Eines der besonders kontrovers diskutierten Gesetzesvorhaben in der Politik im Frühjahr/Sommer 2023 war die Änderung des Gebäudeenergiegesetzes. Nun beschäftigte sich auch das BVerfG mit dem Gesetzesvorhaben (BVerfG, Beschluss vom 05. Juli 2023 – 2 BvE 4/23). Dabei war Gegenstand der Rechtssache jedoch nicht das Gesetz selbst, sondern die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens und insbesondere die Beteiligung der Abgeordneten. Der Fall bietet eine Vielzahl von Prüfungsfragen im Bereich des Staatsorganisationsrechts an und eignet sich mithin – insbesondere wegen seiner Aktualität – für Examensklausuren und das mündliche Examen.
I. Sachverhalt (verkürzt)
In dem Bundestag wurde am 17. Mai 2023 von der Bundesregierung ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes eingebracht. Am 13. Juni 2023 veröffentlichten die Koalitionsfraktionen ein zweiseitiges Papier mit dem Titel „Leitplanken […] zur weiteren Beratung des Gebäudeenergiegesetzes“. Dieses sah eine grundlegende Änderung des zuvor eingebrachten Gesetzesentwurfes vor und wurde von der SPD-Bundestagsfraktion selbst als „Paradigmenwechsel“ bezeichnet. Obwohl durch die „Leitplanken“ deutlich wurde, dass der ursprüngliche Gesetzesentwurf keinen Bestand haben werde, wurde eine erste Lesung über den Gesetzesentwurf am 15. Juni vorgenommen und es erfolgte am 21. Juni 2023 eine Expertenanhörung im Ausschuss. Die Abgeordneten aus der Opposition und der Ausschuss kritisierten, dass sie über die Leitplanken hinaus keine Informationen über die beabsichtigten Änderungen des Gesetzesentwurfes erhielten und somit über einen veralteten Gesetzesentwurf diskutierten.
Am Freitag, den 30. Juni 2023 übersandte der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz eine Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktion zum Gebäudeenergieänderungsgesetz. Dessen Inhalt umfasste 110 Seiten, wobei 94 Seiten mit einer synoptischen Darstellung des Gesetzesentwurfes und die restlichen 16 Seiten mit einer Begründung versehen waren. Es wurde für den 07. Juli 2023 die zweite und dritte Lesung mit anschließender Schlussabstimmung terminiert.
Der Abgeordnete (im Folgenden: A) fühlt sich in seinem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung aus Art. 38 I 2 GG verletzt. Er rügte, dass die Abgeordneten keine ausreichende Kenntnis über die geplanten Regelungen der angekündigten Änderungsanträge erhalten haben und sich die Informationen nur auf unklare und widersprechende Äußerungen aus dem zweiseitigen Leitplankenpapier beschränkten. Zudem ließen die kurzen Zeitabstände zwischen der Einbringung des tatsächlich gewollten Gesetzesinhalts, Ausschussberatungen und dem avisierten Beschlusstermin eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem stark umstrittenen Gesetzesinhalt nicht zu, da zwischen dem Erhalt der Änderungsanträge und dem Beschlusstermin nur 8 Tage liegen sollten.
Der A reichte am 27. Juni 2023 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, welcher darauf abzielte, dass dem Deutschen Bundestag (Antragsgegner) vorläufig untersagt wird, die zweite und dritte Lesung des vorgenannten Gesetzesentwurfes auf die Tagesordnung zu setzten, solange nicht allen Abgeordneten die wesentlichen Textpassagen des maßgeblichen Gesetzesentwurfes mindestens 14 Tage vorher zugegangen sind. Das Ziel der Hauptsache im Organstreitverfahren richtet sich auf die Feststellung der Verletzung der Abgeordnetenrechte aus Art. 38 I 2 GG sowie in Verbindung mit Art. 42 I 1 GG und Art. 76 ff. GG.
Hinweis: Aus dem Grund, dass sich das BVerfG in der einstweiligen Anordnung nur mit dem Art. 38 I 2 GG beschäftigt hat und die Prüfung der Verletzung aus 42 I 1 GG und Art. 76 ff. GG dem Hauptsachverfahren vorbehalten hat, wird im Folgenden auch nur auf die Verletzung des Art. 38 I 2 GG eingegangen.
II. Entscheidungsgründe
Hinweis: Die erste zu überwindende Hürde in einer Klausur wird die Wahl der richtigen Verfahrensart sein. In der Regel wird diese nicht vorgegeben, sondern im Sachverhalt finden sich Hinweise, die auf eine bestimmte Verfahrensart hindeuten. In den Fällen, in denen ein Abgeordneter sich in seinen Rechten als Abgeordneter verletzt fühlt, ist an das Organstreitverfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG zu denken. Zu beachten ist zudem der zeitliche Aspekt. Vorliegend möchte der A mit seinem Antrag erreichen, dass die zweite und dritte Lesung, die innerhalb weniger Tage stattfinden soll, verhindert wird. Sein Begehren ist mithin darauf gerichtet schnellstmöglich Rechtsschutz zu erhalten. In diesen Fällen kommt die einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG in Betracht.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
1. Zulässigkeit
Der Antrag müsste zunächst zulässig sein.
a) Statthaftigkeit
Die einstweilige Anordnung ist in allen Verfahrensarten vor dem BVerfG statthaft.
b) Zulässigkeit des Hauptsachverfahrens
Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags ist, dass das Hauptsachverfahren nicht von vornherein unzulässig ist. Das Hauptsachverfahren kann im Wege eines Organstreitverfahrens verfolgt werden, wobei die Zulässigkeit sich nach Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG richtet.
Hinweis: Dieser Prüfungspunkt kann auch erst in der Begründetheit der einstweiligen Anordnung geprüft werden (so prüft das BVerfG dies). Ich habe damals im Repetitorium jedoch die Alternative empfohlen bekommen, die Zulässigkeit des Hauptsachverfahrens bereits in der Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung zu prüfen, da dort schon einige Aspekte geprüft werden, die für die weitere Prüfung relevant sind. Zum Beispiel dient die Klärung des Antragsgegenstandes der späteren Prüfung des Verbotes der Vorwegnahme der Hauptsache. Zudem prüft das BVerfG diesen Prüfungspunkt nur kurz an, da es im einstweiligen Rechtsschutz nur darauf ankommt, dass das Hauptsachverfahren „nicht von vornherein offensichtlich unzulässig ist“. Im Folgenden werden alle Prüfungspunkte der Zulässigkeit des Organstreitverfahrens aus Übungsgründen angesprochen.
aa) Zuständigkeit des BVerfG
Über Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind entscheidet das BVerfG gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG.
Der Antragsteller sieht sich durch die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens durch die Koalitionspartner in seinem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung aus Art. 38 I 2 GG verletzt, sodass der Streitgegenstand sich auf verfassungsrechtliche Rechte bezieht und mithin das BVerfG zuständig ist.
bb) Beteiligtenfähigkeit
Antragssteller und Antragsgegner müssten in der Hauptsache (im Organstreitverfahren) beteiligtenfähig sein. Die Beteiligtenfähigkeit richtet sich vorrangig nach § 63 BVerfGG sowie ergänzend nach Art.93 I Nr. 1 GG.
(1) Antragsgegner
Der Bundestag ist in § 63 Hs. 1 BVerfGG ausdrücklich als Beteiligter genannt.
(2) Antragssteller
Fraglich ist, ob A als einzelner Abgeordneter beteiligtenfähig ist. In Betracht könnte kommen, dass ein Abgeordneter nach § 63 Hs. 2 BVerfGG „Teil der Organe des Bundestages“ ist. Organteile sind die nach der Geschäftsordnung ständig vorhandenen Gliederungen des Bundestages, wie z.B. Fraktionen. Ein Abgeordneter ist jedoch lediglich Mitglied des Bundestages und stellt keine solche Untergliederung dar. Somit scheidet eine Beteiligtenfähigkeit nach § 63 Hs. 2 BVerfGG aus.
Der Abgeordneter ist jedoch durch das GG gem. Art. 38 I 2 GG mit eigenen Rechten ausgestattet, sodass eine Beteiligtenfähigkeit über Art. 93 I Nr. 1 Alt. 2 GG hergestellt werden kann. Der Rückgriff auf Art. 93 I GG ist auch zulässig, da Art. 93 I GG als höherrangiges Recht Geltungsvorrang genießt.
Hinweis: Das BVerfG hat die Beteiligtenfähigkeit nicht gesondert geprüft. Die Konstellation, dass ein einzelner Abgeordneter ein Organstreitverfahren führt und sich somit das Problem des Verhältnisses zwischen § 63 BVerfGG und Art. 93 GG stellt, ist jedoch weiterhin ein Examensklassiker, sodass dieses Problem zumindest kurz angesprochen werden sollte.
cc) Tauglicher Antragsgegenstand
Es müsste ein tauglicher Antragsgegenstand, welcher gem. § 64 I BVerfGG in jeder rechtserheblichen Maßnahme oder rechtserheblichen Unterlassung des Antragsgegners bestehen kann, vorliegen.
Der Antragsgegenstand bezieht sich vorliegend auf die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens einschließlich der Terminierung der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfes und der damit verkürzten Beratungszeit.
Hinsichtlich der Antragsstellung, die sich auf die Terminierung einer zweiten und dritten Lesung eines Gesetzesentwurfes bezieht, ist problematisch, dass diese nur einen vorbereitenden Charakter hat und mithin keine rechtserhebliche Maßnahme darstellt (vgl. bereits: BVerfGE 112, 363, 365). Dieser Umstand kann jedoch dahinstehen, da A sich zwar „insbesondere“ gegen die Terminierung richtet, jedoch zusätzlich die zu kurzfristig zur Verfügung gestellten Unterlagen und die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens insgesamt rügt. Die Ausgestaltung eines Gesetzgebungsverfahrens in seiner Gesamtheit kann jedoch möglicherweise die Beteiligungsrechte der einzelnen Abgeordneten verletzten und somit rechtserhebliche Maßnahmen darstellen, sodass ein tauglicher Antragsgegenstand vorliegt.
dd) Antragsbefugnis
Weiterhin müsste A gem. § 64 I BVerfGG geltend machen, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch den Antragsgegner in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.
A macht die Verletzung seiner Rechte aus Art. 38 I 2 GG geltend und diese Möglichkeit der Verletzung erscheint auch von vornherein nicht ausgeschlossen. Die weiteren gerügten Verletzungen des Art. 42 und 76 ff. GG bleiben der Prüfung im Hauptsachverfahren vorbehalten.
ee) Form und Frist
Für die Einleitung des Organstreitverfahrens müsste A gem. §§ 23, 64 II BVerfGG eine schriftliche und begründete Antragsstellung innerhalb der sechsmonatigen Frist ab Bekanntwerden des Angriffsgegenstandes gem. § 64 III BVerfGG einreichen.
ff) Zwischenergebnis
Folglich ist das Hauptsachverfahren im Wege des Organstreitverfahrens nicht von vornherein unzulässig.
c) Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache
Durch die einstweilige Anordnung dürfte die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Dies folgt aus § 32 I BVerfGG, wonach das BVerfG nur „vorläufig“ Regelungen treffen darf.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache und damit die Unzulässigkeit des Antrags liegt nach der Rechtsprechung des BVerfG regelmäßig dann vor, wenn es dem Antragssteller um eine eilige Entscheidung über die im Hauptsachverfahren angegriffene Maßnahme und nicht um eine vorläufige Regelung geht. Dies ist zumindest dann anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll.
Eine Ausnahme des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache gilt jedoch dann, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich zu spät käme und dem Antragssteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte. Eine solche Ausnahme besteht dann, wenn der Gegenstand des Hauptsachverfahrens durch ein einmaliges oder nur kurze Zeit währendes Geschehen bestimmt wird, auf das eine Entscheidung in der Hauptsache keinen Einfluss mehr nehmen könnte, weil es bis dahin bereits erledigt wäre.
Die verfolgten Rechtsschutzziele im Antrag auf einstweilige Anordnung und im Antrag des Hauptsachverfahrens sind nicht vergleichbar. Während A mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die Sicherung seiner gleichberechtigten Teilnahme an der parlamentarischen Beratung durch die Gewährung einer hinreichenden Vorbereitungszeit begehrt, soll das Hauptsachverfahren feststellen, dass durch die gewählte Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere die Einbringung eines veralteten Gesetzesentwurfs sowie die Terminierung der zweiten und dritten Lesung der Novelle, gegen Art. 38 I 2 GG und gegen Art. 42 und Art. 76 GG verletzt. Zwar würde der Erlass einer einstweiligen Anordnung dazu führen, dass der Entwurf des Gebäudeenergieänderungsgesetzes in der laufenden Sitzungswoche nicht in zweiter und dritter Lesung beraten und beschlossen werden kann. Damit wird jedoch nicht zugleich über den Feststellungsantrag im Hauptsachverfahren über die Verletzung der Abgeordnetenrechte entschieden.
Somit lieg kein Verstoß gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache vor.
d) Rechtsschutzbedürfnis
Des Weiteren ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig, wenn das BVerfG eine entsprechende Rechtsfolge im Verfahren der Hauptsache nicht bewirken könnte.
Im Organstreitverfahren kann das BVerfG grundsätzlich nicht eine Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten bewirken und auch keine rechtsgestaltende Wirkung herstellen, da das Organstreitverfahren auf Feststellung gerichtet ist. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn ansonsten eine endgültige Vereitelung des geltend gemachten Rechts zu befürchten ist. Andernfalls könnte die einstweilige Anordnung ihre Funktion grundsätzlich nicht erfüllen. Andernfalls könnte die einstweilige Anordnung ihre Funktion grundsätzlich nicht erfüllen.
Vorliegend begehrt A die vorläufige Sicherung seiner geltend gemachten Mitwirkungsrechte im Verfahren zum Erlass des Gebäudeenergiegesetzänderungsgesetzes. Hierzu beantragt er eine Regelungsanordnung, dass die zweite und dritte Lesung erst dann stattfinden soll, wenn den Abgeordneten mindestens 14 Tage vorher der Gesetzesentwurf zugeht. Diese Regelung kann grundsätzlich nicht im Wege des Organstreitverfahrens erreicht werden. Ohne eine solche Regelungsanordnung kann jedoch die Schaffung vollendeter Tatsachen im Sinne eines möglicherweise eintretenden endgültigen Rechtsverlustes zum Nachteil des Antragsstellers nicht verhindert werden, sodass eine Ausnahme eingreift.
e) Zwischenergebnis
Folglich ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zulässig.
2. Begründetheit
Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist begründet, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
a) Erfolgsaussichten in der Hauptasche
Der Antrag im Hauptsachverfahren im Wege des Organstreitverfahrens dürfte nicht offensichtlich unbegründet sein.
Hinweis: wenn in der Zulässigkeit noch nicht geprüft wurde, ob das Hauptsachverfahren „von vornherein unzulässig ist“, muss dies unter dem Punkt „Begründetheit“ erfolgen.
Der Antrag im Organstreitverfahren ist gem. § 67 1 BVerfGG begründet, wenn die rechtserhebliche Maßnahme – hier: die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens – die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten des A verletzt. Eine Verletzung des A in seinen Rechten aus Art. 38 I 2 GG durch die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens durch die Koalitionspartner dürfte nicht offensichtlich zu verneinen sein.
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert den Status der Gleichheit der Abgeordneten in einem formellen und umfassenden Sinn. Danach sind alle Abgeordneten berufen, gleichermaßen an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken, wobei neben dem Recht zur Abstimmung (Art. 42 II GG) auch das Recht zur Beratung (Art. 42 I GG) besteht. Für Letzteres muss eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand gewährleistet sein. Zusammenfassend bedeutet dies: Dass die gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung das Recht der Abgeordneten umfasst, sich über den Beratungsgegenstand auf der Grundlage ausreichender Informationen eine eigene Meinung bilden und davon ausgehend an der Beratung und Beschlussfassung des Parlaments mitwirken zu können.
Zu beachten ist jedoch der weite Gestaltungsspielraum der Parlamentsmehrheit bei der Bestimmung der Verfahrensabläufe im Parlament, der sich darauf erstreckt die Prioritäten und Abläufe bei der Beratung von Gesetzgebungsverfahren zu bestimmen. Dieser Gestaltungsspielraum unterliegt jedoch Grenzen, die darin bestehen die Abgeordnetenrechte aus Art. 38 I 2 GG zu beachten und eine Verletzung dieser Rechte gegeben ist, wenn die Parlamentsmehrheit bei der Gestaltung von Gesetzgebungsverfahren die Abgeordnetenrechte ohne sachlichen Grund gänzlich oder in substantiellem Umfang missachtet.
Ob das Recht des A aus Art. 38 I 2 GG durch die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahren durch die Koalitionspartner verletzt ist, sei zwar nicht offensichtlich unbegründet, jedoch sei der Ausgang des Hauptsachverfahrens offen, da aufgrund der besonderen Umstände des streitgegenständlichen Gesetzgebungsverfahrens die Entscheidung eine eingehende Prüfung bedarf.
Für eine Missachtung der Abgeordnetenrechte könnte sprechen, dass für eine Beschleunigung und Verdichtung der Gesetzesberatung keine zwingende Veranlassung bestand, insbesondere weil das Gesetz erst am 01. Januar 2024 in Kraft treten soll.
Weiterhin erwähnt das BVerfG Aspekte, die im Hauptsachverfahren näher zu erörtern sein werden:
- In welchem Umfang wird das zweiseitige Leitplankenpapier eine den Anforderungen des Art. 38 I 2 GG genügende Beteiligung des Antragsstellers an der weiteren Gesetzesberatung erlaubt haben?
– Ob gewährleistet wurde, dass die parlamentarische Arbeit arbeitsteilig erfolgte sowie ob die Abgeordneten auf den Austausch untereinander und die Unterstützung durch eigene Mitarbeiter und solche der Fraktionen zurückgreifen können.
– Stellen die vom Antragsgegner geltend gemachten Aspekte des Bestands von Einigungszwängen angesichts sich schließender Zeitfenster und der Dokumentation der Handlungsfähigkeit der Koalition durch den Beschluss des Gebäudeenergiegesetzänderungsgesetzes vor der Sommerpause sachliche Gründe dar, die einer möglichen rechtsmissbräuchlichen Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahren entgegenstehen?
– Inwieweit der Einwand, dass Formulierungshilfen der Minister nicht mit Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen gleichzustellen sei, zu würdigen ist.
– Ob eine missbräuchliche Beschleunigung des Gesetzesvorhabens eine subjektive Komponente im Sinne absichtsvollen Vorgehens erfordere.
b) Doppelte Folgenabwägung
Ob ein Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend geboten ist, ergibt sich aus einer Interessenabwägung im Wege der doppelten Folgenabwägung.
aa) Konstellation 1: Einstweilige Anordnung (-) und Antrag in der Hauptsache (+)
Für den Fall, dass die einstweilige Anordnung nicht ergehen würde und der Antrag in der Hauptsache (jedenfalls) hinsichtlich des geltend gemachten Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe des Antragsstellers an der parlamentarischen Willensbildung Erfolg hätte, käme es zu einer irreversiblen, substantiellen Verletzung dieses Rechts.
Die Folge wäre, dass dem A unwiederbringlich die Möglichkeit genommen werde, bei den Beratungen und der Beschlussfassung über das Gebäudeenergieänderungsgesetz seine Mitwirkungsrechte in dem verfassungsrechtlich garantierten Umfang wahrzunehmen.
bb) Konstellation 2: Einstweiliger Anordnung (+) und Antrag in der Hauptsache (-)
Demgegenüber haben die Nachteile, die für den Fall, dass die einstweilige Anordnung erginge und der Antrag in der Hauptsache jedoch versagt werden würde, geringes Gewicht. Zwar käme es zu einem erheblichen Eingriff in die Autonomie des Parlaments beziehungsweise der Parlamentsmehrheit und damit in die originäre Zuständigkeit eines anderen obersten Verfassungsorgans, jedoch ist zu berücksichtigen, dass auch bei einer erfolgreichen einstweiligen Anordnung und der Versagung der Hauptsache eine Verabschiedung des Gesetzes bis zur geplanten Inkraftsetzung am 01. Januar 2024 weiterhin möglich bleibt.
Zudem könne der Antragsgegner noch für den laufenden Kalendermonat – und somit zeitnah – eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages anberaumen (Art. 39 III 2 GG). Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, dass eine Verzögerung des Abschlusses des Gesetzgebungsverfahrens eintritt, weil der Bundesrat erst bei seiner regulären Sitzung Ende September die Zustimmung zu dem Gesetze erteilen könnte, verkennt dieser, dass der Präsident des Bundesrates zu der Einberufung einer Sitzung verpflichtet ist, wenn die Bundesregierung dies verlangt (Art. 52 II 2 GG), sodass eine Zustimmungserteilung bereits vor der regulären Bundesratssitzung erfolgen könnte.
cc) Zwischenergebnis der doppelten Folgenabwägung
Das BVerfG fasst das Ergebnis der Interessenabwägung dahin zusammen, dass das Interesse an der Vermeidung einer irreversiblen Verletzung der Beteiligungsrechte des A aus Art. 38 I 2 GG gegenüber dem Eingriff in die Verfahrensautonomie des Antragsgegners überwiegt.
3. Ergebnis
Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und begründet und hat mithin Aussicht auf Erfolg.