In zwei jüngst (genauer: am 6. Mai 2020) öffentlich gewordenen Beschlüssen des OLG Köln vom 14. Januar und 11. Februar 2020 – 7 U 311/19 stand ein Ersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 670 BGB analog im Mittelpunkt, der sich mit einer auf den ersten Blick fast schon trivial klingenden Frage beschäftigt:
Haftet der Geschäftsherr auch dann für Aufwendungen und Schäden des Geschäftsführers, wenn dieser bei der Geschäftsführung ein Risiko übernimmt, das außer Verhältnis zum Anlass des Tätigwerdens steht?
Die Antwort hierauf ist diffiziler, als es zuerst den Anschein haben mag, geht es doch um nicht weniger als den Maßstab, nach dem sich der Aufwendungs- und Schadensersatzanspruch richtet, namentlich die Übernahme der Geschäftsführung im Interesse des Geschäftsherrn nach § 683 S. 1 BGB, wenn dessen wirklicher oder mutmaßlicher Wille nicht ermittelbar ist. Doch der Reihe nach.
I. Was war passiert? (Sachverhalt der PM Nr. 22/2020 entnommen)
„Die Klägerin ist eine über 70jährige Frau aus dem Aachener Umland. Nach dem Inhalt ihrer Klage war sie im Februar 2019 bei ihrer Tochter zu Besuch, als der hinter dem Grundstück der Tochter verlaufende Bach überzulaufen drohte. Dies sei auf Reisig zurückzuführen gewesen, das den Bachlauf an einer Stelle verstopft habe, an der der Bach in einem Rohr unter einem Feldweg hindurchgeführt wird. Die Klägerin habe daraufhin erfolglos versucht, den für den Bach verantwortlichen öffentlich-rechtlichen Wasserverband – die Beklagte – zu erreichen. Bereits früher habe es Überschwemmungen gegeben, bei denen Wasser in den Keller des Wohnhauses gelaufen sei. Daher habe die Klägerin versucht, die Verstopfung selbst zu beseitigen. Dabei sei sie in den Bach gefallen. Sie habe sich eine Schnittwunde zugezogen sowie ihre Brille verloren.“
Die 70jährige Frau begehrt nun vom öffentlich-rechtlichen Wasserverband Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 2.000 Euro.
II. Die Lösung des OLG Köln
In Betracht kommt ein Anspruch aus § 670 BGB, der nach ganz herrschender Meinung in analoger Anwendung nicht nur Aufwendungen, sondern auch Schäden ersetzt, die der Geschäftsführung typischerweise innewohnen können, der Geschäftsführer das Risiko ihrer Realisierung also freiwillig übernommen hat (andere dagegen wollen auf den Rechtsgedanken des § 110 HGB zurückgreifen, um dieses Ergebnis zu begründen).
In der Beseitigung der Reisig-Verstopfung des Rohres liegt eine Geschäftsführung seitens der Klägerin im Sinne von § 677 BGB, die zwar (vornehmlich) dazu dient, den Keller des Wohnhauses ihrer Tochter vor einem Wasserschaden zu bewahren, aber auch dazu, die Pflichten des zuständigen Wasserverbandes zu erfüllen, sodass ein Auch-fremdes-Geschäft vorliegt, bei dem der im Umkehrschluss zu § 687 Abs. 1 BGB erforderliche Fremdgeschäftsführungswille vermutet wird (jedenfalls nach der Rechtsprechung).
Allerdings müsste die Übernahme der Geschäftsführung durch die Klägerin gemäß § 683 S. 1 BGB auch im Interesse des öffentlich-rechtlichen Wasserverbandes liegen (denn ein dahingehender wirklicher oder auch nur mutmaßlicher Wille des Wasserverbandes ist nicht feststellbar und konnte durch die Klägerin auch nicht eruiert werden, da sie bei ihrem Anruf niemanden erreichte). Aber wie lässt sich dieses Interesse des Geschäftsherrn eingrenzen? Hierzu die PM des OLG Köln:
„Es sei […] nach objektiven Kriterien zu beurteilen, ob die Klägerin im Interesse der Beklagten gehandelt habe. Dabei sei zu berücksichtigen, ob die Vorteile für die Beklagte die anfallenden Kosten und die drohenden Risiken überwögen. Unsachgemäße und überflüssige Maßnahmen lägen nicht im Interesse der Beklagten.“
Das OLG Köln folgt damit einer uralten Entscheidung des Reichsgerichts (Urteil vom 10. Feburar 1904 – Reg. I. 414/03, BeckRS 1904, 100148), in der dieses bereits angenommen hatte, dass unsachgemäße oder überflüssige Maßnahmen a priori nicht im objektiven Interesse des Geschäftsherrn lägen.
Gemessen hieran lag die Übernahme der Geschäftsführung durch die 70jährige Klägerin nicht im objektiven Interesse des Wasserverbandes:
„Mit dem Versuch der über 70jährigen Klägerin, eigenhändig eine Verstopfung der Bachverrohrung zu beseitigen sei diese ein unverhältnismäßig hohes Risiko für ihre körperliche Unversehrtheit eingegangen. Dies habe nicht im objektiven Interesse der Beklagten gelegen.“ Das OLG Köln zählt nun auch unverhältnismäßige Risiken für den Geschäftsführer zu den unsachgemäßen oder überflüssigen Maßnahmen und konkretisiert damit die Rechtsprechung zur GoA.
In der Sache leuchtet dies unmittelbar ein, intendieren die §§ 677 ff. BGB doch nicht nur, den (immerhin partiell) altruistisch handelnden Geschäftsführer zu schützen und zu privilegieren, sondern auch, den Geschäftsherrn vor aufgedrängten Geschäftsbesorgungen zu bewahren, die er nicht autorisiert hat und ihm objektiv nicht nützen.
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin scheidet folglich aus.
III. Was bleibt?
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Übernahme der Geschäftsführung im objektiven Interesse des Geschäftsherrn liegt, ist zu berücksichtigen, ob der Geschäftsführer hierbei unsachgemäße Maßnahmen ergreift oder unverhältnismäßige Risiken eingeht – beides liegt nicht im Interesse des Geschäftsherrn; hierbei getätigte Aufwendungen und entstehende Schäden sind daher nicht ersatzfähig
IV. Weiterführende Hinweise: Privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche GoA?
Wenngleich der Beschluss des OLG Köln noch nicht im Volltext vorliegt, eignet sich der Fall bestens dazu, einige über die PM hinausgehende Überlegungen anzustellen. Dies deshalb, weil es sich einerseits um eine private Geschäftsführerin, andererseits um einen öffentlich-rechtlichen Wasserverband handelt, sodass eine Abgrenzung zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher GoA notwendig ist.
In der vorgenannten Konstellation liegt nur dann eine öffentlich-rechtliche GoA vor, wenn sich der Bürger über das behördliche Handlungsermessen hinwegsetzen durfte, was regelmäßig nur in Nothilfe- und Dringlichkeitssituationen der Fall ist (dazu ausführlich Detterbeck, Allg. VerwR, 18. Aufl. 2020, § 26). Eine trennscharfe Abgrenzung ist gleichwohl nur schwerlich möglich; entscheidend ist nach der wohl herrschenden Meinung, dass das Geschäft öffentlich-rechtlicher Natur gewesen wäre, wenn der Hoheitsträger es selbst besorgt hätte (auf das fiktive Geschäft des Geschäftsherrn stellen übereinstimmend ab BGH, Beschluss vom 30. Januar 1997 – III ZB 110/96, NJW 1997, 1636; BVerwG, Urteil vom 6. September 1988 – 4 C 5/86, NJW 1989, 922).
Und so lag es hier, jedenfalls wird man die Pressemitteilung des OLK Köln so lesen müssen, in der darauf hingewiesen wird, dass die Klägerin „hoheitliche Aufgaben der Beklagten wahrgenommen [habe], indem sie eine Verstopfung des überlaufenden Baches zu lösen versucht habe.“ Das fiktive Geschäft wäre mithin öffentlich-rechtlicher Natur gewesen.
Liegt daher eine öffentlich-rechtliche GoA durch einen privaten Geschäftsführer vor, finden die §§ 677 ff. BGB entsprechende Anwendung, sodass sich das oben dargelegte Prüfschema nicht ändert, sondern allein an wenigen Stellen zu modifizieren ist, jedenfalls soweit es um die Interessen des öffentlich-rechtlichen Geschäftsherrn geht. Insoweit hat nach dem BVerwG (Urteil vom 6. September 1988 – 4 C 5/86, NJW 1989, 922, 923) eine Interessenabwägung zu erfolgen, im Rahmen derer unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls ein Handeln des Bürgers geboten sein muss – was nach dem OLG Köln bei einem im Verhältnis zum Anlass des Tätigwerdens viel zu hohen Risiko für die körperliche Unversehrtheit der Geschäftsführerin eben gerade nicht der Fall ist.
Auf den Rechtsweg wiederum wirkt sich diese Differenzierung nicht aus; auch dies ist zwar überaus streitig, richtigerweise ist aber davon auszugehen, dass für Ansprüche des Bürgers nach § 13 GVG wegen des Sachzusammenhangs mit dem Zivilrecht der Zivilrechtsweg gegeben ist (in diese Richtung die wohl überwiegende Ansicht, s. nur MüKo-BGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 112; a.A. und für den Verwaltungsrechtsweg etwa Oechsler, JuS 2016, 215; zahlreiche Nachweise aus Rechtsprechung Literatur zu beiden Sichtweisen bei Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, Einf. vor § 677 BGB Rn. 16) – was die Entscheidung durch das OLG Köln erklärt. In Klausuren freilich kann man pragmatisch agieren und sich unter argumentativer Aufbereitung der Problematik für den Rechtsweg entscheiden, der zu der Klausur passt, die man gerade schreibt (so empfiehlt es auch Kaiser, JA 2007, 618, 621).
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