Wir freuen uns heute eine Gastbeitrag von Steffen Augschill aus Düsseldorf veröffentlichen zu können. Steffen absolvierte sein Studium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und ist derzeit Doktorand am Institut für ausländisches und internationales Privatrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Düsseldorf. Sein Beitrag beschäftigt sich mit der aktuellen BGH-Rechtsprechung zum Delisting.
Was bedeutet „Delisting“?
Der BGH hat in seinem Urteil vom 8. Oktober 2013 (NJW 2014, 146) seine jahrzehntelange sog. „Macrotron“-Rechtsprechung zum Delisting aufgegeben. Der Begriff Delisting kennzeichnet den Widerruf der Zulassung einer Aktie zum regulierten Handel an einer Börse. Ein solches Delisting wird von Emittenten meist gewählt, um die mit der Börsennotierung einhergehenden weitreichenden und kostenintensiven Emittentenpflichten zu umgehen oder um ein sog. „Going Private“ vorzubereiten.
Für Aktionäre hingegen ist ein Delisting regelmäßig mit Nachteilen verbunden, da mit dem Verlust der Börsennotierung eine regulierte Handelsplattform verloren geht, an dem die Aktien effizient gehandelt werden können. Deshalb hat der BGH in seiner „Macrotron“-Rechtsprechung das Delisting im Wege richterlicher Rechtsfortbildung vom Vorliegen ungeschriebener aktionärsschützender Voraussetzungen abhängig gemacht.
Grundsätze der „Macroton“-Rechtsprechung
Danach erforderte ein Delisting zum einen als Grundlagenentscheidung entsprechend der bekannten „Holzmüller“-Doktrin einen zustimmenden Hauptversammlungsbeschluss und zum zweiten im Wege einer Gesamtanalogie ein Abfindungsangebot, wie es sonst beispielsweise beim Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen oder beim Squeeze-Out erforderlich ist. Dogmatisch wurde dieses Erfordernis im Wesentlichen auf den Eigentumsschutz des Art. 14 GG gestützt. Demnach wurde die Verkehrsfähigkeit als vom Schutzbereich des Art. 14 GG umfasst angesehen. Mit dem Verlust der Börsennotierung sei eine so starke Einbuße der Verkehrsfähigkeit gegeben, dass diese nicht ohne das Vorliegen aktionärsschützender Voraussetzungen erfolgen dürfe.
Einschränkendes Urteil des BVerfG
Das BVerfG (NJW 2012, 3081) erteilte diesem weitreichenden Verständnis vom Schutzbereich des Art. 14 GG eine Absage und stellte fest, dass zwar die rechtliche Verkehrsfähigkeit einer Aktie dem grundrechtlichen Eigentumsschutz unterfalle. Anders als der BGH sah das BVerfG in dem Verlust der Börsennotierung lediglich eine faktische Einbuße einer durch die Börsennotierung gesteigerten Verkehrsfähigkeit, die vom Substanzschutz des Art. 14 GG nicht umfasst sei. Dieser gewährleiste den Schutz des Anteilseigentums in seiner mitgliedschaftsrechtlichen und vermögensrechtlichen Ausgestaltung, nicht jedoch schlichte Ertrags- und Handelschancen.
BGH: Aufgabe von „Macrotron“
Der BGH übernimmt diese Einschätzung in seinem kürzlich ergangenen Urteil und fordert für ein Delisting nunmehr grundsätzlich keine weiteren aktienrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen wie einen Hauptversammlungsbeschluss oder ein Abfindungsangebot. Die Interessen der Aktionäre seien durch das verwaltungsrechtliche Zulassungswiderrufsverfahren ausreichend gewahrt (die meisten Börsenordnungen sehen beispielsweise eine angemessene Zeitspanne zum Verkauf der Aktien an der Börse vor), insbesondere gewährleiste § 39 Abs. 2 S.2 BörsenG, dass ein Zulassungswiderruf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen dürfe. Damit wird der Rechtsschutz beim Delisting auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit verlagert.
Prüfungsrelevanz
Der Delisting-Thematik kommt nicht nur Relevanz für gesellschaftsrechtliche Schwerpunktbereiche zu, sie eignet sich auch für die schriftliche und mündliche Examensprüfung im öffentlichen Recht. Die aktienrechtliche Einkleidung dürfte viele dabei zunächst abschrecken, letztlich handelt es sich aber um eine klassische Grundrechtsprüfung, die Fragen zum Umfang des Schutzbereichs von Art. 14 GG sowie Verhältnismäßigkeitserwägungen beinhaltet. Dabei kommt es wie bei jeder Examensklausur in erster Linie nicht auf Detailwissen, sondern auf Grundkenntnisse, Problembewusstsein und juristisches Argumentationsvermögen an. Die Kenntnis der Grundzüge dürfte gleichwohl von Vorteil sein. Die Thematik stellt zudem ein Paradebeispiel richterlicher Rechtsfortbildung dar.
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