Heute wurde vor dem Landgericht Stuttgart das Verfahren gegen den Vater des Amoktäters von Winnenden eröffnet. Einige relevante Punkte können auch für die Mündliche Prüfung interessant sein.
Fahrlässige Tötung, § 222 StGB
Laut den Nachrichtenmeldungen bewahrte der Vater die spätere Tatwaffe unverschlossen in einem Kleiderschrank auf. Dadurch könnte er sich wegen Fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben, § 222 StGB.
Der Taterfolg ist eingetreten, die Opfer sind tot.
Die Tathandlung besteht darin, dass die Waffe in den Kleiderschrank gestellt worden ist. (Man könnte vorliegend auch von einem Unterlassen ausgehen. Eine Garantenpflicht würde man aus Ingerenz begründen können. Vorrangig erscheint aber im vorliegenden Fall das „Tun“, also das Hineinstellen der Tatwaffe in den Kleiderschrank. Hier liegt aus meiner Sicht der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit).
Die Kausalität ist zu bejahen. Die objektive Zurechung entfällt nicht, weil der Sohn in der Folge die Waffe an sich genommen hat.
Objektive Sorgfaltswidrigkeit: Diese wäre darin zu sehen, dass der Vater die Waffe unverschlossen in seinem Kleiderschrank aufbewahrt hat. Da es sich hierbei schon um einen Verstoß gegen das Waffengesetz handelt, ist die Pflichtwidrigkeit im Grunde schon indiziert. Daneben ist aber ebenso klar, dass die Aufbewahrung einer geladenen Schusswaffe im Kleiderschrank hohe Risiken birgt, da die Waffe für Jedermann frei zugänglich ist.
Objektiver Vorhersehbarkeit: Hier wäre zu problematisieren, ob der grobe Kausalverlauf und der Taterfolg für den Vater objektiver vorhersehbar war, also nicht jeder Lebenserfahrung entbehren würde. Es stellt sich also die Frage, ob sich genau die Gefahr realisiert hat, die der Vater mit seiner Sorgfaltspflichtverletzung gesetzt hat. Dazu kann vorliegend festgehalten werden, dass es durchaus im Bereich der Lebenserfahrung liegt, dass die fahrlässig deponierte Waffe in falschen Händen großen Schaden anrichten kann. Ob dabei allerdings auf die „Amokfälle“ der Vergangenheit eingegangen werden darf, erscheint allerdings fraglich. Vielmehr könnte auch argumentiert werden, dass eine Tat mit solch schweren Folgen in diesem Zusammenhang eher als atypisch anzusehen wäre. Fraglich ist letztlich, welchen Schutzzweck die verletze Sorgfaltspflicht verfolgt. (Beispiel: A fährt zu schnell und verursacht einen Unfall, B kommt daraufhin ins Krankenhaus und verstirbt dort wegen eines Brandes. A ist nicht strafbar, denn die Gefahr, die A gesetzt hat, hat sich nicht in dem Unfalltod des B realisiert). Hier ist sicher beides vertretbar. Wichtig ist, dass man richtig und methodisch argumentiert.
Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Hier wäre zu fragen, ob der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Handeln des Täters eingetreten wäre. Hier kann man argumentieren, dass der Sohn jedenfalls nicht so schnell in der Lage gewesen wäre, an die Tatwaffe zu kommen. Auf der anderen Seite wäre einem solchen Täter auch zuzutrauen, den Schlüssel eines Waffenschrankes an sich zu bringen oder sonstige Hindernisse zu überwinden. Hier muss wiederum problematisiert werden!
Rechtswidrigkeit wäre gegeben auf Grund des Verstoßes gegen das Waffenrecht.
Schuld: Individuelle Vorhersehbarkeit und Sorgfaltswidrigkeit: Hier muss definiert werden. Eine Bejahung des Merkmals ist letzen Endes Tatfrage. Hier muss das Gericht umfassend Beweis erheben. In der Klausur muss hier der Sachverhalt durchforstet werden; waren Anzeichen für den Vater erkennbar etc.
Eine Unzumutbarkeit ist nicht ersichtlich.
§ 60 StGB- Absehen von Strafe
Sehr interessant, vor allem im vorliegenden Fall ist der § 60 StGB.
Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat.
Gerade im vorliegenden Fall könnte man jedenfalls im Hinblick auf den Verstoß gegen das Waffenrecht argumentieren, dass die Folgen der Tat für den Vater vorliegend derart schwer wiegen, dass eine Bestrafung verfehlt wäre. Man müsste hier wohl klären, was „Folgen der tat“ sind, aber immer im Hinblick auf den Verstoß gegen das Waffenrecht. Der Tod eines nahen Angehörigen kann jedenfalls als schwere Folge angesehen werden. Im Grunde legt die Vorschrift nahe, dass zwischen den Strafzwecken abgewogen wird: Liegt der Schwerpunkt auf eine Disziplinierung, kann eine Strafe keine (zusätzliche) Wirkung mehr haben, wenn die Folgen der Tat ohnehin derart einschneidend sind. Hier muss argumentiert werden, denn auch die Generalprävention ist Strafzweck. Wichtig, ist jedenfalls, die Vorschrift zu kennen.