Unter den Dauerschuldverhältnissen ist das Mietverhältnis wohl eines der beliebtesten, wenn es um die Zivilklausur im Staatsexamen geht. Die sich immer weiter ausdifferenzierende Rechtsprechung des BGH wird dabei mit jedem Jahr unübersichtlicher und komplexer. Wer in der Prüfungssituation den Überblick behalten will, sollte die aktuellste Rechtsprechung zum Mietrecht also kennen. Mit seinem Beschluss vom 25.08.2020 – VIII ZR 59/20 hat der BGH jüngst seine Judikatur zur Beendigung von Mietverhältnissen aufgrund von Störungen des Hausfriedens gefestigt – und dabei auch erneut darauf hingewiesen, dass Mieter sich auch das Verhalten von Besuchern zurechnen lassen müssen. Im Einzelnen:
I. Kurz zum Sachverhalt
Da die Entscheidung des BGH im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erging, ist der dem Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt knapp gehalten. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Wohnraummietverhältnis, das seit dem Jahr 2006 bestand. Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich gegenüber der Mieterin. Die Mieterin wurde sodann zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt. Das Gericht erachtete die ordentliche Kündigung als wirksam, da die Mieterin den Hausfrieden nachhaltig gestört habe. Gegen diese Entscheidung ging die Mieterin mit ihrem Antrag vor dem BGH vor. Ihrer Auffassung nach sei der Hausfrieden entgegen der Behauptungen ihrer Vermieterin nicht nachhaltig gestört worden, jedenfalls sei diesbezüglich die Rechtsprechung des BGH bislang nicht hinreichend differenziert worden.
II. Auszüge aus den Entscheidungsgründen
Was sagt der VIII. Senat des BGH hierzu? Das Gericht betonte, dass sowohl hinsichtlich der Störung des Hausfriedens durch den Mieter selbst als auch durch ein Verhalten Dritter, welches dem Mieter zugerechnet werden kann, in der Vergangenheit hinreichend ausgeurteilt sei. Zum tatsächlichen Vorbringen der klagenden Mieterin und der vorinstanzlichen Entscheidung führte es dabei aus:
„Vorliegend hat das Berufungsgericht nach einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Beklagten sowie ihres häufig in der Wohnung als Besucher anwesenden Lebensgefährten den Hausfrieden als empfindlich gestört angesehen und hat sich diesbezüglich auf einen, von der Beklagten selbst geschilderten, „alten Streit“ mit den Mitmietern sowie auf zahlreiche einzelne Vorfälle gestützt, in deren Rahmen es zu Beleidigungen und Bedrohungen von Mitmietern gekommen sei, zuletzt der Bezeichnung eines Mitmieters durch den Lebensgefährten der Beklagten als „Du Arschloch“. Zulassungsrelevante Rechtsfehler oder klärungsbedürftige Gesichtspunkte sind dabei nicht zu erkennen.“
Die Mieterin hat im Laufe des Rechtsstreits vermehrt darauf abgestellt, dass Konflikte zwischen Mietparteien – jedenfalls ihrer Auffassung zufolge – zum Lebensalltag zu zählen seien, sie mithin kein derartiges Gewicht haben könnten, dass hierauf ein Kündigungsgrund gestützt werden könne. Insbesondere seien derartige Streitigkeiten zwischen Mitmietern nicht „nachhaltig“.
Dem hält der BGH entschieden entgegen:
„Dies trifft nicht zu. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass eine Mietpartei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt.“
Das ist auch gefestigte Rechtsprechung. Der „Klassiker“ dürfte diesbezüglich das Urteil des BGH zum Zigarettendunst im Treppenhaus sein (BGH Urteil v. 18.02.2015 – VIII ZR 186/14). Dort entschied das Gericht, dass ein Mieter, der in seiner Wohnung raucht, auf Grund des mietvertraglichen Gebots der Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB gehalten sein kann, einfache und zumutbare Maßnahmen (etwa die Lüftung über die Fenster) zur Vermeidung einer Beeinträchtigung der Mitmieter zu ergreifen. Eine durch Verletzung einer solchen Rücksichtnahmepflicht verursachte Geruchsbelästigung der Mitbewohner kann nach Auffassung des BGH auch eine Störung des Hausfriedens darstellen, insbesondere wenn die Intensität der Beeinträchtigungen ein unerträgliches und/oder gesundheitsgefährdendes Ausmaß erreicht. Ob diese Umstände die weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar machen und ihn deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigen, sei im Wege der umfassenden Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
So viel also zur (gegenseitigen) Rücksichtnahmepflicht von Mietern. Wie aber verhält sich der Einwand der Mieterin zur Zurechnung von störendem Verhalten, welches von Dritten, insbesondere Besuchern ausgeht? Auch hier findet der BGH eine eindeutige Antwort:
„Schließlich ist die Revision auch nicht aus Gründen der Rechtsfortbildung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO), weil der Auffassung des Senats, wonach auch Besucher des Mieters, die sich mit dessen Einverständnis in der Wohnung aufhielten, im Hinblick auf die Einhaltung des Hausfriedens als dessen Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) anzusehen seien, so dass sich der Mieter dessen Verhalten zurechnen lassen müsse, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden könne. Es bedürfe einer klarstellenden Leitentscheidung und der Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Zurechnung erfolge […] Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Wie auch die Beklagte nicht verkennt, sind die Grundsätze hinreichend geklärt, unter denen sich ein Mieter das Verhalten von Besuchern (hier des Lebensgefährten) nach § 278 BGB zurechnen lassen muss und dieses demnach bei der Frage einer Vertragspflichtverletzung (§ 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB) zu Lasten des Mieters berücksichtigt werden kann. Ob die entsprechenden Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, entzieht sich einer typisierenden Festlegung.“
Blickt man in die jüngere Rechtsprechung des BGH, findet man an verschiedenen Stellen Ausführungen zur Frage, wann das Verhalten von Besuchern dem Mieter zuzurechnen ist. So geht etwas aus BGH Urteil v. 09.11.2016 – VIII ZR 73/16 hervor, dass Besucher, die sich im Einverständnis mit dem Mieter in einer Wohnung aufhalten, im Hinblick auf die Einhaltung des Hausfriedens als Erfüllungsgehilfe des Mieters anzusehen sind und dieser sich mithin das Verhalten seiner Besucher nach § 278 BGB zurechnen lassen muss. Dabei erstreckt sich die Zurechnung nicht nur auf „Freunde und Bekannte“ des Mieters. Auch sonstige Personen, die auf Veranlassung des Mieters mit der Mietsache in Berührung kommen, fallen unter den Anwendungsbereich von § 278 BGB, insbesondere also Handwerker und Dienstleister (hierzu BGH Urteil v. 21.05.2010 – V ZR 244/09). Auch unter diesem Gesichtspunkt gab es also keinen Anlass für eine neue höchstrichterliche Ausdifferenzierung der bereits bestehenden Judikatur.
III. Was für die Klausur wichtig ist
Der BGH hat mit seiner Entscheidung die bereits bestehenden Eckpfeiler zur Kündigung aufgrund nachhaltiger Störung des Hausfriedens nochmals eingeschlagen. Wird in der Klausur abgeprüft, ob die (ordentliche) Kündigung des Vermieters rechtswirksam ist, muss im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB geprüft werden, ob das konkret in Rede stehende, störende Verhalten des Mieters bzw. eines Dritten eine „nicht unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten“ darstellt. Dabei muss dann Folgendes erkannt werden:
- Eine Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kann sich insbesondere aus einer Verletzung von § 241 Abs. 2 BGB ergeben, wenn der Mieter den Hausfrieden nachhaltig stört.
- Aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgt die Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden. Ob die weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter durch eine Störung des Hausfriedens unzumutbar wird und ihn deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, ist stets im Wege der umfassenden Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
- Auch Verstöße Dritter sind zu berücksichtigen. Das Verhalten von Dritten muss sich der Mieter nach § 278 BGB zurechnen lassen, wenn sich diese mit seinem Einverständnis in der Mietwohnung aufhalten oder auf dessen Veranlassung mit der Mietsache in Berührung kommen.
Facebook: juraexamen.info
Instagram: @juraexamen.info