Neues vom BGH zu ebay-Abbruchjägern
Sog. Abbruchjäger bieten mit geringen Beträgen bei ebay Auktionen mit – jedoch nicht mit dem Ziel eines Vertragsschlusses, sondern mit der Hoffnung, dass es zu einem Abbruch der Auktion kommt und sie daraufhin Schadensersatz fordern können. In einer aktuellen Entscheidung vom 22.05.2019 (Az.: VIII ZR 182/17) äußert sich der BGH dazu, wann von solch einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen ausgegangen werden kann. Da sich in Konstellationen rund um eine ebay Auktion zahlreiche Standartproblematiken wie das Zustandekommen eines Vertrags in einem neuen Gewand abprüfen lassen, liegt hier die Examensrelevanz auf der Hand.
I. Vertragsschluss über ebay trotz Auktionsabbruch
Ein Vertragsschluss über ebay richtet sich wie auch sonst üblich nach den §§ 145 ff BGB. Ein Vertrag kommt also durch Angebot und Annahme zustande – nicht etwa durch Zuschlag nach § 156 BGB, da es sich bei Internet-Auktionen nicht um Versteigerungen im Sinne dieser Norm handelt. Das Erstellen der Auktion auf ebay stellt bereits eine verbindliche Willenserklärung dar. Denn nach den AGB von ebay kommt mit dem zum Zeitpunkt der Beendigung der Auktion Höchstbietenden ein Kaufvertrag zustande – außer der Verkäufer bricht die Auktion ab, weil er dazu gesetzlich berechtigt war. Zwar gelten die AGB nicht zwischen Käufer und Verkäufer, sondern jeweils nur zwischen diesen und ebay. Sie sind jedoch bei der Auslegung der Willenserklärungen zu berücksichtigen. So ist das Einstellen der Kaufsache als Angebot unter der aufschiebenden Bedingung § 158 Abs. 1 BGB, dass das Gebot des Bieters zum Zeitpunkt des Auktionsendes das Höchstgebot ist, zu qualifizieren. Dieses nimmt der Bietende durch sein Gebot an. Bricht der Verkäufer die Auktion ab, ohne dazu berechtigt zu sein, so kommt der Vertrag mit dem zu diesem Zeitpunkt Höchstbietenden zustande.
II. Schadensersatzanspruch §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB
Der Verkäufer ist also verpflichtet, die angebotene Ware zu liefern. Er hat den Kaufgegenstand zu übergeben und zu übereignen, § 433 Abs. 1 BGB. Tut er dies nicht, so kann der Käufer nach erfolgloser Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB verlangen. Der Schaden bemisst sich nach der Differenzhypothese und beträgt grds. den Wert des Kaufgegenstandes abzüglich des Kaufpreises.
III. § 242 BGB bei sog. Abbruchjägern
Diesem Anspruch kann der Verkäufer aber unter Umständen den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegenhalten.
1. Schnäppchenjagd an sich nicht rechtsmissbräuchlich
Rechtsmissbrauch liegt –wie auch der BGH in seiner aktuellen Entscheidung noch einmal bestätigt – nicht bereits deshalb vor, weil der Käufer ein weit unter dem Marktpreis liegenden Höchstangebot abgibt. Denn es macht gerade den Reiz einer Internetauktion aus, dass der Bieter die Chance auf den Erwerb der Ware zum Schnäppchenpreis hat. Schließlich hat umgekehrt der Veräußerer die Chance, aufgrund eines gegenseitigen Überbietens der Interessenten einen vorteiligen Preis weit über dem Wert der Sache zu erzielen. Eine „Schnäppchenjagd“ auf ebay ist also erlaubt! An dieser Bewertung ändert sich auch nichts, wenn der Käufer in einer Vielzahl von Fällen ein solch niedriges Gebot abgibt, in der Hoffnung, ein Schnäppchen zu ergattern, „weil allein die Quantität eines von der Rechtsordnung im Einzelfall gebilligten Vorgehens in der Regel nicht zu dessen Missbilligung führt“, so der BGH.
2. Rechtsmissbrauch bei fehlendem Kaufinteresse (Abbruchjäger)
Hat der Käufer von vorneherein kein Interesse, den Kaufgegenstand zu erwerben, sondern zielt er allein auf den Abbruch der Auktion ab, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können, so handelt er rechtsmissbräuchlich. Ein solcher „Abbruchjäger“, dessen Absicht von vorneherein nicht auf den Erfolg des Vertrags, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist, kann seinen an sich entstandenen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 242 BGB nicht durchsetzten.
3. Aktuelle Entscheidung des BGH
In seiner aktuellen Entscheidung äußert sich der BGH zu der Frage, wann – bzw. wann noch nicht – von einem Abbruchjäger auszugehen ist.
Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ist anhand einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Der BGH betont dabei, dass die Annahme von Rechtsmissbrauch auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben muss. So könnten keine „abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als Abbruchjäger zulassen“ aufgestellt werden.
Konkret weist er folgende vermeintliche Indizien als nicht tragfähig zurück:
a) Vielzahl der Gebote und deren Gesamtsumme
Der Verkäufer machte geltend, dass bereits die Vielzahl der vom Käufer auf ebay abgegebenen Gebote den Rückschluss zulasse, er habe kein Kaufinteresse. Denn die Gesamtsumme dieser Gebote hätte der Käufer nicht aufbringen können, sodass er auf das Ausbleiben der Vertragsdurchführung angewiesen war. Diesem Einwand teilt der BGH eine klare Absage: Gerade bei der Abgabe von weit unter dem Marktpreis liegender Geboten wird der Bieter regelmäßig überboten, sodass bei normalem Verlauf der Auktionen nicht damit zu rechnen ist, dass er den Gesamtpreis seiner Gebote wird aufbringen müssen. Ein solches Vorgehen zielt „in einer den Internetauktionen immanenten und nicht zu missbilligenden Weise darauf ab, bei einer geringen Zahl der Auktionen, dann aber zu einem für ihn aufbringbaren Schnäppchenpreis, zum Zuge zu kommen“. Im zugrundeliegenden Fall wurde dies zudem dadurch untermauert, dass der Kläger die Artikel, auf die er geboten hatte, auch tatsächlich abgenommen hat.
b) Keine eigene Verwendung für Kaufgegenstände
Zudem wies der Verkäufer darauf hin, dass der Käufer für die Gegenstände, auf die er geboten habe, in ihrer Vielzahl keine tatsächliche Verwendung haben könne. Auch dies kann jedoch nicht auf ein fehlendes Kaufinteresse hindeuten. Denn auch wenn der Käufer für die Gegenstände selbst keine Verwendung haben sollte, kann sein Kaufinteresse darauf gerichtet sein, diese für jemand anderes zu erwerben, sie zu verschenken oder die günstig erworbenen Waren zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen. Auf welche Weise der Käufer die Gegenstände verwendet, sei als bloßes Kaufmotiv aber unerheblich.
c) Vorgehen des Käufers in Zeitraum nach der Auktion
Der Verkäufer sah auch in dem Verhalten des Käufers in einem deutlich nach der in Rede stehenden Auktion liegenden Zeitraum ein maßgebliches Indiz für ein Vorgehen als Abbruchjäger. Auch in den folgenden Jahren hatte er eine Vielzahl von Geboten weit unter dem Marktpreis abgegeben und in etwa 100 Fällen Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Das spätere Verhalten des Käufers könne jedoch laut BGH keine Rückschlüsse auf eine fehlende Erwerbsabsicht im Zeitpunkt der Auktion zulassen, zumal der Kläger die von ihm ersteigerten Gegenstände jeweils entgegengenommen hat.
IV. Fazit
Grds. bleibt zwar weiter die Figur des Abbruchjägers anerkannt, der allein auf den Abbruch der Internet-Auktion abzielt, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Bei einem solchen Vorgehen sind dessen Schadensersatzansprüche wegen des Einwands rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht durchsetzbar, § 242 BGB. Der BGH betont jedoch, dass dies nur in absoluten Ausnahmenfällen angenommen werden kann. Das Urteil bietet Anlass, sich mit den rechtlichen Problemen rund um eine ebay Auktion genauer zu befassen. Hinzuweisen ist dabei auch auf das Problem des sog. Shill-Bidding (siehe dazu hier).
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Verkaufs- und Auktionsplattformen im Internet sind beliebte Prüfungsaufhänger in Examensklausuren, weil hier Standardprobleme, wie zum Beispiel das Zustandekommen eines Vertrages in einem anderen Gewand auftreten und den Examenskandidaten daher mehr Argumentationsvermögen abverlangen. Gestern, am 24.08.2016, hat der BGH gleich zwei unter Käufern und Verkäufern bei eBay-Auktionen gängigen Methoden, dem Spekulieren auf den Auktionsabbruch und der Manipulation durch Eigengebote, eine klare Absage erteilt (Az. VIII ZR 182/15 und VIII ZR 100/15). Garniert wird das Ganze noch von weiteren Klassikern wie der gewillkürten Prozessstandschaft und dem Rechtsmissbrauch. Für denjenigen, der regelmäßig solche Plattformen nutzt, sind diese beiden Entscheidungen also gleich in mehrfacher Hinsicht interessant.
I. Keine Prozessführungsbefugnis für sog. „Abbruchjäger“
1. Was war passiert?
In dem Sachverhalt, welcher dem ersten Urteil zugrunde liegt (BGH v. 24.08.2016 – VIII ZR 100/15) hatte der Kläger, der Sohn des Verwalters einer GbR, mit deren Zustimmung ein eBay-Nutzerkonto in deren Namen eröffnet und daraufhin für ein gebrauchtes Motorrad, welches mit dem Startpreis 1€ angeboten wurde ein Maximalgebot von 1.234,57 € abgegeben. Die Auktion wurde allerdings schon am ersten Tag durch den Beklagten abgebrochen, weil dieser das Motorrad falsch beschrieben hatte, im Anschluss bot er es aber mit den richtigen Angaben erneut an. Der Kläger, der der einzige Bieter geblieben war, verlangte aber erst ein halbes Jahr später Erfüllung des Kaufvertrages gegen Zahlung von 1 €. Als er erfuhr, dass das Motorrad bereits veräußert war, forderte er stattdessen 4.899 € Schadensersatz von dem Beklagten ein, wobei die GbR ihm bereits vor Klagezustellung sämtliche Ansprüche unentgeltlich abgetreten hatte.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts
Während die Klage in der ersten Instanz noch teilweise vom Erfolg gekrönt wurde, wies das Berufungsgericht (LG Görlitz v. 29.07.2015 – 2 S 213/14) das Klägerverlangen bereits als rechtsmissbräuchlich zurück, denn: der Kläger war kein Unbekannter. Bereits zuvor hatte er unter mehreren Benutzerkonten bei verschiedenen Auktionen zahlreiche Gebote im insgesamt sechsstelligen Bereich abgegeben. In vier Fällen, in denen die Auktion vorzeitig abgebrochen wurde, hatte er den Anbieter anschließend verklagt. Im vorliegenden Fall hatte er zudem erst nach längerer Zeit, nämlich sechs Monaten Klage erhoben, sodass mit dem anderweitigen Verkauf zu rechnen war. Der Kläger sei also das, was man unter einem sog. „Abbruchjäger“ versteht, jemand der bewusst Angebote abgibt, um bei einem Auktionsabbruch Schadensersatz einklagen zu können.
3. BGH: Klage sogar unzulässig!
Der BGH setzt die Erfolglosigkeit des Klägerbegehrens aber noch an einem früheren Punkt an: Die Klage sei bereits mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig. Es handele sich im vorliegenden Fall um eine gewillkürte Prozessstandschaft, sodass die bloße Ermächtigung zur Prozessführung nicht ausreiche, sondern der Kläger vielmehr ein eigenes schutzwürdiges Interesse geltend machen müsse, welches auch wirtschaftlicher Natur sein könne (vgl. BGH v. 21.4.2016 – I ZR 43/14). Ein solches liege hier aber nicht vor, da dem Kläger der Anspruch unentgeltlich abgetreten wurde.
4. Vorgehen in der Klausur
In einer Examensklausur ist zum einen denkbar, dass gleich nach den Erfolgsaussichten einer Klage gefragt wird. Diese würde mit der Begründung des BGH bereits in der Zulässigkeit scheitern. Gibt die Klausur sonst nichts her, wird das Hilfsgutachten unvermeidlich. Ebenso gut und auch etwas prüflingsfreundlicher lässt sich aber auch zunächst nach dem materiellen Bestehen des Anspruchs fragen, um danach in einer prozessualen Zusatzfrage nach der Zulässigkeit zu fragen.
Wichtig ist in beiden Fällen die saubere Prüfung der Voraussetzungen der gewillkürten Prozesstandschaft, also die Zustimmung des Rechtsträgers (§ 185 Abs. 1 BGB analog) und das Vorliegen eines eigenen, schutzwürdigen Interesses des Prozessstandschafters. Typische Beispiele für letzteres sind z.B. die Sicherungsabtretung und die Drittschadensliquidation. Auf der materiellen Seite beim Vertragsschluss auf die Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB durch den späteren Kläger einzugehen, sowie auf die Besonderheiten bei eBay-Auktionen (dazu mehr im nächsten Fall). Trotz des Abbruchs ist ein wirksamer Kaufvertrag zu bejahen, der auch weder durch eventuelle Anfechtung, noch durch Widerruf beseitigt werden kann (siehe dazu unseren Beitrag).Bei vermutetem Vertretenmüssen kann ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung also grundsätzlich bejaht werden. Er scheitert dann aber schließlich an der im Rahmen von § 242 BGB anerkannten Fallgruppe des Rechtsmissbrauchs.
II. Schadensersatzpflicht bei „Shill-Bidding“
1. Was war passiert?
Im zweiten Fall (BGH v. 24.08.2016 – VIII ZR 100/15) ging es ebenfalls um ein Gebrauchtfahrzeug, den der Beklagte auch zu einem Startpreis von 1 € angeboten hatte. Der Kläger nahm an der Auktion teil, wurde aber immer wieder vom Beklagten, der noch ein zweites Benutzerkonto nutzte, überboten (sog. Shill-Bidding), bis am Ende der Beklagte selbst die Auktion mit einem Gebot von 17.000 € „gewann“. Der Kläger verlangte im Anschluss Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs gegen Zahlung von 1,50 € (1 € hatte der einzige weitere Fremdbieter geboten, sodass das nächsthöhere Gebot des Klägers, welches ohne die Eigengebote des Beklagten das Höchstgebot gewesen wäre, 1,50 € betrug). Auch hier war das Fahrzeug bereits verkauft, sodass der Kläger Schadensersatz verlangte.
2. Die Entscheidung
Vor dem Landgericht hatte der Kläger mit diesem Begehren auch Erfolg. Das Berufungsgericht hingegen war der Ansicht, das letzte Angebot des Klägers sei für das Zustandekommen des Kaufvertrags entscheidend. Das letzte Gebot habe den Wert des Fahrzeugs überstiegen, sodass dem Kläger durch die Nichterfüllung gerade kein Schaden entstanden sei.
Der BGH aber schloss sich der Entscheidung erster Instanz an: Bei einer Internet-Auktion kommt der Vertrag nicht gem. § 156 BGB nach den Regeln der Versteigerung zustande, sondern ganz klassisch nach §§ 145 ff. BGB. Der Wortlaut von § 145 BGB setzt aber bereits voraus, dass das Angebot gegenüber einem „anderen“ abgegeben wird. Die Eigengebote des Beklagten erfolgten aber gegenüber ihm selbst, sie waren folglich unwirksam. Zwar habe auch der Kläger immer wieder höhere Gebote abgegeben, der Erklärungswert dieser Gebote sei aber so auszulegen, dass immer nur der nächsthöhere Betrag geboten werden solle. Das einzige andere wirksame Gebot war allerdings das des einzigen weiteren Fremdbieters mit 1 €, somit war das nächsthöhere Gebot des Klägers mit 1,50 € das Höchstgebot.
Der niedrige Preis begründe auch keine Sittenwidrigkeit, denn das Erlangen eines „Schnäppchens“ sei bei Internet-Auktionen gerade immanent, zumal im konkreten Fall die Manipulationen des Beklagten bei der Preisgestaltung eine vordergründige Rolle spielten.
III. Fazit
Zwei Entscheidungen zum Thema Internet-Auktion an einem Tag – das fällt jedem Prüfer, der auf den Nachrichtenseiten der gängigen juristischen Datenbanken nach Inspiration sucht, ins Auge. Das Thema Internetauktion an sich ist zwar nicht mehr neu, dennoch zeigen die beiden Entscheidungen, dass es nach wie vor erhebliches Problempotential bietet, sowohl auf materieller, als auch prozessualer Ebene. Gerade derjenige, der die oft unbeliebten ZPO-Zusatzfragen souverän beantworten kann, hebt sich positiv ab.
Autorin des Beitrags ist Sabine Vianden aus Bonn. Sabine hat nach Ihrem erfolgreichen Ersten Staatsexamen im Sommer 2016 den Schwerpunktbereich beendet und bereitet sich aktuell auf Ihre Promotion vor.