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Schlagwortarchiv für: Allgemeinverfügung

Gastautor

Rechtmäßigkeit von Ausgangsbeschränkungen anlässlich der Corona-Pandemie am Beispiel der Allgemeinverfügung in Bayern

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Rudi Lang veröffentlichen zu können. Rudi Lang ist Diplom-Verwaltungswirt (FH) und war vor der Aufnahme seines Jura-Studiums an der Universität Bayreuth Regierungsinspektor im Sachgebiet Kommunales bei der Regierung von Oberfranken in Bayreuth.

 
Nach und nach wird das öffentliche Leben in Bayern und Deutschland insgesamt angesichts der sich ausbreitenden Corona-Pandemiewelle durch hoheitliche Maßnahmen „heruntergefahren“. Angesichts der neuesten dramatischen Entwicklungen haben diese Maßnahme im Erlass umfassender Ausgangsbeschränkungen u.a. in Bayern vorläufig einen Höhepunkt gefunden. Im Rahmen dieses Beitrags interessiert dabei die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.3.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122-98 (online abrufbar unter: https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2020/03/20200320_av_stmgp_
ausgangsbeschraenkung.pdf, im Folgenden: AV Bayern).
Diese wird im Folgenden didaktisch anhand des herkömmlichen Prüfungsschemas von Rechtsgrundlage – formelle Rechtmäßigkeit – materielle Rechtmäßigkeit aufbereitet und analysiert, wobei auf die in den jüngsten juristischen Stellungnahmen geäußerten Bedenken gegenüber Ausgangsbeschränkungen eingegangen wird. Der Beitrag schließt mit einem Fazit.
 
I. Rechtsgrundlage
Die wohl meistdiskutierte Frage im Rahmen der aktuellen Geschehnisse um die „Corona-Krise“ ist bereits, ob für allgemeine Ausgangsbeschränkungen überhaupt eine Rechtsgrundlage besteht (die AV Bayern wird vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auf § 28 I 1 und 2 IfSG gestützt).
Wegen der belastenden Wirkung solcher Maßnahmen für den Einzelnen bedarf eine solche Maßnahme jedenfalls angesichts des Vorbehalts des Gesetzes (vgl. Art. 20 III GG) einer gesetzlichen Grundlage.
In Betracht kommen insoweit spezialgesetzliche Befugnisse auf Basis des IfSG (dazu 1.) oder auch die polizeirechtliche Generalklausel (dazu 2.).
 
1. Befugnisse nach IfSG
a) 30 I 2 IfSG

Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden.

Die Ausgangsbeschränkung könnte eine allgemeine (nicht individualisierte) Quarantäneanordnung nach § 30 I 2 IfSG darstellen.
Dies erfordert jedoch zumindest einen Ansteckungsverdacht der Adressaten der Maßnahme. Die Tatsache der Aufnahme von Krankheitserregern muss wahrscheinlicher sein als das Gegenteil (BVerwG NJW 2012, 2823).
Da jedoch trotz der stark ansteigenden Zahlen zumindest zum Zeitpunkt des Erlasses der AV Bayern nicht davon ausgegangen werden konnte, dass bei jedem Bewohner Bayerns eine Infektion wahrscheinlicher ist als eine Nicht-Infektion, scheidet § 30 I 2 IfSG als Rechtsgrundlage für eine umfassende Ausgangsbeschränkung aus.
 
b) 28 I 2 IfSG

Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen;

(Halbsatz 1)
28 I 2 Hs. 1 IfSG als Rechtsgrundlage für die AV Bayern scheidet von vornherein aus, da dieser nur das Verbot von Ansammlungen und die Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen erfasst, nicht jedoch die Verhängung von generellen Ausgangsbeschränkungen.

[…] sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt sind.

(Halbsatz 2)
Jedoch könnte sich die AV Bayern auf § 28 I 2 Hs. 2 IfSG stützen lassen, passt doch insoweit die Rechtsfolge des Verbots des Verlassens von Orten (siehe Nr. 4 AV Bayern). Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass die Norm nur vorübergehende Maßnahmen erfasst („[…] bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt sind“), nicht hingegen weit darüber hinausgehende allgemeine Ausgangsbeschränkungen (so auch Klafki, Corona-Pandemie: Ausgangssperre bald auch in Deutschland? JuWissBlog Nr. 27/2020 v. 18.3.2020, https://www.juwiss.de/27-2020/).
Damit stellt auch § 28 I 2 Hs. 2 IfSG keine hinreichende Rechtsgrundlage für die AV Bayern dar.
 
c) 28 I 1 IfSG (Generalklausel)

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtigte oder Ausscheider festgestellt

(Alt. 1)
oder

ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war

(Alt. 2)

so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen […], soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Im Rahmen des IfSG verbleibt somit der Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 I 1 IfSG, als „notwendige Schutzmaßnahme“ könnte angesichts der Offenheit dieses Begriffs auch die Verhängung allgemeiner Ausgangsbeschränkungen verstanden werden.
Problem: Rückgriff auf Generalklausel für Allgemeinverfügung überhaupt möglich?
Es ist jedoch fraglich, ob ein Rekurs auf die Generalklausel für die AV Bayern überhaupt möglich ist. Hier werden aktuell drei Problemkreise diskutiert:
 
(1) Gesetzgeber hatte bei Formulierung der Generalklausel keine allgemeinen Ausgangsbeschränkungen im Blick („teleologische Reduktion“ der Generalklausel)
Teils wird angeführt, der Gesetzgeber des IfSG hatte bei dessen Erlass gerade keine allgemeinen Ausgangsbeschränkungen im Blick.
Ein solches Verständnis widerspricht jedoch m. E. dem Charakter und der Funktion von gefahrenabwehrrechtlichen Generalklauseln. Diese sollen gerade die Möglichkeit eröffnen, auf neuartige, unbekannte Gefahrenlagen zu reagieren („Effektivität der Gefahrenabwehr“), die fehlende historische Regelungsintention bzgl. der konkreten Maßnahme „Ausgangsbeschränkungen“ muss somit unbeachtlich sein und spricht nicht gegen die Heranziehung der Generalklausel.
 
(2) Bestimmtheitsgrundsatz/Gesetzesvorbehalt (abgeleitet aus Art. 20 III GG)
Gewichtiger sind die Einwände, die § 28 I 1 IfSG angesichts der damit intendierten schwerwiegenden Grundrechtseingriffe für nicht bestimmt genug halten.
„Notwendige Schutzmaßnahmen“ sind tatsächlich ein sehr dehnbarer Begriff und auf den ersten Blick wenig aufschlussreich bzgl. der konkreten Maßnahmen.
Zwar darf der Gesetzgeber grundsätzlich unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden; je höher jedoch die Eingriffsintensität einer Maßnahme ist, desto höher sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Befugnisnorm (Holzner, in: BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2019, Art. 11 PAG Rn. 130).
Im Falle von umfassenden Ausgangsbeschränkungen ist die Eingriffsintensität sehr hoch (v. a. Art. 2 II 2 i. V. m. Art. 104 GG). Dementsprechend sind auch hohe Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen, denen die Formulierung „notwendige Schutzmaßnahmen“ bei Erlass von generellen Ausgangsbeschränkungen nach der überwiegenden Zahl der Autoren nicht gerecht wird (Edenharter, Freiheitsrechte ade? Die Rechtswidrigkeit der Ausgangssperre in der oberpfälzischen Stadt Mitterteich VerfBlog 2020/3/19, https://verfassungsblog.de/freiheitsrechte-ade/; Klafki, Corona-Pandemie: Ausgangssperre bald auch in Deutschland? JuWissBlog Nr. 27/2020 v. 18.3.2020, https://www.juwiss.de/27-2020).
Aber: Das BVerfG billigt im Gefahrenabwehrrecht (hierzu zählt auch das IfSG) zumindest die vorläufige Anwendung von Generalklauseln bei unvorhergesehenen Gefahrensituationen, sofern bei dauerhafter Ausweitung der Einzelfallanordnung eine gesetzgeberische Reaktion erfolgt (BVerfG, Beschl. v. 8.11.2012 – 1 BvR 22/12).
Dem ist m. E. auch bei Ausgangsbeschränkungen im Rahmen der „Corona-Krise“ zuzustimmen (in diese Richtung auch Kießling, Ausgangssperren wegen Corona nun auch in Deutschland (?), JuWissBlog Nr. 29/2020 v. 19.3.2020, https://www.juwiss.de/29-2020/). Gerade das Gefahrenabwehrrecht zeichnet sich durch seine Schnelllebigkeit und das Erfordernis kurzfristiger Reaktion auf neuartige Bedrohungen aus. Dem Gesetzgeber als Adressat des Bestimmtheitsgrundsatzes kann somit nicht abverlangt werden, alle grundrechtsintensiven Maßnahmen von vornherein detailliert zu regeln. Denn dann könnte er seiner Schutzpflicht zugunsten des Lebens und der Gesundheit von Menschen (vgl. Art. 2 II 1 GG) nicht gerecht werden.
Die Corona-Pandemie ist geradezu paradigmatisch für eine solche unvorhersehbare Gefahrenlage, die eine vorübergehende Anwendung der Generalklausel ermöglicht.
Der Bestimmtheitsgrundsatz steht somit der Heranziehung der Generalklausel des § 28 I 1 IfSG nicht entgegen.
 
(3) Sperrwirkung von § 32 IfSG

Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.

(Satz 1)

Die Grundrechte der […] Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) […] können insoweit eingeschränkt werden.“

(Satz 3)
Interessant ist aber, ob § 32 IfSG ein Handeln durch Allgemeinverfügung sperrt. Aus der Norm wird teils e contrario abgeleitet, dass umfassende Freizügigkeitsbeschränkungen nur in Form von Rechtsverordnungen und nicht als Allgemeinverfügung erlassen werden können. Denn im Gegensatz zu § 28 IfSG erklärt § 32 IfSG explizit das Grundrecht der Freizügigkeit für einschränkbar (Kingreen, Whatever it Takes? Der demokratische Rechtsstaat in Zeiten von Corona, VerfBlog 2020/3/20, https://verfassungsblog.de/whatever-it-takes/).
Der Wortlaut („auch durch Rechtsverordnung“) spricht indes dagegen, dass § 32 IfSG ein Handeln nach § 28 I 1 IfSG sperrt, sondern setzt voraus, dass beides möglich ist (daher bestehen auch die gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen).
Auch die fehlende Zitierung von Art. 11 I GG ist in den Fällen von Ausgangsbeschränkungen unschädlich. Art. 11 I GG und Art. 2 II 2 GG (der von § 28 I 4 IfSG zitiert wird), stehen nach h. M. in einem Exklusivitätsverhältnis (stellvertretend Ogorek, in: BeckOK-GG, 42. Edition, Stand: 1.12.2019, Art. 11 Rn. 56).  Bei einer Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit („Einsperrung“) genügt somit das Zitieren von Art. 2 II 2 GG. Bei den Ausgangsbeschränkungen handelt es sich um solche Einschränkungen der körperlichen Fortbewegungsfreiheit (siehe Nr. 4 der AV Bayern: „Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt“).
Damit kann § 32 IfSG insgesamt keine Sperrwirkung entnommen werden.
Selbst wenn man dies anders sähe, hat die Bayerische Staatsregierung hierauf bereits reagiert und am 24.3.2020 eine der AV Bayern inhaltlich weitgehend entsprechende Rechtsverordnung erlassen (BayMBl. 2020 Nr. 130, online abrufbar unter: https://www.verkuendung-bayern.de/files/baymbl/2020/130/baymbl-2020-130.pdf).
 
2. Sonstige Befugnisse
Sonstige Befugnisnormen, insbesondere Art. 7 II LStVG, Art. 11 I PAG treten als legi generali gegenüber dem – selbst mit einer Generalklausel ausgestatteten – IfSG zurück.
 
3. Zwischenergebnis
Allgemeine Ausgangsbeschränkungen lassen sich (vorläufig) auf § 28 I 1 IfSG stützen (nach a. A. besteht de lege lata keine taugliche Rechtsgrundlage).
 
Hinweis: In Bayern wurden die Ausgangsbeschränkungen kumulativ auf § 28 I 1 und 2 IfSG gestützt. Dies dürfte in verwaltungsrechtlicher Hinsicht unproblematisch sein, da die Rechtsprechung großzügig ist und auch noch den Austausch der Rechtsgrundlage in einem etwaigen Prozess zulässt.
Jedoch stellt ein Verstoß gegen § 28 I 1 IfSG gem. § 73 Ia Nr. 6, II IfSG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 2.500 € sanktioniert werden kann. Nur im Ausnahmefall bei vorsätzlicher Verbreitung der Krankheit ist an den Verstoß gem. § 74 IfSG eine Straftat geknüpft.
Ein Verstoß gegen § 28 I 2 IfSG ist hingegen gem. § 75 I Nr. 1 IfSG direkt eine Straftat mit bis zu zwei Jahren Haft.
Die Ahndung von etwaigen Verstößen kann daher mit Art. 103 II, III GG konfligieren. Bayern versucht dieses Problem zu vermeiden, indem in Nr. 7 der AV Bayern generell nur eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit vorgesehen ist. Interessanterweise fehlt eine Nr. 7 der AV Bayern entsprechende Regelung in der nunmehr geltenden Verordnung vom 24.3.2020.
 
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Sachlich und örtlich zuständig für den Erlass allgemeiner Ausgangsbeschränkungen für den gesamten Freistaat Bayern ist gem. § 28 I 1 IfSG i. V. m. § 65 S. 2 Nr. 2 ZustV das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege als oberste Landesgesundheitsbehörde.
Eine vorherige Anhörung ist gem. Art. 28 II Nr. 4 Var. 1 BayVwVfG nicht erforderlich.
Nach Art. 39 II Nr. 5 BayVwVfG bedarf die Allgemeinverfügung im Falle öffentlicher Bekanntmachung (so in Bayern erfolgt) auch keiner Begründung (gleichwohl enthält die AV Bayern eine Begründung).
 
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtigte oder Ausscheider festgestellt

(Alt. 1)
oder

ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war (Alt. 2)
so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen […], soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

In Bayern wurden bereits (zahlreiche) Infizierte festgestellt. Der Tatbestand der Generalklausel des § 28 I 1 IfSG ist somit erfüllt.
 
2. Verhältnismäßigkeit
Maßnahmen sind nur zulässig, soweit und solange zur Verhinderung übertragbarer Krankheiten erforderlich sind. Mithin ist sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht – bereits auf Tatbestandsebene – eine Verhältnismäßigkeitskontrolle angezeigt.
Die Verhängung einer allgemeinen Ausgangsbeschränkung für die Dauer von zwei Wochen (so die AV Bayern) müsste also einen legitimen Zweck verfolgen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein.
 
a) Legitimer Zweck
Die Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus und damit der Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen stellt ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel dar (vgl. Art. 2 II 1 GG).
 
b) Geeignetheit/Erforderlichkeit
Zwar halten nicht alle Experten die Verhängung von umfassenden Ausgangsbeschränkungen für erforderlich.
Gleichwohl besteht aber ein Einschätzungsspielraum des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege. Es genügt, dass die verfolgten Zwecke zumindest gefördert werden und nicht offensichtlich ins Leere laufen oder durch mildere Maßnahmen ersetzt werden könnten. Offensichtliche Ungeeignetheit ist wegen der weitgehenden Reduktion menschlichen Kontakts als nach dem Stand der Forschung hauptausschlaggebende Quelle der Verbreitung nicht erkennbar. Mildere Mittel sind bislang angesichts der stark steigenden Zahl der Infektionen ebenfalls nicht auf den ersten Blick ersichtlich.
 
c) Angemessenheit
Die verfolgten Ziele der Maßnahme sind mit den betroffenen Grundrechtspositionen in einen schonenden Ausgleich zu bringen („praktische Konkordanz“). Hier greift die AV Bayern in bedeutende Grundrechte ein und es besteht – auch aufgrund der hohen Zahl der Betroffenen – eine hohe Eingriffsintensität (v. a. bzgl. Art. 8 I GG, Art. 2 II 2 GG).
Demgegenüber gefährdet die weitere Ausbreitung des Virus ebenfalls überragend wichtige Gemeinschaftsgüter des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 II 2 GG).
Entscheidend ist angesichts der beidseitig sehr bedeutsamen Grundrechtspositionen die konkrete Ausgestaltung der Ausgangsbeschränkungen. Jedenfalls unverhältnismäßig dürfte eine komplette Ausgangssperre mit der Wirkung einer Freiheitsentziehung sein (dann dürften auch Ärzte das Haus nicht mehr verlassen, womit eine solche Ausgestaltung schon ungeeignet wäre, den bezweckten Zielen Rechnung zu tragen). Diese würde dazu führen, dass sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung auf Dauer eher negativ als positiv entwickelt (Edenharter, Freiheitsrechte ade? Die Rechtswidrigkeit der Ausgangssperre in der oberpfälzischen Stadt Mitterteich VerfBlog 2020/3/19, https://verfassungsblog.de/freiheitsrechte-ade/). Eine solche komplette Ausgangssperre enthält die AV Bayern indes nicht (daher der treffende Begriff der Ausgangsbeschränkung).
Die AV Bayern enthält in Nr. 5 lit. a)-h) nämlich einige – nicht abschließende – triftige Gründe für das Verlassen der Wohnung, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen sollen:

a) die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,
 b) die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (z. B. Arztbesuch, medizinische Behandlungen; Blutspenden sind ausdrücklich erlaubt) sowie der Besuch bei Angehörigen helfender Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist (z. B. Psycho- und Physiotherapeuten),
 c) Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (z. B. Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Tierbedarfshandel, Brief- und Versandhandel, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Banken und Geldautomaten, Post, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Reinigungen sowie die Abgabe von Briefwahlunterlagen). Nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben,
 d) der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich,
 e) die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,
 f) die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,
 g) Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung und
 h) Handlungen zur Versorgung von Tieren.

Insbesondere die Möglichkeit des Aufenthalts an der frischen Luft gem. Nr. 5 lit. g) der AV Bayern dürfte die Bedenken bezüglich einer kontraproduktiven negativen Gesundheitsbeeinträchtigung entkräften.
Gleichwohl wird diskutiert, ob angesichts der enormen Tragweite der Regelungen nicht sogar gem. Art. 19 II GG ein Eingriff in den Wesensgehalt von einigen Grundrechten vorliegt. Schließlich sind beispielsweise Versammlungen (Art. 8 I GG) und Gottesdienste (Art. 4 I, II GG) vollumfänglich jedermann in Bayern gänzlich untersagt.
Einen Wesensgehaltseingriff gem. Art. 19 II GG begründet dies jedoch m. E. noch nicht. Angesichts der zeitlichen Befristung der Maßnahme auf zwei Wochen ist eine gänzliche Versagung von Grundrechtspositionen nicht gegeben. Im Übrigen ist Art. 19 II GG wie auch Art. 1 I 1 GG restriktiv auszulegen, um eine individuelle Abwägung von Freiheitsräumen zu gewährleisten und absolute Betrachtungen, die dem Mantra der praktischen Konkordanz fremd sind, zu vermeiden.
Gleichwohl bleibt die künftige Entwicklung zu beobachten, da die Eingriffsintensität mit fortschreitender Dauer der Ausgangsbeschränkungen graduell ansteigt.
Für den aktuellen Zeitpunkt dürfte angesichts der zahlreichen Ausnahmen die AV Bayern einer gerichtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten.
 
IV. Fazit
Allgemeine Ausgangsbeschränkungen lassen sich (vorläufig) auf § 28 I 1 IfSG stützen, wobei der Gesetzgeber bei längerem Andauern der Maßnahmen gehalten ist, spezielle Eingriffsbefugnisse zu schaffen. Diese Eingriffsbefugnisse sollen nun im Rahmen des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundesgesetzgeber geschaffen werden. Insbesondere die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Ausgangsbeschränkungen entscheidet über deren Verhältnismäßigkeit, wobei ein Wesensgehaltseingriff zumindest nach aktuellem Stand abzulehnen ist. Anhand dieser Maßstäbe ist die AV Bayern insgesamt als rechtmäßig anzusehen.

30.03.2020/7 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-03-30 09:10:392020-03-30 09:10:39Rechtmäßigkeit von Ausgangsbeschränkungen anlässlich der Corona-Pandemie am Beispiel der Allgemeinverfügung in Bayern
Dr. Maximilian Schmidt

VG Darmstadt: Kein allgemeines Betretungsverbot für Fußballfans per Allgemeinverfügung

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verwaltungsrecht

Aktuell sorgt ein von der Stadt Darmstadt ausgesprochenes Betretungsverbot für Eintracht Frankfurt Fans für den Zeitraum rund um das Bundesligaspiel am Samstag gegen den SV Darmstadt 98 um 15:30 Uhr für Schlagzeilen. Inzwischen ist diese Verfügung durch das VG Darmstadt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aufgehoben worden (s. Pressemitteilung). Da dieser Fall nicht nur für Fußballfans, sondern auch für Juristen von besonderem Interesse ist, sollen die Problemkreise dieser Verfügung kurz erläuternd dargestellt werden. Insbesondere in einer mündlichen Prüfung in den nächsten Wochen könnte der Sachverhalt Ausgangspunkt von Fragen rund um das Verwaltungsrecht sein. Sinnvoll dürfte daher ein kurzer Blick in eine vergleichbare Entscheidung des VG Ansbach sein, die ein allgemeines Betretungsverbot für Club-Fans in Fürth behandelt (VG Ansbach, Beschluss vom 22. November 2012 – AN 5 S 12.02114, juris).
I. Sachverhalt
Die Allgemeinverfügung der Stadt Darmstadt verbietet es jedem Eintracht Frankfurt Fan, der als solcher äußerlich zu erkennen ist, sich im Innenstadtbereich der Stadt Darmstadt aufzuhalten. Leider war die Verfügung im Internet nicht (mehr?) auffindbar. Den Inhalt der Verfügung und deren Begründung gibt der Bürgermeister der Stadt Darmstadt, Rafael Reißer, wieder:

„Da nicht auszuschließen ist, dass Eintracht-Anhänger ihren Aufmarsch aufgrund des Sportgerichtsurteils in Zeiten vor oder nach dem Spieltag verlegen könnten, haben wir aufgrund einer entsprechenden Gefahrenprognose mittels Allgemeinverfügung ein allgemeines Aufenthaltsverbot für Eintracht-Anhänger im Zeitraum vom 29. April, 19 Uhr bis zum 1. Mai, 7 Uhr erlassen. Durch diese Allgemeinverfügung soll sichergestellt werden, dass den Bürgerinnen und Bürgern in der Innenstadt das größtmögliche Maß an Sicherheit zu Teil wird. Auch ich appelliere daher vor allem an die Fans der Frankfurter Eintracht, diese Verfügung zu respektieren und den Anweisungen der Polizei Folge zu leisten.“

II. Rechtsprobleme
Die Verfügung kann unter verschiedenen Gesichtspunkten in einer mündlichen Prüfung unter die Lupe genommen werden:
1. Bereits an der richtigen Rechtsgrundlage bestehen Zweifel. So stützte die Stadt das Betretungsverbot auf die allgemeine Generalklausel (§ 11 HSOPG), obwohl der speziellere Tatbestand des Platzverweises (§ 31 HSOPG) einschlägig ist. Schließlich soll ein Verbot des Aufenthalts für einen bestimmten Zeitraum auf einem bestimmten Gebiet ausgesprochen werden. Für einen Platzverweis müssen konkret nachprüfbare Tatsachen vorliegen, wonach der Adressat der Verfügung eine Straftat begehen würde. Doch nicht jeder, der Eintracht Frankfurt Fan ist oder Fankleidung dieses Vereins trägt, kann dem Kreis potenzieller Straftäter zugerechnet werden. Zwar mögen in der Vergangenheit gerade Fans der Eintracht Frankfurt mit der Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit Fußballspielen aufgefallen sein, doch kann nicht angenommen werden, dass jeder Straftaten begehen wird. Voraussetzung des Platzverweises ist nach § 31 Abs. 3 HSOPG aber gerade, dass gegen die Person, die verwiesen wird, entsprechende konkrete Tatsachen vorliegen. Daher ist es an sich schwierig eine Allgemeinverfügung gegen einen unbestimmten Personenkreis auszusprechen, der nur anhand äußerlicher Merkmale zu bestimmen ist.

2. Daneben könnte – inbesondere in einer mündlichen Prüfung – ein Verstoß gegen Art. 11 GG angesprochen werden. Ein solcher läge vor, wenn man von einer Einschränkung der Freizügigkeit ausginge. Allerdings entspricht es der ganz h.M., dass die Freiheit der Person durch ein auf einen bestimmten Bereich beschränktes Betretungsverbot nicht tangiert wird. Allein der Umstand, bestimmte Orte in bestimmter Kleidung nicht besuchen zu dürfen, genügt hierzu nicht.
3. Allerdings verstößt die Verfügung gegen den Grundsatz der Bestimmtheit. Es bleibt unklar, wer Adressat der Verfügung ist: So sollte es genügen, wenn man „erkennbar durch sonstiges Auftreten“ als Eintracht Frankfurt Fan zu bestimmen ist. Hierzu führt das VG Darmstadt in der Pressemitteilung aus:

Insbesondere gehe aus dieser nicht für die Adressaten eindeutig hervor, ob sich das Aufenthaltsverbot an alle Eintracht-Fans oder nur an solche richte, die nach außen als Anhänger/Fans von Eintracht Frankfurt erkennbar seien. Auch bleibe offen, was mit der dortigen Formulierung „erkennbar durch sonstiges Auftreten“ gemeint sei.

4. Schließlich ist die Verfügung im Hinblick auf ihre Zweckverfolgung auch nicht verhältnismäßig. Zwar verfolgt sie mit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit einen legitimen Zweck. Doch ist bereits die Geeignetheit der Maßnahme zweifelhaft. Soll nach dem äußeren Auftreten unterschieden werden, sind vor allem „normale“, d.h. nicht gewaltbereite Fans betroffen. Hooligans könnten sich hingegen ohne Fankleidung in die Stadt begeben und wären somit nicht vom Platzverweis erfasst:

Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, dass die gewaltbereiten Fans in Anbetracht des Betretensverbots durch Fankleidung, Skandieren oder durch sonstiges Auftreten sich zu erkennen gäben.

5. Aufgrund der immensen Streubreite – bereits jeder Sympathisant der Frankfurter Eintracht kann Adressat des Verweises sein – ist Regelung auch nicht verhältnismäßig:

Ein generelles Aufenthaltsverbot gegenüber allen Eintracht-Fans sei daher auch unverhältnismäßig. Die Stadt Darmstadt sei darauf zu verweisen, durch entsprechende Einzelmaßnahmen gegen auffällig gewordene gewaltbereite Fans vorzugehen, was sie offensichtlich auch durch Einzelverfügungen gegenüber bekannten gewaltbereiten Fans bereits veranlasst habe

So ist es gerade möglich – und im Sinne des Grundrechtsschutzes normaler Fans auch notwendig – gegen diejenigen Störer vorzugehen, die tatsächlich Straftaten im Zuge von Bundesligaspielen begehen. Die Unverhältnismäßigkeit der Verfügung wird am Beispiel eines Eintracht-Fans, der in der Innenstadt von Darmstadt wohnt, deutlich: Bei weiter Auslegung der unbestimmten Verfügung dürfte dieser sich auch ohne Fankleidung nicht aus seiner Wohnung begeben, und zwar von Freitagabend bis Sonntagmorgen – ein völlig unverhältnismäßiger Eingriff. Doch auch hinsichtlich der nicht gewaltbereiten Fans setzt die Verfügung auf einen Generalverdacht statt auf konkrete polizeiliche Maßnahmen und ist deswegen unverhältnismäßig.
In Anbetracht der Entscheidung des VG Ansbach aus dem Jahr 2o12, die nahezu eine identische Konstellation behandelt, ist es mehr als verwunderlich, dass die Stadt Darmstadt den gleichen Fehler wie damals die Stadt Fürth noch einmal begeht. Hierdurch könnte bei vielen Eintracht Frankfurt Fans eine gegen die Einsatzkräfte der Polizei gerichtete Stimmung entstehen, die die bereits bestehenden Gefahren potenziert.
6. Prozessuale Einkleidung
Vorliegend handelt es sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Brisant war der Hinweis der Stadt Darmstadt vom Freitag, wonach die Verfügung trotz der sechs parallelen Entscheidungen des VG Darmstadt „in Bezug auf alle anderen potenziellen Adressaten“ aufrechterhalten werden sollte. Hier könnten Prüfer die Wirkung eines verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bzw. Urteils abfragen. Einige Kommentatoren verstiegen sich in Folge der Ankündigung der Stadt Darmstadt zu der Aussage, dass ein solches Vorgehen gegen die Grundsätze des Rechtsstaates verstieße (s. hier).
Ob die aufschiebende Wirkung nur relativ gegenüber dem Antragssteller (inter partes) oder absolut gegenüber jedermann wiederhergestellt wird, ist bei einer Allgemeinverfügung streitig. Zunächst gilt der Grundsatz, dass der Suspensiveffekt nur für den Antragssteller eintritt. Dies folgt aus den allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Grundsätzen, vgl. § 42 Abs. 2 VwGO. Eine Allgemeinverfügung ist zwar auch ein Verwaltungsakt, doch sind von dieser aufgrund ihrer generellen Regelung mehrere Personen betroffen. Daher könnte man annehmen, dass die Regelung der Allgemeinverfügung insgesamt suspendiert wird. Die wohl h.M. differenziert insoweit zwischen personen- und sachbezogenen Allgemeinverfügungen:
Bei personenbezogenen Allgemeinverfügungen tritt der Suspensiveffekt wie gewöhnlich nur für den Antragssteller ein (§ 35 S. 2 Hs. 1 VwVfG).
Bei sachbezogenen Allgemeinverfügungen – insbesondere etwa Verkehrsschildern – hat der Suspensiveffekt hingegen absolute Wirkung (§ 35 S. 2 HS. 2 VwVfG). Andernfalls drohte ein Auseinanderfallen der Rechtslage, was gerade im Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren führte – ein Verkehrsschild muss schlichtweg für alle oder keinen Straßenverkehrsteilnehmer gelten.
Im vorliegenden Fall wird man wohl eine personenbezogene Verfügung annehmen müssen, so dass die von der Stadt Darmstadt zunächst angenommene Weitergeltung des Betretungsverbots für alle anderen Fans rechtmäßig erscheint. Allerdings beruhen die Entscheidungen des VG Darmstadt nicht auf Erwägungen des Einzelfalls, sondern auf Bedenken hinsichtlich Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit der Verfügung im Allgemeinen. Alles andere als die nunmehr vorgenommene generelle Aufhebung des Verbots wäre damit nur schwerlich mit einem Kooperationsgebot zwischen Exekutive und Judikative zu vereinbaren gewesen. Zudem wäre es unnötige Förmelei, wenn nunmehr jeder Fan eigenständig gegen die offensichtlich rechtswidrige Verfügung vorgehen müsste.
III. Fazit
Wir sehen: Fußball ist manchmal mehr als nur 90 Minuten, 22 Spieler und ein Ball. Gerade für die mündliche Prüfung bietet dieser Fall erhebliches Diskussions- und Prüfungspotential, so dass die wesentlichen Aspekte und Problemkreise zuvor durchdacht werden sollten.

30.04.2016/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2016-04-30 11:00:512016-04-30 11:00:51VG Darmstadt: Kein allgemeines Betretungsverbot für Fußballfans per Allgemeinverfügung
Dr. Sebastian Rombey

Versammlungsverbot in Heidenau ist rechtswidrig

Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Versammlungsrecht

Die aufgeheizte Stimmung in der Diskussion um Flüchtlinge war vor allem in der kleinen sächsischen Stadt Heidenau in den vergangenen Tagen spürbar. Die Stadt fühlte sich überfordert und verbot alle Versammlungen in der Stadt von Freitag bis Montagmorgen. „Wir dürfen Rechtsextremen nicht das Feld überlassen!“, kritisierte zB Cem Özdemir (Grüne), Jörg Radek (Gewerkschaft der Polizei) wertete es als „Kniefall vor dem braunen Mob“. Das VG hat das umstrittene Verbot nun aufgehoben.
I. Ausgangslage
Das zuständige Landratsamt hatte ein Versammlungsverbot für alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel in Heidenau von gestern, 28.08. (14.00 Uhr) bis Montagmorgen, 31.08.2015 (6.00 Uhr) ausgesprochen. Das für die gesamte Stadt Heidenau über das gesamte Wochenende geltende Demonstrationsverbot wurde von der Behörde mit Hinweis auf eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche Sicherheit begründet.
Hintergrund des behördlichen Handelns waren neben den allgemein im Dresdner Raum bekannten rechtsextremen Gruppierungen sowie den enormen Problemen bei der Handhabung der zunehmenden Anzahl von Flüchtlingen insbesondere Vorfälle in der Nähe des Erstaufnahmelagers für Flüchtlinge in Heidenau, wo sich über mehrere Tage hinweg Rechtsradikale zu Demonstrationen gegen die Asylpolitik und die untergebrachten Asylanten versammelt hatten. So waren am vergangenen Wochenende u. a. mehr als 30 Polizisten verletzt worden. Darüber hinaus wurde von der Behörde angeführt, dass nicht genug Kapazitäten bestünden, um gegen die Störer vorgehen und die in Frage stehenden Rechtsgüter schützen zu können. Des Weiteren könnten die von der Polizei bei derartigen Umständen einzusetzenden Mittel wie Wasserwerfer unbeteiligte Dritte sowie friedliche Versammlungsteilnehmer unverhältnismäßig schädigen. Mithin sei insgesamt ein polizeilicher Notstand gegeben.
II. Eilentscheidung
Die 6. Kammer des VG Dresden hat nun auf den Eilantrag eines Bürgers, der an der geplanten Demonstration „Dresden Nazifrei“ teilnehmen wollte, nach summarischer rechtlicher Sachverhaltsprüfung entschieden, dass das allgemeine Verbot für alle geplanten Versammlungen im Stadtgebiet „offensichtlich rechtswidrig“ sei (AZ 6 L 815/15). Damit hat der Antrag des Bürgers nach § 80 V VWGO Erfolg, so dass der Suspensiveffekt wieder hergestellt wird. Die geplanten und angemeldeten Versammlungen rechter Gruppierungen und gemäßigter Gegenbewegungen sowie das Willkommensfest für Flüchtlinge können nun doch stattfinden. Zur Begründung führte das Gericht aus (Wortlaut der Pressemitteilung):
Die Rechtswidrigkeit „ (…) des Verbots folge zum einen aus dem Umstand, dass der polizeiliche Notstand, der zur Begründung der Allgemeinverfügung herangezogen worden sei, schon nicht hinreichend vorgetragen und belegt worden sei. So stütze sich die  vorgenommene Gefahrenprognose lediglich auf die Ereignisse des vergangenen Wochenendes ohne sich konkret mit den für das kommende Wochenende angezeigten Versammlungen auseinanderzusetzen und darzulegen, wie von der zu erwartenden Teilnehmerzahl eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen solle. Insoweit reiche es nicht aus, auf die aus dem gesamten Bundesgebiet erwarteten übrigen Demonstranten zu verweisen.
Das VG sieht also die Begründung des polizeilichen Notstandes als nicht ausreichend an. Insbesondere kann durch den alleinigen Verweis auf nicht genügend vorhandene Polizeikräfte ein derartig einschneidendes Verbot nicht begründet werden.
Darüber hinaus erscheine die Allgemeinverfügung, die ein vollständiges Verbot sämtlicher Versammlungen für das gesamte Wochenende umfasse, unverhältnismäßig. Sie stelle nach Überzeugung der Kammer schon nicht das mildeste Mittel dar, um den von der Behörde angenommenen Gefahren, die von den angezeigten Demonstrationen ausgehen sollen, wirksam zu begegnen. So seien für Freitag, den 28. August 2015 lediglich zwei Demonstrationen in Heidenau angemeldet und eine weitere für Samstag, den 29. August 2015. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, aus welchen Gründen diese Versammlungen nicht beispielsweise in örtlicher oder zeitlicher Hinsicht beauflagt worden seien, um ein Aufeinandertreffen der unterschiedlichen politischen Lager zu unterbinden.“
Das VG verneint zudem die Verhältnismäßigkeit des allgemeinen Verbotes, genauer gesagt die Erforderlichkeit, es hätten mildere und gleich geeignete Mittel zur Sicherstellung der Öffentlichen Sicherheit bestanden, so zB die zeitliche oder auch örtliche Trennung der Demonstrationen.
Rechtlich stellt sich weitergehend aber die Frage, wie das generelle Versammlungsverbot einzustufen ist. Nach Ansicht des VG Dresden handelt es sich hierbei richtigerweise um eine Allgemeinverfügung. Eine solche stellt einen Unterfall eines Verwaltungsaktes dar (sodass sie mit der Anfechtungsklage im Hauptverfahren angegriffen werden kann) und richtet sich an einen nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Adressatenkreis.
Zweifeln könnte man bei der rechtlichen Betrachtung auch daran, ob sich das geplante Willkommensfest für Flüchtlinge überhaupt als Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts qualifizieren lässt. Eine Versammlung ist nach der Definition des BVerfG eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfGE 104, 92, 104). Dieser für Art. 8 I GG entwickelte Grundsatz findet unstreitig auch im VersG Anwendung.
Die Personengruppe, die an dem Willkommensfest teilnimmt, muss u. a. innerlich durch einen gemeinsamen Zweck verbunden sein. Streitig ist dabei, worin genau der gemeinsame Zweck liegen muss. Nach dem BVerfG ist – wie an der vorstehenden Definition gesehen – die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung erforderlich; das Gericht vertritt also den engen Versammlungsbegriff. Dies wird u. a. bei der Betrachtung von Großveranstaltungen wie der Love Parade deutlich, bei der zwar eine gewisse politische Intention vorhanden war, die Musik sowie der Spaß aber eindeutig im Vordergrund standen, so dass der Versammlungscharakter verneint wurde. Grund dessen ist, dass derartige Events nicht grundlos in den Schutzbereich des Art. 8 GG einbezogen werden sollen. Aufgrund des Bezugs der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit des Art. 5 I GG (Versammlungsfreiheit als „kollektive Meinungsfreiheit“; Komplementärfunktion) und der historischen Intention des Versammlungsbegriffs ist eine enge Begriffsdefinition also unvermeidbar; abzulehnen sind damit der weite, aber auch der engste Versammlungsbegriff.
Bei dem Willkommensfest handelt es sich zwar um eine Grillparty, bei der man annehmen könnte, dass lediglich das gesellige Zusammensein mit Spaßcharakter vordergründig sei. Vor dem politischen Hintergrund der Brisanz der Flüchtlingsdebatte, den Ausschreitungen im Dresdner Raum, und der Tatsache, dass gerade durch das Willkommensfest eine deutsche Willkommenskultur für Flüchtlinge bzw. Asylsuchende gelebt werden sollte, wird man die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung aber nicht verneinen können. Eine Versammlung ist deshalb anzunehmen.
III. Beschluss des Sächsischen OVG
Das Sächsische OVG in Bautzen hat auf die Beschwerde des Landkreises gegen die Eilentscheidung des VG Dresden hin nun in einem Beschlussverfahren beschlossen, dass lediglich die Versammlungen des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ stattfinden dürfen. Für die stattfindenden Veranstaltungen bestehen aber strenge Auflagen, so dürfen zB Flaschen, die als Wurfgeschosse dienen könnten, nicht mitgeführt werden (Auflagen dürfen von der Polizei in Bezug auf Demonstrationen ausschließlich auf Grundlage des VersG erlassen werden; Stichwort „Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts“). Das Demonstrationsverbot bleibt damit für rechte Gruppierungen und deren Aufmärsche am Wochenende bestehen.
Entgegen einer hohen Anzahl von Falschmeldungen in der Presse ist darauf hinzuweisen, dass das OVG Sachsen nicht entschieden hat, dass das Verbot nur in Teilen rechtswidrig ist. Der Antragssteller, der an der Veranstaltung „Dresden Nazifrei“ teilnehmen wollte, ist nämlich lediglich in Bezug auf diese Versammlung antragsbefugt, so dass nur diesbezüglich ein Beschluss ergehen kann. Die Rechtmäßigkeit oder auch Rechtswidrigkeit des Verbots in Bezug auf die anderen Versammlungen stand also gar nicht gerichtlich in Frage, so dass das VG Dresden dazu nicht hätte Stellung nehmen dürfen und das Demonstrationsverbot deshalb insoweit bestehen bleibt.
IV. Ausblick
Ein Antrag nach § 32 BVerfGG ist nach verschiedenen Pressemitteilungen anhängig. Es erscheint aber fraglich, ob das BVerfG eine einstweilige Anordnung aussprechen wird, da eine solche grds. bewusst nur unter strengen Anforderungen ergeht.
Vgl. zu den Problemen im Versammlungsrecht näher hier.
Update! 29.08.2015, 13.20 Uhr:
Das BVerfG hat das Demonstrationsverbot per einstweiliger Anordnung iSd § 32 BVerfGG in vollem Umfang für rechtswidrig erklärt und damit die Ausgangsentscheidung des VG bestätigt (AZ 1 BvQ 32/15)! Es müssten alle Demonstrationen ermöglicht werden. Zu beachten ist vor diesem Hintergrund, dass das BVerfG bei einer derartigen Anodnung nicht wie das VG Dresden oder das OVG Sachsen allein die Interessen des antragsbefugten Antragsstellers in den Blick nehmen, sondern alle widerstreitenden Interessen gegeneinander abwägen kann.
Im Zuge dieser Folgenabwägung hat das BVerfG insbesondere beanstandet, dass das OVG das Antragsbegehren nicht hinreichend im Lichte des Art. 8 I GG ausgelegt habe. Das OVG wäre dazu verpflichtet gewesen, den Antragssteller konkret zu fragen, ob er noch an weiteren Veranstaltungen habe teilnehmen wollen. Dann wäre die Aufhehbung des Verbots nämlich – wie bei der Eilentscheidung des VG Dresden geschehen – auf alle Versammlungen zu erstrecken gewesen.
Die Verfassungsrichter argumentierten zudem, dass die hohen Anforderungen für eine Anordnung nach § 32 BVerfGG deshalb gegeben seien, weil ohne eine solche Anordnung bei späterer erfolgreicher Verfassungsbeschwerde gegen das Demonstrationsverbot dieVersammlungsfreiheit durch den Staat hätte beschränkt und in dem hier doch sehr engen und räumlich begrenzten Zusammenhang gänzlich außer Kraft gesetzt werden können. Anderenfalls hätte viele Bürger außerhalb des Wochenendes nur wenige bis gar keine Möglichkeiten, um ihre Meinungen öffentlich kundtun zu können.
Im rechtlichen Kern wurden die Bedenken der Fachgerichte (VG und OVG) hinsichtlich des Vorliegens eines polizeilichen Notstandes sowie der Verhältnismäßigkeit des Verbots geteilt (vgl. näher die Pressemitteilung).

29.08.2015/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2015-08-29 12:08:382015-08-29 12:08:38Versammlungsverbot in Heidenau ist rechtswidrig
Dr. Maximilian Schmidt

Mündliche Prüfung im Öffentlichen Recht – Wieder mal abgeschleppt

Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Es geht weiter in unserer Serie der simulierten mündlichen Prüfungen. Heute: wieder mal abgeschleppt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur Prüfung im Öffentlichen Recht. Folgender Fall hat sich kürzlich in Neustadt an der Weinstraße ereignet, ich zitiere aus der Pressemitteilung des VG Neustadt:

Der Kläger stellte sein Fahrzeug am Mittwoch, den 27. Februar 2013, um 7.00 Uhr auf dem Pfalzplatz in Haßloch ab. Er wollte sich mit Freunden treffen, um gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt war das Parken auf dem Pfalzplatz erlaubt. Mehrere Schilder an den umliegenden Straßen und im Zufahrtsbereich des Pfalzplatzes wiesen hin auf „Pfalzplatz unbegrenzt P“. Auf dem Pfalzplatz selbst stehen keine Parkschilder. Ebenfalls am Mittwoch, den 27. Februar 2013, zu einer späteren Zeit, stellte die Beklagte an der Schillerstraße, der einzigen Zufahrt zum Pfalzplatz, folgende Verkehrsschilder auf: Verkehrszeichen 283 (absolutes Halteverbot) und 250 (Verbotder Einfahrt) sowie Zusatzzeichen „Sonntag, 03.03.2013 ab 7.00 Uhr“. Grundlage für die Aufstellung der Verkehrsschilder war die verkehrspolizeiliche Anordnung der Beklagten vom 7. Februar 2013 zum Sommertagsumzug, der am 3.März 2013 stattfinden sollte. Nach der Anordnung sollte die gesamte Beschilderung bis spätestens am Donnerstag, den 28. Februar 2013, aufgestellt werden. Eventuelle gegensätzliche Schilder sollten bis spätestens sonntags, 11.00 Uhr, abgehängt bzw. abgeklebt werden. Am Sonntag um 10.00Uhr wurden auch die Schilder„Pfalzplatz unbegrenzt P“ nach Angaben der Beklagten gemäß der Anordnung mit Müllsäcken abgedeckt. Am Sonntag, den 3. März 2013, um 12.15 Uhr wurde das Auto des Klägers abgeschleppt. Der Kläger konnte nicht informiert werden, da seine Nummer nicht im Telefonbuch eingetragen war.

Mit Schreiben vom 7.März 2013 hörte die Beklagte den Kläger zu dem Vorgang an. Mit Bescheid vom 3. April 2013 zog die Beklagte den Kläger zu den Kosten für die Abschleppmaßnahme in Höhe von insgesamt 207,00 € heran. Die Kosten setzten sich zusammen aus 178,50 € Entgelt für das Abschleppunternehmen, 25,00 € Verwaltungsgebühren und eine Zustellungsgebühr von 3,50 €. Dagegen legte der Kläger am 23. April 2013 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2014, dem Kläger zugegangen am 10. April 2014, wies der Kreisrechtsausschuss der Kreisverwaltung Bad Dürkheim den Widerspruch des Klägers zurück.

Der Kläger richtet sich nun an das VG Neustadt.  Ein relativer langer Sachverhalt, falls Sie Nachfragen hinsichtlich des Sachverhaltes haben, melden Sie sich bitte. Wir prüfen selbstverständlich nach nordrhein-westfälischem Recht. Zunächst: Welche Klageart kommt in Betracht?
In Betracht kommt eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO. Diese hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
Ja, wir möchten uns auf die Begründetheitsprüfung konzentrieren. Frau A, beginnen Sie doch bitte!
Die Anfechtungsklage des K ist nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Zunächst ist also die Rechtmäßigkeit des ergangenen Verwaltungsaktes, also des Kostenbescheides, zu prüfen. Ermächtigungsgrundlage hierfür ist §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59, 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 VO VwVG.
Schön, Sie sind nun unmittelbar auf die Ersatzvornahme nach §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1 VwVG NRW gesprungen. Was könnte „das Abschleppen“ noch sein?
Das Abschleppen eines PKW kann grundsätzlich sowohl als Ersatvornahme als auch als Sicherstellung eingeordnet werden. Sinnvoll erscheint eine Abgrenzung nach der Zweckrichtung der handelnden Behörde. Dabei liegt eine Sicherstellung vor, wenn eine Gefahr für das Fahrzeug vorlag, eine Ersatzvornahme, wenn von dem Fahrzeug eine Gefahr ausging. Demnach ist hier die Ersatzvornahme einschlägig, da die Behörde nicht zum Schutz des Fahrzeuges, sondern zur Beseitigung der von ihm ausgehenden Gefahr handelte.
Kommen wir zu formellen Rechtmäßigkeit, Herr B.
Eine nach § 28 VwVfG erforderliche Anhörung hat stattgefunden, diese war insbesondere nicht nach § 28 Nr. 5 VwVfG  hinsichtlich des Kostenbescheides entbehrlich. Zugleich hat die nach § 77 VwVG NRW zuständige Behörde gehandel, wonach Kostengläubiger der Rechtsträger ist, dessen Behörde die Amtshandlung vornimmt.
Frau A, versuchen Sie sich doch bitte an der materiellen Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides.
Der Kostenbescheid ist rechtmäßig, wenn eine Amtshandlung nach diesem Gesetz vorliegt, vgl. § 77 VwVG NRW. Daher muss nun inzident die Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme geprüft werden, da nur dann eine „Amtshandlung nach diesem Gesetz“ gegeben ist. Die richtige Ermächtigungsgrundlage hängt davon ab, ob die Behörde das gestreckte Verfahren oder den Sofortvollzug verwendet hat, § 55 VwVG NRW. Hier besteht die Besonderheit, dass es einen Grund-VA in Form der Verkehrsschilder (Halteverbot) gibt, die Behörde diesen aber ohne die Voraussetzungen des Sofortvollzugs vollstreckt. Dies nennt man abgekürztes Verfahren, dessen Rechtmäßigkeit sich aus einem „argumentum a maiore ad minus“ ergibt: Wenn schon alle Voraussetzungen des gestreckten Verfahrens im Sofortvollzug außer Acht gelassen werden können, muss erst-recht das Auslassen einzelner Verfahrensabschnitte zulässig sein. Daher ist das sog. abgekürzte Verfahren rechtmäßig.
Sehr schön. Bevor wir fortfahren, erlauben Sie mir eine kurze Zwischenfrage: Welche weiteren Argumentationsmuster kennen Sie?
Besonders wichtig ist sicherlich das argumentum e contraria, also der Umkehrschluss. Beliebt ist zudem das argumentum ad absurdum sowie das argumentum ad horribilis. Vergleichbar dem schon angesprochenen argumentum a maiore ad minus ist das argumentum a fortiori. Ungeeignet und zu vermeiden ist hingegen ein argumentum ad personam – außer es gehen einem tatsächlich einmal die Argumente aus…
In Ordnung. Herr B, prüfen Sie doch bitte das von der Kollegin beschriebene abgekürzte Verfahren durch.
Zunächst sind die Voraussetzungen des gestreckten Verfahrens nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW zu prüfen. Das Verkehrsschild ist eine HDU-Verfügung, so dass nun die Rechtmäßigkeit des Grund-VAs, also des Verkehrsschildes zu prüfen ist. Dies folgt aus der Tatsache, dass wir mangels Androhung und Festsetzung nun den Sofortvollzug eines tatsächlich ergangenen Grund-VAs prüfen. Aus der Formulierung „im Rahmen ihrer Befugnisse“ folgt also zwingend eine Rechtmäßigkeitsprüfung.
Ist die HDU-Verfügung denn überhaupt wirksam geworden, was § 55 VwVG NRW ja voraussetzt?
Die Voraussetzungen zur Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes sindin § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG geregelt. Hierfür ist die Bekanntgabe erforderlich. Eine ältere Ansicht geht davon aus, dass der Verkehrsteilnehmer das Verkehrsschild wahrnehmen muss, also letztlich (erst) eine Einzelbekanntgabe die Wirksamkeit auslöst. Die Gegenaufassung nimmt hingegen an, dass ein Verkehrsschild durch öffentliche Bekanntgabe wirksam ((§41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG i.V.m.) §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO) wird.  Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den einzelnen Verkehrsteilnehmer kommt es dann nicht mehr. Aus Gründen der Rechtsklarheit und der Vermeidung des Auseinanderfallens von Regelungen im Straßenverkehr ist von der Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe auszugehen. Zudem könnten sonst Verkehrsschilder jederzeit angegriffen werden, man denke nur an den Kieler, der mit dem Auto nach Passau fährt. Im vorliegenden Fall wurde daher das Verkehrsschild mit Aufstellung bekanntgegeben und wirksam.
Wunderbar.Wie ordnen Sie demnach das Verkehrsschild dogmatisch ein?
Es handelt sich um eine Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG.
Ist das Verkehrsschild als Allgemeinverfügung denn auch sofort vollziehbar?
Ja, nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO analog. Es ist der Anordnung durch einen Polizisten gleichzusetzen, die Möglichkeit der sofortigen Vollziehung kann nicht davon abhängen, ob die Regelung durch bspw. Handzeichen eines Polizisten oder durch ein Schild verkörpert wird.
Korrekt. Wir springen in der Prüfung etwas weiter und fragen uns, ob die Ersatzvornahme im abkürzten Verfahren wirklich notwendig war. Was meinen Sie, Frau A?
An dieser Stelle ist eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an Beseitigung der Gefahr einerseits und den Interessen des Betroffenen andererseits. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Parkplatz als „Dauerparkplatz“ ausgeschildert war und der Kläger seinen PKW gerade deswegen dort abstellte. Man könnte also an eine Art „Vertrauensschutz“ denken. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass im Straßenverkehr nicht davon ausgegangen werden kann, dass Verkehrsschilder „ewig“ unverändert bleiben. Daher müsste der Parkende innerhalb einer bestimmten zeitlichen Frist, bspw. alle sieben Tage, kontrollieren, ob er noch rechtmäßig dort parkte.  Doch in Ausnahmefällen kann auch ein sofortiges Abschleppen zulässig sein, es kommt auf den Einzelfall an. Hier versuchte die Behörde sogar den Kläger zu erreichen. Zudem behinderte das Fahrzeug die Durchführung des Sommerfestes, so dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Abschleppmaßnahme vorlag.
Also war das Abschleppen demnach wohl verhältnismäßig. Was bedeutet das für unseren Kläger?
Zunächst nur, dass das Abschleppen selbst rechtmäßig war. Somit liegt eine „Amtshandlung nach diesem Gesetz“ nach § 77 VwVG NRW vor. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, so dass grundsätzlich mit Rechtmäßigkeit des Verwaltungszwanges auch eine Kostenpflicht des Betroffenen entsteht. Dies ergibt sich aus der Formulierung „werden erhoben“. Allerdings ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Ausnahme vom Grundsatz der gebundenen Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen zu machen ist, wenn es sich um eine offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahme handelte. In diesen Fällen kann ausnahmsweise eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden.
Sehr schön. Zu welchem Ergebnis kommen Sie hier, Herr B?
Unverhältnismäßigkeit kann nur in absoluten Ausnahmefällen angenommen werden, bspw. wenn eine Behörde zwar rechtmäßig vollstreckt, aber die Änderung der Rechtslage nicht rechtzeitig angekündigt hatte. Im vorliegenden Fall liegt genau hier das Problem. Sinnvoll erscheint es davon auszugehen, dass der Parkende alle vier Tage kontrollieren muss, ob er noch rechtmäßig parkt. Insoweit hat die Behörde ihrer „Ankündigungsfrist“ Genüge getan. Der Kostenbescheid ist nicht unverhältnismäßig.
Ein vertretbares Ergebnis, genauso entschied das VG Neustadt a.d. Weinstraße (5 K 444/14.NW, Urteil hier abrufbar). Vielen Dank!

10.02.2015/3 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-02-10 10:00:052015-02-10 10:00:05Mündliche Prüfung im Öffentlichen Recht – Wieder mal abgeschleppt
Redaktion

Die Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 VwVfG)

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Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Die Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 VwVfG)” von Prof. Dr. Friedrich Schoch

befasst sich mit einem verwaltungsrechtlichen Grundlagenthema. Die Allgemeinverfügung wirft als besondere Spielart des Verwaltungsakts Grundfragen des Allgemeinen Verwaltungsrechts, des Verwaltungsverfahrensrechts und des Verwaltungsprozessrechts auf. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick zu den studien- und prüfungsrelevanten Problemen und zeigt Lösungen anhand der einschlägigen Rechtsprechung auf.
Ihr findet den Beitrag hier.

15.07.2013/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-07-15 09:00:212013-07-15 09:00:21Die Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 VwVfG)
Redaktion

Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen

Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen” von Prof. Dr. Friedrich Schoch

befasst sich mit einer ausgesprochen examensrelevanten Materie des besonderen Verwaltungsrechts. Ausgehend von der Ordnungs- und Erschließungsfunktion der Benennung von Straßen werden anhand aktueller Rechtsprechungsbeispiele die verschiedenen Problemkreise der Straßenumbenennung unter die Lupe genommen. Von der Rechtsnatur der Umbenennung, über ihre Ermächtigungsgrundlage, bis hin zu den Kriterien ordnungsgemäßer Ermessensausübung, dürften dabei nicht viele Fragen offen bleiben.
Den Beitrag findet Ihr hier.

20.11.2012/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2012-11-20 08:00:442012-11-20 08:00:44Rechtsschutz gegen die Umbenennung von Straßen
Zaid Mansour

OVG Schleswig-Holstein: Alkoholverbot in Regionalzügen

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Das OVG des Landes Schleswig-Holstein hatte am 26.1o.2012 einen im polizeirechtlichen Kontext durchaus examensträchtigen Sachverhalt zu beurteilen (Az. 4 MB 71/12). In der Sache ging es um die Rechtmäßigkeit eines per sog. Allgemeinverfügung erlassenen Verbots des Beisichführens bzw. Konsumierens von alkoholischen Getränken, Glasflaschen und pyrotechnischen Gegenständen in Regionalzügen zu einem Fußballspiel.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Bundespolizei sah sich aufgrund des Regionalligaspiels zwischen den Mannschaften von  Borussia Dortmund II und Hansa Rostock veranlasst die eingangs erwähnte Allgemeinverfügung zu erlassen. Das Verbot erfasst alle Fahrgäste auf der Regionalzugverbindung von Rostock über Hamburg, Bremen, Wunstorf und Minden nach Dortmund. Die Bundespolizei  stützt sich bei der Begründung des Verbots auf ihre jüngsten Erfahrungen mit sog. Problemfans des F.C. Hansa Rostock, die bei der An- und Abreise zu anderen Spielen regelmäßig an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt waren, bei denen gegnerische Fans, Polizeibeamte und Unbeteiligte mit Flaschen und pyrotechnischen Gegenständen beworfen worden seien. Die Alkoholisierung von Fans habe dabei zur Eskalation beigetragen.
Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht hatte den Eilantrag des Fußballfans abgelehnt. Allein der Besitz von Alkohol sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts für polizeiliche Maßnahmen (z.B. am Vatertag) zwar grundsätzlich noch nicht ausreichend. Allerdings liege hier aber wegen der besonderen örtlichen Situation in Zügen und der Erfahrungen mit den Problemfans des F.C. Hansa Rostock wohlmöglich eine Ausnahme vor. Nach summarischer Prüfung gelangte das entscheidende Gericht daher zu dem Ergebnis, dass das Interesse am Vollzug des Alkoholverbots bzw. Verbots der aufgeführten Gegenstände, welches der Abwehr von Gefahren von menschlichem Leib und Leben dient,  Vorrang vor den Interessen des Antragsstellers hat.
Das OVG Schleswig hat die Beschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, da die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts zutreffend erfolgt sei. Unter Berücksichtigung der mit alkoholisierten und randalierenden Fahrgästen in Zügen verbundenen Gefahrenlage spreche nach Auffassung des OVG im Übrigen viel dafür, dass das hier verfügte Alkoholverbot rechtmäßig sei.
Rechtliche Würdigung
Die entscheidenden Gerichte hatten sich vorliegend, soweit bislang ersichtlich, lediglich mit der Rechtmäßigkeit des Alkoholverbots auseinanderzusetzen, da die übrigen Regelungsgegenstände vom Antragssteller nicht angegriffen wurden. Im Rahmen einer gutachterlichen Prüfung wird man als Rechtskandidat allerdings in der Regel alle Regelungsgegenstände auf ihre Rechtmäßigkeit zu untersuchen haben.
Bevor man mit der gutachterlichen Prüfung des Falles beginnt, sollte man sich zunächst vergegenwärtigen, dass die Allgemeinverfügung von der Bundespolizei erlassen wurde. Eine taugliche Ermächtigungsgrundlage hat man daher im Bundespolizeigesetz (BPolG) zu suchen, wobei man im Rahmen der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit ebenfalls stets die bundesgesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschriften zitieren muss.
Auch wenn vorliegend ausdrücklich die Bezeichnung „Allgemeinverfügung“ seitens der Polizeibehörde verwendet wurde, sollte man bei der Prüfung der statthaften Klage- bzw. Antragsart dennoch einige Worte zur Rechtsqualität der in Frage stehenden polizeilichen Maßnahme verlieren. Zur Beantwortung der Frage, ob es sich vorliegend um einen VA handelt, kann § 35 VwVfG Bund herangezogen werden. Fraglich ist hier einzig, ob es sich um eine Einzelfallregelung handelt, da sich das Verbot an eine Vielzahl von Personen richtet. Es könnte sich folglich bei der Verfügung um eine adressatenbezogene, konkret-generelle Maßnahme i.S.v. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG Bund handeln, die sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Der Einzelfallbezug der Maßnahme ließe sich vorliegend aus dem Umstand herleiten, dass sich das Alkoholverbot auf den bestimmbaren Kreis derjenigen Personen bezieht, die sich innerhalb des Geltungszeitraums im räumlichen Wirkungsbereich der Verbotsverfügung aufhalten. Angesichts der relativ kurzen Geltungsdauer und dem hinreichend abgrenzbaren räumlichen Geltungsbereich ist der geregelte Sachverhalt konkret genug, um von einer Einzelfallregelung auszugehen. Wäre dies nicht der Fall, hätte die Regelung abstrakt-generellen Charakter und müsste daher als Gefahrenabwehrverordnung qualifiziert werden, zu deren Erlass die Polizeibehörden des Bundes mangels tauglicher Ermächtigungsgrundlage allerdings nicht befugt sind.
Als Ermächtigungsgrundlage kommt vorliegend § 14 Abs. 1 BPolG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BPolG in Betracht.

§ 14 Allgemeine Befugnisse
1) Die Bundespolizei kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den §§ 1 bis 7 die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht dieses Gesetz die Befugnisse der Bundespolizei besonders regelt.
(2) Gefahr im Sinne dieses Abschnitts ist eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Bereich der Aufgaben, die der Bundespolizei nach den §§ 1 bis 7 obliegen. Eine erhebliche Gefahr im Sinne dieses Abschnitts ist eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut, wie Bestand des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit, wesentliche Vermögenswerte oder andere strafrechtlich geschützte Güter von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit.
[…]
§ 3 Bahnpolizei
(1) Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die
1. den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder
2. beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen.
[…]

Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit  umfasst neben Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen die Veranstaltungen und Einrichtungen des Staates und anderer Hoheitsträger sowie die Gesamtheit der objektiven Rechtsordnung. Durch die zu befürchtenden alkoholbedingten Ausschreitungen drohen Verletzungen von Personen, sodass zunächst Rechtsgüter des Einzelnen betroffen sind, namentlich Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG). Die objektive Rechtsordnung ist wegen der drohenden Verwirklichung der §§ 229, 223 Abs. 1 ff., 303 StGB tangiert. Stellt man ferner in Rechnung, dass auch Polizeibeamte möglicherweise zum Angriffsziel der Randalierer werden, so droht dem Polizeieinsatz und damit einer staatlichen Veranstaltung ebenfalls eine Gefahr.
Die von der Bundespolizei gewählte Handlungsform des VA darf nur zur Anwendung kommen, wenn eine konkrete Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit vorliegt. Im Gegensatz zu Gefahrenabwehrverordnungen, die lediglich das Vorliegen einer abstrakten Gefahr voraussetzen (siehe dazu hier), bedarf es für den vorliegenden Einzelfall einer hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit für eines der genannten polizeilichen Schutzgüter.
Eine konkrete Gefahr liegt vor bei einem Lebenssachverhalt, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an polizeirechtlich geschützten Gütern führt. Der Gefahrenbegriff setzt eine Prognose im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts voraus, wobei das zu erwartende Schadensausmaß Berücksichtigung finden muss. Dabei gilt: Je größer das Ausmaß des Schadens, umso geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und die zeitliche Nähe des Schadenseintritts zu stellen. Maßgeblich ist dabei die ex-ante Perspektive eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Beamten. Anknüpfungspunkt der Prognoseentscheidung kann auch das polizeiliche Erfahrungswissen sein. Danach müsste man das Vorliegen einer konkreten Gefahr bejahen, wenn statistische Beobachtungen der Vorjahre belegen, dass gewaltsame Ausschreitungen zwischen den Fangruppierungen maßgeblich durch den massiven Konsum von alkoholischen Getränken begünstigt worden sind. In ähnlich gelagerten Konstellationen haben einige Verwaltungsgerichte auf § 19 GastG gestützte Alkoholausschankverbote aufrechterhalten (so etwa VG Düsseldorf, Beschluss v. 22.10.2009, Az. 12 L1623/09).
Fazit
Vorliegend lässt sich das Vorliegen einer konkreten Gefahr durch das bloße Mitführen bzw. Konsumieren alkoholischer Getränke allerdings mit guten Gründen verneinen, da zwischen dem Verzehr alkoholischer Getränke und etwaigen gewaltsamen Ausschreitungen regelmäßig noch ein freier Willensentschluss liegt. In derartigen Konstellationen einer mittelbaren Gefahrenursache darf ein Verhalten nur dann Anknüpfungspunkt polizeilicher Verfügungen sein, wenn es automatisch zu einem Schadenseintritt für polizeiliche Schutzgüter führt. Hier wird allerdings ein Verhalten verboten, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit typischerweise in eine konkrete Gefahr mündet, also die „Gefahr einer Gefahr“ begründet. Ein solcher Zustand ist jedoch gerade kennzeichnend für eine sog. abstrakte Gefahr, der nur im Wege einer Polizeiverordnung begegnet werden darf. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes (Stichwort: keine Vorwegnahme der Hauptsache; Interessenabwägung; s. dazu umfassend hier)  ist das Ergebnis des OVG Schleswig-Holstein indes durchaus vertretbar. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren bleibt insoweit abzuwarten.

09.11.2012/2 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-11-09 10:56:512012-11-09 10:56:51OVG Schleswig-Holstein: Alkoholverbot in Regionalzügen
Dr. Jan Winzen

VG Göttingen: Werbe- und Hausverbot gegen juristische Repetitorien bestätigt

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Der seit geraumer Zeit andauernde Verwaltungsrechtsstreit um Werbemaßnahmen juristischer Repetitorien in den Räumlichkeiten der Uni Göttingen geht nach dem jüngsten Urteil des VG Göttingenvom 20.09.2012 (4 A 258/09) in eine neue Runde.

A. Verfahrensgang

Zwei kommerzielle Anbieter juristischer Repetitorien hatten u.a. in der juristischen Fakultät durch verschiedene Werbemaßnahmen auf sich aufmerksam gemacht (Handzettel, Plakate, persönliche Ansprachen etc.). Die Universität erließ gegen die Repetitorien und ihre Hilfspersonen ein Werbe- und Hausverbot (betreffend das Betreten des Juridicums zu Werbezwecken) und ordnete die sofortige Vollziehung an. Auf einen Eilrechtsschutzantrag hin, stellte das VG Göttingen die aufschiebende Wirkung der gegen das Hausverbot erhobenen Klage wieder her (4 B 10/10 – siehe dazu bereits hier). Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Universität sei nämlich gegen andere ebenfalls auf ihrem Gelände werbende juristische Repetitorien nicht in gleicher Weise eingeschritten.

Zwar suchte das daraufhin im Wege der Allgemeinverfügung gegenüber sämtlichen kommerziellen Repetitorien erlassene Haus- und Werbeverbot diese Bedenken auszuräumen. Die Beschwerde der Universität (§§ 146, 147 VwGO) gegen den Beschluss des VG Göttigen wies der u.a. für das Hochschulrecht zuständige zweite Senat des OVG Lünerburg (2 ME 167/10 ) dennoch mit der Begründung zurück, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen Erfolgsaussichten der Hauptsache seien – auch unter Berücksichtigung der nunmehr erlassenen Allgemeinverfügung – offen; die in diesem Fall vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten des Aussetzungsinteresses der Repetitorien aus (siehe ausführlich zur Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hier – die Allgemeinverfügung konnte das Gericht in seine Entscheidung überhaupt nur einbeziehen, weil maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Sach- und Rechtslage im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nach hM stets der Zeitpunkt der Eilentscheidung – und nicht etwa der der letzten Behördenentscheidung – ist).

In seiner Entscheidung vom 20.09.2012 hat das VG Göttingen (4 A 258/09) die Rechtmäßigkeit des Hausverbots nunmehr in der Hauptsache bestätigt (allein das vorausgegangene Eilrechtsschutzverfahren enthält schon zahlreiche prüfungsrelevante Fragestellungen – insoweit wird aber auf die Lektüre der zitierten Beschlüsse und unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen).

B. Begründetheit der Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren 

Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist (die Zulässigkeit der Anfechtungsklage stand im vorliegenden Verfahren nicht Frage).

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der angefochtene Verwaltungsakt (also das Werbe- und Hausverbot) rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.

I. Ermächtigungsgrundlage: § 37 Abs. 3 Satz 1 NHG

Die Ermächtigungsgrundlage für das Werbe- und Hausverbot im Universitätsbetrieb findet sich regelmäßig in dem jeweiligen Landeshochschulgesetz. Im vorliegenden Fall gilt § 37 Abs. 3 Satz 1 NHG. Danach wahrt das Präsidium die Ordnung in der Hochschule und übt das Hausrecht aus (vergleichbare Vorschriften finden sich etwa in Art. 21 Abs. 12 Satz 1 BayHSchG oder § 18 Abs. 1 Satz 4 HG NRW).

Es handelt sich bei den regelmäßig so formulierten Vorschriften der Landeshochschulgesetze keineswegs um bloße Aufgabenzuweisungen oder Zuständigkeitsnormen. Die „Ausübung“ des Hausrechts umfasst vielmehr die Wahrnehmung sämtlicher sich aus dem Hausrecht ergebenden Befugnisse. Zu diesen Befugnissen gehört insbesondere auch der Erlass eines den Inhalt des Hausrechts konkretisierenden Hausverbotes (so etwa das VG Braunschweig in einem Urteil vom 10.3.2005 – 6 A 159/03 Rz. 32 juris).

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit des Verbotes geht das Gericht nur sehr kurz auf eine möglicherweise unterlassene Anhörung ein:

Ob die Klägerin vor Erlass des Bescheides angehört worden ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls ist durch den Schriftwechsel der Beteiligten im Eil- und Klageverfahren, in dem beide Seiten ihre Standpunkte ausgetauscht haben, ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt worden (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG, s.a. Nds. OVG, a.a.O.).

In der Klausur sollte man sich hier etwas mehr Zeit nehmen. Zumal der Sachverhalt dann sicherlich ausdrücklich von einer (zunächst) unterbliebenen Anhörung ausgehen wird und man zur Frage einer möglichen Heilung Stellung nehmen muss.

Fehlende Anhörung?

Das Werbe- und Hausverbot ist ein belastender Verwaltungsakt (das hätte man in der Klausur bereits im Rahmen der Statthaftigkeit festgestellt). Bevor ein belastender Verwaltungsakt erlassen wird, ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 VwVfG). Ist laut Sachverhalt eine Anhörung nicht erfolgt, muss man zunächst die Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 2 VwVfG in den Blick nehmen. Der vorliegende Fall bereitet insoweit gewisse Schwierigkeiten, als das Hausverbot ja auch noch einmal im Wege einer Allgemeinverfügung ausgesprochen wurde. Von der Anhörung kann nämlich gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG insbesondere abgesehen werden, wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen will. Das VG Göttingen ist auf diesen Umstand – wie gesagt – nicht weiter eingegangen. In einer Klausur müsste man aber an Hand der im Sachverhalt enthaltenen Angaben prüfen, ob es in diesem konkreten Fall vielleicht dennoch einer Anhörung bedurft hätte. Wegen der besonderen rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung im Verwaltungsverfahren sind die Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 2 VwVfG eng auszulegen. Für die Allgemeinverfügung heisst das, dass der Eingriff nicht von besonderer Schwere und Intensität sein und auch keine Dauerwirkung entfalten darf (Hauptanwendungsfall sind die Verkehrszeichen). Mit guter Argumentation sind je nach Sachverhaltslage verschiedene Ergebnisse vertretbar.

Heilung?

Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Anhörung nicht nach § 28 Abs. 2 VwVfG entbehrlich (und das Hausverbot deshalb eigentlich formell rechtswidrig) war, ist die nächste wichtige Norm § 45 Abs. 1  Nr. 3 VwVfG. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Ein Nichtigkeitsgrund dürfte regelmäßig nicht vorliegen. Man muss sich also die Frage stellen, ob der Schriftwechsel der Parteien während des Verwaltungsstreitverfahrens die unterbliebene Anhörung geheilt haben könnte.

Die ständige Rechtsprechung zur Heilung einer unterbliebenen Anhörung ist relativ streng. Dem Betroffenen muss (wie im Rahmen des § 28 Abs. 1 VwVfG) Gelegenheit gegeben werden, sich – schriftlich oder mündlich – zu den für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen zu äußern. Darüber hinaus muss die Behörde ein etwaiges Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung ziehen.

Problematisch ist zudem, dass eine unterlassene Anhörung nach Sinn und Zweck der Heilungsnorm grundsätzlich nicht durch die Möglichkeit der Stellungnahme in einem gerichtlichen Eilverfahren nachgeholt werden kann. Eine Heilung soll insoweit aber ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Betroffene weiß, dass es (auch) um die Anhörung zum Zwecke der Entscheidung über den VA in der Hauptsache geht (siehe etwa bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 7. Auflage 2008, § 45 Rn. 87).

Anhand dieses Prüfungsmaßstabes sollte dann die Heilung der unterbliebenen Anhörung (so man nicht schon eine Ausnahme nach § 28 Abs. 2 VwVfG bejaht hat) und damit die formelle Rechtmäßigkeit des Hausverbotes bejaht werden können.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

§ 37 Abs. 3 Satz 1 NHG setzt eine Beeinträchtigung der Ordnung der Hochschule voraus. Eine solche liegt nach Ansicht des Gerichts insbesondere vor, wenn Zweckbestimmung und Dienstbetrieb gestört werden. Es bedarf also einer Bestimmung des Zwecks der Hochschule im Rahmen der Juristenausbildung.

Es folgen umfangreiche Ausführungen zu den Aufgaben, die nach Ansicht des Gerichts einer Hochschule im Rahmen der Juristenausbildung zukommen. So heisst es etwa Eingangs noch recht allgemein gehalten:

Zu den Aufgaben der Beklagten gehört die Ausbildung und Hinführung der Studierenden zu einem berufsqualifizierenden akademischen Abschluss durch Bereitstellung eines entsprechenden Lehrangebots.

Problematisch ist nun aus Sicht des Gerichts, dass die Repetitorien in für die Bewältigung dieser Aufgabe wesentlichen Aspekten in Konkurrenz zur Hochschule treten:

Im Rahmen des juristischen Studiums bietet die Beklagte (neben den für den Studienabschluss notwendigen Lehrveranstaltungen) speziell zur Wiederholung und Examensvorbereitung für höhere Semester Repetitorien, Klausurenkurse und Probeexamina an. Die Klägerin wirbt für vergleichbare Veranstaltungen kommerzieller Art und richtet sich damit an dieselbe Zielgruppe.

Es könnte schließlich bei den Studenten der Eindruck entstehen, die universitäre Ausbildung allein reiche zur erfolgreichen Vorbereitung für das erste juristische Staatsexamen nicht aus:

Die Werbung für solche Veranstaltungen im räumlichen Bereich der Beklagten ist geeignet, bei den Studierenden den Eindruck zu vermitteln, dass das universitäre Lehrangebot für einen erfolgreichen Examensabschluss nicht ausreicht und die Beklagte ihr Lehrangebot selbst nicht für ausreichend hält.

Vor diesem Hintergrund liegt also eine grundsätzliche Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Hochschule, die zu dem Erlass eines Hausverbotes berechtigt, vor:

Bereits diese Beeinträchtigung des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der Beklagten stellt eine Störung der Zweckbestimmung der Beklagten dar, die grundsätzlich eine Nutzungsuntersagung rechtfertigt. Erst recht gilt dies, wenn der Lehrbetrieb unmittelbar, z.B. durch Überkleben offizieller Mitteilungen mit kommerziellen Plakaten oder den Zugang zu Hörsälen behindernde Verteilung von Werbemitteln, gestört wird. Die Beklagte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, gegen Werbetätigkeiten kommerzieller Repetitorien vorzugehen

Das Gericht untermauert diesen Befund sodann mit einigen lehrreichen Aussagen zur Gestaltung des Jurastudiums:

Dem steht nicht entgegen, dass auch bei einem umfassenden Lehrangebot der Beklagten die private Vor- und Nachbereitung durch die Studierenden erforderlich ist. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Wissenslücken entstehen können, die u.U. nicht mehr in Eigeninitiative, sondern mit Hilfe kommerzieller Nachhilfe- oder Lehrinstitute behoben werden. Im Regelfall ist die universitäre Ausbildung jedoch darauf ausgerichtet, dass neben den Lehrveranstaltungen die eigenständige Arbeit des Studierenden für den Studienerfolg ausreicht

Besonders prägnant dann der Verweis auf eine Aussage des Bundesverwaltungsgerichts aus den 1970er Jahren:

Erfahrungsgemäß können einigermaßen begabte, denkfähige und fleißige Studenten das Examen auch ohne Repetitor bestehen

Man muss sich also entscheiden, Rep oder Lehrveranstaltung:

Teilweise findet der Unterricht kommerzieller Repetitorien zudem zeitgleich zu den Lehrveranstaltungen der Beklagten statt, so dass sich die Studierenden für einen längeren, in der Regel über ein Semester hinausgehenden Zeitraum entscheiden müssen, ob sie sich mit Hilfe der Beklagten oder mit Hilfe des kommerziellen Repetitors auf die Prüfung vorbereiten.

Wird ein Richter nebenberuflich als Repetitor für Referendare tätig, ist dies im Übrigen mit der Werbung kommerzieller Repetitorien (im Hinblick auf das erste Staatsexamen) in der staatlichen Hochschule nicht vergleichbar, denn durch letztere werde

eine sachliche und räumliche Verbindung zur staatlichen Einrichtung geschaffen, welche die Annahme zulässt, die staatliche Einrichtung billige den Inhalt der Werbung, fördere die private Einrichtung und halte deren Besuch für nützlich oder gar geboten,

während die

auf die lehrende Person (des Richters) beschränkte Identität zwischen staatlicher und privater Ausbildung (…) in geringerem Maße eine Verbindung zur staatlichen Ausbildung her(stellt). Der Ausbilder wird erkennbar als Privatperson außerhalb der staatlichen Einrichtung und außerhalb seiner Dienstzeit tätig.

Außerdem (das dürfte wohl den meisten Referendaren bewusst sein)

dient die staatliche Referendarausbildung vorrangig dazu, den Referendar mit den Aufgaben der juristischen Praxis vertraut zu machen und nimmt – anders als die universitäre Ausbildung – nicht für sich in Anspruch, ein umfassendes Angebot zur Prüfungsvorbereitung bereit zu stellen.

Die auf diesem Wege festgestellte und mehrfach untermauerte Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Hochschule berechtigt grundsätzlich zum Erlass des Werbe- und Hausverbots.

Das auf Rechtsfolgenseite zu beachtende Ermessen hat die Hochschule nach Ansicht des Gerichts fehlerfrei ausgeübt. Insbesondere musste sie das Haus- und Werbeverbot nicht etwa auf das Juridicum beschränken. Denn überall, wo sich Jurastudenten möglicherweise aufhalten könnten, erwecke die Werbung der Repititorien den Eindruck der Duldung durch die Hochschule.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nach Erlass der alle kommerziellen juristischen Repetitorien betreffenden Allgemeinverfügung ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gericht erteilt dazu noch einige interessante Hinweise. Nicht zu beanstanden ist etwa, das nicht kommerzielle Repetitorien die Werbung in der Hochschule nicht untersagt wurde. Diese stehen nach Ansicht des Gerichts nicht in einer vergleichbaren Konkurrenzsituation zur Hochschule und sind außerdem schon deshalb nicht zu beanstanden, wenn und weil die von Mitarbeitern der Hochschule (in deren Aufgabenbereich) geleitet werden. Auch die teilweise durchgeführte (und nicht untersagte) Werbung für Verlagsprodukte kommerzieller Repetitorien war nicht zu beanstanden, da insoweit die Zweckbestimmung der Hochschule nicht beeinträchtigt ist.

Die Kombination von Werbe- und Hausverbot findet ihre Rechtfertigung in dem (von der Hochschule vorgetragenen) Umstand,

dass andernfalls Werbung durch das Verteilen von Handzetteln oder kostenlosen Skripten und durch persönliche Ansprachen nicht wirksam begegnet werden könnte. So sei es z.B. öfter vorgekommen, dass Mitarbeiter kommerzieller Repetitorien unmittelbar nach einer Lehrveranstaltung den Hörsaal betreten hätten, um für kommerzielle Veranstaltungen gleichen Inhalts zu werben. (…) Gegen ein derartiges Vorgehen könne die Beklagte nur durch ein sofortiges Eingreifen mittels eines Hausverbots vorgehen.

Schließlich ist das Hausverbot auch angemessen, da es auf das Betreten zu Werbezwecken beschränkt wurde.

Die Anfechtungsklage ist im Ergebnis unbegründet.

C. Fazit

Die Entscheidung des VG Göttingen betrifft sicherlich keinen klausurtypischen Sachverhalt. Das Verhältnis von staatlicher Universitätsausbildung zu privatem Repetitorium und dessen Bedeutung für die Juristenausbildung ist indessen ein Thema, zu dem nahezu jeder (angehende) Jurist eine Meinung haben dürfte. Als Aufhänger für eine Diskussion in der mündlichen Prüfung eignet sich die Entscheidung (bzw. der ihr zugrunde liegende Sachverhalt)  deshalb ganz gewiss. Anknüpfungspunkte für die Prüfung verwaltungsrechtlicher Grundlagen enthält der Sachverhalt zu Genüge (einstweiliger Rechtschutz, Ermächtigungsgrundlage, Verfahrensfehler, Rechtsfolgenseite, Ermessen, Verhältnismäßigkeit etc.).

Hingewiesen wird zudem noch auf eine Entscheidung des Kartellsenats des OLG Karlsruhe vom 13.05.2009 (6 U 50/08). Hier ging es um einen ähnlich gelagerten Fall an der Uni Freiburg, der im Ergebnis ebenfalls zu Gunsten der Hochschule entschieden wurde.

Eines der betroffenen Repetitorien soll bereits einen Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO) gestellt haben (siehe hierzu und zu weiteren interessanten Hintergrundinformationen den Bericht bei ). Wir werden über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten.

 

22.10.2012/7 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-10-22 12:30:132012-10-22 12:30:13VG Göttingen: Werbe- und Hausverbot gegen juristische Repetitorien bestätigt

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