Wir freuen uns einen Gastbeitrag von Loni Bredies veröffentlichen zu können. Die Autorin hat in Düsseldorf studiert und ist nun als Referendarin am LG Düsseldorf tätig.
Wer kennt sie nicht, die bei Klausur-Erstellern besonders beliebten Abschleppfälle. Dennoch kommt die Vorbereitung gerade solcher Klausur-Klassiker oft zu kurz, was im Examen dann für großen Ärger sorgt. Daher soll am Beispiel des erst kürzlich ergangenen Urteils des BVerwG vom 09.04.2014 das Wichtigste zum Abschleppfall hier noch einmal erläutert werden.
I. Sachverhalt
Der Kläger ist ein selbstständiger Reisebusunternehmer, welcher sich gegen Kostenbescheide wehrt, die ihn zur Zahlung der Abschleppkosten seines Reisebusses heranziehen.
Er hatte am 02.07.2011 seinen Reisebus auf einen Taxenstand abgestellt. Dieser war mit einem absoluten Halteverbot (Zeichen 229) ausgeschildert.
Gegen 19:30 desselben Tages stellte ein mit der Überwachung des ruhenden Verkehrs beauftragter Bediensteter der Beklagten (Stadt Frankfurt) das verbotswidrige Parken des Reisebusses fest. Der Fahrer des Busses war nicht im Fahrzeug. Im Reisebus war jedoch eine Mobilfunknummer ausgelegt, über welche der Bedienstete vergeblich versuchte der Kläger telefonisch zu erreichen. Anschließend ordnete er das Abschleppen des Busses an. Gegen 19:40 erschien der Fahrer des Reisebusses und fuhr diesen wenig später weg. Der Bedienstete brach die Abschleppmaßnahme daher noch vor dem Eintreffen des Abschleppfahrzeugs um 19:42 ab.
Mit Bescheid vom 25.11.2011 machte die Beklagte die Kosten in Höhe von 513,15 Euro geltend. Diese Kosten setzen sich zusammen aus den Kosten für die Leerfahrt in Höhe von 446,25 Euro sowie Verwaltungsgebühren und Zustellkosten.
Das VG Frankfurt hat die auf Kostenaufhebung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der VGH Kassel die Entscheidung geändert und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung führte er aus, die Abschleppanordnung sei unverhältnismäßig, da der städtische Bedienstete länger hätte warten müssen, bevor er das Abschleppen anordnete. Die Wartezeit betrage an einem mit dem (Verkehrs-) Zeichen 229 ausgeschilderten Taxenstand im Allgemeinen 30 Minuten. Die Abschlepp-Maßnahme sei daher rechtswidrig gewesen.
II. Entscheidung des BVerwG
1. Grundsatz: Keine Wartepflicht
Das BVerwG hat entschieden, dass die Maßnahme rechtmäßig, insbesondere nicht unverhältnismäßig ist. Denn eine Wartezeit müsse bei einem sich aus dem Zeichen 229 ergebenden absoluten Haltverbot parkenden Fahrzeug grundsätzlich nicht eingehalten werden. Dies werde dadurch bestätigt, dass das früher an Taxiständen geltende Parkverbot nunmehr zu absoluten Halteverboten verschärft wurde. Der Verordnungsgeber messe der jederzeitigen bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit der Taxenstände daher eine hohe Bedeutung bei.
2. Ausnahme: Wartepflicht bei konkreten Umständen des Einzelfalls
Eine Wartepflicht soll ausnahmsweise dann anzunehmen sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Verantwortliche kurzfristig wieder am Fahrzeug erscheinen und es unverzüglich selbst entfernen wird. (Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Verantwortliche mit Datum und Uhrzeit seine Mobilfunknummer hinterlässt und deutlich macht, dass er unverzüglich wieder am Fahrzeug erscheinen wird.)
In dem vom BVerwG zu entscheidenden Fall konnte der Fahrer jedoch nicht telefonisch erreicht werden, sodass auch keine weitere Wartepflicht bestand.
III. Das Wichtigste für die Klausur
Der Abschlepp-Fall spielt sich in der Regel im Vollstreckungsrecht ab. Sollte sich beim Lesen des Sachverhalts also abzeichnen, dass es sich um einen solchen Fall handelt, sollte man in jedem Fall die vollstreckungsrechtlichen Vorschriften des VwVG im Hinterkopf behalten. Meist wird in den Examensklausuren nach Landesrecht vollstreckt, sodass die jeweiligen Landes-Vollstreckungsgesetze sowie – bei Vollstreckung durch die Polizei – die jeweiligen Landes-Polizeigesetze einschlägig sind. Aufhänger der meisten Klausuren ist dabei der Kostenbescheid für die Abschleppmaßnahme, sodass die Rechtmäßigkeit derselben inzident zu prüfen ist.
1. Ermächtigungsgrundlage
Da bei den Abschleppfällen meist Kostenbescheide angegriffen werden ist die Ermächtigungsgrundlage häufig in einer Norm aus dem Vollstreckungsgesetz i.V.m. einer Norm, welche die Erhebung der Kosten regelt (in NRW bspw. §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59, 77 Abs. 1 VwVG NW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 VO VwVG), zu finden.
Hier ist üblicherweise eine Abgrenzung der Ersatzvornahme von der Sicherstellung vorzunehmen, da beim Abschleppen eines PKW grundsätzlich beides in Betracht kommt. Dabei liegt eine Sicherstellung vor, wenn eine Gefahr für das Fahrzeug vorlag, eine Ersatzvornahme, wenn von dem Fahrzeug eine Gefahr ausging. In der Regel liegt jedoch eine Ersatzvornahme vor.
Im weiteren Verlauf erfolgt das Prüfungsschema nach den in NRW geltenden Normen.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständig ist nach § 77 Abs. 1 S. 2 VwVG, der Rechtsträger, dessen Behörde die Amtshandlung vornimmt.
b) Hinsichtlich des einzuhaltenden Verfahrens wird oft eine fehlende Anhörung gerügt, welche jedoch gem. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NW nicht durchzuführen ist, da es sich bei der Anforderung der Kosten für die Ersatzvornahme nicht um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung handelt.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
Hier ist es besonders wichtig, nicht den Überblick zu verlieren, da in diesem Abschnitt umfassende Inzidentprüfungen vorzunehmen sind.
a) Tatbestandsvoraussetzungen der EGL
Zu prüfen sind die Voraussetzungen der unter 1. festgestellten Ermächtigungsgrundlage. Gemäß § 77 Abs. 1 VwVG NW sind „Amtshandlungen nach diesem Gesetz“ erstattungsfähig. Die Ersatzvornahme stellt die Amtshandlung i.d.S. dar, welche inzident zu prüfen ist (1. Inzidentprüfung).
aa) Ermächtigungsgrundlage
Hier ist zu entscheiden, ob die Behörde das gestreckte (dann § 55 Abs. 1 VwVG NW – EGL) oder das gekürzte Verfahren (dann § 55 Abs. 2 VwVG NW – EGL) angewendet hat. Dies ist anhand des Sachverhalts zu ermitteln.
bb) Formelle Rechtmäßigkeit
(1) Zuständig ist gemäß § 56 VwVG NW die sog. Vollzugsbehörde, also die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat.
(2) Hinsichtlich des Verfahrens ist hier zu beachten, dass es sich um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung handelt, sodass gem. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NW eine Anhörung durchzuführen ist.
cc) Materielle Rechtmäßigkeit
Bei der materiellen Rechtmäßigkeit sind die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweils einschlägigen Ermächtigungsgrundlage (gestrecktes/gekürztes Verfahren) zu prüfen. Dabei kommt es wiederum regelmäßig zu einer Inzidentprüfung, da die Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit des vollstreckten Verwaltungsaktes (häufig ein Halteverbotsschild!) zu prüfen ist (2. Inzidentprüfung).
– Im Falle des § 55 Abs. 1 VwVG NW bedeutet dies:
(1) VA der auf Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet ist
(2) Unanfechtbarkeit des VA oder fehlende aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels
(3) Rechtmäßigkeit des VA (str. – kann dahinstehen, wenn RMK (+)
hier sollte der Grund-VA (z.B. das Verkehrszeichen) inzident geprüft werden! (3. Inzidentprüfung!)
- Formelle RMK ist grds. gegeben
- Materielle RMK: § 45 Abs. 1 S. 1 StVO lautet „Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.“ Daher ist hier zu prüfen, ob solche Gründe der (öffentlichen) Sicherheit oder Ordnung vorliegen und ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist.
(4) Androhung des Zwangsmittels
– wenn (-) gekürztes Verfahren prüfen!
(5) Festsetzung des Zwangsmittels
– wenn (-) gekürztes Verfahren prüfen!
(6) Anwendung des Zwangsmittels
(7) Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahme
Die Ersatzvornahme muss auch verhältnismäßig sein, sodass hier eine eventuelle Wartepflicht des städtisch Bediensteten zu prüfen ist.
– Im Falle des § 55 Abs. 2 VwVG NW bedeutet dies:
(1) Gegenwärtige Gefahr
(2) Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Grund-VA
- erst recht kann das gekürzte Verfahren angewendet werden, wenn tatsächlich ein VA (z.B. Verkehrsschild) erlassen wurde und das gestreckte Verfahren nur an der fehlenden Androhung und/oder Festsetzung scheitert!
- aus der Formulierung „handeln innerhalb ihrer Befugnisse“ wird die RMK eines hypothetischen Grund-VA hergeleitet
- hier wird der Grund-VA (z.B. das Verkehrszeichen) inzident geprüft (3. Indizdentprüfung!)
– EGL: § 45 Abs. 1 S. 1 StVO
– Formelle RMK ist grds. gegeben
– Materielle RMK: § 45 Abs. 1 S. 1 StVO lautet „Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.“ Daher ist hier zu prüfen, ob solche Gründe der (öffentlichen) Sicherheit oder Ordnung vorliegen und ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist.
(3) Notwendigkeit des Handeln im Sofortvollzug
b) Rechtmäßigkeit des Kostenansatzes
Anschließend sind noch die Rechtmäßigkeit des Kostenansatzes (Art, Höhe, Fälligkeit) sowie …
c) Ermessen
… das Ermessen hinsichtlich Kostenschuldner (§§ 17, 18 OBG) und Anordnung der Kosten zu prüfen.
Bei den Abschleppfällen sollte man vor allem sauber arbeiten und eine ordentliche Lösungsskizze verfassen, die sauber zwischen den verschiedenen Ebenen (Kostenbescheid – Ersatzvornahme – vollstreckter VA [sehr oft Verkehrszeichen!]) trennt.