerkung: Die analoge Anwendung ist deshalb notwendig, weil keiner der in § 119 Abs. 1 BGB genannten Anfechtungsgründe vorliegt, jedoch kann man sagen, dass wenn schon bei einem Verschreiben/Versprechen die Anfechtung möglich ist, dies erst Recht möglich sein muss, wenn der Erklärende schon gar nichts rechtlich Erhebliches erklären wollte.
 
Für eine rein objektive Betrachtungsweise werden die folgenden Argumente angeführt:

  • Eine objektive Betrachtungsweise dient dem Schutz des Erklärungsempfängers bzw. dem Schutz des Rechtsverkehrs. Dieser kann den wahren Willen nicht erkennen und muss deshalb darauf vertrauen können, dass das objektiv Erklärte gilt. Die Verantwortung dafür, wie sein Verhalten aufgefasst werden kann, liege danach alleine bei dem Erklärenden.
  • § 116 BGB ordnet an, dass eine Willenserklärung nicht deshalb nichtig ist, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen (geheimer Vorbehalt). Dann muss dies auch für das Erklärungsbewusstsein gelten.

 
c) Modifizierte Erklärungstheorie als vermittelnde Ansicht (h.M.)
Nach vermittelnder Ansicht ist bei fehlendem Erklärungsbewusstsein eine Willenserklärung auch dann abgegeben, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass seine Erklärung als Willenserklärung aufgefasst wird. Da dieses Erkennenkönnen als potentielles Erklärungsbewusstsein kein aktuell vorhandener innerer Erklärungstatbestand ist, spricht man davon, dass die Erklärung dem Erklärenden unter der genannten Voraussetzung als Willenserklärung zugerechnet wird. Diese Willenserklärung ist dann prinzipiell wirksam, aber wie die mit fehlendem oder abweichendem Geschäftswillen geäußerte Erklärung anfechtbar analog § 119 Abs. 1 BGB.
Nach dieser Auffassung hängt das Ergebnis davon ab, ob der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung gewertet wird. An dieser Stelle ist eine ausführliche Argumentation unter Ausschöpfung aller im Sachverhalt genannten Aspekte zu führen.
Für die modifizierte Erklärungstheorie spricht Folgendes:

  • Da der Erklärungsempfänger schutzwürdig ist, muss das in § 119 Abs. 1 BGB enthaltene Prinzip der Verantwortung für die zurechenbare Bedeutung des Erklärten grundsätzlich auch bei fehlendem Erklärungsbewusstsein gelten.
  • Die Privatautonomie des Erklärenden ist nicht beeinträchtigt; der Erklärende hat vielmehr die Wahlfreiheit zwischen der Anfechtung des Vertrages, § 119 Abs. 1 BGB, und der Erfüllung, § 362 BGB. Zudem schützt das Recht der Willenserklärung nicht nur die Selbstbestimmung des Erklärenden, sondern auch das Vertrauen des Erklärungsempfängers und die Verkehrssicherheit.
  • Die in § 118 BGB geregelte Situation ist mit der des fehlenden Erklärungsbewusstseins nicht vergleichbar. Im Fall des § 118 BGB hat der Erklärende im Unterschied zum fehlenden Erklärungsbewusstsein bewusst die Nichtgeltung seiner Erklärung gewollt.

Die vermittelnde Ansicht wird daher der Risikoverteilung zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger am ehesten gerecht. Sie bietet auch einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Parteien. Der Erklärungsempfänger hat ein schutzwürdiges Vertrauen in die Gültigkeit der Erklärung, was er auch haben darf, wenn er das Verhalten des Erklärenden objektiv als Willenserklärung verstehen durfte. Seinem Interesse entsprechend ist die Erklärung also grundsätzlich wirksam, wenn der Erklärende hätte erkennen können und müssen, dass der andere Teil sein Verhalten als Willenserklärung auffasst. Dem Interesse des Erklärenden an einer privatautonomen Gestaltung seiner Angelegenheiten wird dadurch Rechnung getragen, dass er ein Wahlrecht erhält: Er hat es in der Hand, es bei der Gültigkeit des Erklärten zu belassen oder es durch Anfechtung analog § 119 Abs. 1 BGB rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB) zu vernichten. In Fall der Anfechtung muss er dem Erklärungsempfänger den Schaden ersetzen, der diesem dadurch entsteht, dass er auf die Wirksamkeit vertraut hat gemäß § 122 Abs. 1 BGB.
 
3. Geschäftswille
Schließlich beinhaltet der innere Tatbestand der Willenserklärung das Element des Geschäftswillens. Der Geschäftswille bezeichnet den Willen, bestimmte Rechtsfolgen zu bewirken. Er fehlt also, wenn der Erklärende sich zwar rechtlich binden, aber eine inhaltlich andere Willenserklärung abgeben will.
 
Beispiel: Der O hebt in der Weinversteigerung die Hand, um Wein A zu ersteigern. Er verkennt dabei, dass gerade zur Abgabe eines Gebotes für Wein B aufgerufen wurde. Er erhält den Zuschlag für Wein B. Seine Willenserklärung ist wirksam, kann aber nach § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden.
 
Der Geschäftswille ist nach allgemeiner Meinung kein zwingendes Wirksamkeitserfordernis der Willenserklärung, was sich schon aus der Existenz der Anfechtungsvoraussetzungen nach §§ 119 ff. BGB ergibt (argumentum e contrario). Der fehlende Geschäftswille hindert die Willenserklärung also zunächst nicht an ihrer Wirksamkeit, kann aber zur Anfechtung berechtigen und damit letztlich zur ex-tunc-Beseitigung des Rechtsgeschäfts nach § 142 Abs. 1 BGB führen.
 
III. Zusammenfassung für den eiligen Leser
Zusammenfassend ist festzuhalten: Eine Willenserklärung besteht aus äußerem und innerem Tatbestand, wobei die Elemente des äußeren Tatbestandes sowie der Handlungswille im inneren Tatbestand zwingende Wirksamkeitsvoraussetzungen sind. Im äußeren Tatbestand ist regelmäßig nur der Rechtsbindungswille zu problematisieren, anhand dessen die Abgrenzung zwischen invitatio ad offerendum und offerta ad incertas personas sowie zwischen Vertrag und Gefälligkeitsverhältnis erfolgt. Umstritten ist, ob fehlendes Erklärungsbewusstsein die Wirksamkeit der Willenserklärung hindert. Nach herrschender Meinung genügt sog. potentielles Erklärungsbewusstsein, also dass der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung gewertet wird. Der fehlende Geschäftswille hindert nach allgemeiner Meinung die Wirksamkeit der Willenserklärung nicht, kann aber zur Anfechtung berechtigen. Werden die einzelnen Bestandteile der Willenserklärung sauber auseinandergehalten und lediglich an problematischen Stellen ausführlich behandelt, legt dies den Grundstein für ein gutes Abschneiden in der BGB AT-Klausur.
 
 

09.01.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-01-09 09:19:242020-01-09 09:19:24BGB AT Basics: Der Tatbestand einer Willenserklärung
Dr. Melanie Jänsch

OLG Hamm: Abgrenzung von Inhalts- und Eigenschaftsirrtum beim Identitätsirrtum

BGB AT, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

In seinem Urteil vom 4. April 2019 (Az.: 5 U 40/18) hat sich das OLG Hamm jüngst mit einer Fülle klausurrelevanter Probleme des BGB AT auseinandergesetzt. Konkret ging es um die schwierige Abgrenzung des Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB und des Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB beim Identitätsirrtum („error in objecto“) im Rahmen der Anfechtung einer dinglichen Einigung. Insbesondere war hierbei darauf zu achten, in strikter Befolgung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips zwischen schuldrechtlicher und dinglicher Ebene zu differenzieren. Die Entscheidung gleicht einem BGB AT-Lehrbuchfall und soll daher zum Anlass genommen werden, diese Grundprobleme – deren sichere Beherrschung nicht nur für Erstsemester unentbehrlich ist – durch Erläuterung im Gutachtenstil verständlicher zu machen.
 
A. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
K und V hatten einen Kaufvertrag über ein Pferd namens „H“ geschlossen, welches von V an K veräußert und übereignet wurde. Die Parteien kamen überein, dass der K die Möglichkeit erhalten sollte, das Pferd „H“ gegen ein anderes Pferd des V zu tauschen. Am 13.12.2016 teilte der V dem K per E-Mail mit, dass dieser „H“ gegen das Pferd „F“ tauschen könne. Das Pferd „F“ stamme aus einer sog. besonderen „Linienzucht“. Der K bat daraufhin um die Übersendung eines Fotos. Ein Mitarbeiter des V hatte jedoch nicht die Stute „F“ aus dem Stall geholt, um diese zu fotografieren, sondern das Pferd „G“. Folglich wurde dem K ein Foto des Pferdes „G“ gesendet. Die Parteien vereinbarten, dass der K sich zum Gut des V begeben und sich dort zunächst das Pferd anschauen sollte. Dabei ging der K davon aus, es handele sich bei dem Pferd, welches er im Austausch für „H“ erhalten solle, um das Pferd, dessen Fotografie ihm vorab zugesandt worden war. Am 15.12.2016 begab sich der K vereinbarungsgemäß zum Hof des V. Durch einen Mitarbeiter des V wurde dem K sodann die Stute „G“ vorgeführt. Der K sah sich das Pferd an und glich es mit der vorab vom V erhaltenen Fotografie ab. Die Parteien waren sich dann einig, dass der Beklagte das vorgeführte Pferd im Austausch für „H“ erhalten sollte. Der V ging jedoch davon aus, dass es sich bei dem vorgeführten Pferd um das von ihm in seiner E-Mail erwähnte und bezüglich der Abstammung näher beschriebene Pferd „F“ handele. Die Parteien unterzeichneten nach Besichtigung des Pferdes einen schriftlichen Kaufvertrag. In diesem Vertrag ist als Verkaufsobjekt das Pferd „F“ genannt. Der K ging bei der Vertragsunterzeichnung davon aus, dass es sich bei dem in dem Kaufvertrag bezeichneten Pferd „F“ um das Pferd handele, welches ihm zuvor vorgeführt worden war. Tatsächlich wurde dem K das Pferd „G“ ausgehändigt. Zudem wurde ihm der Equidenpass für das Pferd „F“ überreicht. Der K verbrachte das Tier und den Equidenpass nach Hause. Dort las er den in dem übergebenen Pferd zu Identifikationszwecken implantierten Mikrochip aus und stellte fest, dass der ihm überreichte Equidenpass nicht zu dem ihm übergebenen Pferd gehörte. Dies teilte er dem V mit.
Der V äußerte sofort, das Pferd „G“ wolle er auf jeden Fall zurück. Er sei ja dann wohl noch Eigentümer des Pferdes „G“, denn unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und insbesondere der Angaben aus dem Kaufvertrag sei stets deutlich gemacht worden, dass sich sein Übereignungswille lediglich auf das Pferd „F“ bezogen habe. Zudem erkläre er vorsorglich die Anfechtung seiner Willenserklärung, die auf die Übereignung des Pferdes „G“ gerichtet war, denn es sei offensichtlich zu einer Verwechslung gekommen. Der K dagegen möchte das Pferd „G“ gerne behalten; er sei sehr wohl Eigentümer geworden und der V müsse ihm vielmehr den entsprechenden Equidenpass aushändigen.
Hat V gegen K einen Anspruch auf Herausgabe des Pferdes „G“ aus § 985 BGB?
 
B. Rechtsausführungen
V könnte einen Anspruch aus § 985 BGB auf Herausgabe des Pferdes „G“ haben. Dies setzt voraus, dass V Eigentümer und K Besitzer des Pferdes ist und dieser kein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB hat.
 
I. Besitzerstellung des K
K müsste hierfür Besitzer des Pferdes sein. Besitz ist die tatsächliche Gewalt über eine Sache, vgl. § 854 Abs. 1 BGB. Bei einem Pferd handelt es sich zwar um ein Tier und nicht um eine Sache i.S.v. § 90 BGB. Gemäß § 90a S. 3 BGB finden indes die für Sachen geltenden Regelungen entsprechende Anwendung, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. K hat das Pferd „G“ zu seinem Hof verbracht, er hat folglich die unmittelbare Herrschaft erlangt und ist damit unmittelbarer Besitzer i.S.v. § 854 Abs. 1 BGB.
 
II. Eigentümerstellung des V
Der V müsste Eigentümer sein, § 903 BGB.
1. Ursprünglich war dies unstreitig der Fall, sodass es keines Rückgriffs auf die Vermutungsregelung des § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB bedarf.
2. V könnte jedoch sein Eigentum im Wege der rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung gemäß § 929 S. 1 BGB an K verloren haben.
a) Hierfür bedarf es einer dinglichen Einigung zwischen K und V dahingehend, dass K Eigentümer des Pferdes „G“ werden soll. Problematisch ist hierbei, dass im Kaufvertrag das Pferd „F“ als Verkaufsobjekt genannt wurde. Angesichts des Abstraktionsprinzips, wonach Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft in ihren rechtlichen Wirkungen voneinander unabhängig sind, bedeutet dies aber nicht, dass auch die dingliche Einigung auf die Übereignung des Pferdes „G“ gerichtet war. Im Gegenteil ist der Inhalt der dinglichen Einigung unabhängig vom Kaufvertrag durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Hier ergeben die Umstände des Falls, dass die Willenserklärungen auf den Eigentumserwerb des K am Pferd „G“ gerichtet waren. Denn die Parteien waren sich vor Ort gerade dahingehend einig, dass die Übereignung desjenigen Pferdes, das fotografiert und später vorgeführt worden war, erfolgen sollte. Sofern sie dieses Pferd währenddessen fälschlicherweise als Pferd „F“ bezeichneten, handelt es sich hierbei um eine sog. falsa demonstratio non nocet.
 
Zur Erinnerung: Sofern die Parteien das übereinstimmend Gewollte unbewusst falsch bezeichnen, erlangt ihr übereinstimmender Geschäftswille und nicht die im Verkehr übliche Bedeutung der Erklärung Geltung, falsa demonstratio non nocet (= Falschbezeichnung schadet nicht). Haben die Vertragspartner sich trotz objektiv falscher Bezeichnung richtig verstanden, besteht kein Bedürfnis, ihrem gemeinsamen Willen die Rechtswirkung zu versagen. Denn nicht die Bezeichnung ist hier für die Bestimmung der Willenserklärung ausreichend, sondern auch der dahinter stehende Wille. Der prominenteste Fall aus der deutschen Rechtsgeschichte hierzu ist der Haakjöringsköd-Fall.
 
Auch wenn also bei der Übergabe das Pferd „G“ als Pferd „F“ bezeichnet wurde, so ging es den Parteien doch offensichtlich um dasjenige Pferd, das vor ihnen stand. Dieses wollten sie übereignen. Das stellt auch das OLG Hamm in Übereinstimmung mit der Vorinstanz fest:

„Zu Recht hat das Landgericht klargestellt, dass es wegen des Abstraktionsprinzips in dem Moment von Einigung und Übergabe nicht auf die Bezeichnung des Pferdes im Kaufvertrag vom 15.12.2016 angekommen ist. In diesem Zusammenhang spielt es auch keine Rolle, ob dieser Kaufvertrag vor oder nach der Übergabe des Pferdes von den Parteien unterzeichnet worden ist. Hier ist der Kaufvertrag sogar unstreitig erst nach Übergabe des Pferdes von den Parteien unterzeichnet worden.“ (Rn. 67)

Mithin liegt eine dingliche Einigung zwischen K und V bezogen auf das Pferd „G“ vor.
b) Die Willenserklärung des V könnte aber infolge einer Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB ex tunc nichtig sein. Dazu müsste – neben der Anfechtungserklärung und der Wahrung der Anfechtungsfrist– zunächst ein tauglicher Anfechtungsgrund vorliegen, der sich gerade auf die dingliche Willenserklärung
 aa) Der V behauptet, er sei einem Irrtum über die Identität des Übereignungsgegenstandes („error in objecto“) insofern erlegen, als er bei der Übereignung davon ausgegangen sei, dass er ein bestimmtes Pferd aus der sog. Linienzucht mit einem bestimmten Alter übereignen würde. Dies treffe auf das Pferd „G“ aber nicht zu, sondern nur auf das Pferd „F“. Zu prüfen ist, ob und inwiefern es sich hierbei um einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum handeln kann. Möglich erscheint das Vorliegen eines Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB, der dann besteht, wenn er Erklärende über den objektiven Sinngehalt des Erklärten irrt. Kurz gesagt: Er erklärt objektiv etwas anderes, als er subjektiv erklären will. Ein Inhaltsirrtum kann aber auch dann gegeben sein, „wenn der Erklärende zwar das richtige Erklärungsmittel verwendet, um seinen rechtsgeschäftlichen Willen kundzugeben, die Willenserklärung aber durch Bezugnahme auf bestimmte Umstände, über die der Erklärende sich im Irrtum befindet, erst ihre volle, vom Erklärenden nicht gewollte Bedeutung erhält“ (MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2019, § 119 BGB Rn. 77). Dies ist insbesondere beim Identitätsirrtum der Fall. Denn: „Hier dient das verwendete Erklärungszeichen der Bezeichnung einer konkreten Person oder eines konkreten Gegenstandes; allein wegen der konkreten Umstände trifft es nicht auf die gemeinte Person oder den gemeinten Gegenstand zu“ (MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2019, § 119 BGB Rn. 78). In Betracht kommt neben dem Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 BGB aber auch ein Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 2 BGB als Sonderfall des Motivirrtums. Das OLG Hamm hat daher die beiden Anfechtungsgründe voneinander abgegrenzt:

„Bei einem Inhaltsirrtum entspricht der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden. Dieser irrt aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Er weiß also was er sagt, weiß aber nicht, was er damit sagt. (Vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rdn. 11). Dem gegenüber stimmen bei einem Eigenschaftsirrtum Wille und Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit. Es handelt sich also um einen ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rdn. 23).“ (Rn. 72 f.)

Dies zugrunde legend stelle sich die Einordnung im vorliegenden Fall als schwierig dar, wie das Gericht einräumt:

„Ein derartiger Irrtum dürfte einen Inhaltsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 S. 1 Alternative 1 BGB darstellen, wobei die Abgrenzung zwischen einem Inhaltsirrtum und einem Eigenschaftsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB in einem solchen Fall schwierig sein kann (vgl. zum Ganzen: Staudinger/Singer, BGB, Neubearbeitung 2017, § 119 Rdn. 45 ff. und Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 119 Rdn. 14).“ (Rn. 71)

Damit vermag das OLG Hamm zunächst zur Annahme eines Inhaltsirrtums zu tendieren, lässt die Abgrenzung letztlich aber offen, da im konkreten Fall jedenfalls ein Eigenschaftsirrtum gegeben sei:

„Der skizzierte Abgrenzungsstreit kann hier dahingestellt bleiben. Nach seiner Darstellung will der Kläger nämlich bei der Abgabe der Einigungserklärung im Sinne von § 929 S. 1 BGB davon ausgegangen sein, nicht die Stute „G“, sondern die Stute „F“ mit einem ganz bestimmten Alter (3,5 Jahre) und einem ganz bestimmen Stammbaum (Mutter: „Q2“; Vater und Großvater: „Q“) zu übereignen. Dem gegenüber war die Stute „G“ im Dezember 2016 erst 2,5 Jahre alt, ihre Mutter war „X“ und ihr Vater ebenfalls „Q“. Alter und Stammbaum sind bei einem Pferd wertbildende Merkmale und daher verkehrswesentliche Eigenschaften im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB (vgl. Staudinger/Singer, a.a.O., Rdn. 80 ff. und Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rdn. 27). Mithin ist der Kläger jedenfalls einem Eigenschaftsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB erlegen gewesen.“ (Rn. 74 ff.)

 
Die Abgrenzung von Inhalts- und Eigenschaftsirrtum beim Identitätsirrtum ist auch in der Literatur umstritten (s. hierzu ausführlich MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2019, § 119 BGB Rn. 79). Die Einordnung des Irrtums könnte indes sogar offen gelassen werden; angesichts der gleichen Anfechtungsfrist ist eine Entscheidung für oder wider den einen oder anderen Anfechtungsgrund praktisch folgenlos (so auch BeckOK BGB/Wendtland, 51. Ed., Stand: 01.08.2019, § 119 BGB Rn. 35).
 
bb) Der V hat die Anfechtung auch gemäß § 143 Abs. 1, 2 BGB gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erklärt.
cc) Dies geschah auch ohne schuldhaftes Zögern, mithin unverzüglich i.S.v. § 121 BGB, sodass auch die Anfechtungsfrist gewahrt wurde.
dd) Die Willenserklärung des V wurde also wirksam angefochten und ist damit gemäß § 142 Abs. 1 BGB ex tunc nichtig.
c) Es besteht nach erfolgter Anfechtung keine dingliche Einigung zwischen K und V.
3. V hat das Eigentum an dem Pferd „G“ nicht an den K im Wege rechtsgeschäftlicher Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1 BGB verloren. Er ist also noch Eigentümer.
 
III. Recht zum Besitz, § 986 BGB
Ferner dürfte der K auch kein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB haben. Ein solches könnte aus dem zwischen K und V abgeschlossenen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB ergeben. Indes ist als Kaufobjekt ausdrücklich das Pferd „F“ bezeichnet. Aus dem Kaufvertrag kann K damit kein Besitzrecht bezogen auf das Pferd „G“ herleiten.
 
Anmerkung: wiederum Achtung – Abstraktionsprinzip! Auch wenn sich die Übereignung ursprünglich auf das Pferd „G“ bezogen hat, ist Kaufgegenstand offensichtlich Pferd „F“.
 
IV. Ergebnis
V hat gegen K einen Anspruch auf Herausgabe des Pferdes „G“ aus § 985 BGB.
 
C. Fazit
Es gilt damit: Bei einem Identitätsirrtum kann ein Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB oder ein Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 2 BGB vorliegen, wobei die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann. Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit, dass ein Eigenschaftsirrtum i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB nach den Darlegungen des Klägers sicher gegeben war, sodass der Abgrenzungsstreit offenbleiben konnte. Muss dieser jedoch – in einem weniger eindeutigen Klausurfall – geführt werden, wird es, da die Abgrenzung von Inhalts- und Eigenschaftsirrtum beim Identitätsirrtum lebhaft umstritten ist, hierbei weniger auf ein bestimmtes Ergebnis ankommen. Wichtig ist vielmehr eine gute Argumentation, auf deren Basis sich dann für den Inhalts- oder Eigenschaftsirrtum entschieden wird.
 
 

10.10.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-10-10 09:00:162019-10-10 09:00:16OLG Hamm: Abgrenzung von Inhalts- und Eigenschaftsirrtum beim Identitätsirrtum
Dr. Yannik Beden, M.A.

Examensrelevante Entscheidung des BAG: Gebot fairen Verhandelns bei Aufhebungsverträgen

Arbeitsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Ein für die zivilrechtliche Examensprüfung besonders relevantes Urteil hat der Sechste Senat des BAG am 7.2.2019 – 6 AZR 75/18 gefällt. Das Gericht hat nochmals Stellung zum Widerruf von Aufhebungsverträgen bei Arbeitsverhältnissen genommen und sich darüber hinaus zum bislang wenig diskutierten „Gebot fairen Verhandelns“ geäußert. Die Entscheidung legt nahe, dass dieser schuldrechtliche Grundsatz in der arbeitsrechtlichen Praxis nunmehr zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, nicht zuletzt, da ihm ähnliche Erwägungen vorgeschaltet sind wie dem Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen. In der Folge muss damit gerechnet werden, dass die Entscheidung auch Einzug in die Examensprüfungen finden wird. Ein vertiefter Blick in das Urteil des BAG ist deshalb dringend geboten:
I. Der Sachverhalt (Pressemitteilung entnommen)
„Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Sie schloss in ihrer Wohnung mit dem Lebensgefährten der Beklagten einen Aufhebungsvertrag, der die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vorsieht. Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen sind umstritten. Nach Darstellung der Klägerin war sie am Tag des Vertragsschlusses erkrankt. Sie hat den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise widerrufen. Mit ihrer Klage wendet sie sich ua. gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag.“
II. Kein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers nach §§ 312 I, 312g I, 355 BGB
Der Sechste Senat stellte zunächst fest, dass dem Vortrag der Arbeitnehmerin keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Anfechtungsgrunds entnommen werden konnten. Ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB stünde ihr ebenso wenig zu: Nach der gefestigten Rechtsprechung des BAG sind Arbeitnehmer zwar Verbraucher i.S.v. § 13 BGB. Gleichermaßen entspricht es der Judikatur des Gerichts zur alten Gesetzeslage, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht vom Anwendungsbereich der Widerrufsvorschriften umfasst werden sollen (BAG Urteil v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597). Dieses Verständnis legte auch die Vorinstanz zugrunde: Das streitgegenständliche Widerrufsrecht stelle ein „vertragstypenbezogenes Verbraucherschutzrecht“ dar und finde nur bei besonderen Formen des Vertriebs Anwendung – der Arbeitsvertrag und der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertragen fielen hierunter eben nicht (LAG Niedersachsen Urteil v. 7.11.2017 – 10 Sa 1159/16, NZA-RR 2018, 361 (362). Blickt man in die Gesetzesmaterialien zum reformierten Verbraucherwiderrufsrecht, bestätigt sich diese Bewertung nochmals. Ein Verbrauchervertrag liegt danach nur vor, wenn ein Unternehmer (§ 14 BGB) zur Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung und der Verbraucher (§ 13 BGB) zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet werden (BT-Drucks. 17/12637, S. 45). Da der Aufhebungsvertrag keine entgeltliche Leistung des Arbeitgebers zum Gegenstand hat, fehlt es insofern bereits an der zuvor erläuterten vertraglichen Charakteristik von Verbraucherverträgen. Auch § 312 Abs. 1 BGB spricht von einer „entgeltlichen Leistung“ des Unternehmers. Dass eine solche fehlt dürfte wohl auch dann anzunehmen sein, wenn der Aufhebungsvertrag eine Abfindungszahlung an den Arbeitnehmer vorsieht. Auch diese kann offenkundig weder als Warenlieferung noch als Erbringung einer Dienstleistung verstanden werden.
Damit steht fest: Dass der Aufhebungsvertrag in den Räumlichkeiten der Wohnung der Arbeitnehmerin abgeschlossen wurde führte deshalb nicht darüber hinweg, dass ihr kein Widerrufsrecht für ein außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers geschlossenes Rechtsgeschäft zusteht. Der Aufhebungsvertrag konnte von der Beschäftigten weder wirksam angefochten noch widerrufen werden. Allerdings war das rechtliche Schicksal des Arbeitsverhältnisses damit noch nicht besiegelt. Das BAG führt nunmehr eine neue Überlegung ein, die bei genauerer Betrachtung das Fehlen eines Verbraucherwiderrufsrechts in gewisser Hinsicht „abfedert“.
III. Aber: Gebot fairen Verhandelns als vertragliche Nebenpflicht – § 280 I 1 BGB
Auch wenn dem Arbeitnehmer bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags außerhalb der Räumlichkeiten im Betrieb des Arbeitgebers kein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zusteht, liegt auf der Hand, dass eine „Überrumpelungsgefahr“ oftmals nicht auszuräumen ist. Aufgrund des dem Arbeitsvertrag immanenten Abhängigkeitsverhältnisses sowie der strukturellen Disparität von Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann im Einzelfall Grund zur Annahme bestehen, dass der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag nicht vollständig aus freien Stücken hat schließen wollen. Es stellt sich dann die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang derartige Umstände rechtlich zu berücksichtigen sind. Das BAG erkennt die Problemstellung und reagiert hierauf mit einem Rückgriff auf ein Rechtsinstitut, das in der Literatur bereits mehrfach Anklang gefunden hat. Mit dem sog. Gebot fairen Verhandelns soll der allgemeinen Gefahr einer potentiellen Überrumpelung des Arbeitnehmers über das Statuieren von Informationspflichten vorgebeugt werden (Thüsing, RdA 2005, 257 (268)). Bereits im Diskurs über eine etwaige analoge Anwendung der §§ 312 ff. BGB auf arbeitsvertragliche Aufhebungsverträge wurde argumentiert, dass eine Regelungslücke schon fehle, weil durch das Gebot fairen Verhandelns die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmer hinreichend Berücksichtigung finde (Däubler, NZA 2001, 1329 (1334); Henssler, RdA 2002, 129 (135)). Es handelt sich mithin um einen Rechtsgedanken, der dem Arbeitsrecht seit einiger Zeit vertraut ist.
Was aber folgt nun konkret aus diesem Gebot? Das BAG stellt in seiner Entscheidung ausdrücklich fest, dass das Gebot fairen Handelns eine vertragliche Nebenpflicht sei. Verletzt werde sie, wenn eine der Vertragsparteien z.B. eine psychische Drucksituation schaffe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erhebliche erschwere. In seinen Grundzügen soll das Gebot fairen Verhandelns also vor zumindest ähnlichen Fehlentscheidungen schützen, die auch mit dem Widerrufsrecht für Verbraucher adressiert werden. Allerdings werden bereits an dieser Stelle maßgebliche Unterschiedliche deutlich: Das Widerrufsrecht kann bedingungslos in Anspruch genommen werden, an das Gebot fairen Verhandelns können Rechtsfolgen nur geknüpft werden, wenn der Arbeitgeber eine schuldhafte Pflichtverletzung begeht. Im Einzelnen urteilte das BAG, dass eine psychische Drucksituation etwa in der krankheitsbedingten Schwäche der klagenden Arbeitnehmerin gesehen werden könnte, die der Arbeitgeber ggf. zu seinen Gunsten ausgenutzt hat. Verletzt der Arbeitgeber das Gebot fairen Verhandelns und damit eine vertragliche Nebenpflicht (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB), ist gem. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich Naturalrestitution zu leisten. Das BAG schlussfolgert daraus, dass die Arbeitnehmerin so zu stellen sei, wie sie stünde, hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Im Ergebnis führt der Schadensersatzanspruch dann zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Damit kann festgehalten werden, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nunmehr nicht ausschließlich im Lichte des Anfechtungsrechts betrachtet werden müssen. Auch aus dem allgemeinen Schadensersatzrecht können sich Auswirkungen auf das rechtliche Schicksal des Aufhebungs- und damit auch Arbeitsvertrags ergeben, nämlich dann, wenn der Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen ist.      
IV. Kurze Summa
Die Wirksamkeit arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge muss in der (Examens-)Klausur nunmehr unter einem weiteren Gesichtspunkt geprüft werden. In einem ersten Schritt gilt es wie gewohnt zu prüfen, ob der Aufhebungsvertrag durch wirksame Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB ex-tunc nichtig ist. Ist das zu verneinen, sollte eine kurze Auseinandersetzung mit den §§ 312 ff. BGB stattfinden, mit dem Ergebnis, dass der Vertragstypus des Aufhebungsvertrags nicht unter die Verbraucherschutzvorschriften fällt. Zuletzt muss dann ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB geprüft werden, wobei das Gebot fairen Verhandelns als vertragliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag den Anknüpfungspunkt bildet. Auf der Rechtsfolgenseite sollte dann herausgearbeitet werden, dass sich § 249 BGB auf die Wiederherstellung das status quo ante bezieht, das Arbeitsverhältnis mithin fortbesteht. Wer diese Punkte sauber abarbeitet, sollte eine stringente Lösung präsentieren können.
 
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25.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2019-03-25 09:30:352019-03-25 09:30:35Examensrelevante Entscheidung des BAG: Gebot fairen Verhandelns bei Aufhebungsverträgen
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Zustandekommen eines Vertrages über „Sofort-Kaufen“-Funktion – Auslegung und Anfechtung

BGB AT, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Eine äußerst examensrelevante Entscheidung hat der BGH mit Urteil vom 15. Februar 2017 – VIII ZR 59/16 zum Zustandekommen eines Vertrags über den „Sofort-Kaufen“- Button auf der Plattform Ebay getroffen. Der Sachverhalt wirft zwei (vom BGH abschließend beantwortete) Fragen zur Auslegung und Anfechtung eines über diesen Button geschlossenen Kaufvertrages auf und sollte in jeder Examensvorbereitung behandelt werden – spielen doch beide Problemkreise im Allgemeinen Teil des BGB.

I. Sachverhalt (gekürzt, dem Urteil entnommen)

Der Beklagte bot im Oktober 2014 über die Internet-Plattform eBay unter Nutzung der Festpreis-Funktion „Sofort-Kaufen“ ein E-Bike zum Kauf an. An der dafür vom Plattformbetreiber auf der Angebotsseite vorgesehenen Stelle trug der Beklagte einen Sofortkaufpreis von 100 € und Versandkosten von 39,90 € ein. Die auf der Angebotsseite vom Beklagten unter Verwendung von Großbuchstaben und Fettdruck der Preisangabe unmittelbar vorangestellte Artikelbezeichnung lautete:
 
„Pedelec neu einmalig 2600 € Beschreibung lesen!!“
 
Am Ende der Artikelbeschreibung hatte der Beklagte – wiederum in Großbuchstaben – folgende Angaben hinzugefügt:
 
„Das Fahrrad ist noch original verpackt, kann aber auf Wunsch zusammengebaut werden. Bitte Achtung, da ich bei der Auktion nicht mehr als 100 € eingeben kann (wegen der hohen Gebühren), erklären Sie sich bei einem Gebot von 100 € mit einem Verkaufspreis von 2600 + Versand einverstanden. Oder machen Sie mir einfach ein Angebot! Danke.“
 
Der auf das Angebot aufmerksam gewordene Kläger betätigte am 16. Oktober 2014 die Schaltfläche („Button“) „Sofort-Kaufen“ auf der Angebotsseite, um das E-Bike zu erwerben. 
 
II. Rechtliche Würdigung
1. Zunächst ist das Zustandekommen eines Kaufvertrages nach den §§ 133, 157 BGB zu prüfen. Grundsätzlich sind nach st. Rspr. des BGH Willenserklärungen auf der Plattform Ebay anhand der zugrunde liegenden AGB auszulegen.  Demnach müsste man zunächst einen Kaufpreis von 100€ annehmen, da der „Sofort-Kaufen“-Button den endgültigen Kaufpreis den AGB zufolge enthält. Anders aber im vorliegenden Fall: Der Anbieter machte sowohl in der Überschrift als auch in der Beschreibung deutlich, dass der Kaufpreis nicht 100€, sondern 2600€ betragen soll. Damit rückte er eindeutig von den AGB ab, weswegen diese nicht mehr zu Auslegung herangezogen werden können. Die AGB finden daher in der vorzunehmenden Auslegung keine Berücksichtigung mehr, so dass auch die Zweifelsregelung der §§ 305b/§305c BGB nicht weiterhilft. Vielmehr ist eine eigenständige Auslegung nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmen.
 
Ausgangspunkt muss dabei das Angebot nach § 145 BGB sein. Worin besteht dieses tatsächlich? Zunächst liegt kein eindeutiges Angebot über 100€ vor  – Überschrift und Beschreibung treten der „Erklärung“ neben dem Button ja gerade entgegen. Der Button ist somit nur ein Auslegungskriterium unter mehreren. Auch liegt nicht bloß eine nicht ernstlich gemeinte Erklärung (§ 118 BGB) über 100€ vor, die zum Fehlen einer Willenserklärung über 2600€ führen würde. Vielmehr ist ein eindeutiges Angebot über 2600€ abgegeben. Es erschließt sich für den objektiven Betrachter, dass die 100€ nur aufgenommen wurden, um Gebühren zu sparen. Ernstlich wurde hingegen ein Verkaufsangebot ad incertas personas i.H.v. 2600€ abgegeben. Dieses verstößt nicht gegen § 134 BGB, da der Verstoß gegen die allein zwischen den Vertragspartnern und Ebay geltenden AGB jedenfalls keinen gesetzlichen Verstoß hinsichtlich deren Vertragsverhältnis begründet.
 
Dieses eindeutige Angebot hat der Kläger auch angenommen, da er vorbehaltlos den insoweit maßgeblichen Button betätigt hat, § 147 BGB. Er erklärte gerade nicht, nur zu 100€ kontrahieren zu wollen – womit ein neues Angebot verbunden wäre – sondern nahm das nach objektivem Empfängerhorizont auf 2600€ lautende Angebot an.
 
2. Der Kläger hat seine Willenserklärung aber wirksam angefochten, § 142 Abs. 1 BGB. Die Anfechtungserklärung wurde zwar nicht ausdrücklich, aber konkludent abgegeben. Der Kläger wollte am nächsten Tag das Geschäft nicht gegen sich gelten lassen, sondern verlangte Abwicklung zu einem Kaufpreis von 100€. Hierin liegt eine Eventualanfechtung, nämlich für den Fall, dass tatsächlich zu einem anderen Kaufpreis kontrahiert wurde. Dies ist keine echte (unzulässige) Bedingung, sondern eine bloße Rechtsbedingung: Die Wirkung der Anfechtung ergibt sich nämlich schon aus dem Recht bzw. für die Parteien aus der künftigen gerichtlichen Klarstellung. Die Ungewissheit besteht also gleichsam nur für die Parteien. Der BGH führt hierzu aus:
Einer Wirksamkeit dieser Anfechtungserklärung steht nicht entgegen, dass der Kläger gleichwohl in erster Linie die Erfüllung des Kaufvertrages durch den Beklagten nach Maßgabe des von ihm angenommenen Vertragsinhalts begehrt und insoweit von einem (Fort-) Bestand des Vertrages ausgeht. Zwar ist eine Anfechtungserklärung wegen ihres Gestaltungscharakters grundsätzlich bedingungsfeindlich (BGH, Urteil vom 28. September 2006 – I ZR 198/03, NJW-RR 2007, 1282 Rn. 17 mwN). Gleichwohl wird aber eine Eventualanfechtung, also eine Anfechtung für den Fall, dass das Rechtsgeschäft nicht den in erster Linie behaupteten Inhalt hat oder nicht ohnehin nichtig ist, allgemein für zulässig gehalten, weil hierin keine Bedingung im Rechtssinne zu sehen ist.
Auch liegt ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum nach § 119 BGB vor. Ein solcher Irrtum setzt ein Auseinanderfallen von Wille und Erklärung voraus – oder wie ein alter Lehrspruch lautet: Der Erklärende weiß, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt. Der Kläger ging davon aus, zu 100€ zu kontrahieren und gab eine entsprechende Erklärung ab. Sein Wille war also auf Abschluss eines Vertrages zu 100€ gerichtet; tatsächlich erklärte er aber eine Annahme über 2600€. Wille und Erklärung fallen mithin auseinander. Selbst wenn der Kläger aber das Angebot nicht zu Ende gelesen hätte, stünde dies einem Inhaltsirrtum nicht entgegen, solange sich der Erklärende eine bestimmte (Fehl-) Vorstellung über seinen Erklärungsinhalt gemacht hat. Insoweit ist der Fall also abzugrenzen vom vollständigen Fehlen einer Vorstellung – dann liegt kein Inhaltsirrtum vor.
 
III. Die wesentlichen Punkte der Entscheidung
  • Grundsätzlich können die Ebay-AGB zur Auslegung des Vertragsschlusses zwischen zwei Nutzern herangezogen werden.
  • Etwas anderes gilt hingegen, wenn eine eindeutige Distanzierung von den AGB vorliegt, diese also gerade nicht Grundlage des Vertragsschlusses sein sollen.
  • Dies ist insbesondere der Fall, wenn unter dem „Sofort-Kaufen“-Button ein anderer Preis steht als im restlichen Angebot und eindeutig ist, welcher Preis gemeint ist.
  • Eine Anfechtungserklärung erfolgt konkludent, wenn gegenüber dem Kontrahierungspartner ein niedrigerer Preis als vereinbart durchzusetzen versucht wird.
  • Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Nutzer einer Fehlvorstellung über die Höhe des Preises unterliegt, da er allein formal auf den „Sofort-Kaufen“-Button abstellt und nicht – wie ein objektiver Dritter – den gesamten Angebotsinhalt zur Auslegung heranzieht.

 

02.06.2017/7 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-06-02 10:00:242017-06-02 10:00:24BGH: Zustandekommen eines Vertrages über „Sofort-Kaufen“-Funktion – Auslegung und Anfechtung
Redaktion

Schema: Anfechtung, §§ 119 ff. BGB

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Schema: Anfechtung, §§ 119 ff. BGB

  • Gestaltungsrecht
  • Angefochten wird jeweils nur die eigene Willenserklärung, nicht der gesamte Vertrag.

 
I. Anwendbarkeit

– Grds. für alle Willenserklärungen anwendbar, für geschäftsähnliche Handlungen gelten die §§ 119 ff. BGB analog.

– Realakte sind nicht anfechtbar.

– Rechtsscheintatbestände sind nicht anfechtbar.

II. Zulässigkeit der Anfechtung
Anfechtung ist nicht zulässig, soweit gesetzliche Sonderregelungen bestehen, z.B.:

– im Falle des § 144 BGB;

– die §§ 434 ff. BGB schließen eine Anfechtung nach § 119 II BGB aus.

III. Voraussetzungen

1. Anfechtungserklärung (§ 143 I BGB)

– Einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung.
– Jede Willensäußerung, die eindeutig erkennen lässt, dass das Geschäft wegen eines Willensmangels beseitigt werden soll (§§ 133, 157 BGB).
– Anfechtung ist Gestaltungsrecht und daher bedingungsfeindlich. Potestativbedingungen sind zulässig (str.).
– Teilanfechtung möglich, sofern das Rechtsgeschäft teilbar ist (§ 139 BGB).

2. Durch den Anfechtungsberechtigten

– Grds. derjenige, der die Erklärung abgegeben hat.
– Bei der Stellvertretung ist jeweils derjenige anfechtungsberechtigt, in dessen Person die Rechtsfolgen der Willenserklärung eintreten:

– grds. der Geschäftsherr, dabei ist § 166 BGB zu beachten.
– eine Ausnahme liegt beim Vertreter ohne Vertretungsmacht vor.

3. Gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner (§ 143 II-IV BGB)

4. Mit Anfechtungsgrund (§§ 119-123 BGB)

a) Inhaltsirrtum (§ 119 I Fall 1 BGB)

aa) Irrtum über Inhalt der Willenserklärung

bb) Bei der Abgabe

cc) Kausalität zwischen Irrtum und Willensabgabe

b) Erklärungsirrtum (§ 119 I Fall 2 BGB)

aa) Irrtum in der Erklärungshandlung (Versprechen, Verschreiben, Vergreifen)

bb) Bei der Abgabe

cc) Kausalität zwischen Irrtum und Willensabgabe

c) Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

aa) Irrtum über Eigenschaft einer Person/ Sache

bb) Verkehrswesentlichkeit dieser Eigenschaft

cc) Kausalität zwischen Irrtum und Willensabgabe

d) Falsche Übermittlung ( § 120 BGB)

aa) Unrichtige Übermittlung einer Willenserklärung

bb) Durch die übermittelnde Person oder Einrichtung (Erklärungsbote)

cc) Unbewusst: Bei bewusst falscher Übermittlung haftet der Bote nach § 179 BGB.

dd) Kausalität zwischen Irrtum und Willensabgabe

e) Arglistige Täuschung

aa) Täuschung (§ 123 I Fall 1 BGB)
Jedes Verhalten, Tun oder Unterassen, das auf die Erregung, Bestärkung oder Unterhaltung eines Irrtums beim Erklärenden gerichtet ist.

bb) Arglist

cc) Irrtum

dd) Kausalität zwischen Täuschung und Willenserklärung

ee) Rechtswidrigkeit

ff) Kein Ausschluss: Täuschender darf kein Dritter i.S.d. §123 II BGB sein.

f) Widerrechtliche Drohung

aa)  Drohung
Das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Täter Einfluss zu haben vorgibt.

bb)  Widerrechtlichkeit (des Mittels, des Zwecks oder der Mittel-Zweck-Relation)

cc)  Kausalität zwischen Drohung und Willenserklärung

dd) Jedenfalls Vorsatz bzgl. Drohung und Kausalität, nach der Rspr. muss der Vorsatz sich auch auf die Widerrechtlichkeit beziehen.

5. Anfechtungsfrist

– § 121 BGB: Unverzüglich in den Fällen der §§ 119, 120 BGB.

– § 124 BGB: Innerhalb eines Jahres in den Fällen des § 123 BGB.

6. Rechtsfolge:

– § 142 I BGB: Ex tunc Nichtigkeit
; Ausnahmsweise ex nunc Wirkung im Arbeitsrecht bei in Vollzug gesetzten Arbeitsverträgen und im Gesellschaftsrecht.

– § 122 BGB: Anspruch des Erklärungsgegners auf Schadensersatz in den Fällen der §§ 119, 120 BGB. Daneben sind Ansprüche aus §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB denkbar (hM).

– In den Fällen des § 123 BGB können dem Anfechtenden nach den allgemeinen Regeln Schadensersatzansprüche zustehen, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind.

– Rückabwicklung über §§ 812 ff. BGB, dabei ist umstritten, ob durch die Anfechtung der Rechtsgrund von Anfang an entfällt (§ 812 I 1 Fall 1 BGB) oder nachträglich wegfällt (§ 812 I 2 Fall 1 BGB).

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

08.09.2016/2 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-09-08 10:00:082016-09-08 10:00:08Schema: Anfechtung, §§ 119 ff. BGB
Maria Dimartino

Arbeitsvertrag- Anfechtung – Recht zur Lüge?

Arbeitsrecht, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schwerpunktbereich, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Sachverhalt (nach BAG v. 07.07.2011, 2AZR 396/10)
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung und einer Kündigung. Die Klägerin ist seit 2007 bei der Beklagten angestellt. Die Beklagte beschäftigt 1500 Arbeitnehmer. Seit 1998 ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Bevor es zum damaligen Zeitpunkt zum Abschluss eines Arbeitsvertrages kam, wurde der Klägerin ein Personalfragebogen vorgelegt, in dem sie nach einer anerkannten Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung gefragt wurde. Diese Frage hatte die Klägerin wahrheitswidrig mit „Nein“ beantwortet. Im Jahre 2008 teilte die Klägerin der Beklagten ihre Schwerbehinderung mit. Zuvor hatte die Beklagte versucht sich durch Aufhebungsvertrag von der Klägerin zu trennen. Am selben Tag, an dem die Beklagte von der Schwerbehinderung der Klägerin erfuhr, stellte die Beklagte die Klägerin von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei und forderte diese auf ihre persönlichen Sachen aus ihrem Büro zu entfernen und Arbeitsmittel herauszugeben. Des Weiteren wurden Zugangsberechtigungen zu E-Mails, EDV und Kundendatenbanken gesperrt. Am darauffolgenden Tag erklärte die Beklagte der Klägerin die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Zudem kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis (hilfsweise außerordentlich), nachdem die Zustimmung des Integrationsamtes vorlag. Die Klägerin erhob innerhalb der Drei-Wochen-Frist Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht.
 
A. Zulässigkeit der Klage
Die Klage ist zulässig.
B. Begründetheit der Klage
I.  Wirksame Anfechtung, § 123 Abs. BGB
1. Arbeitsverhältnis, § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag (+)
2. Anfechtungserklärung, § 143 Abs. 1 BGB (+)
Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin die Anfechtung erklärt.
 3. Anfechtungsgrund (-)
Es müsste außerdem ein Anfechtungsgrund vorliegen; in Betracht kommen vorliegend:

  • 119 Abs.1 Alt. 1 BGB Inhaltsirrtum
  • 119 Abs.1 Alt. 2 BGB Erklärungsirrtum
  • 119 Abs. 2 BGB Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache
  • 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB arglistige (widerrechtliche) Täuschung
  • 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB widerrechtliche Drohung

Anmerkung: Wegen der kurzen Anfechtungsfrist und Schadensersatzfolge des § 122 BGB wird man in der Praxis – soweit möglich – eine Anfechtung über § 123 BGB vorrangig geltend gemacht.
Arglistige Täuschung, § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB
In diesem Fall hat sich der Arbeitgeber auf eine arglistige Täuschung gem. § 123 Abs. 1 Alt. BGB berufen.
Problem: Zulässige Frage des Arbeitgebers?
Ob eine Frage unzulässig ist, wird danach bestimmt, welches Interesse überwiegt: das Interesse des Arbeitgebers an einer umfassenden Information oder das Interesse des Arbeitnehmers daran seine Privatsphäre zu schützen (allgemeines Persönlichkeitsrecht). Ist die Frage unzulässig, hat das zur Folge, dass die Rechtswidrigkeit der Täuschung entfällt – besser bekannt als das „Recht zur Lüge“. D.h. der Arbeitgeber darf zwar alles fragen, der Arbeitnehmer darf aber unzulässige Fragen wahrheitswidrig beantworten.
Hier die Frage nach der Schwerbehinderung: Ein grundsätzliches Fragerecht nach einer Schwerbehinderung, ohne dass für den Arbeitgeber Indizien vorliegen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung aufgrund seiner Behinderung nicht erbringen werden kann, wird es unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und dem neu in Kraft getretenen § 81 Abs. 2 SGB IX (betriebliches Eingliederungsmanagement) nicht geben.
Das Interesse des Arbeitgebers an der Frage nach einer Schwerbehinderung kann aber im konkreten Einzelfall durchaus überwiegen, z.B. bei der Vorbereitung von Kündigungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, vgl. BAG v. 16.2.2012, 6 AZR 553/10.
In diesem Fall wurde die Frage nicht entschieden, da die Beklagte behauptete, sie hätte die Klägerin auch bei Kenntnis eingestellt und es wäre auch ohne Täuschung zum Arbeitsvertragsabschluss gekommen. Es ginge der Beklagten vielmehr um die „Ehrlichkeit“ (wohl auch darum eine Entschädigungsklage nach § 15 AGG wegen Diskriminierung zu vermeiden).
Exkurs: Weitere Fragen, über die das BAG zu entscheiden hatte:

  • Frage nach Schwangerschaft (-), auch bei Schwangerschaftsvertretung
  • Gewerkschaftszugehörigkeit (-)
  • Vorstrafen (nur einschlägige +)
  • eingestellte Strafverfahren (-)
  • Religion und Parteizugehörigkeit (grds. (-), Ausnahme: Tendenzbetriebe bei entsprechender Stellenbesetzung)

Exkurs: Arbeitsrechtliche Besonderheiten bei Anfechtung
Grundsätzlich hat eine wirksame Anfechtung zur Folge, dass das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist, vgl. § 142 Abs. 1 BGB. Diese Wirkung ist nicht ohne Weiteres auf das Arbeitsrecht zu übertragen. Hier muss den arbeitsrechtlichen Besonderheiten Genüge getan werden; beispielsweise der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer die Arbeit bereits erbracht hat und eine Rückabwicklung nicht möglich ist, wenn der Rechtsgrund dafür rückwirkend entfällt. Soweit ein Arbeitsverhältnis also bereits in Vollzug gesetzt wurde, so wirkt eine wirksame Anfechtung nicht von Anfang an (ex tunc), sondern erst ab der wirksamen Anfechtung (ex nunc).
4. Frist
Die Frist zur Anfechtung ist auch noch nicht verstrichen, denn diese beginnt erst ab Kenntnis und muss innerhalb eines Jahres erfolgen, § 124 Abs. 1, Abs. 2 BGB.
5. Ergebnis
Die Anfechtung ist unwirksam. Das Arbeitsverhältnis ist nicht aufgrund einer Anfechtung aufgelöst.
 
 II. Außerordentliche Kündigung, § 626 BGB
 1. Vorherige Zustimmung des Integrationsamtes gem. §§ 2, 85 SGB IX (+)
Das Arbeitsverhältnis muss sechs Monate bestanden haben vgl. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX.
2. Kündigungserklärung, §§ 623, 626 Abs. 1 und Abs. 2 BGB (+)
Die Kündigungserklärung erfolgte der Klägerin gegenüber schriftlich. Die außerordentliche Kündigung wurde innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB erteilt.
 3. Wichtiger Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB (-)
a) Sachverhalt grundsätzlich geeignet
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. 

„Die Täuschung wirkte nicht in einer Weise nach, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Die Klägerin war mehr als eineinhalb Jahre im Arbeitsverhältnis tätig, ohne dass es Beanstandungen gegeben hätte.“ (BAG v. 07.07.2011, 2AZR 396/10)

Anmerkung: Anfechtung und Kündigung stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Beide Gestaltungsrechte stehen nebeneinander (vgl. BAG 28. 03.1974 – AZR 92/73).

„Die Anfechtung setzt zwar einen Grund voraus, der schon bei Abschluss des Arbeitsvertrages vorgelegen hat, während die Kündigung dazu dient, ein durch nachträgliche Umstände belastetes oder sinnlos gewordenes Arbeitsverhältnis zu beenden. Denkbar ist aber, dass ein Anfechtungsgrund im zustande gekommenen Arbeitsverhältnis so stark nachwirkt, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist.“ (BAG v. 07.07.2011, 2AZR 396/10)

b) Interessenabwägung
Da kein Grund vorlag, kam es nicht zu einer weiteren Interessenabwägung der Arbeitgeber-/Arbeitnehmerinteressen (Kündigung/Erhalt des Arbeitsverhältnisses).
 4. Frist
Die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB von zwei Wochen wurde hier gewahrt. Anmerkung: Die Wahrung der Frist prüft man in der Praxis zuvor.
 5. Ergebnis
Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam.
 
III. Ordentliche Kündigung, § 623 BGB
 1. Vorherige Zustimmung, § 2, § 85 SGB IX
Der Arbeitgeber benötigt zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen immer die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes, § 85 SGB IX. Soweit eine Zustimmung vorliegt, kann eine Kündigung ausgesprochen werden. Wird eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen, ist diese unwirksam. Diese Zustimmung kann auch nicht nachgeholt werden. Keine Zustimmung wird benötigt, soweit das Arbeitsverhältnis durch Fristablauf oder Aufhebungsvertrag endet.
 2. Kündigungserklärung, § 623 BGB (+)
3. Zugang (+)
4. Soziale Rechtfertigung gem. § 1 Abs. 1 KSchG
Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung:
a) Arbeitsverhältnis besteht länger als 6 Monate (Wartezeit)
b) Arbeitgeber beschäftigt mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer, § 23 Abs. 1 KSchG
Es liegt kein Kündigungsgrund gem. § 1 Abs. 1 KSchG (personenbedingt, verhaltensbedingt, betriebsbedingt) vor.
5. Ergebnis
Die ordentliche Kündigung ist unwirksam.
Anmerkung: Die Klägerin hatte zudem eine Klage auf Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG gegen die Beklagte erhoben. Diese wurde als unbegründet abgewiesen, da die Beklagte die Klägerin auch bei Kenntnis der Schwerbehinderung eingestellt hätte. Es ging ihr nur um „die Lüge an sich“ bei der Kündigung, den „Vertrauensbruch“.
 C. Fazit
Bei einer Anfechtung des Arbeitsvertrages sind bezüglich der Wirkung der Anfechtung bei Vollzug eines Arbeitsverhältnisses die arbeitsrechtlichen Besonderheiten zu beachten. Unter bestimmten Voraussetzungen benötigt der Arbeitgeber die Zustimmung eines Dritten, um wirksam kündigen zu dürfen, z.B. die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes bei Kündigung von Personen mit einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung.

18.12.2014/1 Kommentar/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2014-12-18 13:23:542014-12-18 13:23:54Arbeitsvertrag- Anfechtung – Recht zur Lüge?
Gastautor

Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag "Arglistige Täuschung"

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Liebe Leser von juraexamen.info, vor einiger Zeit haben wir Euch auf das Seminar „Examenswissen auf Wikipedia“ der Universität zu Köln (Kompetenzzentrum für juristisches Lehren und Lernen; Prof. Dauner-Lieb) hingewiesen, das von Frau Professor Dauner-Lieb und Herrn Tobias Lutzi betreut wurde.
Wir freuen uns heute und in den nächsten Tagen einige sehr gelungene Beiträge hiervon auf unserer Seite veröffentlichen zu können. Sämtliche hier veröffentlichten Beiträge werden in der nächsten Zeit in ähnlicher Form auch auf wikipedia erscheinen. Eine Übersicht über alle Beiträge werden wir, wenn diese vorliegt, hier auch noch veröffentlichen.
Der heutige Beitrag ist von Linda Kamin und befasst sich mit dem Stichwort „Arglistige Täuschung“.

Arglistige Täuschung

Die arglistige Täuschung ist einer der Anfechtungsgründe der §§ 119 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wie bei der Drohung ist das geschützte Rechtsgut – im Gegensatz zur Anfechtung nach §§ 119, 120 BGB – die Willensentschließungsfreiheit. Sofern eine verübte Täuschung widerrechtlich und kausal für die Abgabe einer Willenserklärung ist und dies vom Vorsatz des Handelnden umfasst ist, kann das gesamte Rechtsgeschäft rückwirkend vernichtet werden. Bei dieser Prüfung ergeben sich rechtsgebietsübergreifende Probleme, sodass die arglistige Täuschung gerade im Staatsexamen sicher beherrscht werden sollte.
 
1. Täuschungshandlung
Die erforderliche Täuschungshandlung meint -wie im Strafrecht – ein Verhalten, das darauf abzielt in einem Anderen eine unrichtige Vorstellung hervorzurufen, zu bestärken oder zu unterhalten.[1] Sie kann durch positives Tun, aber auch durch Unterlassen ausgeübt werden.
 
1.1 Positives Tun 
Positives Tun liegt bei ausdrücklichen oder konkludent wahrheitswidrigen Behauptungen vor, wenn sie sich auf Tatsachen oder wertbildende objektiv nachprüfbare Umstände beziehen. Eine konkludente Täuschungshandlung stellt zum Beispiel das Zurückdrehen des Kilometerstands beim zum Verkauf stehenden PKW dar.[2] Auch präzise Aussagen über die Grundlage der Preisberechnung, so die Behauptung, es handle sich beim deutlich überhöhten Preis um einen ordentlichen, können unter die Täuschungshandlung subsumiert werden, wenn es sich nicht um erkennbar bloß subjektive Werturteile oder überspitzte Anpreisungen handelt.[3] Da eine bezweckte Irreführung des Vertragspartners genügt, ist die Behauptung des Verkäufers, der zwölf Jahre alte Motor sei mehr als drei Jahre alt, ausreichend.[4]
1.2 Unterlassen
Es gilt der Grundsatz der Privatautonomie, aufgrund welchem es geboten ist Rechtsgeschäfte in Selbstverantwortung zu führen. Somit kann jede Partei von ihrem überlegenen Wissen profitieren, ohne dass eine Pflicht zur Offenbarung besteht. Nach der Rechtsprechung kommt es zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes, wenn die Aufklärung nach Treu und Glauben und der Ansicht der Verkehrsauffassung geboten ist und der Vertragspartner daher mit einer Aufklärung der Sachlage rechnen darf.[5] Demnach ist eine Abwägung pflichtbegründender Umstände im Einzelfall vorzunehmen.[6] So wird beispielsweise bei Vertragsverhältnissen, bei denen die Vertragspartner sich erhöhtes Vertrauen entgegenbringen sowie bei laufenden Geschäftsbeziehungen[7] oder sofern eine erkennbare Informationsasymmetrie zwischen dem unerfahrenen Käufer und dem sachkundigen Verkäufer gegeben ist[8], eine umfassendere Aufklärungspflicht angenommen werden können. Allerdings gilt Vorausgenanntes nur, sofern die Umstände für den Vertragspartner nicht erkennbar sind und ohne Aufklärung mit einer Gefährdung des Vertragspartners oder des Vertragszwecks zu rechnen ist. Auf Nachfragen des Käufers ist jedoch in jedem Fall wahrheitsgemäß zu antworten.
 
2. Kausalität
Die Täuschung muss zudem kausal zu einem Irrtum führen, der wiederum kausal für die Abgabe der Willenserklärung sein muss. Dabei ist es bezüglich des Irrtums bereits ausreichend, dass durch die Täuschung falsche Vorstellungen aufrecht erhalten werden. Im Unterschied zu § 119 BGB genügt aufgrund des Schutzzwecks der Norm jeglicher Mangel bei der Willensbildung. Hingegen fehlt es an der Kausalität, wenn der Getäuschte die Täuschung durchschaut hat oder diese bei Vertragsschluss in vollem Umfang[9] offenkundig war. Bezüglich der Abgabe der Willenserklärung ist entscheidend, dass sie derzeit nicht in gleicher Weise abgegeben worden wäre. Es genügt dabei die Mitursächlichkeit der Täuschung für die Erklärungsabgabe.
 
3. Arglist
Anders als beim Betrug nach § 263 StGB wird im Rahmen des § 123 BGB kein Vermögensschaden des Getäuschten verlangt. Folgerichtig braucht es nicht der Absicht den Vertragspartner im Vermögen zu schädigen oder einen Vermögensvorteil zu erlangen. Auch wird keine moralisch verwerfliche Gesinnung gefordert, sodass Arglist auch dann zu bejahen ist, wenn nur das Beste für den Vertragspartner gewollt ist. Die Arglist kann damit mangels eigenständiger Bedeutung mit Vorsatz gleichgesetzt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist dennoch „Erklärungen ins Blaue hinein“ zu widmen. Diese, und damit auch der erforderliche bedingte Vorsatz, liegen schon bei blindlings zugesicherten Umständen vor, wenn verschwiegen wird, dass man aufgrund mangelnder Kenntnis zu einer sachgerechten Beurteilung außerstande ist. Die Kenntnis der Unrichtigkeit ist dabei nicht erforderlich. Ein Auto darf demnach nur als nach Angaben vom Vorbesitzer unfallfrei bezeichnet werden, wenn der Verkäufer es nicht selbst untersucht hat.[10]
 
4. Widerrechtlichkeit
Zwar sieht der Wortlaut des § 123 Abs. 1 BGB die Widerrechtlichkeit nur im Rahmen der Drohung vor. Dies liegt jedoch lediglich an der vom Gesetzgeber zu Unrecht angenommenen Tatsache, eine arglistige Täuschung sei stets widerrechtlich. Mithin muss eine teleologische Reduktion vorgenommen und somit die Widerrechtlichkeit geprüft werden. Dies wirkt sich vor allem im Arbeitsrecht aus, da dem Stellenbewerber das Recht zur Lüge zusteht, wenn der Arbeitgeber an der wahrheitsgemäßen Beantwortung einer Frage kein berechtigtes, billigenswertes und schützenswertes Interesse hat[11] und es somit an der Widerrechtlichkeit der Täuschung fehlt. Dies ist der Fall, wenn eine Frage in ungerechtfertigter Weise gegen die Diskriminierungsverbote des § 1 AGG verstößt, weil dann das Verhalten wegen Angriffs auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach § 227 BGB gerechtfertigt ist.
 
5. Person des Täuschenden
5.1 Dritter nach § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB
Wird die Täuschung nicht vom Erklärungsempfänger selbst, sondern von einem Dritten verübt, kann die empfangsbedürftige Erklärung gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB nur angefochten werden, wenn Erstgenannter die Täuschung kennt oder hätte kennen müssen. Letzteres beurteilt sich nach § 122 Abs. 2 BGB, wonach bereits jede Form der fahrlässigen Unkenntnis genügt.
Mangels subsumtionsfähiger Definition ist die Frage, wer als Dritter im Sinne der Norm zu qualifizieren ist, problematisch.
Das Reichsgericht beurteilte zunächst lediglich Stellvertreter und ihnen ähnliche Personen nicht als Dritte.[12] Der Schutz des Getäuschten gebietet es jedoch den Begriff des Dritten restriktiver zu bestimmen. Heute ist demnach in Literatur und Praxis die täuschende Person nicht als Dritter zu bewerten, wenn ihr Verhalten über die Regeln der Stellvertretung hinaus nach § 278 BGB dem Erklärungsgegner zuzurechnen ist. Erfasst werden dabei auch Fälle, in denen die Person zurechenbar nur nach außen hin als Vertrauensperson für den Erklärungsempfänger auftritt, beziehungsweise dem Empfänger näher steht als dem Getäuschten. Damit ist nicht nur der Ehemann, der zu Gunsten seiner Frau die Lebensversicherung täuscht[13], sondern auch der Makler oder Vermittler[14] erfasst, sofern mit Wissen und Wollen nur einer der späteren Parteien Aufgaben übernommen werden. Dritter ist folglich nicht, wer mit Willen des Erklärungsempfängers am Vertragsschluss beteiligt ist und somit seinem Bereich zuzurechnen ist.
Bei der Schuldübernahme nach § 414 BGB ist der nicht am Geschäft beteiligte täuschende Altschuldner demnach als Dritter zu qualifizieren. Kommt es dagegen im Sinne des § 415 BGB zu einer Schuldübernahme, wird der Vertrag zwischen bisherigem und neuem Schuldner geschlossen, wodurch der täuschende Altschuldner aufgrund seiner Beteiligung am Vertrag nicht als Dritter im Sinne der Norm zu bewerten ist. Dennoch soll es aufgrund der vergleichbaren Interessenlage auch in diesem Fall darauf ankommen, ob der Gläubiger die Täuschung durch den Altschuldner kannte oder kennen musste.[15]
Auch im Rahmen der Bürgschaft kann der Schuldner im Verhältnis zum Bürgen nicht als Vertrauensperson des Gläubigers angesehen werden, da er eigene Interessen und nicht die des Gläubigers vertritt und somit kein Erfüllungsgehilfe ist.[16] Mithin ist er ebenfalls als Dritter im Sinne der Norm anzusehen.
5.2 Anfechtung nach §123 Abs. 2 Satz 2 BGB
Zu beachten ist außerdem, dass gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB selbst bei Gutgläubigkeit des Erklärungsempfängers die Anfechtung möglich sein soll, wenn ein anderer aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat und dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Die Anfechtung ist dann ihm gegenüber zu erklären und wirkt auch nur gegen ihn. Es geht vor allem um Verträge zu Gunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB, bei denen durch Täuschung eines unbeteiligten Dritten ein Vierter begünstigt wird.
 
6. Anfechtungserklärung, §143 BGB
Die Anfechtungserklärung im Sinne von § 143 BGB ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Aus ihr muss hervorgehen, dass der Anfechtende den Willen hat das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen. In der Regel ist die Erklärung formlos möglich. Sofern dennoch eine Form vereinbart worden ist, muss diese vom Getäuschten nicht eingehalten werden. Zudem sieht das Gesetz keine Begründungspflicht vor. Allerdings wird gefordert, dass der Anfechtungsgrund aus den Umständen erkennbar sein muss. Der Anfechtungsgegner bestimmt sich nach Maßgabe des § 143 Abs. 2 bis 4 BGB. Besonderheiten ergeben sich gemäß § 143 Abs. 3 Satz 1 BGB bei der Vollmachterteilung nach § 167 BGB. Sofern noch kein Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde, bestimmt sich die Person des Anfechtungsgegners unstrittig danach, wer die anzufechtende Erklärung empfangen hat. Entscheidend ist also, ob eine Innen- oder Außenvollmacht erteilt wurde. Ist das Rechtsgeschäft dagegen bereits abgeschlossen, wird teilweise vertreten, dass die Anfechtung der Vollmacht nur gegenüber dem Geschäftspartner erfolgen könne.[17]
 
7. Anfechtungsfrist, §124 Abs. 1 und 2 Satz 1 erste Alternative
Die empfangsbedürftige Willenserklärung ist binnen eines Jahres nach Entdeckung der Täuschung anzufechten, wobei es auf positive Kenntnis, nicht auf den bloßen Täuschungsverdacht ankommt. Ferner wird nicht nach § 121 Abs. 1 Satz 2 BGB auf das unverzügliche Absenden, sondern auf den Zugang der Erklärung gemäß § 130 BGB abgestellt. Teils wird die lange Anfechtungsfrist für ungerecht erachtet, sofern nach § 123 Abs. 2 BGB gegenüber einem Dritten und nicht dem Täuschenden selbst anzufechten ist, sodass nach Ablauf einer vom Anfechtungsgegner gesetzten angemessenen Frist der Getäuschte keine Rechte mehr herleiten können soll.[18] Jedoch ist nicht ersichtlich, warum der Anfechtungsgegner, sofern er die Täuschung kannte oder kennen musste, schutzwürdig sein sollte.[19]
 
8. Ausschluss der Anfechtung
Die Anfechtung ist gemäß § 124 Abs. 3 BGB nach Ablauf von zehn Jahren ab Abgabe der Willenserklärung ausgeschlossen. Zudem kann, wie im Rahmen der §§ 119, 120 BGB, auch bei der arglistigen Täuschung gemäß § 144 Abs. 1 BGB der Anfechtungsberechtigte durch Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts auf seine Rechte verzichten, wenn er Kenntnis des Anfechtungsgrundes hat. Zwar ist die Einhaltung der Form des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts nicht erforderlich, an eine konkludente Bestätigung werden im Rahmen des § 123 Abs. 1 erste Alternative BGB aber hohe Anforderungen gestellt. Auch ein Ausschluss unter Vorbehalt von Treu und Glauben kann wie bei den §§ 119, 120 BGB angenommen werden, sofern die dem Getäuschten erbrachte Leistung zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung nicht mehr beeinträchtigt erscheint. Ein vorheriger Ausschluss der Anfechtung ist, außer wenn im Falle des § 123 Abs. 2 BGB die Täuschung durch Dritte nur hätte bekannt sein müssen, wegen Verstoßes gegen das Recht auf freie Selbstbestimmung nicht möglich.
 
9. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen bestimmen sich, wie bei der Anfechtung, gemäß §§ 119, 120 BGB nach § 142 BGB. Der schutzwürdige Anfechtende hat somit die Wahl, ob er die Willenserklärung und mit ihr den gesamten Vertrag durch Anfechtung ex tunc vernichtet oder das Rechtsgeschäft gegen sich gelten lässt. Bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen, wie im Arbeits- und Gesellschaftsrecht, ergeben sich jedoch Probleme bei der Rückabwicklung nach den Regeln des Bereicherungsrechts, sodass es regelmäßig zu einer vom Wortlaut des § 142 Abs. 1 BGB abweichenden Nichtigkeitsfolge ex nunc kommt.[20] Problematisch ist, ob es beim Vorliegen von arglistiger Täuschung dagegen, mangels Schutzwürdigkeit des Täuschenden, nicht bei der vom Gesetzgeber angeordneten Folge bleiben sollte.
Im Arbeitsverhältnis besteht bei Rückabwicklungen das Problem einer objektiven Bewertung der Arbeitsleistung sowie des rückwirkenden Entfallens von Schutzvorschriften. Allerdings können dem täuschenden Arbeitnehmer die Risiken wohl auferlegt werden, sodass es keinen sachlichen Grund gibt, der die Abweichung von der Gesetzesfolge zu rechtfertigen vermag. Die Rechtsprechung verdeutlicht anhand der Außervollzugsetzung, dass Gesichtspunkte des Arbeitnehmerschutzes nicht zum Tragen kommen.[21] Zumindest bei besonders schweren Mängeln[22] wird stets keine Ausnahme von der gesetzlichen Rechtsfolge vorgenommen.
Im Gesellschaftsrecht wird dagegen eine Auseinandersetzung mit Wirkung für die Zukunft nach Invollzugsetzung trotz Arglist grundsätzlich aus Gründen der Verkehrssicherheit sowie wegen besonderer Rückabwicklungsschwierigkeiten im Außenverhältnis angenommen.[23]
Bei Mietverträgen bleibt es dagegen mangels vergleichbarer Schwierigkeiten im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung bei der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge.[24].
Im Rahmen der arglistigen Täuschung ist zudem besonders hervorzuheben, dass zumeist das schuldrechtliche und das dingliche Geschäft an demselben Willensmangel leiden und somit beide anfechtbar sind. Diese Fehleridentität kann freilich nicht als eine Durchbrechung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips gewertet werden, weil die danach vorzunehmende strikte Trennung dieser Geschäfte nicht vom Durchschlagen des Mangels berührt wird.[25] Beachtlich ist ferner, dass die gemäß § 122 BGB vorgesehene Schadensersatzpflicht aufgrund der systematischen Stellung des Gesetzes nicht auf die Arglistanfechtung anzuwenden ist.
 
10. Konkurrenzen
Nach der Geltendmachung des § 119 BGB bleibt eine Berufung auf § 123 BGB möglich. Auch die Gewährleistungsrechte, die – anders als im Verhältnis zu § 119 BGB – kein lex specialis sind, können wahlweise geltend gemacht werden. Wird aber zunächst wirksam angefochten, fehlt es an einem für die §§ 437 ff. BGB erforderlichen gültigen Vertrag, sodass diese ausgeschlossen sind. Eine Geltendmachung genannter Rechte ist hingegen weder als konkludenter Verzicht noch als eine Bestätigung im Sinne des § 144 Abs. 1 BGB zu werten. Ein Anspruch aus culpa in contrahendo (c. i. c.) soll neben der erfolgten Anfechtung erhalten bleiben. Kritisch ist dies jedoch, sofern der Anspruch auf Beseitigung des Vertrags gerichtet ist, da bereits Fahrlässigkeit zur Anspruchsbegründung bei der c. i. c. ausreicht und die Frist nach § 124 BGB durch die dann geltende dreijährige Verjährungsfrist unterlaufen würde. Die von der Rechtsprechung erfolgte Einschränkung, nach der die Vertragsaufhebung nur gefordert werden könne, sofern ein Vermögensschaden zu bejahen sei[26], löst die Wertungswidersprüche nicht, zumal ein Vermögensschaden regelmäßig schon bei Abschluss eines nicht gewollten Vertrags vorliegt. Eine Vermeidung von Wertungswidersprüchen kann herbeigeführt werden, indem bei fahrlässigem Handeln der Anspruch aus c. i. c. auf Vertragsaufhebung nur in den Grenzen des § 121 BGB analog und bei Vorsatz in den Grenzen des § 124 BGB analog zugelassen wird.[27] Ferner wird vertreten, dass neben der Anfechtung gemäß § 123 BGB die Grundsätze der c. i. c. nur anwendbar bleiben, wenn der Anspruch nicht auf Aufhebung des Vertrags gerichtet ist.[28]
 
11. Weiterführende Literaturhinweise

  • Martens: Zur Abgrenzung der §§123 I und II 1 BGB JuS 10/2005, S. 887 ff.
  • Strick: Die Anfechtung von Arbeitsverträgen durch den Arbeitgeber NZA 2000, S. 695- 700
  • Lorenz: Vertrauensschaden des Wohnungskäufers bei Verschweigen der Sozialbindung und falschen Finanzierbarkeitsangaben- was schützt die culpa in contrahendo? NZM 1998, S. 359 ff.
  • Olzen/ Wank: Zivilrechtliche Klausurenlehre 7. Auflage, 2012: Falllösung „Verheimlichte Schwangerschaft“, Rn. 226 ff.
  • Schubert, AcP 168 (1968), 470 ff.

 
12. Einzelnachweise

[1] Flume, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Band, 3. Auflage 1979, §29/1.
[2] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 450.
[3] BGHZ 169, 109 (115); Soergel/Hefermehl, Band 2 §§104- 240, 1999, §123, Rn. 3.
[4] MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1- 240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 28.
[5] RGZ 111, 233 (234).
[6] BGH NJW 1983, 2493 (2494).
[7] Soergel/Hefermehl, Band 2 §§104- 240, 1999, §123, Rn. 8.
[8] BGHZ 47, 208 (210); MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1- 240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 33.
[9] BAG NZA 1998, 33 (34).
[10] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 454.
[11] BAGE 51, 167 (172).
[12] RGZ 72, 133 (135).
[13] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 458.
[14] MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1-240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 64; BGH NJW 2001, 358 (358 f.).
[15] Soergel/Hefermehl, Band 2 §§104- 240, 1999, §123, Rn. 38; Staudinger/Singer, von Finckenstein, Buch 1 AT, §§90- 123; 130- 133, 2012, §123, Rn. 63; aA: BGHZ 31, 321 (324 ff.); RGZ 119, 418 (421).
[16] NJW- RR 1992, 1005 (1006); Medicus/Petersen, BR 23. Auflage 2011, §6, Rn. 149; aA: noch BGH NJW 1962, 1907 (1907 f.).
[17] Staudinger/Roth, Buch 1 AT §§134- 163, 2003, §143, Rn. 35; aA: Larenz/Wolf, AT des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004, §44, Rn. 32; Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, §143, Rn. 6.
[18] Flume, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Band, 3. Auflage 1979, §27/3.
[19] Staudinger/Singer, von Finckenstein, Buch 1 AT, §§90- 123, 130- 133, 2012, §124, Rn. 1.
[20] BAGE 5, 159 (161); BGHZ 3, 285 (287f.); Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, §119, Rn. 5.
[21] BAG NZA 1999, 584 (586); BGH NJW 1984, 646 (647).
[22] BAG NZA 2005, 1409 (1410).
[23] BGHZ 13, 320 (323 f.); 55, 5 (8).
[24] BGHZ 178, 16 (27).
[25] Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 3. Auflage 2011, §13, Rn. 482.
[26] BGH NJW- RR 2002, 308 (310); NJW 1998, 302 (304); ebenfalls Schubert, AcP 168 (1968), 470 (504 ff.).
[27] MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1- 240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 91; Staudinger/Singer, von Finckenstein, Buch 1 AT, §§90- 123; 130- 133, 2012, §123, Rn. 101; in den Grenzen des §124 BGB analog: OLG Hamm NJW- RR 1995, 205 (206); Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (119).
[28] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 463.

 

 

 

24.02.2013/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-02-24 18:00:562013-02-24 18:00:56Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag "Arglistige Täuschung"
Nicolas Hohn-Hein

Anfechtung (Inhaltsirrtum), Unterschreiben einer ungelesenen Urkunde

BGB AT, Lerntipps, Schon gelesen?, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns über einen Gastbeitrag von Roy Dörnhöfer. Der Autor hat in Bayern beide Staatsexamina abgelegt und war dann in den neuen Bundesländern als Richter am Landgericht tätig.  Er war unter anderem im Rahmen einer Abordnung für mehrere Jahre in einem Zivilsenat beim Oberlandesgericht beschäftigt.  Weitere Übungsfälle zum BGB AT können unter Amazon.de zum Download auf den Computer erworben werden.
Die ungelesen unterschriebene Urkunde – viele Studenten dürften davon schon im Laufe ihres Studiums gehört haben.  Gilt der Grundsatz der Unanfechtbarkeit auch dann, wenn der Erklärende vor dem ungelesenen Unterschreiben seinen Brief richtig diktiert, ein Dritter diesen aber falsch geschrieben hat?  Dazu stellt sich die Frage, ob der Erklärungsempfänger neben einem Schadensersatz aus § 122 I BGB einen solchen aus culpa in contrahendo gegen den Anfechtenden geltend machen kann oder ob dies im Wege der Konkurrenz ausgeschlossen ist.  Die beiden Probleme sollen in einem Übungsfall erläutert werden.
Sachverhalt
Der vielbeschäftigte Unternehmer A lässt sich jeden Morgen von seiner Sekretärin S eine Unterschriftenmappe vorlegen, in der von ihm diktierte Briefe enthalten sind, die er dann unterzeichnet. Eines Tages legt ihm die Sekretärin wieder die Mappe vor, in der sich ein Schreiben befindet, das A am Tag zuvor diktiert und die S danach am Computer schriftlich niedergelegt hat. In seinem Diktat hatte der A das Angebot des B zum Verkauf eines Gemäldes X für 200 € abgelehnt. Aus Versehen schrieb die S in dem Antwortbrief aber, dass A das Gemälde X kaufen wolle. A unterschrieb sodann alle Briefe in der Mappe, ohne einen einzigen gelesen zu haben. Einige Tage später ruft B bei A an und dankt ihm für den Kauf des Gemäldes X, das er bald übersenden wolle. A erläutert entsetzt dem B sie Sachlage und erklärt die Anfechtung infolge Irrtums. B hätte zwischenzeitlich das Gemälde, welches einen tatsächlichen Marktwert von 180 € hat, an einen Dritten für 250 € verkaufen können, der sich jedoch mittlerweile anderweitig eingedeckt hat. Falls er den Kaufpreis nicht verlangen könne, will B wenigstens 70 € Schadensersatz von A.
Kann B Zahlung von 200 € für das Gemälde verlangen? Steht ihm etwa ein Schadensersatz in Höhe von 70 € zu?
Lösung
1) Der B könnte einen Anspruch auf Zahlung von 200 € haben, wenn ein Kaufvertrag zwischen ihm und dem A zustandegekommen wäre, § 433 II BGB.
Das würde zwei korrespondierende Willenserklärungen voraussetzen, §§ 145, 147 BGB (Angebot und Annahme).
a) Angebot des B:
Das schriftliche Angebot des B an den A, einen Kaufvertrag über das Gemälde abzuschließen, liegt unproblematisch vor.
b) Annahme des A:
In seinem Antwortschreiben hat der A dieses Angebot ausdrücklich angenommen, so dass ein Kaufvertrag zustandegekommen ist. Der anderslautende Geschäftswille des A ist insoweit zunächst unbeachtlich, da die konstitutiven Merkmale einer wirksamen Willenserklärung vorliegen und der B vom objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet die Erklärung des A als Annahme seines Angebots verstehen durfte, §§ 133, 157 BGB.
c) Anfechtung:
Der Vertrag könnte aber von Anfang an (ex tunc) nichtig sein, falls der A eine wirksame Anfechtung erklärt hat, § 142 I BGB.
aa) Anfechtungsgrund:
Dem A könnte hier der Anfechtungsgrund des Inhaltsirrtums gem. § 119 I 1. Alt. BGB zustehen. Dann müssten Wille und Erklärung bei Abgabe der Willenserklärung auseinandergefallen sein.
Dies ist vorliegend problematisch, da der A ja wusste, dass er in der Unterschriftenmappe Briefe unterzeichnete, die sodann zu rechtsgeschäftlichen Erklärungen wurden. Er irrte sich lediglich über den Inhalt des Schreibens an den B, da er es nicht gelesen hatte.
Nach herrschender Meinung kommt eine Anfechtung in den Fällen nicht in Frage, in denen der Erklärende eine ungelesene Urkunde in dem Bewusstsein unterschreibt, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, ohne sich von deren Inhalt eine Vorstellung zu machen (OLG Hamm NJW 2001, 1142).
Andererseits ist in der Rechtsprechung aber anerkannt, dass derjenige, der ein Schriftstück ungelesen unterschrieben hatte, dann anfechten kann, wenn er sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat (BGH NJW 95, 190). Als eine Irrung in diesem Sinne ist nach herrschender Meinung auch der Fall anzusehen, wenn der Erklärende eine von ihm diktierte und dann von einem Dritten unrichtig geschriebene Urkunde in Unkenntnis des Fehlers ungelesen unterzeichnet (Flume, Allg. Teil des BGB, 2. Band, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., 1992, S. 454). Denn die S wird nach dem Willen des A gerade nicht als Vertreter, sondern als sein “Werkzeug” bei Vorbereitung seiner eigenen Erklärung tätig, so dass sie nicht Erklärende ist und es nicht auf ihren Irrtum ankommt gem. § 166 I BGB.
Hier hat der A das Angebot in seinem Diktat abgelehnt, die S aber versehentlich eine Annahme niedergeschrieben. Bei Unterzeichnung des ungelesenen Schriftstücks ist der A davon ausgegangen, dass er das Angebot ablehne. Er wusste also, dass er eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgab, aber nicht, was er damit sagte. Dies stellt einen beachtlichen Inhaltsirrtum dar.
Wäre dem A sein Fehler bewusst gewesen, hätte er die Erklärung nicht abgegeben, so dass sein Irrtum ursächlich war für die Abgabe der Willenserklärung. Auch war der Irrtum objektiv erheblich für die Abgabe der Willenserklärung.
Insofern steht ihm der Anfechtungsgrund des Inhaltsirrtums zu.

Anmerkung: Da der Fall, dass der Erklärende eine richtig diktierte und falsch geschriebene Urkunde im Irrtum über deren Inhalt ungelesen unterschreibt, einem Fehler in der Erklärungshandlung durch Verschreiben etc. ähnlich ist, könnte man auch von einem Erklärungsirrtum iSd. § 119 I 2. Alt. BGB ausgehen, vgl. Plate, Das gesamte examensrelevante Zivilrecht, 4. Aufl., 2008, 355. Nach anderer Ansicht liegt ein Inhaltsirrtum vor, vgl. Leipold, BGB I Einführung und AT, 3. Aufl., 2007, § 18 R. 15. Letztlich spielt das aber keine Rolle, da die Folgen für den Inhalts- und Erklärungsirrtum dieselben sind.

bb) Anfechtungserklärung, § 143 I BGB:
Der A hat ausdrücklich dem B gegenüber (§ 143 II BGB) die Anfechtung erklärt und auch seinen Irrtum dargelegt.
cc) Anfechtungsfrist, § 121 I BGB:
Noch im Telefonat mit dem B hat der A die Anfechtung erklärt, also unverzüglich und ohne schuldhaftes Zögern.
d) Folge:
Infolge der wirksamen Anfechtung ist der Kaufvertrag rückwirkend weggefallen, so dass B keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 200 € hat.
 
2) Der B könnte nunmehr aber einen Anspruch auf Schadensersatz haben, § 122 I BGB.
a) Der Kaufvertrag wurde wirksam von A angefochten, weshalb dieser dem B den Vertrauensschaden ersetzen muss, d.h., er muss die Nachteile ersetzen, die dem B dadurch entstanden sind, dass er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut hat (negatives Interesse).
Hier hätte der B das Gemälde an den Dritten zu 250 € verkaufen können, wenn er nichts von dem Vertrag mit A gehört hätte. Da das Gemälde einen tatsächlichen Marktwert von 180 € hat, liegt der Schaden des B bei 70 €. Die Nachteile durch das Nichtzustandekommen eines möglichen anderen Geschäfts sind in diesem Rahmen auch umfasst (BGH NJW 84, 1950).
Allerdings ist der Schadensersatz durch das Erfüllungsinteresse nach oben begrenzt (RG 170, 284), d.h., der A darf nicht schlechter stehen, als er bei Erfüllung des Vertrages stünde. Es muss also gefragt werden, wie der B stehen würde, wenn der Vertrag mit A wirksam erfüllt worden wäre. Bei Bestand des Vertrags mit A hätte der B einen Gewinn von 20 € gemacht (200 € Kaufpreis minus 180 € Marktwert). Dies stellt somit die Obergrenze des Schadens für B dar.
b) Folge:
Der B kann Schadensersatz in Höhe von 20 € verlangen.
 
3) Ein Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse in Höhe von 70 € könnte sich aber aus culpa in contrahendo ergeben, §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB.
a)  Anwendbarkeit:
Fraglich ist zunächst, ob ein Anspruch aus culpa in contrahendo überhaupt neben dem (oben bejahten) Schadensersatz aus § 122 I BGB anwendbar ist.
Man könnte der Auffassung sein, § 122 I BGB treffe eine abschliessende Regelung darüber, wie im Falle der erfolgreichen Anfechtung ein Schaden beim Anfechtungsgegner ausgeglichen werden soll.  Nach einer Mindermeinung sei § 122 I BGB zwar keine Sonderregelung zur cic, beziehe sich aber auf deren typische Anwendungsfälle, die nur bei Fehlen einer gesetzlichen Regelung über das Rechtsinstitut der cic gelöst werden könnten.  Der Gesetzgeber habe durch eine Wertentscheidung auch die Fälle des schuldhaften Handelns des Erklärenden von § 122 I BGB umfassen wollen, so dass es schon an einer Regelungslücke fehle, die für die Anwendbarkeit der cic erforderlich sei (Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 51).
Dagegen richtet sich aber die herrschende Meinung (Jauernig, BGB, 12. Aufl., 2007, § 122 Rn. 5; Palandt-Ellenberger, BGB, 70. Aufl., 2011, § 122 Rn. 6), der hier gefolgt werden soll.  Der Schadensersatz aus culpa in contrahendo schützt den Anspruchsinhaber vor Vermögensschäden, während das Anfechtungsrecht die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit gewährleisten soll.  Die verschiedenen Schutzgüter können somit schon nicht zu einer Exklusivität führen.  Desweiteren wird für einen Anspruch aus § 122 I BGB kein Verschulden vorausgesetzt, wohl aber für einen Anspruch aus cic, so dass die Voraussetzungen für letzteren strenger sind und damit auch eine entsprechende Haftung rechtfertigen.  Die Grundsätze der cic sind deshalb vorliegend anwendbar.
b) Schuldverhältnis:
Die Parteien haben hier Vertragsverhandlungen mit dem Ziel aufgenommen, einen Vertrag abzuschließen, so dass ein weit fortgeschrittener Kontakt vorliegt, der ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis darstellt, § 311 II Nr. 1 BGB.
c) Pflichtverletzung:
Eine Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB kann darin gesehen werden, dass der A die Anfechtbarkeit des Vertrags verursacht hat, obwohl er gehalten war, die Unwirksamkeit zu verhindern.
d) Vertretenmüssen:
Im Rahmen des Vertretenmüssens kommt Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Betracht, § 276 I 1 BGB.
Hier hat der A die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, da er den Wortlaut seines Schreibens vor Absendung unschwer hätte überprüfen können, also handelte er fahrlässig, § 276 II BGB.
Im Übrigen wird ein Verschulden gem. § 280 I 2 BGB aufgrund der Pflichtverletzung vermutet.
e) Folge:
Der A ist im zum Schadensersatz verpflichtet und muss dem B den Vertrauensschaden ersetzen, § 249 I BGB. Der B muss also so gestellt werden, als hätte er von dem Vertrag mit A nichts gehört.  Dabei gilt die Besonderheit, dass der Umfang nicht durch das Erfüllungsinteresse nach oben begrenzt ist, wie das der Fall bei dem Schadensersatzanspruch nach § 122 I BGB wäre (BGH NJW-RR 90, 230).
Dann wird nach der Rechtsprechung konsequenterweise auch der entgangene Gewinn iSd. § 252 S. 1 BGB  vom Anspruch umfasst:  Hätte der Geschädigte ohne das schuldhafte Verhalten des Gegners einen Vertrag mit einem anderen geschlossen, gehört zum negativen Interesse auch der aus diesem Vertrag entgangene Gewinn (BGH NJW 88, 2236).
Im vorliegenden Fall hätte der B in dem Geschäft mit dem Dritten einen Gewinn von 70 € gemacht (250 € Kaufpreis minus 180 € Marktwert). Diesen Betrag muss der A nun ersetzen, § 252 S. 1 BGB.
 

13.01.2012/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
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